Archive in informationsethischer Perspektive

Silvan Imhof

Archive gehören zu den bedeutendsten Verwaltern von gesellschaftlich relevanter Information. Entsprechend gross ist ihre ethische Verantwortung in Bezug auf ihren Umgang mit Information. Der folgende Artikel ist ein Beitrag zu einer Archivethik für das Informationszeitalter. Ausgehend von informationsethischen und -ökologischen Ansätzen werden zunächst allgemeine informationsethische Prinzipien erarbeitet. Es wird dann exemplarisch gezeigt, wie diese Prinzipien auf die archivspezifischen Formen des Umgangs mit Information angewandt werden können. Daraus resultieren systematisch begründete ethische Anforderungen an den Umgang mit Information in Archiven. Diese Anforderungen ergeben insgesamt ein ethisches Profil, das es Archiven erlaubt, in informationsethischen Diskursen dezidiert Stellung zu beziehen.

Les centres d‘archives comptent parmi les acteurs les plus importants de la gestion d’informations significatives pour la société. Leur responsabilité éthique est donc primordiale dans le domaine du traitement de l'information. Cet article est une contribution à une éthique archivistique pour l'ère de l'information. En partant des approches de l'éthique et de l'écologie de l'information, l’auteur élabore en premier lieu des principes généraux. Il montre ensuite à titre d'exemple comment ces principes peuvent être appliqués aux formes de traitement de l'information spécifiques aux archives. Il en résulte, pour ce traitement, des exigences fondées de manière systématique sur des principes éthiques. Ces exigences débouchent globalement sur un profil éthique qui permet aux archives de prendre position avec force dans les discours sur l'éthique de l'information.

Archives are among the most important custodians of socially relevant information. Their ethical responsibility with regard to their handling of information is correspondingly great. The following article is a contribution to archival ethics for the information age. Based on information ethics and information ecology approaches, general information ethics principles have been developed. It is then shown by way of example how these principles can be applied to archive-specific forms of dealing with information. This results in systematically substantiated ethical requirements for the handling of information in archives. Overall, these requirements result in an ethical profile that allows archives to take a firm stand in discourses on information ethics.

Einleitung

Ethische Fragen werden in der Archivwissenschaft nur am Rand behandelt.1 Thematisiert werden allenfalls die Berufsethik von Archivarinnen und Archivaren sowie die Rolle von Archiven in Zusammenhang mit Menschenrechten. Versuche, archivethische Fragen an ethische Theorien anzubinden, sind äusserst selten.2 Eine theoretisch begründete Archivethik gibt es nicht.

Der Grund dafür liegt gewiss nicht darin, dass ethische Fragen im Archivbereich nicht auftreten oder nebensächlich sind. Dies zeigt sich, wenn man die Rolle von Archiven in einem grösseren Kontext betrachtet: Die technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass der Umgang mit Information in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen immer wichtiger geworden ist. Unser Zeitalter ist wesentlich geprägt vom Umgang mit Information und unsere Gesellschaft hängt wesentlich von Information ab. Der Umgang mit Information ist zum definierenden Merkmal geworden: Wir befinden uns im Informationszeitalter, wir leben in der Informationsgesellschaft. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sind Fragen und Probleme, die den Umgang mit Information betreffen, immer wichtiger geworden. Zu diesen gehören nicht zuletzt auch ethische Fragen und Probleme.

Der Umgang mit Information liegt zweifellos im Kern der Aufgaben von Archiven und anderen Gedächtnisinstitutionen. Diese Institutionen sammeln Information, sichern sie und stellen sie zur Verfügung. Sie verwalten eine beträchtliche Menge an Informationen, die für die gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft hohe Relevanz haben. Entsprechend gross ist die Verantwortung, die solche Institutionen für die Information, die sie verwalten, tragen. Dies ist auch eine ethische Verantwortung, die Verantwortung dafür, dass der Gesellschaft, die als Informationsgesellschaft essenziell von Information abhängt, relevante Information heute und in Zukunft zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund ist es unumgänglich, dass sich Institutionen wie Archive ihrer ethischen Verantwortung in der Informationsgesellschaft bewusst werden und ihren Umgang mit Information in ethischer Perspektive überprüfen. Mit anderen Worten: es braucht eine Ethik für Archive im Informationszeitalter.

Ziel dieses Artikels ist es, einige Schritte «[a]uf dem Weg zu einer Archivethik für das Informationszeitalter»3 weiterzukommen. Ich werde dabei einen informationsethischen Standpunkt einnehmen, und zwar den Standpunkt einer Informationsethik, deren Grundlage die Informationsökologie ist. In den Abschnitten 2-4 stelle ich den informationsökologischen Ansatz dar und zeige, dass auf der Grundlage des informationsökologischen Begriffs des nachhaltigen Umgangs mit Information allgemeine informationsethische Prinzipien gewonnen werden können. Im Abschnitt 5 weise ich nach, dass diese Prinzipien nicht nur theoretisch fundiert sind, sondern auch systematisch auf konkrete Formen des Umgangs mit Information im Archivbereich angewandt werden können. Das Resultat der Anwendung der allgemeinen Prinzipien sind konkrete informationsethische Forderungen. Dabei zeigt sich, dass informationsethische Fragen im Archivbereich nicht isoliert beantwortet werden können und dass die Geltung informationsethischer Forderungen auch von den Interessen und Ansprüchen anderer Akteure abhängt. In den Abschnitten 6 und 7 schlage ich den informationsethischen Diskurs vor als Verfahren für die informationsethische Koordination der unterschiedlichen Interessen und Ansprüche verschiedener Akteure. Archive sind gefordert, ein informationsethisches Profil zu entwickeln, das sie in informationsethischen Diskursen mit anderen Akteuren vertreten, unter anderem in Diskursen über die Bewertung von Information.

Informationsökologie als Grundlage der Informationsethik

Informationsethik ist ein junger Bereich der Ethik. Ihre Entstehung und Entwicklung verlief parallel zur Entstehung und Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (nIKT). Gemeint sind damit jene technologischen Neuerungen, die die heutige Informationsgesellschaft ermöglicht haben: Computer, elektronische Datenverarbeitung und -übermittlung, Telemediatisierung, Digitalisierung und soziale Medien. Die nIKT haben sowohl unseren Umgang mit Information grundlegend verändert als auch dem Umgang mit Information eine grundlegende Bedeutung verliehen, sodass man mit Luciano Floridi von der information revolution sprechen kann.4

Die Anwendung der nIKT und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Folgen haben von Anfang an auch ethische Fragen aufgeworfen.5 Es war zunächst die konkrete Anwendungspraxis, die ethische Probleme der Informationstechnik zutage treten liess, die für Anwendende und von der Anwendung Betroffene neuartig waren und für die Antworten gefunden werden mussten. Dementsprechend entstanden ethische Lösungsansätze für die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der nIKT wie die Computer-, Netz-, Cyber- und Neue Medienethik. Diese sind als Teile der angewandten Ethik, als Bereichs- oder Mikroethiken zu verstehen.

Seit den 1990er Jahren entstanden dann unterschiedlich Ansätze zu einer systematischen Informationsethik, die sich als globale oder Makroethik versteht.6 Diese globalen Ansätze zielen nicht mehr primär darauf, spezifische ethische Fragen zu klären, die sich in den verschiedenen Anwendungsbereichen der nIKT stellen, sondern darauf, unterschiedliche Problematiken, die mit dem Umgang von Information generell verbunden sind, auf ihre ethischen Anforderungen hin zu untersuchen. Zu diesen Problematiken gehören etwa die Privatheit von Information und die informationelle Selbstbestimmung, die Rechte auf Information und Kommunikation, die Urheber- und Nutzungsansprüche in Bezug auf Information, der gerechte Zugang zu Information, Sicherung und Erhalt von Information oder die Echtheit, Authentizität und Zuverlässigkeit von Information. Informationsethik in diesem globalen Sinn lässt sich wie folgt umschreiben:

Informationsethik ist ein Gebiet der Ethik und beschäftigt sich mit den ethischen Fragen, die sich aus der Anwendung der nIKT sowie aus dem damit einhergehenden veränderten Umgang mit Information in der Informationsgesellschaft ergeben.

Umfassende und systematisch ausgearbeitete Theorien der Informationsethik in diesem globalen Sinn gibt es allerdings nur wenige. Die beiden wichtigsten, auf die ich mich im Folgenden beziehen werde, sind jene von Rainer Kuhlen und Luciano Floridi.7 So unterschiedlich diese Theorien in ihrer ethischen Ausrichtung sind, so ist doch ein gemeinsamer Ansatzpunkt zu erkennen: Beide orientieren sich an der Informationsökologie als Grundlage der Informationsethik. Informationsökologie bildet den Rahmen, in Bezug auf den die informationsethischen Fragen gestellt und beantwortet werden sollen.8 Es ist naheliegend, den Bezug auf die Informationsökologie als gemeinsamen Nenner der ansonsten kaum zu vereinbarenden informationsethischen Ansätze zu betrachten. Ich werde deshalb bei meinem Versuch, allgemeine informationsethische Prinzipien zu formulieren, bei der Informationsökologie ansetzen, genauer: beim informationsökologischen Begriff des nachhaltigen Umgangs mit Information. Informationsökologie als Bezugsrahmen hat den Vorteil, dass sie weitgehend unabhängig von spezifischen ethischen Theorien ist, eine gute Plausibilität und Nachvollziehbarkeit beanspruchen kann und daher auch eine gute Chance auf Akzeptanz hat.

