Der Pluralität des Geschehens gerecht werden – aber wie?

Eine Weiterentwicklung des Dokumentationsprofils

Natalia Eschmann

Die Forderung, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft in und durch Überlieferung abbilden soll, findet bei Archivar*innen zunehmend Gehör. Das von der BKK entwickelte Dokumentationsprofil will dabei unterstützen, doch fehlen ihm sowohl eine nachvollziehbare Methode als auch eine theoretische Basis, die Pluralität und Überlieferung(sbildung) in Bezug zueinander setzen. Dieser Artikel will das Profil deshalb weiterentwickeln. Aufbauend auf Ann Laura Stoler werden Überlieferung und Überlieferungsbildung als eigene Formen situierten Wissens betrachtet, das es sowohl «entlang» als auch «entgegen seinen Strich» zu analysieren gilt, um die darin fehlenden Stimmen zu identifizieren. Das Resultat ist ein multiperspektivischer Überlieferungsbildungsansatz, der die unterschiedlich hohen Überlieferungschancen der Aktenbildner*innen bewusst in den Blick nimmt und durch ein proaktives Vorgehen auszugleichen versucht. Um das Vorgehen zu illustrieren, wird auf das «Dokumentationsprofil Politik» des Staatsarchivs Solothurn zurückgegriffen.

La revendication selon laquelle la diversité de la société doit se refléter dans et par la constitution du patrimoine archivistique trouve de plus en plus d'écho chez les archivistes. Le profil de documentation développé par la BKK (Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag, soit Conférence des archives communales auprès de l'Association des villes allemandes) soutient cette démarche, mais il lui manque à la fois une méthode transparente et une base théorique mettant en relation la constitution et la pluralité des fonds. Cet article vise donc à développer le profil. En s'appuyant sur les travaux d‘Ann Laura Stoler, la transmission et la manière dont les fonds d’archives se constituent sont considérées comme des formes propres de savoir «situé» qu'il s'agit d'analyser à la fois "le long du fil" et "à contre-courant", afin d'identifier les voix qui y manquent. Le résultat est une approche multi-perspectives de la transmission archivistique qui prend en compte la probabilité, pour les créateurs de documents, que leurs archives soient reconnues et transmises, et qui tente de compenser les écueils par une démarche proactive. Pour illustrer cette démarche, l’auteure s‘appuie sur le « profil de documentation politique » des Archives d'État de Soleure.

The demand that the diversity of society should be reflected in and through the creation of archival heritage is finding increasing support among archivists. The documentation profile developed by the BKK (Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag) supports this approach, but it lacks both a transparent method and a theoretical basis linking the constitution and plurality of collections. This article therefore aims to further develop the BKK profile. Drawing on the work of Ann Laura Stoler, transmission and the way in which archive collections are constituted are considered as their own forms of 'situated' knowledge. This knowledge should be analysed «with and against the grain» to identify the voices that are missing. The result is a multi-perspective approach to archival transmission that takes into account the probability, for the creators of documents, that their archives will be recognised and transmitted, and that attempts to compensate for the pitfalls by adopting a proactive approach. To illustrate this approach, the author draws on the «political documentation profile» of the Solothurn State Archives.

Einleitung

Bereits vor mehr als 50 Jahren postulierte Hans Booms, dass «Zweck und Ziel einer archivarischen Überlieferungsbildung […] in der pluralistischen Struktur unserer modernen Industriegesellschaft nur eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation des öffentlichen Lebens in allen Interessen- und Bindungsgemeinschaften» sein könne.1 Der Anspruch, die Vielfalt der Gesellschaft in und durch Überlieferung abzubilden, hat in der Archivwissenschaft seitdem wiederholt zu Diskussionen geführt und verschiedene Lösungsansätze hervorgebracht. Ein Ansatz stammt von der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag (BKK), die in ihrem 2004 verabschiedeten Positionspapier für einen «ganzheitlichen Ansatz der Überlieferungsbildung» plädierte.2 Aufgabe der kommunalarchivischen Überlieferungsbildung sei es, «die lokale Gesellschaft und Lebenswirklichkeit umfassend abzubilden, deren Ereignisse, Phänomene, Strukturen im Grossen wie im Kleinen zu dokumentieren und dabei der Pluralität des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Geschehens gerecht zu werden.»3 Zur Umsetzung dieses Ziels schlug die BKK das Dokumentationsprofil vor, welches die lokale Lebenswelt in Kategorien erfassen, für jede Kategorie Dokumentationsziele formulieren und die zu überliefernden Aktenbildner*innen in einem Kataster aufführen soll. Während das Positionspapier nur kurz auf das Dokumentationsprofil einging, bot die wenige Jahre später erschienene Arbeitshilfe eine genaue Anleitung, wie ein Dokumentationsprofil Schritt für Schritt erarbeitet wird.4

Für die archivische Fachdiskussion stellt das Dokumentationsprofil einen wichtigen Beitrag und einen Paradigmenwechsel in der Bewertungsdiskussion dar.5 Ausgangspunkt der Überlegungen ist nicht länger der einzelne Bestand, sondern die Lebenswelt als Ganzes, die es umfassend zu dokumentieren gilt. Booms Forderung nach einer gesamtgesellschaftlichen Dokumentation des öffentlichen Lebens findet im Dokumentationsprofil seinen Widerhall, ebenso wie der inhaltsorientierte Bewertungsansatz.6 Anders als Booms Dokumentationsplan ist das Dokumentationsprofil aber nicht bloss Theorie geblieben, da Archive verschiedener Sparten inzwischen solche Profile erarbeitet haben.7 Als praktisches Steuerungsinstrument der Überlieferungsbildung bietet es verschiedene Vorteile für die retro- wie prospektive Bewertung von Beständen und führt zu einer Verbesserung der Überlieferungsqualität.8 Ein Dokumentationsprofil hilft, die Entstehung von Überlieferungslücken ebenso vorausschauend zu erkennen wie die von Doppel- oder Mehrfachüberlieferungen, der Nutzen für eine Überlieferungsbildung im Verbund liegt dabei auf der Hand. Durch das Ausformulieren der Dokumentationsziele werden die Wertmassstäbe der Überlieferungsbildung sowohl für die Zeitgenoss*innen inner- wie ausserhalb der eigenen Institution als auch für nachfolgende Generationen explizit und transparent gemacht. Besonders im Bereich der Privatarchive, wo in der Regel keine Anbietepflicht besteht und öffentliche Archive eine eher passiv-abwartende Haltung in ihrer Sammlungstätigkeit zu Tage legen,9 kann ein Dokumentationsprofil viel zu einer systematischen, gezielten und nachvollziehbaren Überlieferungsbildung beitragen.

Dass das Dokumentationsprofil in archivtheoretischer und -praktischer Sicht einen wichtigen Beitrag darstellt, ist unbestritten – trotzdem tun sich gewisse Lücken auf. In methodisch-praktischer Hinsicht ist kritisch anzumerken, dass die Arbeitshilfe zwar das Resultat der Arbeitsschritte präsentiert, jedoch die Überlegungen dahinter und den Weg dorthin nicht darlegt. So enthält die Arbeitshilfe ein Muster von fünfzehn Kategorien der lokalen Lebenswelt,10 erklärt aber weder, auf welcher Grundlage die Kategorien erarbeitet, noch warum exakt diese fünfzehn Kategorien gewählt wurden. Auch bezüglich der Erarbeitung der Dokumentationsziele bleibt die Arbeitshilfe vage. Sie hält fest, die Dokumentationsziele seien als Antworten auf zentrale Leitfragen zu sehen.11 Wie die Leitfragen formuliert werden sollen, wird aber nicht erörtert. Die einzige direkt gestellte Frage, «Welche Personen, Institutionen, Strukturen, Entwicklungen und Ereignisse der lokalen Lebenswelt sollen dokumentiert werden?»,12 kann nicht als Leitfrage dienen, da ihr ein übergeordneter, anleitender Rahmen fehlt. Auch eine Möglichkeit zur Priorisierung der Dokumentationsziele ist nicht vorhanden, was besonders für das Sammeln von Privatarchiven einen Nachteil bedeutet,13 wo angesichts der fehlenden Anbietepflicht und der begrenzten Ressourcen ein proaktives Vorgehen vorteilhaft ist.14 Auch bei den Dokumentationsgraden, d. h. die für jedes Dokumentationsziel angestrebte Überlieferungsdichte,15 bietet die Arbeitshilfe keine Anleitung, unter welchen Gesichtspunkten ein hoher oder niedriger Dokumentationsgrad zu empfehlen wäre. Es fehlt also eine eigentliche Methode, die die Erarbeitung des Dokumentationsprofils Schritt für Schritt anleitet und nachvollziehbar macht. Auch die Forderung der BKK, amtliche und nichtamtliche Überlieferung nach denselben Kriterien zu behandeln,16 ist problematisch, geben die Gesetzesgrundlagen doch oftmals eine Ungleichbehandlung vor, etwa durch die Bestimmung, die nichtamtliche Überlieferung in Ergänzung zur amtlichen zu sammeln.17 Wie können öffentliche Archive dieser Ausgangslage Rechnung tragen und dennoch amtliche wie nichtamtliche Überlieferung nach gleichen Kriterien behandeln? Auch darauf findet sich keine Antwort.

Neben diesen methodisch-praktischen Fragen tun sich auch in theoretischer Hinsicht Lücken auf. Am zentralsten ist, dass zwar der Anspruch erhoben wird, «der Pluralität des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Geschehens gerecht zu werden»,18 jedoch keine Diskussion stattfindet, was Pluralität in Bezug auf Überlieferung bedeutet und wie die Überlieferungsbildung dem mittels Dokumentationsprofil gerecht werden kann. Geht es darum, eine möglichst grosse, bunte Bandbreite an Themen zu überliefern – oder sind andere Anforderungen an Überlieferung zu stellen? Besonders bei der Arbeitshilfe fällt auf, dass der Gedanke der Pluralität nicht in die einzelnen Arbeitsschritte einbezogen wird. Wie ist bei der Kategorisierung der Lebenswelt vorzugehen, damit die Kategorien die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln? Wie sind die Leitfragen zu formulieren, damit die daraus resultierenden Dokumentationsziele Einblick in die Pluralität des Geschehens geben? Wie lassen sich die Dokumentationsgrade nutzen, um dieses Ziel zu stützen? Weder das Positionspapier noch die Arbeitshilfe gehen darauf ein. Es fehlt eine theoretische Basis, die Überlieferung, Überlieferungsbildung und den Anspruch an Pluralität konsequent miteinander verknüpft und in das Dokumentationsprofil einfliessen lässt. Dass Positionspapier und Arbeitshilfe von einem «ganzheitlichen Ansatz» und einer «umfassenden» Abbildung der Lebenswelt sprechen, schafft nur bedingt Klarheit und kann sogar missverständlich sein, wenn darunter der Anspruch auf eine vollständige Überlieferung der Lebenswelt verstanden wird. Eine solche eins zu eins Übernahme der Lebenswelt ins Archiv ist, wie Frank M. Bischoff kritisierte, «weder theoretisch erreichbar noch praktisch umsetzbar und selbst als Orientierung einer idealen Überlieferungsbildung nicht mehr dienlich».19 In dieser Arbeit werden die Begriffe ‹ganzheitlich› und ‹umfassend› deshalb nicht verwendet. Stattdessen wird in Anlehnung an Booms von gesamtgesellschaftlicher Überlieferung als Ziel der Überlieferungsbildung gesprochen, womit das Vorhaben gemeint ist, die Vielfalt des Denkens und Handelns in der Gesellschaft des Archivsprengels durch Überlieferung abzubilden und erforschbar zu machen.

