Im Gegensatz zu McLuhan und vielen Medientheoretikern ist für Umberto
Eco (1996) das wesentliche Kennzeichen der digitalen Medien nicht die Dominanz
des Visuellen, sondern Eco sieht die Neuen Medien vor allem als Manipulatoren
von Schrift, da die unterschiedlichsten Disziplinen heute mit einem erweiterten
Schrift- und Textbegriff operieren. Durch die Hypermedien werden die Schlüsselfunktionen
der Schriftkultur wie z.B. Schreiben oder Text neu konzeptualisiert. Diese
müssen jetzt als dynamische Begriffe der Bewegung, der Performanz,
der Interaktion verstanden werden. Wissen kann nicht räumlich an festgesetzen
Punkten aufgefunden und abgerufen werden, sondern muß als dynamische
Bewegung im Raum verstanden werden. Dies bedeutet für die Hypermedien,
daß sie Schreiben mit Hilfe des Computers rekontextualisieren, wobei
neue performative Modi des elektronischen Schreibens entstehen. Die zentralen
Fragen dieses Beitrages lauten: rückt die Repräsentation des
elektronischen Textes damit in die Nähe der räumlichen Fragilität
und zeitlichen Simultaneität gesprochener Sprache? Liegt trotz medialer
Schriftlichkeit eine neue Form der konzeptuellen Mündlichkeit vor
(cf. Koch/Österreicher 1994)?
Im folgenden beziehe ich mich auf die Untersuchung von Collot und Belmore aus dem Jahr 1996. Diese beruht auf der Prämisse, daß es keine wesentlichen Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation gebe, sondern daß Genre sowohl mündlicher als auch schriftlicher Kommunikation durchaus vergleichbar sind. Um in der Terminologie von Koch und Österreicher zu bleiben: auch wenn medial zu trennende Repräsentationsformen vorliegen, können diese konzeptuell auf einem Kontinuum angenommen werden und so ineinander übergehen. Um diese Hypothese zu belegen, werden folgende Aspekte von elektronischer Kommunikation in textueller Hinsicht untersucht: 1. Informationsgehalt (also z.B. type/token Relation, Häufigkeit von Nomina, attributiven Adjektiven etc.), 2. Narrativität (z.B. Verwendung von Vergangenheitsformen, Personalpronomina in der dritten Person), 3. Situationsabhängigkeit, 4. persuasiver Sprachgebrauch, 5. abstrakte Information. Die Untersuchung von Collot und Belmore vergleicht neben fiktiven Texten, Biographien, Werbung, face-to-face Kommunikation, Interviews, offizielle Dokumente, persönliche Briefe, vorbereitete Reden, Pressesprache, Telephongespräche und spontane Reden mit elektronischer Kommunikation ? orientiert sich also am Aufbau sprachlicher Korpora wie LOB-Korpus, Lund-Korpus oder Brown-Korpus.
Eine der Funktionen des Computers ist die Vermittlung in der Kommunikation zwischen Menschen. Aber diese Funktion üben ebenso die traditionellen Kommunikationsmedien wie Brief oder Telefon aus. Die Frage ist, ob die Wahl dieses "neuen" Mediums neue Formen der Kommunikation hervorbringt und wie der Zusammenhang zwischen der Wahl des Kommunikationsmediums und den Modi der Kommunikation einzuschätzen ist. Collot und Belmore kommen zu folgendem Ergebnis: elektronische Kommunikation ist am ehesten mit persönlichem Brief, Interview und Telephongespräch vergleichbar, also sowohl mit mündlichen als auch schriftlichen Modi der Kommunikation. Dies liegt meiner Meinung nach daran, daß die elektronische Kommunikation z.B. via e-mail als weniger offiziell empfunden wird, als schriftliche Kommunikation via Briefpost. Smilies, die häufig verwendeten Emotikons (cf. Sanderson 1997) sagen einiges über die Stimmung des Senders aus, ohne daß diese explizit gemacht werden muß. Hinzukommen typische Abkürzungen wie z.B. „UR“ (you are) oder „pls“ (please) und typographische Markierung durch Lücken im Text (im Sinne einer Denkpause) oder Großschreibung zum Ausdruck von Emphase (cf. Wiest 1997). Es wird angenommen, daß eine gemeinsame Kommunikationssituation geteilt wird, denn beide Kommunikationspartner sitzen vor dem Bildschirm ihres Computers, d.h. die explizite Verschriftlichung der Kommunikationssituation ist überflüssig.
