André Holenstein
Der Abschluss in Archiv-, Bibliotheks- und Informationswissenschaften der Universitäten Bern und Lausanne eröffnet mit seinen neu erworbenen Qualifikationen berufliche Perspektiven. Es ist ein Auftakt zu einem Lebensabschnitt mit beruflichem Weiterkommen, neuen Herausforderungen und Bewährungsproben. Wenn die Praxis- und Berufsorientierung zu Recht als ein Merkmal erfolgreicher Weiterbildungsprogramme gilt, so sollte darob in universitären Weiterbildungsprogrammen auch die Weiter-Bildung nicht zu kurz kommen. Weiter-Bildung, die den Namen verdient, sollte zu vertiefter Reflexionskompetenz verhelfen und zur kritischen Auseinandersetzung mit der Produktion von Wissen und Erkenntnis anleiten. Erfolgreiche MAS-Programme sollten mehr bieten als raffiniertere Techniken für die Lösung anstehender Probleme. Sie sollten auch die Lust an der Neugier wecken und befriedigen und eine geistige Grundeinstellung des Fragens und Wissenwollens befördern.
Diese Grundeinstellung ist auf dem Feld der Informationswissenschaft besonders gefragt. Hier ist mehr denn je Expertise von Nöten, wenn es darum geht, die Produktion von Information, den Umgang mit derselben kritisch zu analysieren und die Bedeutung von Information kulturell und historisch zu verorten. Ansonsten läuft gerade eine Gesellschaft, die sich selber als Informationsgesellschaft versteht, Gefahr, vor lauter Information die Orientierung und das Gedächtnis zu verlieren.
Die Digitalisierung der Information und des Wissens erfasst in einer Gesellschaft, die sich selber als Wissens- und Mediengesellschaft beschreibt, alle Lebensbereiche. In einem bis vor kurzem unvorstellbaren Ausmass verändert die Digitalisierung der Information unser Kommunikationsverhalten grundlegend.
Fragen wir danach, wie die neuen digitalen Medien genutzt werden, so bestätigen sich bekannte Beobachtungen aus der Mediengeschichte und Mediensoziologie:
Die neuen Medien verdrängen keineswegs die alten – jedenfalls nicht sofort und keineswegs vollständig. Vielmehr treten die neuen Medien neben die alten, sodass die aktuelle Situation von Hybridität geprägt ist. Die neuen digitalen Möglichkeiten der Recherche, der Dokumentation und der Publikation bewegen sich – vorerst einmal und wohl noch auf längere Zeit – in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis zu den analogen, druckbasierten Medien. Die Ausgangslage für die wissenschaftliche Forschung wird damit nicht einfacher, sondern komplexer und unübersichtlicher. Die Leichtigkeit des Digitalen verkehrt sich hier auf einmal in ihr Gegenteil. Das Nebeneinander von analogen und digitalen Medien verlangt uns dauernd Wanderungsbewegungen in beide Richtungen ab. Forschung wird damit schwieriger, aufwändiger – jedenfalls solange wir unsere Ansprüche auf Wissenschaftlichkeit hochhalten und uns nicht von den Erkenntnissen und Wissensbeständen unserer Vorgänger aus dem analogen Zeitalter abkoppeln wollen.
Die neuen Medien üben eine ungeheure Wirkung auf den Lehr- und Forschungsbetrieb aus. Der Druck zur Digitalisierung und zum Going-online wächst kontinuierlich. Wer damit nicht Schritt hält, wird früher oder später unweigerlich aus der scientific community verdrängt. Die Erwartungen der Studierenden an die power-point gestützte Didaktik der Dozierenden oder an die vollständige Aufschaltung der aktuellen Unterrichtsmaterialen sind enorm gewachsen.
