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Issue 1 (2024), 1 36
In silva occultus: Die (un)erwartete Entdeckung von zwei
römischen Straßenwachtürmen im Wienerwald mit
einem Exkurs zum rätischen Limes und dem dortigen
Signalsystem der Straßenburgi
by Harald Lehenbauer
DOI:%http://doi.org/10.36950/PR.2024.1.1
This work is licensed under a Creative Commons Attribution 4.0 International License
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Harald Lehenbauer
harald.lehenbauer@gmail.com
https://bop.unibe.ch/PR / ISSN 3042-4445
Harald Lehenbauer | In silva occultus Provinciae Romanae 1 (2024)
1
In silva occultus: Die (un)erwartete Entdeckung
von zwei römischen Straßenwachtürmen im
Wienerwald mit einem Exkurs zum rätischen
Limes und dem dortigen Signalsystem der
Straßenburgi
Abstract:
The article is about the discovery of two Roman road watchtowers in the Wienerwald,
a forested area near Vienna, and their context within the topographic and historical
environment. The author also discusses the possibility of other Roman road
watchtowers in the province of Noricum, based on GIS methods and the analysis of
the neighbouring areas. In addition, the author compares the situation in Noricum with
that in Raetia, where six road watchtowers have been identified along an important
Roman road between Augsburg and Kempten. The author uses GIS-based visibility
analysis to examine the placement of the road watchtowers and their relation to the
neighbouring military installations and the road network. The main research question
that the author tries to answer is whether the road watchtowers in Noricum and Raetia
were also positioned so that the visual connection to the adjacent towers was decisive.
The author concludes that the positioning of the road watchtowers was carefully
planned, with the primary focus on the visibility of the towers among each other, and
that some of the towers were located at the edge of the visibility field of the
neighbouring towers. As last part of the study some comparisons have been made
regarding to the possible height of the towers and the reconstructed visibility ranges.
Der Artikel geht auf die Entdeckung von zwei römischen Straßenwachtürmen im
Wienerwald, einem bewaldeten Gebiet in der Nähe von Wien ein, und ihren
Zusammenhang mit der topographischen und historischen Umgebung. Der Autor
diskutiert auch die Möglichkeit weiterer römischer Straßenwachtürme in der Provinz
Noricum, basierend auf GIS-Methoden und der Analyse der angrenzenden Gebiete.
Außerdem wird die Situation in Noricum verglichen mit der in Rätien, wo sechs
Straßenwachtürme entlang einer wichtigen römischen Straße zwischen Augsburg und
Kempten identifiziert wurden. Es werden GIS-basierte Sichtbarkeitsanalysen
verwendet, um die Platzierung der Straßenwachtürme und ihre Beziehung zu den
benachbarten militärischen Anlagen und dem Straßennetz zu untersuchen. Die
Hauptforschungsfrage, die der Verfasser zu beantworten versucht, ist, ob die
Straßenwachtürme in Noricum und Rätien auch so positioniert wurden, dass die
Sichtverbindung zu den angrenzenden Türmen ausschlaggebend war. Es kann in der
Arbeit gezeigt werden, dass die Positionierung der Straßenwachtürme sorgfältig
geplant wurde, wobei der Schwerpunkt auf der Sichtbarkeit der Türme untereinander
lag, und dass einige der Türme am Rand des Sichtfeldes des benachbarten Turmes
lagen. Zuletzt wurden in der vorliegenden Studie vergleichende Untersuchungen
vorgenommen was die möglichen Höhen der Wachtürme angeht. So wurde der
Sichtbereich an ausgesuchten Positionen innerhalb des Studiengebietes mit
rekonstruierten Höhen von 8 bzw. 10 m genauer untersucht.
Keywords: Burgus, Wachtürme, Roman Limes, Danube Limes, Raetia, Noricum, GIS-
Analysis, Visibility Analysis
Harald Lehenbauer | In silva occultus Provinciae Romanae 1 (2024)
2
In diesem Artikel soll die Entdeckung von zwei römischen Straßenwachtürmen
im Wienerwald an einer wichtigen antiken Straßentrasse thematisiert werden und der
Befund in einen Kontext der topographisch-historischen Umgebung gestellt werden.
