Records in Contexts im Staatsarchiv Thurgau

Ein fiktiver Praxistest am Beispiel von Grundbuchbeständen

Simon Hofer

Im vorliegenden Artikel geht es um die Frage, ob und wie das Konzeptmodell von Records in Contexts (RiC) bei der Erschliessung von Grundbuchbeständen im Staatsarchiv Thurgau eingesetzt werden könnte. Zunächst kommt ein de facto rückblickendes Szenario zum Zug mit der Verzeichnung einer Archivalie aus dem aktuell zu erschliessenden Bestand. Danach dient eine SIARD-Datei aus dessen Nachfolgebestand als Versuchsobjekt. Das Konzeptmodell erweist sich grundsätzlich als praktikabel und die Verzeichnung der Metadaten als Normdaten verspricht erhebliche Vorteile bei der Daten- beziehungsweise Informationsvernetzung und -Nutzung. Für eine reale Umsetzung von RiC bestünde aber Bedarf nach massgeschneiderten Applikationen. Zudem wäre ersteres Szenario im Vergleich zur aktuellen Erschliessung mit einem enormen Zusatzaufwand verbunden. Im Fall der SIARD-Verzeichnung scheint das Kosten-Nutzen-Verhältnis vertretbar.

Dans cet article, il s'agit d’établir si et comment le modèle conceptuel de Records in Contexts (RiC) peut être utilisé pour la mise en valeur des archives du registre foncier aux Archives d'État de Thurgovie. Dans un premier temps, un scénario rétrospectif de facto est mis en œuvre, avec la description d’un document provenant du fonds actuel à cataloguer. Ensuite, un fichier SIARD issu du fonds qui lui a succédé sert d'objet d'essai. Le modèle conceptuel s'avère en principe praticable et l'enregistrement des métadonnées sous forme de données normalisées promet des avantages considérables pour la mise en réseau et l'utilisation des données et des informations. Pour une mise en œuvre réelle de RiC, il faudrait toutefois des applications sur mesure. De plus, le premier scénario serait lié à un énorme travail supplémentaire par rapport à la description actuelle. Dans le cas de la description SIARD, le rapport coûts/bénéfices semble acceptable.

The aim of this article is to establish whether and how the Records in Contexts (RiC) conceptual model can be used for archival description of the land register archives at the Thurgau State Archives. Firstly, a de facto retrospective scenario is implemented, with the description of a document from the current collection to be catalogued. Next, a SIARD file from the successor collection was used as a test object. In principle, the conceptual model has proved workable, and the recording of metadata in the form of standardised data promises considerable benefits for the linking and use of data and information. For RiC to be implemented in practice, however, tailor-made applications would be required. In addition, the first scenario would involve an enormous amount of additional work compared with the current method of archival description. In the case of the SIARD scenario, the cost/benefit ratio seems acceptable.

Einleitung

Im folgenden Beitrag geht es um die Frage, ob und wie der neue internationale Verzeichnungsstandard Records in Contexts (RiC) bei der Erschliessung von Grundbuchbeständen im Staatsarchiv Thurgau eingesetzt werden könnte: Wie funktioniert die konkrete Anwendung des Konzeptmodells von RiC, welche Vorteile ergeben sich daraus hinsichtlich der Nutzung und wie sieht das Verhältnis zwischen Verzeichnungsaufwand und entstehendem Mehrwert aus?

Um dem Aspekt der Digitalisierung gerecht zu werden, wurden in der Masterarbeit, die dieser Publikation vorausging, sowohl der physische Grundbuchbestand des Staatsarchivs Thurgau, der zur Zeit erschlossen wird, als auch der einerseits aus physischen, andererseits aus digitalen Elementen bestehende Nachfolgebestand auf die Möglichkeit einer Verzeichnung nach RiC hin untersucht. Es handelt sich dabei um eine fiktive Prüfung der Anwendbarkeit des Konzeptmodells. Daraus werden hier zwei Beispiele herausgegriffen: Zunächst geht es um einen Kaufprotokollband aus den Jahren 1804 bis 1806 und anschliessend dient eine der im Jahr 2022 abgelieferten SIARD-Dateien, welche die Kernelemente des Nachfolgebestands bilden, als Anschauungsbeispiel.1

Damit soll ein bescheidener Beitrag zur Erforschung der Praxistauglichkeit des neuen Standards geleistet werden. RiC wurde im Jahr 2012 ins Leben gerufen, steht aber nach wie vor in einer Entwicklungs- und Experimentierphase. Im Juli 2021 wurde die zweite und jüngste Version des Konzeptmodells veröffentlicht.2 Seit der Veröffentlichung der ersten Version im Jahr 2016 wurden vielerorts konkrete Anwendungsbeispiele durchgespielt.3 In den letzten Jahren kamen praktische Umsetzungen hinzu. Beispiele in der Schweiz sind das Staatsarchiv Basel-Stadt, das seine Metadaten nach der RiC-Ontologie transformiert und damit zur Verwendung als Linked Open Data aufbereitet hat.4 Memoriav hat die Auffrischung seines Rechercheportals Memobase ebenfalls mit dem Einsatz eines auf der RiC-Ontologie abgestützten Datenmodells verbunden.5 Im Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (VSA) setzen sich beispielsweise die Arbeitsgruppe Normen und Standards und die Projektgruppe ENSEMEN mit Aspekten der praktischen beziehungsweise technischen Umsetzung von RiC auseinander.6

Records in Contexts: Eine kurze Einführung

RiC geht auf den Auftrag des International Council on Archives (ICA) aus dem Jahr 2012 zurück, die vier damals bestehenden, aber nur lose verknüpften internationalen Verzeichnungsstandards näher zusammenzuführen und somit die Dokumentation des Entstehungszusammenhangs von Archivalien zu optimieren. Es ist die Rede vom bisher in der Praxis deutlich überwiegenden Standard ISAD(G) zur Verzeichnung von archivischen Unterlagen sowie den weniger bedeutenden Standards ISAAR(CPF), zur Verzeichnung der Urheber der Unterlagen, ISDF, zur Verzeichnung der Funktionen dieser Urheber beziehungsweise Aktenbildner, und ISDIAH, zur Verzeichnung der archivierenden Institutionen oder Körperschaften selbst.7

Das Konzept der Expert Group on Archival Description (EGAD), welche diesen Auftrag an die Hand nahm, reicht aber über die Dimension einer blossen Erneuerung der bestehenden Archivpraxis hinaus: Die archivische Verzeichnung soll mit RiC im Sinn einer Anpassung an den allgemeinen informationstechnologischen Wandel – und die damit verbundene Veränderung des Archivguts an sich – einer grundlegenden Reform unterzogen werden. Ein Hauptmerkmal des neuen Verzeichnungsmodells ist die Aufweichung der hierarchischen Struktur, welche bei der Anwendung von ISAD(G) bestimmend ist. Dahinter steckt die Nutzung von semantischen Technologien8, durch welche die Metadaten stärker formalisiert und maschinenlesbar und damit tendenziell interoperabler werden. So bestehen beispielsweise die aus ISAD(G) bekannten titelgebenden Elemente (Informationen im Titelfeld) bei einer Verzeichnung nach RiC nicht mehr als freier Text, sondern sie werden einzeln als bestimmte Entitäten, Attribute oder Relationen kategorisiert und miteinander sowie mit anderen Elementen (zum Beispiel den Zeitraum betreffende Informationen, andere Entitäten oder Attribute) in Beziehung gesetzt. Eine Person ist nach diesem Modell ebenso eine Entität wie ein Fonds oder ein Dokument.

