Das E-Government-Gesetz NRW und die Praxis der Behördenberatung

Ein Werkstattbericht aus dem Landesarchiv NRW

Christine Friederich, Martin Schlemmer

Einleitung

Mit Behörden haben Archive jeden Tag zu tun. Behörden produzieren bei ihrer Tätigkeit Unterlagen, die von Archivarinnen und Archivaren bewertet, übernommen, erschlossen und der Nutzung zugänglich gemacht werden. Manchmal werden Behörden auch zu Nutzern, wenn sie bereits an das Archiv abgegebene Unterlagen noch einmal für ihre Arbeit benötigen. Archive und Behörden begegnen sich also in unterschiedlichen Szenarien. Bei der Behördenberatung durch das Archiv steht die Behörde mit ihrer Funktion als Schriftgutproduzentin im Mittelpunkt. Da es allein von der Behörde abhängt, ob vollständige und aussagekräftige Akten entstehen, ist die erfolgreiche Beratung zur Schriftgutverwaltung im Vorfeld eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass aussagekräftiges Archivgut entstehen kann. Dieser Zusammenhang ist nicht neu, hat durch die in den letzten Jahren verabschiedeten E-Government-Gesetze in Deutschland und das «Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit»[1] – welches das bisherige DOMEA-Konzept abgelöst hat – als fachliche Grundlage jedoch an Aktualität gewonnen. Für Archive ergeben sich angesichts dieser geänderten Rahmenbedingungen neue Möglichkeiten und Herausforderungen in ihrer Behördenberatung: Ist eine Aktualisierung der eigenen Beraterrolle erforderlich? Unterscheidet sich die Behördenberatung für herkömmliche Unterlagen so sehr von derjenigen für digitale Unterlagen, dass dafür eigene Überlegungen nötig sind? Um dem nachzugehen, werden wir im Folgenden in einem Werkstattbericht aus dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen vorstellen, wie das E-Government-Gesetz NRW die Praxis der Behördenberatung verändert hat und wie wir mit den daraus entstandenen Herausforderungen umgehen. Zunächst werden wir die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für Behördenberatung im Kontext des E-Governments in NRW darlegen. In einem zweiten Schritt werden wir die damit verbundenen Herausforderungen knapp skizzieren und dann unser Beratungsangebot näher erläutern. Schließlich werden wir ein kurzes Fazit ziehen. Wir möchten so einen Beitrag leisten zur Debatte über Digitalisierung in Verwaltung und Archiven und den fachlichen Erfahrungsaustausch befördern.[2]

Rahmenbedingungen: Das E-Government-Gesetz NRW

Verlieren wir zunächst ein paar Worte zu den (rechtlichen) Rahmenbedingungen unserer Beratungstätigkeit für die Landesverwaltung von Nordrhein-Westfalen. Grundstein ist hier das im Juli 2016 in Kraft getretene «Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung in Nordrhein-Westfalen» (E-Government-Gesetz NRW / EGovG NRW), das umfangreiche Maßnahmen zur Digitalisierung und Modernisierung der Landesverwaltung auf den Weg gebracht hat. Darin ist auch der für fast alle Landesbehörden verpflichtende Umstieg auf die elektronische Aktenführung bis zum 1. Januar 2022 festgelegt.[3] Da hier aktuell auch der Schwerpunkt der Beratungstätigkeit des Landesarchivs NRW liegt, werden wir uns im Folgenden auf diesen Bereich konzentrieren.