Ziel dieses Artikels ist, die geschilderten Lücken zu schliessen und das Dokumentationsprofil weiterzuentwickeln, sodass es seinem Anspruch an eine gesamtgesellschaftliche Überlieferung besser gerecht, der Erstellungsprozess nachvollziehbarer und das Resultat für eine proaktive Überlieferungsbildung nutzbarer wird. Das folgende Kapitel legt dafür die theoretischen und methodischen Grundlagen. Wenn das Dokumentationsprofil die Pluralität des Geschehens abbilden soll, braucht es eine Auseinandersetzung mit der Frage, was Pluralität in Bezug auf Überlieferung bedeutet und wie die Überlieferungsbildung dazu beitragen kann. Das macht eine Diskussion über die Wechselwirkungen zwischen Überlieferung, Überlieferungsbildung und gesellschaftlichen Machtverhältnissen unabdingbar, denn es sind diese Wechselwirkungen, die zu unterschiedlich hohen Überlieferungschancen für bestimmte Themen und Aktenbildern*innen führen und so dem Ziel der gesamtgesellschaftlichen Überlieferung im Weg stehen.20 Eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation entsteht nicht von allein und quasi automatisch, sondern muss von den Archivar*innen bewusst, systematisch und möglichst proaktiv hergestellt werden. Dazu benötigen wir ein Verständnis von Überlieferung und Überlieferungsbildung, das den Einfluss der gesellschaftlichen Machtverhältnisse anerkennt und für das Vorhaben einer gesamtgesellschaftlichen Dokumentation fruchtbar macht. Aufbauend auf den Arbeiten der Historikerin und Kulturanthropologin Ann Laura Stoler werden Überlieferung und Überlieferungsbildung als je eigene Formen von situiertem Wissen betrachtet – als Wissen aus einer bestimmten Perspektive und Machtposition heraus.21 Aufgabe der Archivar*innen ist es, das situierte Wissen der Aktenbilder*innen im Rahmen der Überlieferungsbildung zu analysieren, auf seine blinden Flecken hin zu befragen und die fehlenden Stimmen proaktiv zu sichern. Der Arbeit liegt damit ein multiperspektivischer Überlieferungsbildungsansatz zugrunde, der das situierte Wissen der Aktenbilder*innen als Ausgangspunkt nimmt, um zu fragen, welche Sichtweisen in der vorhandenen Wissensproduktion fehlen oder nur schwach hörbar sind und für eine gesamtgesellschaftliche Überlieferung ergänzend gesichert werden sollten, sodass ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln dokumentiert und erforschbar wird. Das Ziel ist dabei keine eins zu eins Überlieferung, sondern Einblick in die Vielfalt des Denkens und Handelns in Bezug auf ein Thema zu ermöglichen. Das Resultat wird kein lückenloses Panorama aller möglichen Aktenbildner*innen zu einem Thema sein, sondern ein punktierter 360°-Blick, der nicht alle Sichtweisen wiedergibt, dafür einen Einblick in ihre Vielfalt und Verschiedenheit ermöglicht. Der hier präsentierte Ansatz zeichnet sich weiter dadurch aus, dass der Fokus stärker auf den Akteur*innen liegt, die in einem bestimmten Bereich der Lebenswelt aktiv waren oder sind. Die zentrale Leitfrage lautet deshalb nicht, welche Inhalte überliefert werden sollen, sondern welche Akteur*innen in einem bestimmten Lebensbereich aktiv waren oder sind und inwiefern deren Wissensproduktion der vorhandenen Überlieferung eine weitere Perspektive hinzufügen könnte. Dieser eher akteurs- als inhaltsorientierte Ansatz ergibt sich einerseits aus der Überlegung, dass situiertes Wissen immer Wissen aus einer bestimmten Perspektive und damit aus der Sichtweise von jemandem darstellt. Andererseits werden mit der Identifizierung der Akteur*innen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die relevanten Aktenbildner*innen und damit die zentralen Primärquellen gesichert. Ausserdem liegt ein solcher Ansatz dem Provenienzprinzip als dem archivischem Grundprinzip schlechthin näher, denn auch das inhaltorientierte Dokumentationsprofil der BKK kommt nicht darum herum, die Aktenbildern*innen zu nennen, die zur Sicherung eines Dokumentationsziels überliefert werden sollen.

Aufbauend auf dieser theoretischen Grundlage befasst sich das folgende Teilkapitel mit der methodischen Weiterentwicklung des Dokumentationsprofils, wozu erneut auf Stoler zurückgegriffen wird, insbesondere auf ihr Vorgehen, Quellen sowohl entgegen als auch entlang ihrem ‹archivischen Strich› zu lesen.22 Dieses Vorgehen lässt sich auch auf die Überlieferungsbildung anwenden, indem Überlieferung sowohl entlang als auch entgegen dem Strich der staatlichen Wissensproduktion gedacht wird. In einem ersten Schritt wird ‹entlang dem Strich› gefragt, welches Wissen der Staat über einen bestimmten Bereich der Lebenswelt produziert und anschliessend ‹entgegen dem Strich›, welche anderen Sichtweisen in dieser Wissensproduktion kaum oder gar nicht vertreten sind. So kann die nicht-staatliche Überlieferung angemessen berücksichtigt werden, ohne den gesetzlichen Auftrag unbeachtet zu lassen, diese als Ergänzung zu und in Abhängigkeit von der staatlichen Überlieferung zu sammeln. Die Methode, Überlieferung entlang und entgegen dem Strich der staatlichen Wissensproduktion zu denken, wird im dritten Kapitel auf die einzelnen Arbeitsschritte der BKK-Arbeitshilfe angewandt, insbesondere auf die Kategorisierung der Lebenswelt, die Formulierung von Dokumentationszielen und die Wahl des Dokumentationsgrades. Bis auf eine Priorisierung der Dokumentationsziele wird an der Abfolge der Schritte der Arbeitshilfe festgehalten, da sie ein komplexes Vorhaben in überschaubare, sinnvolle Teilschritte gliedern. Wohl aber soll der multiperspektivische, akteursorientierte Ansatz konsequent miteinbezogen werden. Zur Illustrierung wird auf das «Dokumentationsprofil Politik» des Staatsarchivs Solothurn zurückgegriffen, das im Rahmen der hier zugrundeliegenden Masterarbeit erarbeitet wurde.

Weiterentwicklung des Dokumentationsprofils

2.1 Theoretische Grundlage

Macht ist bis heute ein nur wenig diskutiertes Thema in der Archivwissenschaft.23 Auch wenn sich das professionelle Selbstbild wandelt, ist die Vorstellung von Archivar*innen als neutrale, unparteiische Bewahrer*innen der Vergangenheit noch weit verbreitet. Für eine gesamtgesellschaftliche Überlieferung, die die Vielfalt der Gesellschaft abbilden will, ist ein solches Bild aber fatal, da es die Wechselwirkungen zwischen Überlieferung, Überlieferungsbildung und gesellsch aftlichen Machtverhältnissen verdeckt und die daraus folgenden unterschiedlich hohen Überlieferungschancen eher als Zufall statt als systemisches Problem erscheinen.24 Besonders im nicht-staatlichen Sammlungsbereich hat sich wiederholt gezeigt, dass nicht nur bestimmte Themen, sondern ganze Bevölkerungsgruppen ‹vergessen› gingen. So liess sich für die Geschichte der Frauenrechtsbewegung und der bäuerlichen Gesellschaft lange kein zuständiges Archiv finden.25 Zudem ist bis heute ein bürgerlich geprägtes Geschichtsbild spürbar, das bevorzugt ‹grosse Persönlichkeiten› aus Wirtschaft, Politik und Kultur sichert, während die Geschichte von Menschen mit Migrationshintergrund oder der Neuen Sozialen Bewegungen schlechtere Überlieferungschancen haben.26 An den bereits bestehenden und an den sich abzeichnenden Überlieferungslücken wird am deutlichsten ersichtlich, wie sich die gesellschaftlichen Machtverhältnisse auf die Archive und ihre Überlieferung auswirken. Für eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation des öffentlichen Lebens ist eine Auseinandersetzung mit den ungleich hohen Überlieferungschancen und den ihnen zugrundeliegenden Machtverhältnissen deshalb unabdingbar. Joan M. Schwartz und Terry Cook fassten die Notwendigkeit für Archive, sich mit dem Thema Macht auseinanderzusetzen, treffend zusammen:

«This lack of questioning [power] is dangerous because it implicitly supports the archival myth of neutrality and objectivity, and thus sanctions the already strong predilection of archives and archivists to document primarily mainstream culture and powerful records creators. It further privileges the official narratives of the state over the private stories of individuals. Its rules of evidence and authenticity favour textual documents, from which such rules were derived, at the expense of other ways of experiencing the present, and thus of viewing the past. Its strong whiffs of positivist and ‘scientific’ values inhibit archivists adopting multiple and ambient ways of seeing and knowing.»27

Eine unkritische Überlieferungsbildung, die sich nicht mit der Frage nach dem Einfluss gesellschaftlicher Machtverhältnisse befasst, läuft damit Gefahr, anstatt einer Vielfalt der Stimmen nur genau jene «mainstream culture and powerful records creators» zu sichern, die ohnehin schon eine höhere Überlieferungschance haben. Eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation «in allen Interessens- und Bindungsgemeinschaften», wie Booms es formulierte, ist so kaum zu erreichen.

Wie hängen Überlieferung, Überlieferungsbildung und gesellschaftliche Machtverhältnisse aber zusammen? Betrachten wir zuerst die Verzahnung zwischen Überlieferung und Macht. Dass Überlieferung im Rahmen der Verfolgung eines Primärzwecks entsteht, ist für Archivar*innen nichts Neues.28 Im Zuge der Erledigung einer Aufgabe werden Informationen aus einer bestimmten Sichtweise heraus gesammelt, bewertet und neu zusammengestellt, um auf die Umwelt zurückzuwirken – mit anderen Worten, um in gewisser Form Macht auf sie auszuüben. In der Überlieferung sind damit sowohl die bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse enthalten, in denen die Dokumente entstanden sind, als auch die Bestrebungen der Aktenbilder*innen, auf diese Machtverhältnisse zurückzuwirken. Angelika Menne-Haritz hat dies für amtliche Dokumente treffend auf den Punkt gebracht: «Akten spiegeln nicht die Realität so wider, wie sie war, sondern so, wie die Verwaltung sie wahrgenommen und geformt hat.»29 Die in den Akten enthaltenen Informationen seien «aufgrund ihrer Entstehung immer zweckgerichtet […], also subjektiv ausgewählt, gefiltert und zusammengestellt» und letztlich «zum Zweck der Veränderung der Realität» angelegt.30 Während Menne-Haritz diese Qualität nur der amtlichen, nicht aber der nichtamtlichen Überlieferung zusprach,31 kann aus Sicht der heutigen Archivwissenschaft ein differenzierteres Urteil gefällt werden. So betont Georg Schlatter, dass Privatarchive entlang eines Kontinuums einzuordnen seien, das von organisch gewachsenen Ablagen bis hin zu nachträglich und ohne Rücksicht auf Provenienz zusammengestellten Sammlungen reicht.32 Besonders bei organisch gewachsenen Ablagen ist der subjektive, zweckgerichtete Charakter auch bei Privatarchiven gegeben, spiegeln diese doch nicht einfach die Realität wider, wie sie war, sondern wie die Aktenbildner*innen sie wahrgenommen und zu formen versucht haben. Sogar bei Sammlungen ist diese Qualität bis zu einem gewissen Grad gegeben, da sie im Hinblick auf die Ziele und Absichten der sammelnden Person oder Institution zusammengestellt wurden.

Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse reichen auch in die Überlieferungsbildung hinein. Hier schätzen Archivar*innen die über den Primärzweck hinausgehenden Sekundärzwecke ein und entscheiden, ob ein Dokument oder Bestand archivwürdig ist. Die Frage, was ein Dokument archivwürdig macht, gehört zu den wohl meist diskutierten der Archivwissenschaft. Im Laufe der Jahrzehnte sind verschiedenste Werttheorien und -massstäbe diskutiert, erprobt und wieder verworfen worden. Eine verbindliche, allgemein gültige Bewertungstheorie existiert bis heute nicht und wird wohl auch nie existieren, denn: «Quellen werden erst wertvoll, indem der Archivar ihnen im Wertungsvollzug Wert zumisst, beimisst, beilegt.»33 Ein objektiver, den Quellen inhärenter Wertmassstab existiert also nicht, sondern wird von den Archivar*innen zugeschrieben. Im besten Fall geschieht diese Zuschreibung bewusst und nachvollziehbar.34 In diesen Prozess der Wertzuschreibung reichen auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse hinein, wie Booms darlegte: Archivar*innen sind keine Inseln für sich selbst, sondern Teil der Gesellschaft, wodurch sich zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Wertvorstellungen ein «unaufhebbarer Zusammenhang» ergibt.35 Die in der Gesellschaft vorherrschenden Werte, was wichtig und erinnerungswürdig ist, wirken sich auch auf die Archivar*innen aus und sorgen so für eine bessere Überlieferungschance für Themen und Aktenbilder*innen, die gesellschaftlich als wichtig erachtet werden. Archivar*innen können durch ihre Tätigkeit in der Überlieferungsbildung diese gesellschaftlichen Machtverhältnisse fortschreiben und auf die Gesellschaft zurückwirken, denn «Archive widerspiegeln nicht einfach eine Wirklichkeit, archivische Tätigkeit stellt auch Wirklichkeit her, sowohl in den Entscheiden über Überlieferung und Vernichtung wie in der Erschliessung des Materials.»36 Durch die Überlieferungsbildung beeinflussen Archive die Voraussetzung für das historische Erinnern sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene. Booms Bemerkung, «dass derjenige, der darüber befindet, welche Ereignisse des gesellschaftlichen Lebens mittels ihrer Informationsträger überliefert werden und damit der Erinnerungsmöglichkeit der Gesellschaft erhalten bleiben und welche nicht, dabei gesellschaftlich gewichtige Entscheidungen trifft»,37 trifft deshalb zu.

Diese Wechselwirkungen zwischen Macht, Überlieferung und Überlieferungsbildung bedeuten, dass eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation des öffentlichen Lebens nicht einfach ‹von allein passiert›, sondern bewusst, systematisch und möglichst proaktiv hergestellt werden muss. Ohne dieses bewusste Bemühen werden Archivar*innen mit grosser Wahrscheinlichkeit auch weiterhin jene «mainstream culture and powerful records creators» sichern, die bereits von einer höheren Überlieferungschance profitieren. Natürlich bleibt eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation auch dann ein Ideal. Es existieren keine festen Messwerte, die anzeigen würden, wann eine Überlieferung ‹gesamtgesellschaftlich genug› ist. Das bedeutet aber nicht, dass sich keine konkreten Schritte in Richtung dieses Ziels unternehmen liessen. Sich im Rahmen eines Dokumentationsprofils systematisch und wiederholt die Frage zu stellen, welche Stimmen in der bestehenden Überlieferung fehlen oder nur schwach hörbar sind, stellt einen ernsthaften Versuch dar, sich mit den ungleich hohen Überlieferungschancen im Vorfeld zu befassen und ihnen soweit möglich proaktiv entgegenzuwirken. Der Vorwurf, dass es dabei ‹nur› um die Sicherung von Minderheiten gehe, ist zu kurz gegriffen, wie schon Schwartz und Cook argumentierten:

«This is not an exercise in ‘political correctness,’ for the ‘marginalized’ for some particular functions in society (and in records) may well be rightwing business corporations more than left-wing trade unions, developers more than environmentalists, the center more than the regions, men more than women, racists more than reformers. The point is for archivists to (re)search thoroughly for the missing voices, for the complexity of the human or organizational functional activities under study during appraisal, description, or outreach activities, so that archives can acquire and reflect multiple voices, and not, by default, only the voices of the powerful.»38

Das Ziel, die Vielfalt der Stimmen zu sichern, lässt sich also nicht auf die bevorzugte Überlieferung von Minderheiten einengen. Wer die «missing voices» sind, wird je nach Themenfeld anders sein: Einmal sind es die Umweltaktivist*innen, ein andermal die Wirtschaftsverbände, einmal feministische Organisationen, ein andermal die Männerrechtsbewegung. Wer auch immer die fehlenden Stimmen sind, Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Überlieferung soll sein, sich dieser Vielfalt anzunähern, indem multiperspektivisch gefragt wird, wessen Sichtweise in der vorhandenen Überlieferung fehlt. Dabei geht es wie dargelegt nicht um eine vollständige Überlieferung aller möglichen Aktenbildner*innen. Genauso wenig geht es darum, jede noch so flüchtige Strömung in der Gesellschaft zu dokumentieren. Mit der Lebenswelt als zentralem Ausgangspunkt darf vorausgesetzt werden, dass die zu überliefernden Aktenbildner*innen eine gewisse Wirkung auf oder zumindest eine gewisse Aktivität in dieser Lebenswelt entfalteten.

Wenn diese Wechselwirkungen zwischen Macht, Überlieferung und Überlieferungsbildung anerkannt werden, stellt sich die Frage, wie damit produktiv umgegangen und das Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Überlieferung weiterverfolgt werden kann. Wie kann das Bewusstsein um diese Wechselwirkungen in unser Verständnis von Überlieferung und Überlieferungsbildung integriert und für das Dokumentationsprofil nutzbar gemacht werden? Dazu wird im Folgenden auf die Arbeiten Ann Laura Stolers über das koloniale Archiv zurückgegriffen.39 Gemäss Stoler sind Archive keine neutralen Speicher objektiver Informationen, sondern Schnittstellen von Wissen und Macht. Stoler bezeichnet Archive deshalb auch als «epistemologische Experimente»,40 weil sie nicht nur Wissen lagern, sondern durch das Ordnen, Verzeichnen und Benutzen auch Wissen (re-)produzieren. Archive dokumentieren einerseits bestehende Machtverhältnisse, indem sie Dokumente von aussen übernehmen, wirken durch das Ordnen, Verzeichnen und Benutzen aber auch auf die Machtverhältnisse zurück. Wissen und Macht sind im Archiv also untrennbar miteinander verbunden. Ob dieses Wissen wahr oder falsch, wissenschaftlich gewonnen oder auf Alltagserfahrung basierend, lange gültig oder nur vorübergehend akzeptiert ist, ist für Stoler weniger entscheidend als der Gedanke, dass Wissen stets aus einer bestimmten Perspektive und mit bestimmten Absichten geschaffen wird. Das im Archiv überlieferte Wissen ist damit immer situiertes Wissen, das aus einer bestimmten Perspektive und Machtposition heraus entstanden ist und auf die Machtverhältnisse seiner Entstehung zurückzuwirken versucht. Dieses Verständnis von der Verschränkung von Macht und Wissen lässt sich nicht nur auf Archive generell, sondern auch auf die Überlieferungsbildung als archivischen Prozess und die Überlieferung als ihr Produkt übertragen. Beide können als je eigene Formen situierten Wissens betrachtet werden. Überlieferung entsteht bei der Verfolgung eines Primärzwecks, ist daher subjektiv gefiltert und zweckgerichtet und damit eine Form von situiertem Wissen. Die Überlieferungsbildung oder archivische Bewertung schreibt den Unterlagen Sekundärzwecke zu, zu deren Bestimmung Archivar*innen auf ihr eigenes situiertes Wissen über Verwaltungsaufgaben, Forschungsschwerpunkte und Öffentlichkeitsinteressen zurückgreifen und die Überlieferung entsprechend ihres Wissens formen – von der Integralarchivierung bis zur Totalkassation. Diese beiden Formen von Wissen treffen im Dokumentationsprofil aufeinander. Um zu einer gesamtgesellschaftlichen Dokumentation zu gelangen, muss dem Dokumentationsprofil ein multiperspektivischer Ansatz zugrunde liegen, der das situierte Wissen sowohl der Archivar*innen als auch der staatlichen wie nicht-staatlichen Aktenbildner*innen systematisch in den Blick nimmt, ex negativo nach den fehlenden oder nur schwach hörbaren Stimmen fragt und den ungleich hohen Überlieferungschancen durch eine möglichst proaktive Überlieferungsbildung entgegenzuwirken versucht. Nur so kann das Dokumentationsprofil zum Steuerungsinstrument einer Überlieferungsbildung werden, die sich der Pluralität des Geschehens mit gezielten Schritten annähert.

2.2 Methodik

Um den multiperspektivischen Ansatz umzusetzen, bedarf es einer konkreten Methode, wofür sich erneut auf Stolers Arbeiten zurückgreifen lässt. Das Lesen von Quellen ‹gegen den Strich› ist eine in der Geschichtswissenschaft etablierte Methode und hat eine Vielzahl von Untersuchungen angeregt. Auch Stoler plädiert dafür, dass Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen das Archiv ‹gegen seinen Strich› lesen sollten, das heisst, die stillschweigenden Annahmen und Auslassungen in den Quellen kritisch zu hinterfragen und herauszufordern.41 Stoler plädiert aber auch dafür, Quellen nicht nur gegen, sondern auch ‹entlang ihrem archivischen Strich› zu lesen, also die Eigenlogik der Quellen ernst zu nehmen und als Ausgangspunkt für weitere Analysen zu nutzen: «We need to read for [the archives’] regularities, for its logic of recall, for its densities and distributions, for its consistencies of misinformation, omission, and mistake – along the archival grain.»42. Diese Methode, Quellen ‹entlang› und ‹entgegen den Strich› zu lesen, kann auch für die Überlieferungsbildung genutzt werden. Überlieferung ‹entlang dem Strich› zu betrachten bedeutet, von der staatlichen Wissensproduktion über einen bestimmten Bereich auszugehen und Ausmass, Intensität und Charakter dieses situierten Wissens zu analysieren, um die daraus resultierende Überlieferung abzuschätzen. Die Archivwissenschaft hat eine Vielzahl funktionalistischer Methoden für die Bewertung von Behördenschriftgut hervorgebracht, die für die Analyse ‹entlang dem Strich› genutzt werden können. In diesem Artikel wird aber ein vereinfachtes Vorgehen gewählt, das die Rechtsgrundlagen als Ausgangspunkt für einen Überblick über die staatlichen Aufgabengebiete und die daraus zu erwartende Wissensproduktion nimmt. In einem zweiten Schritt gilt es, die staatliche Wissensproduktion ‹entgegen ihrem Strich› kritisch auf Lücken und Oberflächlichkeiten hin zu befragen, um ex negativo herauszufiltern, welche Themen und Akteur*innen in diesem situierten Wissen zu wenig berücksichtigt und deshalb ergänzend zu überliefern sind.

Für dieses Vorgehen, Überlieferung ‹entlang› und ‹entgegen dem Strich› der staatlichen Wissensproduktion zu denken, wird im folgenden Kapitel auf die einzelnen Schritte nach BKK-Arbeitshilfe eingegangen. Der Fokus liegt auf den ersten Schritten des Erarbeitungsprozesses, weil diese das Fundament des Dokumentationsprofils bilden und ein multiperspektivischer Ansatz hier besonders wichtig ist. Es handelt sich um die Kategorienbildung, die Formulierung von Dokumentationszielen und die Wahl des Dokumentationsgrades.

Arbeitsschritte

3.1 Kategorisierung der Lebenswelt

Der erste Erarbeitungsschritt der BKK-Arbeitshilfe sieht vor, die Lebenswelt systematisch in Kategorien zu erfassen, die für die Lebenswelt des abzubildenden Archivsprengels von Bedeutung sind.43 In dieser Arbeit werden die Kategorien als Idealtypen und damit als klar voneinander trennbare Bereiche der Lebenswelt verstanden. Ziel ist, zu einem vereinfachten Abbild der Lebenswelt zu gelangen, das die Komplexität der Realität reduziert und für die Überlieferungsbildung bewältigbar macht. Während die Arbeitshilfe der BKK vorschlägt, die Kategorien in Ober- und Unterpunkte zu untergliedern, wird hier darauf verzichtet, weil durch eine solche Aufgliederung die Dokumentationsziele ein Stück weit vorweggenommen würden. Ein weiterer Unterschied zum Ansatz der BKK besteht darin, dass den Kategorien nicht unbedingt wissenschaftliche Definitionen zugrunde gelegt werden.44 Wissenschaftliche Begriffe können selbst innerhalb derselben Disziplin unterschiedlich definiert und umstritten sein.45 In vielen Fällen wird es deshalb keine allgemein gültige Definition geben, auf die Archivar*innen sich stützen könnten. Hier wird stattdessen vorgeschlagen, den Inhalt der Kategorie vor der Formulierung der Dokumentationsziele so präzise wie nötig zu umschreiben, damit die Kategorie von den übrigen abgegrenzt werden kann und damit inner- wie ausserhalb der eigenen Institution nachvollziehbar wird, was berücksichtigt wurde und was nicht. So wurde die Kategorie ‹Politik› im Dokumentationsprofil des Staatsarchivs Solothurn sehr eng ausgelegt als der öffentliche, aktive Einsatz für die politischen Partizipationsmöglichkeiten und/oder die politischen Rechte der Bevölkerung oder bestimmter Bevölkerungsgruppen. Auf eine umfassende Definition, etwa als Gestaltung des öffentlichen Lebens oder als politischen Meinungsbildungsprozess, wurde bewusst verzichtet, da diese Definition zu breit gewesen und zu einer unüberschaubaren Anzahl an Dokumentationszielen geführt hätte. Auch die Abgrenzung von den übrigen Kategorien wäre schwierig geworden, da diese in der hier vertretenen Sichtweise ihre eigene politische Dimension aufweisen. In der Kategorie ‹Wirtschaft und Arbeit› wären beispielsweise nicht nur die Unternehmen, sondern auch politisch aktive Akteur*innen wie Gewerkschaften oder Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände zu berücksichtigen.46 Je enger eine Kategorie gefasst wird, desto leichter wird es, Dokumentationsziele zu formulieren – desto eher steigt aber auch das Risiko, einen womöglich wichtigen Teilbereich auszuschliessen. Welche Definition auch immer verwendet ist, wichtig ist, dass der Zielbereich einer Kategorie überhaupt festgelegt wird.

