Koloniale Bildwelten und archivethische Verantwortung im digitalen Raum

Überlegungen zur Präsentation kolonialer Fotografien in Online-Katalogen und Portalen

Heidi Brunner

Schweizer Gedächtnisinstitutionen bewahren in ihren Beständen Fotografien, die in kolonialen Kontexten entstanden sind und zu deren Legitimierung und Aufrechterhaltung beigetragen haben. Der vorliegende Artikel fragt nach der archivethischen Verantwortung, die mit der Zugänglichmachung dieses sensiblen Kulturerbes über Online-Kataloge, virtuelle Lesesäle und Portale einhergeht. Anlehnend an Ansätze einer postkolonialen Care-Ethik werden ethische Fragen zur Online-Präsentation kolonialer Fotografien anhand der archivethischen Verantwortung von Archivar:innen gegenüber Fotograf:innen, Fotografierten, Nutzer:innen und der Gesellschaft beleuchtet. Daran anschliessend werden konkrete Praktiken und Strategien für eine möglichst ethische und dekoloniale Gestaltung von Online-Zugängen zu kolonialen Fotografiebeständen in Schweizer Gedächtnisinstitutionen vorgeschlagen.

Les institutions de mémoire suisses conservent dans leurs fonds des photographies qui ont été prises dans des contextes coloniaux et qui ont contribué à leur légitimation et à leur maintien. Cet article s'interroge sur la responsabilité éthique des archives qui accompagne la mise à disposition de ce patrimoine culturel sensible via des catalogues en ligne, des salles de lecture virtuelles et des portails. En s'appuyant sur les approches d'une éthique postcoloniale soucieuse de l’autre, les questions éthiques relatives à la présentation en ligne de photographies coloniales sont considérées sous l’angle de la responsabilité des archivistes envers les photographes, les photographié.e.s, les usagères et les usagers, enfin envers la société. Des pratiques et des stratégies concrètes sont proposées pour une conception aussi éthique et décoloniale que possible de l'accès en ligne aux fonds photographiques coloniaux dans les institutions de mémoire suisses.

In their collections Swiss memory institutions keep photographs that were created in colonial contexts and thus have contributed to their legitimisation and continuation. This study examines the ethical responsibility of archives that goes hand in hand with making this sensitive cultural heritage accessible via online catalogues, virtual reading rooms and portals. Drawing on approaches of a postcolonial ethics of care, ethical questions regarding the online presentation of colonial photographs are examined on the basis of the ethical responsibility of archivists towards photographers, the people photographed, users and society. Subsequently, concrete practices and strategies for the most ethical and decolonial design of online access to colonial photography collections in Swiss memory institutions are proposed.

Einleitung

Schweizer Gedächtnisinstitutionen nutzen Onlinekataloge, virtuelle Lesesäle, Portale und andere Online-Zugänge, um Metadaten und digitalisierte Primärdaten verfügbar zu machen. Historische Fotografien werden in grossen Mengen digitalisiert und online gestellt, darunter auch Bilder, die in kolonialen Kontexten entstanden sind. Online-Zugänge gelten dabei als effektives Mittel für eine möglichst breite Zugänglichkeit. Gleichzeitig stellen sich ethische Bedenken und Fragen, wenn kolonial geprägte Fotografien aus dem Archiv im digitalen Raum in Umlauf gebracht werden. Tragen Archive damit zur Aufrechterhaltung und Reproduktion kolonialer und rassistischer Sichtweisen und Machtverhältnisse bei? Stellt die Reproduktion der Bilder eine erneute Form kolonialer Machtausübung dar? Sollen und dürfen Bilder, bei denen unklar ist, unter welchen Umständen die abgebildeten Personen fotografiert wurden, heute weiterverbreitet werden? Die Diskussion solcher Fragen befindet sich in der schweizerischen Archivlandschaft erst in den Anfängen, was zur Folge hat, dass ethische Herausforderungen oft erst nach der Digitalisierung und kurz vor oder gar Jahre nach der erfolgten Online-Stellung angegangen werden.

Vor diesem Hintergrund befasst sich der vorliegende Artikel mit folgender Fragestellung:

Wie sollen Gedächtnisinstitutionen in der Schweiz den Online-Zugang zu Fotografien aus kolonialen Kontexten gestalten? Was muss dabei aus archivethischer Perspektive beachtet werden? Welche Möglichkeiten und Grenzen bieten unterschiedliche Strategien und Praktiken hinsichtlich einer ethisch verantwortungsvollen und dekolonialen Gestaltung von Online-Zugängen?

Im Gegensatz zu technischen und rechtlichen Aspekten von Online-Zugängen werden ethische Fragen in der Schweiz bislang wenig diskutiert. So werden in den vom Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (VSA) herausgegebenen Unterlagen zu Portalen und virtuellen Lesesälen ethische Aspekte nicht erwähnt.1 Der 1998 vom VSA angenommene «Kodex ethischer Grundsätze für Archivarinnen und Archivare» betont die Förderung eines «liberalen Zugangs» unter Vorbehalt datenschützerischer und persönlichkeitsrechtlicher Einschränkungen, enthält aber noch keine Aussagen zu digitalen Zugängen.2 Ich argumentiere in Bezug auf Fotografien aus kolonialen Kontexten, dass bei der Schaffung von Online-Zugängen nicht nur technische und rechtliche, sondern auch ethische Fragen zu beachten sind.

Dass diesbezüglich Diskussions- und Handlungsbedarf besteht, zeigt sich auch in der Archivpraxis. Das Thema wird zunehmend von Studierenden, Archivnutzenden und Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft sowie von Archivar:innen selbst in die Institutionen getragen, wo neben einer gewissen Verunsicherung ein wachsendes Bedürfnis nach neuen Strategien und Leitlinien zu beobachten ist.

Nicht zuletzt ist die Fragestellung relevant im Hinblick auf Debatten zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in europäischen Gedächtnisinstitutionen. Fotografien sind dabei nicht nur Hilfsmittel zur Zurückverfolgung der Provenienzen musealer Objekte, sondern werden selbst zu Objekten der Provenienzforschung und Restitution.3 Sarr und Savoy verweisen in ihrem wegweisenden Bericht zur Restitution afrikanischer Kulturgüter auf die Wichtigkeit der digitalen Zugänglichkeit zu und allfälligen Rückgabe von Fotografien und anderen Archivalien.4

Zur Beantwortung der Eingangsfragestellung werden anhand der einschlägigen Literatur archivethische Herangehensweisen sowie konkrete Strategien und Praktiken herausgearbeitet. Punktuell werden Erfahrungen aus der archivischen Tätigkeit der Autorin bei den Basler Afrika Bibliographien (BAB) und der Veröffentlichung von Fotografien aus dem BAB Archiv im Portal for African Research Collections (PARC)5 hinzugezogen sowie ausgewählte Beispiele von Onlinekatalogen und Portalen. Doch wird keine Repräsentativität für die schweizerische Archiv- bzw. Museumslandschaft angestrebt.

Der Artikel hat nicht den Anspruch, ethische Leitlinien, best practices oder abschliessende Antworten zu formulieren. Vielmehr soll er einen Überblick liefern über bestehende Ansätze, Ideen und Vorschläge, die von den Institutionen entsprechend ihrer jeweiligen Situation aufgegriffen, adaptiert und weiterverfolgt werden können.

