Dieser Beitrag thematisiert die Herausforderungen bei der Sicherung und Finanzierung von Archiven der privaten Wirtschaft in der Schweiz und zeigt mögliche Lösungen auf. Anhand von Fallstudien zu vier Beständen, die im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv und im Archiv für Zeitgeschichte liegen, werden verschiedene Finanzierungsmodelle analysiert. Die Studie zeigt, wie öffentliche Institutionen und private Aktenbildner gemeinsam zur Erhaltung und Vermittlung von Verbands- und Unternehmensarchiven beitragen können. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Rolle von Public-Private-Partnerships und Crowdfunding als zukunftsträchtige Ansätze. Zudem wird die Bedeutung der Kooperation und Koordination zwischen den verschiedenen Archivinstitutionen betont, die sich für die Sicherung der Wirtschaftsüberlieferung einsetzen.
Cette contribution traite des défis liés à la sauvegarde et à la prise en charge financière des archives d’entreprises privées en Suisse et propose des solutions. À partir d'études de cas portant sur quatre fonds conservés aux Archives économiques suisses (Bâle) et aux Archives d'histoire contemporaine (Archiv für Zeitgeschichte, EPFZ, Zurich), différents modèles de financement sont analysés. L’article expose comment les institutions publiques et les producteurs de documents privés peuvent contribuer conjointement à la conservation et à la diffusion des archives d'associations et d'entreprises. Une attention particulière est accordée au rôle des partenariats public-privé et au financement participatif en tant qu'approches prometteuses. En outre, il souligne l'importance de la coopération et de la coordination entre les différentes institutions d'archives qui s'engagent à préserver le patrimoine économique.
The article addresses the challenges involved in preserving and financing private sector archives in Switzerland and suggests possible solutions. Drawing on the case studies of four collections held in the Swiss Economic Archives and the Archives of Contemporary History various financing models are analysed. The study shows how public and private record institutions can work together to preserve archives of businesses and organisations and make them accessible. Particular attention is paid to the role of public-private partnerships and crowdfunding as promising approaches for the future. In addition, the article emphasises the importance of cooperation and coordination between the various archival institutions engaged in preserving the country’s economic heritage.
Unternehmen und Verbände prägen nicht nur die regionale, nationale und internationale wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch den Alltag der meisten Menschen. Ihre Archive oder auch Nachlässe einzelner, für das Wirtschaftsgeschehen zentraler Personen und Familien bilden breite gesellschaftliche Realitäten ab und enthalten Informationen, die für das Verständnis der Wirtschafts- und Sozialgeschichte und damit der Kultur im Allgemeinen unerlässlich sind.1 Informationen, die in solchen Archiven lagern, können daher als Kulturgut betrachtet werden und sind nicht nur für das Unternehmen oder den Verband selbst von Bedeutung, sondern auch für die allgemeine Öffentlichkeit und insbesondere für die historische Forschung.2 Im Gegensatz zur staatlichen Überlieferung fehlen in der Schweiz allerdings die gesetzlichen Grundlagen, also etwa langfristige Aufbewahrungs- und Offenlegungspflichten, sowie «Auffangbecken», wie sie in anderen Ländern existieren, um eine möglichst lückenlose Sicherung solcher Privatarchive zu gewährleisten.3
Archive der privaten Wirtschaft finden sich im föderalen System der Schweiz etwa in Stadt- oder Staatsarchiven. Auch gibt es zahlreiche professionell geführte Unternehmensarchive oder Spezialarchive wie etwa das Schweizerische Wirtschaftsarchiv (SWA) und das Archiv für Zeitgeschichte (AfZ), die sich um grössere und regelmässige Übernahmen von Wirtschaftsakten bemühen, sowie Museen oder Bibliotheken, die über solche Unterlagen verfügen.4 Oft sind Unternehmens- oder Verbandsarchive aber gefährdet, weil keine Ressourcen für die Sicherung, Konservierung und Zugänglichmachung vorhanden sind. Zu diesem Tatbestand trägt bei, dass in Unternehmen und Verbänden das Archiv einen oft geringen Stellenwert einnimmt und dem Management das Bewusstsein für den Wert dieser historischen Unterlagen fehlt.5 Doch welche finanziellen, personellen und räumlichen Ressourcen sind nötig, um einen Bestand zu sichern, zu erschliessen und zu vermitteln? Welche Finanzierungsmodelle bieten sich an, und welche Möglichkeiten haben nicht staatliche Archive etwa im Bereich der Drittmitteleinwerbung? Inwiefern müssen oder sollen sich Aktenbildner an den Kosten beteiligen? Diesen Fragestellungen wird hier nachgegangen, wobei die Finanzierungsmodelle für die Übernahme von je zwei Beständen aus dem SWA und dem AfZ analysiert werden.