Generell ist mit der Umsetzung des E-Government-Gesetzes NRW eine gezielte Steuerung der dafür notwendigen Maßnahmen verbunden, mit dem Ziel der Standardisierung und Vereinheitlichung des E-Governments.[4] Geleitet und koordiniert werden diese Maßnahmen vom «Beauftragten der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Informationstechnik», dem CIO[5]. Diese Konzeption wirkt sich auch auf den Bereich der elektronischen Aktenführung aus. So wird es voraussichtlich ab 2018 ein landeseinheitliches Dokumentenmanagementsystem (DMS) geben sowie Vorgaben für die elektronische Schriftgutverwaltung in Form von Regelungswerken (z.B. Muster-Aktenordnung), Handreichungen oder Best-Practice-Empfehlungen. Für die Umsetzung des E-Government-Gesetzes NRW sind bestimmte organisatorische Formen vorgesehen, etwa ein Projektmanagement nach festgelegten Standards, das wiederum in ein beim CIO gebündeltes, standardisiertes Programmmanagement zusammenläuft. Auch die Notation für die Beschreibung von Geschäftsprozessen ist landeseinheitlich festgelegt.[6] Diese Beispiele sollen nur einen kleinen Einblick ermöglichen, ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Das E-Government-Gesetz NRW legt in § 11 den Beratungsauftrag des Landesarchivs NRW bei der Umsetzung des Gesetzes fest. Dieser Auftrag resultiert aus der im Archivgesetz des Landes NRW verankerten Beratungsaufgabe, die Landesverwaltung «bei der Verwaltung, Aufbewahrung und Sicherung ihrer Unterlagen» zu unterstützen.[7] Das Landesarchiv NRW versteht die im EGovG formulierte Beratungsaufgabe als Querschnittsaufgabe und hat diese dem im August 2016 neu eingerichteten Dezernat F 4: Elektronische Unterlagen als Arbeitsschwerpunkt übertragen. Die archivische Behördenberatung zur Umsetzung des E-Government-Gesetzes NRW wird folglich zentral durchgeführt. Aktuell sind in diesem Bereich vier Kolleginnen und Kollegen des höheren Dienstes tätig, die derzeit vier Ministerien intensiv betreuen.

Einen zweiten Schwerpunkt bildet die Mitarbeit in ressortübergreifenden Arbeitsgruppen zur Umsetzung des E-Government-Gesetzes NRW. Diese Arbeitsgruppen sind damit beauftragt, Standards und Best Practices für die elektronische Verwaltungsarbeit in Nordrhein-Westfalen zu erstellen. Das Landesarchiv NRW ist vorrangig in die Arbeitsgruppe E-Akte eingebunden und dort federführend bei den Arbeitspakten «Aktenplan und Aufbewahrung», «Verwaltungsvorschrift E-Akte», « (Muster-)Aktenordnung» sowie «Handreichungen zur Schriftgutverwaltung». Eine Mitwirkung besteht beim Arbeitspaket «Definition Landesstandard 1.0», der die Standard-Konfiguration für das geplant landesweit einzusetzende DMS beschreiben wird. Die aktive Mitgestaltung aller wichtigen landesweiten Standards der Schriftgutverwaltung – zum Teil sogar unter Federführung des Landesarchivs NRW – ist in der Bundesrepublik leider nicht selbstverständlich und für uns das Ergebnis langjähriger Vorfeldarbeit. Für das Landesarchiv NRW ist die Arbeit in den entsprechenden Gremien allerdings nicht nur eine gute Gelegenheit, sich selbst innerhalb der Landesverwaltung zu präsentieren. Vielmehr geht es darum, die Grundlagen für eine möglichst reibungslose, qualitativ hochwertige spätere Archivierung elektronischer Unterlagen zu schaffen. Zudem steht die Formulierung von Landesstandards auch in unmittelbarem Zusammenhang mit unserer Beratungstätigkeit, da hier Fragen beantwortet werden, die sich im Rahmen der Beratung häufig ergeben.[8]

Mit der Aufgabe Beratung ist im Kontext des E-Government-Gesetzes NRW jedoch nicht nur das Landesarchiv NRW betraut. Dazu kommt mit dem Competence Center Digitalisierung (CCD), das beim zentralen IT-Dienstleister IT.NRW angesiedelt ist, ein Akteur, der – mit beträchtlichem Personaleinsatz – unter anderem für die Beratung im technischen Bereich zuständig ist. Auch die Inanspruchnahme externer Beratungsunternehmen durch Behörden ist im Rahmen des Umsetzungsprozesses vorgesehen.