Das Konzept der Informationsökologie beruht auf einer Analogie zur herkömmlichen Ökologie. In einem engeren Sinn beschäftigt sich diese mit den Auswirkungen des menschlichen Verhaltens auf die natürliche Umwelt. Diese Auswirkungen auf die Natur haben seit der industriellen Revolution, der Technisierung der Landwirtschaft, dem Einsatz fossiler Rohstoffe zur Energiegewinnung, der Entwicklung der Nukleartechnik, der Ausweitung der Verkehrstechnik, der Globalisierung von Markt und Konsum und der mit all dem verbundenen Schadstoffemissionen ein gravierendes Mass und eine globale Reichweite bekommen. Der Mensch verändert mit seinem Verhalten die gesamte Biosphäre auf eine teilweise irreversible Weise mit kaum zu kontrollierenden Folgen, sodass die reale Gefahr besteht, dass er damit seine eigenen Lebensgrundlagen zerstört. Aufgrund dessen erhalten ethische Fragen in Bezug auf den menschlichen Umgang mit der Natur eine neuartige Bedeutung und neue Relevanz. Um die negativen Folgen der technologiebedingten globalen Auswirkungen auf die Natur abzuwenden oder zu beschränken, wird insbesondere ein nachhaltiger Umgang mit der Natur gefordert: nachhaltiger Umgang mit den überlebensnotwendigen Ressourcen wie Luft, Wasser und Nahrung, Nachhaltigkeit in der Nutzung  und Verteilung natürlicher Rohstoffe für die industrielle Produktion und Energiegewinnung, Nachhaltigkeit von Eingriffen in die Natur zum Erhalt von Arten und Ökosystemen. Ökologie erhält damit eine ethische Dimension und wird zum Bezugsrahmen von Umwelt- und Bioethik.

In vergleichbarer Weise lässt sich Informationsökologie als Bezugsrahmen der Informationsethik charakterisieren: Der Umgang mit Information war immer schon Bestandteil der menschlichen Lebenswelt. Kommunikation, Wissensgewinn, Wissensbewahrung und Wissenstradierung sind kulturelle Techniken, ohne die menschliches, gesellschaftliches Leben nicht denkbar wäre. Menschliches Leben hängt von Information ab, der Umgang mit Information gehört wesentlich zur menschlichen Existenz. Die Bedeutung von Information für das individuelle und gesellschaftliche Leben hat allerdings – wie oben schon angedeutet – massiv zugenommen, und zwar bedingt durch technologische Neuerungen. Tatsächlich geht deren Einsatz und Verbreitung so weit, dass – zumindest in den technologisierten Gesellschaften – alle Lebensbereiche von ihnen erfasst und durchdrungen werden. Unser gesamtes Verhalten und Handeln hängt mehr oder weniger direkt von Informationstechnologien ab: Kommunikation, Wirtschaft und Konsum, Arbeit, Schule und Bildung, Verkehr, Transport und Logistik, Freizeit, Unterhaltung und Kultur sowie zwischenmenschliche Beziehungen. Vor diesem Hintergrund erhält der Umgang mit Information quantitativ und qualitativ eine neue Dimension und eine neue Bedeutung.

Information und die technologischen Möglichkeiten des informationellen Handelns stellen somit das Medium dar, in dem sich das Leben in der Informationsgesellschaft abspielt. Man kann deshalb den von Information, Informationstechnologie und informationellem Handeln aufgespannten Raum als ein eigenes Ökosystem begreifen. Floridi nennt es in Analogie zu «Biosphäre» die «Infosphäre» (infosphere).9 Geht man weiter davon aus, dass die moderne Gesellschaft wesentlich von Information abhängt, ist es naheliegend, dass Fragen in Bezug auf den Umgang mit Information gestellt werden müssen. Fragen dieser Art sind informationsökologischer Natur. Es geht dementsprechend in der Informationsökologie darum, die Wechselwirkung der Individuen der Informationsgesellschaft und der Informationsgesellschaft insgesamt mit dem informationellen Ökosystem zu untersuchen, die Auswirkungen informationellen Handelns auf diese Infosphäre zu bestimmen und Verhaltensweisen zu finden, die mit der Intaktheit der Infosphäre verträglich sind. Letzteres ist aber nichts anderes als die Forderung nach einem nachhaltigen Umgang mit der Infosphäre und mit Information. In diesem Sinn kann die Informationsökologie denn auch als Bezugsrahmen für informationsethische Fragen dienen: Informationsethische Fragen betreffen informationelles Handeln in Bezug auf einen nachhaltigen Umgang mit Information. Was das genauer heisst, soll im Folgenden geklärt werden. Vorerst kann Informationsökologie folgendermassen charakterisiert werden:

Informationsökologie beschäftigt sich mit dem nachhaltigen, verantwortungsvollen Umgang mit Information in der Infosphäre. Informationsökologie ist insofern die Grundlage der Informationsethik, als diese sich mit Fragen des nachhaltigen, verantwortungsvollen Handelns in der Infosphäre befasst. In diesem Sinn stell die Informationsökologie den Rahmen dar, auf den sich informationsethische Fragen und Antworten beziehen.

Der informationsökologische Ansatz bei Kuhlen und Floridi

Vermutlich als erster spricht Capurro von «Informationsökologie» und formuliert «Ansätze zu einer Informationsökologie».10 Eine systematische Entwicklung findet sich dann bei Kuhlen, der die Informationsethik auch ausdrücklich mit dem ökologischen Gedanken eines nachhaltigen Umgangs mit Information verknüpft: «Als grundlegend für die Informationsethik wird der nachhaltige Umgang mit Wissen und Information angesehen, für die Gegenwart, aber auch im Sinne einer intergenerationellen Gerechtigkeit.»11 In diesem Sinn will Kuhlen «Informationsethik über das Konzept der Wissensökologie theoretisch fundieren», es soll der «Begriff der Wissensökologie als Grundlage der Informationsethik und als Leitidee von nachhaltigen Informationsgesellschaften» angesehen werden.12

Den Begriff der Wissensökologie entfaltet er zunächst in Analogie zur traditionellen Ökologie: «Wissensökologie als theoretischer Teil der Informationsethik bezieht die Idee der Nachhaltigkeit nicht mehr allein auf die natürlichen Ressourcen, sondern auch auf die intellektuellen Ressourcen bzw. auf den Umgang mit Wissen und Information.»13 Daraus geht erstens hervor, dass in der Wissensökologie ebenso wie in der herkömmlichen Ökologie der Begriff der Nachhaltigkeit im Zentrum steht, und zweitens, dass Information aus wissensökologischer Sicht als Ressource angesehen wird, vergleichbar mit den natürlichen Ressourcen. Ziel der Wissensökologie und der darauf beruhenden Informationsethik ist demzufolge die Bestimmung eines nachhaltigen Umgangs mit der Ressource Information.

Das Ökosystem, in dem sich der Umgang mit Information in der Informationsgesellschaft wesentlich abspielt, wird für Kuhlen durch die «elektronischen Räume» gebildet, die ihrerseits durch die nIKT konstituiert werden. Die elektronischen Räume sind gewissermassen eine neue, zweite Umwelt, in der bisherige Vorstellungen von Normen und Werten nicht mehr angemessen sind. Es bedarf deshalb einer Informationsökologie und einer Informationsethik, um die veränderten Verhältnisse und Bedingungen der Informationsgesellschaft zu reflektieren und angemessene Normen für den Umgang mit Information in elektronischen Räumen zu finden. Informationsethik ist daher auch als Ethik in einem universellen Sinn zu verstehen, die nicht nur einzelne spezifische Handlungs- und Gesellschaftsbereiche abdeckt, sondern die gesamte Sphäre, in der sich das Leben der Informationsgesellschaft wesentlich abspielt: «Informationsethik hat den Anspruch, das normative Fundament von Informationsgesellschaften allgemein, wenn schon nicht zu errichten, so doch zumindest zu reflektieren. Informationsethik hat somit zum Gegenstand das normative Verhalten aller Menschen beim Umgang mit Wissen und Information».14 Ziel einer auf der Wissensökologie basierenden Informationsethik ist es, den Umgang mit Information im informationellen Ökosystem der elektronischen Räume nach Prinzipien der Nachhaltigkeit zu organisieren. Informationsethik zielt dann darauf, Normen und Werte zu entwickeln, die unser Handeln in Bezug auf die Ressource Information nachhaltig regeln.

Kuhlen ist sich jedoch bewusst, dass der Begriff der Nachhaltigkeit nicht ohne Weiteres von der herkömmlichen Ökologie auf die Informationsökologie übertragen werden kann.15 Das liegt daran, dass Information oder Wissen als Ressource andere Eigenschaften aufweist als natürliche Ressourcen. Information ist eine immaterielle, nichtnatürliche Ressource. Als solche ist sie im zweifachen Sinn unerschöpflich: Während natürliche, materielle Ressourcen in einer bestimmten endlichen Menge vorliegen, gibt es im Prinzip keine Beschränkung der Informationsmenge. Information kann prinzipiell in unbeschränkter Menge produziert, gesammelt, weitergegeben und aufbewahrt werden. Information ist demnach keine knappe Ressource, im Gegenteil: In der modernen Informationsgesellschaft hat man es geradezu mit einer Informationsflut zu tun. Zudem erschöpft sich Information nicht dadurch, dass sie genutzt wird, Information verbraucht sich nicht. Die gleiche Information kann beliebig oft reproduziert und an beliebig viele Nutzende weitergegeben werden und wird dadurch nicht weniger. Diese zweifache Unerschöpflichkeit führt dazu, dass nachhaltiger Umgang mit Information etwas anderes bedeutet als nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen. Vor diesem Hintergrund schlägt Kuhlen vor, «am Konzept der Nachhaltigkeit festzuhalten», es «muss aber Nachhaltigkeit grundlegend neu bestimmt werden: Freizügigkeit und gerade nicht Verknappung ist dann das entscheidende Merkmal für Nachhaltigkeit».16

Auch Floridi vertritt einen Ansatz, bei dem der informationsökologische Gedanke insofern zentral ist, als die Informationsökologie den Bezugsrahmen für informationsethische Überlegungen darstellt. Zu diesem informationsökologischen Standpunkt gelangt er auf dem gleichen Weg wie Kuhlen: Motiviert wird er durch die Feststellung, dass die Verbreitung der nIKT unsere Lebenswelt revolutioniert hat – Floridi spricht von der «information revolution», dem «information turn» oder der «fourth revolution».17 Deshalb erhalten informationsethische Fragen ein immer grösseres Gewicht und verlangen, da sie als neuartig einzustufen sind und mit herkömmlichen ethischen Theorien nicht angemessen behandelt werden können, einen neuen ethischen Zugang.18

