Deskriptoren – Erschliessungs- und Vermittlungspraxis in der Burgerbibliothek Bern

Nadja Glarner*

Dieser Artikel ist die gekürzte Version der 50-seitigen Masterarbeit, welche auf Anfrage eingesehen werden kann.

Der Artikel untersucht die manuelle Indexierung im Archivbereich am Fallbeispiel der Deskriptoren in der Burgerbibliothek Bern. Dazu wurden die Mitarbeiter*innen zu ihrer Erschliessungs- und Vermittlungspraxis befragt sowie die Deskriptorendaten und ihre Geschichte analysiert. In einem komparativen Teil wurden mittels einer Umfrage die Erfahrungen anderer Archive mit demselben Archivinformationssystem ermittelt. Es wurde besonders nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis und den Gründen gefragt, warum sich die Institutionen für oder gegen eine Deskribierung entschieden haben. In einem dritten Teil wurden die zukünftigen Entwicklungen im Archivbereich wie etwa die Named Entity Recognition oder Records in Contexts beleuchtet, insbesondere die Vorteile einer Umstrukturierung der Deskriptorendaten nach dem RiC-Standard und die Migration in ein neues System mit flexiblen Darstellungsmöglichkeiten und vermehrter Vernetzung mit externen Ressourcen.

Cet article examine l'indexation manuelle dans le domaine des archives en prenant comme exemple l’usage des descripteurs à la Bibliothèque de la Bourgeoisie de Berne. Pour ce faire, les collaboratrices et collaborateurs ont été interrogés sur leur pratique d'indexation et de communication, et les listes de termes normalisés et leur histoire ont été analysés. Dans une partie comparative, les expériences d'autres centres d’archives employant le même système d'information archivistique ont été éclairées au moyen d'un sondage. Des questions ont été posées en particulier sur le rapport coûts/bénéfices et les raisons pour lesquelles les institutions ont opté pour ou contre une indexation matières. Dans une troisième partie, les développements futurs dans le domaine des archives, tels que la Named Entity Recognition ou la norme Records in Contexts, ont été mis en lumière, notamment les avantages d'une restructuration des descripteurs conforme à la norme RiC et la migration vers un nouveau système offrant des possibilités de présentation flexibles et une meilleure intégration au réseau de ressources externes.

The article examines manual indexing in the field of archives using the case study of descriptors in the Burgerbibliothek Bern. To this end, the staff were interviewed about their indexing and communication practices and the descriptor data and its history were analysed. In a comparative section, the experiences of other archives using the same archive information system were analysed by means of a survey. In particular, the cost-benefit ratio and the reasons why the institutions decided in favour of or against manual indexing were investigated. In a third part, future developments in the archiving sector such as Named Entity Recognition or Records in Contexts were examined, in particular the advantages of restructuring the descriptor data according to the RiC standard and migrating to a new system with flexible display options and increased linking with external resources.

Einführung

Was sind Deskriptoren1 und zu welchem Zweck werden sie angelegt? Dies ist die grundsätzliche Fragestellung, die diesem Artikel zugrunde liegt. Die Studie wird dabei auf die Burgerbibliothek Bern (BBB) als Fallbeispiel fokussieren und deren Erschliessungs- und Vermittlungspraxis mithilfe einer Analyse des Archivinformationssystems und durch Befragung der Mitarbeiter*innen ermitteln. Um die Deskriptorenpraxis der Burgerbibliothek Bern in einen grösseren Kontext zu stellen, soll diese mit derjenigen anderer Archive verglichen werden. Anhand von Umfragen soll eruiert werden, warum sich gewisse Institutionen für oder gegen die Einführung von Deskriptoren entscheiden haben, welche Vor- und Nachteile sie sehen und wie sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis einschätzen. Schliesslich sollen die Deskriptoren, als manuelle Verschlagwortung, im Vergleich mit neueren archivwissenschaftlichen Entwicklungen, wie Records in Contexts betrachtet werden.

Ein Blick auf den Forschungsgegenstand zeigt, dass das Thema der Indexierung zwar in der Bibliothekswissenschaft seit langem einen integralen Bestandteil der Disziplin ausmacht,2 jedoch in der Archivwissenschaft und in der Praxis archivierender Institutionen in der Schweiz3 und auch international4 weit weniger verbreitet ist. Die Indexierung wird zwar meist als ein äusserst nützlicher und intuitiver Zugang für Archivbenutzer*innen gesehen,5 da sie einen thematischen Einstieg in das Archivgut ermöglicht, ohne dabei das Provenienzprinzip in Frage zu stellen, sie wird gleichzeitig aber auch als zeitaufwändig6 und daher kostspielig beschrieben.7

Deskriptoren in der Burgerbibliothek Bern

2.1 Geschichte

Der Anfang8 der heutigen Deskribierungsstrategie der Burgerbibliothek findet sich in der Erschliessung des Nachlasses Albrecht von Haller und im Datenbanksystem „FAUST“, in welchem bereits deskriptorenähnliche Datensätze zu Personen, Orten und Sachen mit designierten Funktionen wie „Künstler“ oder „Korrespondenz Empfänger“ angelegt wurden. Bei der Migration der Verzeichnungsdaten in das Nachfolgersystem „scopeArchiv“ 2008/2009 sollten diese Daten weiterhin nutzbar sein. Von Seiten des Archivsoftware-Herstellers wurde zu diesem Zeitpunkt bereits ein Modul „Deskriptoren“ angeboten, welches aber verbesserungswürdig war. Unter anderen war die Schweizerische Nationalbibliothek eine zentrale Institution, welche eine User-Group zur Weitereinwicklung der Funktionen lancierte. Die Burgerbibliothek trug, als einer der Pionierbetriebe, ebenfalls einen wesentlichen Teil der Kosten und war eng in den Weiterentwicklungsprozess involviert. Im Zuge der Migration wurden zusätzlich alle Datensätze unter einem zentralen Index vereint und in den Jahren 2010/2011 in einer grossen Bereinigungsaktion standardisiert. Zu diesem Zeitpunkt wurde in der Burgerbibliothek auch die Volltextsuche auf die Deskriptorendaten ausgeweitet, darauf Rücksicht nehmend, dass ein Grossteil des Archivpublikums vor allem diese Suchmethode nutzt.