Die Tatsache, daß weder Kommunikationsort noch Zeit miteinander geteilt werden, sondern die elektronische Kommunikation unabhängig von Zeit und Raum über eine Maschine vermittelt wird, zeigt ihre Nähe zu konzeptuell schriftlichen Formen der Kommunikation auf. Die Geschwindigkeit der Übermittlung läßt die räumliche und zeitliche Kluft vergessen. Dies führt zu virtueller Nähe. Die Sprache der Nähe, um diesen Begriff von Österreicher und Koch (cf. 1994, Koch 1997) hier zu verwenden, ist nicht notwendigerweise an mündliche Kommunikation gebunden, wie die Untersuchung der elektronischen Kommunikation deutlich macht. Elektronische Kommunikation erweist sich konzeptuell als eine hybride Varietät der Sprache, die weder der Kategorie Mündlichkeit noch Schriftlichkeit zugeordnet werden kann.
Bereits Halliday (1978) wies darauf hin, daß ein wichtiger Unterschied der verschiedenen Kommunikationsmodi und -genre im semiotischen Feld begründet liegt, innerhalb dessen diese Kommunikation stattfindet, wie z.B. das bekannte Setting einer Arzt-Patienten-Kommunikation. Elektronischer Kommunikation läßt sich kein solches semiotisch einheitliches Feld zuordnen. Der Text selber wird zu einem semiotischen Feld. Dieser muß die Situation ebenso wie die Relation der Kommunikationspartner innerhalb und zu dieser Situation definieren. Der semiotische Tenor, der nach Halliday durch die sozialen Rollen der Kommunikationspartner definiert ist, wird durch die Notwendigkeit, eine eigene Identität zu definieren, gegeben. Auch dieses geschieht in Texten. Das heißt Kommunikation zwischen Personen findet im Medium geschriebene Sprache vermittelt durch das Medium Computer statt. Die doppelte Vermittlung, die durch den Gebrauch zweier Medien entsteht, schafft Distanz, die typischerweise mit schriftlichen Texten verbunden wird, ebenso wie Nähe aufgrund der scheinbaren Unmittelbarkeit der Kommunikation, die durch die Möglichkeit der Interaktivität oder zumindest Transaktivität entsteht.
Der semiotische Modus ist, wie wir gesehen haben, daher nicht einfach
mit schriftlicher oder mündlicher Kommunikation gleichzusetzen, sondern
vereint konzeptuell Aspekte beider Kommunikationsformen. Der Begriff hybride
Kultur verweist auf diesen Zwischenbereich ebenso wie die Konvergenz von
Formen und Inhalten. Als wesentliches Kennzeichen der Hypermedien wird
der Zusammenfall von Genre und Modi beschrieben (cf. Landow 1992). Dies
scheint nicht nur für computer-vermittelte Kommunikation zu gelten
sondern darüber hinaus ein wesentliches Kennzeichen des digitalen
Mediums überhaupt zu sein. Die Schwierigkeit einer eindeutigen Zuordnung
liegt darin begründet, daß einerseits traditionelle Medien durch
Hypermedien simuliert werden und daß andererseits der spezifische
technische Aspekt der digitalen Medien berücksichtigt werden muß.
Der visuelle Raum eines Textes, als Medium der Speicherung, der audio-visuelle
Raum des Fernsehens, als Medium der Präsentation fällt zusammen
mit dem digitalen Raum des Computers, als Medium der Speicherung, Übertragung
und Berechnung. Elektronische Formen der Kommunikation sind ein Beispiel,
um diesen Prozeß der Hybridisierung zu verdeutlichen.
Wenn Hybridität ein typisches Merkmal digitaler Medien ist, müßten sich auch in Hypertexten ebenfalls Merkmale sowohl mündlicher als auch schriftlicher Formen auffinden lassen. Zunächst aber soll der Begriff Hypertext geklärt werden, denn dieser umfaßt verschiedene Formen (cf. Landows Differenzierung unter http://www.stg.brown.edu/ projects/hypertext/landow/lecture/forms.html [accessed 16.3.1998]).
