Mellado Blanco, Carmen (ed.) (2009): Theorie und Praxis der idiomatischen Wörterbücher. Tübingen: Niemeyer. (LEXICOGRAFICA. Series Maior.)
Der zu besprechende Sammelband gliedert sich in zwei Teile. Dem ersten mit sechs Beiträgen zur einsprachigen Phraseografie (S. 23–145) folgt ein zweiter mit fünf Arbeiten zur zweisprachigen (S. 147–250). Jedem Aufsatz geht ein Abstract in englischer Sprache voraus. Kurzbiographien der Autoren und der Herausgeberin runden den Band ab (S. 251–255).
Diese elf Beiträge international angesehener Experten in Phraseologie, Phraseografie und Korpuslinguistik gewähren aus verschiedenen Perspektiven einen repräsentativen und umfassenden Einblick in Forschungsstand und aktuelle Tendenzen der ein- und zweisprachigen lexikografischen Phraseologie. Deshalb ist dieser von Fachleuten internationalen Ranges verfasste Sammelband, das sei jetzt schon vorweggenommen, unentbehrlich nicht nur für Phraseologen und Phraseografen, sondern auch für Lexikologen und Lexikografen, und darüber hinaus empfehlenswert für alle an Deutsch als Fremdsprache Interessierten. Drucktechnisch gesehen fallen als einziger negativer Aspekt etliche unangebrachte Silbentrennungen unangenehm auf, die aber der inhaltlichen Qualität keinen Abbruch tun.
Die Herausgeberin Carmen Mellado Blanco weist in ihrer "Einführung. Idiomatische Wörterbücher und Metaphraseografie: zwei Realitäten, eine Herausforderung" (S. 1–20) ausdrücklich auf die "Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit" (S. 2) hin, die das Wünschenswerte und Erwartbare von dem trennt, was Wörterbücher zum jetzigen Zeitpunkt wirklich zu leisten imstande sind.
In ihrer fachkundigen Zusammenschau und Analyse der wesentlichsten Forschungsergebnisse der einzelnen Beiträge hebt sie die offensichtlichen Schwächen der Wörterbücher ebenso hervor wie die neuen, zukunftsweisenden Tendenzen in der Phraseografie, allen voran die Korpusbasiertheit und die verstärkte Benutzerorientiertheit, die eine zukünftige Verbesserung der Wörterbücher in Aussicht stellen.
Der erste Teil des Sammelbandes, die Einsprachige Phraseografie (S. 23–145), wird von Harald Burger eröffnet, einem der Pioniere der modernen deutschsprachigen Phraseologieforschung. In seinem Aufsatz "Semantische Aspekte der deutschen Phraseografie: die aktuelle Praxis – allgemeine und phraseologische Wörterbücher im Vergleich" (S. 23–44) würdigt er einleitend den Umstand, dass in den letzten 25 Jahren Erkenntnisse der Phraseologieforschung wenigstens teilweise in die Gestaltung von Wörterbüchern eingeflossen seien und gibt gleichzeitig zu bedenken, dass Linguisten keine "unrealistischen Forderungen" (S. 23) an die Phraseografie stellen sollten. In seiner akribisch genauen Analyse semantischer und pragmatischer Aspekte in den derzeit repräsentativsten allgemeinen und phraseologischen Wörterbüchern deckt er trotz der angesprochenen Verbesserungen Mängel in wesentlichen Bereichen auf.
Als zu erwartendes Minimum sollten laut Burger Idiom, Teil-Idiom, Kollokation, Routineformel und Sprichwort (S. 24) als Phrasemklassen in der Einleitung theoretisch fundiert beschrieben und in den Wörterbuchartikeln entsprechend dargeboten werden. In diesem Zusammenhang beklagt er den Umstand, dass Kollokationen aufgrund einer mangelhaften theoretischen Basis der Wörterbücher oft nicht als solche erkannt und als phraseologische Einheiten behandelt würden, sondern stattdessen unter den Beispielen auftauchen. Die Aufnahme von Sprichwörtern ist zweifelsohne eine ebenso begrüßenswerte wie ehrgeizige Forderung, die auch von Dobrovol'skij (im rezensierten Band) erhoben wird. Ihre umfassende und befriedigende Wiedergabe würde eine neue Herausforderung an die Wörterbücher bedeuten, vielleicht sogar eine der oben angesprochenen "unrealistischen Forderungen".