Das informationelle Ökosystem nennt Floridi die «Infosphäre» (infosphere). Floridi ist deutlich radikaler als Kuhlen, wenn er die Infosphäre nicht nur als ein informationelles Ökosystem neben dem natürlichen versteht, sondern als eine ontologische Sphäre, die die gesamte Realität umfasst. Information ist der ontologisch elementare Baustein, auf den die ganze Wirklichkeit zurückgeführt werden kann: «The infosphere will not be a virtual environment supported by a genuinely ‘material’ world behind; rather, it will be the world itself that will be increasingly interpreted and understood informationally, as part of the infosphere. At the end of this shift, the infosphere will have moved from being a way to refer to the space of information to being synonymous with Being itself.»19

Unter dieser Voraussetzung sind wir selbst Teil der Infosphäre und unser gesamtes Leben spielt sich innerhalb der Infosphäre ab. Deshalb müssen wir ein unmittelbares Interesse an einer intakten Infosphäre haben und unser Handeln muss immer auch im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Infosphäre betrachtet werden. Informationelles Handeln in der Infosphäre, also Handeln überhaupt, erhält demzufolge generell eine informationsethische Dimension. Daher stellt sich die Aufgabe der Informationsethik für Floridi wie folgt: «The task is to formulate an ethical framework that can treat the infosphere as a new environment worth the moral attention and care of the human inforgs inhabiting it. Such an ethical framework must be able to address and solve the unprecedented challenges arising in the new environment. It must be an e-nvironmental ethics for the whole infosphere.»20 Floridi zufolge ist Informationsethik also eine Makroethik mit einer wesentlich informationsökologischen Ausrichtung.21

Bestärkt wird die informationsökologische Ausrichtung von Floridis Ansatz durch zwei weitere Thesen. Erstens schreibt Floridi der Information sowie der Infosphäre als ganzer einen Eigenwert, einen intrinsischen Wert zu. Das heisst, Information hat nicht nur insofern einen Wert, als wir sie für wertvoll ansehen, sondern sie besitzt schon deshalb einen Wert, weil sie Information ist. Daraus ergibt sich die zweite These: Aufgrund ihres intrinsischen Werts ist die Information der unmittelbare Bezugspunkt ethischer Überlegungen. Richtiges und falsches informationelles Handeln bemisst sich am Eigenwert der Information. Die ethische Beurteilung informationellen Handelns richtet sich also nicht nach den Handelnden und deren Interessen, Werten und Einstellungen, sondern danach, wie es sich auf die Infosphäre und die informationellen Entitäten auswirkt. Informationsethik ist demnach «patient-oriented ethics».22

Die allgemeinen informationsethischen Prinzipien

Der informationsökologische Ansatz erscheint nun zwar als vielversprechende Grundlage für die Begründung einer Informationsethik, wenn man aber bei Kuhlen und Floridi nach anwendbaren informationsethischen Grundsätzen sucht, wird man enttäuscht: Bei Kuhlen findet man nur den Hinweis auf Nachhaltigkeit, Inklusivität, Freizügigkeit und Gerechtigkeit ohne weitere Begründung sowie eine unsystematische Aufzählung von «Bausteinen» einer Informationsökologie.23 Floridi bietet zwar Prinzipien im informationsethischen Sinn,24 die informationsökologisch begründet sind, nur hängen diese einerseits an eher fragwürdigen metaphysischen Annahmen und sind andererseits aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades kaum anwendungstauglich.

Ich werde nun den Versuch unternehmen, auf der Grundlage informationsökologischer Annahmen informationsethische Prinzipien zu formulieren, die praktisch anwendbar sind und zu konkreten Handlungsnormen führen können. Im Zentrum steht der Begriff der Nachhaltigkeit, genauer: der Begriff des nachhaltigen Umgangs mit Information. Informationsethische Prinzipien werden als Prinzipien verstanden, die in allgemeinster Weise Forderungen an einen nachhaltigen Umgang mit Information, an ein nachhaltiges informationelles Handeln, formulieren. Es handelt sich dabei um nichts anderes als um die normativ zu verstehenden Bedingungen oder Kriterien des nachhaltigen Umgangs mit Information. Daher gilt es, in einem ersten Schritt diese Bedingungen oder Kriterien aufzustellen. Methodisch erfolgt dies auf dem Weg einer analytischen Definition, wobei die einzeln notwendigen und insgesamt hinreichenden Bedingungen des nachhaltigen Umgangs mit Information ermittelt werden. Das Resultat ist eine Konjunktion von Bedingungen, von denen jede einzelne notwendig dafür ist und die insgesamt hinreichend dafür sind, dass von einem nachhaltigen Umgang mit Information gesprochen werden kann. Das bedeutet, dass der Umgang mit Information genau dann nachhaltig ist, wenn jede einzelne dieser Bedingungen erfüllt ist.

Das Ziel ist also zunächst, eine minimal vollständige analytische Definition des nachhaltigen Umgangs mit Information zu formulieren. Ob das Ziel erreicht wird, ob also jede einzelne Bedingung tatsächlich notwendig ist und ob die Bedingungen insgesamt hinreichend sind, kann und soll diskutiert werden. Ich schlage folgende Bedingungen für einen nachhaltigen Umgang mit Information vor:

Der Umgang mit Information ist genau dann nachhaltig, wenn

0 Information vorhanden ist

1  Information auffindbar ist

2 Information zugänglich ist

3 Information interpretierbar ist

4 Information verwendbar ist

5 Information gesichert ist

Von den Bedingungen des nachhaltigen Umgangs mit Information ist es ein kleiner Schritt zu allgemeinen informationsethischen Prinzipien. Ausgangspunkt ist der informationsökologische Standpunkt, hinter dem die Annahme steht, dass Information die essenzielle Ressource der Informationsgesellschaft ist und diese deshalb davon abhängt, dass das informationelle Ökosystem, die Infosphäre, intakt ist. Die Intaktheit der Infosphäre ist aber nur dann gewährleistet, wenn ein nachhaltiger Umgang mit Information stattfindet. Daraus ergibt sich als erste informationsethische Forderung die Forderung nach einem nachhaltigen Umgang mit Information. Da der Umgang mit Information nur genau dann nachhaltig ist, wenn die Bedingungen 0 bis 5 erfüllt sind, folgt, dass diese Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn ein nachhaltiger Umgang der ersten informationsethischen Forderung gemäss gefordert wird. Aufgrund der Forderung eines nachhaltigen Umgangs mit Information lassen sich deshalb die Bedingungen eines nachhaltigen Umgangs mit Information unmittelbar in einem normativen Sinn als informationsethische Forderungen für den Umgang mit Information verstehen und können als allgemeine informationsethische Prinzipien formuliert werden, die gleich anschliessend näher erläutert werden:

Allgemeine informationsethische Prinzipien:

0 Information soll vorhanden sein

1 Information soll auffindbar sein

2  Information soll zugänglich sein

3 Information soll interpretierbar sein

4 Information soll verwendbar sein

5 Information soll gesichert sein

Das Prinzip 0 erscheint trivial und ist es auch. Mit Information, die nicht vorhanden ist, kann kein Umgang stattfinden. Der (nachhaltige) Umgang mit Information setzt trivialerweise voraus, dass es Information gibt. Relevant wird die Bedingung jedoch, wenn es um die Vernichtung von Information geht, die ja auch eine Form des Umgangs mit Information ist. Information, die vernichtet wird, ist nicht mehr vorhanden und entzieht sich somit dem Umgang mit ihr. Die Vernichtung von Information ist manchmal zwar sinnvoll oder sogar notwendig, möglicherweise auch im Hinblick auf informationelle Nachhaltigkeit. Mit dem Prinzip 0 soll aber festgehalten werden, dass jede Entscheidung darüber, ob Information vernichtet werden soll oder nicht, einen Eingriff in das informationelle Ökosystem bedeutet. Das Prinzip fordert daher, dass die Entscheidung, ob Information vernichtet werden soll oder nicht, immer im Hinblick darauf erfolgt, dass die Information damit dem Umgang entzogen wird. Entscheidungen über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Information haben immer eine informationsethische Tragweite, die mit Blick auf die informationelle Nachhaltigkeit berücksichtigt werden muss. Das bedeutet, dass Information nur vernichtet werden soll, wenn es gute Gründe dafür gibt. Das Prinzip 0 ist also nicht trivial, wenn es beispielsweise um die Löschung einer E-Mail oder um archivische Bewertungsentscheide geht.

Für den nachhaltigen Umgang mit Information reicht es nicht aus, dass Information vorhanden ist, sie muss auch auffindbar sein (Prinzip 1). Mit Information, die nicht auffindbar ist, kann kein (nachhaltiger) Umgang stattfinden. Dies gilt für den verlegten Einkaufszettel ebenso wie für das Buch, das in der Bibliothek am falschen Standort steht, oder die Aktennotiz im Archiv, die nicht erschlossen ist.

Ebenso entzieht sich Information dem Umgang, wenn sie zwar vorhanden und auffindbar, aber nicht zugänglich ist (Prinzip 2). Information kann aus unterschiedlichen Gründen nicht zugänglich sein, zum Beispiel weil sich jemand weigert, eine Information preiszugeben (der Verbrecher, der seine Komplizen nicht verrät), weil sich eine Information an einem unzugänglichen Ort befindet (E-Mails auf meinem Konto, dessen Zugangsdaten ich vergessen habe), aus Gründen der Sicherheit, des Personenschutzes, der Vertraulichkeit oder aus kommerziellen Interessen. Prinzip 2 fordert die generelle Zugänglichkeit von Information, was umgekehrt bedeutet, dass ihre Nichtzugänglichkeit mit Blick auf informationelle Nachhaltigkeit eigens begründet werden muss.