3.1.1 Entlang dem Strich

Im Folgenden wird die Vorgehensweise angewendet, Überlieferung entlang und entgegen dem Strich der staatlichen Wissensproduktion zu denken. Im ersten Teilschritt ist entlang dem Strich zu fragen, in welchen Bereichen der Staat als Akteur in Erscheinung tritt und welches Wissen er darüber produziert. Um diese Frage zu beantworten, wird auf die Rechtsgrundlagen zurückgegriffen, da hier der staatliche Aufgabenbereich festgelegt wird und sich ein erster Einblick ergibt, wie sich die Lebenswelt aus staatlicher Sicht zusammensetzt. Eine hilfreiche Grundlage sind die systematischen Gesetzessammlungen, die in vielen Kantonen existieren und die Rechtsgrundlagen nach Sach- bzw. Themengebieten gliedern. Diese Systematiken geben somit ein erstes Raster für die Kategorisierung der Lebenswelt vor. Sie sollten aber nicht ungeprüft ins Profil übernommen werden, weshalb folgende Arbeitsprinzipien für die Kategorienbildung empfohlen werden:

  1. Jede Kategorie sollte nur ein idealtypisches Thema umfassen. Sachgebiete, die mehrere Themen umfassen wie ‹Schule, Kirche, Kultur› in der Bereinigten Gesetzessammlung (BGS) des Kantons Solothurn,47 sollten in einzelne Kategorien aufgeteilt werden.

  2. Sachgebiete, die aus nichtstaatlicher Sicht zu stark ausdifferenziert sind, sollten dagegen zu einem Thema zusammengefasst werden. So wurde das Sachgebiet ‹Polizei, Militär, Bevölkerungsschutz/Zivilschutz› der Solothurner BGS zu ‹Sicherheit und Ordnung›.

  3. Bezeichnungen von Sachgebieten, die eine staatszentrierte Sicht darstellen, sollten durch einen offeneren Begriff ersetzt werden, der die Sichtweise privater Akteur*innen miteinschliesst. Aus der Kategorie ‹Schule› wurde beispielsweise ‹Bildung und Forschung›.

  4. Sachgebiete mit wenig aussagekräftigen Titeln sollten aufgeschlüsselt und umbenannt werden. Dazu müssen eventuell die tieferen Hierarchieebenen eines Sachgebiets analysiert werden. Bei einem Blick in das Sachgebiet ‹Grundlagen, Organisation, Gemeinden› der Solothurner BGS zeigte sich etwa, dass es sowohl um rechtliche Themen als auch um die Organisation der öffentlichen Verwaltung geht. Das Sachgebiet wurde deshalb in die Kategorien ‹Rechtswesen› und ‹Öffentliche Verwaltung› aufgeteilt.

  5. Nach einem Blick auf die oberste Hierarchieebene sollten auch die tieferen Ebenen der Systematik auf eigenständige Kategorien untersucht werden. In der Solothurner BGS findet sich auf der obersten Ebene beispielsweise keine Kategorie ‹Natur und Umwelt›. Bei einem genaueren Blick in die Teilsachgebiete zeigte sich aber, dass der Staat hier durchaus aktiv ist.

Durch den Blick auf die systematische Gesetzessammlung und unter Beachtung der hier formulierten Arbeitsprinzipien konnten bereits folgende Kategorien für das Dokumentationsprofil des Staatsarchivs Solothurn gebildet werden:

3.1.2 Entgegen dem Strich

Für eine gesamtgesellschaftliche Dokumentation reicht ein Blick auf die Aufgabenbereiche des Staats allein nicht aus. In einem nächsten Teilschritt ist deshalb entgegen dem Strich der staatlichen Wissensproduktion zu fragen, in welchen Bereichen der Lebenswelt der Staat kaum oder gar nicht als Akteur in Erscheinung tritt und entsprechend keine staatliche Überlieferung zu erwarten ist. Diese Bereiche sollten ergänzend als Kategorien aufgenommen werden. So wurden beispielsweise die Kategorien ‹Politik›, ‹Medien›, ‹Sport› und ‹Freizeit› aus der BKK-Arbeitshilfe zusätzlich aufgenommen.48 Neben anderen Dokumentationsprofilen bieten sich als weitere Quellen insbesondere Publikationen an, die sich direkt auf die zu betrachtende Lebenswelt beziehen und die thematisch geordnet sind, etwa Orts-, Stadt- oder Kantonsgeschichten, regionale Chroniken, Klassifikationssysteme regionaler Bibliotheken oder Dokumentationszentren, Ressorts von Regionalzeitungen usw. Für das Dokumentationsprofil des Staatsarchivs Solothurn wurde beispielsweise mit der Solothurner Kantonsgeschichte gearbeitet. Nicht jedes neue Thema sollte aber als Kategorie aufgenommen werden. Folgende Arbeitsprinzipien werden vorgeschlagen:

  1. Ein Thema sollte nicht als neue Kategorie aufgenommen werden, wenn es sich durch eine Kombination der bereits vorhandenen Kategorien abdecken lässt. Dies soll verhindern, dass das Dokumentationsprofil aus zu vielen sich überlappenden Kategorien besteht und unübersichtlich wird. Die hier vorgenommene Kategorisierung strebt also keine Vollständigkeit im Sinne einer erschöpfenden Auflistung aller denkbar möglichen Themen an, sondern theoretische Sättigung.49 Die theoretische Sättigung ist erreicht, wenn die bestehenden Kategorien auch neue Informationen auffangen können. Anders als im Dokumentationsprofil der BKK wurde im Profil des Staatsarchivs Solothurn zum Beispiel keine Kategorie ‹Bevölkerung und Bevölkerungsgruppen› aufgenommen, da sich die Bevölkerung in allen Kategorien niederschlägt – andernfalls würde es keinen Sinn machen, die Lebenswelt als Ausgangspunkt der Überlegungen zu nehmen. Auch die Erfahrung einzelner Bevölkerungsgruppen wird sich in mehreren Kategorien zugleich niederschlagen. Ein «klassisches Querschnittsthema» wie Migration betrifft etwa nicht nur ‹Wirtschaft und Arbeit›, sondern auch ‹Religion und Spiritualität› und ‹Freizeit›.50 Da jede Kategorie von Pluralität geprägt ist, sollte auch jede Kategorie multiperspektivisch betrachtet werden.

  2. Das Prinzip der theoretischen Sättigung sollte nur dann ignoriert werden, wenn neu auftretende Themen für die Lebenswelt von besonderer Bedeutung sind und/oder in der Überlieferungsbildung spezielle Aufmerksamkeit erhalten sollen. So wurde im Dokumentationsprofil des Staatsarchivs Solothurn eine Kategorie ‹Tiere› aufgenommen, obwohl dieses Thema über die Kategorien ‹Natur und Umwelt›, ‹Wirtschaft und Arbeit› sowie ‹Freizeit› schon abgedeckt wird, je nachdem, in welchem Kontext man es betrachtet. Grund für die zusätzliche Aufnahme war aber zu verhindern, dass es übersehen wird. Ansonsten können die bereits bestehenden Überschneidungen zwischen den Kategorien aber als Garantie gesehen werden, «dass sozusagen nichts durch das Netz des Profils geht».51

Aus den beiden Teilschritten und den formulierten Arbeitsprinzipien ergaben sich für die Solothurner Lebenswelt schliesslich folgende Kategorien:

3.2 Erarbeitung von Dokumentationszielen

Als nächster Schritt sieht die Arbeitshilfe der BKK vor, für jede Kategorie Dokumentationsziele zu formulieren, die als Antworten auf zentrale Leitfragen zu verstehen sind.52 Auch dieser Arbeitsschritt lässt sich entlang und entgegen dem Strich der staatlichen Wissensproduktion ausführen. Zur Illustrierung des Vorgehens wird im Folgenden auf das «Dokumentationsprofil Politik» zurückgegriffen, das im Rahmen der hier zugrundeliegenden Masterarbeit für das Staatsarchiv Solothurn erarbeitet wurde.53 Politik wurde dabei im engen Sinn als der öffentliche, aktive Einsatz für die politischen Partizipationsmöglichkeiten und/oder die politischen Rechte der Bevölkerung oder bestimmter Bevölkerungsgruppen definiert. Darin floss weiter der vom Staatsarchiv Solothurn praktizierte Überlieferungsgrundsatz ein, dass Unterlagen privater Herkunft von kantonaler oder zumindest regionaler Bedeutung sein müssen, um überliefert zu werden. Es wurden deshalb nur jene Akteur*innen berücksichtigt, deren Aktivitäten sich mindestens auf eine regionale, bevorzugt aber auf die kantonale Ebene konzentrieren.

3.2.1 Entlang dem Strich

In einem ersten Teilschritt gilt es, die zentrale Leitfrage zu beantworten, welche Aufgaben der Staat in der jeweiligen Kategorie wahrnahm oder wahrnimmt, und welches Wissen er über diesen Bereich produziert. Dabei sind Ausmass, Intensität und Charakter der staatlichen Wissensproduktion in den Blick zu nehmen. Als primäre Quelle zur Beantwortung dieser Frage wird erneut der Rückgriff auf die Rechtsgrundlagen empfohlen, da diese die staatlichen Aufgabengebiete festlegen und so einen Hinweis auf die zu erwartende Wissensproduktion geben. Auch prospektiv bewertete Registraturpläne, Ablieferungsvereinbarungen oder bereits vorhandene Bewertungsberichte können vertiefend hinzugezogen werden. Die Archivwissenschaft hat ausserdem eine Vielzahl funktionalistischer Bewertungsmethoden hervorgebracht, die für die Analyse des Behördenschriftguts beigezogen werden können.