Als Probleme der Makrostruktur ergibt sich bei Phraseologismen aufgrund ihrer Mehrgliedrigkeit die Frage, nach welchem ihrer Bestandteile sie in das Alphabetisierungsschema (v.a. in allgemeinsprachlichen Wörterbüchern) einzugliedern sind. Vielfach geschieht dies nach Wortarten, so etwa bei Schemann (1993: XVI-XVII): das Phrasem erscheint unter dem ersten Substantiv, falls keines vorhanden unter dem ersten Verb, dann folgen Adjektiv oder Adverb. Im Gegensatz zu dieser Einordnung nach formalen Kriterien schlägt Burger für Kollokationen und teilidiomatische Phraseologismen vor, auch auf semantische Kriterien zurückzugreifen und sie unter der Komponente zu platzieren, die ihre freie Bedeutung beibehält (S. 31). Diese Lösung mag vom phraseologischen Standpunkt aus interessant sein, steht aber der Benutzerfreundlichkeit im Weg, da es sowohl für Muttersprachler und erst recht für Sprachlerner nicht ohne weiteres festzustellen ist, welches Wort (wenn überhaupt eines) seine freie Bedeutung beibehält, da dies vom Benutzer eine nicht unbedeutende Sprach- und Fachkenntnis erfordert, die nicht immer vorhanden sein wird. Denn wer die Bedeutung eines Phrasems nicht kennt (und sie deshalb im Wörterbuch nachschlägt), kann schwerlich wissen, welcher der Bestandteile seine freie Bedeutung beibehält. Wie kompliziert und umstritten diese Thematik ist, belegt ein Vorschlag von Wiegand (2010: 169), Phraseme unter ihrem ersten Inhaltswort einzutragen, Phraseme ohne Inhaltswort nach ihrer gesamten Nennform. In Idiomen auftretende unikale Elemente wie Holzweg oder Kerbholz (auf dem Holzweg sein, etwas auf dem Kerbholz haben) gelten allerdings nicht als Inhaltswörter (was wieder nicht allen Wörterbuchbenutzern bekannt sein dürfte). Ähnlich aber etwas unklarer verfährt auch der Duden 11 (2008), wenn die Einordnung "nach dem jeweils ersten oder wichtigsten sinntragenden Wort" (S. 17) erfolgt (was soll unter dem "wichtigsten" sinntragenden Wort verstanden werden?). Das Phrasem jemandem blauen Dunst vormachen müsste man demnach je nach verwendetem Alphabetisierungssystem unter dem Substantiv Dunst suchen, unter dem ersten Inhaltswort (blau) oder unter dem Lexem, das seine wörtliche Bedeutung beibehält, also vormachen. Für Schemann (im rezensierten Band) stellt das Fehlen eines einheitlichen Alphabetisierungssystems "die größte Schwäche oder das dringendste Desideratum der gesamten Lexikologie" (S. 104) überhaupt dar. Aus der Sicht des Benutzers wäre ein vereinheitlichtes, formalbasiertes System als das am einfachsten zu handhabende wünschenswert.
Hinsichtlich der Mikrostruktur weist Burger als besonders heikles Probleme auf den vielen Phrasemen eigenen semantischen und pragmatischen Mehrwert hin, der aber bei der Paraphrasierung oft nicht zum Ausdruck komme. Dies gelte auch für die im phraseologischen Bestand (im Gegensatz zur restlichen Lexik) relativ häufig auftretende Synonymie bzw. Quasi-Synonymie (vgl. dazu auch den Beitrag von Schemann). Phraseme wie jmdn. übers Ohr hauen, jmdn. hinters Licht führen, jmdn. an der Nase herumführen, jmdn. über den Löffel barbieren/balbieren (S. 33) als synonym anzusehen und schlicht und einfach mit 'betrügen' zu "definieren" ohne weiter zu differenzieren, ist semantisch zweifellos unzureichend. Für eine zuverlässige Präzisierung der Bedeutungen hält Burger eine Korpusanalyse für unumgänglich (S. 35).
In seinem Aufsatz "'Haben die Männer am Grill die Hosen an?' Phraseografie und Sprachwirklichkeit" (S. 45–64) geht Stefan Ettinger der Frage nach, wie eine treffende phraseografische Bedeutungsumschreibung der Redewendung die Hosen anhaben auszusehen habe. Zur Beantwortung dieser Frage greift er auf eine Korpusuntersuchung zurück, die er, im Einklang mit der gegenwärtigen Forschungstendenz, für unerlässlich hält, um sicherzustellen, "dass phraseologische Wörterbücher die tatsächliche Sprachwirklichkeit widerspiegeln" (S. 50).