Viele weitere Desiderate der scopeArchiv User Group von 2011, wie eine flexiblere Suche bezüglich Didaktika und Wortreihenfolge, die Einbindung von Geodaten bei den Ortsdeskriptoren, die eine Darstellung auf einer Karte ermöglicht hätten9 oder eine Erweiterung zur Verknüpfung der eigenen normierten Personendaten mit externen Ressourcen wurden nicht weiterverfolgt.10

2.2 Systemanalyse

Die Burgerbibliothek Bern gliedert sich in die Bereiche: Burgerliche Archive (Verwaltungsarchiv der Burgergemeinde, Gesellschafts- und Zunftarchive), Grafik (grafische Sammlung, Fotoarchiv und Gemälde), Bongarsiana sowie Privatarchiv (Familienarchive, Nachlässe, Firmenarchive, Gesellschaftsarchive, Autografen, Einzelstücke und Manuscripta historica helvetica). Die unterschiedlichen Dokumententypen und Erschliessungstiefen dieser Bereiche sind zwei fundamentale systemische Faktoren, welche die Anzahl und Verwendung der Deskriptoren beeinflusst. Als Grundsatz hat die Burgerbibliothek festgelegt, in allen Beständen Deskriptoren zu vergeben, die Anzahl Deskriptoren pro Bestand können jedoch, abhängig von der Erschliessungstiefe, sehr unterschiedlich ausfallen. Der Bereich Grafik erschliesst auf Stufe Einzeldokument und es gilt der Grundsatz: keine Verzeichnungseinheit ohne Deskriptor. Im Bereich Privatarchiv weisen speziell die Familienarchive und die Nachlässe viele Deskriptoren auf, einerseits aufgrund der grossen Anzahl Personen und andererseits wegen der detaillierten Erschliessung der Korrespondenz. Bei Firmen- oder Vereinsarchiven und im Verwaltungsarchiv der Burgergemeinde Bern werden zwar auch Deskriptoren vergeben, jedoch in viel geringerer Anzahl.

Der Thesaurus der Burgerbibliothek setzt sich aus folgenden Indizes zusammen: Personen, Orte, Sachen, Bibliographie/Nachschlagewerke, Eigentümer Porträt und Johanniter.11 Ein statistischer Auszug aus dem System per 30.06.2022 zeigt folgendes Bild: Die Burgerbibliothek hat bis zu diesem Zeitpunkt 93‘215 Deskriptoren angelegt und verfügt über 280‘229 Verzeichnungseinheiten. Die Personendeskriptoren sind die zahlenmässig grösste Kategorie, wobei die natürlichen Personen (Einzelpersonen und Familien) gegenüber den juristischen Personen stark überwiegen. Der aufwändige Exportprozess dieser Daten für diese Studie und die nur sehr rudimentäre Darstellung der Suchresultate zeigt auch das grosse ungenutzte Potenzial dieser Daten für Digital Humanities Projekte und für die archivische Vermittlung auf. Interessant wäre es zum Beispiel, Unterlagen von diversen Familienmitgliedern in unterschiedlichen Archivbeständen zu einem „virtuellen Familienarchiv“ zusammenzuführen.

Die Ortsdeskriptoren sind die zweitgrösste Kategorie in der Burgerbibliothek. Sie enthalten mit 26% den höchsten Anteil an Verweisdeskriptoren. Neben dem offensichtlichen geografischen Schwerpunkt der Stadt Bern, zeigen sich auf internationaler Ebene unerwartete Ergebnisse der quantitativen Analyse. Neben den zu erwartenden Nachbarländern der Schweiz, sind beispielsweise viele Ortsdeskriptoren in afrikanische Länder wie Ägypten, Demokratische Republik Kongo, Uganda und Sudan verzeichnet, dies vor allem in Fotografien aus Gelehrtennachlässen, die in diesen Gegenden geforscht haben. Auch diese Daten könnten interessante Grundlagen für die Vermittlungsarbeit sein, umso mehr, wenn diese als visuelle Einstiegspunkte auf einer Karte präsentiert werden könnten.

Sachdeskriptoren werden hauptsächlich in der Grafikabteilung verwendet, um den Inhalt von Darstellungen zu beschreiben. Die Verweisdeskriptoren in diesem Index setzten sich vor allem aus Synonymen und sprachlichen Varianten zusammen: Hochzeit/Heirat oder Fahrrad/Velo. Den beschränkten Funktionalitäten des jetzigen Archivinformationssystems geschuldet, existieren keine Hierarchie- oder Klassifikationsunterschiede im Thesaurus, daher müssen inhaltlich generellere und spezifischer Begriffe vergeben werden, um eine effektive Suche zu ermöglichen. Eine Untersuchung bezüglich genderspezifischer Sprache zeigt, dass Berufsbezeichnungen meist in der männlichen Form vorliegen, während traditionelle Frauenberufe wie Wäscherin oder Putzfrau nur in der weiblichen Form vorkommen. Es existieren aber auch Berufe mit beiden oder neutralen Bezeichnungen. Diese Deskribierungsregeln sind für eine erfolgreiche Suche unabdingbar, jedoch für die Archivbenutzer*innen nicht ersichtlich. Kombiniert mit überraschenden und publikumswirksamen Themen, welche sich aus einer Analyse der Sachdeskriptoren ergeben, wäre eine bessere Vermittlung der Sachdeskriptoren äusserst gewinnbringend.

2.3 Arbeitspraxis der Mitarbeiter*innen

Die Deskriptorensuche12 wird von den befragten Mitarbeiter*innen der Burgerbibliothek vor allem für die Suche nach einer bestimmten Person und Adresse oder nach einer bildlichen Darstellung genutzt. Besonders geschätzt werden die Möglichkeit einer systematischen Suche über mehrere Bestände und die Kombination einer Volltextsuche zur Auffindung eines relevanten Deskriptors, mithilfe dessen weitere pertinente Resultate gefunden werden könnten. Auch für den Erschliessungsprozess seien die Deskriptorendaten äusserst hilfreich, fungierten sie als zentral anpassbares, massgeschneidertes Lexikon, um Personen eindeutig zu identifizieren, um die Relevanz der Suchergebnisse besser einzuschätzen, um Ambiguitäten bei gleichen Ortsnamen zu vermeiden und um gleichnamige Familienmitglieder bereits während der Verzeichnung auseinander halten zu können.