Aufgrund der neuen Sachlage sollen des Weiteren noch Überlegungen zu weiteren
möglichen Standorten von römischen Straßenwachtürmen in der Provinz Noricum
angestellt werden. Unter zur Hilfenahme von modernen GIS-Methoden wird der
angrenzende Raum systematisch von den neu entdeckten Positionen aus prospektiert
und so die Grundlage geschaffen, um den Kordon bekannter römischer
Militärpositionen zu verdichten. Damit wird der ICOMOS und UNESCO Empfehlung
Rechnung getragen, wo es ausdrücklich heißt: Continuing on-going research and
documentation on the Roman course(s) of the River Danube, encouraging where
possible connections between relevant component parts and the original river course
to which they were related, and make the outcomes of this research work accessible”
1
.
Wenngleich anzumerken ist, dass in der derzeitigen Fassung der Definition
2
des
Welterbes, “[…] Vorposten- als auch Kastelle im Hinterland […]”
3
ausgeschlossen sind.
In einem Exkurs werden an einer wichtigen römischen Straßenverbindung zwischen
Augsburg und Kempten bereits lokalisierte Straßenwachtürme einer näheren GIS-
gestützten Untersuchung unterzogen, um so mögliche weitere Standorte ermitteln zu
können, bzw. das angewandte Signalsystem näher in den Blick nehmen zu können.
Eine konkrete Forschungsfrage, die in dieser Arbeit beantwortet werden soll, lautet:
Wurden auch die Straßenwachtürme in den römischen Provinzen Noricum und Rätien
so platziert, dass die Sichtverbindung zu den benachbarten Türmen ausschlaggebend
war?
1. Einleitung
Der norische Limesabschnitt zählte bereits in der Antike zu den neuralgischen
Abschnitten der römischen Grenze, da hier u. a. wesentliche Handelsrouten aus dem
norddanubischen Raum an die Donau führten und daher mit feindlichen Einfällen zu
rechnen war. Auch in der Forschungslandschaft zeichnet sich diese Stellung ab und
genießt die römische Limesforschung von jeher hohes Ansehen und breite
wissenschaftliche Beteiligung
4
. Zielte die Forschungslandschaft im 20. Jahrhundert vor
allem darauf ab, große, bekannte Fundstätten zu untersuchen und römische Kastelle
näher unter die Lupe zu nehmen
5
, zeichnet sich erfreulicherweise in den letzten Jahren
eine zunehmende Verschiebung des Forschungsinteresses auf ländliche
Siedlungsstrukturen
6
und kleinere römische Befestigungen ab, die bisher nur ein
Nischendasein fristeten in der Forschungslandschaft. Auch die in diesem Beitrag im
Mittelpunkt stehenden römischen Wachtürme
7
rücken neuerdings zunehmend in den
1
UNESCO 2021, 44 COM 8B.24 - Frontiers of the Roman Empire The Danube Limes (Western
Segment), (Austria, Germany, Slovakia), Accessed December 29, https://whc.unesco.org/en/decisions/
7943/
2
Breeze, Schwarcz, Ployer 2023, 15.
3
Breeze, Schwarcz, Ployer 2023, 17.
4
Die Geschichte des Donaulimes zusammenfassend etwa Breeze, Schwarcz, Ployer 2023; Ubl 2006;
Wolfram 2003.
5
Die Limesforschungen perspektivisch zusammengefasst bei Ubl 1974-1975; Ubl 1980; Pollak 2015;
und zuletzt Ruprechtsberger 2015; Ployer 2018, 15.
6
Wegweisend hierzu etwa neuerdings die Forschungen von Hagmann 2023, 2019, 2020a, 2020b,
2020c; und zuletzt zu wirtschaftlichen Aspekten rund um ein römisches Legionslager Reisinger 2019.
7
Grundlegend zu den Wachtürmen Baatz 1976; Ubl 1995; Woolliscroft 2017. Eine griffige Übersicht zu
den Wachtürmen am Limes wurde von Sonja Jilek 2005 im Führer zu den archäologischen
Denkmälernpubliziert. Jilek 2005.
