Ein neues Findmittel für die Online-Suche in Archivbeständen
Urban Stäheli
Will man nicht über eine Wortsuche in den Beständen eines Archivs recherchieren, und beginnt man, sich durch den Archivplan zu klicken, dann stehen die Chancen für eine erfolgreiche Suche eher schlecht. Zwar sind Archivpläne – also die hierarchische Struktur von Archivbeständen und ihrer übergeordneten Hierarchieebenen, die insgesamt als Archivtektonik bezeichnet wird – verheissungsvoll. Hier wird das gesamte erschlossene Archiv in kontextualisierter Form ausgebreitet, so dass Suchresultate auch dort möglich sind, wo die Wortsuche nichts bringt. Doch um im Geäst der Verzeichnungseinheiten zum Ziel zu gelangen, muss man teilweise schwer verständliche Begriffe und die von Archiv zu Archiv unterschiedlichen Archivpläne erst einmal bewältigen. Gelingt das, dann sind Archivpläne wertvoll und offenbaren vertiefte Einsichten in die Institutionsgeschichte, über die Zuständigkeit eines Archivs und dessen Tradition sowie – natürlich – über die Bestände. Nur, wer etwas sucht, hat daran erst einmal kein Interesse. Die Recherche soll Resultate zeitigen – das ist, was zählt. Deshalb stellen die Archive ihre Erschliessungsleistungen möglichst vollständig über das Internet zur Verfügung. Der Zugang erfolgt über eine Wortsuche, die kaum erklärungsbedürftig ist, und über Baumdarstellungen, die eine Recherche im Archivplan prinzipiell möglich machen. Zum Gebrauch werden Recherchehinweise, Erklärungen zum Archivplan oder spezielle, meist thematische Verzeichnisse angeboten.
Wenn zu den Recherchehilfsmitteln Hilfestellungen angeboten werden, dann zeigt das, dass ihr Gebrauch nicht ganz einfach ist. Doch während die Benutzerinnen und Benutzer vor dem Aufkommen der Recherche im Internet vom Archivpersonal beraten wurden, suchen sie nun selbständig. Damit haben sich die Voraussetzungen, unter denen nach Archivalien gesucht wird, grundlegend verändert, nicht aber die Findmittel. Was bedeutet das Wegfallen der persönlichen Beratung für die Sucherfolge? Reicht es, alle vorhandenen Erschliessungsdaten über das Internet zu publizieren und darauf zu vertrauen, dass die Benutzerinnen und Benutzer damit umgehen können? Fördert oder behindert das archivische Provenienzprinzip die Recherche? Über welches Vorwissen muss man verfügen, um erfolgreich zu suchen?
Angesichts der sich ähnelnden Präsentationen von Archivplänen verschiedener Archive stellt sich auch die Frage, ob es dem Benutzer und der Benutzerin nützt, wenn das, was inhaltlich völlig unterschiedlich ist, gleich aussieht. Eigene Erfahrungen haben mir gezeigt, dass die Recherche in Archivplänen anderer Archive ein zeitaufwändiges und häufig sogar aussichtsloses Unterfangen ist.
Wie aber lässt sich das ändern? Ausgehend vom bestehenden Archivplan des Staatsarchivs Thurgau, der wie alle Archivpläne auf den ersten Blick eine relativ komplizierte Struktur bildet, wurde nach dem gestalterischen Vorbild von Liniennetzplänen für den öffentlichen Verkehr ein neues Findmittel, der «Archivnetzplan», entworfen. Die Benutzerin und der Benutzer sollen sich darauf mit Hilfe von «Linien», «Stationen» und «Haltestellen» orientieren und so die Bestände finden, die ihren Interessen entsprechen. Das Ziel war, ein möglichst übersichtliches und einfach verständliches Hilfsmittel zu schaffen.[1]
Die Erarbeitung des Archivnetzplans führte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Archivplan des eigenen Archivs. Dabei wurde mir auch klar, wie wichtig die Gestaltung, die Form eines Findmittels ist, da sie die Suche unterstützen oder aber auch hemmen kann.
