Korpusbasierte Untersuchungen sind in der modernen Phraseologieforschung zwar heute eher die Regel, doch werden vorzugsweise immer noch schriftliche Korpora literarischer oder journalistischer Texte verwendet, mehr und mehr auch das World Wide Web, das größte existierende Textkorpus, ständig wachsend, dafür aber auch stark eklektisch. Analysen auf der Grundlage konversationeller Korpora sind leider immer noch die Ausnahme, man braucht nicht lange, um auf authentischen Konversationskorpora basierende Arbeiten aufzulisten (vgl. Schmale 2001).1 Da deutsche Publikationen in nicht-deutschsprachigen Forschungen meist nicht rezipiert werden, trifft man i. Ü. ständig auf die Arbeiten von Drew und Holt (1988, 1998); die Tatsache, dass Gülich (1978/1981) bereits sehr viel früher die gleichen Feststellungen bzgl. der komplexitätsreduzierenden und themenabschließenden Funktion von Gemeinplätzen des Deutschen getroffen hat, wird fast immer vergessen.
Konversationen sind per Definition dialogal-multimodale Gespräche,2 in denen die Interaktionsbeteiligten bzgl. eines selbstgewählten Themas ein tatsächliches Kommunikationsziel verfolgen, also nicht speziell zu Aufnahmezwecken zusammenkommen, um ein vorgegebenes Thema behandeln, wie das in Laborsettings der Fall ist. Derartige nicht elizitierte Gespräche werden mit technischen audio-visuellen Hilfsmitteln aufgenommen und dann zur Erleichterung der Analyse nach spezifischen Konventionen transkribiert, 3 wobei allerdings immer die Aufnahme das eigentliche Datum bleiben sollte, um bei der Analyse nicht der Produktorientheit zu verfallen.
Konversationen werden i. W. durch die folgenden Charakteristika konstituiert:
Die strikte Berücksichtigung dieser Spezifika konversationeller Interaktion, häufig zusammenfassend als Prinzip der Aushandlung bezeichnet, impliziert, dass Äußerungen bzw. Konstruktionseinheiten prinzipiell in ihrer sequentiellen Umgebung erfasst, beschrieben und interpretiert werden, in keinem Fall aber als Einzeläußerung analysiert werden dürfen. Dies bedeutet, dass man den engeren oder weiteren Ko- oder Kontext einer im Blickpunkt stehenden Konstruktionseinheit bzw. eines Turns in den Blick nimmt, also sowohl vorausgehende Äußerungen, vor allem aber nachfolgende Äußerungen anderer Interaktionsbeteiligter. Gerade Folgeaktivitäten können nämlich Aufschluss darüber verschaffen, wie ein Interaktant in der Situation selbst eine Aktivität behandelt und interpretiert. Eine in der Folgeaktivität – implizit oder explizit (über etwaige metadiskursive Aktivitäten) – aufscheinende Interpretation von Interaktanten ist immer einer Analysten-Interpretation vorzuziehen bzw. für die KA strictu sensu sogar die einzige Möglichkeit der Interpretation.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass die KA bei einer derartigen Vorgehensweise – mangels expliziter, metakommunikativer Interpretationshinweise – an ihre Grenzen stoßen kann. Insbesondere ist sie kaum in der Lage zu entscheiden, welche Absichten oder Intentionen der jeweilige Interaktant mit der Produktion einer bestimmten konversationellen Aktivität verfolgt – aber wer kann einem Sprecher schon in den Kopf schauen? Dafür kann die KA allerdings durch eine äußerst rigorose analytische Mentalität von den Beteiligten – mittels ihrer wechselseitig aufeinander bezogenen Aktivitäten – implementierte Organisationsstrukturen rekonstruieren und auf diese Weise eine Menge über konversationelle und teilweise auch kommunikative Funktionen von Konstruktionseinheiten herausfinden. Das wird im Beitrag von Schmale im vorliegenden Band im Hinblick auf die Verwendung und Behandlung idiomatischer Ausdrücke versucht; die Darstellung differenzierter Funktionen unterschiedlicher Formen der konversationellen Bearbeitung idiomatischer Ausdrücke im konversationellen Kontext zeigen (hoffentlich), dass die KA durchaus in der Lage ist, trotz Verzicht auf (zu) weitgehende Analysatoren-Interpretationen zu – nachprüfbaren – Ergebnissen bzgl. deren Verwendung zu gelangen.