Eine Verzeichnung nach RiC ist hinsichtlich der hierarchischen Baumstruktur im Vergleich mit ISAD(G) weniger direkt mit der äusserlichen Generierung eines Findmittels verbunden, da dessen Darstellung völlig offen ist.9 Die in diesem Artikel verwendeten Visualisierungen von Verzeichnung entsprechen deshalb mehr einem semantischen Prinzip als der Veranschaulichung eines Findmittels. Sie beruhen weitgehend auf dem Vorbild des Konzeptmodells von RiC.

Der physische Grundbuchbestand des Staatsarchivs Thurgau: Ein kleiner Überblick

Auf eine eigentliche Einführung zu den Grundbuchbeständen wird wegen des beschränkten Umfangs dieses Beitrags und weil es sich um komplexe Bestände handelt, verzichtet. Ein paar Ausführungen, die wenigstens eine rudimentäre Einordung des Kaufprotokollbands und anschliessend des SIARD in die Bestandsgeschichte erlauben sollten, folgen hier dennoch:

Der nominelle Zeitraum des Grundbuchbestandes, der aktuell erschlossen wird, reicht insgesamt von 1803 bis 2008 und umfasst 32 Grundbuchkreise.10 Die Kaufprotokolle, in welchen der amtliche Vollzug (Fertigung) von Grundstückskäufen dokumentiert ist, bilden zusammen mit den eng verwandten Pfandprotokollen die beiden ältesten Reihen dieses Grundbuchbestands. Ab 1851 kamen die nach Parzellennummern einer Munizipal- oder Ortsgemeinde geordneten sogenannten Güterkataster oder Liegenschaftenkataster dazu, in welche die wichtigsten Informationen zu den Grundstückskäufen übertragen wurden. Diese entwickelten sich allmählich zu umfangreicheren und komplexeren Katastern, vor allem nach dem Inkrafttreten des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) im Jahr 1912 und der damit langsam einsetzenden Einführung des auf eidgenössischer Ebene vereinheitlichten Grundbuchs, des sogenannten eidgenössischen Grundbuchs. 1912 gab es auch erstmals nominelle Grundbuchverwalter, welche ihre Aufgabe von den Notaren übernahmen. Es kamen neue Grundbuchreihen dazu wie Dienstbarkeitsprotokolle oder Bände mit "Vormerkungen und Anmerkungen" zu den Grundstücken, welchen neue Rubriken in den Katastern oder "Hauptbüchern", wie sie nun teilweise heissen, entsprachen.11 Mit der Einsetzung des Eidgenössischen Grundbuchs wurden die Kaufprotokolle allmählich obsolet. Hauptbücher existierten zuerst als Bände und ab etwa den 1970er Jahren als sogenannte "Loseblätter" in Karteien, bevor sie ab 1995 durch das digitale Grundbuch abgelöst wurden.

Beispiel Kaufprotokollband

Die erste Seite des Kaufprotokollbands A des Kreises Zihlschlacht12 aus den Jahren 1804 bis 180613 (Abbildung 1) wirkt wie eine mustergültige Umsetzung der im RiC-Konzeptmodell vorgesehenen Dokumentation eines Entstehungszusammenhangs, welche hier durch die Aktenbildner selbst vorgenommen wurde. Sämtliche relevanten Metadaten sind aufgeführt: Die amtliche Körperschaft – das Friedensgericht – welche für den Vorgang der Kauffertigung zuständig ist, wird in ihre verschiedenen Funktionen aufgegliedert und es werden sowohl sämtliche Namen der Personen, welche diese Funktionen erfüllen, erwähnt, als auch deren Wohn- oder Bürgerorte. Ausserdem ist die gesetzliche Grundlage benannt, auf welcher der Vorgang der Kauffertigung beruht und schliesslich auch der gesamte Entstehungszeitraum der im Band angesammelten Kaufprotokolle.

Abb. 1. Erste Seite des Kaufprotokollbandes A des Kreises Zihlschlacht, StATG 31.2/* (Dossiersignatur noch ausstehend, provisorische Signatur 29/43)

In diesem Kapitel wird vor allem über die aus diesem Kaufprotokollband erschlossenen Provenienzbeziehungen der Mikrokosmos von RiC etwas genauer ausgeleuchtet. Dabei wird auch die für die Entwicklung des Konzepts von RiC bedeutende Kritik des traditionellen Provenienzverständnisses aufgegriffen.

Abb. 2. Erweiterte Provenienzbeziehungen des Kaufprotokollbandes Zihlschlacht

In Abbildung 2 sind die Informationen von der ersten Seite des Kaufprotokollbandes in ein Schema übertragen, das auf dem Konzeptmodell von RiC basiert. Dazu scheinen zunächst einige formale Erläuterungen angebracht, die teilweise auch die weiter unten erläuterten Abbildungen betreffen:

Die Verzeichnung der Provenienzbeziehungen, die im Kaufprotokollband genannt werden, ist der Übersichtlichkeit halber etwas vereinfacht dargestellt: Es sind nur Körperschaften (Corporate Body, RiC-E11) und Funktionen (Position, RiC-E12) als Provenienzen aufgeführt, nicht aber die betreffenden Personen (und deren Ortszugehörigkeiten).14 Andererseits sind mit den gestrichelten Linien und Kasten Provenienzbeziehungen veranschaulicht, zu welchen im Kaufprotokollband keine Informationen bestehen, da sie sich auf die Zeit nach dessen Entstehung beziehen. Darauf wird etwas weiter unten in diesem Kapitel genauer eingegangen.

