Vor bald 20 Jahren, im Jahr 2006, wurde der CAS/MAS ALIS, das Weiterbildungsprogramm mit dem Certificate und Master of Advanced Studies in Archival, Library and Information Science, als Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Bern und Lausanne ins Leben gerufen. Es überwindet somit bewusst die Sprachgrenze des «Röstigrabens», indem auch der Unterricht weitgehend auf Deutsch oder Französisch stattfindet. Das Programm hat sich wohl auch gerade deswegen rasch zu einem Erfolgsmodell entwickelt.
Der 9. Studiengang konnte wieder vollkommen auf Präsenzveranstaltungen und dem persönlichen Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden aufbauen. Im Gegensatz zu den beiden Studiengängen davor stand erstmals die COVID-Pandemie nicht mehr als dominierendes Thema im Raum. Diese Krise hat allerdings auch längerfristige Folgen, die gerade im Bereich der Informationswissenschaft spürbar sind. Der erste Lockdown 2020 hatte uns alle in einer Art «Crash-Kurs» mit zahlreichen neuen Kommunikationskanälen vertraut gemacht: Zoom und ähnliche Programme sind uns heute in der Berufswelt völlig vertraut geworden; Podcasts sind allgegenwärtig. Nach dem Abklingen der Pandemie und der Rückkehr zur Präsenzlehre können wir heute immer besser abschätzen, wo die Stärken und die Grenzen dieser neuen Kommunikationsformen liegen: Zeitersparnis, weniger dienstliche Reisen auf der einen Seite, Grenzen der sozialen Interaktion auf der anderen, um nur einige Aspekte zu nennen. Konkret für die Ausbildung im Rahmen der Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft relevant ist die Einsicht, wie wichtig Digitalisierung und Open Access für ein Aufrechterhalten von Forschungsarbeit geworden sind, wenn Lockdowns welcher Art auch immer den Zugang zu Archiven und Bibliotheken verunmöglichen. Aktuell ist es heute nicht mehr die Pandemie, sondern es sind diverse weltpolitische Krisen, welche die Forschung in und über manche Länder deutlich erschweren: von Russland und der Ukraine bis nach Gaza oder das wieder einmal in Bandenkriegen versinkende Kolumbien. Aus meiner eigenen Erfahrung als Historiker wurde dabei deutlich, dass die digitale Zugänglichkeit von E-Books und anderen elektronischen Ressourcen, von Archivbeständen, Repertorien, Bilddatenbanken usw. entscheidend dafür war und ist, ob akademische Arbeiten auch in Krisenzeiten vorangetrieben werden können oder nicht.
Viele der bisherigen und aktuellen Absolventinnen und Absolventen des CAS/MAS ALIS sitzen heute an den Schaltstellen dieser Digitalisierung bzw. digitalen Wissensvermittlung oder werden in Zukunft damit befasst sein. Es kommt somit eine zusätzliche Verantwortung auf diesen Berufsstand zu, den allgemeinen Digitalisierungsprozess mitzutragen und ihn bestmöglich im Austausch mit Politik und Gesellschaft auszuhandeln. Allgemein werden die Digital Humanities immer zentraler, ob im Rahmen dieses Ausbildungsprogramms, in der universitären Lehre und Forschung oder in der Praxis in Archiven, Bibliotheken, Museen und Dokumentationsstellen. Immer mehr Recherche- und Arbeitsschritte werden von Algorithmen und Linked Open Data massgeblich mitgeprägt. Large Language Models bilden die Grundlage von Tools, die unser Leben immer mehr bestimmen, von Übersetzungs- und Transkriptionssoftware bis hin zur Beschlagwortung bei Bibliothekskatalogen und Archivbeständen. Wir wissen mittlerweile nur zu gut, etwa aus den Diskussionen um Hass in den Sozialen Netzwerken und dessen (Nicht-)Eindämmung, dass es im Umgang mit den Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz gute Analysefähigkeiten und Verantwortungsbewusstsein braucht. Das Thema der «Fake News» führt uns interessanterweise an den Beginn der Historischen Hilfswissenschaften bzw. der Archiv- und Bibliothekswissenschaften zurück: Schon Daniel Papebroch betonte in seinem 1675 erschienenen Werk Propylaeum antiquarium, gleichsam dem Ausgangspunkt diplomatischer und paläografischer Forschung, das discrimen veri ac falsi, die Unterscheidung von echt und gefälscht, als Grundfrage der historischen Quellenkritik. Solide ausgebildete Spezialistinnen und Spezialisten im Bereich der Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaften werden damit weiterhin wichtig bleiben.
Der 9. Weiterbildungsstudiengang stand aber auch an der Schwelle von einem über mehrere Jahre bewährten Unterrichtsmodell und einer fundamentalen Weiterentwicklung des Kurses in administrativer und inhaltlicher Sicht. Gerade die letzten beiden Jahre waren von intensiven Bemühungen in der Studien- und Programmleitung geprägt, zunächst eine umfassende Evaluation der Kursinhalte durchzuführen, die aktuell in eine grundlegende Reform des Studienreglements einfliesst, das ab dem übernächsten, dem 11. CAS/MAS ALIS, ab 2026 in Kraft treten soll. Angestrebt wird insbesondere mehr individuelle Flexibilisierung hinsichtlich des Besuchs der einzelnen Module, um den Bedürfnissen der Teilnehmenden und deren Vorwissen bestmöglich Rechnung zu tragen.