Forschungskontext und Begriffsklärungen

Der Artikel verfolgt den Versuch einer Synthese von geistes- und kulturwissenschaftlichen sowie künstlerischen Auseinandersetzungen mit Kolonialfotografie und Archiven mit Ansätzen aus den Archivwissenschaften. In den letzten fünf bis zehn Jahren entstanden verschiedene archivwissenschaftliche Publikationen zur Online-Präsentation von Fotografien aus kolonialen Kontexten. Ein Teil dieser Arbeiten bezieht sich auf den Umgang mit dem Kulturerbe von und dem Verhältnis zu Indigenen6 Gemeinschaften und Nationen insbesondere in Australien, Kanada und den USA.7 Andere Arbeiten entstanden als Reaktion auf die Digitalisierung und Online-Stellung kolonialer Bildsammlungen ehemaliger europäischer Kolonialmächte wie Dänemark, die Niederlande, Frankreich und Deutschland.8 Ebenso befassen sich die Archivwissenschaften zunehmend mit allgemeineren ethischen Fragen in Bezug auf die Veränderungen des Arbeitsumfeldes durch die digitale Transformation.9

Diese Arbeiten beziehen Erkenntnisse aus dem archival turn10 sowie postkolonialer, feministischer und queerer Theoriebildung, der Digital Humanities und Critical Race Theory mit ein und lassen sich zu einem Grossteil im Umfeld der Critical Archival Studies verorten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Archive nicht als neutrale Aufbewahrungsorte gesellschaftlicher Erinnerung betrachten, sondern deren Rolle in Bezug auf die Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit und die Schaffung sozialer Gerechtigkeit in den Blick nehmen. Sie untersuchen unter Anderem, wie archivische Tätigkeiten (post)koloniale Machtstrukturen fortführen oder untergraben können.11 Der vorliegende Artikel verortet sich innerhalb der Critical Archival Studies insofern er nach der gesellschaftlichen und ethischen Verantwortung von Archiven und deren Potential, post- und dekoloniale Öffentlichkeiten12 mitzugestalten, fragt.

2.1 Fotografie und Kolonialismus

Unter den von mir weitestgehend synonym verwendeten Bezeichnungen «koloniale Fotografien» und «Fotografien aus kolonialen Kontexten» verstehe ich fotografische Materialien aller Art, welche unter von kolonialen Machverhältnissen geprägten Bedingungen entstanden sind und koloniale und/oder rassistische Blickweisen repräsentieren.13 Die Bezeichnung «koloniale Kontexte» hat sich im deutschsprachigen Raum im Rahmen der Provenienzforschung etabliert.14 Der Begriff bezeichnet zeitliche und geographische Räume formaler Kolonialherrschaft, sowie über diese hinaus wirkende, von kolonialen Machtverhältnissen geprägte, Prozesse und Strukturen.15 Diese Offenheit trägt wesentlichen Erkenntnissen der postcolonial studies Rechnung, wonach die Wirkmächtigkeit kolonialer Machtverhältnisse und Denkmuster weit über das Ende der formalen Kolonien hinaus besteht und auch Länder betrifft, die, wie die Schweiz, keine Kolonien besassen.16 Die vielfältigen kolonialen Verstrickungen der Schweiz und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart sind seit rund zwanzig Jahren Gegenstand historischer Forschung.17 Exotisierende, rassifizierende und kolonial geprägte visuelle Darstellungen von aussereuropäischen Regionen und Menschen bildeten auch hierzulande seit der Aufklärung Teil alltäglicher Bildwelten und formten Wahrnehmungen des «Eignen» und «Fremden».18 Die Entwicklung und Verbreitung der Fotografie ermöglichte die Verdichtung und Ausweitung dieses ikonographischen Netzes19 und war untrennbar verbunden mit imperialen Aneignungs-, Ausbeutungs- und Herrschaftspraktiken.20

Der Begriff «koloniale Fotografie» verweist auch auf den in diesen Bildern reproduzierten kolonialen Blick, den colonial gaze. Koloniale Fotografien beinhalten vielfältige, wenn auch sich wiederholende Motive, die auf unterschiedliche Art und Weise koloniale Projekte unterstützten und legitimierten. Anthropometrische Aufnahmen dienten der Konstruktion angeblicher rassischer Unterschiede, eine Praktik, welche mit Anpassungen auch in späteren ethnographischen Fotografien fortgeführt und durch subtilere Formen des Otherings ergänzt wurde. Andere Fotografien dokumentieren und inszenieren koloniale Gewalt in Kriegen und Praktiken körperlicher Bestrafung sowie sexualisierte Gewalt. Die Inszenierung und Normalisierung weisser21 Überlegenheit reicht von visuellen Gegenüberstellungen afrikanischer Konvertiten und zu bekehrender Nicht-Christen in missionarischen Kontexten, über Ansichten gepflegter kolonialer Stadtbilder bis zu auf den ersten Blick harmlos wirkenden Darstellungen vermeintlich leerer und unbewohnter Landschaften, welche der kolonialen Aneignung von Land und Ressourcen Legitimation verschafften.

Wie Arbeiten aus der Visual History22und Visual Anthropology23 zeigen, sind koloniale Fotografien aber auch ambivalent24 und lassen sich je nach Kontext unterschiedlich lesen und umdeuten.25 Hilfreich ist dazu Ariella Azoulays Verständnis von «Fotografie», wonach diese das Produkt einer Begegnung mehrerer Protagonist:innen, hauptsächlich von Fotograf:in, Fotografierter:m, Kamera und Betrachter:in ist.26 Azoulays Konzeptualisierung erlaubt es, die ungleichen Machtverhältnisse kolonialer fotografischer Begegnungen in den Blick zu nehmen und gleichzeitig vereinfachende Dichotomien zwischen fotografischem Subjekt und Objekt, zwischen colonizer und colonized, aktiv und passiv zu vermeiden, um der Vielschichtigkeit kolonialer Fotografien und ihrer Interpretation gerecht zu werden. Nicht zuletzt verändert diese Sichtweise die Rolle des/der Archivar:in: Als Betrachterin wird sie Teil der fotografischen Begegnung und steht nicht länger in einer distanzierten oder gar neutralen Aussenposition zu der zu archivierenden Fotografie.

In der Schweiz finden sich Fotografien aus kolonialen Kontexten in ethnographischen Sammlungen und Nachlässen, wo sie oft in Sammlungszusammenhängen mit Objekten und Dokumenten stehen. Ebenso finden sich koloniale Fotobestände in Sammlungen von Missionsgesellschaften sowie in Nachlässen von individuellen Reisenden, (Foto-)Journalist:innen, ausgewanderten Schweizer:innen bzw. Siedler:innen oder solchen, die aus geschäftlichen oder privaten Gründen in unter europäischer Kolonialherrschaft stehenden Gebieten oder von kolonialen Herrschaftsverhältnissen geprägten Regionen fotografiert haben. Aber auch in der Schweiz aufgenommene Bilder, etwa vonVölkerschauen, fallen in diese Kategorie.

Die Fragestellung ist auch für andere Medien mit kolonialen Bezügen relevant, ebenso wie für Archivalien aus anderen Gewalt- und Unrechtkontexten, wie den Holocaust, sowie für die Medizin-, Psychiatrie-, Polizei-, Dokumentar- und Kriegsfotografie. Angesichts der Spezifität kolonialer Fotografien, sowohl bezüglich der historischen Entstehungskontexte und medialen Eigenschaften als auch der damit verbundenen archivischen Praktiken, ist es dennoch sinnvoll, koloniale Fotografiebestände als «eigenständiges kulturelles Erbe»27 zu deuten.

2.2 Zugang und Internet

Die Entwicklung und Nutzung neuer Technologien hat den Zugang zu historischen Fotografien in den letzten zwanzig Jahren stark verändert. Über Onlinekataloge, virtuelle Lesesäle und Portale ermöglichen Archive einem weltweiten Publikum Zugriff auf die Metadaten ihrer Bestände und auf digitalisierte und born digital Primärdaten. In der Schweiz gehörte das Archiv von mission 21 im Jahr 2002 zu den ersten Institutionen, welche Fotografien aus kolonialen Kontexten digitalisiert und online zugänglich gemacht haben.28 Heute finden sich zahlreiche digitalisierte Kolonialfotografien aus Schweizer Gedächtnisinstitutionen in Onlinekatalogen einzelner Institutionen sowie auf in- und ausländischen Portalen.