Die Suche nach Archivalien im Internet
«[...] wie muss der archivarische Kontext angeboten werden, wenn die Beziehung zwischen Benutzer und Archivar anonymer wird, d. h. wenn der Archivar mit seinen Kenntnissen über Bestände, Strukturen und Verwaltungsgeschichte den Benutzer im Gespräch oder bei der schriftlichen Beantwortung einer Anfrage nicht mehr dort abholt, wo er steht?»[2] Die Frage, die Mechthild Black in ihrem Artikel «Recherche via Internet: Neue Wege zum Archivgut» stellt, verrät eine gewisse Ratlosigkeit der Archive angesichts der Folgen des Einsatzes von Informationstechnologien. Zwar begriffen die Archivarinnen und Archivare schnell, dass sich mit der Verbreitung des Internets auch für sie eine komplett neue Situation in der Kommunikation mit der Benutzerschaft ergeben hatte. Als die Archivalien noch ausschliesslich im Lesesaal mit den nur vor Ort vorhandenen Findmitteln benutzt wurden, konnte das Archivpersonal auf die Probleme der Benutzerschaft reagieren. Seit die Archive ihre Findmittel im Internet publizieren, braucht es andere Unterstützungsmassnahmen. Aber welche? «Tatsächlich ist vor allem die Organisation von Wissen in den Archiven alles andere als alltagsnah und selbsterklärend.»[3]
Wenn die Benutzerinnen und Benutzer bei ihrer Recherche nicht mehr beraten werden können, werden Informationen über die Vorgehensweise des selbständig recherchierenden Benutzers nötig, um das Angebot von vorneherein möglichst optimal auf den prototypischen Suchverlauf im Netz abzustimmen. Dabei kommt es den Archiven zupass, dass Suchen und Finden immer schon zu ihrem Kerngeschäft gehörten. In der archivfachlichen Diskussion werden üblicherweise zwei verschiedene Suchtechniken unterschieden: «[…] zum einen das Auswählen aus Listen und das Verfolgen von Verknüpfungen, zum anderen die direkte Datenbankabfrage mittels Suchbegriffen und Suchkriterien.»[4] Die erste Technik ist bekannt als «Ermitteln», die zweite als «Suchen». «Der ermittelnde Zugang erfolgt in der Praxis durch das fortschreitende Auswählen aus einer geordneten Liste in der hierarchisch nächst tiefer liegenden Ebene.»[5] Während Glauert aufgrund von Zugriffszahlen von einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Suchen und Ermitteln bei der Recherche in Archivbeständen ausgeht, stellt Volkmar lediglich fest, «dass die Nutzer prinzipiell beide Strategien anwenden und nicht etwa allein die Volltextsuche bemühen».[6] Wie sich die Suchgewohnheiten verändern angesichts der Tatsache, dass «die Volltextsuche über einen Suchbegriff zum Suchmaschinenstandard im Internet gehört und daher von den Benutzern erwartet wird»,[7] ist offen; dass sie einem steten Wandel unterworfen sind, ist klar.
Die archivfachliche Diskussion drehte sich nach ersten Untersuchungen über die Chancen der neuen Technologien Ende der 1990er Jahre um die Inhalte von Web-Auftritten. Dabei spielte die Publikation von Findmitteln als «sichtbare[m] Nachweis archivischer Tätigkeit»[8] eine zentrale Rolle. Denn: «Den Kern des Internetportals bilden die Beständeübersichten».[9]
Analysen von Webauftritten verschiedener Archive ergaben nach der Jahrtausendwende ernüchternde, zugleich aber auch wenig überraschende Resultate. «Die von den Archiven entwickelten, individuellen Präsentationsformen sind also Ausdruck spezifischer Methoden und gewachsener Strukturen in diesem Bereich – allerdings mit dem Nachteil, dass sich Nutzer zunächst einmal mit dem jeweiligen Aufbau und der Benutzerführung des Informationsangebots vertraut machen müssen.»[10] Im Jahr 2008 stellte Christoph Volkmar fest: «Bestimmte Angebote und Module haben sich als Quasi-Standards etabliert.»[11]
Das bestätigt ein Blick auf die Webseiten der Schweizer Staatsarchive. Archivpläne werden vielerorts über Baumstrukturen präsentiert, eine Folge der Verwendung bestimmter Archivsoftware-Produkte. Angesichts der Vereinheitlichungstendenzen bei der Präsentation und angesichts der Verbreitung der Erschliessungsnorm ISAD(G) droht vergessen zu gehen, dass die Archive mit ihrer Archivtektonik ihr je eigenes Gesicht haben. «Die Gliederung der Bestände ist je nach Archiv unterschiedlich. Sie orientiert sich im Allgemeinen am Archivsprengel und im Speziellen an den oder dem Bestandsbildner(n). Daneben wäre eine Unterteilung in zeitliche Abschnitte unter Berücksichtigung der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte denkbar.»[12] Archivpläne haben, gleich wie die Archive, ihre je eigene Geschichte, die im Übrigen sehr eng miteinander zusammenhängen. Kennt man sich in einem Archivplan aus, heisst das deshalb nicht, dass man sich auch in der Archivtektonik eines anderen Archivs zurechtfindet. Vielmehr muss man sich jedes Mal von Neuem mit der jeweiligen Archivtektonik auseinandersetzen.