Die Deskriptoren werden ausserdem als wichtige Dienstleistung gegen aussen beschrieben. Sie ermöglichten eine präzisere und schnellere Recherche, eine bessere Findbarkeit und steigerten den Informationsgehalt der erschlossenen Einheiten, besonders bei Korrespondenzserien. Praktisch sei zudem, dass den Benutzer*innen mittels eines einzigen Links alle relevanten Suchresultate zu einer Person übermittelt werden könnten. Die durch die Deskriptoren sichtbaren vertikalen Zusammenhänge zwischen Personen seien ebenfalls eine grosse Erleichterung für die Forscher*innen und die Normierung der Daten ermögliche eine Verknüpfung zu externen Ressourcen via metagrid.

Den Aufwand zur Erstellung der Deskriptoren numerisch zu beziffern wurde als sehr schwierig eingeschätzt. Einige Mitarbeiter*innen bezifferten den Aufwand der Deskribierung innerhalb der Erschliessung zwischen 20-30%. Die Aussagen über den Aufwand wurden oft von den Erschliessungsumständen abhängig gemacht, speziell, ob viele neue Deskriptoren angelegt werden müssten oder ob eher bestehende verknüpft werden könnten. Es wurde eingeschätzt, dass das Anlegen eines neuen Deskriptors mit dem Zeitaufwand für die Erfassung einer neuen Verzeichnungseinheit vergleichbar sei. Der Aufwand multipliziert sich jedoch, wenn viele Verweisdeskriptoren angelegt werden müssten oder eine komplexe Recherche nötig sei, um eine Person zu identifizieren oder eine Adresse zu lokalisieren.

Zur Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses gaben die Mitarbeiter*innen folgende Antworten: Alle Teilnehmer*innen stimmten dahingehend überein, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Deskribierung, zumindest in der Burgerbibliothek, stimme. Als positive Faktoren wurden der gute Erschliessungsstand der Burgerbibliothek und die detaillierte Verzeichnungstradition genannt. Unter diesen Umständen lieferte eine Deskriptorensuche nach einer bestimmten Person ein 100%-Resultat. Eine reine Volltextsuche in denselben Beständen hingegen, ergebe, durch die unterschiedlichen Schreibweisen und Gleichnamigkeit, unvollständigere oder unpräzisere Suchresultate. Durch den nur anfangs anfallenden Erstellungsaufwand und die beliebige Nachnutzung der Deskriptoren verbessere sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis ausserdem, je länger das System genutzt werde.

Als negative Punkte wurden der grosse Aufwand für die Pflege der Deskriptoren in Bezug auf ihre Einheitlichkeit sowie die Schwierigkeiten einer homogenen Anwendung der komplexen Deskribierungsregeln genannt. Weiterhin führten Inkonsistenzen und fehlende Informationen im Quellenmaterial zu grossen Arbeitsaufwänden. Ausserdem wurde festgestellt, dass die Deskriptorensuche von den Archivnutzer*innen zu wenig benutzt werde und diese eine stärkere Vermittlung erfahren sollte. Verbesserungspotenzial sehen die Teilnehmer*innen in einer regelmässigen Qualitätskontrolle, wobei gleichzeitig der dazu nötige Arbeitsaufwand als zu hoch eingeschätzt wird. Wünschenswert wäre ebenfalls eine Verbesserung der Erfassungsmechanismen in scopeArchiv, die sich momentan zeitaufwändig, unhandlich und pannenanfällig gestalteten. Ein weiteres Desiderat, welches zum Zeitpunkt dieses Artikels umgesetzt wurde, war die Einführung von gendergerechter Sprache in Bezug auf die Verweisbezeichnungen bei den Deskriptorendaten. Neu stehen die männliche und weibliche Form, also beispielsweise „Künstler/Künstlerin“ zur Verfügung.

Der Bekanntheitsgrad der Deskriptoren bei den Archivbenutzer*innen wird durchwegs als niedrig bis sehr niedrig eingeschätzt. Als nummerischer Wert wurde 5% genannt. Es wird jedoch auf den Unterschied zwischen dem grossen Publikum, das vorwiegend die Volltextsuche anwende und den routinierten Benutzer*innen hingewiesen. Letzteren sei die Deskriptorensuche durchaus bekannt. Zudem wurde mehrfach angemerkt, dass Benutzer*innen durchwegs positiv auf eine Erläuterung dieser Suchmethode reagierten und diese danach als hilfreich einschätzten. Dass diese Suche jedoch eingehender Erklärung bedarf, zeigen viele Rückmeldungen, dass Benutzer*innen weder die spezifische Eingabe der Suchbegriffe noch die Navigation innerhalb der Suchresultate als intuitiv empfinden und ohne Hilfestellung oft zu keinem brauchbaren Resultat gelangten. Allgemein wurde eingeschätzt, dass bei der Vermittlung noch grosses Verbesserungspotenzial bestehe, sei es bei Benutzeranfragen, bei Tutoriumsführungen von Geschichtsstudent*innen oder auf der Webseite, mithilfe von breiter verständlichem Vokabular bei der Beschreibung dieser Suchmethode oder mittels Erklärvideos.

Deskriptoren in anderen Archiven

Um die Vergleichbarkeit mit der Burgerbibliothek Bern zu gewährleisten, wurden spezifisch Archive für die Umfragen ausgewählt, die ebenfalls mit der Software scopeArchiv arbeiten. Umfrage A richtete sich an Archive, welche Deskriptoren verwenden und als direkter Vergleich zur Anwendungspraxis der Burgerbibliothek dienen. Umfrage B richtete sich an Archive, die sich gegen eine Erschliessung mit Deskriptoren entschieden haben.13

3.1 Archive mit Deskriptoren

Im Folgenden sollen die Ergebnisse der sechs Archive, die Deskriptoren verwenden, ausgewertet werden. Die Antworten stammen vom Schweizerischen Literaturarchiv (SLA), dem Universitätsarchiv Wien (UniarchivWien), dem Staatsarchiv Basel-Stadt (StaBS), den Archives cantonales vaudoises (ACV), von den Archives nationales de Luxembourg (ANLux) und von einem Archiv, dass die Antworten in anonymer Form zur Verfügung stellt: Anonymes Archiv (Anonym).