Bei der Bereitstellung von Fotografien über Online-Zugänge sind rechtliche Einschränkungen zu beachten. Diese betreffen unter Anderem Urheber- und Persönlichkeitsrechte sowie Schutzfristen.29 Fotografien aus kolonialen Kontexten in Schweizer Archiven dürfen aus rechtlicher Sicht oft online gestellt werden, was den Erwartungen an den Zugang zu Primärdaten im Rahmen von Open-Access entspricht. Die auf westlichen Vorstellungen basierende rechtliche Logik reproduziert jedoch postkoloniale Ungleichheiten, indem sie die Ansprüche der Fotograf:innen und Archivinstitutionen privilegiert, während Gemeinschaften, deren Verwandte und Vorfahren in kolonialen Fotografiebeständen dokumentiert sind, über den Rechtsweg kaum eingreifen können.30 Zugang ist somit kein neutrales Konzept, wie Agostinho argumentiert: «Yet this ‹right to access› is conceived and granted at the expense of the racialized and gendered subjects that become accessed and newly available for inspection, legibility and consumption as commodities.»31 Wie Paul Dalgleish darlegt, stellt sich jenseits des rechtlich Zulässigen (und des technisch Machbaren) die Frage, wie Materialien online zugänglich gemacht werden. «In this space between what is legally available and what is perceived by individuals or the community as acceptable to place online, archivists play a role in balancing competing interests – the demand for open access and the demand for managing access to sensitive information (whether sensitive for an individual or sensitive for a community).»32 Eine rein rechtliche Betrachtungsweise ist somit unzureichend.

Darüber hinaus müssen die Funktionsweisen des Internets kritisch hinterfragt werden. Wie Roopika Risam aus einer Perspektive der Postcolonial Digital Humanities festhält, ist das Internet kein apolitischer oder neutraler Ort, sondern «riddled with divides, inequalities, uneven access, and governmental control over flows of information».33 Digitale Archive bergen sowohl das Risiko, koloniale Diskurse zu reproduzieren und zu verstärken, als auch das Potential, diese durch neue Praktiken zu unterlaufen.34 Archive gestalten mit Online-Zugängen gegenwärtige und zukünftige digitale Welten mit. Damit liegt es in ihrer Verantwortung, sich fundiert mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung darüber, welche Inhalte wie online zugänglich gemacht werden, auseinanderzusetzen. Dies beinhaltet auch eine Auseinandersetzung der kolonialen Prägung der von ihnen genutzten digitalen Technologien.

2.3 Ethik und Dekolonisierung

Der vorliegende Text schliesst sowohl an archivethische Diskussionen an als auch an eine breitere gesellschaftliche Debatte über den ethischen Umgang mit historischen (und zeitgenössischen) Fotografien. Im deutschsprachigen Raum wird diese Diskussion seit einigen Jahren aus dem Umfeld der Visual History in die Archiv- und Museumswelt getragen. Ob etwa ethnographische Bilder in Online-Ressourcen gezeigt werden sollen oder nicht, wurde noch vor wenigen Jahren kaum diskutiert.35 In jüngster Zeit deuten Publikationen und Konferenzen zum Umgang mit diesen Bildern auf ein wachsendes Bewusstsein für die Problematik hin. Die Diskussion befasst sich unter dem Stichwort «Bildethik» mit unterschiedlichsten Online-Angeboten36 und wird auch im Zusammenhang mit sogenannt sensiblen Objekten37 geführt. Dieser Artikel bezieht die Erkenntnisse aus «bildethischen» Überlegungen und der Visual History mit ein, argumentiert aber stärker aus einer archivethischen Perspektive, welche die Verantwortlichkeiten und Praktiken der Archive für einen angemessenen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit in den Blick nimmt. Wie Stephanie Willi darlegt, stehen Schweizer Archive in der Verantwortung, dekoloniale Praktiken und Politiken umzusetzen. In Bezug auf Digitalisierung und Online-Zugänge fragt sie treffend: «Müssen alle Inhalte digitalisiert und online gestellt werden oder gibt es auch ethische Grenzen?».38

Ethik befasst sich mit moralischem Handeln und damit mit Werten, Normen und Prinzipien und der Frage, wann diese als «gut» und «richtig» zu betrachten sind.39 Archivethik gehört als Teilbereich der Informationsethik zu den angewandten oder Bereichsethiken, die sich praxisorientiert gesellschafts- oder berufsspezifischen Handlungsfeldern widmen.40 Die Frage nach einer ethisch verantwortungsvollen Gestaltung von Online-Zugängen zu Fotografien aus kolonialen Kontexten ist damit eine Frage nach moralisch richtigen und guten Handlungsoptionen für Archivar:innen. Während klassische archivethische Theorien und Ethikkodizes solche Fragen meist einem legalistischen Verständnis folgend mit Prinzipien vom absolutem und universellem Gültigkeitsanspruch beantworten, folgt die Argumentation hier der philosophischen Perspektive einer ethics of care41, wie sie seit den 1980er Jahren von feministischen Theoretiker:innen entwickelt und von Michelle Caswell und Marika Cifor auf die Archivpraxis angewandt wurde.42 Ausgehend von den Lebensrealitäten von Frauen rücken ethics of care die vielfältigen Beziehungen, Verantwortlichkeiten und Interdependenzen zwischen Menschen und Gesellschaften in den Vordergrund.43

Dass die Anwendung der ethics of care auf den Umgang mit kolonialen Bildbeständen und Online-Zugängen hilfreich ist, haben Temi Odumosu44 und Daniela Agostinho45 gezeigt. Sie betonen zusätzlich die Notwendigkeit einer postkolonialen Care-Ethik, die postkoloniale Machtverhältnisse und deren Auswirkungen auf archivische Praktiken explizit in den Blick nimmt und versucht, diesen aktiv entgegenzuwirken.46 Die Frage nach einem ethischen Umgang mit Fotografien aus kolonialen Kontexten ist eine politische. Eine postkoloniale Ethik der Sorge zielt auf soziale Gerechtigkeit, gesellschaftlichen Wandel47 und die Schaffung neuer Welten und Formen der Koexistenz48. Damit bezieht sich der hier verfolgte Ansatz auch auf die Dekolonisierung von Archiven und die Frage, wie Archive (post)koloniale Erbschaften und Machtstrukturen, Ideen und Praktiken abbauen und transformieren können.49

Archivethische Verantwortlichkeiten

Im Folgenden werden relevante ethische Herausforderungen entlang der von Caswell und Cifor vorgeschlagenen vier affektiven Verantwortlichkeiten einer feminist ethics of care beschrieben. Die Autorinnen postulieren eine affektive Verantwortung oder Pflicht der Archivar:innen, sich in ihren Beziehungen zu den Urheber:innen, Subjekten und Nutzer:innen von Archivalien sowie zur breiten Gesellschaft von einer Haltung der radikalen Empathie leiten zu lassen.50 «Radical empathy is […] a learned process of direct and deep connection between the self and another that emphasizes human commonality through ‹thinking and feeling into the minds of others.›»51 Später präzisieren die Autorinnen:

«empathy is radical when it centers the needs of those who are most oppressed by the dominant forces of white supremacy, hetero-patriarchy, capitalism, ableism, and colonialism. […] Radical empathy should be a tool for those of us with access to power not to further entrench ourselves into the hierarchies of power, but instead to open doors behind ourselves, to make archives permeable by creating holes in our structures and systems where power can be redistributed in ways that always prioritize the needs and desires of those made vulnerable by oppressive structures. Empathy in such a practice is a means to challenge, subvert, undermine, make possible, change.»52

Radikale Empathie und postcolonial ethics of care erlauben es, ethische Fragen in Bezug auf die tatsächlichen Beziehungen der Archivar:innen zu den Fotograf:innen, den Fotografierten, den Online-Nutzer:innnen und der Gesellschaft zu diskutieren, ohne postkoloniale Machtverhältnisse zu ignorieren und damit willentlich oder unwillentlich zu verstärken.

