Des Menschens Genitive

Normabweichende Genitiv-Varianten bei schwachen Maskulina

Wolfgang Krischke (Hamburg)



1 Der Genitiv der schwachen Maskulina als Zweifelsfall

  Beispiel I
  Thommi: (...) Meines Kollegens Mutter arbeitet bei Stihl, (rettet den Genitiv) Wenn es dir nicht pressiert, dann kann ich da mal nachfragen.
  klugschiss: Des Genitivs richtige Form ist aber "meines Kollegen Mutter" oder "die Mutter meines Kollegen".

  Beispiel II
  Dr. Meth – Masochist: Ich bin ne laufende Fehlgeburt, laut meines Therapeuts,
denn meine blutende Bauchdecke hängt sorgältig gefaltet auf seine Ledercouch.
Erst wenn der physische Schmerz, den psychischen lehrt,
lehrt zu schwinden, bin ich glücklich und des Zyankalikügelchens wert.
  Lullabite: Da gibts eigentlich nich viel dran auszusetzen, außer, dass es nich "Therapeuts" sondern "Therapeuten" heißt, und sich beides nich so toll auf "Ledercouch" reimt . Aber ok, im Textzusammenhang flowts ja ganz gut!
  Dr. Meth – Masochist: Therapeuts stimmt schon, "meines Therapeuts" ist genitiv, singular.
  Lullabite: Sicher? Ich hätt jetzt gewettet es heißt "meines Therapeuten" also so rein vom Gefühle her..."Therapeuts" hört sich so kacke an
  Dr. Meth – Masochist: ja, stimmt, du hast recht

  Beispiel III
  cat88: des Menschen oder des Menschens? Suche die richtige Formulierung. Des Menschens klingt komisch, hätte aber das Genitiv s dabei. Im Internet sind beide Formulierungen zu finden
  Sadie: Es heißt des Menschen. Eine Erklärung dafür ist, dass es nur so grammatikalisch korrekt ist.
  Miss Wunderin: Ohne s (http://www.dict.cc/deutsch/Mensch.html)
  LonoMisa: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, zu Sterben ist des Menschens Schicksal.
  LonoMisa: Nee, Korrektur: Es muß immer des MenschenS heißen!!!!!
  howina: des Menschen - ist einfach so, anders begründen kann man es nicht.
  cat88: Laut dem dict.cc hieße es dann tatsächlich 2 x "des Menschen". Nur warum heißt es dann "das Pfeifen des Windes"? Deutsche Sprache wirklich schwere Sprache...
  Leinchen: Kommt auf den Satz drauf an. des Menschens Rechte
  LonoMisa: Die Deklinationen sind halt ab und zu unregelmäßig, das gibt es in anderen Sprachen aber auch. ;-)
  LonoMisa: Deutsche Rechtschreibung, Wahrig 2008: Alle Substantive werden im Singular nur mit der Endung "s" dekliniert, Ausnahme bildet nur das Femininum. (die..)

Die Internet-Diskussionen illustrieren, dass Normunsicherheiten bei der Genitivbildung schwacher Maskulina über die klassischen Zweifelsfälle wie des Automaten vs. Automats oder des Kometen vs. Komets hinausgehen. Sie demonstrieren zudem, wie die Versuche unsicherer Sprecher, zugrunde liegende Regeln zu entdecken, in die Irre führen. Diese Schwierigkeiten spiegeln den in der Sprachwissenschaft seit langem thematisierten Sprachwandel in der Deklination der schwachen Maskulina, dessen Tempo und Ausmaß allerdings unterschiedlich eingeschätzt werden. Welche Rolle in diesem Prozess der Genitiv Singular spielt, soll im folgenden beleuchtet werden.

Nach der Darstellung des theoretischen Rahmens und einem Forschungsüberblick präsentiere ich zunächst die Ergebnisse zweier Korpus-Recherchen zum Vorkommen und den Häufigkeiten unterschiedlicher Genitiv-Varianten. Anschließend untersuche ich diese Varianten hinsichtlich ihrer phonologischen, grammatikalischen und kontextuellen Merkmale und biete mögliche Erklärungen für ihre Entstehung. In einem weiteren Schritt werden die Ergebnisse in den sprachhistorischen Zusammenhang eingeordnet und schließlich hinsichtlich ihrer Bedeutung für bestehende Theorien zum Wandel der schwachen maskulinen Deklination diskutiert.


2 Theoretischer Rahmen und Forschungsüberblick

Die Definition der schwachen Maskulina beruht auf der Einteilung der Deklinationsklassen entsprechend den Formen des Gen. Sg. und des Nom. Pl.. Substantive, die ein -(e)n-Suffix sowohl im Gen. Sg. (als Kasusmarkierung) als auch im Nom. Pl. (als Numerusmarkierung) aufweisen, zählen zur schwachen Flexion. Substantive, die als Gen.-Sing.-Suffix ein -(e)s und im Plural entweder kein Numerussuffix oder ein Numerussuffix, das nicht -(e)n ist, aufweisen, gehören zur starken Deklination. Im Fall der im Singular suffixlosen Feminina orientiert sich die Einteilung am Pluralsuffix.1 Legt man die genannten Kriterien zugrunde und kombiniert die Singular- und Plural-Paradigmen, erhält man sechs Haupt-Deklinationstypen, davon vier für die Maskulina und Neutra und zwei für die Feminina.

Maskulina und Neutra
I Stark: Gen. Sing.: -(e)s Nom. Pl.: -e, -er, -s; Mask. (Tag) Neutr. (Kind)
II Stark: Gen. Sing.: -(e)s Nom. Pl.: Ø; Mask. (Balken) Neutr. (Muster)
III Schwach: Gen. Sing.: -(e)n Nom. Pl.: -(e)n; Mask. (Mensch)
IV Gemischt: Gen. Sing.: -(e)s Nom. Pl.: -(e)n; Mask. (Staat) Neutr. (Ende)

Feminina
V Schwach: Gen. Sing.: Ø Nom. Pl.: -(e)n; (Frau)
VI Stark: Gen. Sing.: Ø Nom. Pl.: -e, -s; (Nuss, Kamera)

Einen Sonderfall der gemischten Deklination stellt die kleine Gruppe der Substantive dar, deren Stammauslaut zwischen Schwa und -n schwankt (Friede/n, Funke/n). Sie weisen ein st. Gen.–Sing.–Suffix auf (des Funkens). Die Varianten mit Schwa-Stammauslaut haben außerdem, sofern eine Pluralbildung möglich ist, ein schw. Pluralsuffix (die Funken) und sie flektieren auch innerhalb des Singulars gemischt, da Dat. und Akk. gegenüber dem Nom. ebenfalls durch das schw. Suffix –n markiert werden (der Funke, dem/den Funken).

Eine vollständig nach Allomorphen untergliederte und Kleinstklassen berücksichtigende Auflistung aller Deklinationsmuster, wie z. B. in Wahrig (2006:18–20), ergibt selbstverständlich eine bedeutend höhere Zahl als die der hier aufgelisteten Paradigmen.

Das Paradigma der schw. deklinierten Maskulina ist dadurch gekennzeichnet, dass alle Wortformen außer dem Nom. Sing. das Flexionssuffix -(e)n tragen. Im Plural ist keine Kasusunterscheidung am Substantiv gegeben, im Singular – auf den ich mich im folgenden beschränken werde – verläuft die morphologische Unterscheidung zwischen dem Nominativ einerseits und den obliquen Kasus andererseits: N != G = D = A. Im Unterschied dazu stehen die Singularparadigmen der st. Maskulina und Neutra, die den Genitiv von den anderen Kasus abheben (N = D = A != G) – das nur noch als Relikt existierende Dativ-e bleibt hier unberücksichtigt – sowie die kasusindifferenten Feminina (N = G = D = A).

Veränderungen in der Flexion der schw. Maskulina sind seit geraumer Zeit nicht nur Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung, sondern auch praxisorientierter Sprachratgeber und der publizistischen Sprachkritik. Dabei steht vor allem der – angeblich schon weit verbreitete – Ausfall von Kasusendungen beim Akk. und Dat. Sing. (den/dem Prinz) im Fokus der Frage, was (noch) als fehlerhaft oder (schon) als standardsprachlich zu gelten hat. Gemeint sind hier morphologisch dauerhafte Änderungen, nicht syntaktisch bedingte, nur fallweise auftretende Suffixausfälle (z.B. Orchester mit Dirigent statt Orchester mit Dirigenten).2

Registriert wird außerdem eine beginnende Ersetzung des schw. durch das st. Genitivsuffix (des Bärendes Bärs) sowie des schw. durch das st. Pluralsuffix (die Kometendie Komete). Sowohl deskriptiv als auch normativ bzw. empfehlend orientierte Grammatiken sehen dahinter als langfristigen Trend den Wechsel schw. deklinierender Maskulina in die st. Deklination. Thieroff (in Wahrig 2009: 316) nimmt einen dreistufigen Übergang an: Stufe 1 in diesem Szenario ist gekennzeichnet durch den voranschreitenden Suffixausfall im Dat. und Akk. (dem/den Mensch), auf Stufe 2 findet zusätzlich ein Wechsel vom schw. zum st. Gen.-Suffix statt (des Grafs) und auf Stufe 3 kommt noch der Austausch des schw. gegen das st. Pluralsuffix (die Komete) hinzu. Ähnliche Diagnosen finden sich u. a. von Peter Gallmann in der Duden-Grammatik (Duden 2005: 218) sowie im von Peter Eisenberg bearbeiteten Duden-"Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle" (Duden 2007: 990–993).

Zwar empfehlen die genannten Sprachratgeber die Verwendung der schw. deklinierten Formen insbesondere in der Schriftsprache. Zugleich konstatieren sie aber, dass sich bei einer Reihe von schw. Substantiven die apokopierten bzw. starken Deklinationsformen bereits im Sprachgebrauch etabliert hätten. Allerdings findet insofern eine wesentliche Einschränkung statt, als der Flexionsklassenwechsel nur für Substantive konstatiert oder prognostiziert wird, die nicht auf Schwa, sondern konsonantisch auslauten. Entsprechend wird vielfach als einziges Wechsel-Paradigma das starke Muster I mit einer Apokope der Dat. und Akk-Endungen und einer Affigierung des Genitiv-s an den Stamm (des Grafs, dem/den Graf) sowie vereinzelt auch eine komplette Suffix-Apokope nach den fem. Mustern V und VI: des/ dem/den Graf) thematisiert.3 Inwieweit es sich hierbei um eine Blickverengung handelt, die auf der mangelnden Berücksichtigung kasusaugmentierender Genitive beruht, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

2.1 Die Genitiv-Varianten

Für den Genitiv-Sg. der schw. Mask. kommen theoretisch drei formale Möglichkeiten des Wandels in Betracht: (1) ersatzloser Wegfall des -(e)n-Suffixes mit dem Resultat eines nur durch das Artikelwort gekennzeichneten Genitivs (des Bär), (2) Ersatz des -(e)n-Suffixes durch ein -(e)s-Suffix, woraus sich ein stammaffigiertes starkes Genitivsuffix ergibt (des Bär-s), (3) die Affigierung des Genitiv-s an die schwache Kasusendung, wodurch sich ein ebenfalls starkes, aber kasusaugmentierendes Genitivsuffix ergibt (des Bär-en-s). Da vor allem diese Variante in den einschlägigen Arbeiten bislang kaum berücksichtigt oder ihre Möglichkeit sogar ausgeschlossen wurde,4 soll ihr ein besonderes Augenmerk gelten. Analytische Periphrasen als Genitiv-Ersatz (von dem Bär (en); dem Bär(en) sein) bleiben unberücksichtigt.

Die nicht-standardsprachlichen Varianten (1–3) ergeben, abhängig von der Morphologie der anderen Kasus und ihren Kombinationen, unterschiedliche mögliche Singularparadigmen, von denen hier nur eine Auswahl aufgeführt wird:

Variante (1) würde gekoppelt mit Dat.- und Akk.-Apokopierungen ein endungsloses Paradigma nach dem Muster der Feminina erzeugen (der/des/dem/den Bär). Andere Kombinationen mit der Variante (1) ergeben gemischte Paradigmen.

Variante (2) ergibt

a) bei Erhalt der schw. Suffixe im Dat. und Akk. eine gemischte Deklination (der Bär, des Bärs, dem/den Bären).
b) bei apokopierten Dat.- und Akk.-Suffixen eine st. Flexion (der Bär, des Bärs, dem/den Bär), die bei Schwa-Stammauslaut dem Muster von Käse entspricht (der Bote, des Botes, dem/den Bote)

Variante (3) ergibt

a) bei Substantiven mit konsonantischem Stammauslaut und Erhalt der sonstigen schw. Suffixe ebenfalls eine gemischte Deklination, aber im Gegensatz zu (2a) mit einem zweifach markierten Genitiv (der Bär, des Bär-en-s, dem/den Bären).
b) bei Substantiven auf Schwa ebenfalls eine gemischte Sing.-Deklination nach dem standardsprachlichen Muster von Friede oder Wille (der Bote, des Botens, dem/den Boten).
c) Bei den Substantiven mit Schwa im Stammauslaut ist als weitere Variante die Affigierung des -n im Nom. denkbar, die eine st. Deklination nach dem Muster II (der Balken/des Balkens) hervorbringen würde (der Boten, des Botens, dem/den Boten).
d) Möglich sind außerdem noch Kombinationen des kasusaugmentierenden Genitivs mit apokopierten Dat.- und /oder Akk.-Formen (dem/den Bär, des Bärens).