Fünf der sechs befragten Archive führten, wie die Burgerbibliothek Bern, bereits vor der Anschaffung von scopeArchiv, vergleichbare Datensätze, sei es in einem Vorgängersystem oder einem Zettelkatalog. Daher erstaunt es nicht, dass als Einführungsgrund mehrheitlich die Übernahme und Weiternutzung der älteren Datensätze aufgeführt wurden. Einzig die Archives nationales de Luxembourg, die kein älteres Archivinformationssystem besassen, führten die Deskriptoren im Jahr 2007 zusammen mit scopeArchiv ein. Den Vorteil, den die ANLux von Anfang an sahen, war die Ausweitung der Rechercheoptionen für die Benutzer*innen sowie die Möglichkeit zusätzliche Informationen zu Personen, Korporationen und Orten, die nicht in den Metadatenfeldern der normalen Erschliessung Platz finden, bei den Deskriptoren zu hinterlegen.

Bei einem Vergleich der Deskriptorenkategorien, zeigt sich eine durchgehende Verbreitung der Personendeskriptoren, gefolgt von den Ortsdaten und vereinzelter Verwendung anderer Arten. Das UniarchivWien verwendet fast ausschliesslich Personendeskriptoren, vor allem auch für das interne Informationsmanagement. Im StaBS werden Personen- und Ortsdeskriptoren angelegt. Die ANLux erstellen Personen-, Körperschafts- und Ortsdeskriptoren. Das SLA erfasst vor allem Personen und Körperschaften, weil dessen Nutzer*innen in erster Linien nach diesen recherchieren, aber es werden auch Orte und seltener Periodika und Familien angelegt. Das anonyme Archiv legte Personen, Institutionen, Orte (auch Strassennamen), historische Ereignisse und Sachdeskriptoren an. Die ACV deskribieren in den drei Thesauren: personnes, lieux und matières. Vergleichbar dazu ist die Praxis der Burgerbibliothek Bern mit den hauptsächlich deskribierten Indizes: Personen, Orte und Sachen.

Das Schweizerische Literaturarchiv und das Staatsarchiv Basel machten zudem Angaben zur Anzahl der Deskriptoren in den verschiedenen Kategorien. Es zeigt sich bei diesen beiden Archiven analog zur Burgerbibliothek, dass die Personen bei weitem den grössten Teil ausmachen, gefolgt von den Ortsdeskriptoren. Die Verwendung von internen Verweisen sowie von Haupt- und Verweisdeskriptoren gestaltet sich ebenfalls sehr unterschiedlich. Die Burgerbibliothek verwendet diese Funktionalität sehr ausführlich. Alle befragten Archive legen grundsätzlich solche Verknüpfungen an, die häufigste Verwendung findet sich für Namensänderungen und ältere Namensvarianten. Die ANLux hinterlegen neben der BBB als einziges Archiv Verwandtschaftsbeziehungen.

Untersucht man die Vermittlungspraxis der Deskriptoren, so zeigt sich ein einheitliches Bild über die Institutionen hinweg – die Deskriptoren werden sehr wenig oder gar nur intern vermittelt. Einzelne Archive wie die ACV und die Burgerbibliothek nutzen die Möglichkeit eines gebündelten Suchresultats für die Beantwortung von wissenschaftlichen Anfragen. Die Deskriptorensuche der ANLux ist momentan für externe Nutzer*innen aufgrund der als mangelnd eingeschätzten Datenqualität nicht einsehbar. Nach der Festlegung neuer Erschliessungsregeln und einer Datenbereinigung soll die Suche der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.

In Bezug auf den Bekanntheitsgrad der Deskriptoren bei den Archivbenutzer*innen schätzen das anonyme Archiv und das UniarchivWien diesen als sehr gering ein. Die ACV stellen zudem fest, dass die Benutzung der Deskriptorensuche sehr komplex sei und einige Erfahrung voraussetze. Aus den Rechercheanfragen kann das SLA ableiten, dass dennoch häufig auf diese Recherchemethode zurückgegriffen wird. Das StaBS hält fest, dass die Suche allgemein unbekannt sei, dass aber diejenigen Benutzer*innen, die sich diese aneignen, einen sehr grossen Mehrwert hätten. Dies deckt sich mit den Einschätzungen der Mitarbeiter*innen der BBB.

Das Kosten-Nutzen-Verhältnis schätzt das SLA als recht gut ein. Das StaBS meint, dass sich der Arbeitsaufwand in Grenzen halte, der Nutzen aber schwer zu quantifizieren sei. Das anonyme Archiv hat das Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Pflege der Deskriptoren als ungünstig eingeschätzt und daher die Weiterentwicklung eingestellt. Die ACV haben die Deskribierung in den Erschliessungsprozess integriert und schätzen den Aufwand als angemessen ein. Zudem wird die Indexierung auch als eine wichtige Grundlage für weitere Entwicklungen, wie Linked Data und den Austausch von Normdaten mit externen Ressourcen angesehen und die Deskriptorendaten werden auf eine mögliche Anwendung mit Records in Contexts analysiert. Die ANLux arbeiten momentan an einer Plattform mit anderen GLAM-Institutionen, wo Personendeskriptoren gemeinsam genutzt werden sollen. Durch eine solche Zusammenarbeit hofft man auch, die Kosten-Nutzen-Rechnung zu maximieren. Das SLA hat ebenfalls eine Verknüpfung seiner Personendaten mit metagrid, analog zu der BBB in Abklärung. Die Verknüpfung der Deskriptoren mit der Gemeinsamen Normdatei (GND) und der Ortsdeskriptoren mit Geobasisdaten ist im StaBS ein Teil des Konzepts bei der Publikation ihres Archivkatalogs als Linked Open Data. Dies wurde jedoch zum Zeitpunkt der Umfrage noch nicht umgesetzt, da der Aufbau eines „Digitalen Lesesaals“ mit einem neuen System prioritär behandelt wurde.