3.1 Archivar:in und Fotograf:in

Fotograf:innen gehörten in kolonialen Aufnahmesituationen meist zu denjenigen, die koloniale Gewalt ausübten, legitimierten oder von ihr profitierten. Auch im Archiv nehmen die (europäischen) Fotograf:innen eine privilegierte Position ein, ihre Ansprüche an die Fotografien sind über das Urheberrecht abgesichert. Ihre Identität ist zwar nicht immer bekannt, aber deutlich häufiger in den archivischen Metadaten dokumentiert als die Namen der Fotografierten. Zu bedenken ist, dass in Nachlässen bekannter Fotograf:innen Teile der Fotografien von anderen Personen aufgenommen worden sein können, beispielsweise von einheimischen Mitarbeitenden auf Expeditions- oder Forschungsreisen. Die Autorschaft dieser Personen ist oftmals im Archiv nicht oder mangelhaft überliefert und somit nicht geschützt.

Die archivischen Privilegien der Fotograf:innen sind in mehrerer Hinsicht zu hinterfragen. Arbeiten aus den Critical Archival Studies üben Kritik an herkömmlichen Vorstellungen von Urheberschaft und Provenienz und schlagen stattdessen die Anwendung inklusiverer Konzepte wie societal provenance und community of records vor, welche multiple Provenienzen und damit die Ansprüche der in den Archivalien dokumentierten Gemeinschaften auf die sie betreffenden Dokumente beachten.53 Folgt man Ariella Azoulays Verständnis der Fotografie als Produkt einer Begegnung, zu deren Protagonist:innen auch die Fotografierten gehören,54 wird die einseitige Fokussierung auf Urheberrechte nicht nur aus einer Perspektive der sozialen Gerechtigkeit und Dekolonisierung zu Recht kritisiert, sondern zusätzlich durch das Wesen der Fotografie selbst in Frage gestellt.55

Archivar:innen sind somit aufgefordert, nicht nur ihre ethische Verantwortung gegenüber den Fotograf:innen (die manchmal gleichzeitig Donator:innen sind) wahrzunehmen, sondern deren Privilegien zugunsten bislang marginalisierter (Co-)Creators abzubauen.

3.2 Archivar:in und Fotografierte

Im Gegensatz zur vorherrschenden westlichen Archivpraxis, welche die Rechte der Urheber:innen privilegiert, postulieren Caswell und Cifor eine Verantwortung der Archivar:innen gegenüber denjenigen, die in den Archivalien dokumentiert sind. Diese Verantwortung geht über die Wahrung von Persönlichkeitsrechten hinaus und attestiert den Archivar:innen «an affective responsibility to empathize with the subjects of the records and, in so doing, to consider their perspectives in making archival decisions.»56 Mit den Worten von Temi Odumosu müssen sich Archivar:innnen folglich fragen « […] how we attend to the dead represented in the open digital commons, those ancestors glimpsed in code, through substitute JPEGs and TIFF files.»57

Koloniale Personenaufnahmen erzeugen durch visuelle Strategien des Otherings Darstellungen, welche die Abgebildeten nicht als handelnde Individuen, sondern als Repräsentanten bestimmter «Typen» und Kulturen zeigen. Zudem waren die Aufnahmebedingungen von Gewalt, Zwang und zutiefst ungleichen Machtverhältnissen geprägt. Bei vielen Fotografien sind die genauen Entstehungsumstände unbekannt, und es ist unklar, ob das Abbilden von Personen, Situationen und Gegenständen mit dem Einverständnis aller Beteiligten erfolgten oder nicht. Bei Fotografien-wider-Willen58 stellt sich die Frage, ob die abgebildeten Personen durch die Onlinestellung und die dadurch ermöglichte Rezirkulation und Dekontextualisierung erneuter Gewalt oder Entwürdigung59 ausgesetzt werden:

«Das Leiden anderer betrachten, heisst, die Abgebildeten, die nicht gefragt werden können, ob sie so gesehen werden wollen, den Blicken Nachgeborener und Unbeteiligter auszusetzen, und es heisst ausserdem, sich selbst und die Zuhörer und Betrachter dem Anblick auszusetzen. Kein flüchtiger Blick ist hier möglich, sondern ganz im Gegenteil genaues Hinschauen und das Gespräch über das, was zu sehen ist, ausdrücklich gefordert.»60

Vertreter:innen Indigener Gemeinschaften, Kunstschaffende und Visual History-Forschende haben gezeigt wie vielfältige Lesarten und Perspektiven möglich sind. Sie zeigen innovative Wege auf, wie ein «genaues Hinschauen» und ein fürsorglicher und würdigender Umgang mit den auf kolonialen Fotografien abgebildeten Menschen aussehen könnte, der den kolonialen Blick umkehrt oder gar zu «zersetzen»61vermag. Beispiele hierfür bieten Kunstschaffende, die koloniale Fotografien bearbeiten und in Performances neue Begegnungen mit den Fotografierten ermöglichen.62 Dazu gehören unter vielen anderen die Arbeiten der namibischen Künstler:innen Vitjitua Ndjiharine, Tuli Mekondjo, Nashilongweshipwe Mushaandja und Hage Mukwendje.63 Solche künstlerischen Interventionen werden im Rahmen von Ausstellungen und Buchpublikationen genutzt und könnten vielleicht auch in Onlinekatalogen und Portalen angewendet werden. Die intensive künstlerische Beschäftigung mit wenigen Bildern folgt jedoch einer anderen Logik als die Massendigitalisierung und Open Access-Zugänge, und es ist fraglich, inwiefern sich beides verbinden lässt. Denn wie Daniela Agostinho warnt, birgt die Konvertierung analoger Fotografien in digitale Daten und deren Zugänglichmachung im Internet die Gefahr, koloniale Logiken der Quantifizierung und Extraktion fortzuschreiben. Die schiere Menge an Bildern ebenso wie Tools zur Anzeige von Vorschaubildern oder zum Zoomen in Bilddetails, KI-gestützte Bildsuchen oder Techniken des «data mining» können eine Form kolonialer Gewaltausübung darstellen «whereby the bodies already numbered in the archives are requantified, thus becoming a new form of raw material from which new values can be extracted.»64

3.3 Archivar:in und Online-Nutzer:in

Caswell und Cifor kritisieren, dass herkömmliche archivische Ethikkodizes alle Nutzer:innen gleich behandeln, unabhängig ihrer Beziehung zu den im Archiv dokumentierten Ereignissen.65 Radikale Empathie hingegen bedeutet: « […] acknowledging the deep emotional ties users have to records, the affective impact of finding – or not finding – records, that are personally meaningful, and the personal consequences that archival interaction can have on users.»66 Dies bedeutet auch, dass Schweizer Archive nicht nur die Bedürfnisse eines akademischen,67 und/oder weissen Publikums beachten müssen, sondern diverser Nutzer:innen, mit unterschiedlichen Ansprüchen, Bedürfnissen und Wünschen.