Doch zuerst gilt es, das Konzept der Überlieferungsbildung im Verbund und den Umgang mit nicht staatlichem Archivgut in der Schweiz näher zu betrachten. Die spezifische Geschichte einer Region respektive der Schweiz wird in kommunalen und staatlichen Archiven sowie im Bundesarchiv dokumentiert. Diese Archive dienen der lokalen, regionalen und der nationalen Identität und sind neben Bibliotheken und Museen Orte und Träger der kollektiven Erinnerung.6 Doch staatliches Archivgut alleine kann keine pluralistische Gesellschaft spiegeln. Wie der deutsche Archivar und Historiker Robert Kretzschmar festhält, sind daher um die Jahrtausendwende neben dem «klassischen Archivgut» vermehrt Sammlungsbestände, die etwa von kommunalen oder staatlichen Archiven angelegt wurden, und Bestände aus dem privaten Bereich in den Fokus von Archivarinnen und Archivaren geraten.7 Diese sogenannte Ergänzungsüberlieferung kann Lücken in der staatlichen Überlieferung schliessen. Auch in der Schweiz hat das gewachsene Interesse an solchen Beständen zur Gründung weiterer Spezialarchive geführt, die sich neben den öffentlich-rechtlichen Archiven gezielt der Archivierung privater Bestände widmen.
Ein zentrales Ergebnis der Fachdiskussion in den 1990er-Jahren ist der ambitionierte Ansatz, Überlieferungsbildung als eine archivübergreifende Aufgabe zu verstehen. Das Konzept der Überlieferungsbildung im Verbund sieht vor, dass sich «Archive der verschiedensten Träger überall dort abstimmen, wo es Überschneidungen und Berührungspunkte gibt», um so die Qualität des Archivguts zu erhöhen.8 Das erlaubt es im Fall von privaten Überlieferungen, mittels sogenannter Dokumentationsprofile und publizierter Sammlungskonzepte die geeignetste Archivinstitution zu eruieren und so die Sicherung gefährdeter Unterlagen zu gewährleisten – vor allem dann, wenn Unternehmen fusionieren oder schliessen und rasches Handeln gefordert ist.9 Wie die Historikerin und frühere Leiterin des SWA, Johanna Gisler, in ihrer 2006 veröffentlichten Studie aufzeigen konnte, verfügten in der Schweiz zu diesem Zeitpunkt jedoch die wenigsten staatlichen Archive über ein Sammlungskonzept, das die Übernahme von Privatarchiven geregelt hätte. Auch fehlt meist ein spezifischer gesetzlicher Auftrag zur Übernahme von Privatarchiven, sodass der Erhalt von Wirtschaftsakten in der Regel dem Zufall überlassen bleibt.10 Etwas anders präsentiert sich die Lage in den Spezialarchiven: Sie betreiben, wenn möglich, eine aktive Akquisitionspolitik. Ihre Übernahmen erfolgen gezielt und sind konzeptionell abgestützt.11
Wie in staatlichen Archiven sind die Ressourcen für die Sicherung, Konservierung und Zugänglichmachung privater Bestände auch in Spezialarchiven meist knapp. Daher haben in der Schweiz auch Archive begonnen, Fundraising zu betreiben.12 Als zukunftsträchtiges Modell bietet sich zudem die Verteilung der Kosten auf mehrere Geldgeber sowie die Zusammenarbeit von öffentlichen Institutionen und Privaten an. Die Arbeitsgruppe Archive der privaten Wirtschaft des Vereins Schweizerische Archivar:innen (VSA) hat 2013 ein auf Public-Private-Partnership fussendes Modell vorgeschlagen, das auf Objektfinanzierung abzielte und zudem die Koordination zwischen den einzelnen Archivinstitutionen verbessert hätte. Das Modell wurde nach ersten Sondierungsgesprächen jedoch nicht weiterverfolgt.13
Das Aufbringen von Ressourcen für die Wirtschaftsüberlieferung bleibt also eine Herausforderung. Die Koordination und die Kooperation zwischen den einzelnen Archivinstitutionen konnten seit der Jahrtausendwende jedoch verbessert werden. So ermöglichen publizierte Sammlungskonzepte, dass sich die Institutionen voneinander abgrenzen und nicht in Konkurrenz zueinander treten.14 Dazu beigetragen hat massgeblich die soeben erwähnte und seit 1993 bestehende Arbeitsgruppe Archive der privaten Wirtschaft des VSA, die etwa Weiterbildungen organisiert, Empfehlungen für Verbandsmitglieder herausgibt und spezifische Publikationen und Werkzeuge für die Arbeit mit Wirtschaftsakten erarbeitet.15