Für das «Dokumentationsprofil Politik» des Staatsarchivs Solothurn lautete die Leitfrage entsprechend der zugrunde gelegten Definition von Politik, inwiefern sich der solothurnische Staat als Akteur für die politischen Rechte und die Partizipation der Bevölkerung oder bestimmter Bevölkerungsgruppen einsetzte beziehungsweise einsetzt. Zur Beantwortung dieser Leitfrage wurde in erster Linie auf die Rechtsgrundlagen zurückgegriffen und in loser Anlehnung an die Kontextanalyse gemäss der Arbeitsprozessanalyse nach ISO 26122 untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass die Kantonsverfassung die Themenbereiche öffentliche und soziale Sicherheit, Gesundheit, Kultur, Unterricht und Bildung, Umwelt und Energie, Raumordnung und Verkehr sowie Wirtschaft als Staatsaufgaben betrachtet, nicht aber Politik.54 Die Verfassung gesteht dem Staat durchaus zu, politische Planung in jenen Bereichen zu betreiben, die ihm als Staatsaufgaben zugeschrieben wurden, etwa in der Kategorie Gesundheit, Kultur oder Wirtschaft.55 Politik im hier verstandenen Sinne gehört aber nicht dazu. Einzig im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik zeigt der Staat bis heute ein gewisses Engagement für die Förderung der Partizipation junger Menschen. So wurden ab den 1930er-Jahren sogenannte Jungbürgerkurse durchgeführt, um die staatsbürgerliche Bildung der Knaben – später auch der Mädchen – zu fördern.56 Im Jahr 2004 wurden die Kurse abgeschafft. Heute teilt das Sozialgesetz dem Kanton die Aufgabe zu, die Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu fördern sowie die Angebote im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik aufeinander abzustimmen.57 Dazu unterhält der Kanton eine Anlauf- und Koordinationsstelle für Kinder- und Jugendfragen, die entweder selbst Projekte in Auftrag gibt oder Projekte von Dritten unterstützt. Die Anlauf- und Koordinationsstelle hat aber noch andere Aufgaben, die nicht in diesen eng definierten Bereich fallen, und gemäss des prospektiv bewerteten Registraturplans werden Akten aus der Kerntätigkeit nur in Auswahl übernommen. Die vorhandene Überlieferung wird in sehr kondensierter Form vorliegen. Für die hier gestellte Leitfrage, welche Aufgabe der Kanton im Bereich Politik wahrnimmt und welches Wissen er darüber produziert, muss deshalb festgestellt werden, dass der Staat gemäss der hier vorliegenden Definition von Politik nur wenige Aufgaben in dieser Kategorie wahrnimmt und entsprechend nur wenig Wissen darüber produziert. Die Kinder- und Jugendpolitik bildet eine Ausnahme, wobei aber weder das staatliche Engagement noch die vorgesehene Überlieferung aus dem Bereich Kinder- und Jugendpolitik als umfassend bezeichnet werden kann. Eine Ergänzungsüberlieferung für die Kategorie ‹Politik› ist deshalb unerlässlich.

3.2.2 Entgegen dem Strich

In einem zweiten Teilschritt gilt es, entgegen dem Strich zu fragen, welche nicht-staatlichen Akteur*innen die jeweilige Kategorie mitgestalte(te)n und inwiefern deren situiertes Wissen in der staatlichen Wissensproduktion Berücksichtigung fand oder findet. Dazu wird empfohlen, vorgängig zu überlegen, welche Typen von Akteur*innen in einer bestimmten Kategorie als Erzeuger*innen von Überlieferung in Erscheinung treten können. Wen gilt es grundsätzlich zu berücksichtigen – Einzelpersonen, Unternehmen, Vereine und Verbände, Stiftungen oder weitere Typen von Akteur*innen? Sollte die Anzahl möglicher Akteur*innen nur schwer überschaubar sein, kann nach zusätzlichen Strukturierungsmerkmalen gesucht werden. Bei einem Dokumentationsprofil für die Kategorie ‹Wirtschaft und Arbeit› könnte der Akteur-Typ ‹Unternehmen› beispielsweise in Wirtschaftssektoren, Branchen und Zeitabschnitte unterteilt werden.58 Ein Profil für die Kategorie ‹Medien› könnte auf den Mediengattungen aufbauen.

Nachdem die zu berücksichtigenden Typen festgelegt wurden, gilt es, für jeden Typ die konkreten Akteur*innen und damit die Aktenbildner*innen zu identifizieren, die als Dokumentationsziele gesichert werden sollen. Für die Identifizierung der Akteur*innen können Archivar*innen sich auf ihr Gedächtnis stützen, sollten es aber nicht dabei belassen. Wie in Kapitel 2.1 dargelegt, besteht zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Wertvorstellungen ein «unaufhebbarer Zusammenhang»,59 sodass Archivar*innen eher an jene «powerful records creators» denken werden,60 deren Überlieferungschancen ohnehin grösser sind. Auch bei den nicht-staatlichen Akteur*innen innerhalb einer Kategorie oder eines Akteur-Typs sollte konsequent nach den fehlenden oder nur schwach hörbaren Stimmen gefragt werden, etwa nach den Erfahrungen einzelner Bevölkerungsgruppen.

Um konkrete Akteur*innen zu benennen, ist deshalb der Rückgriff auf zusätzliche Informationsquellen notwendig. Ist das Dokumentationsprofil prospektiv ausgelegt, werden besonders amtliche wie nichtamtliche Quellen zum aktuellen Zeitgeschehen hilfreich sein, etwa Statistiken, Listen mit Vernehmlassungsadressaten der Regierung, spezialisierte Verzeichnisse von Branchen, Stiftungen, Vereinen, Verbänden, Regionalzeitungen und –zeitschriften. Ist das Profil auch retrospektiv ausgelegt, ist zusätzlich ein Blick in die regionalgeschichtliche Literatur empfehlenswert. Für das «Dokumentationsprofil Politik» wurde beispielswiese auf die Solothurner Kantonsgeschichte, aber auch auf weitere regionalgeschichtliche Literatur wie das «Jahrbuch für Solothurnische Geschichte» zurückgegriffen. Sollten entsprechende Quellen nicht vorhanden sein, können Interviews mit Zeitzeug*innen und Expert*innen sowie eigene Recherchen hilfreich sein.

Da das Dokumentationsprofil den Prozess der Überlieferungsbildung transparent und nachvollziehbar machen soll, wird weiter dafür plädiert, die Dokumentationsziele zu begründen und damit die ihnen zugrunde liegenden Wertmassstäbe offenzulegen. Eine schlichte Aufzählung der Akteur*innen zeigt zwar, wer überliefert werden soll, bleibt das ‹Warum› aber schuldig. Wie ausführlich die Begründung ausfällt, bleibt freilich offengelassen. Für ein Dokumentationsprofil zu ‹Wirtschaft und Arbeit› könnte beispielsweise die Beschäftigung als Argument für oder gegen die Überlieferung gewisser Branchen und, innerhalb der Branchen, für oder gegen gewisse Unternehmen herangezogen werden.61 Im «Dokumentationsprofil Politik» wurde die Aktivität und Wirkung der Akteur*innen innerhalb der Kategorie beziehungsweise der einzelnen Akteur-Typen berücksichtigt. Idealerweise werden die Wertmassstäbe, die den Dokumentationszielen einer Kategorie zugrunde liegen, aus der Struktur der jeweiligen Kategorie und aus deren historischen Entwicklung heraus abgeleitet. Auch ein Dokumentationsprofil kann den Archivar*innen also nicht die Überlegung abnehmen, was archivwürdig ist und was nicht. Wohl aber kann es einen Rahmen bieten, diesen Entscheid bewusst und systematisch zu treffen, argumentativ zu begründen und nachvollziehbar festzuhalten.

Nachdem die Dokumentationsziele festgelegt wurden, wird jedes Ziel mit einer hohen, mittleren oder niedrigen Priorität oder dem Status ‹in Beobachtung› versehen. Eine hohe Priorität bedeutet, dass die Akteur*innen proaktiv angesprochen und die Sicherung ihrer Überlieferung prioritär behandelt wird. Akteur*innen mit mittlerer Priorität werden erst danach angesprochen. Eine niedrige Priorität bedeutet, dass auf ein proaktives Zugehen verzichtet und stattdessen nur auf Aktenangebote reagiert wird. Der Status ‹in Beobachtung› wird für jene Akteur*innen verwendet, bei denen sich noch kein Entscheid für oder gegen eine Überlieferung fällen lässt.62 Da ein Dokumentationsprofil als Steuerungsinstrument und nicht als starres Regelwerk gedacht ist, kann ein Archiv trotz Profil weiterhin auf unvorhergesehene Aktenangebote eingehen. Das Profil kann in dieser Situation sogar bei der Einschätzung unterstützen, inwiefern der angebotene Bestand die bestehende Überlieferung ergänzt.

Um diese abstrakten Überlegungen mit einem Beispiel zu illustrieren, wird im Folgenden die Erarbeitung der Dokumentationsziele für das «Dokumentationsprofil Politik» des Staatsarchivs Solothurn erörtert. Als erster Schritt wurde festgelegt, welche Typen von Akteur*innen in dieser Kategorie grundsätzlich zu berücksichtigen seien. Dabei sprangen als Erstes die politischen Parteien ins Auge, stellen sie doch eines der wichtigsten Mittel für die politische Partizipation und Einflussnahme der Bevölkerung dar. Sie sind in hohem Masse in den Prozess der politischen Meinungsbildung involviert, wodurch sich an ihrem situierten Wissen auch gesellschaftliche Werthaltungen und der gesellschaftliche Wertewandel hervorragend ablesen lassen. Durch ihre Mandate im Kantonsrat können sie die Lebenswelt zudem entscheidend mitgestalten. Für eine umfassende Überlieferung im Bereich ‹Politik› wurde eine Dokumentation der politischen Parteien allein jedoch als unzureichend betrachtet, denn auch bei den nicht-staatlichen Akteur*innen ist multiperspektivisch zu fragen, welche weiteren Sichtweisen für eine gesamtgesellschaftliche Überlieferung zu berücksichtigen sind. Neben den Parteien gibt es von losen Bewegungen bis hin zu organisierten Gruppen eine Vielzahl weiterer Akteur*innen, die sich für die politischen Rechte und die Partizipation der Bevölkerung oder bestimmter Bevölkerungsgruppen einsetzen. Oftmals stehen diese keiner politischen Partei nahe und setzen sich für Anliegen ein, die in der Gesellschaft auch bei den Parteien sonst wenig Gehör finden. Für eine gesamtgesellschaftliche Überlieferung können Akteur*innen dieses Typs deshalb eine wertvolle Ergänzung darstellen. Im «Dokumentationsprofil Politik» wurden sie vereinfacht unter dem Typ ‹andere politische Organisationen› zusammengefasst und weiter in Gruppen unterteilt, die sich für die politischen Rechte bestimmter Bevölkerungsgruppen einsetzen. Als letzter Typ schälten sich schliesslich die politisch engagierten Einzelpersonen heraus. Der Wert einer solchen persönlichen Wissensproduktion ist darin zu sehen, dass Vor- und Nachlässe nicht nur die Primärquelle zum politischen Wirken einer Person darstellen, sondern auch in die Innenperspektive der Akteur*innen beleuchten können.

Als nächsten Schritt ging es darum, für jeden Typ jene Akteur*innen zu identifizieren, die die kantonale Politiklandschaft mitgestaltet haben oder hatten. Dafür wurden die Charakteristiken und die historische Entwicklung der Kategorie genauer analysiert, was dank der vorhandenen Literatur möglich war. Bezüglich der politischen Parteien zeigte sich, dass die Solothurner Politiklandschaft vom 19. Jahrhundert bis in die 1960er-Jahre durch drei Parteien dominiert war:63 die Freisinnigen (heute FDP), die Konservativen (heute Die Mitte) und die Sozialdemokraten (heute SP). Daneben existierten in bestimmten Zeitabschnitten kleinere Parteien wie die Kommunistische Partei Lebern oder die Unabhängigen Arbeiter Gösgen. Diese konnten sich bei den Kantonsratswahlen aber jeweils nur einen geringen Stimmenanteil erkämpfen. Einzig dem Landesring der Unabhängigen LdU gelang es, sich Kantonsratsmandate zu sichern, wodurch der Landesring zeitweilig zur wichtigsten Oppositionspartei im Kanton wurde. In Anbetracht dieser historischen Entwicklung wurde die Überlieferung der drei Grossparteien FDP, Die Mitte und SP als ein erstes Dokumentationsziel von hoher Priorität definiert, da diese die Solothurner Politiklandschaft über Jahrzehnte hinweg prägten. Zwei dieser drei Parteien sind bereits im Staatarchiv Solothurn überliefert. Im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Überlieferung wurde aber auch die Sicherung der kleineren Parteien als Dokumentationsziel genannt. Besonders der Landesring der Unabhängigen sollte als wichtigste Oppositionspartei überliefert werden, weshalb er als Dokumentationsziel von hoher Priorität ins Profil aufgenommen wurde. Auch dieser Bestand ist bereits im Staatsarchiv gesichert. Bei den übrigen kleinen Parteien stellte sich dagegen das Problem, dass viele nicht mehr existieren und die Suche nach dem Verbleib ihrer Archive einen hohen Arbeitsaufwand bedeuten würde. Aus pragmatischen Gründen wurde die Überlieferung der übrigen Parteien bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts deshalb als Dokumentationsziel von niedriger Priorität genannt. Die weitere Analyse der historischen Entwicklung zeigte sodann, dass sich das eingespielte Kräfteverhältnis zwischen Freisinn, Konservativen und Sozialdemokraten erst mit den gesellschaftlichen Umwälzungen der 1960er Jahre zu verändern begann. Nun geriet die Vormachtstellung der drei Grossparteien ins Wanken und die solothurnische Politiklandschaft zeichnete sich durch eine wachsende Vielfalt aus, in der neue Parteien wie die Progressive Organisation der Schweiz POCH oder die Revolutionär Marxistische Liga RML entstanden. Die Pluralisierung setzte sich in den 1980ern fort, wobei die Grünen zu einer neuen, dauerhaften Kraft im Kantonsparlament avancierten. Auch kleinere Parteien wie die Autopartei oder die Evangelische Volkspartei EVP konnte sich gelegentlich Sitze sichern. Zu einer weiteren beständigen Kraft im Kantonsparlament wurde die in den 1990er Jahren entstandene SVP. In den späten 2000er Jahren entstanden weitere Parteien wie die Grünliberalen GLP, die Bürgerlich-Demokratische Partei BDP sowie auch einige Frauen- oder Jungparteien. Diese Pluralisierung der Parteilandschaft sollte ebenfalls dokumentiert werden, wobei die Zunahme an Parteien für die Überlieferungsbildung eine Herausforderung darstellt. Während die Sicherung der Parteiarchive der Grünen und der SVP als Dokumentationsziel von hoher Priorität eingeschätzt wurde, da diese sich neu als dauerhafte Kräfte im Kantonsparlament etablieren konnten, wurde die Sicherung der übrigen und kleineren Parteien als Dokumentationsziel von niedriger bis höchstens mittlerer Priorität genannt.