Fotografien aus kolonialen Bildbeständen können – ebenso wie die begleitenden Texte in Schlagworten und Bildlegenden – (re-)traumatisierend wirken.68 Darüber hinaus enthalten sie Darstellungen, welche den ethischen Codes des Zeigbaren von Nutzer:innen aus den Herkunftsgesellschaften69 widersprechen, beispielsweise Fotografien von verstorbenen Personen oder Aufnahmen von Anlässen oder Objekten, welche nur bestimmten Personengruppen innerhalb einer Gesellschaft zugänglich sind oder waren.70

Damit zusammenhängend ist zu fragen, welchen Nutzer:innen Archive Zugang ermöglichen. Online-Zugänge werden oft als geeignetes Mittel betrachtet, um koloniale Bestände, welche sich in europäischen Institutionen in grosser geographischer Distanz zu den Herkunftsgesellschaften befinden für Letztere zugänglicher zu machen. Hier ist es wichtig, zwischen theoretischer und praktischer Zugänglichkeit zu unterscheiden. Dalgleish verweist mit dem Begriff practical obscurity auf die Tatsache, dass formal zugängliche Dokumente oft für viele Menschen aufgrund von Zugangsbarrieren faktisch unzugänglich bleiben.71 Online-Zugänge haben das Potential, diese Barrieren durch vereinfachte, zeit- und ortsunabhängige Recherchemöglichkeiten massiv zu verringern. Tatsächlich entstehen aber im digitalen Raum neue Barrieren:

«Digitalisierung setzt eine leistungsfähige digitale Infrastruktur auf Rezipient*innenseite voraus, damit der Zugriff auf die Ressourcen tatsächlich vereinfacht wird. Auch muss ein Wissen um die Angebote sowie die Fähigkeiten diese zu navigieren, zu verstehen (und Sprachbarrieren zu überwinden) und zu benutzen bei allen potentiellen Nutzenden vorhanden sein, damit sich die Angebote nicht wieder nur an privilegierte Gruppen richten. Um Sprachbarrieren zu überwinden, würde dies Metadaten (Schlagwörter, Beschreibungen) voraussetzen, die in breit genutzten Wissenschaftssprachen recherchierbar sind.»72

Selbst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, bleibt die Frage, welche Nutzer:innen Zugang zu den analogen fotografischen Objekten haben, denn Digitalisate ersetzen diese nicht zwangsläufig.

3.4 Archivar:in und Gesellschaft

Die vierte ethische Verantwortung richtet sich an all jene «unseen others»,73 auf deren Leben sich archivische Tätigkeiten und die Nutzung von Archivalien auswirkt, auch wenn sie selbst keine direkten Nutzer:innen sind. Die Provenienzen kolonialer Bildbestände ebenso wie die weltweite Abrufbarkeit von Online-Zugängen machen an Nationalstaaten gebundene Vorstellungen von Gesellschaft hinfällig. Archivar:innen müssen sich somit fragen, welche Auswirkungen die Online-Publikation kolonialer Bilder weltweit auf unterschiedliche Gemeinschaften hat.

Historische Fotografien gelten weithin als leicht verständliche, anschauliche Quellen, die auch für Nutzer:innen ohne Spezialkenntnisse von Interesse sind. Die Visual History und Visual Studies haben aber gezeigt, dass die Bildinterpretation und historische Einordung neben spezifischen quellenkritischen Kenntnissen visual literacy erfordert. Denn: «[…] the meaning of photographs, generated by viewers, depends on the context of their viewing, and their dependence on written or spoken ‹text› to control semiotic energy and anchor meaning in relation to embodied subjectivites of the viewer.»74 Dies gilt umso mehr für Fotografien aus kolonialen Kontexten, welche bei einer unkritischen Betrachtung kolonialrassistisch geprägte Vorstellungen bestätigen, verstärken und reproduzieren. Zwar kann argumentiert werden, dass die Zugänglichmachung der Bilder der kritischen Aufarbeitung und dem Verständnis der Kolonialgeschichte und damit dekolonialen Zielen dienen kann. Dabei ist erstens zu bedenken, dass einmal ins Internet gestellte Bilder «digital afterlifes»75 entwickeln und zu diversen Zwecken genutzt oder missbraucht werden. Zweitens muss in Bezug auf bestimmte Bilder, etwa so genannte atrocity images, infrage gestellt werden, ob das Zeigen und Betrachten der Bilder selbst in einem pädagogischen Kontext den erwünschten Effekt hat, wie Susan Crane mit Blick auf den Holocaust darlegt.76

Wie Juergens konstatiert, besteht mit zunehmender Digitalisierung die Gefahr, dass nicht online verfügbare Archivalien als irrelevant oder inexistent wahrgenommen werden.77 Angesichts der globalen ökonomischen und politischen Ungleichheiten stellt sich somit die Frage, ob die massenhafte Digitalisierung und Online-Stellung kolonialer Fotografien durch ressourcenstarke Institutionen im Globalen Norden zur Unsichtbarmachung des fotografischen Kulturerbes des Globalen Südens und der auch in kolonialen Kontexten entstanden «widerständige Fotografien» und vielfältigen subalternen Praktiken des Fotografierens, Sammelns und Erinnerns78 beiträgt.

Praktiken und Strategien

Schweizer Archive haben verschiedene Möglichkeiten, sich mit den beschriebenen ethischen Fragen auseinanderzusetzen und ihre archivethische Verantwortung in Bezug auf koloniale Fotografiebestände wahrzunehmen. Abschliessend werden einige Praktiken, Strategien und Initiativen zur Gestaltung digitaler Zugänge zu Fotografien aus kolonialen Kontexten vorgestellt. Die Ausgangslage und damit die geeigneten Praktiken können sich je nach Bestand, geographischer und gesellschaftlicher Provenienz sowie kolonialgeschichtlicher Umstände stark unterscheiden. Generell sollten Massnahmen im Umgang mit Fotografien aus kolonialen Kontexten in der Archivpraxis nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Rahmen umfassenderer Massnahmen zur Dekolonisierung von Archiven, wie sie für die Schweiz Stephanie Willi vorgeschlagen hat,79 umgesetzt werden.

4.1 Stewardship und Kollaboration

Gewisse ethische Fragen könnten nur durch Gespräche mit den fotografierten Personen geklärt werden, was meist nicht mehr möglich ist. Hingegen können Angehörige, Nachkommen und Herkunftsgemeinschaften in archivische Entscheidungen zur Zugänglichmachung einbezogen werden. Eine auf radikaler Empathie und gegenseitigen Verantwortlichkeiten basierende postkoloniale Care-Ethik verpflichtet Archivar:innen zu ethischem Handeln mit und durch anhaltende Beziehungen zu den Herkunftsgemeinschaften.80 Alle hier genannten Strategien und Praktiken sollten daher in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Gemeinschaften erarbeitet und umgesetzt werden.

«Archivists must stand in defence of those materials that represent historically maligned and socially marginalized groups in their holdings, doing so through an ongoing iterative approach to communication, consultation, and collaboration. Only in this way will the digital environment reflect the true needs and desires of records’ subjects.»81

Dies bedingt tiefgreifende Veränderungen im archivischen Arbeitsalltag, von der Planung über die Finanzierung, Durchführung und den langfristigen Betrieb von Online-Zugängen. Koloniale Bildbestände sprengen die Grenzen nationalstaatlicher Archivpolitik und werfen die Frage auf: «Wie kann eine Informationspolitik aussehen, die über das eigene Land hinausgeht?»82

Auf Gegenseitigkeit und Kollaboration ausgerichtete Zusammenarbeit erfordert, dass Archive Macht, Entscheidungshoheit und Besitzansprüche abgeben.83 Dazu gehört gerade bei Fotografien der Verzicht auf Urheberrechte, wie von Sarr und Savoy gefordert: «Il va sans dire que l’actuelle politique de droits de reproduction des images doit faire l’objet d’une révision complète en ce qui concerne les demandes émanant des pays d’Afrique pour les œuvres et sociétés africaines photographiées, filmées ou enregistrées. La gratuité d’accès et d’usage de ces images et documents doit être visée.»84