Unter Ausnutzung von im Internet zur Verfügung stehenden Korpora gelingt es dem Verfasser, insgesamt 11 Verwendungsweisen herauszufiltern, die sich durch Bedeutungserweiterungen herausgebildet haben. Aufgrund der derzeit (noch?) fehlenden Datierungsmöglichkeiten der einzelnen Bedeutungserweiterungen ist die Arbeit nicht als diachrone Studie konzipiert, sondern bildet die heutige Bedeutungsstruktur des Phrasems ab. Ausgehend vom ursprünglichen Gebrauch, bezogen auf die (kritisierte, weil gegen soziale Konventionen verstoßende) Dominanz der Frau zunächst in der Ehe, später auch im öffentlichen Leben, streicht Ettinger als besonders wichtigen Schritt heraus, dass die Wendung auch auf Männer bezogen und schließlich auch auf bestimmte Personenkollektiva (Sportmannschaften, Parteien, etc.) ausgeweitet wird. Die ursprünglich negativen Konnotationen können dabei in den Hintergrund treten oder ganz verloren gehen.
Auf der Basis dieser Ergebnisse entwickelt Ettinger seinen höchst detaillierten "Vorschlag für eine aktualisierte Umschreibung der Redewendung" (S. 59). Eine derartige Darstellung, die semantisch gesehen von einer polysemen Bedeutungsstruktur des Phraseologismus ausgeht, ist zweifelsohne für einen Wörterbuchbenutzer um vieles aufschlussreicher als eine auf dem Prinzip der Vagheit beruhende Beschreibung, wie sie in der Regel in Wörterbüchern (nicht zuletzt aus Platzgründen) bevorzugt wird, die eine allgemeine Grundbedeutung ansetzt, von der dann alle Verwendungsmöglichkeiten abzuleiten sein sollten. Neueren Untersuchungen zufolge ist Polysemie bei Phraseologismen öfter anzutreffen als bisher angenommen (Hümmer/Sthati 2006: 376). Hier hat sich ein neues Forschungsgebiet aufgetan, zu dem auch Filipenko (im rezensierten Band) einen Beitrag leistet.
Vida Jesenšek stellt in ihrem Beitrag "Phraseologische Wörterbücher auf dem Weg zu Phraseologiedatenbanken" (S. 65–81) die im Rahmen eines EU-geförderten Projekts ausgearbeitete EPHRAS-Datenbank vor, die mehr als 4000 didaktisch relevante Phraseme der Sprachen Deutsch, Slowenisch, Slowakisch und Ungarisch enthält. Dabei wurden ausgehend vom Deutschen nur solche gebräuchliche Phraseme aufgenommen, die mehr als 50% der befragten Muttersprachler bekannt waren.
In dieser vornehmlich für Fremdsprachenlerner und –lehrer konzipierten Datenbank, die auch über einen multimedial gestützten Übungsteil verfügt, sind alle Phraseme nach einem ausführlichen, einheitlichen und theoretisch fundierten Beschreibungsmodell dargestellt, das formal-strukturelle, grammatische, semantische und stilistisch-pragmatische Informationen enthält. Dazu kommen für jedes Phrasem authentische Textbelege, also keine konstruierten Beispiele. Dank der hypertextartigen Struktur hat der Benutzer leichten Zugriff auf die Daten, sowohl innerhalb einer Sprache als auch zwischensprachlich.
Die Wörterbücher der Zukunft sind nach Ansicht der Autorin, die sie mit überzeugenden Argumenten stützt, elektronische Datenbanken, da sie mannigfaltige Vorteile bieten. Die wichtigsten, zukunftsweisenden Gründe seien in der Folge kurz zusammengefasst: Da die aus den Printmedien bekannte Beschränkung des Umfangs entfällt, wird eine umfassende, kompromissfreie Behandlung (mit Beispielen, Belegen) der Phraseme möglich. Eine Datenbank kann relativ unaufwändig aktualisiert, erweitert und verbessert werden und bietet schnellen Zugriff über verschiedene Suchabfragen. Webbasierte Datenbanken können miteinander verlinkt werden. Zudem können Datenbanken als Ausgangsbasis zur Erstellung von benutzerspezifischen (gedruckten) Wörterbüchern dienen.
Zu bedauern ist aus der Sicht des Rezensenten allerdings, dass die vorgestellte Datenbank nicht internetbasiert ist sondern als CD-ROM Version vorliegt, wodurch einige der angeführten Vorteile wieder neutralisiert werden. Es besteht lediglich die Möglichkeit, eine Demo-Version online zu testen (http://forum.ephras.org/index.php).
In ihrem Aufsatz "Dialektale Phraseografie – Randerscheinung, Ergänzung oder Herausforderung einer modernen Phraseografie?" (S. 83–100) beschreitet Elisabeth Piirainen einen innovativen Weg, indem sie sich mit bisher nicht untersuchten "kleinräumig gültigen, nichtstandardsprachlichen, vorwiegend mündlich existierenden Varietäten" (S. 84) befasst, konkret mit der westmünsterländischen Mundart. Dabei geht es der Autorin nicht in erster Linie um die "Dokumentation dieser moribunden dialektalen Varietät" (S. 85), sie verspricht sich vielmehr "Impulse für aktuelle phraseografische Fragestellungen" (S. 84).