Beim Übergang von der analogen zur digitalen Präsentation wurden die Archivpläne kaum oder gar nicht verändert. Das bedeutet, dass gewisse Unzulänglichkeiten und Eigenheiten, mit denen das jeweilige Archivpersonal umzugehen weiss, die Benutzerschaft im Internet u. U. vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Vielleicht kontaktieren Benutzerinnen und Benutzer nach einer gescheiterten Recherche das Archiv, vielleicht gehen sie aber auch davon aus, dass sich zu ihrem Suchanliegen nichts finden lässt.
Im Jahr 2010 forderte eine Arbeitsgruppe der deutschen Archivreferentenkonferenz als Resultat ihrer Untersuchung von Recherchemöglichkeiten, dass «die Struktur des Archivportals oder der Beständeübersicht [...] über einen Navigationsbaum dargestellt werden» soll.[13] Begründet wurde diese Empfehlung wie folgt: «Baumstrukturen sind intuitiv benutzbar, verdeutlichen unmittelbar die Struktur und geben einen Überblick über die Inhalte.»[14] Einschränkend heisst es: «Aus Darstellungsgründen sollen nicht mehr als 30 Unterpunkte auf einer Ebene bzw. unterhalb eines Baumknotens der Beständeübersicht bzw. des Klassifikationsknotens im Findbuch erscheinen.»[15] Das aber ist bei den gewachsenen Strukturen einer Archivtektonik zuweilen nicht gewährleistet. Klar ist, dass Präsentationsformen kompensatorisch wirken und die Recherche unterstützen oder erschweren können. Möglichkeiten werden in der Literatur diskutiert, das Potential ist erkannt. Über digitale Präsentationsformen «bietet [sich] die Möglichkeit, Bezüge und Strukturen im Internet optisch deutlicher darzustellen als auf dem Papier, die Chance, Findmittel im neuen Medium plastischer und aussagekräftiger darzustellen und so das Provenienzprinzip zu betonen.»[16] Dass mit der Betonung des Provenienzprinzips die Recherche erleichtert wird, dürfte namentlich auf die versierte Archivbenutzerschaft zutreffen. Für weniger geübte Benutzerinnen und Benutzer dürfte das hingegen nicht genügen. Um ein breiteres Interesse an Archivbeständen nicht nur zu wecken, sondern auch zu befriedigen, sind einfachere Hilfsmittel nötig, die überdies möglichst selbsterklärend sein müssen.
Vereinfachung und Visualisierung
Wie aber lässt sich das realisieren? Das Staatsarchiv Thurgau bietet verschiedene Recherchehilfsmittel über seine Website an. Über das Recherche-Tool Query kann entweder mit der Volltextsuche, mit einer Feldsuche oder über die Baumsuche im Archivplan recherchiert werden. Als Ergänzung bzw. als «stabilisierendes Bindeglied zwischen den einzelnen Findmitteln – hier die Archivdatenbank, dort die Detailfindmittel»[17] dient die Beständeübersicht. Sie enthält eine Vielzahl an Informationen für die Benutzung des Staatsarchivs und der einzelnen Bestände sowie Verweise auf Literatur und für den Thurgau relevante Bestände in anderen Archiven. Über die Website ist dieses Hilfsmittel als PDF einsehbar. Ein weiterer Link führt auf das Archivportal archivesonline und schliesslich kann auch der Katalog der Kantonsbibliothek aufgerufen werden, um nach Büchern zu suchen, die in der Präsenzbibliothek des Staatsarchivs stehen. Insgesamt kann der Benutzer und die Benutzerin aus einem vielfältigen Angebot mit Erschliessungsdaten und weiterem Informationsmaterial auswählen.