Information, die nicht interpretierbar ist, kann nicht genutzt werden (Prinzip 3) und steht daher der informationellen Nachhaltigkeit entgegen. Mit ‘Interpretierbarkeit’ ist gemeint, dass Information in einer Form vorliegen muss, die es Nutzenden ermöglicht, den Informationsgehalt zu erschliessen. Dies impliziert nicht, dass die Information auch verstanden oder gar richtig verstanden werden muss. Nicht interpretierbare Informationen sind ein Arztrezept, das nicht entziffert werden kann, Daten in einem Format, das von keinem verfügbaren Programm mehr verarbeitet werden kann oder ein Buch, das in einer Sprache geschrieben ist, die nicht übersetzt werden kann.

Prinzip 4 stellt sicher, dass Nutzende die Information ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen gemäss verwenden dürfen, dass also ein eigentlicher Umgang mit Information stattfinden kann, und zwar ein im Sinn informationeller Nachhaltigkeit möglichst freizügiger Umgang. Dies folgt daraus, dass Information als Ressource angesehen wird, die zu bestimmten Zwecken genutzt werden kann und, als unerschöpfliche immaterielle Ressource, aus Nachhaltigkeitsgründen auch genutzt werden soll. Dabei wird nichts zur Art und Qualität der Zwecke gesagt – auch Missbrauch von Information ist eine Form des Umgangs mit Information. Einschränkungen der Verwendbarkeit von Information können sich aus Personenrechten (Privatheit) oder Urheber- und Verwertungsrechten ergeben und müssen eigens begründet werden.

Gemäss Prinzip 5 soll Information gesichert sein. Alle Information ist auf irgendeine Weise physisch realisiert und kann insofern verändert werden: Daten können durch äussere Einflüsse korrumpiert werden, durch Reproduktionsvorgänge können Fehler und Verluste entstehen, unsorgfältige Behandlung kann zu Beschädigungen führen, Daten – analoge wie digitale – können bewusst oder unbewusst manipuliert werden. Nachhaltigkeit im Umgang mit Information verlangt, dass Information und Informationsträger vor derartigen Einflüssen und Eingriffen gesichert werden.

Insgesamt fordern die informationsethischen Prinzipien einen Umgang mit Information, der deren Vorhandensein, Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interpretierbarkeit, Verwendbarkeit und Sicherung fördert und gewährleistet. Damit sind allgemeine informationsethische Prinzipien gegeben, an denen sich die Beantwortung informationsethischer Fragen orientieren kann. Informationsethisch richtiges und falsches Handeln bemisst sich demnach daran, inwieweit es mit den informationsethischen Prinzipien übereinstimmt. Anhand dieser Prinzipien kann also der Umgang mit Information ethisch beurteilt werden. Da es sich um allgemeine Prinzipien handelt, erfordert die Beantwortung informationsethischer Fragen eine Anwendung der Prinzipien auf spezifische Formen des Umgangs mit Information. Im folgenden Abschnitt werde ich den Versuch einer solchen Anwendung der allgemeinen Prinzipien auf den spezifischen Umgang mit Information im Archivbereich unternehmen.

Die Analyse archivischer Funktionen in informationsethischer Perspektive

Archive sind aus informationsökologischer Sicht als Akteure in der Infosphäre anzusehen und zählen, weil sie bedeutende Mengen von gesellschaftlich relevanter Information verwalten, zu den wichtigsten, wenn auch wenig wahrgenommenen Akteuren in der Infosphäre. Dementsprechend bedeutend ist das informationelle Handeln von Archiven für die Intaktheit des informationellen Ökosystems und dementsprechend gross ist die informationsethische Verantwortung von Archiven. Von Archiven wird Nachhaltigkeit im Umgang mit Information gefordert, was bedeutet, dass ihr informationelles Handeln den allgemeinen informationsethischen Prinzipien genügen muss.

Archive sind lokale informationelle Ökosysteme, in denen bestimmte Formen des Umgangs mit Information stattfinden. Diese sind archivspezifische Formen des Umgangs mit Information, die in ihrer Gesamtheit das Handeln von Archiven in der Infosphäre definieren. Diese archivspezifischen Formen des Umgangs mit Information können aus informationsethischer Sicht untersucht werden, indem die allgemeinen informationsethischen Prinzipien auf diese Formen angewandt werden. Um die archivspezifischen Formen des Umgangs mit Information zu bestimmen, werde ich mich am OAIS-Referenzmodell für offene Archivinformationssysteme (Open Archival Information Systems) orientieren.25 Es ist ein funktionales Modell, das das Archiv als System von funktionalen Entitäten (functional entities) beschreibt,26 wobei das Archiv ausdrücklich als Informationssystem verstanden wird.27 Mit den elementaren Funktionen, die das OAIS-Referenzmodell beschreibt, werden somit zugleich die archivspezifischen Formen des Umgangs mit Information definiert: Ingest, Archival Storage, Data Management, Administration, Preservation Planning, Access.

Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, alle elementaren Funktionen einzeln zu behandeln.28 Ich beschränke mich deshalb darauf, die Anwendung der informationsethischen Prinzipien am Beispiel des Ingest zu demonstrieren. Die Ingest-Funktion bezeichnet die Aufnahme von Information in das Archivsystem. Archive erzeugen die primären Informationen, die archiviert werden, nicht selbst, sondern erhalten sie von informationserzeugenden Stellen (producers). Der Ingest ist gewiss eine Schlüsselfunktion im archivischen Umgang mit Information, da hier Entscheidungen über das weitere Schicksal der Informationen getroffen werden, die für deren nachhaltige Nutzung entscheidend sind.

Dies beginnt mit der Erfüllung des Prinzips 0 («Information soll vorhanden sein»). Archiven werden Informationen von den informationserzeugenden Stellen angeboten oder abgeliefert. Grundsätzlich ist also die zu archivierende Information vorhanden. Unter dem Gesichtspunkt der informationellen Nachhaltigkeit wäre es nun grundsätzlich geboten, die vorhandenen Informationen vollumfänglich zu archivieren. Das ist aber vor allem aus pragmatischen Gründen oftmals nicht machbar und vom Wert der Information her auch nicht sinnvoll. Daher werden die abgelieferten Informationen durch das Archiv bewertet, es wird entschieden, welche Informationen archivwürdig sind und welche nicht. Damit wird aber jeweils auch über das Vorhandensein von Information entschieden, denn als nicht archivwürdig bewertete Information wird in der Regel vernichtet und ist somit nicht mehr vorhanden. Bewertungsentscheide sind immer Eingriffe in das informationelle Ökosystem, die weitreichende und irreversible Folgen haben können. Aus informationsethischer Sicht ist daher minimal zu fordern, dass Information in dem maximalen Umfang zu archivieren ist, den die praktischen Gegebenheiten zulassen. Zudem muss gelten, dass nicht die Archivierung von Information begründet werden muss, sondern ihre Nichtarchivierung: Die Vernichtung von Information darf nur aus guten Gründen erfolgen, da eine weitere (nachhaltige) Nutzung nur möglich ist, wenn die Information vorhanden ist.

Bewertungsentscheide sind in Archiven entweder pauschal geregelt, etwa durch Vereinbarungen mit aktenproduzierenden Stellen oder durch statuarische Bestimmungen, oder sie werden individuell für einzelne Ablieferungen gefällt. Die informationsethische Begründungspflicht gilt in beiden Fällen. Bei der Begründung von Bewertungsentscheiden geht es darum, die praktischen Gegebenheiten und Einschränkungen und den Wert der Information gegeneinander abzuwägen. Der Wert von Information kann nicht in einem absoluten Sinn festgelegt werden – auch nicht, wenn man wie Floridi von einem generellen intrinsischen Wert von Information ausgeht – und auch nicht ausschliesslich vom archivischen Standpunkt aus. Die Bestimmung des Werts von Information hängt von den Interessen und Ansprüchen unterschiedlicher Akteure in der Infosphäre ab und muss deshalb im informationsethischen Diskurs zwischen den verschiedenen Akteuren – Archive miteingeschlossen – erfolgen.29

Prinzip 1 fordert die Auffindbarkeit von Information. Diese ist bei der Ingest-Funktion nicht unmittelbar relevant. Jedoch ist bereits im Ingest-Prozess dafür Sorge zu tragen, dass die Auffindbarkeit in den anschliessenden Prozessen gewährleistet ist. Dies erfolgt im Rahmen der Erschliessung: Nur durch eine adäquate formale und inhaltliche Beschreibung von Informationsobjekten, die Erfassung von Metadaten und die Zuweisung von Identifikatoren in möglichst standardisierter Form ist gewährleistet, dass Information im Archivsystem auffindbar und insofern nachhaltig nutzbar sein wird. Entscheidend ist dabei die Erschliessungstiefe. Optimal ist eine vollständige Erfassung, etwa durch Bereitstellung eines durchsuchbaren digitalen Volltexts. Da dies aus praktischen Gründen oft nicht durchwegs möglich ist, muss die Auffindbarkeit durch die Erfassung relevanter Merkmale gewährleistet werden. Welches die relevanten Merkmale sind, hängt von den zu erwartenden zukünftigen Nutzungszwecken und -interessen ab. Diese sind wiederum diskursiv zu bestimmen und können sich an der Relevanz der Information orientieren.30

Auch die Zugänglichkeit (Prinzip 2) ist im Ingest marginal. Allenfalls ist hier zu fordern, dass Einschränkungen der Zugänglichkeit beseitigt werden, soweit es die vor allem rechtlichen Umstände erlauben. Bestehende Einschränkungen sind auf alle Fälle zu erfassen und zu dokumentieren (in Form von Metadaten), sodass bei der künftigen Nutzung juristische und ethische Rechte (Personenschutz, Privatheit, Urheberrecht) von Betroffenen geschützt sind.