Eine weitere Vereinfachung zu Gunsten einer besseren Übersichtlichkeit ist der Verzicht auf die jeweilige Nennung der inversen Variante einer Relation (zum Beispiel is creator of (RiC-R027i) für die Relation has creator (RiC-R027)). Aus demselben Grund wurde sowohl in diesem als auch in den meisten der folgenden Diagramme weitgehend auf die Verwendung von Attributen verzichtet. Teilweise handelt es sich bei Elementen der Betitelung von Entitäten um potentielle Attribute (hier zum Beispiel die Nummernangabe der Kauffertigungen: Nrn. 1-239). Dazu ist zu sagen, dass die Abgrenzung von Metadaten zwischen Entität und Attribut, wie auch die EGAD bemerkt, nicht in jedem Fall eindeutig ist.15

Schliesslich ist nicht unwichtig zu erwähnen, dass – ebenfalls des leichteren Verständnisses zuliebe – in dieser wie auch in allen folgenden Abbildungen und generell in diesem Text die Identifikation von Entitäten und Relationen nur über das allgemeine Vokabular des Konzeptmodells erfolgt und nicht über das technische Vokabular der RiC-Ontology, das sich zwar nur leicht von ersterem unterscheidet, aber für die Implementierung von RiC in Applikationen unabdingbar ist.16

Der Kaufprotokollband wird hier, obwohl eigentlich ein Einzelstück, als Record Set (RiC-E03) behandelt, also, etwas vereinfacht formuliert, eine Vielzahl von Dokumenten. Ausserdem wird, dem Konzeptmodell von RiC entsprechend, die physische Erscheinungsform des Bandes separat als Instantiation (RiC-E06) verzeichnet. Zum besseren Verständnis letzterer Entität mag folgende Vorstellung beitragen: Würde zum Beispiel zusätzlich ein Digitalisat des gesamten Bandes im PDF-Format angefertigt oder später dieses Digitalisat in ein neues Format migriert, wären das weitere Instantiations desselben Record Sets Kaufprotokollband.

In diesem Beispiel geht es, wie erwähnt, in erster Linie um die Darstellung von Provenienz. Im RiC-CM gibt es neun verschiedene Provenienzrelationen (Provenance Relations), wovon in obigem Beispiel drei verwendet werden konnten: die Relationen has creator (RiC-R027) und has collector (RiC-R030), welche definiert sind als Beziehungen zwischen einer Record Resource (RiC-E02)17 oder Instantiation auf der einen Seite und einem Agent (RiC-E07) auf der anderen Seite, und die Relation documents (RiC-R033), definiert als Beziehung zwischen einer Record Resource oder Instantiation und einer Activity (RiC-E15). Letztere ist die einzige Provenienzrelation im Konzeptmodell, welche nicht einen Agent betrifft und wird als "generic functional provenance relation" bezeichnet.18

Wenn nun das Ergebnis dieser Anwendungen betrachtet wird, fällt auf, dass der Begriff Grundbuch oder Grundbuchamt nicht vorkommt. Stattdessen betreffen die Provenienzrelationen, die unmittelbar aus dem Kaufprotokollband stammen, eine eher unerwartete Körperschaft (Friedensgericht) und nicht weniger als fünf ebenfalls teils überraschende Funktionen: Friedensrichter, Distriktsgerichtsschreiber, Gemeindeammann, Gemeindestatthalter und Operator.19 Bereits dadurch entsteht eine offensichtliche Differenz zur aktuellen, für ISAD(G) charakteristischen, monohierarchischen Darstellung des Grundbuchbestands. Wie an den gestrichelten Relationen und Entitäten zu erkennen ist, ginge die Diversifizierung der Provenienz zudem noch weiter:

Es dauerte nämlich bis 1912, mehr als ein Jahrhundert nach der Produktion des ersten Kaufprotokollbands, bis dieser und das gesamte Grundbuchgeschäft tatsächlich in die Hand eines nominellen Grundbuchverwalters ging, nach einer längeren Zwischenphase in der Obhut des Notariats (ab Ende 1849).

Angesichts dieses Beispiels erstaunt es nicht, dass die Kritik am herkömmlichen Verständnis von Provenienz als ein wichtiges Motiv der EGAD zur Entwicklung von RiC erscheint. Mit dem herkömmlichen Verständnis von Provenienz ist die Begründung des Prinzips des Archivfonds und des damit verbundenen "respect des fonds" Mitte des 19. Jahrhunderts gemeint: Ein Fonds wird nach diesem Verständnis definiert als die Gesamtheit der von einer bestimmten Körperschaft, einer Familie oder einem Individuum produzierten Dokumente. Respect des fonds heisst, die Integrität eines solchen Fonds als Ganzes zu wahren und deren innere Ordnung in ihrem ursprünglichen Zustand zu belassen.20 Die EGAD betrachtet diese Sichtweise als überholt:

Ethically, the traditional understanding has been criticized because it privileges the accumulator of a body of records and thereby obscures or elides other persons and groups related to them, either actively participating in their creation or use, or as the subject of them. [...]

RiC-CM recognizes that provenance is much more complex, that records originate and continue to exist within a complex network of dynamic relations with other records, activities, persons, and groups. 21

Sie stellt sich betreffend den respect des fonds auf den Standpunkt, dass man mit dem in diesem Prinzip enthaltenen Fokus auf die Person oder Gruppe der Komplexität der Entstehung der Akten nicht gerecht wird. Und wie sie selbst bemerkt, ist diese Kritik nicht neu.22

Bei all dieser Kritik darf aber nicht vergessen gehen, dass auch im Rahmen der aktuellen, auf ISAD(G) abgestützten Erschliessung des physischen Grundbuchbestands im Staatsarchiv Thurgau die geschilderten Provenienzzusammenhänge präzise erläutert werden: mittels eines längeren Lauftexts zur Bestandsgeschichte im dazugehörigen Feld ("Verwaltungsgeschichte/Biographische Angaben") auf der Ebene des gesamten Grundbuchbestands (5'9). Ein solcher Lauftext bietet einen inhaltlichen Überblick, der durch keine noch so präzise Provenienzverzeichnung nach RiC so leicht zu ersetzen ist.

Abb. 3. Darstellung weiterer Entitäten und Relationen aus dem Kaufprotokollband

Zum Abschluss dieses Kapitels wird in Abbildung 3 der Versuch dokumentiert, das Konzeptmodell von RiC weiter auszuschöpfen und alle weiteren möglichen Arten von Entitäten und Relationen jenseits des unmittelbaren Provenienzkontexts, die sich aus der ersten Kaufprotokollbandseite ergeben, zu verzeichnen, wobei – auch hier der Übersichtlichkeit halber – drei der fünf Funktionen (Positions) des Friedensgerichts ausgespart wurden.

Hier beziehen sich nun also die Provenienzbeziehungen direkt auf die Personen, welche die verschiedenen Funktionen erfüllen. Es sind auch deren Wohn- und/oder Bürgerorte aufgeführt und die gesetzliche Grundlage der Kauffertigungen aus den Jahren 1804 bis 1806, wodurch sich präzisere Provenienzen und weitere neue Relationen ergeben. Diese Informationen erweitern das Potential der Verknüpfung innerhalb, aber auch nach ausserhalb des Grundbuchbestands. Im besten Fall werden dadurch ansonsten verborgen gebliebene Relationennetze erhellt:

Ein Vergleich mit der ersten Seite des Kaufprotokollbandes des Kreises Zihlschacht von 1829 zeigt zum Beispiel, dass bis auf den Gerichtsschreiber die Akteure von 1804 alle dieselben geblieben zu sein scheinen.23 Würde auch dieser Band und allenfalls weitere Bände auf der Grundlage von RiC verzeichnet, wäre mit einer geeigneten Applikation die Konstruktion von neuen, virtuellen Fonds möglich – beispielsweise von personenbezogenen Fonds mit Akten aus ganz unterschiedlichen, aktuell bestehenden Fonds. Oder es könnte ein familiäres Netzwerk her- beziehungsweise dargestellt werden oder eine Mischung aus beidem als Grundlage für eine Beamten- und Familiengeschichte. In ähnlicher Weise könnte die Relation zur Gesetzesgrundlage genutzt werden.