Gemessen an den Empfehlungen zur Benutzerunterstützung und -beratung bei der Recherche, wie sie in der archivwissenschaftlichen Diskussion gemacht werden, muss festgestellt werden, dass die Informationen zur Benutzung des Staatsarchivs zu den Recherchehilfsmitteln und zu den einzelnen Beständen zwar vorhanden sind, doch es braucht einiges an Kenntnissen, um die richtigen Informationen rechtzeitig zu Rate ziehen zu können. Nur, wer mag sich schon zuerst mit der Frage beschäftigen, welche Vorgehensweise ihn wirklich zu den besten Resultaten führt? Und wer mag nach einem oder zwei Fehlversuchen noch weitere Recherchen anstellen oder vielleicht sogar Kontakt mit dem Archiv aufnehmen? Auf diese Weise bleiben nützliche Recherchetipps mutmasslich unbeachtet, denn: «Der typische Nutzer beginnt […] sofort, auf dem Rechercheportal konkrete Informationen zu seinem Anliegen zu suchen, ohne vorher das Internetangebot eingehend zu studieren, um etwaige Wissenslücken zu schliessen.»[18]
Versucht man sich bei der Verbesserung an die Vorschläge in der Literatur zu halten, findet man zum einen sehr allgemein gehaltene Tipps: «Werkzeuge der Internetberatung [sollten sich] an dem Grundsatz orientieren, dass nicht der Nutzer die Hilfe anfordern muss, sondern die Hilfe unaufgefordert und passgenau zum Nutzer kommen soll».[19] Sind sie andererseits konkret, dann heisst es, es müssten Hilfestellungen in Form von Erklärungen angeboten werden, im Idealfall dort, wo das Problem auftaucht. Beispiele dafür sind «automatisch erscheinende Hilfefenster» oder «Hilfetexte […], die automatisch auf dem Bildschirm erscheinen, wenn der Nutzer über seinen Bildschirm navigiert».[20] Gemessen an Forderungen wie: «Grundsätzlich sind gerade in der anonymen Kommunikationssituation im Internet selbsterklärende Strukturen besser als lange Hilfetexte»[21] vermögen solche Vorschläge nicht richtig zu überzeugen.
Klar ist: Archivpläne und Beständeübersichten als Recherchemittel im Internet sind eine ambivalente Sache. Einerseits können die Erschliessungsdaten bequem abgefragt werden und sind damit prinzipiell von überall her zugänglich. Andererseits ist der Zugang je nach Vorwissen der Benutzerinnen und Benutzer nicht ganz einfach; schwierige Begriffe, die Ordnung der Bestände nach dem Provenienzprinzip, die grosse Fülle an Erschliessungsdaten, die vielfältige Struktur der Archivpläne – alles mehr oder weniger grosse Klippen auf dem Weg zu den gesuchten Archivalien. Die weggefallene Beratungsmöglichkeit verschärft das Problem, ebenso wie gängige Recherchegewohnheiten im Internet und generell die Informationsflut.
In der archivfachlichen Diskussion lassen sich verschiedene Beiträge zur online-Publikation archivischer Erschliessungsdaten finden. Trotzdem werden Findmittel bislang nur entweder als Listen oder Baumdarstellungen präsentiert. Dabei wären alternative Visualisierungsformen denkbar, und ein Blick in die umfangreiche Literatur rund um die Wissensorganisation bzw. aus dem Wissensmanagement zeigt, wie weit die theoretische Auseinandersetzung damit in anderen Anwendungsbereichen gediehen ist. Es gibt aber auch vereinzelte Versuche zur Anwendung von Methoden aus dem Wissensmanagement für archivnahe Bereiche. Tanya Karrer beschreibt in ihrer Hausarbeit im Rahmen des Weiterbildungsprogramms MAS ALIS etwa, wie sie eine Wissenskarte über den Inventarisationsprozess für die Sammlung der Inselspital-Stiftung erstellt hat.[22] Im Fazit zeigt sie sich optimistisch, dass die Karte «wegen ihrer Einfachheit […] sehr wohl Anklang finden» wird.[23] Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten zur Visualisierung von Wissen erstaunt das Fehlen alternativer Darstellungsformen von Archivplänen, so dass sich eigentlich nur die Frage stellt, welche Alternativen für den archivischen Verwendungszweck geeignet wären.
Der Liniennetzplan ist eine solche Möglichkeit. Zunächst liegt seine Nähe zu den Archivbäumen nicht eben auf der Hand, bei genauerem Hinsehen zeigen sich aber schnell gute Gründe für eine Verbindung von Archivplan und Liniennetzplan zu einem «Archivnetzplan». Wie ein öffentliches Verkehrsnetz sind auch Archivpläne relativ komplexe Strukturen mit Elementen, die verschiedenartig miteinander verbunden sind. Die Verbindungslinien sind zum Teil offensichtlich, manchmal nicht. Ausserdem ist die Orientierung bei der Recherche genauso wie in einem Verkehrsnetz zentral. Für die Umsetzung eines Archivplans als Liniennetzplan spricht auch, dass über die Reduktion der Komplexität eine einfache Handhabung möglich wird, weil der Liniennetzplan für einen konkreten Benutzungsaspekt optimiert ist, den er ideal erfüllt.