Prinzip 3 fordert die Interpretierbarkeit von Information. Auch in diesem Punkt geht es im Ingest-Prozess darum, Vorkehrungen zu treffen, um die Interpretierbarkeit für die künftige nachhaltige Nutzung der archivierten Information zu gewährleisten. Information soll in einer interpretierbaren Form archiviert werden. Das betrifft einerseits die Form von Informationsträgern und Informationsformaten: Informationen sollen auf Trägern und in Formaten archiviert werden, die nicht unmittelbar durch Obsoleszenz von Technologien und Software gefährdet sind, damit sie interpretierbar bleiben. Dazu können Reproduktions- und Migrationsprozesse notwendig sein, bei denen darauf zu achten ist, dass die relevante Information intakt bleibt. Andererseits setzt die Interpretierbarkeit von Information auch ergänzende kontextuelle Information voraus: Information kann nur interpretiert werden, wenn auch Informationen über die Umstände und Zusammenhänge, in denen sie erzeugt wurde, vorhanden sind. So ist etwa eine Namenliste nicht interpretierbar, wenn nicht auch bekannt ist, von wem, wann und zu welchem Zweck sie erstellt wurde, es könnte sich dabei ebenso gut um eine Liste der Teilnehmenden eines Philosophieseminars handeln wie um eine polizeiliche Liste gesuchter Krimineller. Daher ist dafür zu sorgen, dass kontextuelle Information (in Form von Metadaten) vorhanden ist.

Die Verwendbarkeit von Information (Prinzip 4) ist an diesem Punkt nicht relevant, höchstens ist – wie schon bei Prinzip 2 – darauf zu achten, dass die Information nach Möglichkeit frei ist von Einschränkungen ihrer Verwendung durch künftige Nutzende.

Prinzip 5 fordert die Sicherheit von Information. Diesbezüglich gilt es im Ingest-Prozess zu vermeiden, dass die abgelieferte Information im Prozess bewusst oder unbewusst manipuliert wird, dass Information durch Reproduktions- und Migrationsprozesse korrumpiert wird oder verloren geht. Entstehen im Prozess Veränderungen der Information, so sind diese in Form von Metainformationen zu dokumentieren, um die Interpretierbarkeit sicherzustellen. Bei der Gewährleistung der Sicherheit von Information geht es darum, dass Information im gesamten Archivprozess intakt und authentisch bleibt. Voraussetzung dafür ist, dass die Information überhaupt intakt und authentisch im Archiv ankommt. Diese ursprüngliche Intaktheit und Authentizität hängt von der informationserzeugenden Stelle ab. Damit Prinzip 5 erfüllt werden kann, muss das Archiv daher die Zusammenarbeit mit der informationserzeugenden Stelle suchen.

An die exemplarische Anwendung der informationsethischen Prinzipien auf die Ingest-Funktion lassen sich eine Reihe allgemeiner Bemerkungen anschliessen.31 Erstens mag der Eindruck entstehen, dass informationsethische Forderungen, die sich aus der Anwendung der informationsethischen Prinzipien ergeben, zu einem gewissen Grad trivial sind: In vielen Punkten sind die informationsethischen Forderungen an die Ausführung der archivischen Funktionen schon dadurch erfüllt, dass diese Funktionen im pragmatischen Sinn richtig ausgeführt werden. Dadurch werden aber nicht die informationsethische Analyse und die informationsethischen Forderungen und Prinzipien trivialisiert, denn die pragmatische Richtigkeit mag zwar mit der ethischen Richtigkeit zusammenfallen, impliziert sie aber nicht. Aufgabe der Informationsethik ist nicht die Forderung neuer Formen des Umgangs mit Information und die Aufstellung neuer Verhaltensnormen, sondern die Überprüfung von bestehenden Verhaltensweisen und deren ethische Legitimierung durch ihre Zurückführung auf allgemeine informationsethische Prinzipien.

Eine solche ethische Überprüfung und Legitimierung von archivischem Handeln fehlt vor allem auch in Ethikkodizes für Archivarinnen und Archivare. Die informationsethische Analyse hat zu Forderungen geführt, die sich zunächst auf die archivischen Funktionen beziehen. Diese sind unmittelbar auch als Forderungen an jene zu verstehen, die diese Funktionen ausüben, also an Archivarinnen und Archivare. Somit erhält das konkrete informationelle Handeln von Archivmitarbeitenden unmittelbar eine informationsethische Dimension. Deshalb gilt zweitens, dass die informationsethischen Forderungen Teil einer ethisch begründeten Berufsethik darstellen und daher in Ethikkodizes für Archivarinnen und Archivare berücksichtigt werden müssen.32 Gleichzeitig ist festzuhalten, dass informationsethische Fragen sich nicht auf eine Berufsethik reduzieren lassen.

Drittens hat die Anwendung der allgemeinen informationsethischen Prinzipien auf die spezifischen Formen des Umgangs mit Information in Archiven in zweierlei Hinsicht exemplarischen Charakter. Zum einen ist der Archivbereich als exemplarischer Anwendungsfall für die allgemeinen Prinzipien zu betrachten, anhand dessen geprüft werden kann, ob diese tatsächlich auf konkrete Fälle anwendbar sind und ob sich mit ihrer Hilfe konkrete ethische Forderungen gewinnen lassen. Zum anderen sollen die Prinzipien, da sie allgemein sind, in analoger Weise auch auf andere Formen des Umgangs mit Information und auf andere informationelle Ökosysteme wie Bibliotheken, Museen und andere Gedächtnisinstitutionen angewendet werden können.

Viertens tritt in der Anwendung der Status der allgemeinen Prinzipien deutlicher zutage. Diese sind zwar unmittelbar auf konkrete Formen des Umgangs mit Information wie die archivischen Funktionen anwendbar, haben dabei aber nicht eine absolute, uneingeschränkte Geltung. In vielen Punkten können die Prinzipien nur unter Einschränkungen gelten. So ist es schon aus praktischen Gründen nicht vermeidbar, dass Informationsverluste auftreten, was bedeutet, dass die Sicherheit von Information nicht absolut gewährleistet werden kann (Prinzip 5). Ebenso ist es in der Praxis nicht zu vermeiden, dass Information vernichtet wird wie im Fall von Bewertungsentscheiden, was Prinzip 0 zuwiderläuft. Zudem können offensichtlich Konflikte ethischer Natur auftreten, die durch unterschiedliche Interessen der Nutzenden entstehen und die aufgrund der Prinzipien nicht auflösbar sind: Die Zugänglichkeit von Information wird beispielsweise aufgrund von Ansprüchen auf Privatheit, Sicherheit, Vertraulichkeit und Personenschutz sinnvollerweise eingeschränkt, was gegen Prinzip 2 geht; die Verwendbarkeit von Information wird durch Urheber- und Verwertungsrechte beschnitten, entgegen der Forderung von Prinzip 4. Den Prinzipien kommt daher hinsichtlich der Begründung von informationsethischen Forderungen für bestimmte Bereiche des Umgangs mit Information ein regulativer Status zu. Das bedeutet, dass jeweils die unter den gegebenen Bedingungen maximal mögliche Erfüllung der informationsethischen Forderungen verlangt wird.

Fünftens geht es deshalb bei der Lösung informationsethischer Probleme nicht zuletzt darum, zwischen den unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen der verschiedenen Akteure in der Infosphäre und dem informationsethischen Interesse an einem nachhaltigen Umgang mit Information zu vermitteln, zum Beispiel zwischen dem individuellen Anspruch auf Privatsphäre und der informationsethischen Forderung nach Zugänglichkeit von Information, zwischen den kommerziellen Interessen an Information und der Forderung nach Verwendbarkeit von Information; zwischen dem individuellen Recht auf Vergessen und der Forderung nach Vorhandensein von Information. Bei dieser Vermittlung ist es kaum möglich, apriorische Lösungen zu finden. Kuhlens Vorschlag, Lösungen auf diskursive Weise, in Form informationsethischer Diskurse unter den Akteuren zu finden, erweist sich unter diesen Voraussetzungen als sinnvoll. Das bedeutet, dass die konkrete Normfindung nicht ausschliesslich durch die informationsethischen Prinzipien geleistet werden kann, sondern sie durch eine rationale, argumentativ gestützte Koordination der Interessen und Ansprüche der unterschiedlichen Akteure unter den konkreten praktischen Gegebenheiten der Informationsgesellschaft erfolgen muss.

Die allgemeinen informationsethischen Prinzipien eines nachhaltigen Umgangs mit Information sind deshalb aber nicht verzichtbar, im Gegenteil: Sie stellen einen objektiven Bezugsrahmen für Diskurse über informationsethische Normen dar, objektiv in dem Sinn, dass sie unabhängig von den spezifischen Interessen der unterschiedlichen Akteure gelten. Damit übernehmen sie eine regulative Rolle in Bezug auf informationsethische Diskurse, indem sie als Kriterien und Massstab der Beurteilung der unterschiedlichen Interessen fungieren. Mit anderen Worten: die spezifischen Interessen einzelner Akteure sind immer im Hinblick auf die allgemeinen Prinzipien eines nachhaltigen Umgangs mit Information zu prüfen. Die Prinzipien liefern also interessenunabhängige, nachhaltigkeitsorientierte Argumente, die die diskursive Koordination der Interessen rational stützen.

Diese letzte Feststellung gilt auch für Archive: Das Archiv als lokales informationelles Ökosystem ist kein geschlossenes System und kein isolierter Akteur, sondern steht in Wechselwirkung mit anderen informationellen Ökosystemen und Akteuren in der Infosphäre. Der Umgang mit Information in Archiven hängt in vielen Punkten von den Interessen, Ansprüchen und Rechten anderer Akteure ab, was dazu führt, dass informationsethische Forderungen, die sich aus den allgemeinen Prinzipien ergeben, durch diese Interessen, Ansprüche und Rechte eingeschränkt werden. Informationsethische Forderungen müssen deshalb mit den Interessen, Ansprüchen und Rechten anderer Akteure in Einklang gebracht werden, was eine aktive Auseinandersetzung mit denselben erfordert. Wie diese Auseinandersetzung aus informationsethischer Sicht ablaufen kann, ist Thema des folgenden Abschnitts.