Die Normdaten erleichtern es schliesslich auch, Informationsquellen (etwa ein Wikipedia Artikel) oder andere Objekte ausserhalb des eigenen Archivinformationssystems einzubinden und mit persistenten Identifikatoren24 längerfristig nutzbar zu machen.

Beispiel SIARD

5.1 Verzeichnung von Metadaten auf hoher Ebene

In diesem Kapitel wird die Möglichkeit erwogen, Metadaten für die im SIARD-Format abgelieferten Daten eines Teils des Nachfolgebestands zu verzeichnen. Zunächst geschieht dies auf einer eher allgemeinen Ebene – ein Stück weit vergleichbar mit dem Beispiel des Kaufprotokollbands, wie dies an der Auswahl der Entitäten und Relationen ersichtlich ist (vgl. Abbildung 5) –, auf der sich auch die Thematik der mehrfachen Provenienz wiederholt. In einem zweiten Schritt wird anhand eines bestimmten Use Cases untersucht, wie sich ein Grundbuch-SIARD auf Spalten-Ebene nach RiC aufschlüsseln liesse.

Ein sogenanntes Grundbuchkreis-SIARD ist ein auf xml basierendes Extrakt von Daten aus der Fachapplikation TERRIS, dem sogenannten digitalen Grundbuch, welches, wie in Kapitel 3 erwähnt, ab 1995 bis Mitte der 2000er Jahre das physische Hauptbuch ablöste. Es ist auf einer relationalen Datenbank aufgebaut und dient als zentrales Verzeichnis aller Grundbuchangelegenheiten – wie verschiedene Grundstücksbeschreibungen (Ortsangabe, Grundstücksnutzung, Fläche usw.), Eigentümerwechsel, Rechte und Lasten oder auch die eigentlich der Federführung des Vermessungsamts unterliegenden Grundstücksmutationen, welche der Anwendungsfall in Kapitel 5.2 betrifft. Das bedeutet, etwas vereinfacht gesagt, dass sämtliche Registerdaten – oder überhaupt alle wesentlichen Primärdaten – eines Grundbuchkreises in einer einzigen Einheit abgeliefert werden. Der Nachfolgebestand ist in 20 Grundbuchkreise (Fonds) aufgeteilt.25

Abb. 4. Metadaten des Grundbuch-SIARD des Kreises Münchwilen auf hoher Ebene, Ansicht in SIARD Suite (SiardGui), StATG (noch ohne Signatur)

Abbildung 4 ist eine Ansicht des SIARD des Grundbuchkreises Münchwilen, wie es auf der Benutzeroberfläche (SiardGui) des Konvertierungsprogramms SIARD Suite selbst erscheint. Es sind Elemente der Datenbank sowie Metadaten zur Fachapplikation und deren Archivierung erkennbar: Am linken Rand ist ein Teil der zahlreichen Tabellen zu sehen, welche die Primärdaten des digitalen Grundbuchs enthalten. Im grauen Bereich in der Mitte und rechts sind einerseits verschiedene technische Daten verzeichnet und andererseits in den weissen Feldern allgemeine Beschreibungen zur Fachapplikation beziehungsweise zur Datenbank. Letztere wurden von einem Mitarbeiter des Staatsarchivs aus dem sogenannten TERRIS-Datenmodell übertragen, das als separater Teil mit der digitalen Ablieferung der Grundbuchämter ans Staatsarchiv Thurgau gelangte. Es handelt sich dabei um eine Art Wörterbuch und Codeliste für die Tabellen und Spalten im TERRIS beziehungsweise im SIARD. Dieselbe Übertragung erfolgte dementsprechend auch in Beschreibungsfelder für die einzelnen Tabellen und deren Spalten. Die eigentliche Erstellung des SIARD, also der technische Archivierungsprozess, war durch einen Mitarbeiter des Amts für Informatik erfolgt.

Abb. 5. Verzeichnung der Beziehung zwischen Fachapplikation TERRIS und SIARD

In Abbildung 5 sind diese Zusammenhänge grob veranschaulicht. Mit gestrichelten Linien dargestellte Entitäten und Relationen inklusive Relationenattribut (RiC-RA03) entstammen, wie schon in Abbildung 1a, Informationen, welche ausserhalb der dargestellten Quelle (hier des SIARD) liegen. Bei den übrigen dargestellten Verzeichnungskomponenten handelt es sich um besagte Metadaten, welche direkt ins SIARD eingeschrieben wurden. Damit eine Verzeichnung in der dargestellten Art Realität würde, müssten wohl die RiC-Begriffe dem Vokabular der Ontology gemäss ebenfalls direkt ins SIARD – das heisst: in die entsprechende xml-Komponente –, eingeschrieben werden. Da sie maschinenlesbar sind, müsste ein Austausch nach ausserhalb des SIARD tendenziell möglich sein.

Wie schon eingangs dieses Kapitels angedeutet und in Abbildung 4 deutlich erkennbar, reichen die Metadaten, die direkt aus dem SIARD stammen, nur für eine beschränkte Kenntnis des Entstehungszusammenhangs des digitalen Grundbuchs; zunächst natürlich, weil die Kooperation mit dem Amt für Informatik aus dem Feld "Kontaktangaben Archivierer" nicht ersichtlich ist, vor allem aber, weil das digitale Grundbuch den physischen Grundbuchbestand überlappt, was an den zusätzlichen Provenienzen links oben erkennbar ist: Es handelt sich dabei um die Grundbuchkreise Fischingen, Lommis und Sirnach, welche Ende 2007 zum Grundbuchkreis Münchwilen zusammengelegt wurden. Das Anfangsdatum dieses Grundbuchkreises divergiert deshalb sowohl deutlich mit dem Anfangsdatum, das im Metadaten-Feld "Entstehungszeitraum..." im SIARD angegeben ist (01.01.1994)26, als auch mit dem Anfangsdatum der Activity "Führung des digitalen Grundbuchs" (01.01.1996).

Ein Stück weit wird hier eine weitere Bemerkung der EGAD im Zusammenhang mit der Forderung nach einem flexiblen Provenienzbegriff bestätigt, nämlich dass auch oder gerade in der digitalen Umgebung die Urheberschaft von Akten komplex ist:

The emergence of collaborative editing in the networked digital environment has led to other complexities in determining the origination and ownership of records, as many digital records have complex multiparty authorship [...]27

Was der zuletzt erläuterte Sachverhalt für eine konkrete Recherchesituation (auch im positiven Sinn) bedeuten kann, sollte aus dem Anwendungsfall im folgenden Teil dieses Kapitels ersichtlich werden.