Der Liniennetzplan ist eine Wissenskarte (knowledge map) und somit ein Instrument zur Visualisierung von Wissen. Nach Martin Eppler handelt es sich bei Wissenskarten um «a grafic overview and reference of knowledge-related content that serves a knowledge management-related purpose».[24] Von Remo Burkhard und Michael Meier werden 6 Formate zur Visualisierung von Wissen unterschieden: «Heuristic sketches, Conceptual Diagrams, Visual Metaphors, Knowledge Animations, Knowledge Maps, Domain Structures.»[25] Die Autoren beschreiben die Darstellung eines Projektverlaufs in Form einer U-Bahn-Karte und begründen ihre Entscheidung für die Wahl dieser Form der Visualisierung wie folgt: «The visualization presents both, overview and detailed information in one visualization, reduces the complexity, motivates the employees, and provokes discussion.»[26] Eppler hält eine solche Art der Visualisierung eines Projekts für «playful»; gleichzeitig schätzt er den Nutzen hoch ein, wenn er schreibt: «The main advantages of this type of documentation is that it raises attention, it is based on intuitive conventions and thus easy to use, and it can be appended through new ‚metro lines’ if needed.»[27]
Das Konzept eines Liniennetzplans lässt sich nun sehr gut zur Visualisierung von Archivplänen verwenden. Im Gegensatz zu klassischen Baumstrukturen hat ein Liniennetzplan den entscheidenden Vorteil, dass er eine nicht-lineare Lesart ermöglicht, was Burkhard und Meier wohl als Gleichzeitigkeit von Überblick und Detailinformation beschreiben. Jedenfalls impliziert die Gleichzeitigkeit die Möglichkeit, ständig hin und her zu wechseln zwischen kleineren und grösseren Stationen, Linienverläufen und Anschlussmöglichkeiten. Genau dieses Element ist eines der beiden Hauptargumente für diese Darstellungsform:
– Die Planform ermöglicht einen individuelleren Suchverlauf, das ganze Angebot an Informationen ist immer unmittelbar präsent. Je nach Vorwissen und Interesse kann man mit der Suche beginnen, wo man will.
– Netzpläne zeigen Zusammenhänge durch Verbindungen («Linien»). Zusätzlich gibt es einige wenige weitere Gestaltungselemente. Dank dieser Reduktion kann eine verhältnismässig komplizierte Struktur, wie sie das Liniennetz für den öffentlichen Verkehr oder eine Archivtektonik bilden, einfach verständlich und selbsterklärend dargestellt werden.
Abbildung 1: Ausgangspunkt für die Suche bilden thematische Einstiegspunkte.
Der Archivnetzplan für das Staatsarchiv Thurgau[28]
Ein Rechercheinstrument auf der Grundlage eines Liniennetzplanes kann dann übersichtlich gestaltet werden, wenn die Archivtektonik nur bis zu einer mittleren Tiefe abgebildet wird. Auf dem Archivnetzplan können deshalb nur Bestände recherchiert werden, die als Stationen abgebildet werden; für die Suche nach Teilbeständen oder einzelnen Unterlagenserien muss man in die Archivdatenbank wechseln. Diese Einschränkung erwies sich als förderlich für die Entwicklung, namentlich für die Übersichtlichkeit. Sie bedeutet aber auch, dass der Archivnetzplan im Verbund mit den anderen Findmitteln des Thurgauer Staatsarchivs (Archivplan, Beständeübersicht) steht. Der Archivnetzplan zeigt die Bestände möglichst übersichtlich und ermöglicht Orientierung. Den Übergang zur detaillierten Erschliessung gewährleisten bei jeder Station jeweils eine oder mehrere Archivsignaturen.
Das Zentrum des Plans bilden die Ausgangspunkte der thematischen Linien, die nicht mehr einem «Hauptbahnhof» gleichen, sondern mit ihrer X-förmigen Anordnung den Startpunkt bilden. Aus dem Zentrum schlängeln sich 12 Linien in verschiedene Richtungen, ohne einander zu kreuzen (Vgl. Abbildung 1). Das bringt das gleichwertige Nebeneinander der Bestände gestalterisch zum Ausdruck. Dasselbe gilt auch für die identische Gestaltung aller Haltestellen- und Stationsnamen derselben Linie, die sich jeweils weder farblich noch hinsichtlich Grösse unterscheiden (Vgl. Abbildung 2). Hinweise auf Stationen (bzw. Archivbestände), die thematisch verwandt sind, sich aber an anderen Linien befinden, werden in der Farbe der entsprechenden Linie unter der Bezeichnung der Station gegeben (in Abbildung 2 der Verweis von «Grundbuch» auf «Vermessung»). Die den Stationsnamen nachgestellten Archivsignaturen bilden die Schnittstelle vom Archivnetzplan zum Archivinformationssystem, wo innerhalb der Bestände weiterrecherchiert werden kann.
