Unterschiedliche Studien, Projekte (wie z. B. Sprichwort1) und Untersuchungen analysieren deutsche Sprichwörter unter unterschiedlichen Aspekten und zwar z. B. aus der Sicht der Vorkommenshäufigkeit, der pragmatischen Aspekte, der sprachvergleichenden und kulturellen Perspektiven (z. B. Juska-Bacher 2009). Einige Einblicke in die Bekanntheit und den Gebrauch der deutschen Sprichwörter unter Berücksichtigung der sozialen Aspekte möchte auch dieser Artikel2 bringen, indem er die Bekanntheit und den Gebrauch einer Sprichwortliste bei zwei Gruppen österreichischer Jugendlicher aus einer kleinen Stadt und aus Wien problematisiert. Die Resultate der durchgeführten Analyse öffnen auch Möglichkeiten für weitere Untersuchungen.
Im Allgemeinen können wir feststellen, dass es an Studien zu soziolinguistischen Aspekten der Sprichwörter3 fehlt. Für Sprichwörter wurde festgestellt (vgl. Norrick 2007: 386), dass sie selten vorkommen, schnell erkennbar sind, weil sie im Kontext auffallen, im Vordergrund stehen und leicht zu merken sind. Außerdem bedeutet das Anführen eines Sprichworts das Kennen der Tradition und der Weisheit der Sprach- und Kulturgemeinschaft, in der wir leben. Auch Piirainen (2006: 196) bemerkt, dass die Parömiologie von den frühesten Zeiten an geolinguistische Aspekte berücksichtigt, doch sind diese Studien in der Ethnologie und Kulturwissenschaften angesiedelt. In den letzten Jahren sind einige Studien zum Bereich Dialektphraseologie (vgl. den Überblick bei Piirainen 2006: 198) entstanden, die sich auf die Norm der Phraseme, auf ihre morphosyntaktische und lexikalische Variabilität und das Verhältnis zur Standardsprache fokussieren. Teilweise werden auch die pragmatischen Funktionen der Phraseme untersucht, die von einer geringeren Breite der stilistischen Register bis zu stärker ausgeprägten geschlechtsspezifischen Restriktionen und euphemistischen Beschreibungen reichen. Im Grunde sind soziolinguistische Forschungen im Bereich der Phraseologie relativ neu. Zu soziolinguistischen Aspekten der Sprichwörter fehlt es auch in anderen Ländern4 an Studien und es sind relativ wenige Quellen zum Thema Sprichwörter und soziale Aspekte zu finden. Die Soziolinguistik sieht Sprichwörter (vgl. Abrahams 1972: 64) als eine Art Anomalie, weil sie in ihrem primären Gebrauch in erster Linie ein stilisiertes Kommunikationsmittel sind, das verwendet wird, um die Konversation vom Persönlichen zum Unpersönlichen zu verlegen, von der Gegenwart in die Vergangenheit, von dem informellen Code zu einem formellen und rhetorischen usw. Sie sind aber auch formelle und rhetorische Einheiten, die in einer ganzen Reihe formeller, soziolinguistischer Kontexte gebraucht werden. Zu dem Gebrauch von Sprichwörtern stellt Abrahams (1972: 61) fest, dass sie in unserer Sprache kaum Verwendung finden. Die Sprecher kennen aber ihre Bedeutungen und haben sogar eine Vorstellung davon, wie effektiv sie in der Vergangenheit waren und welche Funktionen sie hatten. Woher kennen die Sprecher ihre Bedeutungen, wenn sie nicht zu dem aktiven Teil unseres Wortschatzes gehören? Abrahams (ebd.) zählt folgende Quellen auf: Texte, Werbung, Lieder, Gedichte, Beschreibungen u. a. Daneben erwerben wir sie durch die ältere Generation, d. h. Eltern, Großeltern, Verwandte, Lehrer, Priester, …
Datenerhebungen mit Fragebögen zum Gebrauch und zur Kenntnis von Phraseologismen im deutschen Sprachraum verfolgen meist eins der folgenden Ziele: Erfassung der Phraseologie in einer bestimmten Region, Untersuchung der arealen Verteilung der Phraseologismen, Erstellung eines phraseologischen Minimums und Untersuchung mit soziolinguistischem Ansatz. Bei den soziolinguistischen Arbeiten werden soziale Faktoren berücksichtigt und ihr Einfluss auf die Bekanntheit von Phraseologismen geprüft (vgl. auch Juska-Bacher 2009: 52–54)5. Im Folgenden werden in einem chronologischen Überblick einige der Arbeiten zur Datenerhebung mit Fragebögen genannt.
In einer empirischen Pilotstudie zur Bekanntheit der deutschen Sprichwörter stellt Grzybek (1991) die Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von 125 Probanden überwiegend aus dem Raum Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis von 275 Sprichwörtern mit dem Ziel der Erstellung eines Sprichwörter-Minimums des Deutschen vor. In der Studie wird auf der Grundlage der Befragung der Einfluss von Geschlecht, Alter, Bildung und Wohnort (Stadt – Land) statistisch ausgewertet. Eine weitere empirische Studie zur Bekanntheit deutscher Sprichwörter ist die von Chlosta/Grzybek/Roos (1994). In einer Untersuchung von Häcki Buhofer/Burger (1994) wurden Schweizer Probanden aus Berufsschulen, Gymnasien, Technikschulen und einem Kurs zu Kenntnis, Gebrauch und Beurteilung von 63 Phraseologismen befragt. Auch hier wurde der Einfluss der Faktoren Alter, Bildung und Geschlecht unter Verwendung der statistischen Methode getestet. Der Einfluss des Alters auf die Phraseologismenkenntnis wurde auch in Ďurčo6 (2003) durch die Befragung von 220 Probanden zum Gebrauch von 385 Sprichwörtern im deutschsprachigen Raum untersucht.