Archive in informationsethischen Diskursen

Archive sind Akteure in der Infosphäre, sodass ihr Agieren generell in einer informationsökologischen Dimension steht. In dieser Rolle müssen Archive ihre informationsbezogenen Interessen und Ansprüche gegenüber anderen Akteuren im weiteren informationellen Ökosystem geltend machen, und zwar indem sie an Diskursen teilnehmen, die Kuhlen als «informationsethische Diskurse» bezeichnet.33 Informationsethische Diskurse stellen ein Verfahren dar, mit dessen Hilfe in Fällen, in denen unterschiedliche und möglicherweise konfligierende Interessen und Ansprüche aufeinandertreffen, eine begründete Problemlösung erreicht werden kann. Wie sich im vorangehenden Abschnitt gezeigt hat, können informationsethische Forderungen an die archivischen Tätigkeiten, die sich aus den allgemeinen Prinzipien ergeben, nicht uneingeschränkt gelten, und zwar deshalb, weil sie in vielen Fällen durch andere Interessen und Ansprüche, die ihrerseits informationsethisch begründet sein können, eingeschränkt werden müssen. Genau in diesen Fällen können informationsethische Diskurse dazu dienen, die informationsethischen Forderungen an die archivischen Tätigkeiten mit anderen Interessen und Ansprüchen zu koordinieren und die Reichweite ihrer Geltung zu bestimmen.

Mit dem informationsethischen Diskurs lehnt sich Kuhlen an die Diskursethik an.34 Diese zielt auf ein Verfahren, mit dem moralische Normen in einem universellen Sinn begründet werden können, jedoch nicht mit Bezug auf eine spezifische ethische Theorie und allgemeingültige ethische Prinzipien, sondern durch einen Diskurs, der in seiner idealen Form einer Reihe von Bedingungen genügt, die gleichzeitig als Regeln für einen idealen ethischen Diskurs gelten. Grundvoraussetzung für den ethischen Diskurs ist die Rationalität der Diskursteilnehmenden. Dazu zählt, dass die Teilnehmenden ihre Interessen und Überzeugungen aufrichtig vorbringen und Gründe dafür anführen (argumentieren), dass sie ebenfalls Gründe anführen, wenn sie Behauptungen und Argumente anderer kritisieren, und dass sie widerspruchsfrei argumentieren. Zudem muss gelten, dass der Diskurs für alle offen ist und alle Teilnehmenden im Diskurs als gleichwertig anerkannt werden und also alle Behauptungen und Argumente gleiches Gewicht erhalten.35 Schliesslich soll die Entscheidung in einem ethischen Konflikt rational, das heisst, aufgrund der besten Argumente gefällt werden.

Vor dem Hintergrund der Bedingungen eines idealen ethischen Diskurses schlägt Kuhlen einen konkreten Verfahrensablauf für informationsethische Diskurse vor, der aus folgenden Elementen besteht:

Das von Kuhlen ausgehend von der Diskursethik formulierte Verfahren erscheint nicht nur aus theoretischen Gründen – die Begründung von informationsethischen Normen in einem von unterschiedlichen Interessen an Information bestimmten Umfeld – als sinnvoll, sondern auch als tatsächlich praktisch durchführbar.

Zu betonen ist, dass – gemäss der in dieser Untersuchung verfolgten Begründungsstrategie – durch den informationsethischen Diskurs als Verfahren der Normfindung die allgemeinen Prinzipien des nachhaltigen Umgangs mit Information nicht ausser Kraft gesetzt oder irrelevant werden. Es wird, ganz im Gegenteil, gefordert, dass diese Prinzipien auch und gerade für informationsethische Diskurse ihre Geltung bewahren. Anders als bei Kuhlen wird die informationsethische Normbegründung nicht vollständig auf den informationsethischen Diskurs verlagert, sondern es wird davon ausgegangen, dass jeder informationsethische Diskurs in einer informationsökologischen Dimension steht und sich daher an den auf informationsökologischer Grundlage aufgestellten allgemeinen Prinzipien des nachhaltigen Umgangs mit Information als regulativen Prinzipien orientieren muss. Mit diesen Prinzipien stehen allgemeine Kriterien der Beurteilung von Verhaltensweisen, Normen, Interessen und Ansprüchen in Bezug auf Information zur Verfügung, die insofern objektiv sind, als sie nicht von spezifischen Interessen und Ansprüchen von Akteuren oder Diskursteilnehmenden abhängen.37 Deshalb ist mit Bezug auf informationsethische Diskurse, wie sie Kuhlen begreift, die allgemeine Forderung zu ergänzen:

Informationsethische Diskurse sollen sich an den allgemeinen Prinzipien des nachhaltigen Umgangs mit Information orientieren. Diese Prinzipien sollen als unabhängig von spezifischen Interessen geltende Gründe in der diskursiven Normfindung fungieren.

Tatsächlich sind Archive permanent in Diskurse mit anderen Akteuren involviert. Diskurse finden zum Beispiel statt, wenn es darum geht, Vereinbarungen mit den abliefernden Stellen auszuhandeln, mit den finanzierenden Stellen über finanzielle und personelle Ressourcen oder die Anschaffung und den Ausbau der Infrastruktur zu verhandeln, konsultativ bei der Ausarbeitung von Gesetzesgrundlagen mit dem Gesetzgeber mitzuwirken,38 Kooperationen mit anderen Gedächtnisinstitutionen aufzubauen und dazu gemeinsame Standards und Infrastrukturen zu entwickeln, den Bedürfnissen der Nutzenden entsprechende Formen des Zugangs zu den Archivbeständen zu gewähren.

Es liegt auf der Hand, dass an solchen Diskursen neben den Archiven Akteure mit unterschiedlichen Interessen beteiligt sind und dass sich die unterschiedlichen Interessen nicht immer decken. Es liegt ebenfalls auf der Hand, dass es dabei immer auch direkt oder indirekt um Information geht: Bei Absprachen mit den abliefernden Stellen wird entschieden, welche Informationen in welchem Umfang und in welcher Form ins Archiv gelangen und welche nicht; bei finanziellen und personellen Angelegenheiten und bei der Infrastruktur geht es darum, wie gut und in welchem Ausmass Archive ihre Aufgaben und Funktionen im Umgang mit Information ausüben können; von der Ausgestaltung von Gesetzen hängt der rechtliche Handlungsspielraum von Archiven im Umgang mit Information ab; Kooperationen mit anderen Gedächtnisinstitutionen und der Austausch mit Wissenschaft und Öffentlichkeit beeinflussen den Zugang zu und die Möglichkeiten der Nutzung von archivischer Information. Offensichtlich drehen sich alle diese Diskurse, an denen Archive typischerweise und ständig beteiligt sind, auch um den Umgang mit Information und somit auch um informationsethische Fragen. Das bedeutet: Archive sind permanent in Diskurse involviert, die auch informationsethische Diskurse sind.

Die Forderung, dass sich Archive als Akteure in der Infosphäre an informationsethischen Diskursen beteiligen sollen, ist also nicht so aufzufassen, dass sich die Vertreterinnen und Vertreter von Archiven an ethischen Grundsatzdiskussionen beteiligen sollen. Gefordert ist vielmehr, dass sie in den Diskursen, in die sie ohnehin involviert sind, immer auch einen informationsethischen Standpunkt einnehmen. Archive – wie auch die anderen Diskursteilnehmenden – sollen ihre eigenen spezifischen informationsbezogenen Interessen und Ansprüche in einer informationsethischen Sicht beurteilen und im Diskurs vertreten. Sie sollen sich an die allgemeinen Prinzipien des nachhaltigen Umgangs mit Information halten, die für informationsethische Diskurse und alle daran Beteiligten generell eine regulative Geltung besitzen. Und sie sollen sich insbesondere an den spezifischen informationsethischen Forderungen, die sich aus den allgemeinen informationsethischen Prinzipien für die archivischen Tätigkeiten ergeben, orientieren.

Der Bezug auf die spezifischen informationsethischen Forderungen erlaubt es einerseits, dass die eigenen Interessen und Ansprüche in einer ethisch fundierten Weise gegenüber anderen Interessen und Ansprüchen vertreten werden können. Ethisch fundierte Interessen und Ansprüche stärken den eigenen Standpunkt gegenüber anderen Akteuren und können dazu berechtigen, die Erfüllung der eigenen Interessen und Ansprüche gegenüber anderen Akteuren einzufordern. Da legitime ethische Ansprüche immer gute Gründe in rationalen Diskursen darstellen, gibt die Informationsethik somit Archiven gute Gründe und Argumente für informationsethische Diskurse in die Hand. Andererseits können die spezifischen informationsethischen Forderungen für den Umgang mit Information im Archiv auch dazu dienen, das eigene Interessenprofil zu schärfen, indem mit ihrer Hilfe bestimmt wird, welche Position ein Archiv in gängigen Diskursen gegenüber anderen Akteuren vertreten soll. Informationsethik hilft zu definieren, woran Archiven, auch im eigenen Interesse, besonders gelegen sein sollte.

All dies setzt zuerst ein Bewusstsein für die informationsethische Dimension von Diskursen voraus, in die Archive stets involviert sind und die sich nicht auf den ersten Blick als informationsethische Diskurse darstellen. Es setzt ein Bewusstsein der spezifischen informationsethischen Forderungen voraus, die für den Umgang mit Information in Archiven gelten, und es setzt insgesamt ein Bewusstsein der informationsethischen Verantwortung voraus, die Archive als wichtige Institutionen für das Sammeln, Aufbewahren und Verfügbarmachen von Information in Bezug auf einen nachhaltigen Umgang mit Information tragen.