5.2 Use Case Belege / Mutationsurkunden

In diesem letzten Teil wird die Option einer Verzeichnung des SIARD auf der Ebene der Tabellenspalten durchgespielt. Es geht um folgenden Use Case:

Im Bestand Vermessungsamt, Parzellarvermessung (StATG 9'50) befinden sich sogenannte Mutationsurkunden, welche vom Geometer angefertigt wurden, wenn zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Güterzusammenlegung eine Flächenveränderung an einem Grundstück stattfand oder wenn sich ein Gebäudegrundriss auf einem Grundstück veränderte. Diese Mutationsurkunden wurden jeweils als Doppel an das betreffende Grundbuchamt abgegeben und dort in die sogenannte Belegprotokollreihe integriert. Diese Grundbuchreihe wurde bisher noch nicht erwähnt, ist aber sehr bedeutend, weil darin die Originaldokumente zu Grundstückangelegenheiten gesammelt wurden. Nebst Mutationsurkunden sind das zum Beispiel Grundstückskaufverträge, Dokumente zu betreffenden Schuldgeschäften oder Dienstbarkeitsverträge. Es ist die vom Volumen her mit Abstand grösste Reihe des physischen Grundbuchbestands (schätzungsweise 70% des Gesamtumfangs) und wird hauptsächlich den physischen Teil des hybriden Nachfolgebestands bilden.

Nun gibt es zum Beispiel bei den Mutationsurkunden der Gemeinde Fischingen im Bestand Parzellarvermessung grosse Lücken. Da aber die entsprechenden Doppel in der Belegprotokollreihe vorhanden sein sollten, stellte sich die Frage, ob die Vorteile einer digitalen Datenbank (gegenüber einem physischen Hauptbuch) genutzt werden könnten, um eine Liste derjenigen Belegprotokolle für den betreffenden Zeitraum zu erstellen, welche Mutationsurkunden enthalten. Eine Analyse des Grundbuchkreis-SIARD in SIARD Suite (SiardGui) ergab, dass mittels Spaltensuchfunktion in einer bestimmten Tabelle (GRUNDST_MUT) auf einigermassen effiziente Weise eine Liste mit sämtlichen Mutationsurkunden für ein bestimmtes Datum oder Jahr erstellt werden kann.28

Abb. 6. Tabelle GRUNDST_MUT mit Suchfenster, aus dem Grundbuch-SIARD des Kreises Münchwilen, Ansicht in SIARD Suite (SiardGui), StATG (noch ohne Signatur)

Abbildung 6 ist eine Ansicht der Tabelle GRUNDST_MUT in SIARD Suite (SiardGui) mit dem für die Abfrage der Spalte TBH_DATUM geöffneten Suchfenster. In der Spalte TBH_DATUM befinden sich die Daten der Einträge der Mutationen im Grundbuch (Hauptbuch), welche in der Regel identisch sind mit dem entsprechenden Belegprotokolldatum.29 In der Spalte daneben (TBH_NR) sind die zugehörigen Tagebuchnummern beziehungsweise Belegprotokollnummern des betreffenden Jahres eingetragen. Mit diesen zwei Spalten ist der direkte Zugang zu den Belegprotokollen mit den gesuchten (physischen) Mutationsurkunden gewährleistet.

Abb. 7. Verzeichnung von Beziehungen der Tabelle GRUNDST_MUT

Diese Erkenntnis ist in Abbildung 7 in Form einer Verzeichnung von Tabellen-, Spalten und Fondsbeziehungen der Tabelle GRUNDST_MUT festgehalten. Das besondere verzeichnungstechnische Ereignis ist hier, dass die Einheit des SIARD aufgetrennt wird in virtuelle Record Sets – sowohl auf Tabellenebene als auch auf Spaltenebene, das heisst, als eigentliche Records werden die einzelnen Einträge in Zeilen oder Feldern interpretiert.

Der Verzeichnungsaufwand, der hiermit verbunden ist, ist bedeutend grösser als er es auf der in Abbildung 5 dargestellten allgemeinen Ebene ist: Die in Form von Werten des Attributs Descriptive Note (RiC-A16) hinterlegten Erläuterungen sind mehrheitlich keine Übertragungen aus dem TERRIS-Datenmodell, sondern Erkenntnisse aus dem oben beschriebenen, Use-Case-orientierten Analyseprozess der Datensätze im SIARD.30 Wichtig sind unter diesen Descriptive Notes insbesondere die Gleichsetzungen von TBH_DATUM, TBH_NR und GDK_ID mit Belegprotokolldatum und Belegprotokollnummer beziehungsweise Parzellen-Nummer, weil es sich bei letzteren drei um Schlüsselbegriffe des physischen Grundbuchbestandes handelt, welche im TERRIS-Datenmodell und im SIARD kaum oder gar nicht existieren. Auf diese Weise wird eine Brücke geschlagen zwischen den beiden zeitlich überlappenden Grundbuchbeständen. Zudem wird hier eine Verbindung geschaffen zwischen der Tabelle GRUNDST_MUT und dem Bestand Parzellarvermessung. Davon ausgehend, dass diese Verbindungen vor allem für spätere Nutzer wertvoll sein könnten, werden also die dem SIARD inhärenten Metadaten ergänzt durch einen Use-Case-orientierten, nach RiC aufgeschlüsselten und allgemeinverständlicheren – unter anderem weil bestandsübergreifenden – Kontext.

In derselben Art könnten im Verzeichnungsprozess des SIARD weitere wichtige Tabellen- und Spaltenverbindungen erläutert werden, auch ohne direkten Use-Case-Bezug. Eine davon wäre die ebenfalls in Abbildung 7 ersichtliche Relation zwischen der Tabelle GRUNDST_MUT und der Tabelle JOURNAL, welche die wichtigsten Tagebuch- beziehungsweise Belegprotokolldaten enthält: Mit der Kombination der beiden im Relationenattribut Description (RiC-RA03) bezeichneten Spalten TBH_DATUM und TBH_NR sollte zumindest eine annähernd eindeutige Verknüpfung zwischen diesen beiden Tabellen möglich sein, während der im SIARD für die Tabelle JOURNAL angegebene "eindeutige Schlüssel"31 (primary key) JOU_ID eine Spalte bezeichnet, die in der Tabelle GRUNDST_MUT nicht vorkommt.