Dieses Vorgehen wurde auch für die beiden anderen Akteur-Typen, die ‹anderen politischen Organisationen› sowie für die politisch engagierten Einzelpersonen wiederholt. Beim Typ ‹andere politische Organisationen› standen jene Akteur*innen im Fokus, die sich für die politischen Rechte von Frauen, niedergelassenen Ausländer*innen, Menschen mit Behinderungen und Kinder und Jugendliche einsetz(t)en. Was die Frauenrechtsbewegung betrifft,64 so gab es im Kanton Solothurn bereits Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Organisationen, eine genaue Übersicht fehlt aber.65 Erst ab dem 20. Jahrhundert wird die Bewegung greifbarer, wobei das Ausmass der Aktivität und die Dauer des Bestehens nicht immer aus der vorhandenen Literatur eruiert werden konnten. Eine «zentrale Triebkraft im Kampf um das Stimm- und Wahlrecht» stellte die in den 1920ern entstandene Solothurner Sektion des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht SVF dar, damals Verein für Frauenbestrebungen Solothurn.66 Auch die 1942 aus einem Zusammenschluss von 17 Frauenvereinen gegründete Frauenzentrale des Kantons Solothurn war in diesem Kampf aktiv, auch wenn die Frauenzentrale anfangs eher gemeinnützig ausgerichtet war und das politische Engagement für Frauenrechte erst in den 1960ern dazukam. Da die Einführung des Wahl- und Stimmrechts für Frauen 1971 ein wichtiges Ereignis in der politischen Geschichte der Schweiz darstellt, wurde die Sicherung und Überlieferung des SVF und der Frauenzentrale als Dokumentationsziel von hoher Priorität eingestuft, wobei sich das Archiv des SVF bereits im Staatsarchiv Solothurn befindet.67 Auch nach Annahme des Frauenstimmrechts 1971 setzten sich sowohl der SVF als auch die Frauenzentrale weiter für die Rechte und die politische Teilhabe der Frau ein. Während der SVF 1980 aufgelöst wurde, besteht die Frauenzentrale bis heute und wird auch im Rahmen von Vernehmlassungsverfahren auch angehört. In den 1970er Jahren entstanden neue Organisationen, wie die 1977 ins Leben gekommene lokale Gruppe der Organisation für die Sache der Frau OFRA oder das im selben Jahr entstandene Frauenzentrum in Solothurn, die beide frauenpolitisch aktiv waren und der Neuen Frauenbewegung zugeordnet werden. Für die heutige Zeit ist schliesslich der 2019 entstandene Feministische Verein Kanton Solothurn fem*so nicht zu vergessen, der sich neben frauenpolitischen Anliegen auch für jene der LGBTQAI+ engagiert. Da der Einsatz für frauenpolitische Anliegen nach 1971 nicht vorbei war und mit der Neuen Frauenbewegung neue Akteur*innen hervortraten, sollte auch dieser fortdauernde Einsatz für frauenpolitische Anliegen nach 1971 dokumentiert werden. Als Dokumentationsziel von hoher Priorität wurde deshalb die Sicherung der Frauenzentrale eingestuft, da sie noch heute fortbesteht und im Rahmen der Vernehmlassungsverfahren des Kantons berücksichtigt wird. Die OFRA und das Frauenzentrum sind schon in anderen öffentlichen Archiven gesichert. Beim noch jungen Verein fem*so wurde der Status ‹in Beobachtung› gewählt, da dieser im Vergleich zu den übrigen Organisationen noch jung ist. Insgesamt kann von einer lebendigen Solothurner Frauenrechtsbewegung gesprochen werden, die die Überlieferungsbildung jedoch insofern herausfordert, als dass eine umfassende Übersicht über die Akteur*innen, deren Existenzzeitraum, Zielsetzungen, Aktivitäten und Einfluss bisher fehlt. Für ein fundiertes und umfassendes Dokumentationsprofil wären deshalb weitere Nachforschungen, eventuell des Staatsarchivs selbst, notwendig.68 Die vorgeschlagenen Dokumentationsziele sollten deswegen später ergänzt werden.

Eine ähnliche Schwierigkeit zeigte sich auch bei den Akteur*innen, die sich für die politische Teilhabe von niedergelassenen Ausländer*innen einsetzen. Der Kanton Solothurn kann auf eine kontinuierliche Präsenz ausländischer Wohnbevölkerung zurückblicken, hat er doch seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere Einwanderungswellen erlebt und weist heute einen Ausländeranteil von 23.7 Prozent auf.69 Das Niederlassungsrecht und die politischen Mitbestimmungsmöglichkeiten der ausländischen Wohnbevölkerung gaben im Kanton immer wieder zu reden. Interessanterweise fanden sich in der regionalgeschichtlichen Literatur aber keine Hinweise auf bestimmte Akteur*innen, die sich für die politischen Rechte der niedergelassenen Ausländer*innen eingesetzt hätten. Überhaupt erweckt ein Blick in die «Bibliographie der Solothurner Geschichtsschreibung» den Eindruck, dass bisher wenig zu diesem Thema erschienen ist. Damit bleibt unklar, ob es im Kanton Solothurn tatsächlich keine Akteur*innen gab, die sich für die politischen Rechte und Partizipationsmöglichkeiten dieser Bevölkerungsgruppe einsetzten, oder ob dieses Thema in der regionalgeschichtlichen Literatur bisher einfach unberücksichtigt geblieben war. In der jüngeren Vergangenheit gab es mehrere Anläufe, das Ausländer*innenstimmrecht gesetzlich zu verankern, bislang aber vergeblich. Die entsprechenden Debatten sind sowohl in der amtlichen Überlieferung, etwa des Parlaments, als auch in der nichtamtlichen, etwa der politischen Parteien, dokumentiert. Darüber hinaus liessen sich aber keine konkreten Organisationen identifizieren, die sich heute auf kantonaler Ebene für dieses Thema einsetzen. Für diesen Teil des Dokumentationsprofils konnten deshalb keine Dokumentationsziele vorgeschlagen werden.

Auch Menschen, die unter umfassender Beistandschaft stehen, sind bis heute von den politischen Rechten ausgeschlossen, was besonders Menschen mit Behinderung von der politischen Teilhabe ausschliesst. Im Kanton Solothurn existierten seit Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderung einsetzten und noch heute einsetzen.70 Der Fokus liegt aber häufig mehr auf der Beratung und Unterstützung von behinderten Personen im Alltag und weniger auf dem öffentlichen und aktiven Einsatz für deren politische Rechte und Partizipation. Diese Organisationen wären deshalb besonders in der Kategorie ‹Soziale Anliegen und Beratung› zu berücksichtigen. Mit der 2014 in der Schweiz in Kraft getretenen Behindertenrechtskonvention der UNO soll die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung verwirklicht werden, was die Ausübung politischer Rechte miteinschliesst. Dazu wurde im Dezember 2022 die Volksinitiative ‹Politische Rechte für Menschen mit geistiger Behinderung› im Kanton Solothurn lanciert, in deren Initiativkomitee auch die Behindertenorganisationen Insieme Solothurn, Pro Infirmis (vertreten durch die kantonale Geschäftsstelle Aargau-Solothurn), sowie der Verein Selbstvertretung Kanton Solothurn vertreten sind. Damit auch die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung dokumentiert ist, wird die Überlieferung dieser drei Organisationen als Dokumentationsziel von mindestens mittlerer Priorität angesehen – sofern der Einsatz für die politischen Rechte auch schon vor der Initiative ein Kernanliegen war und auch danach bleibt, handelt es sich sogar um ein Dokumentationsziel von hoher Priorität.

Was schliesslich die politischen Rechte und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen betrifft, so ist dies wie geschildert einer der wenigen Bereiche innerhalb der Kategorie ‹Politik›, in welchem sich der Staat aktiv engagiert, sei es durch die früheren Jungbürgerkurse oder durch die heutige Anlaufs- und Koordinationsstelle. Ein gewisses, wenn auch nicht umfassendes Wissen ist von staatlicher Seite also vorhanden. Der prospektiv bewertete Registraturplan der Anlaufs- und Koordinationsstelle zeigt, dass die Sichtweise der privaten Akteur*innen in der amtlichen Überlieferung vertreten ist, durch die vorgesehene Teilarchivierung allerdings in eher geringem Umfang. Neben der Anlaufs- und Koordinationsstelle sind deshalb ergänzend weitere private Aktenbildern*innen zu berücksichtigen, beispielsweise der Verein Jugendparlament Kanton Solothurn, dessen Hauptziel die Institutionalisierung eines Jugendparlaments im Kanton darstellt. Da der Verein von der Anlauf- und Koordinationsstelle unterstützt wird, seine Aktivität also wenigstens teilweise durch die amtliche Überlieferung abgedeckt ist, wurde die Sicherung seines Archivs als Dokumentationsziel von mittlerer Priorität eingeschätzt.