Einen Überblick über die Studien zum arealen Gebrauch der deutschen Phraseme und zu Daten zur Bekanntheit von Phrasemen unter dem lokalen Aspekt anhand von zwei Projekten finden wir bei Piirainen (2006). Außer dem lokalen Aspekt berücksichtigt das Projekt zur Bekanntheit von Redensarten auch das Alter der Probanden/-innen und ihre Mobilität. Andere außersprachliche Parameter wie das Geschlecht, Ausbildung u. a. werden nicht involviert, weil das Projekt zum Ziel hatte, arealphraseologische Heteronyme und die Existenz einer eigenen phraseologischen DDR-Varietät zu identifizieren.
Filatkina (2005) untersuchte mittels Fragebögen die Besonderheiten der Phraseologie der luxemburgischen Sprache auf mehreren Ebenen, bezogen auf den Gebrauch der Phraseme. Als unabhängige Variablen dienten Alter, Geschlecht, Ausbildung und Wohnort. Diese Untersuchung bringt eine Reihe von Einzelergebnissen hervor. In Bezug auf die Variable Wohnort, d. h. den Unterschied zwischen Stadt und Land, hat sich gezeigt, dass der Wohnort keine Auswirkungen auf die Phraseologiekenntnis hat.
Zu den austriazistischen Idiomen schildert Földes (1992) ein uneinheitliches Bild: Manche der Idiome sind außer in Österreich auch im gesamten oberdeutschen Raum oder im bairisch-österreichischen Raum im Gebrauch, andere sind aber Regionalismen und typisch für Wien oder für bestimmte Gegenden Österreichs.
Als ein Bestandteil des regionalen Aspekts diskutieren Burger et al. (1982: 134-136) auch das Verhältnis zwischen Land und Stadt, zu dem es aber fast keine Forschungen gibt. Festzustellen ist vor allem, dass sich der Sprichwortgebrauch in ländlichen Gemeinden durch den Einfluss zahlreicher sozial-ökonomischer Faktoren gewandelt hat. Die traditionellen Funktionen der Sprichwörter sind konservativ und Sprichwörter werden systemerhaltend und normenkonform beschrieben, sie sind also ein Mittel zur Tradierung überkommener Wertvorstellungen. Betont wird ihre vor allem moralische Rolle in der (Sprach-)Erziehung und sie werden bewusst an ganz bestimmten Stellen eingesetzt und haben ein autoritatives Gewicht (1982: 135).
Die Analyse zeigt (Burk, in Burger et al. 1982: 136), dass die jüngere Generation anstelle der traditionellen Sprichwörter andere phraseologische Formen verwendet oder die Sprichwörter einen Funktionswandel erleben, wenn sie noch gebraucht werden. Sie dienen nicht mehr primär der Berufung auf eine Autorität, sondern werden zum rhetorischen, oft humoristischen Mittel der Gesprächsführung und der emotionalen Auseinandersetzung mit dem Partner. Im Weiteren (1982: 136) stellen Burger et al fest, dass zum Thema des schichtspezifischen Phraseologiegebrauchs noch keine ernstzunehmenden empirischen Untersuchungen vorliegen, weswegen sich die Autoren auf zwei literarische Beispiele beziehen.
Um den Einblick in die Bekanntheit und den Gebrauch von Sprichwörtern (SW) bei zwei unterschiedlichen Gruppen österreichischer Jugendlicher zu bekommen, wurde eine Umfrage durchgeführt. Die Umfrage enthält alphabetisch angeführte deutsche Sprichwörter (76 Belege), die der Liste der Sprichwörter aus dem Projekt SPRICHWORT7 entnommen worden sind und im Korpus DeReKo (IDS Mannheim) nach ihrer Vorkommenshäufigkeit im Rahmen der Projektarbeit von den Mitarbeitern des Projekts SPRICHWORT überprüft worden sind. Die Liste für das Projekt SPRICHWORT (300 Belege) ist anhand unterschiedlicher Sammlungen aufgestellt worden und in die Umfrage sind die 76 laut DeReKo am häufigsten gebrauchten Sprichwörter integriert worden8. Das Korpus DeReKo umfasst Texte aus der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit und enthält belletristische, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Texte, eine große Zahl von Zeitungstexten und anderer Textarten 9. Problematisch könnte die Relation von DeReKo zur österreichischen Varietäten erscheinen, weil es aber an ähnlichen bzw. an Korpora nur für den österreichischen Raum zur Zeit fehlt, schien es sinnvoll, sich auf DeReKo zu beziehen. An sich ist es nicht problematisch Listen mit Sprichwörtern zu finden, ihre Verlässlichkeit bezüglich des Gebrauchs im Alltag stellt uns allerdings vor das Problem der Auswahl.