Zu den Verbesserungsmöglichkeiten für die Zukunft äusserten sich die teilnehmenden Archive wie folgt: Die ACV würden eine Entwicklung Richtung „systèmes multi-relationnels (ontologies)“ begrüssen. Das StaBS kritisiert den aufwändigen Abfragemodus im Query und die fehlenden Werkzeuge zur Verknüpfung von Normdateien im scopeArchiv. Einen automatischen Austausch und Verknüpfung mit der GND wünscht sich das SLA. Die ANLux bemängeln die fehlende Flexibilität bei den Metadatenfeldern im jetzigen System. Da diese nicht auf sehr einfache und schnelle Weise den wechselnden Bedürfnissen der Erschliessung angepasst werden können, müssten gewisse Metadaten in Volltextfeldern hinterlegt werden. Ein Umstand, welcher wiederum der Maschinenlesbarkeit und dem Export in andere Systeme abträglich sei.

3.2 Archive ohne Deskriptoren

In diesem Kapitel14 sollen die Antworten der Archive analysiert werden, die scopeArchiv ohne das Modul Deskriptoren nutzen. Es wurden 17 Umfragen ausgefüllt. Als Erstes wurde gefragt, ob eine Implementierung von Deskriptoren in der Vergangenheit durch die Institution diskutiert wurde. Elf der 17 Archive habe die Einführung zumindest in Erwägung gezogen oder zeitweise umgesetzt, meist zum Zeitpunkt der Migration auf scopeArchiv.

Ferner wurde nach den Gründen für diese Entscheidung gefragt und um eine Einschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses gebeten. Der mit Abstand am häufigsten genannte Grund ist der hohe Arbeitsaufwand der Deskriptoren, sowohl in der Erstellung, als auch in der Pflege dieser Datensätze. In engem Zusammenhang damit wird auch das Fehlen der nötigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen für eine langfristige Anwendung sowie die geringen Teamgrössen oder das Fehlen einer Erschliessungsabteilung genannt. Häufig wurde auch die Priorisierung anderer Aufgaben und Methoden thematisiert. In diesem Bereich vor allem der Abbau von Erschliessungsrückständen, um einen grundsätzlichen Zugang zu allen Archivalien zu gewährleisten. Weiterhin wurden die Fokussierung auf vorarchivische Aufgaben oder die Konzeption der digitalen Langzeitarchivierung genannt. Auch die Priorisierung anderer Erschliessungs- und Zugangsmethoden wurden angesprochen. Sei es die Tiefenerschliessung, die hohe Qualität der Metadaten, die Digitalisierung mit automatischer Volltextindexierung, sprich alles Massnahmen, um eine gute Verzeichnung und solide Resultate bei einer Volltextsuche zu garantieren.

Weiterhin wurde das Kosten-Nutzen-Verhältnis allgemein als ungünstig bewertet und es wurde der grosse Aufwand für die Nachbearbeitung älterer Archivbestände aufgeführt. Als zusätzliches Argument wurde vorgebracht, dass ein Eindruck falscher Vollständigkeit erweckt werden könnte, falls die Ressourcen nur die Deskribierung der wichtigsten Personen und Orte oder lediglich der aktuellen Bestände erlauben würden. Ausserdem wurde die Volltextsuche als schneller und vollständiger Zugriff auf das Archiv charakterisiert, der auch von den Archivbenutzer*innen präferiert werde. Von Verwaltungsarchiven wurde argumentiert, dass die Suche nach Provenienz und Zuständigkeiten gegenüber dem thematischen Zugriff überwiege und sich Deskriptoren eher für Archive mit Tiefenerschliessung eigneten. Zwei Archive führten die mangelhafte Flexibilität und Adaptionsfähigkeit bei den Funktionalitäten in scopeArchiv an. Beispielsweise die fehlende Aktualisierung von Einträgen oder die Unmöglichkeit einer direkten Anbindung an metagrid oder an die GND. Die Mehrsprachigkeit, bzw. der Mehraufwand durch die Übersetzung aller Deskriptoren wurde ebenfalls als Argument gegen deren Nutzung aufgeführt. Schliesslich wurde auch der hohe Aufwand für die Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen genannt.

Es wurde auch erfragt, ob die Institutionen alternative Methoden verwenden, welche dieselben Ziele wie das Modul Deskriptoren verfolgen. Als häufigste vergleichbare Methode wurde die interne Verknüpfung von Verzeichnungseinheiten genannt, z.B. die Verbindungen von verwandten Verzeichnungseinheiten und von Vorgänger- mit Nachfolgebeständen. Zudem verwenden einige Institutionen einen kontrollierten Erschliessungswortschatz und hinterlegen Informationen wie alternative Namensformen oder Orts- und Themenbegriffe bei Bildern in dafür designierten Metadatenfeldern. Ebenso werden die Volltextindexierung der Digitalisate und Metadaten als Prozesse genannt, welche dieselben Ziele wie die Deskribierung verfolgten.

Die Zukunft der Deskriptoren

Das Thema der automatischen Indexierung in der Archivwissenschaft greifen Colavizza, Ehrmann und Bortoluzzi auf und weisen auf mögliche Anwendungsfelder bei retrodigitalisierten Archivunterlagen und historischen Indexdaten hin.15 Gleichzeitig erläutert Heidrun Wiesenmüller die weiterhin bestehenden Defizite der automatischen Indexierung im Bibliotheksbereich. Beispielsweise würden Named Entities nicht erkannt werden, obwohl alle notwendigen Daten im Quellenmaterial vorhanden seien. Ihr Fazit aus der Anwendungspraxis fällt daher auch dahingehend aus, dass Menschen zwar keine zu 100% konsistenten Indexierungen erstellen würden, dass diese im Vergleich zu Computern aber wenigstens keine völlig absurden Stichworte liefern würden. Sie sieht in der Kombination mehrerer Ressourcen, wie etwa der GND, Google Maps und DBpedia eine Chance, die Erkennungsquote von Named Entities zu verbessern. 16 Lincoln, Corrin und Davis betonen, dass Archivar*innen gerade im Hinblick auf die enorme Masse an in Zukunft zu bewältigendem digitalem Archivgut auf ausgefeilte Werkzeuge angewiesen seien, welche die Arbeitsgeschwindigkeit steigerten, ohne dabei an Genauigkeit zu verlieren.17