Schlussdiskussion: Anwendbarkeit, Nutzen und Aufwand

Die Anwendbarkeit des Konzeptmodells hat sich als in funktioneller Hinsicht sehr befriedigend herausgestellt. Die Orientierung im Bedeutungsgeflecht der zahlreichen Entitäten, Attribute und Relationen kostete zwar einigen Initialaufwand. Die verschiedenen Kategorien dieser drei Verzeichnungselemente sind aber in einander überlappenden und ergänzenden Tabellen im Konzeptmodell so präzise beschrieben, dass nach einem guten Gesamtüberblick die Zuordnung von Metadaten durch Kombination dieser verschiedenen Tabellen gelang, ohne dass auf allzu allgemeine Kategorien wie Thing (RiC-E01) oder is related to (RiC-R001) zurückgegriffen werden musste. Dass die Gestaltung einiger Tabellen als nicht in jeder Hinsicht zielführend wahrgenommen wurde, spielte dabei letztlich eine geringe Rolle.32 Die in der Version 0.2 des Konzeptmodells von 2021 erfolgte, starke Reduktion der Anzahl Relationen gegenüber der Version 0.1 von 2016 dürfte diesem Praxistest zugute gekommen sein. Das Mapping der RiC-Ontologie wird in der Realität aber wohl nicht immer so leicht sein, wie die hier erfolgten Zuordnungsprozesse suggerieren mögen.33

Damit RiC in alltägliche Verzeichnungsprozesse im Archiv Eingang finden sollte, bräuchte es aber auf jeden Fall Applikationen – die Rede ist natürlich in erster Linie von Archivinformationssystemen oder Recordsmanagementsystemen –, welche diese Kombinationsvorgänge integrieren und unterstützen und deutlich effizienter gestalten könnten. Damit würden "handgestrickte" Arbeitsvorgänge wie in diesem Fall obsolet.

Es wurde hier vor allem (auf intellektueller Ebene) aufgezeigt, wie eine Anwendung von RiC funktionieren könnte. Es wurden aber auch Vorteile im Hinblick auf die Nutzung angedeutet. Vor allem am Beispiel des Kaufprotokollbands wurde gut ersichtlich, dass eine Zuweisung von präzisen Metadaten zu ebenso klar bezeichneten, genormten, maschinenlesbaren Verzeichnungselementen und -Kategorien nicht nur besondere Evidenz für den Entstehungszusammenhang von Akten schaffen kann, sondern auch eine neue Art der Vernetzung von Informationen ermöglicht – nicht zuletzt, weil Normdaten die Einbindung von Elementen und Informationsquellen ausserhalb des eigenen Archivinformationssystems erleichtern.

Eine gewisse Skepsis angesichts der neuen Möglichkeiten ist vielleicht insofern angebracht, als eine mit der Intention solcher Verknüpfungen und entsprechender Nutzungsszenarios verbundene, übertriebene Verzeichnungsdynamik zur Konstruktion allzu vieler unsicherer oder auch irrtümlicher Verbindungen oder gar daraus entstehender Scheinnetzwerke führen könnte.

Was den Nutzen der Verzeichnung eines SIARD angeht, so mag es zunächst mal unabhängig von der Frage, was RiC an Mehrwert mit sich bringt, etwas überflüssig erscheinen, Spalten eines SIARD zu verzeichnen, weil dieses eigentlich dafür gedacht ist, in eine geeignete Applikation hochgeladen zu werden, in welcher eine Datenbankabfrage in ähnlicher Weise wie in der Fachapplikation, aus der das SIARD stammt, stattfinden könnte. Bei einem genaueren Blick auf ein Grundbuch-SIARD wird allerdings klar, dass es selbst mit guten Vorkenntnissen aus der Erschliessungsarbeit mit dem physischen Grundbuchbestand und der Hilfe der aus dem TERRIS-Datenmodell übertragenen Erklärungen zu den Tabellen und Tabellenspalten nicht leicht fällt, bestimmte Daten ausfindig zu machen, besonders weil zentrale Begriffe aus dem physischen Grundbuchbestand – wie Parzelle oder Beleg(protokoll) – kaum oder gar nicht vorkommen. Dieses Problem bestünde auch mit der Reintegration des SIARD in ein Datenbankmanagementsystem und würde sich selbst im sehr hypothetischen Fall einer Emulation des TERRIS nicht in Luft auflösen. Die Möglichkeit der Herstellung von Konkordanz zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Grundbuchbeständen, die damit fehlt, ist aber ein sehr wichtiges Kriterium für eine nachhaltige Erschliessung.

Wie in beiden Verzeichnungsbeispielen für das SIARD aufgezeigt wurde, sind zusätzliche Metadaten – besonders Provenienzinformationen –, welche in den dem SIARD inhärenten Metadatenfeldern nicht vorgesehen sind, unverzichtbar. Dass die zusätzlichen Metadaten wie erwähnt mit RiC ebenfalls direkt in das SIARD eingeschrieben werden können, dürfte ein entscheidender Vorteil des neuen Verzeichnungsstandards sein.

Inwieweit ein Mehrwert von RiC gegenüber der aktuellen Verzeichnungspraxis tatsächlich zur Geltung kommen kann, hängt natürlich auch stark von den zur Verfügung stehenden Ressourcen ab beziehungsweise von einem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Dementsprechend ist eine Verzeichnung des Kaufprotokollbands in der Art, wie sie in den beiden Beispielen hier aufgezeigt wurde, sehr unrealistisch, zumal sie rückwirkend geschehen würde. Die aktuelle Verzeichnung sieht tatsächlich viel pragmatischer aus: Für einen Kaufprotokollband (eigentlich Kauffertigungsprotokollband) gibt es nebst der Signatur nur einen Titeleintrag nach dem Muster "Kaufprotokollband des Grundbuchkreises..., Band..." und einen Eintrag zum Entstehungszeitraum. Bei der aktuellen Nutzung durch hauptsächlich die Grundbuchämter selbst, bei der nach wie vor der Primärwert der Akten gefragt ist, aber auch durch private ForscherInnen, reichen diese Informationen in der Regel aus, um zu den gesuchten Primärdaten zu gelangen.

Diesen Erwägungen ist anzufügen, dass sich der verwendete Kaufprotokollband des Grundbuchkreises Zihlschlacht als Ausnahmeerscheinung herausgestellt hat. Vergleichbare Hinweise zur Provenienz sind zum Beispiel in den Bänden des Kreises Zihlschlacht nur etwa bis 1830 zu finden, worauf sie durch stark gekürzte Einträge (jeweils am Anfang eines Kauffertigungstages) ersetzt werden. Das Potential für eine Verwertung in der aufgezeigten Art wäre also ohnehin beschränkt.

Der Fall des Grundbuch-SIARD sieht hinsichtlich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ganz anders aus. Hier wäre eine Verzeichnung selbst noch auf Spaltenebene, wie sie anhand des Anwendungsfalls durchgespielt wurde, mit vertretbarem Aufwand verbunden, besonders, weil die meisten der hergestellten Verknüpfungen für alle 20 Teilbestände (Grundbuchkreise) gleichzeitig gelten würden. Allerdings müssten die Daten für einen solchen Verzeichnungsprozess sinnvollerweise in ein richtiges Datenbankmanagementsystem oder eine andere geeignete Applikation hochgeladen werden und nicht, wie hier geschehen, in SIARD Suite selbst genutzt werden. Unabhängig davon stellt sich aber die Frage, ob allenfalls für die Zukunft im Hinblick auf die Archivierung eine direkte Verbindung von RiC und einer Fachapplikation wie des TERRIS möglich wäre, im Sinn eines Records Managements. Auf diese Art könnte die Verzeichnung bereits in die Aktenproduktion integriert werden und müsste nicht auf umständliche Art hinterher geschehen. Das mag aber ein etwas utopischer Gedanke sein.