Die Forschung zum Flexionsklassenwechsel fokussiert wie bereits erwähnt auf die Variante 2 (b) bei konsonantisch auslautenden Stämmen. Peschel (2009: 48) und Poitou (2004: 77) berücksichtigen auch die Variante (1), nicht aber die Variante (3).5

Immerhin in Betracht gezogen wird die Variante (3a) von Thieroff (2003: 48). Er diskutiert die Möglichkeit kasusaugmentierender Genitive – allerdings beschränkt auf Beispiele mit konsonantischem Stammauslaut –, räumt ihnen aber, ohne ihr tatsächliches Vorkommen näher zu untersuchen, im Vergleich zu den stammaffigierenden Genitiven nur geringe Zukunftschancen ein. Sprachwandel-Potential hätte der kasusaugmentierende Genitiv laut Thieroff nur dann, wenn auch die schwachen Endungen im Dativ und Akkusativ erhalten blieben (Variante 3a), weil anderenfalls der Genitiv gegenüber diesen Kasus nicht mehr minimal-distinktiv, also durch eine -s-Endung, sondern durch eine quasi überladene und nicht systemgerechte -ens-Endung kodiert würde. Hinter dieser Einschätzung steht die Vorstellung eines von ökonomischen und systematischen Kriterien geleiteten Sprachgebrauchs, der sich an kompletten Paradigmen orientiert. Das reale Vorkommen des kasusaugmentierenden Genitivs und der anderen Varianten, das im folgenden beschrieben werden soll, wirft aber die Frage auf, inwieweit das Sprecherverhalten solchen systemlinguistischen Rationalitäts- und Effizienzannahmen entspricht (vgl. Abschn. 3.6).


3 Die Untersuchungsergebnisse

3.1 Die empirische Basis

Die Zahl der schw. Maskulina wird – ohne adjektivisch deklinierende Substantive – mit etwa 1500 angegeben; ihr Anteil am substantivischen Wortschatz liegt zwischen 3% und 4% (vgl. Bittner 1991: 98f., Köpcke 1995: 60 u. 2000b: 157, Duden 2005: 226). Die Untersuchung, deren Ergebnisse im folgenden präsentiert werden, konzentriert sich auf eine Auswahl von 48 Substantiven, die aufgrund ihrer Vorkommenshäufigkeit quantitativ relevant sind und zudem exemplarisch für verschiedene Kombinationen semantischer und phonologischer Merkmale stehen können, durch die die Untergruppen der schwachen Maskulina charakterisiert sind. Darüber hinaus gilt ein Drittel dieser Korpus-Substantive den Sprachratgebern Duden (2007) und Wahrig (2009) zufolge als vom Flexionswechsel betroffen und bietet somit die Möglichkeit, diese Diagnose bezüglich der Genitivbildung zu überprüfen. Bei der Unterteilung und Anordnung der Korpus-Substantive orientiere ich mich – mit einigen Abweichungen – an Köpcke (1995: 168–176), der die schw. Maskulina anhand semantischer, phonologischer und prosodischer Merkmale subklassifiziert und auf zwei Prototypikalitätsskalen anordnet: An der Spitze der Skala des Prototyps I stehen Bezeichnungen für Menschen oder andere höhere Lebewesen, die mehr als zwei Silben sowie Pänultimabetonung haben und deren Stämme auf Schwa ausgehen (Kollege). Diese Substantive sind Köpcke zufolge maximal prototypische schw. Maskulina, die gegen einen Flexionsklassenwechsel resistent sind. Im mittleren Bereich der Skala stehen zweisilbige Bezeichnungen mit Schwa im Stammauslaut und den Merkmalen [+ belebt]/[- menschlich] (Hase), am unteren Ende rangieren einsilbige, konsonantisch auslautende Bezeichnungen für nicht-menschliche Lebewesen (Bär), während einsilbige, ehemals schwache Substantive ohne das Belebtheitsmerkmal in die Klasse der stark flektierenden Maskulina übergewechselt sind. Daneben setzt Köpcke noch einen Prototyp II als sprachhistorisch jüngere Abspaltung aus dem Prototyp I an: Die hierzu gehörigen schw. Mask. haben kein Schwa im Stammauslaut, sie sind mehrsilbig und tragen Ultimabetonung. An der Spitze der Prototyp-II-Skala stehen Substantive mit dem Merkmal [+ menschlich] (Polizist), es folgt die Merkmalkombination [+ belebt]/[- menschlich] (Elefant) sowie schließlich das Merkmal [- belebt] (Planet). Ob und ggf. wie die Rangfolgen der Prototypen I und II miteinander zu verschränken sind, wird in Köpckes Darstellung nicht ganz klar. Deutlich ist jedenfalls, dass Substantive mit konsonantisch auslautendem Stamm und dem semantischen Merkmal [- belebt] als wahrscheinlichste Kandidaten für den Wechsel zur st. Flexion gelten (Köpcke 2005: 75).

Köpckes Ansatz bietet – unabhängig davon, wie man die explanative und prognostische Kraft der Prototypikalität einschätzt – eine differenzierte Aufgliederung des semantischen und phono-morphologischen Spektrums der schw. Maskulina und wird deshalb von mir als Raster für die Unterteilung der Korpus-Substantive herangezogen, allerdings mit einigen, den Zwecken der Fragestellung geschuldeten Abwandlungen.6

Prototyp I
1) + Schwa, mehr als zwei Silben, Pänultimabetonung (mit vorausgehender unbetonter Silbe), + menschl.
  Kollege, Geselle, Matrose, Psychologe
2) + Schwa, zweisilbig, Pänultimabetonung, + menschl.
  Gatte, Kunde, Neffe, Junge, Schütze, Schurke, Zeuge
3) + Schwa, zweisilbig, Pänultimabetonung, – menschl., + belebt
  Hase, Affe
4) – Schwa, zweisilbig, Pänultimabetonung, + menschl.
  Bauer, Nachbar, Vorfahr
5) – Schwa, einsilbig, + menschl.
  Bub, Graf, Herr, Narr, Held, Mensch, Fürst, Prinz
6) – Schwa, einsilbig, - menschl., + belebt
  Bär

Prototyp II
1) – Schwa, mehr als zwei Silben, Ultimabetonung, + menschl.
  Polizist, Architekt, Therapeut, Vagabund, Dirigent, Fotograf, Kandidat, Komponist, Patient, Präsident
2) – Schwa, zweisilbig, Ultimabetonung, + menschl.
  Pilot, Pirat, Soldat, Student, Barbar
3) – Schwa, mehr als zwei Silben, Ultimabetonung, + belebt, – menschl.
  Elefant, Leopard
4) – Schwa, zweisilbig, Ultimabetonung, – belebt
  Komet, Magnet, Planet
5) – Schwa, mehr als zwei Silben, Ultimabetonung, – belebt
  Automat, Diamant, Paragraph

Die empirische Basis liefert zum einen eine Internet-Recherche mit Hilfe von Google, zum anderen eine Recherche, die auf das Archiv der geschriebenen Sprache der Instituts für Deutsche Sprache zurückgreift und mit Hilfe des Korpus-Recherchesystems Cosmas II realisiert wurde. Die Ergebnisse der Recherchen (Stand März 2011) finden sich in Form von Ranglisten, unterteilt nach Korpora und Genitiv-Varianten, im Anhang. Die Google-Recherche fördert, dem Charakter des Internets entsprechend, eine breite Variation von Belegen zutage, die von konzeptionell mündlichen Sequenzen bis zu Texten reicht, die ich als "professionell schriftsprachlich" bezeichne. Hierbei handelt es sich um eine Untergruppe konzeptionell schriftlicher Texte, die von professionellen Schreibern oder Textbearbeitern – Journalisten, Redakteure, Buchautoren, PR- und Werbetexter, Lektoren, Korrektoren, Korrespondenten usw. – verfasst bzw. redigiert sind. Der Sprachgebrauch dieser Berufsgruppen ist für die Untersuchung normativer Geltungen insofern relevant, als die Orientierung an den Normen der Standard-Schriftsprache zu ihrem beruflichen Selbstverständnis zählt.

Um die unter normativen Aspekten heterogene Sammlung der Google-Belege mit einem homogenen normorientierten Korpus kontrastieren zu können, wurde das Cosmas II-Archiv der geschriebenen Sprache hinzugezogen. Dabei handelt es sich um eine Korpussammlung, die primär aus Pressetexten und Büchern besteht, also professionell schriftsprachlichen Texten, wobei seit 1990 erschienene Zeitungen stark dominieren. Wenn sprachliche Innovationen in diesem standard-affinen Bereich in größerer Zahl auftreten, kann das als Symptom dafür gelten, dass sie "im System angekommen" sind.7

Die Korpus-Recherchen dienen nicht nur der Gewinnung von Belegen, sondern auch dazu, die Häufigkeiten der unterschiedlichen Genitivformen sowie ihre prozentualen Anteile am Gesamtaufkommen der Genitiv-Formen der jeweiligen Lexeme zu ermitteln. Dieser quantitative Aspekt wirft allerdings einige Probleme auf, die nicht unerwähnt bleiben sollen. An erster Stelle steht die Notwendigkeit, Homonyme auszuschließen. Zu diesem Zweck wurden die Genitiv-Formen zusammen mit entsprechenden Artikelwörtern eingegeben. Auch bei einigen dieser Wortgruppen ergaben sich jedoch Homonymien, die sich bei der Cosmas II – Recherche herausfiltern ließen, bei der Google-Recherche wegen der viel höheren Trefferzahlen und der mangelnden Überschaubarkeit der Beleglage jedoch schwierig zu identifizieren waren. Hier waren nur Stichproben möglich, um die Vorkommenshäufigkeit von Homonymien abzuschätzen. Im Anhang ist angegeben, wo solche Homonymien quantitative Angaben erschwert oder unmöglich gemacht haben. Unter diesen Vorbehalten sind die hier präsentierten Zahlenangaben zu sehen. Sie liefern keine exakten Werte, machen aber die Größenordnungen deutlich, in denen sich der Sprachwandel abspielt.

3.2 Der pragmatische Kontext der normabweichenden Genitive

Die normabweichenden Genitiv-Formen finden sich in Belegen aus allen Bereichen des kommunikativen Spektrums. Dazu gehören erwartungsgemäß Beispiele mit einer mehr oder weniger starken Tendenz zur konzeptionellen Mündlichkeit, wie sie für dialogische Kommunikationsformen des Internets charakteristisch sind:

(1) Ich ärgere mich nämlich auch immer wieder über die Rechtschreibfehler meines Jungens, und denke mir das muß doch besser gehen.
(2) Deine Hände sind zärtlich wie die einer Katze aber auch stark wie die eines Bärens!!!
(3) Sonst befehl denen in die nähe des helds zu laufen und dann angreifen lassen.
(4) Ich selbst habe Fälle erlebt, bei denen die Aussage eines Polizistes stärker gewichtet wurde als die Aussage von fünf Zeugen.
(5) Und beim Einkaufschip des Herrs Möllemann ging es meines Wissens um Arbeitsplätze für Behinderte, die diese Chips herstellen sollten.
(6) Ich rebelliere nicht, das war der letzte Vorschlag meines Therapeut, das ich mal so fünf stunden in der Woche versuche zu arbeiten.
(7) Die Bank fordert von uns eine Kubatur und eine Wohnflächenberechnung nach DIN mit Unterschrift eines Architekt.

Nicht-Standardformen finden sich aber ebenso in konzeptionell schriftsprachlichen Texten öffentlicher, fachlicher und amtlicher Kommunikation. Nicht selten handelt es sich sogar um Lexeme, die für den jeweiligen Sachbereich zentral und hochfrequent sind, wie die Beispiele eines polizeilichen Internet-Formulars (12) und einer Anweisung für Pflegekräfte (13) zeigen:

(8) Ich schreibe eine Diplomarbeit zur Leistungsfähigkeit des Menschens bei der Lösung kombinatorischer Optimierungsprobleme.
(9) Eine vorzeitige Exmatrikukation kann auf Wunsch des Studentens oder von Amts wegen erfolgen.
(10) Weiter überprüft der DGH die Kompetenz des Mitgliedkandidats selber nicht, sondern verläßt sich auf die Aussagen des Kandidats selber.
(11) Ein hohes Maß an Konzentration erfordern zum Beispiel Zahlensuchspiele, das detailgetreue Zeichnen eines Bärens und das Finden von Anfangsbuchstaben von je vier Wörtern.
(12) Wenn Ihnen Zeugen, für den von Ihnen geschilderten Vorfall bekannt sind, so können Sie diese hier angeben. Bitte geben Sie dafür folgende Daten des Zeugens an .. Hinzufügen eines Zeugens:... Mit Hilfe der Schaltfläche Löschen, des angegebenen Zeugens, können Sie diese Daten auch wieder löschen. ... Löschen eines Zeugens:
(13) Durch vorsichtiges Hin- und Herrollen bewegt die Pflegekraft erst die Hüfte und dann den Oberkörper des Patient in Richtung Bettkante.(…) Der Kopf des Patient kann auf dem darunter liegenden Arm abgelegt werden. (…) Die Beine des Patient werden durchgestreckt.
(14) Der Grund hierfür liegt in den vielfach extremen Eigenschaften des Diamants wie z.B. der extremen Härte, der hohen Wärmeleitfähigkeit, und der chemischen Beständigkeit.(…) Die elektronischen Eigenschaften des Diamants erweisen sich jedoch als sehr empfindlich gegen Defekte in der kristallinen Struktur.