Abbildung 2: Ausschnitt mit Unterthemen («Haltestellen»), Beständen («Stationen») und Verweisen.
Durch die professionelle gestalterische Umsetzung hat der Archivnetzplan nicht nur eine ansprechende Form erhalten, sondern auch eine Weiterentwicklung erfahren. Das Endresultat ist einerseits ein übersichtliches Recherchehilfsmittel, das eine schnelle Orientierung ermöglicht. Weil die Gestaltung nicht bloss dem Aussehen von Liniennetzplänen des öffentlichen Verkehrs nachempfunden wurde, entstand andererseits ein Blickfang.
Perspektiven für die Nutzung
Der Archivnetzplan ist ein Versuch, die Komplexität archivischer Beständeorganisation zugunsten von mehr Übersichtlichkeit zu reduzieren. Anhand von drei möglichen Perspektiven der Anwendung soll nun versucht werden, das Potential des Archivnetzplans etwas auszuloten.
Perspektive 1: Übersichtliche vor-Ort-Recherche
In der archivwissenschaftlichen Diskussion wird einhellig die Meinung vertreten, dass die Webseite mittlerweile von zentraler Bedeutung für den Zugang zu den Beständen eines Archivs ist. Die Einsichtnahme in Archivalien erfolgt aber zumindest vorläufig noch in den allermeisten Fällen in den Lesesälen, wo die Möglichkeit gegeben ist, die Benutzerinnen und Benutzer zu beraten. Als Plakat ausgehängt kann der Plan in der Bestandsvermittlung bei der Erklärung möglicher Recherchewege helfen. Bei der Einführung neuer Benutzerinnen und Benutzer kann er dazu dienen, zu zeigen, welche Bestände für bestimmte Interessen geeignet sind und wie sie zu Suchresultaten gelangen, aber auch, wie die Bestände in der Archivtektonik im Unterschied zum Archivnetzplan angeordnet sind. An der Differenz zwischen einem Findmittel, das die Baumstruktur zeigt, und dem Archivnetzplan, der die Bestände nach thematischen Kriterien ordnet, wird das Provenienzprinzip sichtbar.
Perspektive 2: Vernetzte Online-Recherche
Im Bereich der Online-Recherche besteht ein erhebliches Potential für den Einsatz eines Archivnetzplans. Ist der Plan über das Internet einsehbar, kann man sich schnell einen Überblick über die Bestände des Archivs verschaffen. Vor allem bei der ermittelnden Recherche kann er als Überblicksdarstellung eine wichtige Rolle spielen, wenn er im wechselseitigen Zusammenspiel mit der Baumdarstellung des Archivinformationssystems eingesetzt wird. Über den Archivnetzplan beginnt die Suche, über die Signaturen erfolgt der Wechsel in den Archivbaum, wo die detaillierte Recherche fortgeführt wird; mehrere Signaturen an der Station auf dem Archivnetzplan führen zu Treffern an verschiedenen Orten der Archivtektonik.
Sollte sich der Archivnetzplan als nützliches und genutztes Recherchehilfsmittel erweisen, ist es durchaus vorstellbar, die Stationen mit den entsprechenden Knotenpunkten im Archivbaum zu verlinken, so dass man so über den Plan navigieren könnte. Es wäre weiter denkbar, die Idee des Netzplans auch auf die Detailrecherche auszuweiten, d. h. neue Linien an die Stationen anzuhängen, die in die Binnenstruktur der Bestände, aber auch zu weiteren Informationen (wie z. B. themenspezifische Publikationen) führen. Hilfreich wäre, wenn an den Stationen direkt Informationen über die Bestände, wie z. B. Bestandsbeschreibungen, Verwaltungsgeschichten, Informationen über den Aktenbildner, abgerufen werden könnten, um die Vorstellungen, was sich in einem Bestand befindet, zu präzisieren und die Treffergenauigkeit beim Übergang in die Detailrecherche zu verbessern – vielleicht liesse sich die eine oder andere Frage bereits mit den Informationen über den Bestand beantworten.