Was bei der Archivierung des digitalen Grundbuchs schliesslich gerade bezüglich einer Kosten-Nutzen-Abwägung nicht ausgeblendet werden kann, ist die Tatsache, dass die Grundbuchämter selbst als weitaus bedeutendster Nutzer von Grundbuchakten des Staatsarchivs nicht auf die Daten in den SIARD-Dateien angewiesen sind, solange sie darauf im TERRIS zurückgreifen können. Dies ist natürlich eine grundsätzlich neue Situation in der Zeit der Archivierung von Fachapplikationen, die allerdings nicht nur Nachteile mit sich bringt, und am Anspruch auf eine Langzeitarchivierung von Daten nichts ändert.

Bibliographie

Quellenverzeichnis

StATG 5'9, 31.2/* (genaue Dossiersignatur noch ausstehend, provisorische Signatur 29/43), Grundbuchkreise, 1803-31.05.2008. Kaufprotokoll des Grundbuchkreises Zihlschlacht, Band A.

StATG 5'9, 31.2/* (genaue Dossiersignatur noch ausstehend, provisorische Signatur 29/48), Grundbuchkreise, 1803-31.05.2008. Kaufprotokoll des Grundbuchkreises Zihlschlacht, Band F.

StATG (noch ohne Signatur), Grundbuchkreise, 01.01.1996-31.05.2016. SIARD des Grundbuchkreises Münchwilen.

Literaturverzeichnis

Coutaz, Gilbert, Archives en Suisse, Lausanne 2016.

Duchein, Michel, «Le respect des fonds en archivistique», La Gazette des Archives 97, 1977, pp. 71-96. Link: https://www.persee.fr/doc/gazar_0016-5522_1977_num_97_1_2554 (abgerufen am 30.06.2023).

Flores, Daniel; Souza, Marcos Vinícius (2021): Applying Records in Contexts in a Federal University Record, Linked Archives International Workshop 2021Conference Paper. Link: https://www.researchgate.net/publication/356718140_Applying_Records_in_Contexts_in_a_Federal_University_Record (abgerufen am 30.06.2023).

International Council on Archives, Expert Group on Archival Description (2021): Records in Contexts: Conceptual Model, Consultation Draft v0.2. July 2021. Link: https://www.ica.org/sites/default/files/ric-cm-02_july2021_0.pdf (abgerufen am 30.06.2023).

International Council on Archives, Expert Group on Archival Description (2021): Records in Contexts: Introduction to Archival Description, Consultation Draft v0.2. December 2021. Link: https://www.ica.org/sites/default/files/ric-iad-02_0_0.pdf (abgerufen am 30.06.2023).

International Council on Archives, Expert Group on Archival Description (2021): Records in Contexts Ontology (ICA RiC-O), version 0.2. Link: https://www.ica.org/standards/RiC/RiC-O_v0-2.html (abgerufen am 30.06.2023).

Kaiser, Martin: ENSEMEN: Abhängigkeiten zu RiC und anderen Ontologien. Thesenpapier des Vereins Schweizerischer Archivarinnen und Archivare, Projektgruppe ENSEMEN, vom 05.02.2020. Link: https://archiv.vsa-aas.ch/wp-content/uploads/2020/02/Thesenpapier_RIC_Ontologien.pdf (abgerufen am 30.06.2023).

Lo Duca, Angelica: Is the Semantic Web really dead?, in: Geek Culture, 18.07.2021. Link: https://medium.com/geekculture/is-the-semantic-web-really-dead-7113cfd1f573 (abgerufen am 30.06.2023).

Rousseau, Jean-Yves; Couture, Carol; Arès, Florence et al (éds.), Les fondements de la discipline archivistique, Québec 2008.