Blickt man ins europäische Ausland, so waren in den letzten Jahren auch dort Vernetzung, Informationsaustausch und Kooperation die zentralen Themen. In Grossbritannien etwa wurde 2009 die National Strategy for Business Archives präsentiert, die vom Business Archives Council, vom National Archives of the United Kingdom und von der Archives and Records Association ausgearbeitet worden war und zum Ziel hatte, die Sicherung von Wirtschaftsarchiven zu fördern und das Bewusstsein für den Wert dieser Unterlagen zu steigern.16 In Deutschland fördert neben der Fachgruppe für Wirtschaftsarchive des Verbands deutscher Archivarinnen und Archivare vor allem die bereits 1957 gegründete Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare das Archivwesen der Wirtschaft und leistet Netzwerkarbeit.17 Und in Frankreich ist heute in erster Linie das 1993 in Roubaix eröffnete Archives nationales du monde du travail (ANMT) für die Wirtschaftsüberlieferung zuständig. Das ANMT ist dem Kulturministerium angegliedert und übt eine nationale Koordinations- und Beratungsfunktion aus. Es steht im Austausch mit den Departements- und Stadtarchiven, die sich um die regionale und lokale Sicherung von Wirtschaftsbeständen kümmern.18
In der Schweiz sind private Aktenbildner nicht verpflichtet, ihre Unterlagen langfristig aufzubewahren.19 Dennoch gibt es zahlreiche professionell geführte Unternehmensarchive wie etwa diejenigen von Roche, Nestlé oder Pictet & Cie SA. Es sind in erster Linie die grossen Unternehmen, die professionelle Archive betreiben. Den für die Schweizer Wirtschaft zentralen KMU oder noch kleineren Betrieben fehlen aber meist die Ressourcen, um selbst ein Archiv pflegen zu können. Für diese Unternehmen bietet sich die Zusammenarbeit mit öffentlichen Institutionen an.20
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts haben sich zwei Institutionen mit öffentlicher Trägerschaft auf Wirtschaftsakten spezialisiert: das 1910 in Basel gegründete SWA, das heute zugleich als Archiv und Dokumentationsstelle fungiert und zusammen mit der UB Wirtschaft Teil der Universitätsbibliothek Basel ist, und das seit 1966 bestehende AfZ in Zürich, heute Teil des Instituts für Geschichte der ETH Zürich. Die beiden Institutionen sind eine wichtige Anlaufstelle bei Archivierungsfragen, leisten Sensibilisierungsarbeit in Bezug auf die Bedeutung der Wirtschaftsüberlieferung und stehen diesbezüglich im Austausch mit der Wirtschaft und weiteren Archiven. In Zusammenarbeit mit dem VSA sind sie für die wirtschaftsarchivische Aus- und Weiterbildung zuständig und pflegen zudem den Kontakt zu Lehre und Forschung.21 Im Folgenden sollen die Finanzierungsmodelle für die Übernahme von je zwei Beständen aus dem SWA und dem AfZ aufgezeigt werden.22
Der eine Bestand, der 2021 vom SWA als Depositum übernommen wurde und hier aufgegriffen wird, ist derjenige der British-Swiss Chamber of Commerce (BSCC).23 Die noch aktive Handelskammer wurde 1920 gegründet und ist gemäss den Angaben auf der Verbandswebsite eine unabhängige NGO, deren Mitglieder aus der Schweiz, Liechtenstein und dem Vereinigten Königreich stammen. Die BSCC fördert den Dialog und die Vernetzung unter Geschäftsleuten und will den wirtschaftlichen Austausch zwischen den Ländern erleichtern.24 Der Bestand umfasst aktuell etwa drei Laufmeter und enthält unter anderem Statuten, Jahresberichte, Protokolle der Generalversammlungen, Mitglieder- und Gönnerlisten sowie verschiedene Korrespondenzen. Entstanden sind die Unterlagen zwischen 1921 und 2007.25