Empirische Analysen authentischer Konversations-Korpora sind gerade aus den folgenden Gründen für eine moderne Phraseologieforschung – oder besser: im Sinne der Erforschung der Präformierung konversationeller Strukturen – unerlässlich:
Selbst wenn der Beitrag von Schmale in diesem Heft in eher traditioneller Manier idiomatische Ausdrücke untersucht,7 so belegt die Bandbreite der in den einzelnen Beiträgen behandelten Themen, dass von einem sehr weitgefassten Verständnis dessen ausgegangen wird, was sprachlich-kommunikative Vorgeformtheit ausmacht. Deshalb wird im Titel des vorliegenden Themenheftes die Bezeichnung "präformierte Konstruktionseinheiten" (PKE) verwendet, die auf dem in Schmale (2011, 2013) entwickelten Ansatz einer erweiterten Definition vorgeformter (non)verbaler Kommunikationsmittel basiert. Gefasst werden mit PKE nämlich nicht nur phraseologische Ausdrücke (referentielle, kommunikative, strukturelle PA im Sinne Burgers 2010), also z. B. Sprichwörter und Gemeinplätze, (Teil-)Idiome, Kollokationen, Routineformeln, sondern auch constructions, vorgeformte Texte und kommunikative Gattungen. Im Gegensatz zur klassischen Phrasemdefinition (z. B. bei Burger 2010), die i. w. S. auf den Kriterien der Polylexikalität und – relativen – Festigkeit und Usualität fußt, wozu sich i. e. S. die Idiomatizität gesellt, gibt Schmale (2013) insbesondere das Kriterium der Polylexikalität auf, das einen Ausschluss von Ein-Wort-Routineformeln mit sich bringen würde, um es durch das der Polyfaktorialität zu ersetzen. Schmale (2013: 41) definiert:
Est considérée comme préformée une unité de construction verbale et/ou non verbale, obligatoirement caractérisée par son caractère polyfactoriel et un certain degré de stabilité qui permet à un membre de la communauté langagière concernée de la reconnaître et de la réutiliser, sachant qu'elle est plus ou moins variable pour ce qui est de sa taille, sa stabilité, sa compositionnalité sémantique, sa dissémination et sa durabilité, sa saturation lexicale, son imbrication dans une situation de communication spécifique, la présence d'activités non verbales.
Polyfaktorialität als wesentliches Definitionskriterium präformierter Konstruktionseinheiten (PKE) bedeutet, dass man dann von einer PKE sprechen kann, wenn diese zumindest8 eine der folgenden Faktorenkombinationen aufweist: eine PKE besteht aus minimal zwei auto- oder synsemantischen Lexemen ODER aus einem derartigen Lexem plus einem genau zu definierenden situationellen Element ODER aus einem Lexem plus einer nonverbalen Aktivität ODER aus einer nonverbalen Aktitivität und einem genau zu definierenden situativen Element.9 "Un certain degré de stabilité" (ib.) impliziert, dass PKE zugrunde liegende Faktorenkonstellationen in dem Sinne fixiert sein müssen, dass ein lexikalisches oder strukturelles Gerüst erkennbar bleibt, selbst wenn dieses stark verändert ist. PKE können mehr oder weniger groß sein (s. o.), struktureller und/oder lexikalischer Natur sein, d. h. einen relativ festen strukturellen Rahmen anbieten oder aber lexikalisch weitgehend gefüllt sein.10 Die Verbreitung von PKE kann stark variabel sein, vom Gebrauch in einer Familie, einer Gruppe, einer Gegend, einem Land bis zu einer gesamten Sprachgemeinschaft reichend; es wäre sogar vorstellbar, dass eine PKE im Rahmen einer vorgängigen Konversation als solche rekurrent verwendet wird, dann aber wieder verschwindet. Was die Lebensdauer betrifft, so gehen nicht alle PKE in Wörterbücher ein, besonders jugendsprachliche sind oft derart ephemer, dass sie nicht den Rang eines Lemmas bekleiden, was der Tatsache ihrer Vorgeformtheit jedoch keinen Abbruch tut. Die Semantik von PKE kann unterschiedliche Grade der Kompositionalität erreichen, wobei Enkodierung und Dekodierung zu unterscheiden sind: Kollokationen besitzen kompositionelle Bedeutung, bestimmte stark bildhafte Idiome dagegen nicht. Idiomatizität ist aus diesem Grunde eine äußerst relative Eigenschaft von PKE, die zudem aus pragmatischer Perspektive von unterschiedlichsten Gebrauchsbedingungen und individuellen Faktoren abhängt, überdies auf der Enkodierungs- und Dekodierungsebene unterschiedlich sein kann. Die pragmatische Prägung von PKE, i. e. ihre Bindung an bestimmte Situationen, kann von der mehr oder weniger freien Verwendung bis zu einer äußerst starken kontextuellen Determinierung reichen. Nonverbale Aktivitäten schließlich können, wie bei referentiellen Phrasemen, völlig verzichtbar sein, bei Routineformeln jedoch eine zentrale Rolle spielen.