Zu unterscheiden sind einerseits Hypertexte, die den Nutzern Lese- und Schreibrechte zugestehen und damit zu einer aktiven Veränderung des Textes führen und andererseits Hypertexte, die ausschließlich oder doch zumindest in erster Linie Leserechte zugestehen, wie dies für das WWW zutrifft. Daneben sind lokal begrenzte Hypertexte z.B. auf CD-Rom, die auf einer ganz speziellen Software basieren wie Storyspace oder Hypercard von den global vernetzten html-Texten des WWW zu unterscheiden. Erstere sind begrenzt und können als abgeschlossen betrachtet werden, während dies im Falle des WWW nicht mehr möglich ist - auch wenn Florian Kramer auf der Softmodernetagung in Berlin im Mai 1996 noch versucht hat, nachzuweisen, daß alle Texte des WWW ausgedruckt und gebündelt nicht mehr Platz benötigen, als die Bücher einer Stadtteilbibliothek, ist dieser Vergleich durch die ständige Veränderung der Datenbestände sowie deren ständige Ausweitung nicht angemessen: Der wesentliche Unterschied ist doch in der ständigen Veränderung - also der Dynamik des WWW - zu sehen.
Auch elektronischer Text oder elektronische Bücher sind durchaus
nicht mit Hypertext zu vergleichen. Bei ersteren handelt es sich um Texte,
die von ihrer Struktur am ehesten einem wissenschaftlichen Aufsatz mit
einem Haupttext und einer Reihe von Paratexten entsprechen, während
wir durch die vernetzte Struktur eines Hypertextes nicht mehr zwischen
Text und Paratext unterscheiden können. Ebenso sind Beginn und Ende
des Hypertextes nicht notwendig festgelegt, sondern abhängig von den
Entscheidungen eines Nutzers. Wir sehen also, daß unter dem Begriff
Hypertext eine Reihe von sehr verschiedenen Typen subsumiert werden, die
zudem häufig noch als Adaptionen traditioneller Texte an das neue
Medium Hypertext vorliegen und in den seltensten Fällen ausschließlich
für dieses Medium erstellt wurden. Diese Übersetzung und Integration
bedeutet allerdings immer bereits eine Transformation. Gibt es spezifische
Transformationen durch die Digitalisierung in den Hypermedien? Sind die
neuen digitalen Medien tatsächlich so verschieden von traditionellen
Medien oder werden im aktuellen Diskurs zu den Hypermedien doch auch Positionen
formuliert, ja reformuliert, die analoge Strukturen und Prozesse der Medialität
erfassen? Ich werde versuchen erste Antworten auf diese Fragen am Beispiel
von Elementen der Mündlichkeit und Schriftlichkeit des Mediums zu
geben.
Gehen wir von einem Verständnis von Hypertext als einem vernetzten Text aus, bedeutet dies auch, daß Hypertext zu einem Programm zur Produktion einer Vielfalt von Texten wird. Für das Lesen von Hypertexten bedeutet dies, eine Loslösung von einer einzigen linearen Form des Lesens hin zu vielen parallelen Möglichkeiten und immer wieder neuen Kombinationen und Assoziationen. Diskontinuität und die plötzliche Veränderung der Position durch einen Mausklick sind typische Erfahrungen eines Lesers von Hypertexten. Dadurch wird dieser zu einem Spieler, vergleichbar mit dem Spieler eines Konstruktionsspiels. Wie sehr ein Leser auch beim Lesen eines traditionellen Textes involviert ist, er bleibt machtlos, wie der Zuschauer eines Fußballspiels. Er mag die Mannschaften anfeuern, über den möglichen Ausgang des Spiels spekulieren, aber er wird dadurch nicht zum Spieler. Er hat nicht die Möglichkeit des aktiven Eingreifens. Das Vergnügen des Lesers vergleicht Aarseth (1997) mit dem Vergnügen eines Voyeurs. In sicherer Distanz, dafür aber machtlos. Der Leser eines Hypertextes hingegen wird zum Spieler. Das Konzept des Spiels als Set von Bausteinen und Regeln, ist wesentlich für die Gestaltung von Hypertexten und für das Agieren mit diesen.
Die Idee des Baukastens führt zu der Frage nach der Verbindung der einzelnen Bestandteile. Im Text werden diese Verknüpfungen durch Junktion (1) hergestellt. Die Funktion der Junktion ist die Verknüpfung von kleineren Einheiten zu größeren. Dabei gibt es nach Raible (1992) zwei gegensätzliche Pole eines Kontinuums zwischen Aggregation, dem unverbundenen Nebeneinanderstehen von Elementen, und Integration, der Verbindung zu einer einzigen Konstruktion, die dann allerdings oftmals wieder als Ausgangspunkt für eine weitere Aggregation dient. Zwischen diesen beiden Polen stehen die verschiedenen Techniken, durch die die Verbindung hergestellt wird.