Hinsichtlich der Methode der Erhebung entschieden wir uns für zwei von Grundtypen (vgl. Grzybek 2012: 105), das sind Skalierungsverfahren und Ganztext-Präsentation, wobei beide bei unterschiedlichen Aspekten angewendet wurden. Die Bekanntheit von Sprichwörtern wurde mithilfe einer Ganztext-Präsentation festgestellt und der Gebrauch mithilfe eines Skalierungsverfahrens. Die Umfrage10 enthält alle Sprichwörter, aufgeführt in einer Tabelle, dieser folgen soziodemographische Fragen zu Alter, Geschlecht, Bundesland (oder einem anderen Staat), in dem die Probanden/-innen aufgewachsen sind, und zur Angabe, ob Deutsch ihre L1 oder L2 ist. Obwohl beide Gruppen der Probanden/-innen relativ klein sind, wollten wir prüfen, ob wir einen Unterschied hinsichtlich dieser Parameter feststellen können. Der Unterschied zwischen dem Kennen und Gebrauchen von Sprichwörtern von Jugendlichen in einer Kleinstadt und in Wien (die Frage zum Bundesland) und der Unterschied zwischen den Geschlechtern standen im Vordergrund, beides wollten wir mit den Informationen zu Deutsch als L1 oder L2 verbinden. Die Frage nach dem Alter ist lediglich informativ, da wir Gruppen ausgesucht haben, die bezüglich des Alters vergleichbar sind. Zu den einzelnen Sprichwörtern sind geschlossene Fragen gestellt worden. Die Probanden/-innen haben bei jedem einzelnen Sprichwort markiert, ob sie es kennen (ja/nein/ich weiß nicht), ob sie wissen, was es bedeutet (ja/nein/ich weiß nicht) und ob sie es beim Sprechen (1–511) und beim Schreiben (1–5) gebrauchen.
Die Umfragen wurden im März 2011 durchgeführt und zwar an der Hauptschule in Fürstenfeld in der Steiermark und an einem Gymnasium in Wien. Die Umfragen wurden im Deutschunterricht von den Lehrkräften durchgeführt, wobei den Schülern/-innen die Ziele der Untersuchung erläutert wurden (Kennen und Gebrauchen der Sprichwörter, auch im Vergleich mit dem Kennen und Gebrauchen der Sprichwörter im slowenischen Raum). Genauso wurde ihnen der Rahmen, d. h. das Projekt beschrieben. In diesem Artikel präsentieren wir die Resultate des Vergleichs beider Probandengruppen, den Schülerinnen und Schülern aus Fürstenfeld (SchF) und aus Wien (SchW). Die Rücklaufquote für die Umfrage ist hoch, weil wir uns bei den Lehrerinnen persönlich dafür eingesetzt haben, dass mehr oder weniger alle Schülerinnen und Schüler den Umfragebogen ausgefüllt haben. Im Weiteren werden die Ergebnisse der Umfrage statistisch dargestellt und anschließend interpretiert und zwar nach den außersprachlichen Parametern Gruppe bzw. Schultyp (SchW vs. SchF) und Geschlecht (maskulinum vs. femininum). Eine Differenzierung nach dem Parameter Ort (Großstadt vs. Kleinstadt/Dorf) hätte hier vermutlich ähnliche Ergebnisse gebracht wie der Parameter Gruppe, weil die Probanden/-innen der Gruppe SchW fast alle aus Wien kommen und die Probanden/innen der Gruppe SchF ausschließlich in einer Kleinstadt oder in einem Dorf wohnen. Der Parameter Sprache (Deutsch als L1 oder L2) wird nicht analysiert, da die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als L2 einfach zu klein ist, um die Daten statistisch zu interpretieren12.
Die Probanden/-innen bzw. die Schüler/-innen aus Wien (SchW, 23 Personen) bilden eine Gruppe von 18 Jungen und 5 Mädchen im Alter von 13 bis 14 Jahren. Die L1 von 20 Probanden/-innen ist Deutsch. Alle außer einem Probanden sind in Österreich aufgewachsen und leben zurzeit dort, davon leben 19 in Wien und 4 in einer Kleinstadt in Niederösterreich. Die Probanden/-innen haben alle Fragen in den angeführten Fragekategorien beantwortet.
Die Probanden/-innen bzw. die Schüler/-innen aus Fürstenfeld (SchF, 20 Personen) bilden eine Gruppe von 10 Jungen und 10 Mädchen im Alter von 12 bis 14 Jahren. Die L1 von 18 Probanden/-innen ist Deutsch, zwei sprechen Deutsch als L2. Alle außer einem Probanden sind in Österreich aufgewachsen und leben zurzeit dort, davon leben 11 in einem Dorf und 9 in einer Kleinstadt. Die Probanden/-innen haben alle Fragen in den angeführten Fragekategorien beantwortet.
Die Auswertung der Fragebögen zeigt Unterschiede in allen vier Kategorien, in der Tabelle 1 werden sie dargestellt. Die Probanden/-innen haben alle vier Fragen bzw. Kategorien für jedes der 76 Sprichwörter beantwortet und in der Tabelle werden die Durchschnittszahlen für alle Sprichwörter angeführt. Anschließend werden auch die Sprichwörter mit den niedrigsten und mit den höchsten Prozentzahlen13 angeführt.
Gruppe/Par. |
Ich kenne das SW (%) |
Ich kenne seine Bedeutung (%) |
Ich gebrauche es manchmal14 beim Sprechen (%) |
Ich gebrauche es manchmal beim Schreiben (%) |
SchW |
70,1 |
69,9 |
19,4 |
15,8 |
SchF |
52,6 |
51,6 |
14,3 |
10,5 |
Tabelle 1: Durchschnittszahlen für den Parameter Gruppe
Sowohl die Gruppe SchW als auch die Gruppe SchF markiert einen relativ hohen Anteil der SW, die ihnen bekannt sind, und einen niedrigen Anteil der SW, die von beiden Gruppen gebraucht werden, und zwar im mündlichen oder schriftlichen Sprachgebrauch. Der Unterschied beträgt zwischen 40 und 50 % und die SW gehören für beide Gruppen eindeutig zu dem passiven Wortschatz.