Das vorliegende Themenheft Formen und Funktionen vorgeformter Konstruktionseinheiten in authentischen Konversationen umfasst fünf Beiträge, die sich mit unterschiedlichen Typen präformierter Konstruktionseinheiten beschäftigen. Im Unterschied zu den Beiträgen von Sylvie Teston-Bonnard, Heike Baldauf-Quilliatre, Véronique Traverso und Gaëtane Dostie, die im Anschluss an Tognini-Bonelli als korpusbasiert bezeichnet werden können, sind die von Heike Knerich und Günter Schmale im Paradigma der corpus driven–Arbeiten zu verorten. Während nämlich die Aufsätze von Teston-Bonnard/Baldauf-Quilliatre/Traverso und Dostie sich auf bestimmte Ausdrücke oder Konstruktionen festlegen, um diese dann in Korpora zu untersuchen, erstere Quand on X, Y…, letztere Diskursmarker wie don(c), lassen sich Knerich und Schmale gemäß der analytic mentality der KonversationsanalytikerIn vom Material leiten und entdecken so bestimmte konversationelle Organisationsphänomene – Knerich Listenkonstruktionen, Schmale Phänomene der konversationellen Bearbeitung idiomatischer Ausdrücke, deren Methodik sie dann in Kategorien der Interaktionsbeteiligten zu beschreiben versuchen. Der Aufsatz Kauffers zu Stereotypen Sprechakten ist zwar in gewissem Sinne korpusbasiert und beschäftigt sich mit einem a priori im mündlichen Sprachgebrauch zu verortenden Phänomen, doch wird dieses nicht wie in den anderen Beiträgen anhand von Korpora gesprochener Sprache untersucht, sondern an schriftlichen, meist literarischen Korpora, die bestimmte Charakteristika – sekundärer oder gar tertiärer Art – mündlichen Sprachgebrauchs aufweisen.
Gaétane Dostie geht es in ihrem französischsprachigen Beitrag Les associations de marqueurs discursifs – De la cooccurrence libre à la collocation um typische Verbindungen französischer Lexeme wie ben oder ok, die von der freien Kookkurrenz bis zur (festeren) Kollokation reichen. Derartige Verbindungen von Diskursmarkern (DM), bisher nur ansatzweise untersucht im Französischen und leider häufig in Kategorien der Schriftsprache, zeichnen sich durch folgende Charakteristika aus: sie können in phonetisch reduzierter Form realisiert werden ([ku'dɔ̃] im Québec-Französischen für écoute donc); sie sind i. d. R. nicht flektierbar; sie tragen nichts zum propositionalen Gehalt des Gastturns bei oder stellen sogar eine eigenständige Äußerung dar; sie sind Bestandteil der Makrosyntax, nicht aber der Syntax; sie erfüllen diskursstrukturierende oder interaktionale Funktionen; sie transportieren subjektive oder intersubjektive Bedeutung. Dosties Untersuchung erfolgt auf der Grundlage eines 23.5-stündigen Korpus des gesprochenen Québec-Französischen.11 Besonders auffällig sind für sie Kombinationen von DM, wie z. B. mit voyons: so findet man unter insgesamt 152 Okkurrenzen dieses DM 51 voyons don [dɔ̃]12, 41 ben voyons und 24 ben voyons don, deren Kombination i. Ü. keinesfalls zufällig ist, sondern ganz bestimmten Regeln unterworfen ist, die GD in ihrem Beitrag sehr überzeugend untersucht und darstellt. Dementsprechend werden drei Assoziationen diskursiver Einheiten nach dem Grad ihrer Fixiertheit unterschieden:
Während der 1. und der 3. Typ für die Analyse keine Probleme darstellen, stellt der 2. Typ, die diskursiven Kollokationen besondere Herausforderungen an die Analytikerin, da für jeden Einzelfall die kombinatorischen Regeln erst herausgearbeitet werden müssen. Dostie konzentriert sich deshalb auf diesen Typ und untersucht die unterschiedlichen Realisierungsformen des – kanadisch-französischen – DM <don> in ihrem Korpus.