Harald Lehenbauer | In silva occultus Provinciae Romanae 1 (2024)
3
Fokus der akademischen Forschung
8
. In den Nachbarländern, etwa donauabwärts,
aber auch stromaufwärts sind die römischen Burgi und Kleinkastelle schon längere
Zeit ein zentraleres Thema in der Limesforschung
9
. Einen wesentlichen Impuls bei der
Erforschung der römischen Militäranlagen an der Donau – aber natürlich nicht nur dort
spielen neue technische Möglichkeiten bei der Geländeprospektion
10
. Vor allem die
in den letzten Jahren flächendeckend und kostenlos zur Verfügung stehenden digitalen
Daten in Form von Geländemodellen (DGM, DOM = digitales Geländemodell/digitales
Oberflächenmodell) und Luftbildern in sehr hoher Auflösung, spielen dabei eine
wichtige Rolle
11
. So stehen im Atlas
12
und auch im DORIS
13
etwa seit einigen
Jahren Geländemodelle von ganz Niederösterreich bzw. Oberösterreich zur Verfügung
(Schummerung/Hillshade) die aufgrund ihrer hohen räumlichen Auflösung die
Möglichkeit bieten im Erdboden versteckte Geländemerkmale sichtbar zu machen. Die
benutzerfreundliche und einfache Handhabung dieser öffentlich zugänglichen digitalen
Ressourcen sind vor allem in Hinblick auf eine Forschungsintegration von “citizen
scientists” von großer Bedeutung, standen doch solche technischen Möglichkeiten bis
vor nicht allzu langer Zeit nur Fachleuten zur Verfügung bzw. erforderten ein großes
technisches Know-how
14
. Überhaupt im bewaldeten Gebiet können die ALS-Daten
(Airborne-laser-scanning) feinste Bodenunebenheiten wiedergeben und so visuell
sichtbar machen. So können kleinste Erhebungen, wie eingeebnete Hügelgrabreste
ausgemacht werden, wenn der richtige Visualisierungsalgorithmus verwendet wird
15
.
2. Forschungsstand
Bisher konnten am österreichischen Limesabschnitt
16
18 römische
Wachtürme/Burgi lokalisiert werden, wobei Standorte mit mehrphasigen Türmen als
ein Standort gezählt wurden
17
. Weiters wird bei der folgenden Aufzählung nicht
zwischen Burgus und Wachturm unterschieden, da bei vielen Positionen eingehende
archäologische Untersuchungen noch ausständig sind und daher die Ansprache als
Burgus und/oder Wachturm ohnehin zurzeit einer gewissen Unsicherheit untersteht.
1. Wachturm Kobling-Rossgraben
18
;
2. Wachturm Hirschleitengraben
19
;
3. Wachturm Albing
20
;
8
Vgl. zur Thematik etwa zuletzt Klammer, Traxler 2022; Klammer 2018, 2023; Klammer, Traxler 2024;
Lehenbauer 2021, 2023b, 2023a; Groh 2022; Lehenbauer 2022; Linck, Fassbinder 2022; Grabherr,
Kainrath 2024.
9
Cociș 2016-2017, 2018; Cociș, Bacuet-Crisan, Bejinariu 2018; Jeremic 2007; Teodor 2018; Krieger
2018; Reinhart 2022, 2.
10
Casana, Goodman, Ferwerda 2023; Casana 2014, 2023; Schaich, Langer 2009.
11
Linck, Fassbinder 2022, 2; Doneus et al. 2008; Doneus, Kühtreiber 2012.
12
https://atlas.noe.gv.at/ (abgerufen am 30.12.2023).
13
https://www.doris.at/ (abgerufen am 30.12.2023).
14
Breeze, Schwarcz, Ployer 2023, 32.
15
Zu den gängigsten Methoden der Visualisierung in einem GIS, siehe unten.
16
Es handelt sich dabei um einen etwa 357,5 km langen Abschnitt. Breeze, Schwarcz, Ployer 2023, 37.
17
Die römischen Militärpositionen Ybbs an der Donau und der spätantike Burgus von Mösendorf wurden
nicht in diese Zählung aufgenommen. Bei Ybbs ist die gesicherte Ansprache als Wachturm bisher trotz
archäologischer Untersuchungen nicht gegeben und Mösendorf liegt nicht im direkten Grenzgebiet und
wird daher einer anderen strategischen Rolle zugeteilt (Straßenburgus). Vgl. Grabherr, Kainrath, Traxler
2018; Hebert 2019. In Kürze erfolgt die Publikation eines weiteren Wachturms (mit aussagekräftigem
Fundmaterial), der bisher nur vage vermutet wurde.