Bei beiden Gruppen sind die Prozentzahlen zum Kennen des Sprichworts und zum Kennen der Bedeutung vergleichbar, was bedeutet, dass die Probanden/-innen für die SW angeführt haben, sie zu kennen, d.h. sie schon öfters gehört zu haben, um sie als eine feste Struktur zu erkennen. Ein wenig niedriger (0,2 % für SchW und 1 % für SchF) sind bei beiden Gruppen die Prozentzahlen zum Kennen der Bedeutung. In der Umfrage ist nach Sprichwörtern gefragt worden, die nach DeReKo eine hohe Frequenz aufweisen. Eine hohe Frequenz ist zwar ein starkes Indiz für eine hohe Geläufigkeit bei den Sprechern (vgl. Hallsteinsdóttir et al. (2006) für Phraseme), aber offen bleibt die Frage, ob die gleichen Sprichwörter auch im mündlichen Sprachgebrauch eine hohe Vorkommenshäufigkeit aufweisen, leider sind uns keine Untersuchungen zu diesem Thema bekannt. Ausgehend von einer Korrelation zwischen der Vorkommenshäufigkeit in DeReKo und dem täglichen Sprachgebrauch ist zu erwarten, dass die Probanden/-innen die Sprichwörter kennen und ihre Bedeutung verstehen. Von den 76 SW führt die Gruppe SchW für ca. 70% der SW an, sie zu kennen und ihrer Bedeutung zu verstehen, während die Gruppe SchF ca. 20% weniger SW kennt und ihre Bedeutung versteht. Das Alter der Probanden/-innen ist vergleichbar, sie unterscheiden sich, was den Schultyp und den Wohnort betrifft. Anhand der Gespräche mit den zwei Lehrerinnen, die die Umfrage an den Schulen ausgeführt haben, können wir schließen, dass beide Probandengruppen die Umfrage ernst genommen haben und sich bemüht haben, ehrlich zu antworten. Das ist auch aus anderen Daten ersichtlich: Die Gruppe SchW führt für mehr SW an, sie beim Sprechen und beim Schreiben zu verwenden als die Gruppe SchF (in beiden Fällen bewegen sich die Unterschiede um 5 %). Die Probanden/-innen aus beiden Gruppen verwenden die SW öfters beim Sprechen als beim Schreiben. Interessant wäre die Information zu den Textsorten, in denen die Probanden die SW gebrauchen. Handelt es sich ausschließlich um Textsorten, die mit dem Sprachgebrauch in der Schule verbunden sind, oder sind es auch Textsorten, die in der Freizeit der Probanden/-innen (vor allem die neuen Medien) produziert werden15? Die Frage bleibt offen, könnte aber problematisiert werden, indem z. B. die Probanden/-innen die Liste der SW mit einer Liste der von ihnen bekannten Textsorten (die Auswahl könnte als Vorarbeit von den Lehrkräften ausgeführt werden) verbinden würden.
In der Tabelle 2 ist der mittlere Wert für die Kategorien zum Gebrauch der SW beim Sprechen und Schreiben angeführt. Es stellt sich auch die Frage, wie viele und welche SW in beiden Kategorien als die SW mit den höchsten und mit den niedrigsten Werten bezüglich des Gebrauchs markiert worden sind. Das wird in der Tabelle 2 angeführt.
Gruppe/Par. |
Sprechen: Ich gebrauche das SW sehr oft (1) |
Sprechen: Ich gebrauche das SW nie (5) |
Schreiben: Ich gebrauche das SW sehr oft (1) |
Schreiben: Ich gebrauche das SW nie (5) |
SchW |
8,9 |
37,4 |
2,2 |
61,2 |
SchF |
11,7 |
63,2 |
11,5 |
65,5 |
Tabelle 2: Werte 1 und 5 für den Parameter Gruppe
Die Daten aus der Tabelle 2 sprechen für die Annahme, dass die SW von den Probanden/-innen beider Gruppen selten gebraucht werden und bestätigen so die Daten aus der Tabelle 1. Die Unterschiede sind zum Teil auch sehr groß und liegen zwischen 28 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Sprechen für die Gruppe SchW) und 51,5 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Sprechen für die Gruppe SchF) wie auch zwischen 54 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Schreiben für die Gruppe SchF) und 59 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Schreiben für die Gruppe SchW).
Die Selbsteinschätzung der Probanden/-innen zeigt Werte, die teilweise von denen aus der Tabelle 1 abweichen. Die Werte aus der Tabelle 1 zeigen, dass die Gruppe SchW mehr SW beim Sprechen und beim Schreiben gebraucht als die Gruppe SchF. Die Daten aus der Tabelle 2 zeigen eine ungleiche Distribuierung: Die Probanden/-innen aus der Gruppe SchF schätzen ein, mehr SW sehr oft in der gesprochenen Sprache zu verwenden als die Probanden/-innen aus der Gruppe SchW (der Unterschied von 2,8 %), geben aber für viel mehr SW (der Unterschied beträgt 25,8 %) an, sie nie beim Sprechen zu verwenden. Demnach ist die Verteilung der Werte bei der Gruppe SchF ungleichmäßiger als bei der Gruppe SchW. Ob das mit dem Faktor Alter oder mit einem anderen zu verbinden ist, würde eine Analyse der Daten aus möglichen Kontrollgruppen zeigen, was den Rahmen der Untersuchung sprengen würde. Die Kategorie Gebrauch beim Schreiben zeigt eine ähnliche Verteilung der Werte: Die Probanden/-innen aus der Gruppe SchF geben für 9,3 % mehr SW an, sie sehr oft zu verwenden und auch der Unterschied in der Verteilung der Werte für die Kategorie Gebrauch beim Schreiben zeigt einen Unterschied von 4,3 %. Die Werte für beide Kategorien zeigen, dass sich die Probandengruppe SchF öfters für extreme Werte auf der Skala von 1–5 entscheidet.