Wie auch im Frankreich-Französischen sind <don> [dɔ̃] und <donc> [dɔ̃k] natürlich unterschiedliche, keinesfalls einfach austauschbare Lexeme mit ganz unterschiedlichen diskursiven Funktionen. Der DM <donc> erfüllt im Diskurs folgende Funktionen: er dient zur Einführung einer Konsequenz, der Rückkehr zum zentralen Thema, eines Kommentars zu einem zuvor eingeführten Themenaspekt, als eine Art continuer: 'erzähl mir, wie's weiter geht'; in aufschiebender Funktion; als Kontinuitätsmarker in einer Erzählung.
Nicht-kollokative <don> dienen dagegen der Hervorhebung einer kognitiven Bemühung, einen (vergessenen) Sachverhalt (wieder) zu finden; der Hervorhebung der Wichtigkeit, die der Erfüllung einer Handlung durch den Gesprächspartner zugemessen wird; der Hervorhebung der Verpflichtung die der Sprecher bezüglich des Wahrheitsgehaltes seiner Aussage übernimmt. Wichtig ist dabei, dass in all diesen Fällen <don> nur in Ausnahmefällen durch <donc> ersetzt werden kann.
Kollokatives <don> übernimmt vor allem die Aufgabe, die illokutive Rolle eines präpositionierten Diskursmarkers hervorzuheben, z. B. im Falle von arrête don oder voyons don.
Während <donc> folglich grosso modo die Rolle eines Konnektors zwischen zwei semantischen Einheiten übernimmt, dient <don> dazu, den illokutiven Wert eines bestimmten Textelements hervorzuheben. Dies kann durch nicht-kollokatives <don> geschehen, das dann eine modalisierende Funktion auf Satzebene hat, oder aber durch kollokatives <don>, das in diesem als Diskursmarker fungiert. Der Unterschied zwischen beiden <don>-Typen liegt folglich im Textsegment begründet, das von <don> begleitet wird.
Abschließend entwickelt Gaétane Dostie in sehr detaillierter Weise einen Lexikonartikel für <don>, in dem sie sowohl syntaktische als auch semantische und pragmatische Aspekte beschreibt. Besonderer Wert wird dabei auf die Berücksichtigung syntagmatischer Relationen gelegt sowie auf die Tatsache, dass diskursive Kollokationen in eigenen Lemmata zu beschreiben sind.
Der Beitrag von Gaétane Dostie wird nicht nur
aufgrund
seiner großen Qualität als erster vorgestellt,
sondern auch deshalb, weil er mit dem Diskursmarker <don>
das wohl kleinste Phänomen sprachlicher Präformierung
dieses Themenheftes behandelt. Entsprechend der vorgeschlagenen PKE-Definition
besitzt
Sandra Teston-Bonnard, Heike Baldauf-Quilliatre und Véronique Traverso des Lyoner Forschungslabors Interactions, Corpus, Apprentissages, Représentations (ICAR) beschäftigen sich mit der französischen Konstruktion Quand on X, Y… vom Typ Quand on tire trop sur la corde elle finit par casser, um auf der Grundlage der zahlreichen Korpora der clapi-Seite des ICAR13 die syntaktische Struktur sowie die unterschiedlichen Funktionen zu untersuchen. Die Grundstruktur Quand on X, Y besteht aus einem Prä-Kern (pré-noyau), quand on X , sowie einem Kern on X, X, c'est X usw. Die Autorinnen teilen die Korpus-Okkurrenzen zunächst nach der Realisierungsform in zwei Klassen ein:
Was die Funktion(en) von Quand on X, Y angeht, so zielt die Analyse vor allem auf die Darstellung der Rolle der Konstruktion als generalisierende Äußerung ab. Im Falle der Wiederaufnahme des on aus dem Prä-Kern im Kern liegt eine besonders starke Generalisierung aufgrund des generischen Charakters des Pronomens on vor. Die Konstruktion übernimmt überdies die Funktion einer Art Rahmung (bornage), konkret: sie steht am Anfang einer erzählenden Episode.15 Nicht alle Konstruktionen des Types Quand on X, on X sind jedoch generalisierend, viele sind einfach temporell zu verstehen, wie z. B. in quand on a pris l'appartement on nous a dit qu'il y avait le projet effectivement.