Bezüglich der Umsetzung von Linked Open Data in Archiven, plädiert Fabian Würtz u.a. auf den Verzicht von Fliesstextelementen bei der Verlinkung von Einheiten.18 Als Vorteile des Linked Data Ansatzes für Archive nennt er die Vernetzung mit anderen Institutionen und die bessere Auffindbarkeit und Maschinenlesbarkeit der Daten. Er weist aber auch darauf hin, dass Normdaten in Bibliotheken eine lange Tradition hätten, während Archive häufig heterogen und isoliert seien und sich die Arbeit mit Archivdaten bezüglich historischer Geodaten oder notwendigen Sperrfristen komplexer gestalte.19 Weissgerber und Stettler berichten über die Entwicklung eines Datenmodells zur Implementierung von Linked Open Data in Archivinformationssystemen. Für eine praktische Umsetzung, erachten sie es als zentral, dass die Extraktion der Daten aus dem Altsystem automatisch erfolgen kann.20

Weiterhin sei es unabdingbar, die Metadaten nach ISAD(G) auf Basis eines Linked Data Modells neu zu strukturieren, um dessen netzwerkartige Struktur und die damit einhergehenden flexiblen Darstellungsmöglichkeiten auch mit den bereits vorhandenen Daten ausnützen zu können. Mit der Entwicklung des Records in Contexts Modells (RiC),21 soll die in sich geschlossene und hierarchisch aufgebaute archivische Erschliessung aufgebrochen werden.22 „In the world of relational databases, archival description is best carried out through the description of separate, but related entities and relations among them that form the inputs into the descriptive control system.”23 Das RiC Modell beschreibt also einen standardisierten Input in das System und lässt die Darstellung offen, welche abhängig von Benutzerbedürfnissen und Datenaustauschpolitik der Institutionen als klassisch, hierarchisch-lineares Findmittel oder als Graph präsentiert werden kann. Da die Beschreibung nach Records in Contexts sich stark von bisherigen Erschliessungsmethoden unterscheidet und sehr komplex ist, wird eingeschätzt, dass die Einführung des Modells längere Zeit in Anspruch nehmen und graduell vonstattengehen werde.24

Die Analyse der Deskriptoren in der Burgerbibliothek Bern und in anderen Archiven hat die Spezifitäten dieser Erschliessungsmethode aufgezeigt. Diese Form der manuellen Indexierung weist viele Elemente auf, die ebenfalls wesentliche Bestandteile der neuesten Entwicklungen im Archivbereich, wie die Records in Contexts bilden. Bei der Deskribierung zentral sind Verknüpfungen zwischen Deskriptoren und Verzeichnungseinheiten sowie zwischen Deskriptoren untereinander. Diese Verbindungen werden zusätzlich durch sogenannte „Rollen“ und „Verweise“ charakterisiert, analog zu modernen Ontologien wie dem RDF-Triple. Die Entitäten werden ausserdem in normierter Form angelegt und mit einer Deskriptorennummer eindeutig identifiziert. Die Verlinkung und auch die Beschreibung der Verknüpfung geschehen nicht via Textfelder, sondern finden mit einem standardisierten Set an „Rollen“ und „Verweisen“ via Drop-Down Listen statt.

Ein Deskriptor kann mit beliebig vielen Verzeichnungseinheiten verknüpft werden, bspw.: Person A ist „Bestandsbildnerin“ der Verzeichnungseinheiten X, Y und Z. Eine Verzeichnungseinheit kann aber auch mit demselben Deskriptor in verschiedenen Rollen verbunden werden, bspw.: Verzeichnungseinheit X enthält Korrespondenz und Porträtzeichnungen; Person A hat dabei die Rolle „Korrespondenzempfängerin“ und die Rolle „Dargestellte Person“. Die Beziehungen zwischen den Deskriptoren werden mit Verweisen beschrieben. Ein Beispiel dafür sind die Verwandtschaftsbeziehungen. Person C ist „Ehepartnerin“ von Person D. Eine zusätzliche hierarchische Komponente stellen die Verknüpfungen zwischen Hauptdeskriptoren und Verweisdeskriptoren dar. Letztere werden für unterschiedliche Namensvarianten, wie dem Ledignamen von Frauen vergeben, sind im Gegensatz zu Hauptdeskriptoren nicht verknüpfbar, helfen jedoch den gewünschten Deskriptor trotz Namensvarianten zu finden. Im aktuellen System der Burgerbibliothek finden diese Verbindungen jedoch fast ausschliesslich auf interner Ebene statt. Eine Ausnahme bildet die Verlinkung mit externen Personenressourcen via metagrid. Die normierten Personendeskriptoren werden via Archives Quickaccess mit den Beiträgen der bei metagrid teilnehmenden Institutionen zu derselben Person verlinkt.

Auch bei den Ortsdeskriptoren wird eine eindeutige Identifizierung angestrebt und technisch durch die Einbindung in hierarchische Thesaurusäste umgesetzt. So wird ein Ort der jeweiligen Einwohnergemeinde und dem Kanton zugeordnet. Eine eindeutige Lokalisierung könnte jedoch auch durch eine Verlinkung der Koordinaten via Georeferenzierung erfolgen, die überdies eine publikumswirksame Visualisierung der deskribierten Orte auf einer Karte erlauben würde. Bei dem Aspekt der Darstellung zeigt sich auch in besonderer Weise, dass das bereits vorhandene Potenzial der Deskriptoren momentan fast gar nicht genutzt wird. Die normierten Entitäten sowie die bestandsübergreifend mit Rollen definierten Verbindungen, wie sie im Records in Contexts Modell beschrieben werden, sind bereits zum Grossteil vorhanden. Die Archivbenutzer*innen sehen jedoch stets nur den klassischen hierarchischen Archivplan oder eine simple Resultatliste, welche diese Verknüpfungen und deren grossen Mehrwert nicht sichtbar machen.