Die Weiterentwicklung spiegelt sich auch in personeller Hinsicht wider. In der Studienleitung ist es im Laufe des letzten Studiengangs zu einem Generationswechsel gekommen. Gaby Knoch-Mund ist seit 2023 schrittweise in den Ruhestand getreten, neben der Betreuung weiterer Abschlussarbeiten wird ihre voraussichtlich letzte Tätigkeit die Mitarbeit an diesem Band der Zeitschrift «Informationswissenschaft» bilden. Ihre Aufgaben hat nun Georg Büchler übernommen, der sein Pensum deutlich aufgestockt hat; er navigiert nun zu zweit mit Amélie Vallotton Preisig den Kurs in Richtung der erwähnten Reformen.
Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass ich Gaby Knoch-Mund an dieser Stelle nochmals kurz würdige, denn schliesslich hat sie diesen Studiengang wie niemand anderer mitgeprägt. Sie war zwischen 2005 und 2023 Mitglied der Studienleitung des CAS /MAS ALIS, also von der Vorbereitungszeit für den 1. Studiengang bis zu dem nun abgeschlossenen 9. Studiengang. Sie vertrat die Studienleitung von 2014 bis 2023 auch in der Programmleitung. Sie studierte Germanistik, Musikwissenschaften, mittelalterliche Geschichte und Judaistik in Bern, Paris und Israel und hat in Bern promoviert. Ihr eigenes Zertifikat in Archiv- und Informationswissenschaft absolvierte sie an der Universität Lausanne – eine Verbindung zwischen Bern und Lausanne, die später für die Architektur dieses Studiengangs prägend wurde. Bis 1995 arbeitete sie in Forschungsprojekten des Schweizerischen Nationalfonds im Archiv- und Bibliotheksbereich, danach betreute sie bis 2005 den Bereich der Privatarchive im Schweizerischen Bundesarchiv. Von 2010 bis 2015 leitete sie das Jüdische Museum der Schweiz in Basel; anschliessend war sie bis 2019 stellvertretende Direktorin der Burgerbibliothek Bern. Von 2002 bis 2020 nahm sie verschiedene Lehraufträge in Judaistik und Historischen Hilfswissenschaften an den Universitäten Bern und Fribourg wahr; u.a. lehrte sie von 2004 bis 2015 Paläografie und Kodikologie in Fribourg. Mit Mandaten ist sie in Forschungsprojekten an der Schnittstelle zwischen Archiv, Museum und Judaistik engagiert. Sie war es auch, die in der Studienleitung des MAS und CAS ALIS immer alle Fäden zusammengehalten hat. Ihre Organisation und ihre Vorbereitung waren perfekt, das durfte ich auch als Vorsitzender der Programmleitung in all den Besprechungen zur Vorbereitung unserer Sitzungen und insbesondere während der COVID-Pandemie erfahren, als es innerhalb weniger Tage darum ging, den gesamten Kurs auf eine virtuelle Form umzustellen. Den Studierenden war sie eine grosse Hilfe, vor allem wegen ihrer hervorragenden Vernetzung in der schweizerischen Archivlandschaft und ihrer breiten Kenntnisse. Wenn es etwa um ergänzende Hinweise für Masterarbeiten oder um mögliche Praktikums- oder sonstige Stellen ging, half sie immer mit präzisen Hinweisen auf Institutionen und Ansprechpersonen. Mit ihr verlässt die letzte Vertreterin des Gründungsteams den MAS ALIS und hinterlässt für die Zukunft einen bestens aufgestellten Studiengang!
Mein Dank gebührt auch dem Redaktionsteam der Zeitschrift «Informationswissenschaft»: Neben der schon erwähnten Gaby Knoch-Mund gehörte diesem für viele Jahre (2014-2024) auch Ulrich Reimer, langjähriger Modulleiter und ehemaliger Professor an der Fachhochschule St. Gallen, an. Barbara Roth-Lochner, Archivarin und conservatrice honoraire der Bibliothèque de Genève, ehemalige Leiterin des Département des manuscrits und frühere Dozentin im MAS ALIS, fungierte 2018-2025 als Mitherausgeberin. Georg Büchler ist hingegen für diesen Band erstmals regulär im Team und wird diese Tätigkeit auch in Zukunft weiterführen. Es ist somit auch hier ein Generationswechsel im Gange.
Der CAS/MAS ALIS kann somit auf der einen Seite auf mittlerweile neun erfolgreiche Durchführungen des Weiterbildungsprogramms zurückblicken. Die in diesem Band vereinigten Beiträge – jeweils Kurzfassungen von Master- und Zertifikatsarbeiten sowie von einzelnen Hausarbeiten – zeigen die grosse Bandbreite der behandelten Themen, die präzise Arbeitsweise und den Innovationsgeist der Autorinnen und Autoren. Auf der anderen Seite sind mit dem Wechsel in der Studienleitung und der umfassenden Reform des Studienreglements spannende neue Erfahrungen für die Zukunft «vorprogrammiert» – die nächste Generation der Weiterbildung hat bereits begonnen.
Prof. Dr. Christian Rohr ist Direktor der Abteilung für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte (WSU) am Historischen Institut der Universität Bern und Vorsitzender der Programmleitung CAS/MAS ALIS. Der Text stellt eine überarbeitete und erweiterte Version der Ansprache anlässlich der Diplomfeier des 9. Studiengangs CAS/MAS ALIS (2022-2024) am 24. Januar 2025 dar.