Die unterschiedlichen Konstruktionen vom Typ Quand on X, Y sind dagegen weniger generalisierend, da sehr viel nuancierter, als die der 1. Klasse. Neben den vorstehenden mehrheitlich monologalen Quand on X, Y-Konstruktionen werden auch kollaborative Formen behandelt, bei denen der Prä-Kern von Sprecher A und der Kern von Sprecher B produziert wird, z. B. A: quand on est malheureux – B: on se sent mal.
Auf den Prä-Kern reduzierte Konstruktionen – enfin quand on peut pas faire autrement – werden aus formalen Gründen von der Analyse ausgeschlossen, allerdings hätte man sich fragen können, ob diese reduzierte Form, wohl auf die terminale Position16 beschränkt, aus funktionaler Perspektive nicht den gleichen Sachverhalt ausdrückt wie die Grundform, nur dass der Kern eben im Vorhergesagten mehr oder weniger implizit enthalten ist. Man könnte deshalb aus syntaktischem Blickwinkel von einer elliptischen Konstruktion sprechen, aus sequentiell-kontextuellem jedoch nicht. Aus germanistischer Perspektive erwähnenswert: auf die Protasis beschränkte wenn -Konstruktionen vom Typ wenn ich's mir recht überlege können im Deutschen diskursstrukturierende Funktion übernehmen (vgl. Günthner 1999). Diese Funktion könnte m. E. auch das französische quand übernehmen in einer Struktur wie quand je réfléchis bien, um dann einen das Vorhergesagte einschränkenden Aspekt einzuführen. Metakommunikative oder Relevanz-Konditionalkonstruktionen (ebd.) müssten allerdings im Französischen mit dem irrealen oder hypothetischen si gebildet werden.
Der englischsprachige Beitrag von Schmale unter dem Titel Forms and Functions of Idiomatic Expressions in Conversational Interaction untersucht auf der Grundlage von vier Gesprächskorpora Form, Verwendung und Funktionen idiomatisch-metaphorischer und idiomatisch-bildhafter phraseologischer Ausdrücke in der Konversation. Wie bereits in früheren Analysen der Phrasemverwendung in deutschen Talkshows stellt sich heraus, dass Interaktionsbeteiligte eigene oder vom Partner produzierte idiomatische Ausdrücke in unterschiedlicher Weise konversationell bearbeiten. Diese werden insbesondere vom Produzenten selbst oder vom Interaktionspartner rephrasiert oder paraphrasiert, wobei folgende Typen auftreten:
Im Anschluss an die einzelnen Rephrasierungs- und Paraphrase-Typen werden jeweils allgemeine und spezifische Funktionen zusammengefasst, z. B. diecomplex meaning/concise form function, die cognitive relief function, die illustrative function oder die demonstration of linguistic competence function.
Im Gegensatz zum Talkshow-Korpus sind sowohl metadiskursive Kommentierungen metaphorischer Ausdrücke (nur (22) und (23)) als auch nonverbale Aktivitäten (nur (24)), die sich auf idiomatische Ausdrücke beziehen, äußerst selten. Häufiger treten nicht-paraphrastische Reformulierungen in Form von Distanzierungen und/oder Korrekturen in mehreren Fällen auf ((25) bis (27)). Schließlich werden metaphorische und/oder idiomatische Ausdrücke untersucht, die keinerlei konversationelle Bearbeitung erfahren. Da die Konversationsanalyse über äußerst begrenzte Mittel verfügt, die Ursachen dieser Nicht-Bearbeitung herauszuarbeiten, wird überlegt, anhand welcher Indizien man darauf schließen kann, dass Beteiligte angesichts fehlender expliziter Verstehensmanifestationen die entsprechenden idiomatischen Ausdrücke dennoch verstehen. Ko- und kontextuelle sowie semantische Indikatoren werden diskutiert, insbesondere aber auch jegliches Fehlen derartiger Interpretationshilfen. Die vorgestellten Überlegungen diesbezüglich kulminieren in der These, dass Idiome möglicherweise nicht immer den Erwartungen des Produzenten entsprechen interpretiert werden, dies jedoch für den reibungslosen Fortgang der gemeinsamen konversationellen Aktivitäten irrelevant ist, da der idiomatische Ausdruck als nicht zentrales Element der Proposition seines Gastturns vernachlässigt werden kann. Andererseits können bestimmte Ausdrücke in einem Maße in den Sprachgebrauch eingegangen sein, dass sie nicht mehr als idiomatisch-metaphorisch vorgeformt wahrgenommen und folglich ähnlich wie ein Lexem behandelt werden, das auch nicht konversationelle bearbeitet werden muss, sofern es keine Verständigungsprobleme gibt.