Mit einer solchen Erweiterung des Archivnetzplans um Informationen, die in der Beständeübersicht und in den Beschreibungsformularen der Bestände allesamt schon vorhanden sind, wäre der Archivnetzplan nicht mehr nur Findhilfsmittel. Dabei müsste aber abgewogen werden, wie stark die Einfachheit des Hilfsmittels zugunsten der Ergänzung um weitere Informationen verändert werden soll.
Perspektive 3: Vereinfachung der Zugänglichkeit
Die Vereinfachung des Zugangs zu Archivalien ist nicht nur für die Recherche nützlich, sondern auch für eine Institution, von der die Bevölkerung im Allgemeinen nicht allzu viel weiss. Immer wieder deuten Fragen darauf hin, dass vielen Menschen unklar ist, wofür ein Archiv zuständig ist und was alles archiviert wird.
Das Staatsarchiv Thurgau versucht mit verschiedenen Massnahmen, seine Tätigkeit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen: es werden Führungen angeboten, jährlich eine Ausstellung gestaltet, Seminarraum und Sitzungszimmer an Dritte vermietet und so Personen ins Archivgebäude geholt, die nicht zu Recherchezwecke kommen. Es gibt den Bedarf, die Höhe der Zugangsschwelle zum Archiv mit verschiedenen Mitteln zu reduzieren. Eines der Mittel könnte zukünftig auch der Archivnetzplan sein. Bislang können bei Führungen die in Regalen aufgestellten Schachteln und Bände gezeigt werden. Der Archivplan ergänzt das Gesehene insoweit, als erklärt werden kann, weshalb etwas einer bestimmten Hauptabteilung zugeordnet ist und wie die Archivarinnen und Archivare das Gesuchte in den Magazinen finden. Spätestens dann, wenn das Provenienzprinzip erläutert wird, zeigen die Besucherinnen und Besucher zwar durchaus Verständnis dafür, doch ist ihnen diese Art der Zuordnung so fremd, dass selbständige Recherchen kaum auf Anhieb zum Ziel führen. Wenn es gelingt, der Öffentlichkeit u. a. mit Hilfe des Archivnetzplanes besser verständlich zu machen, was sich alles in den Magazinen des Staatsarchivs befindet, besteht Grund zur Hoffnung, dass mehr Menschen kommen und die Angebote nutzen.
Verschiedene Rechercheinstrumente
Jedes Recherchehilfsmittel hat seine Stärken, aber auch seine Nachteile. Während uns zur Orientierung in einer Stadt verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung stehen (Stadtplan, Liniennetzplan, Reiseführer), aus denen wir je nach Fragestellung ganz selbstverständlich auswählen, steht in vielen Archiven nur eines zur Verfügung. Darin sind zwar alle Informationen enthalten, doch ist das Gesuchte nicht immer einfach zu finden, zumindest dann, wenn mittels der ermittelnden Suche recherchiert wird.
Trotzdem ist die Baumdarstellung neben der Liste bislang die einzige Darstellungsform von Archivverzeichnissen. Diese Form hat erwiesenermassen viele Vorteile. Angesichts der veränderten Bedingungen, unter denen im Internet selbständig in den historisch gewachsenen Archivplänen recherchiert werden kann, reicht es aber oft nicht, wenn der richtige Gebrauch erklärend beschrieben wird. Übersichtlichere Rechercheinstrumente könnten da Abhilfe schaffen und den Benutzerinnen und Benutzern von Archiven den Zugang zu den Archivalien erleichtern.
Der Archivnetzplan kann in diesem Sinn als ein Vorschlag verstanden werden, mit welchen Alternativen die Erschliessungsdaten von Archiven präsentiert werden können. Die hier gewählte Form zwang zu bestimmten Anpassungen der Inhalte, hier namentlich die Reduktion und Vereinfachung. Dadurch kann das Hilfsmittel einiges, was die anderen Hilfsmittel im Staatsarchiv Thurgau nicht in derselben Weise können und umgekehrt. Und das ist gut so. Denn genauso, wie wir auf der Suche nach einem Strassennamen in einer fremden Stadt nicht nach dem U-Bahn-Plan greifen, sondern uns des Stadtplans bedienen, können unterschiedliche Recherchehilfsmittel unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen. Durch die Vielfalt entsteht eine Wahlmöglichkeit, was angesichts verschiedenartiger Interessen und Vorlieben ein Vorteil sein dürfte.