In diesem Sinn stellt die Autorin etwa fest, dass es im Münsterländischen auffallend viele usualisierte Wortspiele sowie Idiome mit geschlechtsspezifischen Gebrauchsrestriktionen gibt. Derartige Beobachtungen am Dialekt haben ihre Aufmerksamkeit auf diese bisher im Standarddeutschen vernachlässigten Themen gelenkt. Diesbezügliche Forschungsergebnisse der Autorin haben erfreulicherweise ihren Niederschlag in einem Wörterbuch gefunden (S. 91), nämlich im Duden 11 (2002), u.a. bei Haare auf den Zähnen haben, wo als Restriktion explizit "bes. in Bezug auf weibliche Personen" aufgenommen wurde, was in der vorangehenden Edition (1992) nur implizit erschließbar war.
Piirainens Dialektuntersuchung basiert nicht auf einer Korpusanalyse, sondern auf rund 50 älteren, kompetenten Informanten aus verschiedenen Ortschaften und Berufsschichten (S. 93). Sie warnt eindringlich davor, bei der Beschreibung von Phraseologismen ausschließlich auf Textkorpora zurückzugreifen und fordert auch den zusätzlichen Einsatz von Informantenbefragungen zur Absicherung der Ergebnisse.
Zusammenfassend weist sie zu Recht auf einen "Nachholbedarf in verschiedenen Bereichen der empirischen Forschung" (S. 97) hin und plädiert dabei für die verstärkte Einbeziehung von Dialekten, Umgangssprachen und Spontansprache, um das derzeitige Übergewicht von Schriftsprache und Textkorpora auszugleichen.
Hans Schemann beschäftigt sich in seinem Beitrag "Zur Anlage idiomatischer Wörterbücher. Einige Maximen und Reflexionen" (S. 101–117) mit dem (sekundären) Alphabetisierungsschema, den Beispielen und der Synonymie. Wie bei der Besprechung von Burgers Aufsatz schon erwähnt, prangert er das Fehlen eines einheitlichen (sekundären) Alphabetisierungsschemas an und fordert nachhaltig die Ausarbeitung von Kriterien zur Vereinheitlichung.
Hinsichtlich der Beispiele stellt er fest: "Der Wert eines idiomatischen Wörterbuchs steht und fällt maßgeblich mit seinen Beispielen" (S. 105). Seiner Auffassung nach kann ein gutes Beispiel einen Ausdruck vollständig erklären, besser als eine Definition, die allenfalls "in dienender Funktion" (S. 109) eine Daseinsberechtigung habe. Aufgrund dieser Überlegungen verzichtet er auch in seinem phraseologischen Wörterbuch (Schemann 1993) auf Definitionen, womit er radikal von der allgemeinen Praxis abweicht.
Besonders breiten Raum widmet Schemann seinen Betrachtungen über Synonymie, die "im nicht-idiomatischen Wortschatz (sehr) selten, im idiomatischen Wortschatz (sehr) häufig" auftrete, und zwar in vielen Fällen aufgrund einer Bedeutungsübertragung, wie etwa jmdm. eine kleben/schmieren/knallen/… 'eine Ohrfeige geben'. In diesem Zusammenhang hebt er den "schöpferischen geistigen Prozess in der sprachlichen Kommunikation" (S. 113) hervor. Die Bildhaftigkeit der Idiomatik symbolisiere also "nicht Bedeutung als 'Funktion', sondern Bedeutung als geistige 'Operation'" (S. 113). An Burgers Beitrag anknüpfend ist allerdings zu fragen, ob alle derartigen als synonym angesehenen Phraseme es auch tatsächlich sind, oder ob sich nicht doch Bedeutungsunterschiede herausarbeiten lassen, es sich also um Pseudo- oder Teilsynonyme handelt.
Im Gegensatz zu der in letzter Zeit häufiger gewordenen Forderung, jede Klasse von Phrasemen in einem separaten Wörterbuch zu behandeln, hält er die Trennung von allgemeiner Lexikologie und Lexikologie der Idiomatik für eine "Sackgasse" (S. 116) und befürwortet die Integrierung der idiomatischen Wörterbücher in die allgemeinsprachlichen.