Vor diesem Hintergrund geht es also auch um eine Standortbestimmung für die archivische Behördenberatung. Denn wenn wir nur ein Akteur unter vielen sind, worin besteht dann unsere spezifische Beratungsleistung? Welche Kompetenzen und Wissensinhalte können wir Behörden zur Verfügung stellen, damit diese besser gerüstet sind auf ihrem Weg zum E-Government?

Herausforderungen: Wer sind wir und was tun wir da eigentlich?

Selbstverständlich ist Behördenberatung keine neue Aufgabe für Archive, sondern gehört zu den Kernaufgaben. Auch entspricht in der digitalen Welt das Beratungsziel grundsätzlich dem in der analogen Behördenberatung: Es geht darum, die Behörden in die Lage zu versetzen, eine Schriftgutverwaltung zu betreiben, die den gesamten Lebenszyklus im Blick hat und die aussagekräftige, rechtskonforme und letztlich auch archivfähige Akten und Vorgänge hervorbringt.

Geändert haben sich die Rahmenbedingungen für die Behördenberatung und damit auch die Möglichkeiten für das Landesarchiv NRW, in diesem Bereich zu agieren. Doch auch die zu beratenden Behörden befinden sich durch das E-Government-Gesetz NRW in einer neuen Situation. Mit der Verpflichtung zum Umstieg auf die E-Akte rückt das in den meisten Behörden bislang eher vernachlässigte Thema Schriftgutverwaltung auf einmal in den Mittelpunkt. Funktionale Defizite in der Schriftgutverwaltung, die bisher vielleicht etwas störend, aber vernachlässigbar schienen, treten nun offen zu Tage und werden zum Hindernis im Prozess beim Umstieg auf die E-Akte. Dabei zeigt sich häufig, dass ausreichendes Wissen über Schriftgutverwaltung in der Behörde fehlt, sodass diese «Kompetenzlücke» von außen geschlossen werden muss. Das Landesarchiv NRW ist deshalb ein gefragter Ansprechpartner für Know-how über Schriftgutverwaltung. Dabei unterscheiden wir uns von den anderen Beratungsakteuren vor allem dadurch, dass wir Wissen aus drei unterschiedlichen Bereichen mitbringen:

   Wir sind Experten für digitale Schriftgutverwaltung

   Wir sind als Betreiber des digitalen Archivs für die Landesverwaltung Experten für die Aussonderung und digitale Archivierung von elektronischen Unterlagen und können damit den kompletten Lebenszyklus von Akten und Vorgängen fachlich begleiten; und

   Wir sind aufgrund unseres Aufgabenzuschnitts und unserer Erfahrung mit zahlreichen Behörden vernetzt und haben ressortübergreifend Einblicke in unterschiedliche Verwaltungszweige, sodass wir eine breite Perspektive in unsere Beratung einbringen können.

Üblicherweise werden wir ganz zu Beginn des Umstellungsprozesses auf die E-Aktenführung von den Behörden mit einbezogen, weil sich bereits an dieser Stelle zeigt, dass grundlegende Kenntnisse und Instrumentarien der Schriftgutverwaltung geklärt sein müssen, bevor mit der eigentlichen Umsetzung begonnen werden kann. Das bietet den Vorteil, dass wir bereits bei der Neuausrichtung der Grundlagen der behördlichen Schriftgutverwaltung im Zuge der E-Akten-Einführung mitwirken können, also insbesondere bei der Überarbeitung des Aktenplans, der Aktenordnung oder bei der Festlegung der Aufbewahrungsfristen.