Heike Knerichs Beitrag untersucht ausgehend von einem Korpus von 20 authentischen Arzt-Patienten-Gesprächen "Listenkonstruktionen als vorgeformte Strukturen" und "vorgeformte Ausdrücke innerhalb von Listenkonstruktionen" (vgl. den Beitrag von Knerich), die von PatientInnen beim Sprechen über Angst und Anfälle verwendet werden. Der Autorin geht es sowohl um die analytische Rekonstitution der Organisationsstruktur derartiger Listenkonstruktionen (LK) als auch um deren Funktionen im Gespräch. Zwar handelt es sich bei dem verwendeten Korpus nicht um Konversationen im klassischen Sinne, deren Grundbedingung die absolut freie Aushandlung des Sprecherwechsels ist, doch hat die Konversationsanalyse bereits seit geraumer Zeit den rigorosen Verzicht auf alles, was aufgrund institutioneller Zwänge nicht völlig frei aushandelbar ist, aufgegeben. Wichtig ist allein, dass die auf der Gesprächsoberfläche aufscheinenden Organisationsstrukturen in Kategorien der Interaktionsbeteiligten analysiert werden, wenn dabei auch einer der Beteiligten – wie hier der Arzt – aufgrund seines Status möglicherweise gewisse Vorrechte genießt, die dann aber i. d. R. unmittelbar auf der Ebene der Gesprächsorganisation sichtbar werden.
Die Grundstruktur derartiger LK besteht aus einer Projektionskomponente, in der die PatientIn in gewisser Weise die folgende Liste im Sinne einer "vorgreifenden Verdeutlichung" (vgl. Kallmeyer/Schütze 1977) ankündigt, oder in der diese vom Arzt durch eine Frage ausgelöst wird, aus einer gewissen Zahl an Listenelementen17 und schließlich aus einer Gestaltschließungskomponente. LK sind ein Typ größerer Diskursstrukturen, die einen Rahmen darstellen, der lexikalisch gefüllt wird, entweder mit bekannten phraseologischen Ausdrücken oder aber mit nicht-phraseologischem Sprachmaterial. In letzterem Fall könnte es sich um eine turnübergreifende construction vom Typ formal idiom im (weiteren) Sinne Fillmore, Kay und O'Connors (1988) handeln.18
Die Funktion der LK besteht meist darin, bestimmte Symptome der Krankheit zu detaillieren, teilweise tauchen allerdings LK mit inszenierender Funktion auf.
Auch wenn Heike Knerich nur wenige präformierte Konstruktionseinheiten (PKE) i. e. S. behandelt, so sind die von ihr analysierten LK absolut im Anschluss an die Definition in Schmale (2011, 2013) als PKE zu betrachten, nämlich i. w. S. vorgeformte Strukturen, die mehr oder weniger weit über die einzelne vorgeformte Turnkonstruktionseinheit hinausgehen. In diesem Sinne stellt Knerichs Beitrag eine Bereicherung für das vorliegende Themenheft dar.
Maurice Kauffers Text Phraseologismen und stereotype Sprechakte im Deutschen und im Französischen stellt ein Projekt der Groupe de Lexicographie Franco-Allemande (GLFA)19 vor. Stereotype Sprechakte (StSa) vom Typ na warte!, na hör mal!, c'est le bouquet!, tu parles sind eine Sonderform pragmatischer Phraseologismen, die folgende Charakteristika aufweisen: ihre Bedeutung ist nicht-kompositionell, d. h. sie sind idiomatisch, sie sind äußerungswertig, stellen folglich eine autonome Äußerung dar, und sie besitzen eine pragmatische Funktion, wie z. B. Ausdruck von Staunen (Sieh mal einer an!) oder von Ablehnung (Du kannst mich mal!) meist als Reaktion auf eine vorausgehende Aussage oder einen Sachverhalt. Für Kauffer stellen derartige StSa im Vergleich zu unscharf definierten Routineformeln und satzwertigen Phraseologismen20 eine "neue[n], besser abgegrenzte[n] Klasse" (vgl. den Beitrag von Kauffer) pragmatischer Phraseme dar. Angesichts der Verwendung im Grunde identischer Definitionskriterien bedürfte es allerdings der weiteren Untersuchung um zweifelsfrei nachzuweisen, dass StSa tatsächlich eine klar abgegrenzte eigene Klasse pragmatischer Phraseme darstellt. Generell könnte man überlegen, ob einzelne Definitionskriterien nicht prinzipiell auf einer relativen Gradskala verortet werden sollten. Auch das Phänomen der Monolexikalität wäre zugunsten einer Polyfaktorialität zu überdenken.