Neben der Statistik zum Sprachgebrauch von SW interessierte uns auch, welche SW von welchen Gruppen häufig und welche selten (nie) gebraucht werden.
Sprichwörter mit den höchsten Prozentzahlen (100%) in der Kategorie Ich kenne das SW und seine Bedeutung:
Die Hoffnung stirbt zuletzt (SchW),
Ende gut, alles gut (SchW),
Sag niemals nie (SchW),
Zeit ist Geld (SchW),
Geld regiert die Welt (SchW),
Rache ist süß (SchW),
Wie gewonnen, so zerronnen 16 (SchW).
Übung macht den Meister (SchW, SchF),
In der Gruppe SchF gibt es nur ein Sprichwort, das alle in der Gruppe kennen. Umgekehrt ist das Bild zu den niedrigsten Prozentzahlen (unter 16%) in der Kategorie Ich kenne das SW:
Ausnahmen bestätigen die Regel (SchF),
Man soll Feste feiern wie sie fallen (SchF),
Totgesagte leben länger (SchF),
Was lange währt, wird endlich gut (SchF),
Neue Besen kehren gut (SchF),
Vorbeugen ist besser als heilen (SchF).
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer (SchF, SchW),
Steter Tropfen höhlt den Stein (SchF, SchW),
Während alle in der Gruppe SchF nur das SW Übung macht den Meister kennen, gibt es mehrere SW, die der Gruppe SchF nicht gut bekannt sind. Die Gruppe SchW kennt laut der Umfrage einige SW gut und nur zwei SW kennen weniger als 16 % der Probanden/-innen aus dieser Gruppe.
Die Sprichwörter mit den höheren Prozentzahlen (über 40 %) in der Kategorie Ich gebrauche das SW beim Sprechen sind für die Probandengruppe SchW:
Aller Anfang ist schwer,
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm und
Weniger ist mehr.
Es handelt sich nicht um die gleichen wie für die Probandengruppe SchF (Wer wagt, gewinnt). Die niedrigsten Prozentzahlen (über 80 % markierten Ich gebrauche das SW nie) in der Kategorie zum mündlichen Sprachgebrauch von SW haben für beide Probandengruppen folgende SW:
Ausnahmen bestätigen die Regel,
Man sollte Feste feiern, wie sie fallen,
Adel verpflichtet,
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und
Steter Tropfen höhlt den Stein.
In der Kategorie Ich gebrauche das SW beim Schreiben wird ein SW von beiden Gruppen angeführt (mehr als 30 %): Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Die Sprichwörter mit den niedrigsten Prozentzahlen in der Kategorie Ich gebrauche das SW beim Schreiben (über 90 % markierten Ich gebrauche das SW nie) sind für beide Probandengruppen:
Ausnahmen bestätigen die Regel,
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer,
Steter Tropfen höhlt den Stein und
Vorbeugen ist besser als heilen.
In allen vier Kategorien ist das SW Die Hoffnung stirbt zuletzt als das SW mit den höchsten Prozentzahlen markiert worden, das in allen Kategorien als bekanntestes und beim Sprechen und Schreiben sehr oft markiertes SW vorkommt. Von allen SW, die mit niedrigen Werten markiert wurden, kommen folgende SW in allen vier Kategorien vor: Ausnahmen bestätigen die Regel, Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und Steter Tropfen höhlt den Stein.
Die Antworten in der Umfrage sind hinsichtlich des Geschlechts statistisch ausgewertet worden, obwohl die Zahl der Probanden niedrig ist. Anhand der Tatsache, dass die Zahl der Sprichwörter 76 beträgt, haben wir uns trotz der niedrigen Probandenzahl für eine statistische Auswertung entschieden, die allerdings Defizite aufweist und als eine Tendenz verstanden wird. Die Daten könnten durch breiter angelegte Studien ergänzt werden bzw. damit verglichen werden.
Die Antworten der Gruppen SchF und SchW werden hinsichtlich des Geschlechts in der Tabelle 3 dargestellt.
Geschlecht/Par. |
Ich kenne das SW (%) |
Ich kenne seine Bedeutung (%) |
Ich gebrauche es manchmal17 beim Sprechen (%) |
Ich gebrauche es manchmal beim Schreiben (%) |
m |
62,4 |
59,1 |
17,3 |
14,6 |
f |
61,7 |
53,5 |
16,8 |
9,1 |
Tabelle 3: Durchschnittszahlen für den Parameter Geschlecht
Die Resultate zeigen einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, der aber in der ersten und in der dritten Kategorie (das Kennen des SW und sein Gebrauch beim Sprechen) prozentuell zu gering ist (0,7 % und 0,5 %), um ihm eine statistische Relevanz zuzuschreiben, obwohl er als eine Tendenz verstanden werden kann. Der Vergleich der Kategorien zum Kennen des SW und zum Kennen seiner Bedeutung zeigt eine größere Diskrepanz bei den Schülerinnen als bei den Schülern, die auch größer ist im Vergleich zu dem Parameter Gruppe (vgl. 2.1). Die Schülerinnen markieren auch weniger SW als bekannt hinsichtlich der Bedeutung als die Schüler (der Unterschied von 5,6 %) und gebrauchen weniger SW beim Schreiben als die Schüler (der Unterschied von 5,8 %). Natürlich müsste auch der Faktor der Selbsteinschätzung berücksichtigt werden – die Antworten sind in den letzten zwei Kategorien durch das Einschätzen markiert worden, die Schüler und Schülerinnen haben eingeschätzt, wie oft sie einzelne SW gebrauchen. Obwohl die Schüler mehr SW kennen, ihre Bedeutung verstehen und sie beim Sprechen und beim Schreiben gebrauchen als die Schülerinnen, ist die Distribution der Antworten bei beiden Gruppen unterschiedlich. Die Schüler notieren nur für ein SW, dass sie es alle kennen (Übung macht den Meister), während die Schülerinnen das auch für dieses SW notieren, aber noch für 8 andere SW, für die bei den Schülern auch hohe Prozentzahlen zu bemerken sind. Ein Vergleich mit den Daten für die Kategorie Ich kenne die Bedeutung des SW zeigt, dass sowohl die Schülerinnen als auch die Schüler folgende SW zu einem hohen Prozentsatz markiert haben:
Ende gut, alles gut,
Übung macht den Meister und
Versprochen ist versprochen.