Während im musealen Bereich dank der Restitutionsdebatte Besitzrechte europäischer Institutionen hinterfragt werden, ist dies im Archivbereich erst mit Verzögerung der Fall. Neuere postkustodiale Ansätze deuten jedoch in eine ähnliche Richtung. Konzepte wie stewardship und entrusting können, wie Odumosu und Agostinho argumentieren, auch in Bezug auf koloniale Fotografien angewendet werden.85 Ähnlich plädiert Christen mit slow archives für eine Verschiebung archivischer Tätigkeiten auf die Pflege von Beziehungen zu den Herkunftsgemeinschaften: «the radicalness of empathy must be located in moves toward repair, repatriation, restitution, reparation and refusal.»86 Gerade ethnographische Museen verfügen über Erfahrungen mit kollaborativen Projekten, welche weiter ausgebaut und auf Zugänge zu Fotografien ausgeweitet werden sollten.87

4.2 Kontextualisieren und Kuratieren

Metadaten und archivarische Erschliessung sind für den Erhalt von Kontextinformationen wesentlich. Bei kolonialen Fotografien sind diese häufig von kolonialen Denkweisen geprägt, die europäische Perspektiven und Darstellungen priorisieren sowie veraltetes und rassistisches Vokabular enthalten, welches bei der Erschliessung in die Kataloge übernommen wurde. Wie Sophie Junge anmerkt, verstärkt das vage, unspezifische Wissen in Katalogen den kolonialen Gehalt der Bilder.88 Um Kontext zu vermitteln, welcher Nutzer:innen eine kritische Einordnung erlaubt, Perspektiven der abgebildeten Personen und Herkunftsgemeinschaften in den Vordergrund rückt sowie alternative Blickweisen und Suchmöglichkeiten erlaubt, müssen die Metadaten entsprechend überarbeitet werden, idealerweise bereits vor der Online-Stellung der digitalisierten Bilder und in einer von Nutzer:innen aus den Herkunftsgesellschaften genutzten Sprache.89 Dies kann einen beachtlichen Aufwand mit sich bringen und verlangt die Bereitstellung entsprechender Ressourcen sowie die Entwicklung von ethischen Standards für die archivische Beschreibung.90 In Zukunft könnten auch die Nutzung von Linked Data und Records in Context neue Möglichkeiten der Kontextualisierung bieten,91 indem multiple Provenienzen und vielfältige Beziehungen zwischen Fotografien, Personen, anderen Dokumenten und Objekten abgebildet sowie Informationen zu bestimmten Bildgenres oder den historischen Entstehungskontexten der Bilder verlinkt werden könnten. Kommentarfunktionen oder andere partizipative Formen der Erschliessung wie Social Tagging zur Bildung von Folksonomien könnten ebenfalls genutzt werden.

Für Bestände mit Bezug zu Indigenen Gemeinschaften bietet die Nutzung von Traditional Knowledge (TK) Lizenzen in Absprache mit den betreffenden Gemeinschaften eine weitere Option zur Kontextualisierung der Bilder. TK-Lizenzen erlauben detaillierte Angaben zu Provenienzen, Zugangsprotokollen und Nutzungsbedingungen.92

Disclaimer und Inhaltswarnungen können genutzt werden, um auf potentiell traumatisierende oder anderweitig sensible Inhalte aufmerksam zu machen, Informationen zum historischen Kontext zu liefern sowie um die ethischen Haltungen und Entscheidungen des Archivs transparent zu machen. Neben Art und Inhalt der Texte ist auch die Platzierung entscheidend: Ein automatisches Pop-up beim Öffnen eines Kataloges oder Suchergebnisses schafft mehr Sichtbarkeit als ein auf einer Unterseite versteckter Hinweis.

Schliesslich können Kontextinformationen über Vermittlungsangebote wie physische oder virtuelle Ausstellungen oder Blogbeiträge vermittelt werden, in deren Rahmen die visual literacy und Sensibilisierung für bildethische Fragen gefördert werden kann.93

Das Nicht-Zeigen von als besonders problematisch erachteten Bildern oder die Bearbeitung derselben, z.B. durch blurring, sind ebenfalls möglich und im Fall von Bildern, die aufgrund ethischer Codes der Herkunftsgesellschaften nicht frei zugänglich sind, zwingend. Die grosse Herausforderung hierbei ist zu entscheiden, welche Bilder als besonders «sensibel» gelten. In jedem Fall sind kuratorische Entscheidungen und Bearbeitungen der Bilder kenntlich zu machen. Korrekte Metadaten zur Auffindbarkeit der Bilder und Angaben zu anderen Zugangsoptionen sind ebenfalls wichtig. Die Existenz der Bilder sollte anhand der Metadaten ersichtlich sein, um Zensur oder white-washing der kolonialen Vergangenheit zu vermeiden.

4.3 Digitale Infrastruktur

Zur archivethischen Verantwortung gehören auch Überlegungen hinsichtlich der digitalen Infrastruktur, denn «[…] a possible solution to escape the paralyzing paradox of decolonizing archives is located in rethinking and reshaping the archival infrastructures, by which we mean the conceptual and technical structures which shape the interface between the documents created in the past and the user of today.»94 Archive sollten überlegen, welche Nachnutzungen ermöglicht, erschwert und verhindert werden sollen.95 Digitalisierungsprojekte und Online-Zugänge sollten so gestaltet werden, dass sie nicht koloniale Modi der Quantifizierung und Extraktion wiederholen. Anstelle von Open Access können Zugangsbeschränkungen, wie sie bei virtuellen Lesesälen möglich sind, eingerichtet werden. Auch ist zu klären, ob eine Indexierung über Google oder KI gestützte Bildsuchen erwünscht sind oder nicht. Programmierung und Design von Online-Zugängen wirken sich zudem auf die Umsetzbarkeit der erwähnten Formen der (Re-)Kontextualisierung aus.

Ein Beispiel für eine Software, welche die Bedürfnisse Indigener Gemeinschaften im Umgang mit digitalisiertem Kulturgut priorisiert, ist das Content Management System und Digital Access Tool Mukurtu.96 Mukurtu ermöglicht differenzierte Zugänge für Mitglieder der Gemeinschaft und Aussenstehende in Übereinstimmung mit kulturellen Normen und Werten und unter Wahrung der Datensouveränität der Gemeinschaft über die sie betreffenden Daten.97 Im Sinne der ethischen Verantwortung gegenüber Nutzer:innen aus den Herkunftsgesellschaften aber auch gegenüber den fotografierten Personen sollte für fotografische Bestände, welche Indigene Gemeinschaften betreffen, die mit Mukurtu oder ähnlichen Systemen arbeiten, eine Publikation auf solchen Plattformen Vorrang haben vor Onlinekatalogen schweizerischer Gedächtnisinstitutionen. In anderen Fällen könnten die Funktionalitäten bestehender virtueller Lesesäle entsprechend angepasst werden.

Angesichts der digitalen Kluft gilt es zudem, Online-Zugänge, wenn nötig, an die technologischen Realitäten in den Herkunftsländern anzupassen und beispielsweise Onlinekataloge für Mobilgeräte und 3G zu optimieren, wie dies beim Portal PARC gemacht wird.