Untersucht werden stereotype Sprechakte im ALS-Projekt auf der Grundlage mehrerer Korpora, die fast ausschließlich aus schriftlichen deutschen und französischen literarischen Texten bestehen, vorzugsweise aus solchen, die Elemente dialogischer Sprache aufweisen. Da die jeweiligen StSa kontrastiv deutsch-französisch-deutsch beschrieben werden sollen, werden vor allem Texte herangezogen, die in einer autorisierten Übersetzung vorliegen, bei deren Fehlen wird auch von den Mitgliedern der Gruppe übersetzt. Konversationelle Korpora wurden in den bisher vorliegenden Mikro-Strukturen nicht verwendet. Im Gegensatz zu den restlichen Beiträgen des vorliegenden Themenheftes, die auf authentischen Konversationen basieren, können die Untersuchungen des ALS-Projektes also keine multimodalen Aspekte der Kommunikation in die Beschreibung ihrer StSa einbeziehen, weder prosodische noch nonverbale.
Ich hoffe, dass dieses Themenheft einen Beitrag zur Schließung der Forschungslücke im Bereich der Untersuchung präformierter Konstruktionseineheiten in authentischen Konversationen liefern konnte. Sowohl im Hinblick auf die Beschreibung von Verwendung und Funktionen präformierter Ausdrücke, über die man bisher immer noch zu wenig weiß, als auch über neuere Formen vorgeformter kommunikativer Konstruktionen. Vor allem aber sollen die vorliegenden Arbeiten einen Anreiz liefern, weitere Forschungen im Bereich kommunikativer Vorgeformtheit anzustellen. Nicht nur aus fremdsprachendidaktischer Perspektive wäre es dringend notwendig, zu beschreiben welche PKE in welcher Weise von Muttersprachlern verwendet werden. Auch die Linguistik kann nicht auf die Erforschung der Vorgeformtheit kommunikativer Aktivitäten verzichten, die – neuere Erkenntnisse belegen dies – bei weitem über das hinausgehen, was man bis dato in den Blick genommen hat!
Bolinger, Dwight (1976): "Meaning and Memory". Forum Linguisticum 1: 1–14.
Burger, Harald (1998/42010): Phraseologie – Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin: Schmidt. (= Grundlagen der Germanistik 36).
Corpus de français parlé au Québec (CFPQ): http://recherche.flsh.usherbrooke.ca/cfpq/, Stand: 07.11.2013.
Corpus de Langues Parlées en Interaction: http://clapi.univ-lyon2.fr/, Stand: 02.06.2013.
Drew, Paul/Holt, Elizabeth (1988): "Complainable Matters: The Use of Idiomatic Expressions in Making Complaints". Social Problems 35/4: 398–417.
Drew, Paul/Holt, Elizabeth (1998): "Figures of Speech: Figurative Expressions and the Management of Topic Transition in Conversation". Language in Society 27: 495–522.
Fillmore, Charles J./ Kay, Paul/O'Connor, Mary C. (1988): "Regularity and Idiomaticity in Grammatical Constructions: The Case of Let Alone". Language 64/3: 501–538.
Gülich, Elisabeth (1978/1981): "Was sein muß, muß sein. Überlegungen zum Gemeinplatz und seiner Verwendung." In: Geckeler, Horst/Schlieben-Lange, Brigitte/Weydt, Harald (eds.) (1981): Logos Semantikos. Studia Linguistica in honorem Eugenio Coseriu. Berlin/New York, de Gruyter: 343–363.
Günthner, Susanne (1999): "Wenn-Sätze im Vor-Vorfeld: Ihre Formen und Funktionen in der gesprochenen Sprache". Interaction and Linguistic Structures 11: 1–33.
Kallmeyer, Werner/Schütze, Fritz (1977): "Zur Konstitution von Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung". In: Wegner, Dirk (ed.) (1977): Gesprächsanalysen. Hamburg, Buske: 159–274.
Schegloff, Emanuel A. (1982): "Discourse as an Interactional Achievement: Some Uses of 'Uh huh' and Other Things That Come Between Sentences". In: Tannen, Deborah (ed.) (1982): Analyzing Discourse: Text and Talk. Washington, Georgetown UP: 71–93.