Für zwei SW führen sowohl die Schülerinnen als auch Schüler an, dass sie diese gar nicht oder schlecht (unter 16 %) kennen: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und Vorbeugen ist besser als heilen. Niedrige Prozentzahlen bekamen von der Gruppe Schülerinnen noch die Sprichwörter:
Ausnahmen bestätigen die Regel,
Not macht erfinderisch,
Totgesagte leben länger,
Was lange währt, wird endlich gut,
Adel verpflichtet,
Neue Besen kehren gut und
Steter Tropfen höhlt den Stein.
Die Kategorie zur Verwendung beim Sprechen zeigt auch einen Unterschied in der Distribution der Daten. Obwohl die Prozentzahlen für die Schülerinnen niedriger sind (Durchschnitt 16,8 %), markieren diese bei drei SW, dass sie von mehr als 40 % manchmal (der mittlere Wert auf der Skala) gebraucht werden: Aller Anfang ist schwer/Die Hoffnung stirbt zuletzt und Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, während die Schüler (Durchschnitt 17,3 %) das nur für ein SW notieren: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Die Kategorie zur Verwendung beim Schreiben zeigt keinen Unterschied in der Distribution der Daten, die Schülerinnen und die Schüler markieren den häufigeren Gebrauch von SW beim Schreiben (mehr als 30 %) für vier unterschiedliche SW: Die Hoffnung stirbt zuletzt und Ende gut, alles gut (Schülerinnen) und Eine Hand wäscht die andere und Geld regiert die Welt (Schüler).
Die Daten für beide Parameter (Gruppe und Geschlecht) zeigen, dass folgende zwei SW in allen Kategorien entweder die höchsten oder sehr hohe Prozentzahlen haben und sowohl von beiden Gruppen (SchW und SchF) als auch von Schülerinnen und Schülern häufig als bekannt, mit bekannter Bedeutung und häufig in der Verwendung (Sprechen und Schreiben) markiert worden sind: Die Hoffnung stirbt zuletzt und Ende gut, alles gut.
In der Tabelle 3 ist der mittlere Wert für die Kategorien zum Gebrauch der SW beim Sprechen und Schreiben angeführt. Es stellt sich auch die Frage, wie viele und welche SW in beiden Kategorien als die SW mit den höchsten und mit den niedrigsten Werten bezüglich des Gebrauchs markiert worden sind. Diese werden in der Tabelle 4 angeführt.
Geschlecht/Par. |
Sprechen: Ich gebrauche das SW sehr oft (1) |
Sprechen: Ich gebrauche das SW nie (5) |
Schreiben: Ich gebrauche das SW sehr oft (1) |
Schreiben: Ich gebrauche das SW nie (5) |
m |
8,1 |
43,8 |
2,5 |
61,9 |
f |
12,6 |
44,2 |
4,9 |
66,9 |
Tabelle 4: Werte 1 und 5 für den Parameter Geschlecht
Die Prozentzahlen aus der Tabelle 4 sprechen für die Annahme, dass die SW von den Probanden/-innen von beiden Gruppen seltener schriftlich gebraucht werden als im mündlichen Sprachgebrauch und bestätigen so die Daten aus der Tabelle 3, in der der durchschnittliche Wert (manchmal – 3) angeführt wird. Die Unterschiede sind unterschiedlich und liegen bei 35,7 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Sprechen für die Gruppe m/Schüler) und 31,6 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Sprechen für die Gruppe f/Schülerinnen) wie auch zwischen 59,4 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Schreiben für die Gruppe m/Schüler) und 62 % (zwischen den Extremwerten in der Kategorie Schreiben für die Gruppe f/Schülerinnen).
Die einzelnen Extremwerte für beide Kategorien unterscheiden sich hinsichtlich der Probandengruppen Schüler und Schülerinnen von 0,4 bis 5 % und sind vergleichbar mit den Unterschieden aus der Tabelle 3, was bedeutet, dass kein wesentlicher Unterschied zwischen den Angaben von beiden Probandengruppen vorzufinden ist.
Zu der Häufigkeit von Sprichwörtern gibt es einige Studien, z. B. die computerlinguistische von Moon (1998, nach Norrick 2006: 384-385), die gezeigt hat, dass die Sprichwörter relativ selten sind und dass ihr Gebrauch variiert, sie aber trotzdem von den Sprechern erkannt werden. Das seltene Vorkommen in den Datenbanken, die Moon untersucht hat, hat seinen Grund auch in den Textsorten: Sprichwörter kommen öfters in den gesprochenen Textsorten vor, in der alltäglichen Kommunikation und in den erzählten Geschichten. Typisch für die Sprichwörter ist das Vorkommen in Reden und Geschichten mit einer evaluierenden Funktion.