Deutlich seltener kommen die nicht-standardsprachlichen Genitiv-Formen hingegen in professionell schriftsprachlichen Texten vor. Das zeigt der quantitative Vergleich zwischen den Cosmas II-Belegen und den Google-Belegen, der im folgenden getrennt nach den Genitiv-Varianten überblicksartig präsentiert wird. Die Gesamtheit der Ergebnisse ist tabellarisch, nach Korpora und Varianten gegliedert, im Anhang aufgeführt.

3.3 Die Häufigkeiten der Genitiv-Varianten (Stand März 2011)

Die kasusaugmentierenden Formen:

Die Google-Recherche ergab für 46 der 48 Korpus-Substantive kasusaugmentierende Formen. Die kasusaugmentierenden Formen der zehn Substantive mit den meisten Treffern erreichen im Durchschnitt einen Anteil von ca. 5% an der Gesamtheit der Genitiv-Formen dieser Lexeme. An der Spitze der Rangliste stehen sechs Substantive, deren kasusaugmentierende Formen einen Anteil von fünf bis acht Prozent an der Gesamtheit aller Genitiv-Formen des jeweiligen Lexems haben: 1) Bauerns: 12.000/8,0%; 2) Affens: 16.700/6,8%; 3) Nachbarns: 23.000/6,0%; 4) Heldens: 11.400/5,7%; 5) Neffens: 7122/5.0%; 6) Narrens: 1430/5.0%. Weitere 18 Substantive haben Anteile zwischen 0,5 % und 3,5 %, 19 liegen unter 0,5%; für drei Substantive lassen sich aufgrund von Homonymien keine Belegzahlen und/oder Anteile ermitteln, für zwei Substantive fanden sich keine kasusaugmentierenden Formen.

Die Cosmas II-Recherche wies hingegen für nur 24 Substantive kasusaugmentierende Formen nach. Nur 9 dieser Lexeme erreichen mit ihren kasusaugmentierenden Genitiven Anteile von 0,5% oder mehr (verglichen mit 24 bei Google). Nur eines dieser Lexeme erreicht über fünf Prozent. Die Anteile der fünf nächsten Lexeme in der Rangliste bewegen sich zwischen 0,8 und 3,1%.

Die sechs Substantive an der Spitze der Rangliste sind: 1) Vorfahrens: 25/6,8%; 2) Hasens: 24/3,1%; 3) Neffens: 26/2,3%; 4) Menschens: 70/1,6%; 5) Zeugens: 29/1,0%; 6) Narrens: 3/0,8%.

Die stammaffigierenden Formen:

Die Google-Recherche ergab für 35 der 48 Lexeme die Existenz stammaffigierender Formen. Die gegenüber den Lexemen mit kasusaugmentierenden Formen deutlich geringere Zahl resultiert daraus, dass keines der 13 Lexeme mit Schwa-Stammauslaut vertreten ist. Die stammaffigierenden Formen der zehn ersten Lexeme auf der Rangliste erreichen im Durchschnitt einen Anteil von ca. 5% an der Gesamtheit der Genitiv-Formen der jeweiligen Lexeme und weisen damit den gleichen Wert wie die kasusaugmentierenden Formen auf. Die sechs Spitzenreiter haben Anteile zwischen 3,2% und 14,2% an der jeweiligen Gesamtheit der Genitiv-Formen des betreffenden Lexems: 1) Magnets: 20.000/14,2%; 2) Nachbars: 45.000/12,0%; 3) Bauers: 10.000/6,5%; 4) Automats: 3.000/4,3%; 5) Narrs: 930/3,2%; 6) Bärs: 6000/3,2%. Nur drei von ihnen erreichen 5% oder mehr, verglichen mit sechs Lexemen bei den kasusaugmentierenden Genitiven. Die stammaffigierenden Genitivformen der Lexeme auf den Plätzen 2 und 3 sind Sonderfälle, insofern es sich um standardsprachliche Varianten handelt. Beide Substantive weisen bereits seit dem Althochdeutschen parallele starke und schwache Paradigmen auf. Auch die stammaffigierende Form des mit 14,2% erstplatzierten Lexems Magnet akzeptiert der Duden (2007: 610) als standardsprachlich. Insgesamt 14 Lexeme haben Anteile von 0,5 % und darüber, 14 Lexeme liegen unter 0,5%. Für weitere sieben Lexeme sind zwar stammaffigierende Formen nachweisbar, deren genaue Zahlen oder Anteile waren aber wegen homonymer Formen nicht zu ermitteln. Eine stichprobenartige Durchsicht lässt indes ähnlich niedrige Frequenzen vermuten.

Die Cosmas II-Recherche ergibt für 17 der 48 Korpus-Substantive stammaffigierende Formen. Nur zwei dieser Lexeme weisen Anteile von über fünf Prozent aus. Beide Lexeme 1) Nachbars: 1.671/26,0%; und 2) Magnets: 8/8% stehen auch bei Google an der Spitze. Bei Magnets relativiert allerdings die niedrige Belegzahl die Aussagekraft des prozentualen Werts. Die nächstplatzierte Form (Bärs) erreicht nur 2,0% . Insgesamt kommen sechs Lexeme auf Anteile von 0,5% oder darüber, verglichen mit 14 bei Google. Der sehr hohe Wert für Nachbars liegt noch deutlich über dem von Google, was dem standardsprachlichen Status der Form entspricht und durch produktive Muster von Phraseologismen wie Nachbars Garten begünstigt wird (vgl. Abschn. 3.6.3).

Die suffixlosen Formen

Die Google-Recherche ergibt für 39 der 48 Lexeme endungslose Genitiv-Formen. Abgesehen von zwei Substantiven (des Narr: 18/< 0,5%; des Dirigent: 500/< 0,5%) ist deren Zahl aber wegen vieler homonymer Eigennamen, Typbezeichungen und Zusammensetzungen nicht genau zu bestimmen. Nichtsdestoweniger widerlegen die vorhandenen Befunde die Aussage, es komme bei den schw. Maskulina niemals zu suffixlosen Genitivformen (so z. B. Thieroff 2003: 117; anders Peschel 2009: 48 und Poitou 2004: 77). Allerdings legen Stichproben nahe, dass endungslose Formen, obwohl sie auch in konzeptionell schriftlichen Texten vorkommen, quantitativ eine Randerscheinung darstellen. Dies gilt insbesondere für die professionelle Schriftsprache: Im Cosmas-II-Korpus kommen endungslose Genitive in nennenswerter Zahl nur bei Graf und Paragraph vor, wenn diese als Namensbestandteile fungieren.

Auch in den Google-Belegen werden die suffixlosen Genitive von Graf, Herr, Prinz, Fürst und Paragraph überwiegend als Titel bzw. Anreden oder Spezifizierungen zusammen mit Eigennamen verwendet (der Titel eines Graf von Flandern; das monatliche Einkommen des Herr Welteke; Vorgaben des Paragraph 301 SGB V). Damit überträgt sich die generelle Tendenz der Genitivreduktion bei Eigennamen auf diese Substantive.

Wegen der mangelnden Quantifizierbarkeit werden die suffixlosen Formen bei den folgenden Analysen außer acht gelassen.

3.4 Zweifelsfälle: Wie stark werden die schwachen Maskulina?

Insgesamt 24 der 48 Korpus-Substantive gelten laut übereinstimmenden Angaben der Sprachratgeber Duden (2007) – bearbeitet von Peter Eisenberg – und Wahrig (2009), dessen Grammatik-Kapitel Rolf Thieroff verfasst hat, als Zweifels- bzw. Schwankungsfälle, die sich auf dem Weg in die st. Flexion befinden. Bei 16 dieser 24 Substantive konstatieren die genannten Ratgeber nicht nur die Apokope der Dat.- und Akk.-Endungen, sondern darüber hinaus einen zumindest in der Umgangssprache bereits verbreiteten Austausch des schwachen Genitivsuffixes gegen ein stammaffigierendes -s.8

Die Google-Ergebnisse für die stammaffigierenden Genitivsuffixe bei diesen 16 Substantiven zeigen, dass diese Marker bei allen Substantiven gegenüber den standardsprachlichen Formen deutlich in der Minderheit sind:

Magnets 14,2%, Nachbars 12,0%, Bauers 6,5%, Automats 4,3%, Narrs 3.2%, Bärs 3,2%, Grafs 3,0%, Elefants 2,2%, Barbars 2,0%, Bubs 1,8%, Vorfahrs 1,3%, Planets 1,3%, Komets 0,7%, Vagabunds < 0,5%, Soldats < 0,5%, Leopards (nicht quantifiziert). Insgesamt sieben Substantive liegen bei drei Prozent oder darüber, nur zwei davon (Magnet und Nachbar) erzielen zweistellige Ergebnisse. Von einem verbreiteten Vorkommen der Formen kann angesichts dieser Zahlen nicht die Rede sein.

Der kasusaugmentierende Genitiv als weitere Spielart der normabweichenden Genitivbildung wird von den Sprachratgebern komplett ignoriert. Die Google-Ergebnisse für die kasusaugmentierenden Suffixe zeigen, dass ihre Frequenz der der stammaffigierenden Varianten nicht nachsteht:

Bauerns 8,0%, Nachbarns 6,0%, Narrens 5,0%, Planetens 3,2%, Automatens 3,1%, Elefantens 2,8%, Vorfahrens 2,5%, Bärens 2,4%, Bubens 1,5%, Grafens 1,5%, Barbarens < 0,5%, Soldatens < 0,5%, Kometens 0,5%, Magnetens < 0,5%; Leopardens 0, Vagabundens 0.

Fünf der 16 Substantive erreichen drei Prozent oder mehr (Bauer, Nachbar, Narr, Planet, Automat). Im Vergleich weisen fünf Substantive mehr kasusaugmentierende als stammaffigierende Formen auf (Bauer, Narr, Planet, Elefant, Vorfahr). Bei den anderen Substantiven zeigt sich eine klare Dominanz der stammaffigierenden Formen nur bei Nachbar und Magnet, die zugleich die beiden statistischen Spitzenwerte für die nicht-standardsprachlichen Genitivformen insgesamt darstellen.

Im Cosmas-Korpus sind die "Zweifelsfälle" erwartungsgemäß weniger stark vertreten: Nur 12 der 16 Substantive sind überhaupt mit nicht-schwachen Genitiv-Varianten vertreten und von ihnen haben nur vier Anteile von zwei Prozent und darüber: Nachbars (26,0%), Magnets (8,0%) und Bärs (2,0%) als stammaffigierende Formen sowie Vorfahrens (6,8%) als kasusaugmentierende Form. Augenfällig ist, wie bereits erwähnt, der hohe Anteil von Nachbars, der den entsprechenden Wert bei Google deutlich übersteigt. Nachbars ist in der professionellen Schriftsprache demnach stärker akzeptiert als außerhalb. Da diese stammaffigierende Form eine standardsprachliche Variante darstellt, ist dieses Ergebnis konform mit der höheren Normorientierung der Cosmas-Belege.

Insgesamt zeigt sich, dass die stammaffigierenden wie auch die kasusaugmentierenden Formen außerhalb der professionellen Schriftsprache eine nicht zu vernachlässigende Größe darstellen, die die Existenz von Normschwankungen in der Sprachgemeinschaft bezeugt. Andererseits ist die Frequenz aber nicht hoch genug ist, um sie als etablierte Konkurrenzvarianten zu den schw. Formen einstufen zu können. Von einem Wechsel in die Standardsprache sind sie – mit der Ausnahme des Sonderfalls Nachbar – noch weit entfernt.

Dass die Sprachratgeber Duden (2007) und Wahrig (2009) entgegen der Faktenlage eine vorauseilende Sprachwandeldiagnose stellen, geht mit Vorstellungen der Natürlichkeitstheorie konform: Natürlichkeitstheoretischen Annahmen zufolge handelt es sich bei den schw. Maskulina um eine wegen ihrer niedrigen Typenfrequenz markierte Klasse, die schrittweise der regularisierenden Angleichung an die quantitativ dominante Klasse I der st. Maskulina zum Opfer fällt, was einen Beitrag zur Optimierung des Flexionssystems insgesamt darstellen soll. Bemerkenswert ist, wie durch das Konzept der "Systemangemessenheit" auch bei einer sich deskriptiv verstehenden Linguistik ein normativer Aspekt ins Spiel kommt. Die Norm ist hier allerdings kein existierender, als vorbildlich angesehener Sprachgebrauch, sondern ein zukünftiges, "rationaleres" Sprachsystem (vgl. Thieroff 2003: 113, Heringer 1989: 81, Duden 2005: 218–223, Duden 2007: 990f., Thieroff in Wahrig 2009: 316, Bittner 1991: 136–139, Wurzel 1984 u. ders. 1993: 33).

3.5 Der Einfluss phonologischer, prosodischer und semantischer Faktoren

Einen deutlichen Einfluss auf die Bildung nicht-standardsprachlicher Genitivformen hat das stammauslautende Schwa. Substantive mit diesen Stämmen bilden – außer beim Gebrauch von Deutsch als Fremdsprache – keine stammaffigierenden Genitive wie z.B. *des Affes.9

Die Gründe dafür, dass das Schwa die Stammaffigierung blockiert, liegen in der niedrigen Frequenz korrespondierender standardsprachlicher Formen: Die Zahl stark flektierender maskuliner Substantive auf Schwa ist sehr klein; zudem weisen sie, mit der Ausnahme von Käse, nur eine niedrige Tokenfrequenz auf und sind somit dem Sprecher als Vorbilder für Analogisierungen in der jeweiligen Kommunikationssituation nicht präsent.10 Andere auf Schwa auslautende Substantive mit Genitiv-s spielen als Analogiespender ebenfalls keine relevante Rolle: Diese Substantive weisen – von einigen Ausnahmen wie Ende oder Auge abgesehen – ein Ge- als Derivationspräfix auf und bilden so aufgrund ihrer phonologischen Gestalt eine abgegrenzte Klasse.