Im Falle von Hypertext ist gerade der relationale Charakter oder die
Verbindung durch links - das Charakteristische des Mediums. Durch diese
links werden die Relationen exteriorisiert und es wird explizit gemacht,
was im traditionellen Text implizit durch eine Vielzahl von Möglichkeiten
der Junktion enthalten ist. Doch welche Form der Junktion finden wir im
Hypertext? Sicherlich nicht die Integration, sondern eine einfache Verknüpfung
mit "und"..."und"..."und", die eine aggregative Form, also eine Nebeneinander
darstellt. Wie Raible (1992) gezeigt hat, tendieren aggregative Formen
zum Mündlichen. Die Entwicklung von mündlichen zu schriftlichen
Kulturen kann als ein Weg vom Text als Aggregation hin zum Text als Integration
verstanden werden. Hypertexte sind interessanterweise medial schriftliche
Texte, die hinsichtlich der Verknüpfung ihrer Bestandteile konzeptuell
mündliche Elemente beinhalten. Eines davon ist ihre Tendenz zur Aggregation,
die ebenso wie die mündliche Kommunikation dem Leser die Deutung dieser
Verbindung - also kausal, temporal oder tatsächlich rein additiv -
überläßt.
Wenn der Text selbst zum semiotischen Feld wird, stellt sich die Frage
nach dem Zusammenhang zwischen den Texteinheiten im Hypertext. Der performative
Modus elektronischer Texte beinhaltet, daß sich die Beziehung zwischen
Texten grundlegend ändert. Indem die elektronischen Verbindungen (Hyper-Links)
Text mit anderen Texten verweben, perforieren sie die Grenze zwischen den
Texten. Landow (1992) folgert daraus, daß Textgrenzen insgesamt obsolet
würden. Auch wenn dies zweifellos nicht der Fall ist, lenken Hypertexte
den Blick in neuer Weise auf paratextuelles Material und auf den intertextuellen
und intermedialen Raum. Sie sind mit einer Collage vergleichbar, da sie
fragmentarisch und zerstückelt erscheinen. Der elektronische Text
kann in Situationen gebracht werden, die dem Original selbst nicht erreichbar
sind. Auffällig ist im Zusammenhang mit der aktuellen Hypertextdiskussion
ihre Verortung zwischen Poetik, Ästhetik und Medientechnik. Es werden
Positionen der Avantgarde und der experimentellen Literatur und Kunst nicht
nur übernommen (cf. Block 1997), sondern Hypertext wird als Materialisierung
eben dieser Positionen verstanden. Hierbei liegt der Fokus auf dem Aspekt
der Materialisierung. Intertextualität und Palimpsestcharakter - nach
Landow das Strukturprinzip von Hypertext überhaupt - gehen in elektronischen
links auf, Intratextualität (mise en abîme) findet sich wieder
in der Dopplung der Repräsentationsebenen. Dies wird im Hypertext
materialisiert durch die Ebenen der Progammiersprachen, Skriptsprachen
und Textoberflächen. Das Wesentliche ist die Relationalität des
Mediums (Nake 1997/98: 28), die durch die Dopplung der Repräsentationsebenen
noch verdeutlicht wird.
Technologien schaffen einen Zwischenraum zwischen Autor bzw. Leser und Text. Im Falle des Computers führt dies dazu, daß wir mit Oberflächen von Textfragmenten arbeiten, während uns der Zugang zur Materialität des Gesamttextes verborgen bleibt. Ja, wir können sogar eine zunehmende Tendenz feststellen, die logische Struktur eines Hypertextes und die äußere Struktur zu trennen. Nehmen wir als Beispiel die Textauszeichnungssprache html, auf der die Texte des WWW basieren. War es zunächst zumindest noch für die Autoren von Hypertexten im WWW dringend erforderlich, diese Textauszeichnungssprache zu beherrschen und die Zusammenhänge zwischen logischer Struktur und Ergebnis des Hypertextes zu kennen, so ist dies durch Entwicklung einer ganzen Reihe von Editoren, nicht mehr erforderlich. Dies führt zu einer Trennung, die die Dopplung der Repräsentationsebenen verschleiert. Die Materialität des Textes ist nicht mehr zu identifizieren, was zu einer Flüchtigkeit der Zeichen führt, die charakteristisch ist für den Computer als ein Medium der Mediensimulation. Nake (1997/98) spricht von quasi- immateriellem Charakter, der die semiotische Natur des Mediums Computer und die Natur von Software verdeutlicht. Hypertext als ein Programm zur Erzeugung von Texten, kann hiermit durchaus verglichen werden:
Denn, was da so erscheint, als sei es immateriell, und doch nicht leugnen kann, unabhängig von uns, also stofflich zu sein, das kann gar nicht anders sein, als Relation. Im relationalen Charakter von Software liegt ihre Zeichenhaftigkeit.