4.4 Alternativen zu Online-Zugängen

In Absprache mit den Herkunftsgesellschaften sollten auch Alternativen zur Online-Stellung von digitalisierten Fotografien in Betracht gezogen werden. Insbesondere sollte Wünschen, Bilder nicht online zu stellen, sowie Forderungen nach Restitutionen entsprochen werden. Visuelle Repatriierungen werden seit mindestens 30 Jahren vermehrt diskutiert und durchgeführt und bieten vielfältige Alternativen oder Ergänzungen zu Online-Zugängen.98 Ob digitale Rückgaben, welche auch ohne Online-Zugänge möglich sind, oder Restitutionen der analogen Fotografien in Frage kommen, muss im Einzelfall abgeklärt werden.99

Generell gilt es, die technologischen Möglichkeiten des Internets kreativ einzusetzen. Ein experimentelles Beispiel dafür, wie das Internet zur Verbesserung der Zugänglichkeit genutzt werden kann, ohne Digitalisate online zu stellen, ist die Plattform «Namibia 1953-54».100 Sie ermöglicht den Ernst und Ruth Dammann Bestand der BAB nach Personennamen zu durchsuchen und digitalisierte Ton-, Bild- und Textdokumente unkompliziert beim Archiv zu bestellen. Die dadurch generierten Anfragen ans Archiv zeigen, dass der Zugang zu dieser Sammlung für namibische Nutzer:innen im Vergleich zum bestehenden Onlinekatalog erhöht wurde. Voraussetzung war allerdings die verhältnismässig gute Dokumentation von Personennamen im betreffenden Bestand sowie die Zusammenarbeit mit namibischen Institutionen, welche die Plattform vor Ort bekannt machten.

4.5 Institutioneller Austausch und Sensibilisierung

Die vorgeschlagenen Strategien und Praktiken erfordern neben der Aneignung der notwendigen bildwissenschaftlichen, dekolonialen und antirassistischen Expertise auch grundlegende Veränderungen der Arbeitsweisen von Archiven und Gedächtnisinstitutionen. Dies betrifft etwa Finanzierungsmodelle für Digitalisierungsprojekte, welche vermehrt Forschung und Kollaboration fördern und nicht in jedem Fall auf Open Access ausgerichtet sein sollten.101 Daher sollte der Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen Institutionen, die koloniale Fotobestände beherbergen, gefördert werden.

Wenn immer möglich sollten Abklärungen zu möglichen ethischen Bedenken vor der Online-Stellung erfolgen und ähnlich wie rechtliche Abklärungen zum Standardprozedere gehören. Gerade bei Portalen, die Bestände unterschiedlicher Institutionen zusammenführen, kann die Schaffung gemeinsamer Policies eine Herausforderung darstellen und sollte daher frühzeitig angegangen werden. Zwecks Unterstützung und Sensibilisierung sollten ethische Aspekte von Online-Zugängen in die einschlägigen Unterlagen des VSA und der Fachorganisationen von Museen und Bibliotheken aufgenommen werden. Der VSA könnte analog zur «Benutzbarkeit eines Archivobjekts aus rechtlicher Sicht»102die «Benutzbarkeit aus ethischer Sicht» aufführen. In der Checkliste des «Whitepaper Archivportale» könnten «Koloniale Provenienzen» analog zu «Medizinische Provenienz» als eigene Kategorie behandelt sowie «ethische Fragen» analog zu «rechtlichen Fragen» genannt werden.103 Das Glossar, welches auf Open Data und Open Access verweist,104sollte auch Erklärungen zu den CARE-Prinzipen (Collective Benefit, Authority to Control, Responsibility, Ethics) und TK-Lizenzen aufnehmen.105 Ebenso sollte bei einer Aktualisierung des Ethikkodex des VSA auf ethische Herausforderungen im Zusammenhang mit der digitalen Transformation eingegangen werden. Als Beispiel kann der Code der Association of Canadian Archivists (ACA) dienen, der Absätze zu ethischen Fragen im digitalen Umfeld und dem Umgang mit Materialien von marginalisierten Gruppen und Indigenen Gemeinschaften enthält.106

Fazit

Schweizer Gedächtnisinstitutionen tragen bei der Gestaltung von Online-Zugängen zu kolonialen Fotografiebeständen eine ethische Verantwortung gegenüber den Fotograf:innen, den fotografierten Personen, den Nutzer:innen und der Gesellschaft. Aus der Perspektive einer postkolonialen Care-Ethik sind sie angehalten, Online-Zugänge so zu gestalten, dass den Bedürfnissen und Ansprüchen von Nutzer:innen aus den Herkunftsgesellschaften vorrangig Rechnung getragen und die Reproduktion kolonialer und rassistischer Sichtweisen auf und durch die Bilder möglichst vermieden wird zugunsten dekolonialer und antirassistischer Perspektiven. Als Archivar:innen müssen wir uns überlegen «[…] how we welcome people into mindful encounters with representations of enslavement and colonization and how we guide people overall in the use and circulation of sensitive visual material.»107 Die hier vorgeschlagenen Strategien und Praktiken zeigen konkrete Handlungsoptionen für Archive auf.

Koloniale Fotografiebestände stellen Archive vor ethische Herausforderungen, für welche es keine einfachen Lösungen gibt, zumal in einer von post- und neokolonialen Machtverhältnissen und anhaltender struktureller Gewalt und Ungleichheit geprägten Welt. Durch eine verantwortungsvolle, von einer postkolonialen Care-Ethik geleitete Bereitstellung von Online-Zugängen zu Fotografien aus kolonialen Kontexten haben Schweizer Gedächtnisinstitutionen jedoch die Möglichkeit, dekoloniale Öffentlichkeiten im digitalen Raum aktiv mitzugestalten. Diese Verantwortung und Chance gilt es wahrzunehmen.