Bewertung im Diskurs

Die Bewertung von Information gehört zu den Schlüsselaufgaben von Archivarinnen und Archivaren, und zwar nicht erst seit Beginn des Informationszeitalters und der durch die Digitalisierung ausgelösten Informationsflut. Die Menge an produzierter Information ist im Allgemeinen wesentlich grösser als die Menge, die in Archiven aufbewahrt werden kann. Daraus folgt, dass in der Praxis aus der verfügbaren Information jene ausgewählt werden muss, die aufbewahrt werden soll, indem sie als archivwürdig eingestuft wird. Mit der Aufgabe der Bewertung übernehmen Archive eine grosse informationsethische Verantwortung, da sie darüber entscheiden, welche Informationen mittel- und langfristig überhaupt zur Verfügung stehen und welche nicht. Archive – wie auch andere Gedächtnisinstitutionen – sind verantwortlich für die gesellschaftliche Überlieferung und damit für einen wesentlichen Teil der Infosphäre.

Die informationsökologische Relevanz der Bewertungsfunktion ist offensichtlich: Wenn bei der Bewertung von Information über deren Erhalt oder Nichterhalt entschieden wird, stellt sie einen unmittelbaren Eingriff in das informationelle Ökosystem dar und ist daher unter dem Gesichtspunkt informationsökologischer Nachhaltigkeit zu betrachten. So hat sich auch bei der exemplarischen Analyse der Ingest-Funktion in Abschnitt 5 gezeigt, dass das Prinzip 0 – «Information soll vorhanden sein» – zentral ist, und zwar genau deshalb, weil im Rahmen der Bewertung über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Information entschieden wird. Daraus ergibt sich als allgemeine informationsethische Forderung, dass die Bewertung von Information begründet werden muss, genauer: es muss begründet werden, wenn Information als nicht archivwürdig eingestuft und deshalb nicht erhalten wird.

Eine Begründung von Bewertungsentscheiden verlangt nach Kriterien, die es erlauben, den Wert von Information zu beurteilen. Das Problem, solche Kriterien zu finden, stellt den Kern der breiten Debatte um die archivische Bewertung dar. Die informationsethischen Theorien von Kuhlen und Floridi bieten hier keine Hilfe. Kuhlen geht auf den Wert von Information nicht ein, Floridi spricht zwar der Information generell einen intrinsischen Wert zu, sagt aber nichts dazu, wie zwischen wertvoller und weniger wertvoller Information differenziert werden könnte. Das Problem, Kriterien zur Begründung von Bewertungsentscheiden zu finden, hat seine Wurzel darin, dass eine Gewichtung des Informationswerts nicht in einem absoluten Sinn vorgenommen werden kann. Der Wert von Information hängt von kontextuellen Faktoren ab, insbesondere von den unterschiedlichen Interessen, die verschiedene Akteure in verschiedenen Kontexten an bestimmten Informationen haben können. Der Wert von Information ist daher nur relativ, in Abhängigkeit von spezifischen Akteuren und Kontexten bestimmbar. Für archivische Bewertungsentscheide heisst das, dass diese nicht isoliert im archivischen Kontext gefällt werden können, sondern nur mit Bezug auf die informationellen Interessen anderer Akteure (informationsproduzierender Stellen, Wissenschaft, Öffentlichkeit usw.) in anderen Kontexten (juristischen, politischen, wissenschaftlichen, kulturellen usw.). Archivische Bewertung erhält damit einen wesentlich diskursiven Charakter und muss aus informationsökologischer Sicht in einem informationsethischen Diskurs erfolgen.

In der archivwissenschaftlichen Diskussion zur Bewertung ist der diskursive Charakter der Begründung von Bewertungsentscheiden durchaus wahrgenommen und in neueren Ansätzen auch reflektiert worden. Das gilt besonders für die Methoden des Macroappraisal und der Überlieferungsbildung im Verbund.39 Die in den 1990er-Jahren in Kanada entwickelte und von Terry Cook theoretisch ausgearbeitete Methode des Macroappraisal zielt einerseits auf eine Analyse der Verwaltung als aktenproduzierendem Organ, bezieht andererseits auch die gesellschaftliche Bedeutung des Verwaltungshandelns und der produzierten Akten als wesentliche Elemente der Bewertung mit ein. Motiviert wurde das Verfahren in erster Linie durch das Bedürfnis, eine methodische Grundlage für eine effiziente Bewältigung der immer grösser werdenden Aktenmenge zu schaffen, aber auch aus informationsethischer Sicht ist das vorgeschlagene Vorgehen bemerkenswert: Der Wert von Information wird im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Relevanz im Zusammenhang des Verwaltungshandelns bestimmt. Die Analyse dieser Relevanz stellt jedoch für das Archiv hohe Anforderungen: Eine umfassende Gesellschaftsanalyse liegt nicht unbedingt im Kompetenzbereich von Archivarinnen und Archivaren, denn sie verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Akteuren in der Gesellschaft, die vom Verwaltungshandeln betroffen sind, und der Bedeutung, die die Information für diese Akteure hat, also mit deren informationellen Interessen.

Ähnlich verhält es sich mit der Überlieferungsbildung im Verbund als Bewertungsmethode, die von Robert Kretzschmar Ende der 1990er-Jahre initiiert wurde und seither Eingang in die archivwissenschaftliche Diskussion und, vor allem auf strategischer Ebene, in die deutsche Archivpraxis gefunden hat. Die Methode zielt zunächst darauf, dass sich die verschiedenen Archive untereinander auf der Grundlage von Dokumentationsprofilen abstimmen, welche Information von welchem Archiv übernommen werden soll – also auch hier sind Effizienz und Überlieferungsqualität zentrale Motive. Darüber hinaus wird aber auch gefordert, dass die Archive im Verbund eine «historische Gesamtdokumentation»,40 eine umfassende archivische Repräsentation der gegenwärtigen Gesellschaft, und nicht nur des Verwaltungshandelns, leisten sollen. Welche Informationen aber für eine adäquate Repräsentation der gegenwärtigen Gesellschaft relevant sind, müsste wiederum in einer von Archiven kaum zu leistenden Gesellschaftsanalyse ermittelt werden. Wie Boller feststellt, fehlen diesbezüglich ein adäquater Theorierahmen und Wertmassstäbe.41

Beiden Methoden gemeinsam ist, dass die Feststellung von Wertmassstäben und Kriterien für die Bewertung von Information auf einer Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung von Information basiert, die letztlich nur durch eine diskursive Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Akteuren möglich ist. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie zwar Verfahren für die Analyse von Verwaltungsstrukturen oder für die Abstimmung von Dokumentationsprofilen zwischen Archivinstitutionen bieten, nicht aber für die eigentliche Bestimmung von Bewertungskriterien für Information mit Bezug auf die Gesamtgesellschaft. Nimmt man aber den informationsökologischen Standpunkt ein, erweist sich die als Diskurs zu verstehende Gesellschaftsanalyse, die zur Bestimmung der gesellschaftlichen Bedeutung von Information und damit zu Bewertungskriterien für Information führen soll, als offensichtlich informationsethischer Diskurs. Der Diskurs über Bewertungskriterien ist ein Diskurs unter verschiedenen Akteuren in der Informationsgesellschaft, die unterschiedliche Interessen an Information und unterschiedliche Massstäbe für den Wert von Information haben. Der informationsethische Diskurs in Bezug auf den Wert von Information muss folglich zum Ziel haben, diese Interessen und Wertmassstäbe zu ermitteln und im Hinblick auf die Archivierung von Information zu gewichten. Damit könnte eine Grundlage für Bewertungsentscheide erarbeitet werden.

Informationsethischen Diskursen über Bewertungsmassstäbe für Information kann, mit geeigneten Anpassungen, das von Kuhlen vorgeschlagene allgemeine Verfahren zur Durchführung informationsethischer Diskurse zugrunde gelegt werden. Eine solche Anpassung für Diskurse über den Wert von Information kann darin bestehen, nicht auf die Interessen und Ziele der Akteure zu fokussieren, sondern darauf, welche Signifikanz diese der Information zuschreiben. Der Begriff der Signifikanz wird von Philip Kitcher verwendet, um einen Massstab für die Orientierung wissenschaftlicher Forschung zu finden.42 Wissenschaft kann nicht schlechthin auf Wahrheit oder wahre Erkenntnis zielen, da die Wissenschaft in diesem Fall sich in der Produktion irrelevanten – oder eben insignifikanten – Wissens verlieren könnte. Das Ziel wissenschaftlicher Forschung müssen deshalb signifikante Wahrheiten sein. Kitcher argumentiert nun dafür, dass die Bestimmung von Signifikanz nicht isoliert innerhalb der Wissenschaft auf rein theoretisch-objektiver Basis erfolgen kann, sondern dass dazu auch praktische Gründe, moralische und gesellschaftliche Werte herangezogen werden müssen: «All kinds of considerations, including moral, social, and political ideals, figure in judgements about scientific significance, and hence in the evolution of significance graphs.»43 Signifikanzgraphen bilden die Grundlage der Evaluation der wissenschaftlichen Signifikanz. Sie strukturieren ein bestimmtes Forschungsgebiet anhand von wissenschaftlichen Fragestellungen und Hypothesen sowie ihren Zusammenhängen und werden parallel zur Entwicklung der Forschung angepasst. Mit Bezug auf Signifikanzgraphen wird dann im Prozess einer idealerweise freien Deliberation (ideal deliberation) – der eine gewisse Verwandtschaft mit dem idealen Diskurs der Diskursethik aufweist – die Signifikanz einzelner Forschungsfragen ermittelt und gewichtet. In diesem Prozess sollen die unterschiedlichen in der Gesellschaft vorhandenen Ansichten durch wohlinformierte Vertreterinnen und Vertreter angemessen repräsentiert sein.