Der relationale Charakter - oder nach Landow (1997) die Verbindung durch
links - ist das Charakteristische des Hypertextes im Unterschied zu traditionellen
Texten. Durch diese links werden die Relationen exteriorisiert und es wird
explizit gemacht, was im traditionellen Text implizit durch eine Vielzahl
von Möglichkeiten der Junktion oder auch des intertextuellen Bezuges
enthalten war.
Ein Leser wird die Diskontinuität, die durch eine Vielzahl von
möglichen Lesepfaden im Hypertext entstehen kann, zielbewußt
auf der Suche nach einer bestimmten Information, zu verhindern wissen,
indem er links folgt, die aufgrund ihrer Bezeichnung sinnvoll erscheinen
und andere vermeiden. Zur Unterstützung des Lesers werden hierbei
unterschiedliche Navigationshilfen bereit gestellt. Einerseits finden wir
Hilfen, die durch die Autoren von Hypertexten vorgegeben werden. Diese
sind durchaus vergleichbar mit Rezeptionshilfen im traditionellen Text,
wie Überschriften, Absätze und andere Gliederungssignale, die
wir als typographische oder paratextuelle Bestandteile schriftlicher Texte
zu interpretieren gelernt haben. Davon zu unterscheiden sind die Navigationshilfen,
die das System selbst anbietet. "Die Spielregeln werden ihm [dem Leser]
dabei mit technischem Nachdruck ins Bewußtsein gehoben" (Hess-Lüttich
1997: 75). Der neue Netscape Communicator z.B. markiert einen link nicht
nur durch Unterstreichung. Denn sobald man mit der Maus auf das markierte
Element fährt, erscheint in einem Fenster die Bezeichnung des chunks
(Textelements), zu dem uns dieser link führt. Dies führt zu einer
Markierung im Text, die nicht immer im Interesse des Autors ist, da sie
den Leseprozeß stört und den Leser auf einen weiterführenden
potentiellen chunk aufmerksam macht, bevor der aktuelle Text schon ganz
gelesen wurde. Ähnliche systemeigene, vom Autor nicht zu verändernde
Rezeptions- oder Navigationshilfen, die zudem so gravierend in den Text
eingreifen, kannten wir im Zusammenhang mit dem Medium Buch nicht. Als
ein dritter Aspekt sind die vom Leser individuell selbst angelegten Navigationshilfen
zu nennen, wie z.B. markieren eines chunks durch sogenannte bookmarks beim
Nutzen des WWW oder markieren mit der Maus in einigen Hypertextprogrammen,
was zu einer Markierung, vergleichbar der mit Textmarker im traditionellen
Medium, führt.
Während das technische Zeitalter in vielfachen Variationen den Mythos der Maschine als universelles Produktions- und Reproduktionsinstrument besiegelt hat, ergänzt unser Computerzeitalter diesen Mythos um einen neuen: den Mythos einer universellen Vernetzung. Dieser löst die Annahme, daß "das Medium die Botschaft" sei ab und postuliert, daß sich die Botschaft erst in einer Vernetzung von Medienströmen konstituiert: "das Medium ist die Vernetzung!" (Idensen 1996) Den jeweiligen neuen Medien werden in den Umbruchsituationen geradezu mythische Qualitäten zugeschrieben, da sie aus der Überwindung traditioneller Strukturen ein großes Energiepotential freisetzen und dadurch anfällig für Mythenbildung werden. Es besteht die Gefahr der Idealisierung zum einen als Materialisierung postmodernen Gedankengutes und zum anderen der Trivialisierung zu einem einfachen Werkzeug im Kontext der Schriftkultur.