Allerdings haben das enorme Tempo und die Dynamik dieser Entwicklung – wiederum in einer mediengeschichtlichen Perspektive betrachtet –auch ihre problematischen Seiten. Wenn im Verlauf des späten Mittelalters pragmatische Schriftlichkeit sich immer mehr in davor oral organisierte Lebensbereiche ausbreitete oder wenn seit dem späten 15. Jahrhundert Handschriften immer mehr durch Drucke ergänzt bzw. ersetzt wurden, so handelte es sich dabei um langfristige Prozesse. Die betroffenen Gesellschaften hatten Zeit, im Umgang mit dem neuen Medium der Schrift bzw. des Drucks Erfahrungen zu sammeln und kulturelle Lern- und Adaptionsprozesse zu initiieren. Sie fanden zudem technisch und organisatorisch auf einer Basis statt, die Stabilität und Nachhaltigkeit der verschriftlichten und gedruckten Information verbürgten. Die Pergamenturkunden der Karolingerzeit, die Chroniken des Spätmittelalters, die Briefe der Diplomaten und Gelehrten der frühen Neuzeit, die Druckschriften der Reformatoren oder der Philosophen der Aufklärung, aber auch das Geschäftsschriftgut der Verwaltungen und Unternehmungen sind heute alle noch im Original lesbar – vorausgesetzt natürlich die Dokumente sind auf uns gekommen. Viel prekärer scheint es im Vergleich dazu um die Stabilität und Nachhaltigkeit der digitalen Kommunikation bestellt zu sein. Wer nicht alle paar Jahre seine elektronischen Daten auf neue Datenträger kopiert, läuft Gefahr, diese unwiederbringlich zu verlieren. So könnte es in der Rückschau der Medienhistorikern in einigen Generationen durchaus sein, dass die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert als höchst ambivalente, sehr widersprüchliche Periode bewertet werden wird – als eine Zeit, in der die Masse an Information enorm anwuchs und sich das Wissen demokratisierte und globalisierte, zugleich aber auch als eine Zeit, in der diese Vorteile um den Preis einer schrumpfenden Erinnerung, eines prekärer und unzuverlässiger werdenden Gedächtnisses erkauft worden sein könnten.
Hoffentlich wird man im Rückblick aber auch bemerken, dass bereits in der Frühzeit des digitalen Zeitalters Lern- und Adaptionsprozesse stattfanden, die den Umgang mit den neuen Medien erleichterten und ihn nachhaltiger gestalteten. Man wird darauf hinweisen können, dass das Aufkommen der neuen Medien theoretisch-wissenschaftlich reflektiert wurde, und dass im Zuge der medialen Veränderungen die Aufgabenprofile der Expertinnen und Experten für die Pflege des kollektiven Gedächtnisses den neuen Möglichkeiten und Herausforderungen angepasst wurden.
Die Absolventen und Absolventinnen des Weiterbildungsprogramms CAS/MAS ALIS sind – jede und jeder mit seiner bzw. ihrer besonderen Ausrichtung – Informationsmanager geworden. Sie werden diese Kompetenz nun in Archiven und Bibliotheken, in Verwaltungen und Unternehmungen einbringen und künftig in den unterschiedlichsten Positionen dafür besorgt sein, Information und Wissen effizient zu beschaffen, zu beurteilen, zu verarbeiten und zu vermitteln. Sie werden das neu erworbene Wissen nutzbringend in die verschiedensten Tätigkeitsbereiche einbringen und als Expertinnen und Experten der Information an der Vermittlung von Orientierung und an der Pflege eines nachhaltigen kollektiven Gedächtnisses im digitalen Zeitalter mitwirken.
Am Ende dieses sechsten Durchgangs des Weiterbildungsprogramms MAS ALIS möchte ich im Namen der Programmleitung gerne danken.
Ich danke allen Modulleitern und Dozenten unseres Programms für ihr Engagement in unserem Studienprogramm. Sodann geht der besondere Dank an Gaby Knoch-Mund, Niklaus Bütikofer (bis September 2018), Natalie Brunner-Patthey und Georg Büchler (ab August 2018), die vier Mitglieder der Studienleitung. Sie waren in den letzten zwei Jahren für die Entwicklung und die Durchführung eines Weiterbildungsprogramms auf höchster Qualitätsstufe verantwortlich. Dank des hohen Engagements der Studienleitung ist das Programm heute in der schweizerischen Archiv- und Bibliothekslandschaft fest etabliert und geniesst zu Recht einen ausgezeichneten Ruf.
Ich schliesse mit dem Glückwunsch zum erfolgreichen Abschluss des Weiterbildungsstudiums und zur Publikation der überarbeiteten Masterarbeiten, die wiederum vom Redaktionsteam mit Gaby Knoch-Mund, Barbara Roth und Ulrich Reimer redigiert und eingeleitet wurden. Die Studierenden haben jene Ausdauer und Hartnäckigkeit bewiesen, die nötig sind, um dieses Studium neben Beruf, Partnerschaft und Familie zu absolvieren. Dafür gebührt ihnen Anerkennung. Als Alumni werden die Absolventen und Absolventinnen des CAS/MAS ALIS zu Botschafterinnen und Botschaftern unseres universitären und mehrsprachigen Weiterbildungsprogramms in der weiten Welt der Archive, Bibliotheken und Dokumentationsstellen.
Bern, im November 2018 und September 2019
Prof. Dr. André Holenstein,
Direktor des Historischen Instituts der Universität Bern
und Präsident der Programmleitung MAS ALIS