Das Vorgehen lässt sich auf die diskursive Ermittlung des Werts von Information übertragen und in Kuhlens Verfahren für informationsethische Diskurse integrieren: Aufgrund einer Analyse des für ein Archiv relevanten Bereichs von Information können Signifikanzgraphen erstellt werden. Als Vorlage dafür könnten etwa die funktionalen Analysen des Macroappraisal dienen oder auch bestehende Registraturpläne oder Archivordnungssysteme. In einem deliberativen, diskursiven Prozess wird mit den relevanten Akteuren die Signifikanz von bestimmten Informationen oder Informationstypen ermittelt und gewichtet. Aufgrund der gewichteten Signifikanzzuweisungen kann dann entschieden werden, welche Informationen archivwürdig sind und welche nicht. Damit lassen sich sowohl Bewertungsstrategien wie auch einzelne Bewertungsentscheide begründen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Werthaltungen und Interessen der relevanten Akteure in Bezug auf die Information bei Bewertungsentscheiden angemessen berücksichtigt werden und, sofern das Verfahren genügend breit abgestützt ist, dass eine begründete Auswahl aus der vorhandenen Information getroffen wird, die insgesamt die gesellschaftliche Gegenwart umfassend und adäquat dokumentiert.44

Schluss

Aus den Überlegungen zum Bewertungsdiskurs ist noch einmal die Bedeutung von Archiven deutlich geworden: Da ihnen über ihre spezifischen Aufgaben hinaus die umfassende Aufgabe zukommt, mit dem Sammeln und Aufbewahren von Information die gegenwärtige Gesellschaft adäquat zu repräsentieren und gesellschaftlich relevante oder signifikante Information heute und in Zukunft verfügbar zu machen, tragen sie eine wesentliche Verantwortung für die Intaktheit des informationellen Ökosystems. Dies spricht wiederum dafür, Archive wie auch andere Gedächtnisinstitutionen in einem informationsökologischen Zusammenhang zu betrachten.

Wie ich in den ersten drei Abschnitten gezeigt habe, können auf einer informationsökologischen Grundlage allgemeine Bedingungen für einen nachhaltigen Umgang mit Information gewonnen werden, aus denen unmittelbar allgemeine informationsethische Prinzipien folgen. Dabei bemisst sich informationsethisch richtiges und falsches Handeln an der Nachhaltigkeit des Umgangs mit Information, die ihrerseits im Zeichen der Intaktheit der Infosphäre steht. Die so gewonnenen informationsethischen Prinzipien sind nicht nur theoretisch fundiert, sondern sie können auch auf konkrete Formen des Umgangs mit Information angewandt werden und führen zu konkreten informationsethischen Forderungen für den Umgang mit Information. Dies wurde anhand der exemplarischen informationsethischen Analyse der Ingest-Funktion im 5. Abschnitt demonstriert. Verfolgt man diesen Weg weiter, indem man auch die anderen archivischen Funktionen auf dieselbe Weise analysiert, ist es möglich, eine systematische, theoretisch fundierte Ethik für Archive zu entwickeln. In analoger Weise können die allgemeinen informationsethischen Prinzipien auch auf andere Anwendungsbereiche angewandt werden. Der informationsökologische Ansatz ist daher auf andere Gedächtnisinstitutionen und grundsätzlich alle Formen des Umgangs mit Information übertragbar.

Bei der exemplarischen Analyse des archivspezifischen Umgangs mit Information hat sich herausgestellt, dass informationsethische Forderungen nicht in einem absoluten, uneingeschränkten Sinn formuliert werden können, sondern dass die Reichweite ihrer Geltung in den meisten Fällen von konkreten praktischen Umständen und insbesondere von den Interessen und Ansprüchen anderer Akteure abhängt. Auch diesbezüglich stellt sich der informationsökologische Ansatz als fruchtbar heraus, da der Umgang mit Information als Handeln im informationellen Ökosystem verstanden wird. Informationelles Handeln in der Infosphäre trifft immer auf das informationelle Handeln anderer Akteure, die ihre eigenen Interessen und Ansprüche vertreten. Im Hinblick auf einen nachhaltigen Umgang mit Information gilt es deshalb, die unterschiedlichen Interessen und Ansprüche verschiedener Akteure zu koordinieren. In den letzten beiden Abschnitten wurde der informationsethische Diskurs, wie ihn Kuhlen konzipiert, als Verfahren vorgeschlagen, das sich dazu eignet, eine solche Koordination zu erzielen, ergänzt durch die Forderung, dass sich die in den Diskurs involvierten Akteure und der Diskurs insgesamt an den allgemeinen informationsethischen Prinzipien orientieren. Von Archiven und anderen Gedächtnisinstitutionen wird dabei gefordert, dass sie ihr informationsethisches Profil bestimmen, indem sie ihr informationelles Handeln anhand des Grundsatzes der informationellen Nachhaltigkeit und der allgemeinen informationsethischen Prinzipien bestimmen, und dass sie sich an diesem Profil orientieren, wenn sie ihre Interessen und Ansprüche in informationsethischen Diskursen gegenüber anderen Akteuren vertreten.

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Notes

1Als Beispiel sei Lepper & Raulff 2016 genannt. In dem ansonsten umfassenden archivwissenschaftlichen Handbuch findet man weder einen Beitrag zur Ethik noch findet sich im Register das Stichwort «Ethik». ↩︎
2Eine der seltenen Ausnahmen ist Schalit 2016. ↩︎
3So lautet der Titel von Schalit 2016. ↩︎
4Vgl. Floridi 2013, S. 13f. und 2014, Kap. 4. ↩︎
5Zur Geschichte der Informationsethik vgl. Froehlich 2004 und Bynum 2008 und 2010. ↩︎
6Übersichtliche Darstellungen geben Kuhlen 2004b, Bendel 2019, S. 130-134 und Rösch 2021, Kap. 3. ↩︎
7Zentral sind Kuhlen 2004a und Floridi 2013. ↩︎
8Vgl. Capurro 1990, Kuhlen 2004a, S. 263-270, Floridi 2013, S. 8-10, 24f. ↩︎
9Floridi 2013, S. 6. ↩︎
10Vgl. Capurro 1990. ↩︎
11Kuhlen 2004a, S. 19. ↩︎
12Kuhlen 2004a, S. 78f., 270. ↩︎
13Kuhlen 2004a, S. 263; zum Folgenden vgl. ebd., Kap. 7 sowie Kuhlen 2013. ↩︎
14Vgl. Kuhlen 2004b, S. 63. ↩︎
15Vgl. Kuhlen 2004a, S. 264 und 2013, S. 69-72. ↩︎
16Kuhlen 2013, S. 72. ↩︎
17Vgl. Floridi 2010, S. 8-14, 2013, S. 13f. und 2014, S. 90-94. ↩︎
18Vgl. Floridi 2013, S. 1, 10. ↩︎
19Floridi 2013, S. 10. ↩︎
20Floridi 2013, S. 18; vgl. auch ebd., Kap. 4. ↩︎
21Vgl. Floridi 2013, S. 27. ↩︎
22Floridi 2013, S. 84; vgl. ebd., Kap. 4.5. ↩︎
23Vgl. Kuhlen 2004a, S. 302-307. ↩︎
24Vgl. Floridi 2013, S. 71. ↩︎
25Vgl. CCSDS 2012. ↩︎
26CCSDS 2012, S. 4-1-4-3. ↩︎
27CCSDS 2012, S. 1-1. ↩︎
28Eine systematische Untersuchung aller Funktionen wurde in der Masterarbeit durchgeführt, auf der dieser Beitrag beruht. ↩︎
29Auf die Rolle von Archiven in informationsethischen Diskursen werde ich noch ausführlicher in Abschnitt 7 eingehen. ↩︎
30Die diskursive Bestimmung der Relevanz oder Signifikanz von Information wird in Abschnitt 7 behandelt. ↩︎
31In diese fliessen auch die Erkenntnisse aus der systematischen Anwendung der informationsethischen Prinzipien auf die weiteren Funktionen des OAIS-Referenzmodells mit ein. ↩︎
32Schalit 2016 widmet sich zentral der Analyse und Prüfung des "Kodex ethischer Grundsätze für Archivarinnen und Archivare" des VSA/AAS aus einer dezidiert informationsethischen Perspektive. ↩︎
33Kuhlen 2004a, S. 67-69. ↩︎
34Vgl. dazu Kuhlen 2004a, S. 55-58, 67-72, Kuhlen 2014 und Bendel 2019, S. 134f. Zur Diskursethik im Zusammenhang der Informationsethik vgl. Hammwöhner 2006, Stahl 2008 und Betz 2014. ↩︎
35Vgl. Habermas 2019, S. 87-90. ↩︎
36Vgl. Kuhlen 2004a, S. 68f.; vgl. auch Kuhlen 2014, S. 30-33. ↩︎
37Mit dieser Orientierung informationsethischer Diskurse an den informationsethischen Prinzipien kann man dem von Hammwöhner (2006, S. 22) gegen Kuhlen erhobenen Zirkularitätsvorwurf entgehen. ↩︎
38Um einen solchen Fall handelt es sich bei der Evaluation des Bundesgesetzes über die Archivierung (BGA, SR 152.1), bei der die verschiedenen Archive mit einbezogen wurden (vgl. https://www.bar.admin.ch/bar/de/home/ueber-uns/evaluation-bundesgesetz-ueber-die-archivierung-bga.html). ↩︎
39Für eine übersichtliche Darstellung beider Ansätze in theoretischer und methodischer Hinsicht, auf die ich mich im Folgenden stütze, vgl. Boller 2014. ↩︎
40Vgl. Boller 2014, S. 207 und Kretzschmar 1998. ↩︎
41Vgl. Boller 2014, S. 215. ↩︎
42Vgl. zum Folgenden Kitcher 2001, S. 65. Den Hinweis auf Kitchers Signifikanzbegriff verdanke ich Claus Beisbart. ↩︎
43Vgl. Kitcher 2001, S. 86. ↩︎
44Eine genauere Ausarbeitung der Anwendung von Kitchers Verfahren im Bewertungsdiskurs, die hier nur skizziert werden kann, würde sich sicher lohnen. ↩︎