Vergleichen wir die Resultate der Studie von Moon (1998) mit den Resultaten, präsentiert in den Tabellen 1–4, die auch das niedrige Vorkommen der SW als Resultat der Selbsteinschätzung von Probanden zeigen: Die Probanden aus beiden Schulen erkennen die SW, verwenden sie aber seltener und zwar öfter beim Sprechen als beim Schreiben. Eine Analyse des Gebrauchs von Textsorten bei Jugendlichen könnte Parallelen zeigen, ausgehend von der Annahme, dass Reden halten und Geschichten mit einer evaluierenden Funktion erzählen zum Sprachgebrauch gehört, der, mit Ausnahme der schulischen Situationen, seltener von Jugendlichen realisiert wird. Aber diese Annahme müsste noch überprüft werden.
Vor dreißig Jahren bemerkten Burger et al, dass es fast keine Forschungen zum Verhältnis zwischen Land und Stadt hinsichtlich des Gebrauchs von Sprichwörtern gebe und dass wir von einer Veränderung des Sprichwortgebrauchs in den ländlichen Gemeinden durch den Einfluss zahlreicher sozial-ökonomischer Faktoren ausgehen können. Die konservative und traditionelle Funktion der Sprichwörter mit dem moralischen Charakter in der Erziehung habe so an Gewicht verloren, auch deswegen, weil sie für teilweise überkommene Wertvorstellungen stehe 18.
Die Resultate der Analyse zum Sprichwortgebrauch in zwei Gruppen österreichischer Jugendlicher haben gezeigt, dass der Faktor ländliche Umgebung beim Erhalten der Sprichwörter keine bedeutende Rolle spielt. Die Schüler/-innen aus der kleinen Stadt kennen im Vergleich zu ihren Altersgenossen aus Wien weniger Sprichwörter, sie kennen auch schlechter ihre Bedeutung und gebrauchen sie seltener sowohl beim Sprechen als auch beim Schreiben. Traditionell gefärbte ländliche Umgebung ist demnach nicht diejenige, in der die Sprichwörter stärker präsent sind. Die Resultate der Umfrage weisen viel mehr auf einen anderen Faktor hin, und zwar auf den Schultyp (Hauptschule gegenüber Gymnasium). Weitere Analysen mit Einbeziehung von mehr Probanden würden zeigen, ob die Relationen zwischen den Sprichwörtern und der sprachlichen und intellektuellen Erziehung insofern intensiv sind, dass man einen bestimmten Grad an Rezeption und Produktion der Sprichwörter mit dem Schultyp verbinden kann.
Sprichwörter sind im passiven Lexikon der Probanden/-innen vorhanden, relativ viele sind bekannt und werden verstanden, aber nicht gebraucht. Die Selbsteinschätzung der Probanden/-innen ist aufgrund ihres Alters und der Länge der Umfrage vielleicht nicht immer verlässlich, obwohl ein Unterschied, der vergleichbar ist und Parallelen aufweist, zwischen den beiden Probandengruppen in allen befragten Kategorien und bei einer großen Mehrheit der Sprichwörter zu erkennen ist. Für einige Sprichwörter haben beide Probandengruppen angegeben, sie nicht zu kennen und zu verwenden, einige sind von beiden Gruppen als gut bekannt markiert worden.
Einen größeren Unterschied zwischen den Schülern und Schülerinnen hat die Analyse der Daten nicht gezeigt. Das Kennen der Sprichwörter und ihrer Bedeutung wie auch ihr Gebrauch sind relativ gleichmäßig distribuiert und anhand der Daten der Analyse kann man nicht schließen, dass die Probandinnen oder Probanden die SW besser kennen oder sie häufiger gebrauchen.
Wie schon am Anfang angeführt, wird für SW festgestellt (vgl. Norrick 2007: 386), dass sie selten vorkommen, schnell erkennbar sind, weil sie im Kontext auffallen, im Vordergrund stehen und leicht zu merken sind. Außerdem bedeutet das Anführen eines Sprichwortes das Kennen der Tradition und der Weisheit der Sprach- und Kulturgemeinschaft, in der wir leben. Die im Beitrag vorgestellte Analyse zeigt ein seltenes Vorkommen der SW, indem die Probanden/-innen ihren eigenen Gebrauch der SW nicht als intensiv einschätzen. Das Kennen der SW gehört nicht zu den Zielen, die Jugendliche unbedingt anstreben und das Kennen wie auch das Gebrauchen der SW steht auch für ein gewisses Alter. Jugendliche sind bestimmt nicht die Gruppe, die viel Wert auf alte Traditionen und Weisheiten legt, was schon die Charakteristiken der Jugendsprache zeigen. Offen bleibt dabei die Frage, ob die Jugendlichen von heute im Erwachsenenalter diejenigen sein werden, die Sprichwörter öfters gebrauchen werden. Heute gehören sie zum passiven Lexikon (wie oben gezeigt, zu 50 bzw. 70 %), ob dieser Teil des Wortschatzes zum produktiven wird, hängt aber von vielen Faktoren ab und nicht nur vom Alter. Auf jeden Fall zeigt die Analyse des Sprichwortgebrauchs bei zwei Gruppen österreichischer Jugendlicher unterschiedliche Möglichkeiten für weitere Untersuchungen, die sich auf folgende Punkte beziehen können: Sprichwörtergebrauch und unterschiedliche Textsorten (mündlich und schriftlich), Sprichwörtergebrauch und weitere Probandengruppen, Sprichwörtergebrauch im Kontext des Alters der Probanden/-innen, Sprichwörtergebrauch und täglicher Sprachgebrauch (Korrelation, Abhängigkeiten) u. a. m.
Abrahams, Roger D. (1975): ''A Sociolingustic Approach to Proverbs''. Midwestern Journal of Language and Folklore 1/1: 60–64.