Um das viel zitierte "Wörterbuch von morgen" zu schaffen genüge es seines Erachtens nicht, mithilfe der Korpusanalyse lediglich die Materialbasis auszuweiten, weit wichtiger sei es, dass die Wörterbücher von Lexikografen verfasst würden, "die ihre Sprache und das lexikologische Handwerk beherrschen" (S. 115), "die in ihrer Aufgabe zugleich eine Wissenschaft und eine Kunst sehen" (S. 116). Hier - wie auch im gesamten Aufsatz - zeigt sich Schemann als vehementer und wortgewandter Verfechter der zentralen Rolle des menschlichen Geistes, der Kreativität, Intuition und Sprachbeherrschung, ohne die die vom "fleißigen Vollidioten Computer" (Hausmann 2004: 320) zusammengetragenen Daten nicht viel wert sind.
In ihrem Aufsatz "Zwischen theoretischer Modellierung und praxisnaher Anwendung. Zur korpusgesteuerten Beschreibung usueller Wortverbindungen" (S. 119–145) vertritt Kathrin Steyer einen korpusgesteuerten Ansatz, d. h. sie bedient sich des Korpus nicht, um bestimmte, schon bekannte Erscheinungen zu belegen oder zu überprüfen, sondern um neue Phänomene zu entdecken. Sie ist auf der Suche nach usuellen Wortverbindungen, das sind "konventionalisierte Muster des Sprachgebrauchs, die in rekurrenten, also wiederkehrenden, syntaktischen Strukturen manifest werden" (S. 129) und "einen statistisch signifikanten Kohäsionsgrad" (S. 123) untereinander aufweisen, womit sie die phraseologischen Kriterien der Polylexikalität und der Festigkeit erfüllen. Derartige Verbindungen (im vorliegenden Fall mit dem Wort Idee) werden vom Computer mithilfe eines Kookkurrenzprogramms herausgefiltert und aufgelistet. Diese zunächst rein quantitativen Daten sind dann vom Linguisten qualitativ auszuwerten. Auf diese Weise ermittelt Steyer eine Reihe von mehr oder weniger stark lexikalisierten Wortverbindungen. Die am stärksten lexikalisierten Wortgruppen befinden sich "im Übergangsbereich zu unikal lexikalisierten Wortverbindungen" (S. 132), wie z.B. auf die/eine Idee kommen, wo kommen mit einer Bedeutung auftritt, die sich sonst nur in auf einen Gedanken kommen, aber in keinen anderen Verbindungen wiederholt. Am schwächsten (wenn überhaupt) lexikalisiert sind "Vorkommen mit systematischer lexikalischer Varianz", z.B. Bildungsmuster wie [ADJEKTIVpositiv] + Idee/Ideen (S. 132), also eine Verbindung von Idee mit positiv konnotierten Adjektiven. Als typische lexikalische Vertreter führt sie u. a. an: gut/zündend/toll/ schön/großartig/pfiffig. Bei den Vertretern dieser Gruppe stellt sich zunächst einmal die Frage, ob überhaupt noch von Festigkeit gesprochen werden kann. Es handelt sich eher um freie (besser gesagt: reguläre) Verbindungen, die Wörter aufgrund ihrer semantischen Eigenschaften eingehen.
Ein Verdienst dieses Ansatzes liegt zweifellos darin, dass seine Anwendungsszenarien über die Phraseologie hinausgehen, da Ausgangsmaterial für Lexikografie allgemein, Lehrmaterialien (Lexikon, Syntax) und Übersetzungshilfen geschaffen werden können. Damit verbunden ist allerdings das Problem, dass das Gebiet der Phraseologie eine Erweiterung erfährt, indem Wortkombinationen einbezogen werden, die nicht eigentlich fest und in keiner Weise irregulär sind, sondern nur relativ häufig zusammen auftreten. In den Schlussbemerkungen wird darüber noch zu erörtern sein.
Der zweite Teil des Bandes, die Zweisprachige Phraseografie (S. 147–250), umfasst fünf Beiträge.
In seiner Arbeit "Zur lexikografischen Repräsentation der Phraseme (mit Schwerpunkt auf zweisprachigen Wörterbüchern)" (S. 149–168) postuliert Dimitrij Dobrovol'skij vier zu behandelnde Phrasemklassen, nämlich Idiome (also die Mehrworteinheiten mit dem höchsten Irregularitätsgrad), Kollokationen (die aufgrund der willkürlichen Wahl des semantisch reduzierten Elements stabil sind), als Novum grammatische Phraseme (entweder … oder) und, ebenso wie Burger (im rezensierten Band), Sprichwörter. Routineformeln, die bei Burger als eigene Gruppe gelten, ordnet Dobrovol'skij aufgrund ihrer linguistischen Heterogenität verschiedenen Klassen zu; so rechnet er Grüß Gott! zu den Idiomen, Gute Besserung! zu den Kollokationen (S. 152). Seine Empfehlung, pro Wörterbuch nur eine Klasse zu behandeln (andernfalls käme nur eine elektronische Datenbank infrage) (S. 152), wirft für den Benutzer allerdings ein Problem auf, weil er sich nicht immer im Klaren sein wird, in welchem der vier Wörterbücher z. B. die oben angeführten Routineformeln zu finden sein könnten.