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Anmerkungen

5Siehe: <https://parc-portal.org> Stand: 05.07.2025 ↩︎
6Indigen wird gross geschrieben, um auszudrücken, dass es sich um eine Selbstbezeichnung handelt. Siehe u. a.: https://www.notoracism.ch/glossar, Stand: 01.08.2025. ↩︎
7Siehe u. A.: Christen, Kimberly, „Relationships, Not Records: Digital Heritage and the Ethics of Sharing Indigenous Knowledge Online“, in: The Routledge Companion to Media Studies and Digital Humanities, New York: Routledge, 2018. Iacovino, Livia, „Rethinking archival, ethical and legal frameworks for records of Indigenous Australian communities: a participant relationship model of rights and responsibilities“, Archival Science 10 (4), 01.12.2010, S. 353–372. Online: <https://doi.org/10.1007/s10502-010-9120-3>. ↩︎
8 Siehe u. A.: Odumosu, „The Crying Child“, art. cit. Agostinho, „Archival encounters“, art. cit. De Largy Healy, Jessica; Blanchy, Sophie; Mouton, Marie-Dominique, „La nouvelle vie numérique des archives et collections ethnographiques. Introduction“, Ateliers d’anthropologie. Revue éditée par le Laboratoire d’ethnologie et de sociologie comparative (51), 31.03.2022. Online: <https://doi.org/10.4000/ateliers.16228>, zugegriffen: 25.06.2023. Harbeck, „Die Ethik des Digitalisierens“, art. cit. ↩︎
10Im Zuge des archival turn fand in den Geisteswissenschaften in den vergangenen zwanzig Jahren eine intensive kritische Auseinandersetzung mit dem (Kolonial)archiv als Institution und Metapher statt. Für eine Übersicht aus archivwissenschaftlicher Perspektive siehe: Ketelaar, Eric, „Archival turns and returns: Studies of the archive“, in: Research in the Archival Multiverse, Monash University Publishing, 2017, S. 228–268. Online: <https://research.monash.edu/en/publications/archival-turns-and-returns-studies-of-the-archive>, zugegriffen: 08.05.2023. Ghaddar; Caswell, „“To go beyond”“, art. cit. ↩︎
11 Caswell, Michelle; Punzalan, Ricardo; Sangwand, T.-Kay, „Critical Archival Studies: An Introduction“, Journal of Critical Library and Information Studies 1 (2), 27.06.2017, S. 1–2. Online: <https://doi.org/https://doi.org/10.24242/jclis.v1i2.50>, Stand: 06.05.2023.. Zum Verhältnis zwischen den Critical Archival Studies und den Geisteswissenschaften siehe: Caswell, M. L., „’The Archive’ Is Not an Archives: On Acknowledging the Intellectual Contributions of Archival Studies”, 2016. Online: <https://escholarship.org/uc/item/7bn4v1fk>, zugegriffen: 06.05.2023. ↩︎
13In Museen angefertigte Fotografien von Objekten aus kolonialen Sammlungskontexten werden nicht explizit behandelt. Einige der besprochenen ethischen Fragen treffen aber auch auf diese zu. ↩︎
16 Für eine Einführung siehe: Castro Varela, María do Mar; Dhawan, Nikita, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, 3. aktualisierte Auflage, Bielefeld: Transcript Verlag, 2020 (UTB. Kulturwissenschaft). ↩︎
17Siehe u. a.: Lüthi, Barbara; Falk, Francesca; Purtschert, Patricia, Postkoloniale Schweiz : Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien, 2., korrigierte Auflage 2013, Bielefeld: Transcript, 2013 (Postcolonial studies Band 10). ↩︎
18Siehe u. a.: Étienne, Noémie; Brizon, Claire; Lee, Chonja u. a., Une Suisse exotique? : Regarder l’ailleurs en Suisse au siècle des Lumières, Zürich: Diaphanes, 2020. ↩︎
21 Weiss bezeichnet keine Hautfarbe, sondern eine gesellschaftlich konstruierte Kategorie, die mit bestimmten soziokulturellen Privilegien einhergeht. ↩︎
22Für eine deutschsprachige Einführung siehe: Jäger, Jens, Fotografie und Geschichte, Frankfurt am Main: Campus, 2009 (Historische Einführungen Bd. 7). ↩︎
24Siehe u. a.: Hayes, Patricia; Minkley, Gary, „Introduction. Africa and the Ambivalence of seeing“, in: Hayes, Patricia; Minkley, Gary: Ambivalent: photography and visibility in African history, Athens, Ohio: Ohio University Press, 2019 (New African histories). ↩︎
25 Siehe u. a.: Krüger, Gesine, „Zirkulation, Umdeutung, Aufladung. Zur kolonialen Fotografie“, NCCR Mediality Newsletter (9), 2013, S. 3–11. Online: <https://doi.org/10.5167/uzh-76423>. ↩︎
41Der im englischsprachigen Raum entwickelte Begriff lässt sich mit Ethik der Fürsorge übersetzen. Da im Begriff care jedoch eine Vielzahl von Bedeutungen wie Sorge, Pflege, Zuwendung, sich kümmern oder auch Sorgfalt mitschwingen, verwende ich den englischen Begriff. ↩︎
50 Caswell; Cifor, „Feminist Ethics“, art. cit., S. 33.. Andere Autor:innen postulieren weitere Verantwortlichkeiten, etwa hinsichtlich der Donator:innen sowie anderer Archivar:innen. Auf diese wird hier nicht näher eingegangen. ↩︎
55 Für einen anderen Ansatz, der auch auf die multiplen Provenienzen von Fotografien verweist, siehe: Rippe, „Schizophrene Provenienz“, art. cit. ↩︎
59 Zur Frage der Würde/Entwürdigung siehe: Vowinckel, Annette, „Würdigung/Entwürdigung“, Visual History, 27.05.2022, <https://visual-history.de/2022/05/27/vowinckel-wuerdigung-entwuerdigung/>, zugegriffen: 09.07.2023. ↩︎
62Siehe u.a. die Besprechung der Arbeiten von La Vaughn Belle durch Odumosu in: Odumosu, „The Crying Child“, art. cit., S. 299–300. Siehe u. a. auch die Arbeiten von Frida Orupabo, Belinda Kazeem-Kamiński (Kazeem-Kamiński, Belinda, „Unearthing. In Conversation: On Listening and Caring“, Critical Ethnic Studies 4 (2), 2018, S. 75. Online: <https://doi.org/10.5749/jcritethnstud.4.2.0075>, zugegriffen: 06.04.2025. oder den indonesischen Kunstschaffenden Abednegno Trianto und Agan Harahap oder von Yee-I-Lann aus Malaysia (zu Letzteren: Junge, Sophie; Ouwehand, Liesbeth; Supartono, Alexander, „‚Vom Eigentum zur Autorschaft‘. Koloniale Archive neu lesen. Ein Gespräch“, Den Blick erwidern Fotografie und Kolonialismus 41/162, 2021). Zu künstlerischen Interventionen im Fotoarchiv: Diekmann, Stefanie; Ruelfs, Esther, „Artist Meets Archive. Editorial“, Artist Meets Archive. Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 43/167, 2023, S. 3–6. ↩︎
63Zu den Interventionen von Ndjiharine im kolonialen namibischen Fotoarchiv siehe: Rensing, Julia, „‘Ovizire · Somgu: From Where Do We Speak?’: Artistic Interventions in the Namibian Colonial Archive (2018–2020)“, Journal of Southern African Studies 48 (1), 2022, S. 81–102. ↩︎
68 Holterhoff, Kate, „From Disclaimer to Critique: Race and the Digital Image Archivist“, Digital humanities quarterly 11 (3), Providence, 2017, S. 1. Dies gilt auch für Archivar:innen, die mit diesen Materialien arbeiten. Zu Archivpraxis und Trauma siehe: Wright, Kirsten; Laurent, Nicola, „Safety, Collaboration, and Empowerment. Trauma-Informed Archival Practice“, Archivaria (91), 2021, S. 38–73. ↩︎
69Der Begriff «Herkunftsgesellschaften» wird insbesondere im Kontext von Provenienzforschung und Restitution verwendet. Für eine Definition siehe: Verband der Museen der Schweiz (VMS), „Provenienzforschung im Museum II. Sammlungen aus kolonialen Kontexten Grundlagen und Einführung in die Praxis“, Zürich, 2022. (Verband der Museen der Schweiz (VMS) 2022). Für eine Kritik am Begriff und den alternativen Vorschlag "descendant community" siehe: Silvester, Jeremy, und Napandulwe Shiweda, „The Return of the Sacred Stones of the Ovambo Kingdoms: Restitution and the Revision of the Past“, Museum and Society 18 (1), 23.03.2020, S. 31. Online: <https://doi.org/10.29311/mas.v18i1.3236>. ↩︎
78Siehe u. a.: Miescher, Giorgio, „Widerständige Fotografien. Zum Ausstellungsprojekt Photographs beyond Ruins in der namibischen Kleinstadt Usakos, S. 45–57“, Fotografie in Afrika. Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 36/141, 2016, S. 45–57. Rizzo, Lorena; Schneider, Jürg, „Fotografie in Afrika. Editorial“, Fotografie in Afrika. Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 36/141, 2016, S. 3–6. ↩︎
91 Siehe: Douglas, Jennifer; Bak, Greg; McLellan, Evelyn u. a., „Decolonizing archival description: Can linked data help?“, Proceedings of the Association for Information Science and Technology 55 (1), 2018, S. 669–670. Candela, Gustavo; Pereda, Javier; Sáez, Dolores u. a., „An ontological approach for unlocking the Colonial Archive“, Journal on Computing and Cultural Heritage, 28.04.2023. ↩︎
93Siehe z.B. die Webseite Africa Art Archive zum Nachlass des Kunstethnologen Hans Himmelheber im Museum Rietberg: https://africa-art-archive.ch/ Stand: 05.07.2025. ↩︎
99Zum Unterschied zwischen «Rückgabe» und «Restitution» siehe: Verband der Museen der Schweiz (VMS), „Provenienzforschung“, doc. cit. ↩︎
100Siehe: <https://namibia1953.com/> Stand: 05.07.2025. Die Plattform entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung «Visual History Lab» 2020 des Zentrums für Afrikastudien der Universität Basel unter der Leitung von Kadiatou Diallo, Giorgio Miescher und Lorena Rizzo. ↩︎
105Zum möglichen Antagonismus zwischen den CARE und FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) siehe: Harbeck, „Die Ethik des Digitalisierens“, art. cit. ↩︎