Die Auseinandersetzung mit alternativen Darstellungsformen von Recherchehilfsmitteln in Archiven bietet also nicht nur neue Sichtweisen auf die archivische Bestandsvermittlung. Sie fordert zugleich zur Reflexion darüber heraus, was ein Recherchehilfsmittel leisten muss und leisten kann.
Literatur
Black, Mechthild: Recherche via Internet: Neue Wege zum Archivgut, in: Fundus – Forum für Geschichte und ihre Quellen (Heft 4). (http://webdoc.sub.gwdg.de/edoc/p/fundus/4/black.pdf)
Burkhard, Remo Aslak; Meier, Michael: Tube Map Visualization. Evaluation of a Novel Knowledge Visualization Application for the Transfer of Knowledge in Long-Term Projects. In: Journal of Universal Computer Science, Bd. 11, Nr. 4, 2005, S. 473–494.
Dorfey, Beate: Erschliessungsinformation im Internet. Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Präsentation im Netz. In: Archivar, Heft 1, 2010, S. 56–59.
Eppler, Martin J: A Process-Based Classification of Knowledge Maps and Application Examples. In: Knowledge and Process Management, Bd. 15, Nr. 1, S. 59–71.
Eppler, Martin J.: Managing Information Quality. Increasing the Value of Information in Knowledge-intensiv Products and Processes. Heidelberg 2006.
Glauert, Mario: Anforderungen an eine Online-Beständeübersicht und eine archivische Homepage. In: Brübach, Nils (Hg.): Archivierung und Zugang. Transferarbeiten des 34. wissenschaftlichen Kurses der Archivschule Marburg. Marburg 2002 (http://archivschule.de/DE/publikation/digitale-texte/anforderungen-an-archivische-homepage-1.html).
Karrer, Tanya: Eine Wissenskarte für den Objektinventarisierungsprozess in der Musealen Sammlung der Inselspital-Stiftung (MUSIS). Hausarbeit im Master of Advanced Studies in Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft, 2011.
Müller, Peter: Schnell zum Ziel – Erschliessungspraxis und Benutzererwartungen im Internetzeitalter. In: Bischoff, Frank M. (Hg.): Aktuelle Anforderungen an archivische Erschliessung und Findmittel. Beiträge zum 11. Archivwissenschaftlichen Kolloquium der Archivschule Marburg. Marburg 2007, S. 37–63.
Reimann, Norbert (Hg.): Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Münster 2004.
Salathé, André: Beständeübersicht des Staatsarchivs des Kantons Thurgau. Frauenfeld 2005.
Unterarbeitsgruppe des IT-Ausschusses der ARK: Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Präsentationen von Erschliessungsinformationen im Internet, 2009.
(http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/bundesarchiv_de/fachinformation/ark/vorlage_ark_erschlie_ung_online.pdf)
Volkmar, Christoph: Service für den virtuellen Nutzer. Vorschläge zur Integration von Beratung in Online-Findmittel. Transferarbeit im Rahmen der Laufbahnprüfung für den höheren Archivdienst an der Archivschule Marburg. Marburg 2008.
[1] Ich danke André Salathé, dem Thurgauer Staatsarchivar, für die Unterstützung der Idee und Urs Stuber, Frauenfeld, für deren professionelle gestalterische Umsetzung.
[2] Black, S. 230.
[3] Volkmar 2008, S. 3.
[4] Glauert 2002, S. 6.
[5] Glauert 2002, S. 6.
[6] Volkmar 2008, S. 13.
[7] Dorfey 2010, S. 58.
[8] Dorfey 2010, S. 56.
[9] Müller 2007, S. 50.
[10] Dorfey 2010, S. 57.
[11] Volkmar 2008, S. 2.
[12] Reimann 2004, S. 103.
[13] Dorfey 2010, S. 57.
[14] Dorfey 2010, S. 57.
[15] Dorfey 2010, S. 58.
[16] Black, S. 217.
[17] Salathé 2005, S. 16.
[18] Volkmar 2008, S. 17.
[19] Volkmar 2008, S. 21.
[20] Volkmar 2008, S. 22.
[21] Volkmar 2008, S. 21.
[22] Karrer 2011.
[23] Karrer 2011, S. 14.
[24] Eppler: A Process-Based Classification of Knowledge Maps and Application Examples, S. 62.
[25] Burkhard, Meier 2005, S. 474.
[26] Burkhard, Meier 2005, S. 475.
[27] Eppler 2006, S. 194.
[28] Auf der Website www.staatsarchiv.tg.ch kann der gesamte Plan eingesehen werden.