Stattdessen bilden Substantive mit Schwa-Stammauslaut kasusaugmentierende Genitive und damit eine andere st. Genitiv-Variante. Entsprechende Formen befinden sich in der Rangliste weit vorn. In dieser Hinsicht muss die Einschätzung, das stammfinale Schwa sichere die schw. Flexion, relativiert werden.

Bezogen auf die anderen Stammauslaute lassen sich keine Auffälligkeiten und speziellen Korrelationen mit den Genitiv-Varianten feststellen. Auch der Umstand, dass die Genitivaugmentierung bei plosiven und sibilantischen Stammauslauten vom Stamm aus gesehen aufwendiger ist als bei den anderen Auslauten (Automat-ens, Mensch-ens, Prinz-ens gegenüber Hase-ns, Bauer-ns) hat keinen erkennbaren Einfluss. Die Befunde können ein Indiz dafür sein, dass der kognitive Ausgangspunkt der Sprecher für die Bildung der kasusaugmentierenden Genitive nicht die nominativischen Grundformen, sondern die obliquen Formen sind, von denen aus gesehen unabhängig vom Stammauslaut nur ein -s zu affigieren ist (dem Menschendes Menschens).

Wenig signifikant für die Genitivbildung ist die Prosodie: Zwar erzielt die Mehrheit der ultimabetonten Substantive sowohl bei den stammaffigierenden als auch bei den kasusaugmentierenden Formen nur sehr niedrige Anteile verglichen mit den einsilbigen und den pänultimabetonten Substantiven, aber es gibt einige wenige ultimatebonte Substantive mit relativ hohen Werten – vor allem bei den stammaffigierenden Genitiven –, so dass dieses Merkmal nicht als stark hemmender Faktor gewertet werden kann.

Was das Merkmal der Silbenzahl betrifft, weisen beide Genitiv-Varianten in etwa die gleichen Verteilungen auf, wenn man vom Sonderfall der Schwa-Substantive absieht, bei denen aber nicht die Silbenzahl, sondern der Auslaut die Stammaffigierung des Genitiv-s blockiert. Auffällig ist die Dominanz ein- und zweisilbiger gegenüber mehrsilbigen Substantiven. Bei beiden Genitiv-Varianten finden sich unter den Substantiven mit Anteilen >= 2% nur die beiden dreisilbigen Lexeme Automat und Elefant. Drei mehrsilbige Substantive mit Schwa erreichen bei den kasusaugmentierenden Substantiven immerhin über 0,5% (Kollege, Geselle, Psychologe).

Bei der Betrachtung der semantischen Merkmale ist zu berücksichtigen, dass 42 von den 48 Korpus-Substantiven das Merkmal [+ belebt] und von diesen wiederum 37 zusätzlich das Merkmal [+ menschlich] aufweisen. Nur sechs Substantive tragen dementsprechend das Merkmal [– belebt]. Die Dominanz der [+ belebt]-Substantive reduziert sich etwas bei den stammaffigierenden Genitiven durch den Wegfall von elf [+ menschlich]-Substantiven und zwei [+ belebt]-Substantiven mit Schwa im Stammauslaut. Bei den kasusaugmentierenden Formen nehmen zwei [- belebt]-Substantive (Planet, Automat) in der Google-Rangliste mittlere Ränge ein, die anderen vier Substantive rangieren bei <= 0,5%. Bei Cosmas II spielen die [– belebt]-Substantive für die kasusaugmentierenden Genitive keine Rolle. Etwas anders stellt sich die Situation bei den stammaffigierenden Genitiven dar, wo mit Magnet ein Substantiv mit dem Merkmal [– belebt] in der Google-Liste den ersten und in der Cosmas II –Liste den zweiten Platz belegt. In der Google-Liste belegt außerdem noch Automat einen vorderen Platz.

Fasst man die Befunde zu den phonologischen, prosodischen und semantischen Merkmalen zusammen und bezieht sie auf die Protoypikalitätsskalen von Köpcke und die damit verbundenen Prognosen, so zeigt sich bei den kasusaugmentierenden Genitiven nur eine schwache Übereinstimmung. Unter den ersten zehn Substantiven auf der Google-Liste befinden sich sieben mit dem Merkmal [+ menschlich]. Drei von ihnen verfügen zudem noch über Schwa im Stammauslaut, sie gehören zur Protoypgruppe I/(2) und weisen die entscheidende Merkmalskombination auf, die gegen die st. Flexion resistent machen soll. Noch prototypischer sind nur die mehrsilbigen Substantive der Prototypgruppe I (1). Sie befinden sich relativ weit hinten auf der Google-Liste, was mit Köpckes Prognose eher zusammenpasst. Resistent gegen die st. Genitivflexion in ihrer kasusaugmentierenden Form sind allerdings auch sie nicht.

Die Ergebnisse für die stammaffigierenden Genitive stimmen stärker mit den Protoypikalitätsskalen überein, was aber in erster Linie an der kompletten Abwesenheit der Schwa-Substantive liegt. Ob diese wiederum auf Prototypikalitätseffekte zurückzuführen ist, oder, wie ich annehme, auf das mangelnde Analogiepotential der entsprechenden Genitiv-Form, muss an dieser Stelle offenbleiben.

3.6 Der grammatische Kontext der Genitiv-Varianten

Die normabweichenden Genitiv-Formen erscheinen im Korpus mehrheitlich in der Funktion adnominaler Attribute, außerdem als nominale Bestandteile von Präpositionalgruppen oder als Genitiv-Objekte. Bei der Untersuchung des grammatischen Kontexts sollen Faktoren identifiziert werden, die helfen, die Gründe für die Genitivbildungen und die Bedingungen ihres Gebrauchs zu erhellen. Für die Untersuchung dieser Fragen sind Belege notwendig, in denen das jeweilige Korpus-Substantiv mehrfach und in unterschiedlichen Kasus erscheint. Die relative Seltenheit solcher Belege beschränkt sie auf eine exemplarische Funktion und bedingt den Verzicht auf quantitative Aussagen.

3.6.1 Konstante vs. schwankende Genitivbildungen

Inwieweit gehören normabweichende Genitiv-Varianten zum festen Sprachgebrauch einzelner Sprecher/Schreiber und inwieweit werden sie im Wechsel mit ihren alternativen Varianten verwendet? Unter den Belegen finden sich sowohl Beispiele für einen konstanten und damit habitualisierten als auch für einen schwankenden Gebrauch der normabweichenden Genitivformen.

a) konstant

(15) Schneidet (...) einen langen Streifen zu. Dieser sollte ein wenig breiter sein als die Höhe des Hasens.(…) Faltet danach den Streifen ziehharmonikaartig in der Breite des Hasens. Hierbei müssen auf der linken Seite Ohren und Schwänzchen und auf der rechten Seite Schnäuzchen, Pfote und der Fuß des Hasens am Bruch bzw. der Faltkante anstoßen.(…) Anschließend fertigt ihr (...) einen langen Papierstreifen, der jedoch deutlich schmäler als der des Hasens ist. Dieser Papierstreifen wird jetzt in der Breite des Hasens ebenfalls ziehharmonikaartig gefaltet (…).
(16) Beschreibung des Höhlenbärs: (...) Das Fell des Bärs ist ziemlich dick. ... Die Augen des Bärs sind klein und gelb-orange. (…) Der Schwanz des Höhlenbärs ist sehr kurz. ...Um den Hals des Bärs hing ein kleines Büchlein.
(17) Weiter überprüft der DGH die Kompetenz des Mitgliedkandidats selber nicht, sondern verläßt sich auf die Aussagen des Kandidats selber
(18) Der Geburtsname des Heldens ist Norrin Radd und er entstammt dem Planeten Zenn-La.(...) Er stürzt sich Hals über Kopf in die Geschichte seines Heimatplanetens Zenn-La.
(19) Geschlechtsunabhängig gilt, wenn keine körperlichen Gründe Ursache des Problems sind, sollte mit Hilfe eines Psychologens oder Sexualtherapeutens nach psychischen Ursachen geforscht werden, damit Sex wieder zur schönsten Nebensache der Welt wird.

Die Belege (18) und (19) können Indikatoren dafür sein, dass die normabweichende Genitivform bei phonologisch oder semantisch ähnlichen schw. Substantiven regelhaft gebildet wird. Eine andere Möglichkeit ist, dass hier eine lokale Analogie vorliegt, bei der eine kasusaugmentierende Genitiv-Form die Bildung der anderen motiviert.

b) schwankend

Es finden sich Belege für Schwankungen zwischen

  • standardsprachlichen und stammaffigierenden (20, 21, 22)
  • standardsprachlichen und kasusaugmentierenden (23, 24)
  • standardsprachlichen und suffixlosen (25)
  • kasusaugmentierenden und stammaffigierenden Formen (26)
  • Die Belege (23) und (24) bieten mit fünf kasusaugementierenden und drei standardsprachlichen Genitivformen für Junge sowie je drei kasusaugementierenden und standardsprachlichen Formen für Graf Beispiele für dicht gestaffelte Variantenwechsel in konzeptionell schriftlichen Texten. Schwankende Genitivbildungen liegen also nicht nur gesamtsprachlich, sondern auch bei individuellen Sprechern vor.

    (20) Die hauptsächlichen Bestandteile des Kometen sind Staub und Eispartikel. …Der Kern eines Komets hat ein Durchmesser zwischen 1 und 100 km ( …).Beobachtungen per Erdsatelliten zeigen, dass das Koma eines Komets von einem riesigen Wasserstoffkorona umgeben ist.
    (21) Ein anfangs liebevoller Prinz, seine zufriedenen Bediensteten und ein paar Straßenkinder, die aus Wohlwollen des Prinzes im Schloss leben dürfen. Ein glücklicher Anfang, doch als die neue Geliebte des Prinzen (…) das Schloss verlässt, sperrt der Prinz die Kinder in einen Kerker ein und wird daraufhin von der Kinderfee in ein gruseliges Biest verwandelt.
    (22) Zum 200. Geburtstag des Komponists wird ein Lieder-und Klavierabend (...) geboten… Am Beispiel des Liederkreises op. 30 von 1840 nach Joseph von Eichendorff wird die Textausdeutung des Komponisten verdeutlicht werden
    (23) ...) In ihrem jüngsten Fall "Familienbande müssen die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) nicht nur den Tod eines neunjährigen Jungens (...) aufklären (...) Für den Vater des Jungen steht fest: Die HofÐbesitzerin ist Schuld am Tod seines Sohnes. (...) Nur die Mutter des toten Jungens scheint ihr wohlgesonnen.(...) Die scheinbar heile Familie des Jungens ist nur Schein: (...) Ihr Mann hat es akzeptiert - zum Wohle des Jungens und der Firma. Und die Oma des Jungen stemmt sich mit aller Macht gegen den Zerfall der Familie. (...) Dass es am Ende die Oma des toten Jungen war, (...) war trotzdem nicht wirklich überraschend. (...) Übrigens: Auch die Eltern des toten Jungens stehen am Ende Arm in Arm am Grab ihres Sohnes. (...)
    (24) Wie sehr die Hexenverfolgung von der Person des Grafen abhing, zeigt sich (...) in der Zeit, in der die Gesundheit des Grafens nicht die Beste ist (...)Fritz Schott verblieb bis nach dem Tode des Grafens in Haft.... Im Oktober stirbt eine Tochter des Grafen,( ...) Im März 1677 starb eine weiter Tochter des Grafens (…)Die Erkrankung des Grafen war offensichtlich.
    (25) Damit kann der Homöopath den Krankheitsverlauf (…) des Patient richtig einschätzen. (…)Nach dem ersten freien Erzählen des Patienten, leitet der Homöopath das Gespräch (…).
    (26) Die Bahn eines Planetens ist also keine unveränderliche Ellipse (...) Ein Stück des Planets wurde in den interstellaren Raum geschleudert und landete irgendwann in unserem Sonnensystem

    3.6.2 Systematische vs. unsystematische Genitivbildung

    Um die sprecherbezogene Systematizität der Genitivbildungen zu bestimmen, müssen diese zu Dativ- und Akkusativformen desselben Substantivs oder anderer schwacher Maskulina im selben Beleg-Kontext in Beziehung gesetzt werden.

    a) systematische Genitivbildung

    Von "systematischer Genitivbildung" ist die Rede, wenn sich die Genitivformen zusammen mit den Dativ- und Akkusativformen einem gemeinsamen zugrundeliegenden Deklinationsparadigma zuordnen lassen. Entsprechend den oben genannten Möglichkeiten lassen sich drei paradigmatische Varianten anhand der Belege rekonstruieren:

  • Variante (3a u. b): Dat./Akk. schw., Gen. kasusaugmentierend gemischt: N != G != D = A
  • (27) Doch einem erbarmungslosen Dämonen – dem Dahaka – gefielen des Prinzens lustige Zeitreisen ganz und gar nicht... Gelegentlich verschlägt es den Helden aber auch in Outdoor-Bereiche der Festung.
    (28) Wie lautet die Formel für die Wiederbelebungskosten eines Heldens? Würde das ganz gern wissen, damit ich entscheiden kann, ob ich beim Schrotten meiner Off meinen Helden mitschicke.