Die BSCC hat den Bestand dem SWA anvertraut, um ihn unter Einhaltung der vereinbarten Zugangsregelung einer breiteren Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich zu machen. Vor der Übergabe ordnete die Depositärin die Unterlagen grob und erstellte ein Verzeichnis. Sie übernahm auch den Transport ins Archiv. Die Kosten für die Erschliessung, die archivische und bibliothekarische Bearbeitung sowie für die Verpackung gingen zulasten des SWA. Die Depotführung, die Sicherstellung der Benutzung und allgemeine bestandserhaltende Massnahmen werden der BSCC durch das SWA jährlich in Rechnung gestellt. Sollte die BSCC das Depositum zurückziehen, so hat sie dem SWA eine angemessene Entschädigung «für Aufwändungen, welche für die Unterlagen von bleibendem Wert sind, namentlich für konservatorische Investitionen», zu bezahlen, wobei die Findmittel auf jeden Fall Eigentum des SWA bleiben. Weiter ginge der Bestand bei der Auflösung des Verbands ohne Rechtsnachfolge in den Besitz des SWA über.26
Die Kosten für die Sicherung dieses eher kleinen Bestands konnten zwischen der BSCC und dem SWA also aufgeteilt werden. Drittmittel wurden keine eingeworben. Anders präsentiert sich die Lage beim nächsten Beispiel.
1888 wurde in Neuhausen am Rheinfall die Aluminium-Industrie-Aktien-Gesellschaft (AIAG), das erste Aluminiumwerk Europas, gegründet. Das Unternehmen eröffnete im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts Werke in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wo es im Wallis zu einem der wichtigsten Arbeitgeber wurde. Im Jahr 2000 wurde die damalige Alusuisse Group an die kanadische Alcan verkauft, die 2007 wiederum vom Bergbaukonzern Rio Tinto übernommen wurde. In der Schweiz firmiert die ehemalige AIAG heute als Alcan Holdings Switzerland AG.27
Der Bestand der Alusuisse wurde vom SWA zwischen 2014 und 2019 in mehreren Akzessionen übernommen. Er enthält Manuskripte, Druckschriften, Karten-, Film- und Bildmaterial aus den Jahren 1853 bis 2009 und wurde im Rahmen der Bewertung auf etwa 250 Laufmeter reduziert. Die «Übernahme eines Archivbestandes in der Grösse des Alusuisse-Archivs» stellte das SWA «vor Kapazitätsgrenzen räumlicher und finanzieller Natur».28 Daher wurde 2013 eine Interessensgemeinschaft gebildet, die aus Einzelpersonen aus dem Umfeld der ehemaligen Alusuisse, einem Wirtschaftsjournalisten, einem Professor für Neuere Allgemeine Geschichte und der Leitung des SWA bestand. Die Projektleitung übernahm das SWA. Die Kosten für die Sicherung des Alusuisse-Archivs (Hauptbestand), die sich schliesslich auf einen sechsstelligen Betrag im unteren mittleren Bereich beliefen, konnten zwischen dem Nachfolgekonzern Alcan Holdings Switzerland AG/Rio Tinto Alcan, verschiedenen Lotteriefonds und dem SWA aufgeteilt werden.29 Darin enthalten waren die Projektleitung inklusive Fundraising, die von einem externen Archivdienstleister vorgenommene Ordnung, die Bewertung (auf Basis der SWA-Vorgaben), die Erstellung der Findmittel und die passive Konservierung sowie die Magazinierung und Benutzung (Lesesaal, Beratung) berechnet auf zehn Jahre.30
Im Jahr 2010 übergab die Siemens Schweiz AG dem AfZ als Schenkung einen umfangreichen Bestand. Er beinhaltet das etwa 233 Laufmeter umfassende historische Archiv der Landis & Gyr (1896–1998).31 Das 1896 in Zug gegründete Unternehmen entwickelte sich in den 1920er-Jahren durch die Expansion ins Ausland und dank der Übernahme von Konkurrenten zum weltweit wirkenden Elektrokonzern. Um 1970 beschäftigte es um die 14 000 Personen, davon etwas mehr als 5000 in Zug, musste gegen Ende des Jahrzehnts aber wiederholt restrukturiert und redimensioniert werden. 1995 wurde Landis & Gyr an die Elektrowatt AG verkauft, die 1998 wiederum an die Siemens AG gelangte.32
