Vorwort

Georg Büchler

Am 28. Februar und 1. März 2017 nahmen 147 digitale Archivarinnen und Archivare aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Tschechien und Ungarn an der 21. Jahrestagung des Arbeitskreises «Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen» in Basel teil. Für die KOST, die seit der zehnten Ausgabe 2006 an den Arbeitskreistagungen teilnimmt, und für das Staatsarchiv Basel-Stadt war es eine besondere Ehre, die Kolleginnen und Kollegen zum zweiten Mal nach 2009 in der Schweiz begrüssen zu dürfen. Aus bescheidenen Anfängen hat sich die Arbeitskreistagung längst zur wichtigsten deutschsprachigen Veranstaltung im Bereich der digitalen Archivierung entwickelt. Auch dieses Mal nahmen Erfahrungsberichte und Beispiele aus der konkreten Archivpraxis einen wichtigen Raum ein. Daneben fanden grundsätzliche und mehr theoretische Überlegungen ebenfalls ihren Platz.

Die Tagungsbeiträge sind in diesem Band in Artikelform publiziert. Verzichtet wurde dabei auf die Publikation von Beiträgen, die einen bereits wieder überholten Arbeitsstand referierten oder in erster Linie der Information der Fachgemeinde dienten. Alle Präsentationen sind jedoch wie jedes Jahr auf den Webseiten des Arbeitskreises beim Staatsarchiv St. Gallen dokumentiert und zugänglich unter www.staatsarchiv.sg.ch/home/auds/.[1]

Die herausragende Stellung praxisnaher Beiträge an den Tagungen des Arbeitskreises impliziert nicht einen Verzicht auf ein theoretisches Fundament. Die erste Session der Basler Tagung war deshalb Modellen und Grundsatzüberlegungen gewidmet. Lambert Kansy (Staatsarchiv Basel-Stadt) und Martin Lüthi (Staatsarchiv St. Gallen) präsentierten das Resultat eines gemeinsamen KOST-Projekts, das KOST-Diskussionspapier AIS-Modell. Dieses definiert in möglichst generischer Weise die archivischen Kernprozesse, die dazugehörigen Informationsobjekte und notwendige Schnittstellen zu Umsystemen und soll so als Ausgangspunkt für eine vertiefte Diskussion archivischer Anforderungen an das AIS, die zentrale Fachanwendung eines Archivs dienen. Auf ein so bekanntes wie umstrittenes Konzept fokussierte Prof. Dr. Christian Keitel vom Landesarchiv Baden-Württemberg in seinem Beitrag Der einzige Kompass, den wir haben. Zur Kritik der Designated Community. Gegen vergangene und aktuelle Kritik am OAIS-Konzept der Designated Communities unterstrich er die Notwendigkeit, archivische Entscheide explizit auf Annahmen über die künftigen Nutzer des Archivguts und deren Nutzungsziele zu gründen – implizit tun wir dies ohnehin.

Die zweite Session hatte den Anspruch, Licht in eine selten öffentlich beleuchtete Ecke der digitalen Archivierung zu bringen, nämlich in Fragen zu den Kosten der digitalen Archivierung. Detaillierte Zahlen präsentierte Dr. Krystyna Ohnesorge vom Schweizerischen Bundesarchiv BAR, die in ihrem Referat mit dem Titel Digitale Archivierung im BAR – Ein Blick hinter die Kulissen das Angebot des BAR zur digitalen Archivierung für Dritte vorstellt und die Überlegungen erläuterte, die zur Preisgestaltung geführt haben. Dr. Julia Krämer-Riedel, Historisches Archiv der Stadt Köln, und Tobias Schröter-Karin, LWL-Archivamt für Westfalen, referierten über Archivierung im Verbund: Kosten der digitalen Archivierung am Beispiel von DiPS.kommunal. DIPS.kommunal bietet als Teil des Digitalen Archivs NRW den kommunalen Archiven digitale Archivierung als Service an. In einer solchen Konstellation ist es absolut zentral, die Kosten für diese Dienstleistung nachvollziehbar zu machen und im Detail zu rechtfertigen. Die Hostinglösung docuteam cosmos stand im Zentrum des Referats Kostenmodelle für digitale Archivierung – Vergleich von Theorie und Praxiserfahrung von Dr. Tobias Wildi, docuteam. Er diskutierte verschiedene Modelle zur Kostenanalyse und -berechnung in der digitalen Langzeitarchivierung, die in den letzten Jahren publiziert worden waren, und zeigte ihre Limiten in der praktischen Anwendung auf. Das Kostenmodell von docuteam beruht auf vier Kostenkategorien und umfasst verschiedene Berechnungen von Kostenfaktoren. Da das Angebot noch neu und in Entwicklung ist, wird auf eine Publikation in Artikelform zum gegenwärtigen Zeitpunkt verzichtet. Die Session wurde beschlossen von Maurice Heinrich vom Deutschen Archäologischen Institut mit dem Referat Archivierung von digitalen Forschungsdaten der Altertumswissenschaften – Kosten- und Finanzierungskonzepte. Das vorgestellte Modell ist auf die Situation und die spezifischen Anforderungen einer Forschungsrichtung ausgerichtet und versucht, Projektfinanzierung und institutionelle Verankerung miteinander zu verbinden. Auch dieses Referat ist im vorliegenden Band nicht publiziert.