  • Variante 2 (b): Dat./Akk. apokopiert, Gen. stammaffigiert stark: N = D = A != G
  • (29 Die Geistlichen des Dorfes und der Volksschullehrer unterstützten den Bub und Kirchenlieder waren die ersten ernst zu nehmenden musikalischen Herausforderungen des Bubs ehe er als erste professionelle Station den Wiltener Sängerknaben beitrat/td>
    (30) Laut dem Pilot jedoch entschied er, den Flug nach Fidschi umzuleiten. (…) Das befindet sich nur geringfügig südlich vom bereits geflogenen Weg, was zur Aussage des Pilots passt, dass Oceanic "umgedreht" hat, um auf Fidschi zu landen. (…)
    (31) Die Macht des Prinzes wirkt auf einen beliebigen Spielmarkenstapel des Spielers, der den Prinz aktiviert hat. (...) Die Zauberformel "der Prinz" kann auch einen Spielmarkenstapel mit einem Prinz ausgesprochen werden.

  • Variante 1: Gen./Dat./Akk. apokopiert suffixlos: N= G = D = A
  • (32) Oben befindet sich ein runder Knopf zum herein drücken der zum öffnen des Automat dient (...) Auf der Rückseite gibt es die Möglichkeit den Automat an die Wand zu hängen oder etwa 2 m über dem Boden hinzustellen wozu 2 Füßchen angebracht wurden. … Ich habe mein Automat hinter der Toilettentüre an die Wand genagelt, auch registriert er dort sämtliche Bewegungen die im Raum stattfinden
    (33) Sie war früher in Atlantis die Geliebte eines Barbar gewesen. Diesem Barbar einem eiskalten Killer gelang es mit Hilfe einer Zeitblase in die Zukunft zu reisen.

    b) unsystematische Genitivbildung

    Auch für unsystematische Genitivbildungen gibt es eine Reihe von Belegen, wobei die Konstellationen der Kasusformen von Dat., Akk. und Gen. unterschiedliche Mischungen ergeben. Teilweise sind zudem die Genitivbildungen selbst schwankend.

  • Akk. endungslos/Gen.kasusaugmentierend
  • (34) Wenn jemand aufruft, andere zu töten und einen Mensch als Schwein bezeichnet weil der Beruf dieses Menschens eine Uniform braucht um seine Stellung anzuzeigen, hat einen an der Wafel.

  • Gen. endungslos/Dat. schw.
  • (35) Alte Lodge, wirbt mit Besuch des Leopard am Futterbaum (...) Wenn man auf das Spektakel mit dem Leoparden verzichten kann, aber dafür eine neuere Lodge buchen möchte, es gibt in Tsavo West davon mehrere in sehr guter Qualität.

  • Dat. schw./Gen. stammaffigierend/Gen. kasusaugmentierend
  • (36) Er lebt auf einem Planeten, der - bis auf wenige Oasen - ausschließlich aus Wüste besteht. ... Die Ila ist die anscheinend unsterbliche Herrscherin des Wüstenplanets und verfolgt mit dem Versammeln aller Verrückten des Planetens ein Ziel.

  • Akk. schw./Gen. stammaffigierend/Dat. schw.
  • (37) Die Konstruktion umfasst folgende Schritte: a) Übersetzung des regulären Ausdruckes jeder Input-Zelle in einen endlichen Automaten (...) Das Alphabet des Automats ist das (Mengen-) Kreuzprodukt der Alphabete der einzelnen Automaten, damit sind die Eingaben dieses Automats Tupel von Zeichen. (...) Der Folgezustand im neuen Automaten ist damit also das Tupel der Nachfolgezustände der einzelnen Automaten.

  • Gen. kasusaugmentierend/Dat. schw./Gen. stammaffigierend
  • (38) Die Bahn eines Planetens ist also keine unveränderliche Ellipse (...) Auf nem anderen Planeten in nem anderen Sonnensystem vielleicht. …ein Stück des Planets wurde in den interstellaren Raum geschleudert und landete irgendwann in unserem Sonnensystem

  • Akk. schw./Gen. stammaffigierend
  • (39) Sie habe versucht, den Buben durch Schütteln zu beruhigen. Dabei sei der Kopf des Bubs gegen den Türstock geprallt.

  • Akk. schw./Genitiv stammaffigierend/Genitiv schw.
  • (40) Um einen Elektromagneten schneller zu erregen, muss dem Magnetfeld die Energie schneller zugeführt werden (...) . Beim Ausschalten des Magnets muss die Feldenergie möglichst schnell in eine andere Energieart umgewandelt werden (…) Die Kondensatorladung steht dann beim Einschalten des Magnets zur Schnellerregung zur Verfügung (…). Dieses Verfahren ist sehr elegant, hat jedoch den Nachteil, dass alle Zeiten und Energiemengen sehr stark von den physikalischen Gegebenheiten des Magneten abhängen.

    Die Belege zeigen, dass die Bildung der Genitivformen längst nicht bei allen Schreibern einem systematischen Muster folgt. Wie inkonsistent – nach systemlinguistischen Optimalitätskriterien – die Genitivbildung oft verläuft, wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass auch die individuell schwankenden Genitivbildungen (20–26) als Ausdruck mangelnder Systematik zu werten sind.

    Da zumindest bei den unsystematischen Genitivbildungen eine Übertragung vollständiger Paradigmen anderer Deklinationsklassen auf die schw. Maskulina als Erklärung ausfällt, müssen andere mögliche Ursachen für die nicht-standardsprachlichen Genitivbildungen geprüft werden. Geht man davon aus, dass es das Ziel des einzelnen Sprechers ist, nicht nur verständlich, sondern auch regelkonform zu sprechen oder zu schreiben, sind ad hoc stattfindende Analogiebildungen naheliegend, die sich an einzelnen in der jeweiligen Kommunikationssituation als Vorbild dienenden Sprachformen orientieren.11

    Sofern nun die normgerechte Genitivform eines schw. maskulinen Substantivs nicht oder nicht fest im mentalen Speicher des Sprechers verankert ist, liegt es für ihn nahe, ein -s an den Stamm oder an das schw. Suffix zu fügen. Aufgrund der hohen Frequenz starker Maskulina (und Neutra) kommen Kombinationen aus genitivischen, st. deklinierten Artikelwörtern wie des, eines, ihres usw. mit einem Substantiv, das eine s-Endung trägt, sehr häufig vor; sie sind – mit Ausnahme der bereits erwähnten Maskulina und Neutra auf Schwa – der Default-Fall. Da schwachen Substantiven im Gen. Sing. fast immer ein solches Artikelwort vorausgeht, erscheint auch die Übernahme der damit so häufig assoziierten substantivischen s-Endung regelkonform oder jedenfalls als eine Option mit hoher Trefferwahrscheinlichkeit. Ein zusätzliches Motiv liegt im starken Synkretismus des en-Suffixes, durch den die Genitiv-Funktion nicht genügend konturiert ist. Die Genitive der st. Substantive umfassen potentielle Analogiespender sowohl für die stammaffigierende (Scherzes : Prinzes; Verrats : Soldats; Moments : Patients) wie für die kasusaugmentierende Variante (Balkens, Kaninchens, Gartens : Botens, Hasens, Automatens) der normabweichenden Genitive der schw. Maskulina. Die Maskulina der Flexionsklasse II (Balken) spielen für die kasusaugmentierenden Genitive der schw. Maskulina insofern eine besondere Rolle, als hier der Dat. und der Akk. Sing. in beiden Flexionsklassen standardsprachlich die gleiche phonologische Struktur haben, was den analogisierenden Effekt verstärken kann. Allerdings beruhen auch die kasusaugmentierenden Genitive nur auf punktuellen Analogien, nicht auf einer Übernahme des gesamten Flexionsmusters. Das nämlich würde die Affigierung des -(e)n an den Stamm des Nom.-Sing. einschließen – ein Sprachwandel, den viele auf Schwa auslautende Substantiv-Stämme im Frühneuhochdeutschen durchliefen (garte, gartenGarten, Gartens), wobei das –n als Stammauslaut und das kasusaugmentierende -s als stammaffigierendes Genitiv-Suffix reanalysiert wurden. Bei den Korpus-Substantiven lässt sich eine entsprechende Entwicklung bislang nicht feststellen: Nom.-Sing.-Formen wie *der Boten in Analogie zu der Garten wurden nicht gefunden. Das unterscheidet die auf Schwa auslautenden Korpus-Substantive auch von den standardsprachlich gemischt flektierenden Mask. wie Friede/n, Funke/n, die parallele auf -n auslautende Stämme haben, was sie als Kandidaten des Übergangs ausweist (s. Becker 1994: 50; Paul 1917: 38f.).12

    Die Befunde dieser Arbeit bieten aber starke Indizien dafür, dass bei der Genitiv-Bildung der schw. Maskulina lokale Analogien im kontextuellen Nahbereich eine wichtige Rolle spielen. Zahlreiche Belege zeigen stammaffigierende und kasusaugmentierende Genitivformen schw. Maskulina in enger syntaktischer Nachbarschaft mit standardsprachlich starken Genitivformen. In den meisten Fällen handelt es sich um Genitivattribute bzw. um Bestandteile mehrgliedriger Genitivattribute, die in koordinierender oder subordinierender Beziehung zueinander stehen. Es ist plausibel anzunehmen, dass diese räumliche, strukturelle und oft auch semantische Nähe die Übernahme des Genitiv-s von den st. Maskulina und Neutra auf die schw. Maskulina zumindest begünstigt hat (41–61).

    Eine rein phonologisch-graphematisch bedingte Analogiewirkung könnte bei den mehrfach belegten Präpositionalgruppen mit seitens (62–65) vorliegen, wo dem Substantiv zwei Wörter mit s-Auslauten vorausgehen.

    3.6.3 Analogiebildungen

  • mehrgliedrige koordinierende Attribute
  • (41) Heute beginnt nach dem chinesischen Mondkalender das Jahr des Hasens oder des Kaninchens.
    (42) Erwachsene aus der Chorgruppe schlüpften in die Rollen eines Bärs, eines Kaninchens und eines Fuchses
    (43) Den Kindergartenkindern war es anzusehen, dass sie bei den Erlebnissen des kleinen Bärens und des kleinen Tigers mitfieberten.
    (44) Im Gegensatz zu anderen Städten dieser Größenordnung konnte Hamburg nicht auf die Kulturförderung eines Hofes an dieser Stadt oder eines Fürstens zurückgreifen
    (45) Das Unterstützungsinstitut geht auf eine Initiative des Musikers, Komponistens, Gründers der Mödlinger Blasmusik und Schriftstellers Prof. Walter Völkl zurück,
    (46) Der Disziplinarausschuss (...) forderte die Suspendierung des Managers und des Präsidents der Mannschaft bis zur Aufklärung
    (47) Ich muss sie nur aus (...) dem Gewicht des Zentralgestirns und des Planetens berechnen.
    (48) Genau wie die Begleitung eines Psychologens oder Psychiaters, kann auch eine medikamentöse Therapie eine Säule der Behandlung sein.
    (49) Ich bin viele Wege gegangen, beispielsweise die eines Mystikers, eines Philosophen, eines Psychologens, eines Magiers, eines Theosophens.

  • mehrgliedrige subordinierende Attribute
  • (50) Deganawida hatte die Vision, dass die Spitze eines Tannenbaumes durch den Himmel in das Land des Herrs des Lebens reichte
    (51) Bisher galten die Knochen eines Homo antecessor, eines Vorfahrs des Neandertalers, als die ältesten menschlichen Fossilien in Europa.
    (52) Der hat dieses Kleinod des Vorfahrs Johann Sebastians ausgegraben und mit Witz und Eleganz in Klang und Szene gesetzt.
    (53) Die Karriere des einst gefürchtetsten Boxers des Planetens endete in Schimpf und Schande.
    (54) Immerhin geht es um den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des überwachten Nachbarns.

  • präpositionales Adverbial mit Attribut
  • (55) Wieso bzw. aufgrund welchen Paragraphens welchen Gesetzes?

  • einfache Attribute unterschiedlicher Satzglieder
  • (56) Bei der Prüfung mußtest Du die Kenntnisse nachweisen, die für das Erreichen des Lehr- oder Berufsziel's erforderlich waren und die Kenntnisse eines Meister's sind nun einmal sehr viel umfangreicher als das eines Gesellens.
    (57) Auch Angst und Willensschwäche können aus Sicht des Hildesheimer Psychologens Werner Greve eine Mauer des Schweigens auslösen
    (58) und ich hab nicht gemeint, dass nur über die frühpensionierung des täters und nicht über den tod des bubens berichtet wird, sondern dass manche medien sich viel zu sehr auf die frühpensionierung fokusieren.
    (59) Im Gegenteil ist es sogar so, dass so mancher Wesenszug des Psychologens mit dem des Mörders gewisse Übereinstimmungen zeigt.

    Die Analogisierungen treten sowohl in kasusaugmentierender als auch in stammaffigierender Form auf, ohne dass ein Einfluss der Spender-Formen auf die Variantenwahl erkennbar ist. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die stammaffigierende Variante bei auf Schwa auslautenden Stämmen unabhängig von den Analogiespendern blockiert ist. Keine Rolle spielt das Genus, neben st. Maskulina dienen auch Neutra als Analogiespender.

    Beispiel (49) zeigt, dass Analogisierungen nicht notwendigerweise alle schw. Mask im Kontext erfassen: Philosoph bleibt im Gegensatz zu Psychologe und Theosoph von der s-Augmentierung ausgenommen, was insbesondere mit Blick auf Theosoph erstaunt, dessen Endsilbe identisch ist. Offenbar ist die standardsprachliche Genitivform von Philosoph aufgrund ihrer höheren Frequenz im Gegensatz zu der des seltenen Lexems Theosoph im mentalen Lexikon des Schreibers so fest gespeichert, dass eine Analogisierung blockiert wird.