Besondere Beachtung verdienen seine Ausführungen über syntaktische Transformationen und Modifikationen der Phraseme wie Passivierung, Adjektiv-Einschub, Topikalisierung und anaphorische Pronominalisierung, die bei einigen Phrasemen möglich, bei anderen aber blockiert sind. Er gelangt zu dem Schluss, dass syntaktische Transformationen teilweise als Regeln formuliert und als (allerdings erst zu entwickelnde) Idiom-Grammatik in einem eigens dafür vorgesehenen Abschnitt im Wörterbuch als ökonomische Lösung eingegliedert werden könnten. So kann etwa als regelgeleitet angesehen werden, dass bei jmdn. an der Nase herumführen 'jmdn. betrügen' die Passivtransformation aufgrund der Phrasemstruktur (idiomexternes Subjekt) und der Semantik möglich, bei ins Gras beißen 'sterben', aber aus semantischen Gründen blockiert ist. Andere Phraseme entziehen sich diesen Regeln und sind in ihrem Transformationsverhalten einzeln im Rahmen des jeweiligen Wörterbucheintrags zu beschreiben.
Dobrovol'skij sondiert Neuland am Schnittpunkt zwischen Phraseologie und Grammatik, einerseits mit den grammatischen Phrasemen, andererseits mit der Idee, eine Idiom-Grammatik zu entwickeln, mit der Regularitäten im Irregulären beschreibbar gemacht werden könnten.
In ihrem Aufsatz "Darstellung von deutschen und russischen Idiomen in zweisprachigen Wörterbüchern" (S. 169–187) analysiert Tat'jana Filipenko zunächst kurz vier zweisprachige Wörterbücher des Sprachenpaars Deutsch-Russisch, bevor sie ausführlich auf das Projekt "Moderne Idiomatik. Deutsch-Russisches Wörterbuch" eingeht, an dem sie gemeinsam mit Dobrovol'skij arbeitet. Das Ziel dieses Wörterbuches liegt nicht in der vollständigen Erfassung des phraseologischen Bestandes, sondern es beschränkt sich auf die gebräuchlichsten Idiome, unter Ausschluss anderer Phrasemtypen.
Neben der funktionalen Äquivalenz, die zwischen lexikalischen Einheiten besteht, die in ihren Sprachen jeweils in der gleichen Situation verwendet werden können, weist sie besonders auf Probleme der Quasi-Äquivalenz und Pseudoäquivalenz (falsche Freunde) hin. Während Quasi-Äquivalente in vielen, aber nicht in allen Kontexten austauschbar sind, handelt es sich bei Pseudoäquivalenten um formal sehr ähnliche aber semantisch völlig unterschiedliche Wortverbindungen.
Ein besonders wichtiger Abschnitt der Arbeit befasst sich mit Polysemie in der Idiomatik. Korpusanalysen haben gezeigt, dass nicht immer alle Bedeutungen eines Phraseologismus im Wörterbuch erfasst sind. So hat etwa der Ausdruck jdm. das Fell über die Ohren ziehen nicht nur die Bedeutung 'jmdn. betrügen, ausbeuten, stark übervorteilen' (Duden 11, 1992) sondern auch 'jmdn. stark zurechtweisen; jdm. zeigen, dass man in bestimmter Hinsicht stärker ist' (S. 180). Genauso wie Ettinger (im rezensierten Band) weist Filipenko zu Recht darauf hin, dass Polysemie ein bislang wenig beachtetes Problem in der Phraseologieforschung darstellt.
Eva Glenk analysiert "Probleme der zweisprachigen Phraseografie: die kommunikative Äquivalenz der Formeln des Sprachenpaares brasilianisches Portugiesisch/Deutsch" (S. 189–208), wobei sie unter dem Begriff sprachliche Formeln die situationsgebundenen, relativ kontextunabhängigen Routineformeln (Höflichkeits-, Dankes-, Grußformeln) und die nicht situationsgebundenen aber kontextabhängigen gesprächsspezifischen Formeln (ich meine, offen gesagt, …) zusammenfasst.