Das Unternehmensarchiv, das neben Manuskripten und Druckschriften eine umfangreiche audiovisuelle Sammlung enthält und seit 2009 im Schweizerischen Inventar der Kulturgüter von nationaler Bedeutung gelistet ist, wurde vor der Überführung ins AfZ von einem Archivdienstleister bereits vollständig erschlossen und als geschlossenes Archiv von der Elektrowatt AG/Siemens AG geführt. Aus pragmatischen Gründen übernahm das AfZ den Bestand, ohne die Strukturierung und die Dossierbildung an die eigenen Erschliessungsrichtlinien anzupassen. Nach der Datenmigration in die Archivdatenbank des AfZ erfolgten formale Überarbeitungsschritte. Das Material wurde zudem in archivtaugliche Mappen und Schachteln umverpackt und mit neuen Signaturen versehen. Der 123 Laufmeter umfassende audiovisuelle Teilbestand wurde dabei vom Papierbestand abgetrennt.33
Für die Umzugskosten des Archivs von Zug nach Zürich kamen die Siemens Schweiz AG sowie die ehemaligen Besitzerfamilien auf. Die ETH-Schulleitung willigte ihrerseits in die Übernahme der künftigen Infrastrukturkosten für die Lagerung und die Bewirtschaftung des Bestands ein. Zudem äufneten die ehemaligen Besitzerfamilien einen Archivierungs- und Forschungsfonds zum Unternehmensarchiv. Damit wurden neben Archivierungsarbeiten auch erste Projekte, welche die Geschichte und die Bedeutung der Landis & Gyr im regionalen, nationalen und internationalen Kontext erforschten und vermittelten, in Angriff genommen.34 Dank des gemeinsamen Engagements von privater und öffentlicher Hand konnte so ein Unternehmensarchiv, das zahlreiche Aspekte der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte dokumentiert, gesichert und für die Forschung geöffnet werden.
Seit 1999 treten der Verein Schweizerischer Maschinen-Industrieller (VSM, gegründet 1883) und der Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinen- und Metall-Industrieller (ASM, gegründet 1905) unter der Marke Swissmem auf. Die rund 160 Laufmeter umfassenden Verbandsarchive, die unter anderem Statuten, Protokollserien, Korrespondenzen und Jahresberichte enthalten, dokumentieren die Geschichte der schweizerischen Maschinenindustrie und ihrer Branchen seit 1883.35
Als Swissmem 2012 plante, den langjährigen Geschäftssitz im Zürcher Seefeld aufzugeben, kontaktierte die Verbandsleitung das AfZ. Nachdem zwischenzeitlich auch die Entsorgung der historischen Verbandsarchive des VSM und des ASM in Betracht gezogen worden war, willigte der Vorstand und die Geschäftsleitung von Swissmem schliesslich ein, den Bestand dem AfZ zu schenken, «trotz getrübter Konjunkturlage» die Hälfte der Archivierungskosten zu übernehmen und dafür einen Betrag von 185 000 Franken aufzubringen.36 Der «sorgfältig» gepflegte Bestand wurde im Oktober 2012 ins AfZ überführt, wo im Rahmen der Erschliessung die vorgefundene Ordnungsstruktur mehrheitlich übernommen wurde.37
Das als Depositum dem SWA anvertraute Archiv der BSCC, das umfangreiche Unternehmensarchiv der Alusuisse, das mittels Projektfinanzierung gesichert werden konnte, das auch an audiovisuellem Material reiche Landis & Gyr-Archiv, das unter anderem dank der Einrichtung eines Archivierungs- und Forschungsfonds gesichert und in verschiedenen Projekten bereits vermittelt werden konnte, oder die historischen Bestände von Swissmem, an deren Sicherung sich der Verband hälftig beteiligte: Anhand dieser vier Beispiele konnte skizzenhaft aufgezeigt werden, wie dank des gemeinsamen Engagements eines öffentlichen Archivs und privater Aktenbildner die Übernahme von Wirtschaftsbeständen finanziert werden kann. In allen vier Fällen beteiligten sich die Aktenbildner respektive deren Rechtsnachfolger an den Kosten zur Sicherung, Erschliessung und Vermittlung ihrer Archive. Sie bezeugten so sowohl ihr Vertrauen in die Dienstleistungen der Archivinstitutionen und in die wirtschaftshistorische Forschung wie auch ihren verantwortungsvollen Umgang mit dem kulturellen Wirtschaftserbe.