Notes

1 SIARD = Software Independent Archival of Relational Databases. Für genauere Informationen zum Format SIARD siehe Kapitel 5. Beim Beispiel der SIARD-Verzeichnung handelt es sich um ein gegenüber der Masterarbeit deutlich vertieftes Anwendungsszenario. ↩︎
2 Records in Contexts Conceptual Model (RiC-CM). Es handelt sich hierbei um das Hauptdokument einer vierteiligen Dokumentation der EGAD zu RiC. Hier wird die neueste, stark überarbeitete Version 0.2 vom Juli 2021 verwendet, welche der Version 0.1 aus dem Jahr 2016 folgte. Die Dokumentation zu RiC besteht aus den folgenden drei weiteren Komponenten: 1. Introduction to Archival Description (RiC-IAD, nicht zu verwechseln mit der "Introduction" im RiC-CM) mit der Einordnung von RIC in eine kurze Beschreibung der Geschichte der archivischen Verzeichnung, welche sich stark um das Thema der Provenienz dreht; 2. Ontology (RiC-O) mit der technischen Formalisierung des Vokabulars und der Regeln, die im RiC-CM beschrieben sind; 3. den Application Guidelines (RiC-AG) mit Anweisungen für Software-Entwickler zur Implementierung von RIC, welche allerdings erst nach der Publikation von stabilen Versionen des Conceptual Model und der Ontology (Versionen 1.0) verfasst werden sollen. ↩︎
3 Z. B. Flores, Souza. ↩︎
4 Das entsprechende Datenmodell ist verfügbar unter: https://data.bs.ch/explore/dataset/100177/information/ (abgerufen am 30.06.2023). Vgl. dazu auch den Blogbeitrag von Hagmann auf der Website des Staatsarchivs Basel-Stadt vom 09.05.2022: https://blog.staatsarchiv-bs.ch/open-data-archivdaten-im-netz/ (abgerufen am 30.06.2023). ↩︎
6 Z. B. Kaiser. ↩︎
7 ISAD(G): International Standard Archival Description (General) – ISAAR(CPF): International Standard Archival Authority Records for Corporate Bodies, Persons, and Families – ISDF: International Standard for Describing Functions – ISDIAH: International Standard for Describing Institutions with Archival Holdings. ↩︎
8 Mit "semantischen Technologien" sind gemäss Lo Duca hauptsächlich folgende drei Technologien gemeint: das sogenannte Resource Description Framework (RDF) zur Beschreibung von Daten und deren Beziehungen, die Web Ontology Language (OWL), welche ein gemeinsames Vokabular zur Repräsentation von Daten ermöglicht und SPARQL, eine Sprache zur Abfrage von Daten. Der Begriff Linked Data ist eng mit dem RDF verbunden: Damit sind strukturierte, maschinenlesbare, über Bedeutungsnetzwerke miteinander verbundene Daten gemeint. ↩︎
9 Eine Visualisierung als hierarchische Baumstruktur ist natürlich auch eine Option, weshalb eine auf ISAD(G) basierende Verzeichnungsstruktur in RiC integrierbar ist. ↩︎
10 StATG 5'9, Grundbuchkreise 1803-1995/2008. ↩︎
11 Ein Beispiel für eine Dienstbarkeit auf einem Grundstück ist ein Wegrecht, das gegenüber jemand anderem eingeräumt wird. Vormerkungen und Anmerkungen sind unter anderem Hinweise zu einer Überbauung und betreffender Baubewilligung oder zu Miteigentum an einer bestimmten Parzelle. ↩︎
12 StATG 5'9, 31.2/* (genaue Dossiersignatur noch ausstehend, provisorische Signatur 29/43). ↩︎
13 StATG 5'9, 31.2/* (genaue Dossiersignatur noch ausstehend, provisorische Signatur 29/43). ↩︎
14 Vgl. Abbildung 3, wo die Provenienzrelationen direkt auf einen Teil der Personen bezogen sind, welche die hier genannten Funktionen erfüllen. ↩︎
15 EGAD, RiC-CM, S. 39-40. ↩︎
16 Vgl. EGAD, RiC-Ontology. Der Relation has creator (RiC-R027) zum Beispiel entspricht in der RiC-Ontology die Zeichenkette rico:hasCreator. ↩︎
17 Zur Terminologie vgl. EGAD, RiC-CM, S. 20: Record Resource ist vergleichbar mit Verzeichnungseinheit und der Überbegriff für die Entitäten Record Set, Record, und Record Part. ↩︎
18 EGAD, RiC-CM, S. 79. Eine Übersicht über alle Provenienzrelationen befindet sich ebd. auf S. 76. ↩︎
19 Der Begriff "Operator" konnte nicht eindeutig interpretiert werden. Er wird in der Aufschlüsselung der Kaufprotokollseite jedenfalls als amtliche Funktion behandelt. ↩︎
20 Siehe z.B. Coutaz, besonders S. 52, und Rousseau, Couture, Arès et al., S. 62 ff. Zurückgeführt wird die Entstehung des Prinzips auf ein Zirkular aus dem Jahr 1841, das vom französischen Historiker und damaligen Chef der Administrativsektion des Archivs des französischen Innenministeriums, Natalis de Wailly, verfasst wurde. ↩︎
21 EGAD, RiC-CM, S. 7. ↩︎
22 Vgl. z.B. Ducheins Artikel aus dem Jahr 1977. ↩︎
23 StATG 5'9, 31.2/* (Dossiersignatur noch ausstehend, provisorische Signatur 29/48). Im Kaufprotokollband von 1829 sind im Gegensatz zu demjenigen von 1804 nur die Nachnamen der betreffenden Mitglieder des Gerichts genannt. Da amtliche Funktionen erfahrungsgemäss oft von Vater zu Sohn weitergegeben wurden, ist es möglich, dass es sich bei den Personen von 1829 teilweise um Nachfahren derjenigen von 1804 handelt, wobei dies ebenfalls erfahrungsgemäss selbst der Fall sein könnte, wenn auch die Vornamen dieselben wären. ↩︎
24 Ein Beispiel für einen persistenten Identifikator ist ein sogenannter DOI (Digital Object Identifier) für einen Zeitschriftenartikel oder auch ein anderes Informationsobjekt. Dieser führt zur jeweils aktuellen URL (Uniform Resource Locator) der betreffenden Webseite ("Internetadresse"). ↩︎
25 Für genauere Informationen zum SIARD-Format siehe Beschreibung und Links des Bundesarchivs unter: https://www.bar.admin.ch/bar/de/home/archivierung/tools---hilfsmittel/siard-suite.html (abgerufen am 30.06.2023) bzw. SIARD-Formatspezifikation der KOST (Koordinationsstelle für die dauerhafte Archivierung von Unterlagen) unter: https://kost-ceco.ch/cms/kad_siard_de.html (abgerufen am 30.06.2023). ↩︎
26 Dieses ist nur ein generisches Datum, das sich auf alle 20 Grundbuchkreise zusammen bezieht. ↩︎
27 EGAD, RiC-IAD, S.4 ↩︎
28 "Einigermassen" heisst hier vor allem, dass sich in der Applikation SIARD Suite (SiardGui), welche nicht für eine richtige Datenbankabfrage konzipiert ist, keine Trefferliste erstellen lässt. Stattdessen wird von Zeile zu Zeile beziehungsweise von Zeilengruppe (jeweils 50 Zeilen) zu Zeilengruppe gesprungen, in denen sich ein Treffer befindet. Zudem lässt das Programm – was in diesem Use Case aber weniger von Bedeutung ist – nur eine Suche in einer oder mehreren Spalten einer einzigen Tabelle zu, also keine übergeordnete Suche in mehreren Tabellen. Ein weiteres Problem ergab sich beim Test für diesen Use Case daraus, dass es nicht gelang, die Werte aus den Treffer-Zeilen zu exportieren. ↩︎
29 Die hier nicht ersichtliche Spalte MUT_DATUM mit dem Mutationsdatum ist kaum relevant: Sie enthält grösstenteils die Werte {null}, ist aber ansonsten identisch mit dem Tagebuchdatum und entspricht nicht dem Datum der Erstellung der Mutationsurkunde, wie ein Vergleich ergab. ↩︎
30 Aus dem TERRIS-Datenmodell übertragen und deshalb direkt aus den Beschreibungsfeldern des SIARD entnommen sind nur die Bemerkungen "enthält Mutationen, die eigentlichen Grundstücksdaten" zur Tabelle GRUNDST_MUT und "Mutationsnummer der Amtlichen Vermessung" zur Spalte MUT_NR. ↩︎
31 Mit dem "eindeutigen Schlüssel" einer Tabelle ist in einer relationalen Datenbank eine Spalte (="Attribut", nicht zu verwechseln mit dem Attribut in RiC) oder auch eine Gruppe von Spalten gemeint, über deren Wert(e) jede Zeile nur eine einmalige und deshalb eindeutige Wertekombination hat. ↩︎
32 Diese Kritik bezieht sich hauptsächlich auf folgende zwei Tabellen: erstens die Übersichtstabelle zu den Relationen unter 5.3 (EGAD, RIC-CM, ab S. 73) mit dem Problem, dass die für die Ordnung dieser Tabelle entscheidenden Relationentypen kaum hervortreten, und zweitens die Tabelle 5.4 (ebd., ab S. 80), in welcher die einzelnen Relationen detailliert beschrieben sind. Dort ist dieses Problem noch ausgeprägter. Mit einer grafisch besseren Darstellung beider Tabellen wäre die Orientierung wohl deutlich leichter. ↩︎
33 Vgl. Kaiser. ↩︎