Es handelt sich dabei um vorgeprägte, in bestimmten Situationen erwartbare Formulierungen, die zu Interaktionsmustern gehören, die, wie die Verfasserin zu Recht anführt, stark von der Sprachgemeinschaft geprägt sind. Eine kontrastive Gegenüberstellung in verschiedenen Sprachen ist deshalb so wertvoll, da sie "erheblich zum Erwerb dieser im interkulturellen Umgang so wesentlichen idiomatischen Kompetenz" (S. 206) beiträgt, wodurch Störungen und Probleme in fremdsprachlicher Kommunikation bei Nichteinhaltung eines Verhaltensmusters vermieden werden können.
Ziel der Autorin ist ein korpusbasiertes, zweisprachiges, polyfunktionales phraseologisches Wörterbuch mit einem semasiologischen und einem onomasiologischen Teil. Im semasiologischen Teil sind die Formeln alphabetisch aufgelistet, deren Bedeutung und Gebrauchsbedingungen metasprachlich umschrieben, durch ein Beispiel verdeutlicht und mit einem Verweis auf dazugehörige Interaktionsmuster (Scripts) versehen. Der onomasiologische Teil steht noch aus, da er mit erheblichem Arbeitsaufwand verbunden ist und relatives Neuland beschreitet, da eine große Datenmenge untersucht und onomasiologische Kataloge kritisch beleuchtet und diskutiert werden müssen. Im onomasiologischen Teil sollen Interaktionsmuster (Scripts) als Lemmata aufgelistet, beschrieben und mit Verweisen zu den entsprechenden sprachlichen Formeln versehen werden.
Die Veröffentlichung dieses Wörterbuchs würde eine Lücke füllen, da es sich um ein innovatives phraseologisches Spezialwörterbuch für ein Sprachenpaar handelt, das ohnedies nicht zu den am meisten erforschten und beschriebenen gehört.
Der Beitrag von Erla Hallsteinsdóttir hat die "Zweisprachige Phraseografie aus funktionaler Sicht" (S. 209–231) zum Thema. Den Ausgangspunkt bildet ein Forschungsprojekt zur Entwicklung einer "zweisprachige[n] Idiomdatenbank" (S. 210) mit isländischen und deutschen Phraseologismen, die jeweils in einem einsprachigen Modul erfasst und beschrieben werden, wobei mögliche äquivalente Phraseologismen durch Hyperlinks verbunden sind. Eine tiefer gehende zweisprachig-kontrastive Bearbeitung steht als zukünftige Weiterentwicklung noch aus.
Als metalexikografischer Zugang dient die funktionale Sicht, wodurch die Sprachbenutzer und ihre Bedürfnisse, Phraseologismen sowohl zu verstehen als auch selbst aktiv zu verwenden, in den Mittelpunkt gestellt werden – und "nicht das sprachliche Zeichen Phraseologismus" an sich (S. 210). Da es sich um ein Lernerwörterbuch handelt, schlägt die Autorin konsequenterweise vor, Bezug auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen zu nehmen und in einem ersten Schritt diejenigen Phraseologismen zu ermitteln, die zur "Versprachlichung der vorgesehenen Themenbereiche" (218–219) nötig sind, um dann deren Frequenz zu bestimmen und schließlich noch bei niederfrequenten Phraseologismen deren Geläufigkeit zu überprüfen, da diese nicht notwendigerweise wenig oder gar nicht bekannt sein müssen.
Nach dieser klar durchdachten Lemmaselektion geht es darum, die Phraseologismen im elektronischen Wörterbuch umfassend semantisch, pragmatisch und syntaktisch zu beschreiben. Hallsteinsdóttir entwickelt umfassende Überlegungen, welche Informationen für ein bidirektionales Wörterbuch nötig sind und wie diese adäquat in einem digitalen Medium dargestellt werden können und stellt abschließend ein Beispiel aus einem dänischen idiomatischen Wörterbuch vor (http://www.idiomordbogen.dk).
Antje Heine befasst sich mit "Möglichkeiten und Grenzen der Korpusanalyse für Lexikografie am Beispiel eines Wörterbuchs deutscher Funktionsverbgefüge mit finnischen Äquivalenten" (S. 233–250). Dieses korpusbasierte Wörterbuch entspricht einer oft gestellten Forderung "nach der Schaffung von Spezialwörterbüchern für nichtidiomatische Phraseologismen" (S. 233).
In ihrer eingehenden Analyse der gegenwärtigen Probleme der Korpuslinguistik streicht sie die fehlende Repräsentativität als gravierendstes heraus, denn Pressetexte sind bekanntlich in Korpora überrepräsentiert, Fachsprache und gesprochene Sprache unterrepräsentiert, wodurch generalisierende Aussagen über das Deutsche nicht als abgesichert gelten können.