Burger, Harald/Buhofer, Annelies/Sialm, Ambros (eds.) (1982): Handbuch der Phraseologie. Berlin/New York: de Gruyter.
Chlosta, Christoph/Grzybek, Peter/Roos, Undine (1994): ''Wer kennt denn heute noch den Simrock? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur Bekanntheit deutscher Sprichwörter in traditionellen Sammlungen''. In: Chlosta, Christoph/Grzybek, Peter/Piirainen, Elisabeth (eds.) (1994): Sprachbilder zwischen Theorie und Praxis. Bochum, Brockmeyer: 31–60.
Ďurčo, Peter (1994): Probleme der allgemeinen und kontrastiven Phraseologie. Heidelberg: Julius Groos.
Ďurčo, Peter (2003): ''Unterschiede in der (Un)kenntnis von Sprichwörtern in verschiedenen Lebensaltern''. In: Häcki Buhofer, Annelies (ed.) (2003): Spracherwerb und Lebensalter. Tübingen/Basel, A. Francke: 293–304.
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Porst, Rolf. (1996): Fragebogen: Ein Arbeitsbuch . Wiesbaden: VS. (= Studienskripten zur Soziologie).
1 http://www.sprichwort-plattform.org/ , Stand. 19. April 2013. zurück
2 Der Artikel entstand als ein Teil der Arbeit am Projekt Phraseologie kontrastiv Deutsch und Slowenisch (2010–2013), finanziert vom Ministerium für Wissenschaften der Republik Slowenien. Eine weitere Untersuchung analysiert den Vergleich mit dem Gebrauch der häufigsten slowenischen Sprichwörter. zurück
3 Sprichwörter sind satzwertige Phraseologismen, unterscheiden sich aber von den festen Phrasen dadurch, dass sie nicht durch textlinguistisch-verweisende Elemente an die Textumgebung angeschlossen sind, sie sind allgemeine Aussagen oder Urteile, mit denen eine Situation erklärt, eingeordnet, beurteilt wird (vgl. Burger et al 1982: 39). Wegen ihrer Metaphorik bieten die Sprichwörter Aussagen über Stereotypen und kulturelle Metaphern (vgl. Norrick 2007: 381), weswegen sie sich für psycholinguistische Studien aber auch für interkulturelle Untersuchungen eignen. zurück
4 So stellen z. B. Lüthi/Naumann für die Phraseologieforschung in den skandinavischen Sprachen fest, dass sich diese noch in ihren Anfängen befindet (2002: 241, ausführlicher auch Britta Juska-Bacher 2009). zurück
5 In der genannten Arbeit wurden anhand eines Fragebogens rund 2000 Probanden zu 150 Phraseologismen befragt, die Pieter Bruegel d. Ä. auf seinem Gemälde Die niederländischen Sprichwörter (1559) abgebildet hat. Kontrastiert wird auf inter- und intralingualer, synchroner und diachroner Ebene unter Berücksichtigung der Bekanntheit der abgefragten Phraseologismen in den drei Sprachen und der Faktoren, die die Bekanntheit der Phraseologismen und die Phraseologismenkenntnis der Probanden beeinflussen. zurück
6 Im Rahmen seiner interlingual-synchronen Untersuchung in den typologisch unterschiedlichen Sprachen (Slowakisch und Deutsch) und unter Berücksichtigung verschiedener Altersgruppen hat Ďurčo bereits (1994) die Ergebnisse zur Bekanntheit von Phraseologismen mit Hilfe von Fragebogenerhebung gewonnen. zurück
7 Zur Auswahl der Sprichwörter in der Datenbank SPRICHWORT vgl. http://www.sprichwort-plattform.org/sp/Sprichwort-Inventar, Stand 19. April 2013. zurück
8 Ein Fragebogenmuster befindet sich im Anhang. zurück
9 Vgl. http://www.ids-mannheim.de/kl/projekte/korpora/, Stand 19. April 2013. zurück
10 Wir gehen von der Definition von Porst aus und verstehen einen Fragebogen als eine mehr oder weniger standardisierte Zusammenstellung von Fragen, welche Personen zur Beantwortung mit dem Ziel vorgelegt werden, deren Antworten zur Überprüfung der den Fragen zugrunde liegenden theoretischen Konzepte und Zusammenhänge zu verwenden (1996: 738). zurück
11 Möglichkeiten: Sehr oft (1), oft (2), manchmal (3), selten (4) oder nie (5). zurück
12 Zu der Reprösentativität vgl. Juska-Bacher (2012: 143). zurück
13 In der statistischen Auswertung werden Prozentzahlen verwendet, obwohl die Probandengruppen relativ klein sind, dafür aber jeder Proband/jede Probandin für jedes der 76 SW einzelne Werte angegeben hat. zurück
14 Hier wird der mittlere Wert (die Zahl 3 in den Antworten) angegeben, später werden auch die Prozentzahlen für beide Extremwerte (1 und 5) angeführt. zurück
15 Eine solche Frage würde den Rahmen der Umfrage zu stark erweitern, vor allem angesichts der Tatsache, dass eine Umfrage mit 76 SW relativ umfangreich ist. zurück
16 Vgl. mit der Studie von Grzybek (1995, nach Grzybek/Schlatte 2002: 293), in der ein Zusammenhang zwischen der Bekanntheit und der Länge von SW festgestellt wurde (je höher der Bekanntheitsgrad der SW, desto kürzer die durchschnittliche Satzlänge der SW). zurück
18 Die Probanden der Gruppe SchW kennen z. B. das Sprichwort Adel verpflichtet und verstehen seine Bedeutung zu 21,7 % und die Probanden der Gruppe SchF zu 5,3 %. zurück