Dass viele Archive in den letzten Jahren eine gewisse Übung im präzisen Umgang mit Dateiformaten erworben haben, zeigte sich in der dritten, sehr praktisch ausgerichteten Session. Dr. Kai Naumann vom Landesarchiv Baden-Württemberg und Dr. Christoph Schmidt vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen analysierten unter dem Titel Chancen und Risiken des Einsatzes verlustbehafteter Bildkompression in der digitalen Archivierung den Informationsverlust beim Scannen sowie bei der Umwandlung von TIFF in JPEG2000. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung stellen den noch weitgehend geltenden archivischen Konsens über die Superiorität von TIFF als Bildarchivformat stark in Frage. Martin Kaiser (KOST) berichtete über eine gross angelegte TIFF-Korpus-Analyse der KOST zusammen mit drei ihrer Trägerarchive, in deren Rahmen vier Millionen TIFF-Dateien aus den drei Archiven mit verschiedenen Validierungs- und Charakterisierungswerkzeugen analysiert worden waren. Damit liegen nun erstmals Daten über ein sehr grosses Korpus realer TIFF-Dateien vor, welche fundierte Aussagen und gezielte Planungen ermöglichen. Der erste Kongresstag wurde beschlossen von Stephanie Kortyla und Christian Treu (Sächsisches Staatsarchiv), die anhand einiger prägnanter Beispiele die Nutzen und Grenzen der Formatidentifizierung beim Preservation Planning auszuloten versuchten. Die Limiten der Formatdatenbank PRONOM und des Identifikationstools DROID erfordern einen bewussten Einsatz und grosse Fachkenntnis der beteiligten Archivarinnen und Archivare.