Für die Behörden stellt sich die eigene Schriftgutverwaltung oft als «black box» dar. Das hängt damit zusammen, dass in vielen Behörden die Schriftgutverwaltung in den letzten Jahrzehnten geradezu atomisiert wurde und eine zentrale Steuerung fehlte. So ist es mitunter den einzelnen Organisationseinheiten überlassen, den Aktenplan ab einer bestimmten Gliederungsebene selbst auszugestalten. Das führt zu einer sehr heterogenen Strukturierung, zu einer Wiederholung von Querschnittsaufgaben unterhalb verschiedener Hauptgruppen und zu einer nicht angemessenen Gliederungstiefe. Teilweise vermischen sich dann auch noch Aktenplan und Aktenverzeichnis, indem für jede neu angelegte Akte auch eine neue Aktenplanposition im Aktenplan geschaffen wird. Im Extremfall entstehen dann ausufernde «Aktenpläne», die mehrere 10.000 Zeilen in Excel umfassen und so praktisch nicht mehr nutzbar sind. Zugleich fehlt es an Überblick über die so gewachsenen Strukturen, wenn Aktenpläne nicht zentral zusammengeführt werden. Fileablagen auf Organisationsebene, E-Mail-«Archive» der Bearbeitenden, Fachverfahren und rudimentäre Papier-Restakten, deren Kontext und Entstehungszusammenhang sich kaum mehr herstellen lassen, erschweren einen Einblick, geschweige denn einen Überblick über den Stand der Dinge. Die Verpflichtung zur Aktenmäßigkeit, der das Verwaltungshandeln unterliegt, lässt sich so nicht mehr erfüllen.

Die E-Akte erscheint hier manchmal als eine regelrechte Verheißung. Dies gilt nicht nur für die Archiv-, sondern auch für die Behördenseite. Doch der Wunschtraum, dass mit der Nutzung der E-Akte auch alles gleich besser wird, ist eben genau dies: ein Wunschtraum. Ein DMS kann aus einer nicht funktionierenden Schriftgutverwaltung keine funktionierende machen. Rheinisch salopp formuliert: «Murks bleibt Murks». Oder noch drastischer, mit dem CEO von Telefónica Deutschland, Thorsten Dirks, auf dem Wirtschaftsgipfel der «Süddeutschen Zeitung» 2015: «Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.»[9] Diese Erkenntnis wird keineswegs nur vom Archiv in die Behörden hineingetragen. Vielmehr macht der geplante Umstieg auf die elektronische Aktenführung vielen Behörden ihre Defizite in der Schriftgutverwaltung erst bewusst. «Kenne dich selbst» ist deshalb eine der ersten Voraussetzungen, die eine Behörde mitbringen muss, damit wir sinnvolle Beratungsarbeit leisten können.

Bei unserer praktischen Beratungstätigkeit hat sich bislang vor allem die Heterogenität der Behörden und ihres Vorgehens beim Umstieg auf die E-Akte als Herausforderung dargestellt. So stoßen wir auf ganz unterschiedliche Behördenkulturen, mit unterschiedlichen Belegschaften, unterschiedlichen Erfahrungen mit der E-Akte nach dem alten DOMEA-Konzept und mit unterschiedlichen Veränderungsgeschwindigkeiten. Es gibt Behörden, die den Sprung ins kalte Wasser wagen, und diejenigen, die über mehrere Zwischenschritte sich ganz langsam dem Thema E-Akte annähern. Auch die jeweilige Organisationsstruktur zur Umsetzung des E-Government-Gesetzes spielt eine Rolle, da es hier sehr unterschiedliche Varianten gibt. Teilweise sind Projektgruppen dafür verantwortlich, teilweise findet die Umsetzung des E-Government-Gesetzes ganz oder überwiegend durch die Linienorganisation statt.

Vor diesem Hintergrund mussten wir unsere Rolle als Beratende erst finden. Die Erwartungen der Behörden sind hoch, gleichzeitig mussten wir uns aber darüber bewusst werden, dass wir in dem Gesamt-Prozess «Umstieg auf die E-Akte» eben nur ein ganz bestimmtes Segment beratend unterstützen können. Für uns heißt das, dass wir Know-how und fachliche Standards für die digitale Schriftgutverwaltung in den Gesamtprozess einbringen und den Behörden bislang fehlende Kenntnisse in der Schriftgutverwaltung vermitteln. Ziel ist, dass die Behörden auf der Grundlage eines ausreichenden fachlichen Wissensstands die für sie jeweils passenden Entscheidungen beim Umstieg auf die E-Akte treffen können. Keinesfalls können wir Behörden jedoch solche Entscheidungen abnehmen oder Aufgaben übernehmen, die in den Zuständigkeitsbereich der Behörde fallen. So wird beispielsweise immer wieder irrtümlich angenommen, dass wir für die Festsetzung der behördlichen Aufbewahrungsfristen zuständig seien. Wir weisen dann darauf hin, dass nur die Behörde selbst wissen und entscheiden kann, wie lange bestimmte Unterlagen aufbewahrt werden müssen. Ähnlich verhält es sich mit der Erstellung eines Aktenplans. Auch hier können wir nicht für die anfragende Behörde deren kompletten Aktenplan erstellen. Wir können jedoch dabei behilflich sein, indem wir grundlegende Kenntnisse vermitteln, die zur Erstellung eines guten Aktenplans nötig sind. Mittlerweile haben wir gelernt, diese Grenzen unseres Beratungs-Portfolios aktiver zu kommunizieren, um nicht Erwartungen zu wecken, die wir letztlich nicht erfüllen können. Wir möchten also als Themenexperten wahrgenommen werden, was wir mittlerweile auch erfolgreich vermitteln konnten.