Die komplexe archivische Beschreibung nach Records in Contexts, mit einer Vielzahl von Verbindungen und der Verknüpfung mit externen Ressourcen wird als Hürde zur Einführung dieses Modells gesehen. Diese Studie lässt darauf schliessen, dass die deskribierenden Archive in diesem Punkt wohl einen Vorteil haben werden, da sie bereits mit einem zeitaufwändigen Erschliessungsprozess vertraut sind und daher die Umstellung auf einer arbeitsmethodischen Ebene als nicht ganz so einschneidend empfinden dürften. Wenn es ausserdem gelingt, die existierenden Deskriptorendaten in ein modernes Datenmodell zu migrieren, werden diese einen wertvollen Grundstock an Entitäten und Verknüpfungen bilden, um damit effizient weiterarbeiten zu können. Kombiniert mit einem Wechsel in ein neues Archivinformationssystem, welches flexible Darstellungsformen und eine einfache Verlinkung mit externen Ressourcen biete, würde es den Deskriptorendaten erlauben, ihr volles Potenzial zu entfalten.

Fazit

Was sind Deskriptoren, zu welchem Zweck werden sie angelegt und wie steht es um ihre Anwendungspraxis in der Burgerbibliothek Bern und in anderen Archiven? Diese Fragestellung wurde in diesem Artikel mithilfe von Interviews und Umfragen, die sich an die Mitarbeiter*innen der Burgerbibliothek und an andere Archive in der Schweiz und im Ausland richteten, untersucht. Die Analyse des Forschungsstandes hat gezeigt, dass das Thema Indexierung in der Archivwissenschaft bisher nur sehr marginal behandelt wurde, während es im Bibliotheksbereich eine lange Tradition hat. Die neuere Literatur beschäftigt sich eher mit der automatischen Indexierung auch im Rahmen von OCR, Named Entity Recognition sowie automatischer Erkennung und Verschlagwortung von Bildinhalten.

Die Burgerbibliothek steht in einer langen Indexierungstradition und gehörte daher bei der Systemmigration nach scopeArchiv auch zu den Pionierarchiven, welche die Weiterentwicklung des Moduls Deskriptoren mittrug. Eine Systemanalyse zeigt, dass Personendeskriptoren, insbesondere von natürlichen Personen zahlenmässig die grösste Kategorie in der Burgerbibliothek ausmachen, gefolgt von Orts- und Sachdeskriptoren. Deskribiert wird grundsätzlich in allen Bereichen, wobei die unterschiedlichen Dokumentenarten und Erschliessungstiefen einen wesentlichen Einfluss auf die Art und Dichte der Deskriptoren ausüben.

Die Untersuchung der Deskriptoren im Archivinformationssystem illustrierte das enorme Potenzial der vorhandenen Daten, welches momentan unter anderem aufgrund technischer Lücken mehrheitlich ungenutzt bleibt. Es werden in der Burgerbibliothek zahlreiche Informationen, wie z.B. die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Deskriptoren oder deren Rolle gegenüber den Verzeichnungseinheiten erfasst. Durch diese Daten liessen sich komplexe Zusammenhänge zwischen den einzelnen Beständen aufzeigen. Es könnten beispielsweise „virtuelle Familienarchive“ aus den einzelnen Personendeskriptoren gebildet werden, deren Familien keine eigenen Bestände überliefert haben. Auch bei den Orts- und Sachdeskriptoren wurden unerwartete Schwerpunkte und Zusammenhänge beleuchtet, die sich für die Vermittlungsarbeit nutzen liessen.

Zu den Vorteilen der Deskriptoren zählen die eindeutige Identifizierung der Entitäten, die Normierung der Daten, die Vermeidung von Ambiguität bei den Suchresultaten, die Ermöglichung einer bestandsübergreifenden Suche, die thematische Suche nach Bildinhalten sowie die gebündelte Vermittlung der relevanten Verzeichnungseinheiten. Auf der Kehrseite verursacht die Erstellung von Deskriptoren einen grossen Arbeitsaufwand, besonders wenn für die Identifizierung einer neuen Person ein hoher Rechercheaufwand nötig ist. Die Verknüpfung eines bestehenden Deskriptors ist jedoch sehr effizient. Der Aufwand verringert sich also, je mehr Deskriptoren im System vorhanden sind. Der Bekanntheitsgrad der Deskriptorensuche wird von den Mitarbeiter*innen der Burgerbibliothek Bern als niedrig eingeschätzt. Es wird jedoch zwischen den erfahrenen Archivbenutzer*innen und dem breiten Archivpublikum unterschieden. Letzteres nutzt vor allem die Volltextsuche und hat ohne persönliche Erklärung Mühe, die Deskriptorensuche korrekt anzuwenden. An dieser Stelle gibt es grosse Verbesserungspotenziale, z.B. mithilfe publikumsnaher Texte auf der Website und Erklärvideos.

In einem komparativen Teil wurden andere Archive, welche ebenfalls das System scopeArchiv verwenden, befragt. Bei der Gruppe der Archive, welche ebenfalls Deskriptoren anlegen, führten die meisten denselben Grund für die Einführung an wie die Burgerbibliothek Bern. Sie besassen bereits ältere Datensätze, deren Funktionen und Verknüpfungen sie nach der Datenmigration weiternutzen wollten. Als Vorteile der Deskribierung wurden ebenfalls Stichworte, wie die Verbesserung der Suchmöglichkeiten, die Bildung von Normdaten sowie die Hinterlegung von Zusatzinformationen bei den Deskriptoren genannt. Die Anwendungspraxis gestaltet sich sehr unterschiedlich. Kein Archiv hat genau dieselben Kategorien von Deskriptoren. Sachdeskriptoren werden neben der Burgerbibliothek Bern nur in den Archives cantonales vaudoises erstellt. Die beiden Indizes Orte und Personen werden jedoch überall verwendet und machen auch den zahlenmässig grössten Anteil der Deskriptoren aus. Verknüpfungen werden ebenfalls von allen Institutionen erstellt, die Art und Anzahl sind aber äusserst variabel. Zum Thema Effizienz ergab sich das Urteil, dass die Deskriptoren einen grossen Arbeitsaufwand verursachen, aber auch einen grossen Mehrwert bringen. Die teilnehmenden Archive hoffen allerdings, dass der Ertrag durch technologische Innovationen wie die automatische Indexierung noch verbessert wird.