    Im Beispiel (55) steht die Kasusaugmentierung auch in Verbindung mit der gewählten schw. Deklination des Artikelwortes, die eine eindeutige Genitivmarkierung des Substantivs nötig macht. Beispiel (56) ist bemerkenswert, weil hier der Schreiber die beiden standardsprachlich starken Genitiv-Suffixe durch Apostroph abtrennt, das kasusaugmentierende Genitiv-s aber nicht. Das deutet darauf hin, dass er sich entweder unsicher über den Verlauf der Stamm-Genitiv-Grenze ist oder -ns als morphologische Einheit wahrnimmt, die im Gegensatz zu -s konventionellerweise nicht durch Apostroph abgetrennt wird.

    Die folgenden Belege (60, 61) illustrieren den umgekehrten Fall einer Apokope des Genitiv-s bei den starken Maskulina und korrespondierend des Genitiv-en bei den schwachen Maskulina, was zu einer doppelten Normverletzung führt. Inwieweit und in welcher Richtung hier eine Analogisierung stattfindet, lässt sich nicht feststellen.

    (60) Sobald es keine Monster in der Blickrichtung des Barbar gibt, verliert sich die Wirkung dieses Trank.
    (61) Der Berserkerrausch eines Berserker (nicht die Rage eines Barbar oder die von Minsk) schützt unter anderem vor Einkerkerung

  • Präpositionalgruppen (seitens)

    (62) In so einem Moment wurde seitens des Polizistens einfach falsch gehandelt.
    (63) Dies trifft seitens des Helds auf größtes Unverständnis (…).
    (64) Über seinen beträchtlichen Beitrag (…) hinaus, sah sich das Kloster dank großzügiger Schenkungen seitens des Fürstens auch im Besitz beachtlicher Ländereien
    (65) Als am 11. Juli 1811 Erzherzog Johann (…) eine Schenkungsurkunde ausstellte, war seitens des Prinzens nicht an eine museale Institution alleine gedacht.

  • vorangestellte Genitivattribute
  • Sowohl das kasusaugmentierende als auch das stammaffigierende -s findet sich auffallend häufig bei vorangestellten Genitiven (als "sächsischer Genitiv"). In fast allen belegten Fällen handelt es sich dabei um Attribute, Ausnahme ist (78) mit einem Genitivobjekt als Ergänzung eines prädikativen Adjektivs. Den Einfluss der Voranstellung machen besonders die Belege (75–77) deutlich, bei denen dasselbe Lexem zwischen einem normabweichenden vorangestellten "sächsischen" und einem nachgestellten normgerechten Genitiv wechselt.

    Ein Motiv für die Bildung der Genitiv-Varianten in dieser syntaktischen Position ist das Bedürfnis, die Kasusbeziehung zwischen den Substantiven deutlich zu markieren. Beim nachgestellten Genitivattribut fungiert das Artikelwort als kasusanzeigendes Scharnier zwischen dem Kern der Nominalphrase und dem substantivischen Attribut (die Aussage des Zeugen). Beim vorangestellten Genitiv folgen dagegen die beiden Substantive direkt aufeinander. In diesem Fall motiviert die Uneindeutigkeit der schwach-maskulinen Kasuskennzeichnung die -s-Affigierung (des Zeugen Aussagedes Zeugens Aussage). Eine "Übermarkierung" liefert Beispiel (67), wo der Genitiv auch auf den Kern der NP ausgedehnt wird.13

    Außerdem müssen auch hier verschiedene Analogiewirkungen in Rechnung gestellt werden: Zu einen sind im Gegenwartsdeutschen die meisten vorangestellten Genitivattribute Eigennamen oder namenähnlich verwendete Appellativa (Pauls Fahrrad, Vaters Schuhe, Hertzens Entdeckung), die mit -s- bzw. -ens-Genitiven gebildet werden und somit als Vorbild wirken können. Ein anderer Spenderbereich für Analogien sind feste Syntagmen wie Nachbars Garten oder des Kaisers neue Kleider. Vor allem das Muster dieser Wendung ist produktiv und findet sich in fünf Abwandlungen belegt, wobei das Genitiv-s auch für schwache Lexeme übernommen wird (73).14

    (66) Doch während der Joker schon an der Seilleiter zum Hubschrauber hängt, greift Batman zur Batbola und umschliesst des Schurkens Fuß mit einer Statue die am Turmrand befestigt ist.
    (67) Ein ab und zu gutmütiger Gront erbarmt sich dann aber doch und mit einem leichten Quietschen und wenig Anstrengung beugt sich der Hebel unter des Barbarens Griffes.
    (68) Durch Pflegeheim - Umzug baten sie des Herrns Kinder, die erkrankten Ponys zu sich zu nehmen.
    (69) Macht Geld sexy? nö auch mit viel kohle in des herrens tasche könnte ich mir den typ nicht schön, nett oder VER-liebt gucken.
    (70) Des Schurkens Vorteil ist die Verstohlenheit
    (71) Wo des Nachbars Reich beginnt ... Statt Schlagbäumen markieren kleine Grenzpfähle oder Grenzsteine, wo die eigene Scholle endet und Nachbars Reich beginnt. ...
    (72) Wie zu Vorfahrens Zeiten (…) Es werden Pillen gedreht, Süssigkeiten hergestellt, gefärbt, gestrickt und genäht: Alles nach des Vorfahrens Sitte
    (73) Des Prinzens neue Sänfte/neue Disco/deutsche Rente/Papagei/lustige Zeitreisen
    (74) Der Bildband ist (...) ein Blick durch des Fotografs Linse
    (75) Dieser bekennende Schwiegermutterhasser war aus Sicht des Therapeuten mit einem geradezu erstrebenswerten Charisma ausgestattet...Solche, mit ihrem Leben zufriedene Menschen zu erziehen, war des Therapeuts Begehr.
    (76) es Prinzens neue Disco (...) Apropos Pamela Anderson: diese wird exclusiv, weil sie ja eine "gute Freundin des Prinzen ist, am 14. Mai eingeflogen (...). Die Gage (...)bleibt allerdings ein gut gehütetes Geheimnis des Prinzen.
    (77) Sie berichtet uns vom Fieber-Leiden des Prinzen (...) Redet nun über alle Themen und ihr erhaltet ein Medaillon, das euch später dabei helfen wird, ein Dampfbad für des Prinzens Lieblingsfrau korrekt einzustellen.
    (78) Wer seines Ehegattens überdrüssig geworden ist, wird ihn jetzt mit ein paar Mausklicks los.


    4 Die historische Entwicklung des kasusaugmentierenden Genitivs

    Der Blick in die Sprachgeschichte zeigt, dass nicht nur der stammaffigierende, sondern auch der kasusaugmentierende Genitiv keine neue Erscheinung darstellt. Im Spätmittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen finden sich für die kasusaugmentierende Form zahlreiche Belege (Wegera 1987: 158 f.; Wegera 2000a: 1543).

    Diese Formen gehören zu den Folgeerscheinungen, die aus dem Umbau des indogermanischen Flexionssystems resultieren (zur sprachhistorischen Entwicklung vgl. Bittner 1991: 86–97, Köpcke 2000a, Paul 1917). Für die aus den indogermanischen n-Stämmen hervorgegangene schw. Flexion brachte dieser Umbau die Auflösung großer Teilbestände mit sich. Während die schw. Feminina (der Frauen/Gen. Sing.) im Sing. ihre Kasus-Suffixe einbüßten, folgten die schw. Maskulina unterschiedlichen Entwicklungspfaden.15 Eine Gruppe der schw. Maskulina wechselte zum Femininum (der Schnecke/Schlangedie Schnecke/Schlange). Drei weitere Gruppen behielten das Genus, entwickelten sich ansonsten aber morphologisch unterschiedlich: Die erste Gruppe flektiert weiterhin schwach, wobei ein Teil dieser Substantive das stammfinale Schwa verloren hat (Fürst, Prinz, Mensch). Die zwei weiteren Gruppen wechselten in die st. Flexion. Bei den Substantiven der zweiten Gruppe wurden das stammfinale Schwa ebenso wie die schw. Suffixe der obliquen Kasus apokopiert. Im Gen. Sing. wurde dem Stamm ein -s affigiert, der Plural wird durch das e-Suffix, teilweise gekoppelt mit Umlaut, markiert (mhd.: der hane, des hanen, die hanen → frnhd. der Hahn, des Hahns, die/der Hähne). Die Substantive der dritten Gruppe haben die obliquen n-Endungen behalten, ein –n im Nom. affigiert und das Flexionsmuster II (des Balkendes Balkens) entwickelt. Ein Teil der zu dieser Gruppe gehörenden Substantive hat den Flexionsklassen-Wandel bis heute nicht vollständig vollzogen, verfügt über schwankende Stammformen (Funke/n, Friede/n) und wird synchronisch als gemischt klassifiziert (vgl. Eisenberg 2006: 160, Joeres 1996, Paul 1917: 35–37, Becker 1994: 50).

    Vom 13. Jh an finden sich neben den genannten Formen auch Substantive, die -(e)ns im Gen. bilden, ohne -(e)n im Nom. zu affigieren. Beispiele, von denen ein Teil sich auch unter den Korpus-Substantiven findet, sind Affens, Blutzeugens, Botens, Erbens, Falkens, Franzosens, Fürstens, Gattens, Gesellens, Grafens, Hasens, Hirtens, Herrens, Heldens, Knabens, Lowens, Monarchens, mynschens, Neffens, Patriotens, Prinzens, Prophetens, Schützens, Soldatens, Tyrannens (Wegera 1987: 156f., Paul 1917: 34f.). Die Kasusaugmentierung erfolgt unabhängig von semantischen Kriterien und der phonologischen Struktur des Stamms.

    Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lassen sich solche kasusaugmentierenden Genitive vielfach belegen. Bei den meisten Grammatikern der Aufklärungszeit stoßen sie freilich auf Ablehnung. Eine Ausnahme ist der Wiener Sprachforscher und -lehrer Johann Balthasar von Antesperg, der sich in Opposition zu Gottsched für eine standardisierte Schriftsprache auf oberdeutscher Grundlage einsetzt. Er akzeptiert den kasusaugmentierenden Genitiv als parallele Form und charakterisiert die schw. Maskulina folgerichtig als die "Substantiva masculina, welche im Genitivo singulari ausgehen auf die Silbe ens oder en". Als Beispiele nennt Antesperg (1747: 26) Knab(e), Hirt(e), Mensch, Narr, Held, Fürst, Student sowie Lehnwörter auf -ant und -ent. Wegera (1987: 156f.) zufolge dehnt Antesperg die Akzeptanz des kasusaugmentierenden Genitivs in der zweiten, 1749 ersch. Aufl., (die mir nicht zugänglich war), noch auf Lehn-Substantive aus, die auf -et, -ist, -it, -ast, -at enden sowie auf alle nationalen Bezeichnungen auf -e (des Deutschens).

    Doch diese Kodifizierung vermag die normative Ausgrenzung des kasusaugmentierenden Genitivs nicht zu verhindern. Den einschlägigen sprachhistorischen Darstellungen zufolge verschwinden diese Formen von der Mitte des 18. Jahrhunderts an zunehmend und finden sich im 20. Jahrhundert nur noch vereinzelt. Der Grund für diesen Rückgang wird in einer Selbst-Regularisierung des Sprachsystems gesehen, die zum Abbau dieser Formen aufgrund ihrer mangelnden Systemangemessenheit geführt habe. Die heute normabweichenden Genitiv-Varianten erscheinen in diesem Bild als Ausfluss einer "Genitivverwirrung", die zwar Jahrhunderte andauerte, aber schließlich doch durch eine der Grammatik innewohnende Rationalität beseitigt wurde (vgl. Wurzel 1984: 123, Wegera 1987: 156f. und 2000b: 1811, Polenz 1994: 257 und 1999: 343, Köpcke 2000: 113). Folgt man der Darstellung, dass sich "das System" seit dem 18. Jahrhundert reguliert habe, müsste man die in dieser Studie präsentierten Gegenwarts-Befunde als Symptome einer erneut ausgebrochenen "Genitivverwirrung" sehen und zu erklären versuchen, warum die Selbstregulierung des Systems nicht mehr greift. Ich halte es demgegenüber für plausibler, dass die Reduktion der Genitiv-Variation der schw. Maskulina nur in einem Ausschnitt der Sprache, nämlich der professionellen Schriftsprache, tatsächlich durchgängig und nachhaltig stattfand. Die Autoren dieser Texte orientierten sich an den standardisierenden Normen, die sich dank Gottsched, Adelung und anderen Grammatikern seit dem 18. Jahrhundert etablierten. Dass diese Grammatiker den Schriftsprachgebrauch bildungsbürgerlicher Autoren auch im privaten Bereich beeinflusst haben, macht Reifenstein (2009) am Beispiel der Briefe der Familie Mozart deutlich.