Schmale, Günter (2001): Le traitement conversationnel de phrasèmes dans les talk-shows de la télévision allemande. Université de Nantes (France). Unveröffentlichte Monographie.
Schmale, Günter (2009): "Phraseologische Ausdrücke als Bestandteil des Fremdsprachenerwerbs – Überlegungen zur Phraseodidaktik auf der Grundlage einer korpusbasierten Analyse deutscher Talkshows". In: Bachmann-Stein, Andrea/Stein, Stefan (eds.) (2009): Mediale Varietäten – Analysen von gesprochener und geschriebener Sprache und ihre fremdsprachendidaktischen Potenziale. Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung. Sonderheft 13: 149-179.
Schmale, Günter (2011): "Was ist in der Sprache 'vorgeformt'? Überlegungen zu einer erweiterten Definition sprachlicher Präformiertheit". In: Schäfer, Patrick/Schowalter, Christine (eds.) (2011): In mediam linguam. Mediensprache – Redewendungen – Sprachvermittlung. Festschrift für Heinz-Helmut Lüger zum 65. Geburtstag. Landau, VEP: 177-190.
Schmale, Günter (2013): "Qu'est-ce qui est préfabriqué dans la langue? – Réflexions au sujet d'une définition élargie de la préformation langagière". Langages 189: 27-45.
1 Literaturangaben zu eigenen Arbeiten aus diesem Bereich finden sich in der Literaturliste zu meinem Beitrag im vorliegenden Themenheft. zurück
2 In den Anfängen der Konversationsanalyse (KA) ausschließlich Alltagsgespräche "über den Gartenzaun", heute aber auch mehr und mehr institutionell geprägte Gespräche. zurück
3 Vgl. z. B. das im Anhang zum Beitrag von Schmale (in diesem Heft) skizzierte System im Anschluss an GAT. zurück
4 Was natürlich bedeutet, dass man auch eine Transkription in keinem Fall als Gesprächsprodukt behandeln darf. Die so genannten Apokoinu-Konstruktionen beispielsweise besitzen nur bei produktorientierter Betrachtungsweise ein Koinon mit Doppelfunktion, online betrachtet hat dieses nur eine Funktion. zurück
5 In den vier in Schmales Beitrag untersuchten Konversationskorpora tauchen allerdings im Gegensatz zum Talkshow-Korpus kaum Wortspiele auf, die wohl doch etwas mit öffentlichem Sprechen zu tun haben könnten. zurück
6 Befragungen von Sprachbenutzern, um auf deren Grundlage phraseologische Minima oder Optima zu definieren, scheinen kaum zu genügen (vgl. Schmale 2009). zurück
8 Was bedeutet, dass zur Polylexikalität die anderen genannten Faktoren hinzukommen können, was i. Ü. fast ausnahmslos der Fall ist. zurück
10 Im Sinne der formal idioms und substantive idioms Fillmores, Kays und O'Connors (1988), wobei PKE allerdings sehr viel umfangreicher sein können. zurück
11 Corpus de français parlé au Québec (CFPQ): http://recherche.flsh.usherbrooke.ca/cfpq/, Stand: 07.11.2013. zurück
12 Also nicht [dɔ̃k] ausgesprochen, sondern [dɔ̃], was nicht nur im Québec-Französischen geschieht, sondern auch im Französischen Westfrankreichs der Vendée oder Charente, woher die ersten Siedler Kanadas schließlich auch kamen. zurück
13 Corpus de Langues Parlées en Interaction: http://clapi.univ-lyon2.fr/, Stand: 02.06.2013. zurück
14 Bei X handelt es sich also nicht um das Prädikat der Konstruktion, sondern allein um das Pronomen, das eben in beiden Teilen identisch ist. zurück
15 Könnte aber auch am Ende stehen. Daneben existieren, vor allem bei rhetorischem Gebrauch der Konstruktion, argumentative Funktionen. zurück
17 Wahrscheinlich stellen drei Elemente, wie in den Ausschnitten (1) und (2) das Minimum dar, um von einer Liste sprechen zu können. zurück
18 Meine Interpretation; i. Ü. ist eine solche bei Fillmore/Kay/O'Connor (1988) nicht vorgesehen. Es erscheint mir aber logisch zu sein, auch größere, über den Einzelausdruck hinausgehende Konstruktionen anzunehmen, die dann wiederum – wie bei Knerich – auch lexikalisch gefüllte substantive idioms enthalten könnten. zurück