18
Ployer 2018, 24.
19
Ployer 2018, 26.
20
Groh 2022.
Harald Lehenbauer | In silva occultus Provinciae Romanae 1 (2024)
4
4. Wachturm Stein-St. Pantaleon
21
;
5. Wachturm Haslach-Erla
22
;
6. Wachturm Au-Engelbachmühle
23
;
7. Wachturm Sommerau
24
;
8. Straßenwachturm Neumarkt
25
;
9. Wachturm Melk-Spielberg
26
;
10. Wachturm Blashausgraben
27
;
11. Wachturm St. Johann im Mauerthale
28
;
12. Wachturm Bacharnsdorf
29
;
13. Wachturm St. Lorenz
30
;
14. Wachturm Windstalgraben
31
;
15. Wachturm Hollenburg
32
;
16. Wachturm Hollenburg-Kirche
33
;
17. Wachturm Maria Ponsee
34
;
18. Wachturm Greifenstein
35
;
Neben den oben genannten Positionen gibt es eine ganze Reihe von Standorten,
die in der Literatur als mehr oder weniger wahrscheinlich als Wachturmpositionen
beschrieben werden
36
. Zuletzt wurden auch einige Positionen postuliert und zu
weiteren Beobachtungen angeregt
37
. Es kann mit Sicherheit konstatiert werden, dass
am gesamten österreichischen Limesabschnitt noch eine ganze Reihe von
Turmstandorten der Entdeckung harrt. Die Plausibilität dieser Aussage kann auch
beispielsweise anhand von Sichtfeldanalysen gezeigt werden, wo zu erkennen ist,
dass z. B. der Donauabschnitt des Strudengaues also der Bereich zwischen Ybbs
und Ardagger von keinem der bisher sicher festgestellten militärischen Stützpunkte
aus eingesehen werden konnte. Dies impliziert das Fehlen, von militärischen
Stützpunkten im betreffenden Gebiet, war doch eine effektive und sichere
Grenzverteidigung und Kontrolle nur mit einer geschlossenen und redundant
21
Grabherr, Kainrath 2024; Klammer, Traxler 2022, 2024b.
22
Grabherr, Kainrath 2024; Klammer, Traxler 2022, 2024b.
23
Ployer 2018, 48.
24
Ployer 2018, 56.
25
Ployer 2018, 60.
26
Ployer 2018, 68.
27
Ployer 2018, 70.
28
Ployer 2018, 72; Fries 2015; Fries et al. 2022; Hebert 2019.
29
Ployer 2018, 76.
30
Ployer 2018, 80.
31
Ployer 2018, 82.
32
Ployer 2018, 92.
33
Ployer 2018, 94. Weitere Aspekte und GIS gestützte Geländeanalysen, die eine Nutzung des heutigen
Kirchenareals als Wachtstation in der Römerzeit wahrscheinlich machen sind zu finden bei Lehenbauer
2023a, 1214.
34
Ployer 2018, 100.
35
Neugebauer 1970; Ubl 1995; David, Andreas, René 2023, 36.
36
So finden sich bei Ployer die Standorte Wesenufer, Kobling-See, Ufer, Sarling und Säusenstein als
vermutete Wachtürme verzeichnet. Ployer 2018, 11819.
37
Es handelt sich um folgende Örtlichkeiten: Wachturm/Kleinkastell Rabenstein (KG Hössgang/MG
Neustadtl an der Donau), Schönbühel an der Donau (KG Schönbühel an der Donau/MG Schönbühel-
Aggsbach), Aggsbach-Dorf/Hohenwarthberg/Luftberg (KG Aggsbach/MG Schönbühel-Aggsbach),
Sand-Freienstein (KG Freienstein/MG Neustadtl an der Donau), Schloss Donaudorf (KG Donaudorf/SG
Ybbs an der Donau), Donaudorf-Schadelreith (KG Donaudorf/SG Ybbs an der Donau). Vgl. Lehenbauer
2023a.