    Insbesondere aus den redigierten, für die Publikation bestimmten Schriften, verschwanden die nun als "Abweichungen" gekennzeichneten Genitivformen. Dazu passt der Befund von Ljungerud (1955: 60f.), der in der deutschsprachigen Belletristik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur noch wenige kasusaugmentierende Genitive findet. Dass die Merkmale der professionellen Schriftsprache häufig pars pro toto genommen werden, resultiert daraus, dass dieser Ausschnitt der Kommunikation der Forschung am besten zugänglich ist und die meisten Belege liefert. Damit wird indes nur ein Teil der Sprachwirklichkeit erfasst.16

    Dass auch im 20. Jahrhundert kasusaugmentierende Genitive verbreitet sind, belegt eine Arbeit von Elsbeth Appel aus dem Jahr 1941. Die Studie – die eigentlich dem entgegengesetzten Trend, nämlich dem Abbau des Genitiv-s gewidmet ist – präsentiert Belege vor allem aus Schulaufsätzen und Briefen, aber auch aus Zeitungen und Büchern (Elefantens, Jungens, Fürstens, Menschens, Knabens, Löwens, Rabens, Riesens, Gattens, Hasens, Hausangestelltens, Expedientens). Appel (1941: 74–77, 111f.) stellt bei einzelnen Schreibern eine Tendenz zu einer phonologisch motivierten analogisierenden Verwendung oder Vermeidung des Genitiv-s fest: Wer kasusaugmentierende Substantive bildet, so ihre Beobachtung, konserviert auch das standardsprachliche Genitiv-s in den phonologisch ähnlichen Genitiven des starken Typs II (des Menschens : des Bogens). Wer andererseits das Genitiv-s in diesen Formen apokopiert, bildet den Genitiv der schw. Maskulina standardsprachlich (des Bogen : des Menschen).

    Die kasusaugmentierenden Genitive der Gegenwartssprache stehen in einer Kontinuität, die seit dem 18. Jahrhundert vor allem außerhalb der professionellen Schriftsprache existiert. Durch das Internet, das Belege auch jenseits dieses Bereichs in großem Umfang zugänglich macht, werden sie nur sichtbarer als früher. Dass die professionelle Schriftsprache nur einen Teil der Sprachentwicklung spiegelt, wird durch den Vergleich der Cosmas-II-Ergebnisse mit den Google-Ergebnissen bestätigt.


    5 Fazit

    In dieser Arbeit wurden drei normabweichende Genitiv-Varianten der schw. Maskulina untersucht. Während bislang nur die stammaffigierende Variante im Fokus der Forschung stand, zeigen die Ergebnisse, dass die kasusaugmentierende Variante eine ähnliche Verbreitung aufweist. Das steht im Widerspruch zu Aussagen der historischen Linguistik, denen zufolge diese Variante im 18. Jahrhundert verschwand. Die suffixlose Variante hingegen stellt quantitativ eine Randerscheinung dar. Die Parallelität der kasusaugmentierenden und der stammaffigierenden Varianten bedeutet, dass neben der standardsprachlichen schwachen Form zwei stark flektierende Varianten existieren. Die Frequenzen dieser Varianten unterscheiden sich je nach Substantiv stark. Im Internet erreichen sowohl die stammaffigierenden als auch die kasusaugmentierenden Genitiv-Formen der zehn Korpus-Lexeme mit den meisten Belegen durchschnittlich einen Anteil von fünf Prozent an der Gesamtzahl der jeweiligen Genitivformen. In professionell schriftsprachlichen Texten liegt der Anteil deutlich niedriger. Auch wenn also die kasusaugmentierenden und stammaffigierenden Genitivformen außerhalb der professionellen Schriftsprache eine nicht zu vernachlässigende Größe darstellen, die von Normschwankungen in Teilen der Sprachgemeinschaft zeugt, sind die Frequenzen doch nicht hoch genug, um sie als etablierte Konkurrenzvarianten zum schwachen Genitiv einzustufen. Von einem bereits fortgeschrittenen Übergang der schwachen Maskulina in die starke Deklination kann (bislang) nicht gesprochen werden. Die Fokussierung der Sprachforschung – und davon abgeleitet der Sprachratgeber – auf die stammaffigierenden Genitive sowie die voraus-eilende Diagnose einer Auflösung der schw. Flexion insgesamt beruhen auf einer theoriegeleiteten Blickverengung: Kombiniert mit Apokopierungen im Dat. und Akk. ergibt die Stammaffigierung des Genitiv-s das frequenteste der st. Deklinationsparadigmen und passt somit in die Theorie von einer fortschreitenden Regularisierung des Flexionssystems, die den Abbau der schw. Maskulina als einer markierten Klasse impliziert. Die Existenz kasusaugmentierender Formen fügt sich weniger gut ins Bild, da sie die Komplexität und die Unübersichtlichkeit erhöht. Bezogen auf den individuellen Sprachgebrauch lässt sich sowohl der konstante Gebrauch nur einer normabweichenden Genitiv-Variante als auch ein Wechsel zwischen den Varianten sowie zwischen normabweichenden und standardsprachlichen Formen nachweisen. Die Bildung sowohl der stammaffigierenden als auch der kasusaugmentierenden Formen beruht, soweit feststellbar, nicht auf der Übernahme des starken Flexionsparadigmas und seiner Regeln, sondern auf punktuellen und lokalen Analogien in Situationen der Normunsicherheit oder Norm-Unkenntnis, in denen das Genitiv-s den Default-Fall darstellt. Ein weiterer begünstigender Faktor ist das Bedürfnis nach eindeutiger Kasuskennzeichnung bei der Voranstellung adnominaler genitivischer Substantive.


    Anmerkungen

    1 Abweichend von dieser in vielen Grammatiken und Wörterbüchern verwendeten Klassifikation (z. B. Wahrig 2006: 19, 47) wird in der Duden-Grammatik (2005: 226f.) die singularische Suffixlosigkeit der Feminina der st. Flexion zugerechnet. Das Für und Wider der unterschiedlichen Kategorisierungen ist aber für die vorliegende Untersuchung nicht relevant. zurück

    2 In der publizistischen Sprachkrtitik werden Apokopierungen von schw. maskulinen Kasussuffixen schon seit langem als Beispiele für einen allgemein zunehmenden Schwund der Kasusendungen präsentiert; vgl. z. B. Sick, Bastian (2005): "Kasus Verschwindibus." In: Spiegel-Online. www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/ 0,1518,372005,00.html, Stand 21. 12. 2010; Hirsch, Eike Christian (1979): "Der Sturz des Dollar". In: ders.: Mehr Deutsch für Besserwisser. Hamburg: 146. zurück

    3 Duden (2005) und Duden (2007) bringen als Beispiele für den Flexionsklassenwechsel ausschließlich konsonantisch auslautende Stämme. Thieroff (in Wahrig 2009: 316) schließt Stämme, die auf Schwa enden, ausdrücklich vom Übergang zur st. Dekl aus. Köpcke (2005: 74) zufolge sind die auf Schwa auslautenden Substantive, da sie zusätzlich das Merkmal [+belebt] tragen, gegen den Flexionsklassenwechsel resistent, ähnlich Poitou (2004: 77). Peschel (2009: 48) und Poitou (2004: 77) konstatieren allerdings auch bei den konsonantisch auslautenden Stämmen eine noch beträchtliche Stabilität der schw. Gen.-Suffixe. Langfristig sehen sie die schw. Mask eher auf dem Weg in eine suffixlose als in eine st. Deklination. zurück

    4 Eisenberg (2006: 11) hält die kasusaugmentierende Variante "nicht im Entferntesten" für möglich. zurück

    5 Unklar ist, inwieweit die psycholinguistischen Experimente von Köpcke (2000b), in deren Verlauf Versuchspersonen schw. mask Kunstwörter flektierten, kasusaugmentierende Genitive berücksichtigen. Das Gleiche gilt für Köpcke (2005), wo Versuchspersonen Flexionstests mit realen Substantiven absolvierten. zurück

    6 Die von Köpcke zu den schw. Maskulina gezählten Substantive vom Typ Friede/n werden hier wegen ihrer regulären st. Genitivendung nicht in die Korpus-Lexeme einbezogen. Hinzugekommen ist die Subklasse Prototyp I (4), deren Mitglieder in Köpckes Skala nicht berücksichtigt sind. Außerdem wird zum Zweck der Merkmalsdifferenzierung die Zahl der Klassen beim Prototyp II erhöht. zurück

    7 Die ebenfalls in der Cosmas-II-Korpussammlung dokumentierten Texte der Online-Enzyklopädie Wikipedia heben sich insofern davon ab, als sie mehrheitlich nicht von professionellen Autoren und Redakteuren geschrieben und redigiert sind. Deshalb wurden Wikipedia-Belege nicht berücksichtigt. zurück

    8 Ich habe alle schw. Substantive einbezogen, bei denen Wahrig (2009) und Duden (2007) die entsprechenden st. Genitivformen explizit als umgangssprachlich oder schon standardsprachlich anführen, oder bei denen sie von der Bildung dieser Formen abraten. Letzteres weist darauf hin, dass die Sprachratgeber diese Formen ebenfalls als bereits "virulent" ansehen. Die Empfehlung lautet in den meisten Fällen, in der Schriftsprache die schw Flexion zu wählen. Ausnahmen sind Magnet, Bauer und Nachbar, bei denen auch die st. Deklination als standardsprachlich bewertet wird. zurück

    9 Scheinbare Beispiele für solche Formen erweisen sich bei Stichproben als phonologische Genitiv-Varianten anderer Lexeme (z.B. des Kolleges als Variante zu des Kollegs) oder als sprachkontaktinduziert wie bei des Kundes, das gehäuft in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausländischer Unternehmen vorkommt. Da hier vielfach zudem das schw. Suffix bei Dat. und Akk. apokopiert wird, entsteht eine starke Deklination nach dem Muster von Käse. zurück

    10 Laut Köpcke (2005: 71) sind es etwa 20 Substantive. Abgesehen von Käse handelt es sich dabei aber um Ausdrücke mit niedriger Frequenz bzw. Zugehörigkeit zu besonderen soziolektalen oder fachlichen Wortschätzen (z.B. Vize, Steppke, Piefke, Smutje). zurück

    11 Im mentalen Lexikon eines Sprechers sind zwar flektierte Formen gespeichert, aber nicht notwendigerweise alle Formen eines Paradigmas bzw. alle Paradigmen. Als Basis für Analogiebildungen können auch Einzelbeispiele dienen, die frequent oder hervorstechend sind und in phonologischer, morphologischer oder syntaktischer Hinsicht eine besondere Ähnlichkeit aufweisen. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, welche Rolle Paradigmen oder auch Prototypen für die Orientierung der Sprecher spielen. Vgl. hierzu Becker (1994:47f., 53–62); Peschel (2009: 46); Paul (1880/1920: 109); anders Köpcke und Wegner (2007: 42f.), die die psycholinguistische Relevanz von Prototypen herausstellen sowie Wurzel (1984: 88, 118) und Bittner (1991: 130–136), die für übergeordnete Flexionsprinzipien eine kognitive Realität annehmen. zurück

    12 Ein standardsprachliches Vorbild für ein -ens-Suffix, das konsonantisch auslautenden Stämmen affigiert wird (wie bei Graf-ens), findet sich nur bei sibilantisch auslautenden Namen (Leibniz-ens Werke, Marx-ens Theorie) sowie bei den unregelmäßig flektierenden Substantiven Herz/Herz-ens und Fels/Fels-ens, die allerdings Parallelformen im Genitiv (Herz-es) bzw. im Nominativ und Genitiv (Fels/Felsen; Fels-es/Felsen-s) aufweisen. Insgesamt ist die Frequenz dieser Formen zu niedrig, um starke analogische Wirkung zu entfalten. zurück

    13 Auch –ens- als Fugenelement (Schmerz-ens-geld, Mensch-ens-kind) kann ähnlich motiviert sein. Dass dieses Muster eine gewisse Produktivität hat, zeigen Belege wie Beamtenstocher, Arztensgattin bei Ljungerud (1955: 60). zurück

    14 Ein Beispiel für einen entsprechenden Phraseologismus mit schwach flektiertem Substantiv ist Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, der zwar im Internet sehr viele Treffer erzielt, offenbar aber keine starke analogisierende Wirkung entfaltet, was möglicherweise mit der erwähnten mangelnden Genitivmarkierung zusammenhängt. zurück

    15 Die Gruppe der schw. deklinierten Neutra umfasste nur vier Substantive: daz herza, ouga, ora, wanga, von denen wanga im Nhd. das Genus wechselte (Becker 1995: 60). zurück

    16 Paul (1917: 34) hat diese Beschränkung im Blick, wenn er schreibt, nach längerem Schwanken seien die normabweichenden Genitive "aus der Literatur wieder ausgestoßen". Welche Diskrepanz bestand zwischen der normorientierten Schriftsprache einer dünnen Schicht gymnasial und akademisch Gebildeter und dem Sprachgebauch der großen Mehrzahl, zeigt Elspaß (2004) anhand privater Briefe aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. zurück


    6 Literatur

    Antesperg, Johann Balthasar von (1747): Die Kayserliche Deutsche Grammatick oder Kunst, die deutsche Sprache recht zu reden und ohne Fehler zu schreiben. Wien.

    Appel, Elsbeth (1941): Vom Fehlen des Genitiv-S. München.

    Becker, Thomas (1994): "Die Erklärung von Sprachwandel durch Sprachverwendung am Beispiel der deutschen Substantivflexion". In: Köpcke, Klaus-Michael (Hg.): Funktionale Untersuchungen zur deutschen Nominal- und Verbalmorphologie. Tübingen: 45–64.

    Bittner, Dagmar (1991): "Von starken Feminina und schwachen Maskulina. Die neuhochdeutsche Substantivflexion – Eine Systemanalyse im Rahmen der natürlichen Morphologie". Jena. (Wiederabgedr. in: ZAS-Papers in Linguistics 31).

    Duden, Bd. 4 (2005): Die Grammatik. Mannheim usw. 7., v. Peter Eisenberg völlig neu bearb. und erw. Aufl.

    Duden, Bd. 9 (2007): Richtiges und gutes Deutsch. Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle. Bearb. v. Peter Eisenberg unter Mitwirkung von Franziska Münzberg u. Kathrin Runkel-Razum. Mannheim usw. 6., vollst. überarb. Aufl.