Als letzter Typ wurden schliesslich die politisch aktiven Einzelpersonen als mögliche Erzeuger*innen von Überlieferung besprochen. Dabei stellte sich die grundlegende Herausforderung, dass eine Übersicht über sämtliche politisch aktiven oder aktiv gewesenen Personen im Kanton nicht zu leisten ist. Auch eine Einschränkung der Kriterien, etwa nur Politiker*innen zu berücksichtigen, die auch Kantonsrät*innen wurden, wurde angesichts des Ziels einer gesamtgesellschaftlichen Überlieferung als zu elitär eingestuft. Es wurde stattdessen vorgeschlagen, dass das Staatsarchiv Solothurn eine Bestandsanalyse seiner Vor- und Nachlässe vornimmt und überprüft, ob etwa bestimmte politische Lager oder ein bestimmtes Geschlecht darin unter- oder übervertreten sei. Diese Analyse könnte sodann als Ausgangspunkt genutzt werden, um weitere Strukturierungsmerkmale für diesen Akteur-Typ zu finden und so zu konkreten Dokumentationszielen zu gelangen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Formulierung von Dokumentationszielen entgegen dem Strich einer der aufwändigsten Arbeitsschritte bei der Erstellung des Dokumentationsprofils ist. Je mehr Informationen den Archivar*innen zur Verfügung stehen, etwa in Form historischer Literatur oder aktueller Quellen, desto einfacher lassen sich Dokumentationsziele daraus ableiten und desto fundierter können diese Ziele begründet werden. Für den Akteurstyp der politischen Parteien liess sich aufgrund der vorhandenen Literatur bereits ein solides Dokumentationsprofil erstellen. Bei den anderen politischen Organisationen gestaltete sich die Ausgangslage schwieriger, etwa bei der frühen Frauenrechtsbewegung oder beim Engagement für die politischen Rechte von niedergelassenen Ausländer*innen. Auch wenn nur spärlich Informationen vorhanden sind, sollte dies aber nicht als Grund gesehen werden, die Arbeit am Profil rundheraus aufzugeben. Wenn die regionalgeschichtliche Literatur fehlt und ein retrospektiv ausgerichtetes Profil zu aufwändig zu erstellen wird, bleibt als Alternative der Fokus auf das aktuelle Zeitgeschehen, während die Analyse der Vergangenheit später vorgenommen werden kann. Wenn auch zum aktuellen Zeitgeschehen keine Informationen vorhanden sind, kann das Dokumentationsprofil als Instrument dienen, um das institutionseigene Bewusstsein für und die Bemühungen um eine bestimmte Thematik zu dokumentieren, auch wenn (noch) keine Dokumentationsziele dazu formuliert werden können. So wird nachvollziehbar, dass das Fehlen von bestimmten Themen und Akteur*innen nicht aus einem Desinteresse seitens des Archivs herrührt, sondern aus einem Mangel an Informationen und Ressourcen, um diese Informationen zu beschaffen. Ein Dokumentationsprofil wird nie vollkommen sein. Die Wertmassstäbe und die darauf aufbauenden Dokumentationsziele können sich ändern, für gewisse Kategorien werden die Dokumentationsziele fehlen oder wichtige Ziele trotz bester Absichten vergessen gehen. Ein Dokumentationsprofil ist kein Instrument, das einmal erarbeitet und dann belassen wird. Wie die BKK ausdrücklich betonte, muss auch ein Dokumentationsprofil regelmässig überprüft und überarbeitet werden,71 damit es dem institutionseigenen Anspruch an eine gesamtgesellschaftliche Überlieferung gerecht wird.

3.3 Wahl der Dokumentationsgrade

Nach der Formulierung der Dokumentationsziele soll als letzter Kernschritt für jede Kategorie ein Dokumentationsgrad festgelegt werden, also die angestrebte Überlieferungsdichte.72 In diesem Artikel wird vorgeschlagen, den Dokumentationsgrad grundsätzlich in Abhängigkeit vom Analyseergebnis über die staatliche Wissensproduktion zu wählen (vgl. Kapitel 3.2). Je umfassender und tiefer das amtliche Wissen zu einem bestimmten Bereich ist, desto eher kann für die nichtamtliche Ergänzungsüberlieferung ein niedriger Dokumentationsgrad gewählt werden. Fällt die amtliche Wissensproduktion in einer Kategorie dagegen gering aus oder ist nicht vorhanden, empfiehlt sich für die nichtamtliche Überlieferung umso mehr ein mittlerer bis hoher Dokumentationsgrad. Die Arbeitsprozessanalyse nach ISO 26122 könnte als Ausgangspunkt genutzt werden, um sich über Ausmass, Intensität und Charakter der staatlichen Wissensproduktion ein genaues Bild zu verschaffen und besser einzuschätzen, welcher Dokumentationsgrad für die nicht-staatliche Ergänzungsüberlieferung sinnvoll wäre. Ein solch detailliertes Vorgehen ist vor allem dann sinnvoll, wenn tatsächlich von einer umfassenden staatlichen Wissensproduktion gesprochen werden kann. Für das «Dokumentationsprofil Politik» des Staatsarchivs Solothurn wurde auf ein solch detailliertes Vorgehen aber verzichtet, da die Analyse gezeigt hat, dass die staatliche Überlieferung im Bereich ‹Politik› nur einen limitierten Einblick in die kantonale Lebenswelt gibt. Aus diesem Grund wurde für die Ergänzungsüberlieferung generell ein mittlerer bis hoher Dokumentationsgrad vorgeschlagen. Bei den politischen Parteien wurde für das erste Dokumentationsziel, die Überlieferung der drei politisch dominierenden Grossparteien, ein hoher Dokumentationsgrad empfohlen, da sie die kantonale Politiklandschaft über Jahrzehnte hinweg prägten und für die politische Geschichte des Kantons von grosser Bedeutung sind. Für das zweite Dokumentationsziel, die kleineren Parteien zu dokumentieren, wurde ein maximal mittlerer Dokumentationsgrad vorgeschlagen, da sie für eine gesamtgesellschaftliche Überlieferung zwar von Bedeutung sind, die kantonale Politiklandschaft jedoch nicht in dem Masse prägen konnten, wie die Grossparteien. Ein mittlerer Dokumentationsgrad wurde deshalb als gerechtfertigt und ausreichend betrachtet.

Zur Bestimmung der Quellen, die pro Dokumentationsgrad überliefert werden sollen, wurde nicht auf die Arbeitshilfe der BKK zurückgegriffen, sondern auf die vom Staatsarchiv Solothurn erarbeitete Systematik für die Ordnung und Verzeichnung von Vereinsarchiven.73 Über diese Systematik wurden die Dokumentationsgrade ‹hoch›, ‹mittel› und ‹niedrig› gelegt, wodurch sich ein detailliertes Raster ergab, welche Quellen für welchen Dokumentationsgrad überliefert werden sollten. Diese erweiterte Systematik wird im Anhang aufgeführt. Sie ist grundsätzlich als Empfehlung und nicht als Regelwerk gedacht. Erfahrungsgemäss werden gewisse Quellen bei manchen Aktenbildner*innen fehlen, nur lückenhaft überliefert oder nicht von ausreichender Qualität sein. In solchen Fällen muss auf andere als die vorhergesehenen Quellen zurückgegriffen werden. Wenn sich im Rahmen einer ‹Autopsie am Regal› zeigt, dass die vorhandene Überlieferung weniger ergiebig als erwartet ausfällt, kann es sinnvoll sein, nicht nur den Dokumentationsgrad nachträglich anzupassen, sondern auch die Dokumentationsziele zu überprüfen. Eventuell erweisen sich Dokumentationsziele von niederer Priorität und niedrigem Dokumentationsgrad plötzlich als solche von hoher Priorität und einem hohen Dokumentationsgrad, weil ansonsten für die Dokumentation eines bestimmten Phänomens keine anderen Quellen verfügbar sind. Das Dokumentationsprofil sollte deshalb im Rahmen von Übernahmeprojekten gelegentlich überprüft und, wenn notwendig, angepasst werden.

Schluss

Vor über 50 Jahren definierte Hans Booms die «gesamtgesellschaftliche Dokumentation in allen Interessens- und Bindungsgemeinschaften» als «Zweck und Ziel» der Überlieferungsbildung.74 Dieser Artikel hat versucht, einen Weg dorthin aufzuzeigen, indem er das Dokumentationsprofil der BKK in theoretischer und methodisch-praktischer Hinsicht weiterentwickelte. Das Ziel der Überlieferungsbildung sollte in einer gesamtgesellschaftlichen Überlieferung bestehen, welche die Vielfalt des Denkens und Handelns in der Gesellschaft des jeweiligen Archivsprengels dokumentiert und erforschbar macht. Eine solche Überlieferung ergibt sich jedoch nicht von allein, sondern muss von den Archivar*innen bewusst, systematisch und möglichst proaktiv hergestellt werden. Dazu ist ein akteursorientierter und multiperspektivischer Überlieferungsbildungsansatz notwendig, der anerkennt, dass Überlieferung, Überlieferungsbildung und gesellschaftliche Machtverhältnisse zusammenwirken und zu unterschiedlich hohen Überlieferungschancen für bestimmte Themen und Aktenbildner*innen führen. Diese herausfordernde Ausgangslage gilt es, produktiv zu nutzen. Dazu wurde im ersten Teilkapitel nach der Einführung und basierend auf den Arbeiten Ann Laura Stolers ein Verständnis von Überlieferung und Überlieferungsbildung entwickelt, das beide als je eigene Formen situierten Wissens betrachtet. Aufgabe der Archivar*innen ist es, sich im Rahmen der Überlieferungsbildung systematisch mit dem situierten Wissen der bereits vorhandenen Überlieferung zu befassen und sich wiederholt die Frage zu stellen, welche anderen Stimmen oder Sichtweisen in dieser Überlieferung ausgeschlossen oder nur marginal vertreten sind. Es geht also darum, sich multiperspektivisch aus verschiedenen Blickwinkeln einer bestimmten Thematik anzunähern, ex negativo auf die fehlenden oder nur schwach hörbaren Stimmen zu schliessen und im Rahmen einer möglichst proaktiven Überlieferungsbildung deren Überlieferung zu sichern. Aufbauend auf dieser theoretischen Grundlage wurde erneut in Anlehnung an Stoler die Vorgehensweise entwickelt, Überlieferung entlang und entgegen dem Strich der staatlichen Wissensproduktion zu denken. Während entlang dem Strich gefragt wird, welches Wissen der Staat über einen bestimmten Bereich der Lebenswelt produziert, wird entgegen dem Strich gefragt, welches Wissen welcher Akteur*innen sowohl in der staatlichen als auch privaten Sichtweise fehlt und ergänzend zu dokumentieren wäre. Dieser multiperspektivische Ansatz wurde sodann auf die Kategorisierung der Lebenswelt, die Erarbeitung der Dokumentationsziele sowie auf die Wahl des Dokumentationsgrades angewandt. Dieser Artikel stellt damit einen Versuch dar, die Erarbeitung des Dokumentationsprofils nachvollziehbarer und stärker für eine proaktive Sammlungstätigkeit nutzbar zu machen. Insbesondere liegt ihm die Hoffnung zugrunde, einen Weg aufgezeigt zu haben, wie sich Archive der Pluralität des Geschehens in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft annähern können.

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Staatsarchiv Kanton Solothurn: Handbuch für die Erschliessung, Version 3, 2021.

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Stoler, Ann Laura: Epistemic Politics. Ontologies of Colonial Common Sense, in: The Philosophical Forum 39 (3), 2008, S. 349–361.

Stoler, Ann Laura: Along the Archival Grain. Epistemic Anxieties and Colonial Common Sense, Princeton und Oxford 2009.

Stüssi, Bernhard: Argoviensia als Auftrag. Grundlagen eines Dokumentationsprofils für Bibliothek und Archiv Aargau, Masterarbeit an den Universitäten Bern und Lausanne 2016.

Vetter, Elisabeth: Nicht-staatliche Überlieferungsbildung mit Hilfe eines Dokumentationsprofils: Ein Entwurf für Bestände von Unternehmen, Verbänden und Vereinen, Masterarbeit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur 2009.

Zwicker, Josef: Zum Stand der Bewertungsdiskussion in der Schweiz nebst Bemerkungen zu den Aussengrenzen der Überlieferungsbildung, in: Frank M. Bischoff (Hg.): Neue Perspektiven archivischer Bewertung. Beiträge zu einem Workshop an der Archivschule Marburg, Marburg 2005, S. 101–118.

Anhang

Tab. 1. Dokumentationsgrade für Vereins- und Verbandsarchive (gemäss Systematik des Staatsarchivs Solothurn)

Serie

Dokumentationsgrad

Niedrig

Mittel

Hoch

01 Grundlagen

01.01 Gründung

x

x

x

01.02 Statuten

x

x

x

01.03 Mutationen (Namensänderungen, Umstrukturierungen etc.)

x

x

x

01.04 Auflösung

x

x

x

02 Generalversammlung

02.01 Protokolle

x

x

x

02.02 Akten zur Generalversammlung (Jahresberichte, Einladungen usw.)

x

x

x

03 Vorstand

03.01 Sitzungen

x

x

x

03.02 Korrespondenz innerhalb des Vorstands

x

04 Geschäftsstelle

04.01 Gebäude

x

04.02 Personal

x

x

05 Korrespondenz

x

06 Mitglieder

06.01 Mitgliederbestand

x

x

x

06.02 Mitgliederwerbung

x

07 Kerntätigkeit

07.01 Kernaufgabe 1

x

x

07.02 …

x

x

08 Finanzen

08.01 Jahresrechnungen

x

x

x

08.02 Kassenbücher

x

08.03 Revisionsberichte

x

x

x

09 Öffentlichkeitsarbeit

09.01 Konzepte

x

x

09.02 Werbemittel

x

x

09.03 Zeitungsberichte

x

09.04 Publikationen

x

x

10 Kooperationen

10.01 Dachverband

x

10.02 Sektionen

x

10.03 Partnerorganisationen

x

10.04 Mitgliedschaften

x

11 Varia

x

12 Audiovisuelles (Fotos, Filme, Tonbänder usw.)

x

Tab. 2. Auszug aus dem «Dokumentationsprofil Politik» des Staatsarchivs Solothurn (erstellt 31. Juli 2022)

Akteurs­typ

Dokument­ations­ziel

Akten­bilder*in

Priorität / Status

Dokument­ations­grad

Ansprech­­person

Überlieferung gesichert?