Doch auch unsere fachlichen Inhalte stellen uns immer wieder vor Herausforderungen. Vor dem Hintergrund einer Digitalisierung der Aktenführung müssen auch die Grundlagen der Schriftgutverwaltung neu überdacht und an machen Stellen entsprechend nachjustiert werden. So bringt etwa die im «Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit»[10] vorgeschriebene Objekthierarchie «Akte – Vorgang – Dokument»[11] allerhand Auswirkungen beispielsweise auf die notwendige Gliederungstiefe des Aktenplans mit sich. Oft stehen wir mit einem Bein tief im «alten Preußen» und mit dem anderen in der neuen Welt der E-Akte. Deshalb haben wir in den letzten Monaten auch intensiv beispielsweise an den Grundbegriffen der Schriftgutverwaltung gearbeitet. Diese Erkenntnisse fließen in unser Beratungsangebot ein.

Beratungsangebot

Unser Beratungsangebot umfasst unterschiedliche Formate. Zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Abklären des Beratungsbedarfs der Behörde sowie der Beratungsangebote des Landesarchivs NRW findet zunächst ein gemeinsames Gespräch statt. Im Anschluss wird in einem vom Landesarchiv NRW erarbeiteten Fragebogen der Stand der Schriftgutverwaltung abgefragt. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir einen genaueren Einblick erhalten, wie Schriftgutverwaltung in der jeweiligen Behörde gehandhabt wird. Vielmehr hat sich gezeigt, dass das Ausfüllen des Fragebogens für die Behörde selbst sehr erhellend ist und oftmals geradezu einen «Aha»-Effekt hervorruft. Vielen wird erst dann deutlich, wie wenig sie eigentlich über die aktuell gepflegte Schriftgutverwaltung in ihrem Haus informiert sind. Deshalb ist der Fragebogen oft der erste Impuls für den Weg hin zu dem bereits beschriebenen «Kenne dich selbst!» als Voraussetzung für den Umstieg auf die E-Akte. In einem zweiten, zeitnahen Gesprächstermin mit der Behörde werden dann der Fragebogen besprochen sowie das weitere Vorgehen festgelegt. Häufig gibt es noch offene Fragen, die erst geklärt werden müssen, bevor weitergearbeitet werden kann, oder es sind noch nicht die passenden Zusammensetzungen der Arbeitsgruppen gefunden etc. Wie genau der weitere «Fahrplan» aussieht, liegt in erster Linie in der Hand der Behörde, die für den zeitlichen und organisatorischen Rahmen der Einführungsphase verantwortlich ist. Generell ist angestrebt, nach dem zweiten Gesprächstermin in die inhaltliche Arbeitsphase in Form von Workshops einzusteigen. Die Workshops sind halb- oder ganztägig angelegt und sollen den Behörden praxisnah das notwendige Know-how vermitteln, um die anstehenden Aufgaben in der digitalen Schriftgutverwaltung fachgerecht zu erfüllen. Aktuell arbeiten wir an einem Workshop-Portfolio zu folgenden Themen:

   Grundbegriffe und Grundsätze der digitalen Schriftgutverwaltung

   Aktenplan und Aktenordnung

   Scanprozesse / Ersetzendes Scannen

   Aufbewahrung, Aussonderung, Archivierung

   Herausforderungen bei der Einführung von Dokumentenmanagementsystemen (Do’s & Don’ts)

   Aktenfreie Verwaltung? Fachverfahren und Dokumentenmanagementsysteme

Im Moment sind vor allem die Angebote zu den Grundlagen der digitalen Schriftgutverwaltung und zu Aktenplan und Aktenordnung gefragt. Das hängt damit zusammen, dass dies meist die ersten Schritte sind, die auf dem Weg zur E-Akte gemacht werden müssen. Drei der vier von uns betreuten Ministerien stehen derzeit kurz vor dem Eintritt in die «Workshop-Phase», eines hat bereits einen Workshop absolviert. Die Resonanz darauf war positiv, insbesondere auf den praktischen Teil in Form eines Planspiels zur Erstellung eines Aktenplans. Dennoch sehen wir auch hier Potenzial zur Weiterentwicklung und haben begonnen, Inhalt und Ablauf des Workshops einer kritischen Revision zu unterziehen und das Workshop-Konzept auf Grundlage dieser Ergebnisse zu überarbeiten.

Ein weiteres Thema, das häufig bereits bei den ersten Gesprächen genannt wird, ist die Mitarbeiterschulung im Bereich digitale Schriftgutverwaltung. Dies wird meist im Rahmen des Change-Managements geplant und kann ganz unterschiedliche Formate haben, von reinen Informationsveranstaltungen, in denen beispielsweise der überarbeitete Aktenplan vorgestellt und Grundbegriffe der Schriftgutverwaltung erläutert werden, bis hin zu konkreten Praxisschulungen. Auch hier sind wir noch in den Planungen. Allerdings kristallisiert sich bereits heraus, dass unser Part nur der sein kann, Grundlagen der digitalen Schriftgutverwaltung zu vermitteln. Alles, was konkrete organisatorische Umsetzungen, rechtliche Fragen, das Change-Management im engeren Sinne usw. angeht, fällt in den Aufgabenbereich der Behörde.

Fazit

Der Wunsch nach Veränderung und die Bereitschaft, die neuen Entwicklungen und die Umsetzung des E-Government-Gesetzes NRW mitzutragen, sind in den nordrhein-westfälischen Landesbehörden deutlich spürbar. Das Landesarchiv NRW wird dabei als kompetenter und verlässlicher Partner wahrgenommen, der die in den Behörden vorhandenen Kompetenzlücken im Bereich der Schriftgutverwaltung schließen helfen kann. Gleichzeitig sind nicht nur die Behörden, sondern auch wir als Landesarchiv NRW Lernende im Sinne einer «lernenden Verwaltung», die neuen Anforderungen mit Offenheit und Bereitschaft zur Veränderung gegenübertritt.[12]

Für das Dezernat F 4 des Landesarchivs NRW waren allein schon die Reflexion über die eigenen Arbeitsschwerpunkte, die Kernkompetenzen und Alleinstellungsmerkmale, die Definition der eigenen Rolle im Beratungsprozess auf dem Weg zur E-Akte sowie die Präzisierung unseres Beratungs-Portfolios äußerst wertvoll. Der Beratungsprozess kann demnach durchaus als beiderseitiger Lernprozess betrachtet werden. Die Behörden und Gerichte sind angehalten, sich auf dem Weg zur E-Akte mit ihrer Schriftgutverwaltung zu befassen; doch auch die beratende Seite sollte die Gelegenheit zur Selbstreflexion nutzen, da dies wiederum der Qualität der Beratung zugute kommt. Wenngleich sich die Schriftgutverwaltung in vielen Behörden weitgehend «verselbstständigt» hat und häufig – wenn überhaupt – lediglich auf der Ebene der untersten Organisationseinheiten geregelt ist beziehungsweise gelebt wird, so bietet doch das EGovG NRW nun die Gelegenheit, die Schriftgutverwaltung für die gesamte Organisation in Augenschein zu nehmen und in ihrer Gänze einer Neuordnung zu unterziehen.