Noch tiefer in die konkrete Arbeit tauchte die Arbeitskreistagung in der vierten Session ein, Praxisberichte: Behördenberatung, Fachverfahren, Webarchivierung. Vor der Archivierung steht die Behördenberatung. Dazu präsentierten eingangs Dr. Christine Friederich und Dr. Martin Schlemmer (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen) Das E-Government-Gesetz NRW und die Praxis der Behördenberatung – ein Werkstattbericht aus dem Landesarchiv NRW. Das E-Government-Gesetz hat die Rahmenbedingungen für die Behördenberatung in Nordrhein-Westfalen verändert und beim Landesarchiv zu einer Neuorganisation dieser besonders für digitale Unterlagen zentralen Aufgabe geführt. Eine ähnliche Fragestellung untersuchte der Beitrag Anwendung «Fachverfahren in der Bundesverwaltung» – Behörden-Fachdatenanwendungen im archivischen Überblick von Joachim Rausch und Marion Teichmann (Deutsches Bundesarchiv). Mit der vorgestellten Anwendung hat das Bundesarchiv die frühere Praxis der Erhebungen mittels Fragebogen abgelöst und zugleich die Möglichkeiten der Benutzbarkeit und Auswertung der erhobenen Informationen stark verbessert. Dieses Referat war als Produktpräsentation angelegt und ist deshalb im vorliegenden Band nicht enthalten. Zur eigentlichen Archivierung aus Fachverfahren (bzw. in der schweizerischen Terminologie Fachanwendungen) referierten danach Ursina Rodenkirch-Brändli und Bernhard Stüssi (Staatsarchiv Graubünden) unter dem Titel Archivierung aus Fachanwendungen im Staatsarchiv Graubünden: ein Werkstattbericht. Sie präsentierten zwei aktuelle Projekte mit Anwendungen aus dem Strassenverkehrsamt und der Sozialversicherungsanstalt und fragten insbesondere nach der Definition einer das Verwaltungshandeln korrekt abbildenden Akteneinheit in beiden Fällen. Ein weiterer archivischer Kernprozess, der bei der digitalen Archivierung, und dort vor allem bei der Archivierung aus Fachverfahren, grosse Änderungen erfordert, ist die Erschliessung. Dr. Sigrid Schieber (Hessisches Hauptstaatsarchiv) fragte dazu: Die Erschließung strukturierter Massendaten aus Datenbanken – was ist nötig, um solche Daten interpretierbar und benutzbar zu machen? Über die klassisch archivische Erschliessung hinaus ist nämlich von der Binnenerschliessung der Datenbankinhalte zu sprechen. Diese muss der Archivnutzerin und dem Archivnutzer ermöglichen, die Archivalien zu interpretieren und zu verstehen, und muss dazu unter anderem auch den Bewertungs- und Übernahmeprozess in geeigneter Form dokumentieren. Da Frau Dr. Schieber diese Thematik am Deutschen Archivtag weiterentwickelt hat, wird sie in diesem Rahmen publiziert werden. Ein eher marginales, aber an den Arbeitskreistagungen schon fast klassisches Thema rundete diese Session ab: das Referat Webarchivierung in der Praxis: Erfahrungen des Staatsarchivs Basel-Stadt von Kerstin Brunner und Olivier Debenath (Staatsarchiv Basel-Stadt). Es bot einen Rückblick auf vier Jahre systematische Bewertung und Archivierung von Webseiten der kantonalen Verwaltung, und zwar sowohl auf die archivfachlichen als auch auf die technischen Aspekte. Die gemachten Erfahrungen und die daraus gezogenen Lehren werden die zukünftige Webarchivierung in Basel-Stadt gestalten.

Erst in den letzten Jahren sind Zugang und digitaler Lesesaal langsam ein Thema geworden. Die fünfte Session beleuchtete dazu zwei Aspekte: Zbyšek Stodůlka vom Nationalarchiv Prag berichtete über die E-Identität als Schlüssel zu den Dienstleistungen des digitalen Archivs. Im Rahmen von E-Government nehmen elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen eine zentrale Rolle ein. Für ein Archivportal eröffnet diese neue Infrastruktur neue Möglichkeiten, aber auch vielfältige Herausforderungen. Dr. Beat Gnädinger, Staatsarchiv Zürich referierte abschliessend zum Thema Digital Access - Ja! Aber wie? Die Online-Werkzeuge des Staatsarchivs Zürich. Mit diesem Rückblick auf die Entwicklung im Online-Zugang zu Archivmetadaten steckte er den Rahmen ab, in welchem der zukünftige Zugriff auf digitale Primärdaten erfolgen kann. Das Referat hatte einen Überblickscharakter und wurde für die Publikation nicht ausgearbeitet.

Die 21. Jahrestagung des Arbeitskreises AUdS war geprägt von einer gewachsenen, vielfältigen Community. Ich hoffe, dass dieser Eindruck auch bei der Lektüre des Tagungsbandes durchscheint. Nicht abbilden kann dieser Band die vielfältigen und reichen Diskussionen in den Pausen und beim Abendessen, welche immer einen besonderen Reichtum der Arbeitskreistagung darstellen. Die Diskussion geht weiter, 2018 in Marburg, 2019 in Prag. Die KOST freut sich, auch weiterhin dazu beitragen zu können.

 

Bern, im Februar 2018

Georg Büchler,

Koordinationsstelle für die dauerhafte Archivierung elektronischer Unterlagen

KOST

 

 




[1]    Sämtliche Weblinks wurden am 19.2.2018 zuletzt aufgerufen.