Politische Parteien

Überlieferung der historischen Grossparteien als politisch dominierende Kräfte in der Solothurner Politiklandschaft vom 19. bis ca. Mitte des 20. Jahrhunderts

Die Mitte

hoch

hoch

Präsidium

Nein

FDP Kanton Solothurn

hoch

hoch

Präsidium

Ja (Staatsarchiv Solothurn)

SP Kanton Solothurn

hoch

hoch

Präsidium

Ja (Staatsarchiv Solothurn)

Überlieferung der kleineren Parteien des 19. bis ca. Mitte des 20. Jahrhunderts als ergänzende Überlieferung zu den historischen drei Grossparteien

Landesring der Unabhängigen LdU

hoch

hoch

Partei existiert nicht mehr, Ansprechperson erübrigt sich

Ja (Staatsarchiv Solothurn)

Übrige Parteien (u. a. Unabhängige Bucheggberger, Kommunistische Partei Lebern, Unabhängige Arbeiter Gösgen, Kommunistische Partei, Partei der Arbeit)

niedrig

max. mittel

Ansprech­personen unbekannt

Nein, keine proaktive Sammlungs­tätigkeit

Notes

1 Booms, Gesellschaftsordnung, S. 40. ↩︎
2 Becker, Das historische Erbe, S. 87. ↩︎
4 Ebd., Arbeitshilfe. ↩︎
5 Ebd., S. 122. ↩︎
6 Vgl. Buchholz, Archivische Überlieferungsbildung, S. 31-40 und S. 85-91. ↩︎
7 Für staatliche Archive etwa Gisin, Das kommunale Dokumentationsprofil; Howell, Überlieferungsbildung; Stüssi, Argoviensia und Vetter, Nicht-staatliche Überlieferungsbildung. Für den kommunal-, hochschul- und nicht-amtlichen Bereich vgl. Lüpold, Dokumentationsprofil für Wirtschaftsarchive; Plassmann, Dokumentationsprofil wissenschaftlicher Hochschulen und Saef, Dokumentationsprofil Migration. ↩︎
8 Für eine Diskussion der Vorteile des Dokumentationsprofils vgl. Becker, Das historische Erbe, S. 88 und ebd., Arbeitshilfe, S. 122. ↩︎
9 Vgl. die Umfrageresultate bei Nobs, Méthode proactive, S. 16-23. ↩︎
10 Becker, Arbeitshilfe, S. 124. ↩︎
13Als Privatarchive werden alle Archive betrachtet, die von nicht-öffentlichen Aktenbildner*innen stammen, vgl. Schlatter, Privatarchive, S. 316. Der Begriff des Sammelns ist umstritten, wird in dieser Arbeit aber als Begriff für die Akquisitionsart von Privatarchiven verwendet, vgl. ebd., S. 322. ↩︎
14 Vgl. Grange, Cinq outils, und Nobs, Méthode proactive. ↩︎
15 Becker, Arbeitshilfe, S. 125. ↩︎
16 Ebd., Das kommunale Erbe, S. 87, und Arbeitshilfe, S. 123. ↩︎
17 Vgl. Solothurner Archivgesetz §4 (BGS 122.51). ↩︎
18 Becker, Das historische Erbe, S. 87. ↩︎
19 Bischoff, Massstäblichkeit, S. 260. ↩︎
20 Der Begriff Überlieferungschance wird ausführlich behandelt in Esch, Überlieferungs-Chance. ↩︎
21 Für diese Weiterentwicklung wurde auf Stolers Werke Colonial Archives, Epistemic Politics und Along the Archival Grain zurückgegriffen. Stoler benutzt verschiedentlich den Begriff situated knowledge. ↩︎
22 Dargelegt v. a. in Stoler, Colonial Archives und Along the Archival Grain. ↩︎
23 Für das Folgende vgl. Schwartz und Cook, Archives, S. 5, 12 und ebenso Cook und Schwartz, Archives. Weder im Positionspapier noch in der Arbeitshilfe der BKK fällt der Begriff ‹Macht›, ebenso wenig wird die Thematik indirekt angesprochen. ↩︎
24 Für tiefergehende Überlegungen zu ungleichen Überlieferungschancen, vgl. Esch, Überlieferungs-Chance. ↩︎
25 Moser, Archiv ohne Archiv. ↩︎
26 Bacia et al., Grosse Defizite, und Saef, Dokumentationsprofil Migration. ↩︎
27 Schwartz und Cook, Archives, S. 18. ↩︎
28 Für die Zwei-Werte-Lehre vgl. Schellenberg, Appraisal. ↩︎
29 Menne-Haritz, Anforderungen, S. 102, kursiv NE. ↩︎
30 Ebd., Archivierung, S. 230. ↩︎
31 Ebd., S. 229-234. ↩︎
32 Schlatter, Privatarchive, S. 323-325. ↩︎
33 Booms, Gesellschaftsordnung, S. 14. ↩︎
34 Dass nicht explizit gemachte Bewertungsentscheide nicht mit Objektivität gleichzusetzen sind, zeigt etwa die Anekdote, dass ein früherer Staatsarchivar von Luzern Kriminaluntersuchungsakten des 19. Jahrhunderts im grossen Stil kassieren liess, weil nur das Mittelalter und die Frühe Neuzeit für ihn archivwürdig waren, vgl. Huber, Archivische Bewertung, S. 8. ↩︎
35 Booms, Gesellschaftsordnung., S. 5-13, hier S. 7. ↩︎
36 Zwicker, Stand der Bewertungsdiskussion, S. 116. ↩︎
37 Booms, Gesellschaftsordnung, S. 10. ↩︎
38 Schwartz und Cook, Archives, S. 17. ↩︎
39 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Stoler, Colonial Archives, Epistemic Politics und Along the Archival Grain, S. 19-53. ↩︎
40 «Epistemological experiments», ebd., Colonial Archives, S. 87. ↩︎
41 Stoler, Along the Archival Grain, S. 46f. ↩︎
42 Ebd., Colonial Archives, S. 100, kursiv im Original. ↩︎
43 Becker, Arbeitshilfe, S. 124. ↩︎
44 In der Arbeitshilfe wird dies nicht explizit angesprochen, im Rahmen des MAS ALIS Blockseminars mit der Archivschule Marburg im Juli 2021 plädierte Irmgard Becker jedoch dafür, sich für die Erarbeitung der Kategorien auf wissenschaftliche Grundlagen abzustützen. ↩︎
45 Für den Begriff ‹Politik› vgl. von Alemann, Politikbegriffe. ↩︎
46 Da der Staat in seinen Aufgabenbereichen selbst politische Planung betreibt, ist auch er als politischer Akteur zu berücksichtigen. ‹Politisch aktiv› bedeutet nicht unbedingt, dass der Staat in diesem Bereich abwesend ist. ↩︎
47 Die Bereinigte Gesetzessammlung (BGS) des Kantons Solothurn ist online einsehbar unter https://bgs.so.ch. ↩︎
48 Becker, Arbeitshilfe, S. 124. ↩︎
49 Für eine Diskussion des Begriffs ‹theoretische Sättigung› vgl. Saunders et al., Saturation, besonders S. 1895f zu ‹data saturation›. ↩︎
50 Saef, Dokumentationsprofil Migration, S. 13. ↩︎
51 Vetter, Nicht-staatliche Überlieferungsbildung, S. 26. ↩︎
52 Becker, Arbeitshilfe, S. 124. ↩︎
53 Ein Auszug aus dem «Dokumentationsprofil Politik» ist dem Anhang beigefügt. Bei den darin formulierten Dokumentationszielen handelt es sich bislang um Vorschläge der Autorin. ↩︎
54 Verfassung des Kantons Solothurn (BGS 111.1): Art. 92-128. ↩︎
55 Ebd., Art. 73 und 78. ↩︎
56 Heim und Saner, Kantonale Politik, S. 132. ↩︎
57 Sozialgesetz (BGS 831.1): § 114. ↩︎
58Vgl. Lüpold, Dokumentationsprofil für Wirtschaftsarchive, S. 254. ↩︎
59 Booms, Gesellschaftsordnung., S. 5-13, hier S. 7. ↩︎
60 Schwartz und Cook, Archives, S. 18. ↩︎
61 Vgl. die Überlegungen in Lüpold, Dokumentationsprofil für Wirtschaftsarchive, S. 254. ↩︎
62 Die Idee eines Status ‹in Beobachtung› wurde von Vetter, Nicht-staatliche Überlieferungsbildung, S. 27, übernommen. ↩︎
63 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Heim und Saner, Kantonale Politik, S. 18-141. ↩︎
64 Neben der politischen Frauenbewegung bestanden noch weitere Frauenorganisationen, die eher gemeinnützig als politisch ausgerichtet waren. Da im «Dokumentationsprofil Politik» der Einsatz für die politischen Rechte und die politische Partizipation im Vordergrund steht, werden diese Frauenorganisationen hier nicht diskutiert. Sie wären stattdessen in den Kategorien ‹Religion und Spiritualität› oder ‹Soziale Anliegen und Beratung› zu berücksichtigen. ↩︎
65 Kull-Schlappner, Solothurnerinnen, S. 166-175, führt im Register verschiedene Frauenorganisationen auf, allerdings ohne weitere Angaben zu ihrer Entstehung, ihrem Vereinszweck oder ihrer Aktivität. Die Liste gibt zudem den Stand von 1972 wieder. Einen Überblick über die Neue Frauenbewegung ab 1968 bietet v. a. Probst, Feminismus. ↩︎
66 Probst, Feminismus, S. 175. Der SVF wurde 1971 zur Solothurner Sektion des Schweizerischen Frauenrechtsverband, vgl. ebd., S. 172, 176. ↩︎
67 Staatsarchiv Solothurn, Bestand N-010, Schweizerischer Frauenrechtsverband, Sektion Solothurn und Olten. ↩︎
68 Sarah Probst befasst sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit der Geschichte der Frauenbewegung in Solothurn seit den 1960er Jahren, vgl. https://www.unifr.ch/ethique/de/forschung/geschichte-der-freiwilligkeit/freiwilligkeit-geschlecht.html, zuletzt abgerufen am 28.09.2023. Die Forschungsergebnisse dieses Projekts sind auch für das vorliegende Profil von grossem Interesse. ↩︎
69 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Kurmann, Bevölkerung, S. 92-95. Für die aktuelle Statistik siehe die Publikation «Kanton Solothurn in Zahlen», online verfügbar unter https://so.ch/verwaltung/finanzdepartement/amt-fuer-finanzen/statistikportal/grundlagen-und-uebersichten/kanton-solothurn-in-zahlen-2023/, zuletzt abgerufen am 28.09.2023. ↩︎
70 Für einen kurzen historischen Überblick über die verschiedenen Institutionen vgl. Braun, Werte- und Normenwandel, S. 298-300. Es handelt sich v. a. um Heime, der Einsatz für die politischen Rechte von Menschen mit Behinderungen stand jedoch nicht im Vordergrund. ↩︎
71 Becker, Arbeitshilfe, S. 123. ↩︎
72 Ebd., S. 125. ↩︎
73 Hinterlegt im «Handbuch für die Erschliessung des Staatsarchivs Solothurn», Version 3, S. 82. ↩︎
74 Booms, Gesellschaftsordnung, S. 40. ↩︎