Insgesamt profitiert das Landesarchiv NRW in hohem Maße von seiner Beratungs- und Mitgestaltungsrolle im «E-Government»-Prozess. Es kann sich als Dienstleister für die Verwaltung neu aufstellen und profilieren und kann zugleich alle notwendigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Archivierung elektronischer Unterlagen aktiv und rechtzeitig mitgestalten. Dieser Herausforderung für Archive im digitalen Zeitalter stellen wir uns.

Eine obere Landesbehörde notierte in unseren Fragebogen zum aktuellen Stand der Schriftgutverwaltung, sie sei «in Sachen Schriftgutverwaltung ein weißes Blatt, was grundlegend neu gestaltet werden» könne. Den Aufbruch der Verwaltung im Zuge der Einführung der elektronischen Verwaltung sollten wir in diesem Sinne als Chance begreifen. Wenn wir sie nutzen, könnte diesem Anfang ein gewisser Zauber inne wohnen.

 




[1]    Vgl. http://www.cio.bund.de/Web/DE/Architekturen-und-Standards/Organisationskonzept-E-Verwaltung/organisationskonzept_e-verwaltung_node.html. (Sämtliche Weblinks wurden am 19.2.2018 zuletzt aufgerufen.)

[2]    Vgl. hierzu Sulzbacher, Cornelia; Marckhgott, Gerhart: Tempora mutantur – nos et mutemur in illis!. In: Scrinium 69 (2015), S. 146-163.

[3]    § 9 EGovG NRW.

[4]    Maßgeblich hierfür sind v.a. der «Masterplan zur Umsetzung des E-Government-Gesetzes und zur weiteren Modernisierung in der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen» der Landesregierung Nordrhein-Westfalen sowie das «Konzept Programm- und Projektmanagement» des CIO. Beide Texte befinden sich aktuell noch im Entwurfsstadium.

[5]    Seit dem 1.11.2013 ist Hartmut Beuß Chief Information Officer (CIO). Die Stabsstelle des CIO ist beim Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK) angesiedelt.

[6]    Bekanntgabe der landeseinheitlichen Notation für die Durchführung von Geschäftsprozessanalysen gemäß § 12 des E-Government-Gesetzes Nordrhein-Westfalen, Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 21. Dezember 2016, MBl. NRW. 2017 S. 16.

[7]    § 3 Abs. 6 ArchivG NRW.

[8]    Vgl. auch Gillner, Bastian; Pilger, Kathrin: Von Erinnerungspolitik und E-Government. Archive in der Rolle als politische Berater. In: Storm, Monika (Red.): Archive in der Wissensgesellschaft (Tagungsdokumentation zum deutschen Archivtag, 21) [in Vorbereitung].

[9]    Zitiert nach http://www.computerwoche.de/g/die-besten-it-sprueche-2015,106507,3.

[10]    Das «Organisationskonzept elektronische Verwaltungsarbeit» des Bundesministeriums des Innern besteht aus mehreren Bausteinen, die hier abgerufen werden können: https://www.verwaltung-innovativ.de/SharedDocs/Publikationen/Organisation/e_akte.html.

[11]    Die terminologischen Probleme bei der Übersetzung der Objekthierarchie in andere Verwaltungssysteme oder Sprachen wurden bereits mehrfach u. a. im Kontext der Normierungsbemühungen in diesem Bereich formuliert. In der Schweiz entspricht die Akte in etwa einem Dossier, der Vorgang einem Subdossier, in Österreich einem Akt bzw. einem Akt-Einzelstück

[12]    Vgl Seibel, Wolfgang: Verwaltung verstehen. Eine theoriegeschichtliche Einführung. Berlin 2016; Land Baden-Württemberg – Stabsstelle für Verwaltungsreform; Mauch, Siegfried (Bearb.): Qualitätsmanagement und lernende Organisation in der Landesverwaltung Baden-Württemberg. Eine Wegbeschreibung zur Förderung der Selbstentwicklungsfähigkeit in der öffentlichen Verwaltung. Stuttgart 1999.