Wie Irene Amstutz, die Leiterin des SWA, betont, darf angesichts von grossen Leuchtturm-Projekten – zu denen die Archive von Alusuisse und Landis & Gyr gehören – aber nicht vergessen werden, dass zahlreiche kleinere und mittlere Wirtschaftsbestände oder Einzelstücke von Stadt-, Staats- oder Spezialarchiven übernommen werden, ohne dass sich die Aktenbildner oder Dritte an den Kosten beteiligen. Die Sicherung, die Erschliessung und die Vermittlung werden in diesen Fällen «meist und (letztlich) mit staatlichen Mitteln» finanziert.38 Vor allem bei verwaisten Archiven fällt der Aktenbildner als Finanzierungspartner weg und kann auch im vorarchivischen Bereich kaum mehr verpflichtet und angeleitet werden, die Unterlagen zu ordnen oder ein grobes Verzeichnis zu erstellen.
In den letzten Jahren hat sich eine neue Ausprägung des Online-Fundraisings zunehmender Beliebtheit erfreut. Crowdfunding, definiert als «online, open, public and purposeful fundraising for a specific project and most often for a specific capital goal», wird in der Schweiz von Organisationen, Privatpersonen und Unternehmen für die Finanzierung von kommerziellen wie auch nicht-kommerziellen Projekten eingesetzt.39 Das mit Crowdfunding erzielte Spendenvolumen ist verglichen mit demjenigen des klassischen Fundraisings zwar gering. Auch darf der zeitliche und personelle Aufwand von Crowdfunding-Projekten nicht ausser Acht gelassen werden. Doch zeigen Daten aus den USA, dass Archive und Bibliotheken aufgrund ihrer «community-based nature» solche Projekte mehrfach erfolgreich umgesetzt haben.40 Das SWA beispielsweise hat keine Erfahrung mit Crowdfunding. Im Rahmen des auf mehrere Jahre angelegten Projekts «Digitalisierte Zeitungsausschnittsammlung der Schweizer Wirtschaft 1850–2012» können interessierte Personen oder Unternehmen aber einzelne Dossiers auswählen und diese mit ihrer Spende digitalisieren lassen.41
Es wäre sicherlich einen Versuch wert, auch Crowdfunding zur (teilweisen) Finanzierung eines Erschliessungs- oder Vermittlungsprojekts einzusetzen, wenn die Aktenbildner nicht mehr eingebunden werden können und weitere Drittmittel ausgeschöpft sind, zumal über Crowdfunding-Plattformen neue Geldgeber – sowohl private Personen als auch Stiftungen – angesprochen werden können, die am Erhalt ausgewählter Unternehmens- und Verbandsarchive interessiert sein sollten.
Unterlagen PA 600
– «Archivierungsvertrag»
– «Budget Sicherung Archiv Alusuisse/Alcan Holdings Switzerland (AHS)»
– «Factsheet Projekt Sicherung Alusuisse Archiv»
– «Magazinierung und Sicherstellung der Benutzung des Archivs der Alusuisse»
– «Projektabrechnung Sicherung des Archivs der Alusuisse»
Unterlagen PA 632
– «Depositumsvertrag PA 632 British-Swiss Chamber of Commerce»
Unterlagen Archiv Landis & Gyr
– Medienorientierung «Übernahme des historischen Firmenarchivs der Landis & Gyr durch das Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich (AfZ) und daraus folgende Projekte», 7.7.2011
– «Schenkungsvertrag Unternehmensarchiv Landis & Gyr AG»
Unterlagen Archiv Swissmem
– «Schenkungsvertrag Swissmem»
– Jahresbericht AfZ 2012