Von den Archiven ohne Deskriptoren haben die meisten eine Einführung zumindest erwogen. Der hohe Arbeitsaufwand bei der Erstellung und Pflege sowie die fehlenden Ressourcen waren die häufigsten Argumente gegen deren Implementierung. Ausserdem angeführt wurde die Priorisierung anderer Arbeiten wie der Abbau von Erschliessungsrückständen und die Retrodigitalisierung mit OCR sowie die Vermeidung einer Ungleichheit in der Erschliessungstiefe.

Die Analyse der Deskriptoren hat gezeigt, dass diese bereits viele Elemente aufweisen, die für neuere Konzepte wie die Records in Contexts zentral sind. Die Entitäten werden in normierter Form angelegt und mit einer Deskriptorennummer eindeutig identifiziert. Die Verlinkung wird mittels eines standardisierten Sets an Verknüpfungen, analog zu modernen Ontologien wie dem RDF-Triple, charakterisiert. Mit Ausnahme der über metagrid verbundenen Personendeskriptoren, sind im aktuellen System der Burgerbibliothek keine Verknüpfung mit externen Ressourcen möglich, dies auch bei den Ortsdeskriptoren, bei welche durch eine Georeferenzierung publikumswirksam auf einer Karte präsentiert werden könnten. Besonders bei der aktuellen Darstellung fällt auf, dass der grosse Mehrwert der normierten, bestandsübergreifenden und definierten Verbindungen nicht bei den Archivbenutzer*innen wahrgenommen wird, da diese lediglich den klassischen hierarchischen Archivplan oder eine simple Resultatliste vor Augen geführt bekommen.

Um diese enormen Vorteile nutzen zu können, ist es nicht nur unabdingbar ein neues Archivinformationssystem einzuführen, welches flexiblere Darstellungsformen und eine unkomplizierte Verlinkung mit externen Ressourcen erlaubt, sondern auch die bestehenden Metadaten nach Records in Contexts umzustrukturieren. Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass deskribierende Archive bei der arbeitsmethodischen Einführung des RiC Modells einen Vorteil haben werden, da sie auf ihre Erfahrungen mit einem ähnlich strukturierten und zeitaufwändigen Erschliessungsprozess zurückgreifen können. Ebenso ist es essenziell, dass eine effiziente Migration der existierenden Deskriptorendaten in ein neues Datenmodell gelingt. Dies nicht nur um die Nachnutzung der bereits geleisteten Arbeit zu gewährleisten, sondern auch um zu ermöglichen, dass dieser wertvoller Grundstock an Entitäten und Verknüpfungen für die weitere Arbeit zur Verfügung stehen wird und die Deskriptorendaten in einem neuen Archivinformationssystem ihr volles Potenzial entfalten können.

Bibliographie

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Notes

1 Untersucht werden die Deskriptoren im Modul in scopeArchiv, ein Element der manuellen Indexierung im Archivbereich. ↩︎
2 Zum Thema der automatischen Indexierung: Hertig: L’enrichissement automatique, S. 299-303. ↩︎
3 Dies beschreibt auch Coutaz in seinem wertvollen Beitrag zur manuellen Indexierung in den Archives cantonales vaudoises: Coutaz: L’indexation S. 6. ↩︎
4 Garcia: L’indexation, S. 41. ↩︎
5 Meyer zeigt anhand des Archivportals Deutschland die Möglichkeiten einer thematischen Suche durch nachträglichen Sachindizierung der Bestände auf: Meyer: Sachthematische Zugänge, S. 37-38. ↩︎
6 Decurtins, Sandro: Erschliessungskonzept, S. 157-158. ↩︎
7 Coutaz: L’indexation, S. 3-4. ↩︎
8 Befragung der Mitarbeiter*innen der Burgerbibliothek Bern. ↩︎
9 ScopeArchiv User Group: Weiterentwicklung Deskriptorenmodul, S.18-21. ↩︎
10 Ibid, S. 29-31. ↩︎
11 Die Kategorie Bibliographie/Nachlagewerke wird aktuell nur meist auf Bestandsebene vergeben. Die Eigentümer Porträt und die Johanniter werden für die interne Informationsverwaltung verwendet und sind nicht öffentlich einsehbar. ↩︎
12 Befragung der Mitarbeiter*innen der Burgerbibliothek Bern. ↩︎
13 Von den 37 Archiven (21 in der Schweiz und 16 im Ausland), welche befragt wurden, haben 24 eine Umfrage ausgefüllt. Von den restlichen 13 Institutionen, blieb die Anfrage unbeantwortet oder die Teilnahme wurde abgelehnt. ↩︎
14 Die Staatsarchive Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Bern, Freiburg, Jura, Luzern, Obwalden und St. Gallen, das Archiv des Landkreises Rostock, das Stadtarchiv Mannheim, das Landesarchiv Sachsen-Anhalt und sechs Archive, die ihre Daten in anonymer Form zur Verfügung stellten, nahmen an der Umfrage B teil. ↩︎
15 Colavizza, Ehrmann, Bortoluzzi: Index-Driven Digitization, S. 2-4. ↩︎
16 Wiesenmüller: Maschinelle Indexierung, S. 146-151. ↩︎
17 Lincoln, Corrin, Davis et al.: CAMPI: Computer-Aided Metadata Generation, S. 34. ↩︎
18 Würtz: Archival Linked (Open) Data, S. 327-328. ↩︎
19 Ibid, S. 337-341. ↩︎
20 Weissgerber, Stettler: Einsatz von Linked Data, S. 293-294. ↩︎
21 Ibid, S. 346. ↩︎
22 International Council: Records in contexts, S. 5. ↩︎
23 Ibid., S. 9. ↩︎
24 Ibid, S. 9-13. ↩︎