    Dürscheid, Christa (2007): "Quo vadis, Casus? Zur Entwicklung der Kasusmarkierung im Deutschen". In: Lenk, Hartmut E. H./Walter, Maik (Hg.): Wahlverwandtschaften. Valenzen – Verben – Varietäten. Festschr. f. Klaus Welke. Hildesheim usw.: 89–112.

    Eike, Christian Hirsch (1979): Mehr Deutsch für Besserwisser. Hamburg.

    Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Band 1. Das Wort. Stuttgart, 3. Aufl.

    Elspaß, Stephan (2004): "Standardisierung des Deutschen. Ansichten aus der neueren Sprachgeschichte 'von unten'". In: Eichinger, Ludwig M./Kallmeyer, Werner (Hg.): Standardvariation. Wieviel Variation verträgt die deutsche Sprache. Berlin usw.: 63–99.

    Heringer, Hans Jürgen (1989): Grammatik und Stil. Praktische Grammatik des Deutschen. Frankfurt/M.

    Hock, Hans Henrich/Joseph, Brian D. (1996): Language History, Language Change, and Language Relationship. An Introduction to Historical and Comparative Linguistics. Berlin usw.

    Joeres, Rolf (1996): "Der Friede oder der Frieden. Ein Normproblem der Substantivflexion". Sprachwissenschaft 21/3: 301–336.

    Köpcke, Klaus-Michael (1995): "Die Klassifikation der schwachen Maskulina in der deutschen Gegenwartssprache". Zeitschrift für Sprachwissenschaft 14/2: 159–180.

    Köpcke, Klaus-Michael (2000a): "Chaos und Ordnung – Zur semantischen Remotivierung einer Deklinationsklasse im Übergang vom Mhd. zum Nhd". In: Bittner, A. et al. (Hg.): Angemessene Strukturen: Systemorganisation in Phonologie, Morphologie und Syntax. Hildesheim usw.: 107–122.

    Köpcke, Klaus-Michael (2000b): "Starkes, Schwaches und Gemischtes in der Substantivflexion des Deutschen. Was weiß der Sprecher über die Deklinationsparadigmen?" In: Thieroff, Rolf/Tamrat, Matthias/Fuhrhop, Nanna/Teuber, Oliver (Hg.): Deutsche Grammatik in Theorie und Praxis. Tübingen: 155–169.

    Köpcke, Klaus-Michael (2005): "Die Prinzessin küsst den Prinz – Fehler oder gelebter Sprachwandel?"Didaktik Deutsch 18/2005: 67–83.

    Lindgren, Kaj B. (1953): "Mhd. - Genitivformen auf -ens". Annales Academiae Scientiarum Fennicae Ser. B, Bd. 84: 667–672.

    Ljungerud, Ivar (1955): Zur Nominalflexion in der deutschen Literatursprache nach 1900. Lund/Kopenhagen.

    Paul, Hermann (1880/1920): Prinzipien der Sprachgeschichte. Halle. 5. Aufl.

    Paul, Hermann (1917): Deutsche Grammatik. Band II, Teil III. Flexionslehre. Halle.

    Peschel, Corinna (2009): "Grammatische Zweifelsfälle als Thema des Deutschunterrichts? Das Beispiel der 'schwachen Maskulina'". In: Hennig, Mathilde/Müller, Christoph (Hg): Wie normal ist die Norm? Sprachliche Normen im Spannungsfeld von Sprachwissenschaft, Sprachöffentlichkeit und Sprachdidaktik. Kassel: 39–59.

    Poitou, Jacques (2004): "Prototypentheorie und Flexionsmorphologie". Linguistik online 19: 72–93. www.linguistik-online.de/19_04/poitou.pdf.

    Polenz, Peter von (1994): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band 2: 17. und 18. Jahrhundert. Berlin usw.

    Polenz, Peter von (1999): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band 3: 19. und 20. Jahrhundert. Berlin usw.

    Reiffenstein, Ingo (2009): "Sprachvariation im 18. Jahrhundert. Die Briefe der Familie Mozart". 2 Teile. Zeitschrift für Germanistische Linguistik H.1: 47–80; H.2: 203–220.

    Thieroff, Rolf (2003): "Die Bedienung des Automatens durch den Mensch. Deklination der schwachen Maskulina als Zweifelsfall". Linguistik online 16: 106–116. http://www.linguistik-online.de/16_03/thieroff.pdf.

    Wahrig (2006): Deutsches Wörterbuch. Mit einem Lexikon der Sprachlehre, hg. v. Renate Wahrig-Burfeind. Gütersloh.

    Wahrig (2009): Richtiges Deutsch leicht gemacht. (Autor des Grammatik-Kap. Rolf Thieroff). Gütersloh usw.

    Wegener, Heide (2007): "Entwicklungen im heutigen Deutsch – wird Deutsch einfacher?" In: Deutsche Sprache 35/H.1: 35–61.

    Wegera, Klaus-Peter (1987): Grammatik des Frühneuhochdeutschen. Band III: Flexion der Substantive. Heidelberg.

    Wegera, Klaus-Peter (2000a): "Morphologie des Frühneuhochdeutschen". In: Besch, Werner/Betten, Anne/Reichmann, Oskar/Sonderegger, Stefan (Hg.) (1998–2004): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. = HSK. 4 Teilbde. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl. Berlin usw.: 1542-1554.

    Wegera, Klaus-Peter (2000b): "Morphologie des Neuhochdeutschen seit dem 17. Jahrhundert". In: Besch, Werner/Betten, Anne/Reichmann, Oskar/Sonderegger, Stefan (Hg.) (1998–2004): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. = HSK. 4 Teilbde. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl. Berlin usw.: 1810-1818.

    Wurzel, Wolfgang Ullrich (1984): Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. Ein Beitrag zur morphologischen Theoriebildung. Berlin.

    Wurzel, Wolfgang Ullrich (1994): "Gibt es im Deutschen noch eine einheitliche Substantivflexion? Oder: Auf welche Weise ist die deutsche Substantivflexion möglichst angemessen zu erfassen?" In: Köpcke, Klaus-Michael (Hg): Funktionale Untersuchungen zur deutschen Nominal- und Verbalmorphologie. Tübingen: 29–44.


    7 Anhang: Rangfolge der Häufigkeiten (Stand März 2011)

    Die Listen führen getrennt nach Varianten und Korpora die kasusaugmentierenden und stammaffigierenden Genitive für die Korpussubstantive in der Rangfolge ihrer Häufigkeit auf. Genannt werden jeweils der Prototyp und die Untergruppe, der das Substantiv angehört (PI bzw. II = Prototyp I bzw. II), die Trefferzahl und der prozentuale Anteil, den die Formen der Genitivvariante an der Gesamtzahl der Genitivformen des jeweiligen Substantivs haben. Die Anteile unter 0,5% sind nicht einzeln aufgegliedert.

    * bedeutet, dass die Zahl oder der Anteil der betreffenden Genitivform wegen sporadischer Homonyme geschätzt werden musste.

    ** bedeutet, dass die Zahl oder der Anteil der betreffenden Genitivform wegen zu häufiger Homonymien nicht ermittelt werden konnte.

    Kasusaugmentierend/Google:

    > 0,5%
    (1) Bauerns P I, 3 12.000 8,0%
    (2) Affens P I, 4 16.700 6,8%
    (3) Nachbarns P I, 3 23.000 6,0%
    (4) Heldens P I, 5 11.400 5,7%
    (5) Neffens P I, 2 7.122 5,0%
    (6) Narrens P I, 5 1.430 5,0%
    (7) Schurkens P I, 2 4.400 3,5%
    (8) Planetens P II, 4 11.100 3,2%
    (9) Automatens P II, 5 2.100 3,1%
    (10) Zeugens P I, 2 3.720 3,0%
    (11) Hasens P I, 4 10.800 2,8%
    (12) Elefantens P II, 3 1.600 2,8%
    (13)*Vorfahrens P I, 3 4.500 2,5%
    (14) Bärens P I, 6 4.500 2,4%
    (15) Menschens P I, 5 177.000 2,2%
    (16) Bubens P I, 5 1.000 1,5%
    (17) Grafens P I, 5 7.450 1,5%
    (18) Prinzens PI, 5 4.400 1,3%
    (19) Fürstens PI, 5 9.200 1,0%
    (20) Kollegens P I, 1 8.500 0,9%
    (21) Gesellens P I, 1 150 0,7%
    (22) Psychologens P I, 1 750 0,6%
    (23) Kometens P II,4 650 0,5%
    (24) Kundens P I, 2 173.000 0,5%

    <0,5%
    GattensP I, 24.600
    MatrosensP I, 170
    ArchitektensP II, 11.220
    TherapeutensP I, 1260
    BarbarensP II, 2100
    DirigentensP II, 1300
    Fotografens P II, 16.000
    KandidatensP II, 1330
    KomponistensP II, 1170
    PatientensP II, 11.600
    PilotensP II, 11.740
    PiratensP II, 2800
    PolizistensP II, 1520
    PräsidentensP II, 1130
    SoldatensP II, 21.200
    StudentensP II, 2600
    DiamantensP II, 5200
    MagnetensP II, 4400
    Paragraph(/f)ensP II, 51.670
    **JungensP I, 220.730
    **Herr(e)nsP I, 58.800
    **SchützensP I, 2?
    LeopardensP II, 30
    VagabundensP II, 10

    Kasusaugmentierend/Cosmas II:

    > 0,5%
    (1) VorfahrensP I, 3256,8 %
    (2) HasensP I, 4243,1%
    (3) NeffensP I, 2262,3%
    (4) MenschensP I, 5701,6%
    (5) ZeugensP I, 2291,0%
    (6) NarrensP I, 530,8%
    (7) AffensP I, 420,5%
    (8) NachbarnsP I, 3330,5%
    (9) BauernsP I, 3290,5%

    <0,5%
    HeldensP I, 57
    KollegensP I, 12
    PsychologensP I, 11
    GattensP I, 213
    KundensP I, 226
    BubensP I, 53
    GrafensPI, 51
    FürstensPI, 53
    PrinzensPI, 57
    BärensP I, 67
    FotografensP II, 111
    KandidatensP II, 12
    KomponistensP II, 11
    PlanetensP II, 44
    **JungensP I, 223
    GesellensP I, 10
    MatrosensP I, 10
    SchützensP I, 20
    SchurkensP I, 20
    Herr(e)nsPI, 50
    BarbarensP I, 20
    PilotensP I, 20
    PiratensP I, 20
    SoldatensP I, 20
    StudentensP I, 20
    TherapeutensP II, 10
    DirigentensP II, 10
    VagabundensP II, 10
    PatientensP II, 10
    PolizistensP II, 10
    PräsidentensP II, 10
    ArchitektensP II, 10
    LeopardensP II, 30
    ElefantensP II, 30
    MagnetensP II, 40
    KometensP II, 40
    AutomatensP II, 50
    DiamantensP II, 50
    Paragraph(f)ensP II, 50

    Stammaffigierend/Google:

    > 0,5%
    (1) MagnetsP II, 420.00014,2%
    (2) NachbarsP I ,345.00012,0%
    (3) *BauersP I, 310.0006,5%
    (4) AutomatsP II , 53.0004,3%
    (5) NarrsP I, 59303,2 %
    (6) BärsP I, 66.0003,2%
    (7) GrafsP I, 516.2003,0%
    (8) *ElefantsP II, 313002,2%
    (9) BarbarsP II , 212002,0%
    (10) BubsP I, 51.2001,8%
    (11) VorfahrsP I, 32.4301,3%
    (12) *PlanetsP II, 44.5001,3%
    (13) HeldsP I, 520501,0%
    (14) KometsP II, 49000,7%

    < 0,5%
    MenschsP I, 51.120
    FürstsP I, 5820
    PrinzesP I, 5860
    ArchitektsP II, 11.340
    TherapeutsP II, 1160
    VagabundsP II, 155
    *DirigentsP II, 1100
    FotografsP II, 13.000
    KandidatsP II, 1200
    Polizist(e)sP II, 1270
    PräsidentsP II, 1270
    KomponistsP II, 1200
    SoldatsP II , 2500
    Paragraph(f)sP II , 55.270
    **HerrsP I, 5600
    **PatientsP II, 1?
    **PilotsP II, 2?
    **PiratsP II, 2?
    **StudentsP II, 2?
    **LeopardsP II, 3?
    **DiamantsP II, 5?

    Stammaffigierend/Cosmas II:

    > 0,5%
    (1) NachbarsP I, 31.67126,0%
    (2) MagnetsP II, 488,0%
    (3) BärsP I, 6412,0%
    (4) BauersP I, 31051,7%
    (5) VorfahrsP I, 361,2%
    (6) BubsP I, 5210,6%

    < 0,5%
    TherapeutsP II, 15
    ArchitektsP II,17
    FotografsP II,15
    KandidatsP II,11
    Polizist(e)sP II,11
    VagabundsP II,11
    PilotsP II, 29
    ElefantsP II, 33
    AutomatsP II, 52
    Paragraph(f)s P II, 53
    DiamantsP II, 52
    HerrsP I, 50
    NarrsP I, 50
    HeldsP I, 50
    MenschsP I, 50
    FürstsP I, 50
    PrinzesP I, 50
    GrafsP I, 50
    BarbarsP II, 20
    StudentsP II, 20
    SoldatsP II, 20
    PiratsP II, 20
    DirigentsP II, 10
    PatientsP II, 10
    PräsidentP II, 10
    LeopardP II, 30
    Planets,P II, 4 0
    KometsP II, 4 0
    KomponistsP II, 10