Die Ausgangsfrage, ob die Repräsentation des elektronischen Textes ihn in die Nähe der räumlichen Fragilität und zeitlichen Simultaneität gesprochener Sprache rückt und trotz medialer Schriftlichkeit eine neue Form der konzeptuellen Mündlichkeit vorliegt, soll nach den vorhergehenden Überlegungen nun beantwortet werden.
Wenn im Falle der computer-vermittelten Kommunikation angenommen wird, daß eine gemeinsame Kommunikationssituation geteilt wird und daher die explizite Verschriftlichung der Kommunikationssituation überflüssig geworden ist, scheint dies diese Form der Kommunikation in die Nähe mündlicher Kommunikation zu rücken. Dennoch muß aufgrund der Tatsache, daß weder Kommunikationsort noch Zeit miteinander geteilt werden, eine Form gesucht werden, die Informationen der Intonation (z.B. durch Typographie), der Mimik und Gestik (z.B. durch Emotikons), die nicht direkt in die Kommunikationssituation eingehen können, darstellt. Diese gewählten Strategien, die im Falle der e-mail Kommunikation aufgezeigt wurden, sind schriftsprachliche und graphische Gestaltungsmittel, die nicht mit den Möglichkeiten mündlicher Kommunikation zu vergleichen sind. E-mail Kommunikation als eine neue Form konzeptueller Mündlichkeit zu bezeichnen, würde der Vielfalt der Nutzung des Mediums von privaten Notizen bis hin zu formellen Anschreiben nicht gerecht.
Daß aber die Geschwindigkeit der Übermittlung, eine Nähe zwischen den Teilnehmern herstellt, führt häufig zu einer Sprache der Nähe im schriftlichen Medium. Elektronische Kommunikation erweist sich konzeptuell als eine hybride Varietät der Sprache, die weder der Kategorie Mündlichkeit noch Schriftlichkeit zugeordnet werden kann. Die Flüchtigkeit der Übermittlung, ihre scheinbare Immaterialität und Störanfälligkeit, lassen diese Form der Kommunikation in die Nähe mündlicher, technisch vermittelter Kommunikation (z.B. per Telefon) rücken. Wobei an dieser Stelle zwischen konzeptueller Flüchtigkeit des elektronischen Textes einerseits und materieller oder medialer Schriftlichkeit deutlich unterschieden werden muß. Die mediale Schriftlichkeit des elektronischen Textes wird durch die Verwendung eines Speichermediums deutlich in Opposition zur medialen Mündlichkeit gesetzt . (2)
Die Dopplung des Medialen durch Verwendung von Schrift vermittelt durch das Medium Computer führt nicht zu einer Verstärkung der distanzsprachlichen Elemente, die der Schriftsprache konzeptuell im allgemeinen zugeordnet werden. Dies liegt in der Dynamik des Mediums ebenso begründet wie in seiner Fähigkeit Zeit- und Raumdimensionen zu verdichten.
Die interaktiven Möglichkeiten der Leser, beim Zusammenstellen
der eigenen Lesepfade hingegen sind Eigenschaften, die mündlicher
Kommunikation zugeordnet werden können. Ebenso ist die aggregative
Verbindung der Texteinheiten durch links ein Element mündlicher Kommunikation.
Raible (1992: 199) stellt fest, daß "je integrativer die verwendeten
Techniken der Junktion sind, desto schriftsprachlicher wirkt der Text".
Wenn die Interpretation der Verbindung einzelner chunks ausschließlich
dem Leser überlassen bleibt, mag dies die Leerstelle (im Sinne Isers)
des neuen Mediums sein, da die Leerstelle traditioneller Texte durch Sichtbarmachen
intertextueller Bezüge im Hypertext trivialisiert wird. Dies ist allerdings
nur für literarische Hypertexte sinnvoll. Für Hypertexte, die
zu didaktischen Zwecken genutzt werden, ist diese Offenheit der Verbindung
eine Schwäche des Mediums und es ist Aufgabe der Autoren hier integrative,
schriftsprachliche Techniken zu entwickeln, die zur Zeit noch nicht ausreichend
zur Verfügung stehen.
(1) Den Hinweis auf die Anwendbarkeit
des Konzeptes Junktion von Raible auf Hypertext verdanke ich Anneli Menzel,
die an der Universität Freiburg eine Dissertation zu diesem Thema
erstellt.
(2) Mein Dank gilt hier meinem
mir unbekannten Rezensenten, der mich auf diesen Aspekt hinwies.
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