Heine warnt eindringlich vor einer oft geäußerten, aber sicherlich unreflektierten und übertriebenen Hoffnung, durch die Korpuslinguistik automatisch eine "Revolutionierung der Wörterbücher und damit der Wörterbuchlandschaft" (S. 234) herbeiführen zu können. Die Schaffung eines Wörterbuchs würde dadurch nicht automatisch zu einem "Kinderspiel" (S. 234), erfordere sie doch in entscheidendem Maß die nur von Menschen leistbare Aufbereitung und Analyse der vom Computer zusammengestellten Rohdaten. Trotz dieser Bedenken erwartet Heine wesentliche Verbesserungen in allen Teilbereichen zukünftiger Wörterbücher. Gerade bei polylexikalischen Einheiten wird deren Selektion und die Bestimmung ihrer festen Grundform (unter Berücksichtigung von Varianten und fakultativen Elementen) durch eine Korpusanalyse wesentlich erleichtert. Die Bedeutungsbeschreibung und Markierungsangaben werden in verfeinerter Form möglich und können durch prototypische Beispiele aus dem Korpus illustriert werden. Sie plädiert für eine Weiterentwicklung und Erweiterung der Korpora und Analyseprogramme in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftszweigen, wie Informatik, Mathematik und Ingenieurwissenschaften.
In den folgenden Schlussbetrachtungen soll aus der Sicht des Rezensenten versucht werden, auf einer Zusammenfassung der wichtigsten Einsichten aufbauend, einen Blick in mögliche zukünftige Entwicklungen zu wagen.
Die Phraseologie und damit auch die Phraseografie befinden sich in einer klar empirisch geprägten Phase. Digitalisierte Korpora stellen als Forschungsgrundlage immense Datenmengen bereit. Untersuchungen dieser Massendaten haben eine Neuorientierung mit sich gebracht, eine Verlagerung des Forschungsinteresses von Mehrworteinheiten mit hoher Idiomatizität und Festigkeit hin zu zwar noch festen, aber nur noch schwach oder gar nicht idiomatischen Wortverbindungen und sogar zu solchen, deren "Festigkeit" darin besteht, besonders häufig zusammen aufzutreten. Derartige von Computerprogrammen herausgefilterte Wortgruppen erhalten Bezeichnungen wie "usuelle Wortverbindung" (Steyer, im rezensierten Band), "Kombination" (Hollós 2010), aber auch "Kollokation", wobei einige Forscher zwischen Kollokation im engeren und im weiteren Sinn unterscheiden (so etwa Feilke 2004). Ein kurzer Rückblick in die Anfangszeit der modernen deutschen Phraseologieforschung zeigt, dass die Kollokationen i. e. S. bereits von Thun (1978) unter dem Begriff "bevorzugte Analysen" (50–53) behandelt wurden, mit Beispielen wie sich die Zähne putzen, eine Telefonnummer wählen und den Tisch decken. Burger/Buhofer/Sialm (1982) nahmen die gleichen Beispiele unter der Bezeichnung "Phraseologische Verbindungen und bevorzugte Analysen" (31–35) wieder auf und Wolfgang Fleischer (1982) widmete derartigen Erscheinungen einen Abschnitt über "Stabilität nichtidiomatischer Konstruktionen" (63–67). Nach anfänglich stiefmütterlichem Dasein in der Phraseologieforschung werden sie erst in letzter Zeit mit wachsendem Interesse untersucht. Weithin anerkannt ist dabei das u.a. von Hausmann (2004) vertretene Kollokationsmodell, in dem einer Basis (Zähne, Telefonnummer, Tisch) in fester, semantisch nicht voll erklärbarer, nicht vorhersehbarer Weise ein Kollokator (putzen, wählen, decken) zugeordnet ist. Verbindungen wie sich die Zähne putzen und den Tisch decken sind also auffällig, weil sie nicht (voll) regelgeleitet sind, sondern einen sprachlichen Sonderfall darstellen, im Gegensatz zu den "usuellen Wortverbindungen", "die nicht als Sonder- sondern als Regelfall gelten können" (Steyer 2004: 91). Darum gehören Kollokationen i. e. S. klar in die Phraseologie, die "usuellen Wortverbindungen" zunächst einmal nicht – es sei denn, man wolle das Gebiet der Phraseologie erweitern. Die Phraseologie wäre dann allerdings nicht mehr rein linguistisch abzugrenzen sondern nur statistisch, denn je nachdem, wie häufig zwei oder mehr Wörter kookkurrieren, handelt es sich um eine usuelle Verbindung oder nicht. Unklar bleibt dabei auch, wie oft die Komponenten zusammen auftreten müssen, um als usuell gelten zu können. Ob diese statistischen Daten schließlich mit linguistischen (wie etwa der psycholinguistischen Festigkeit nach Burger (1998: 17–20) in Einklang zu bringen sind, muss erst erforscht werden.
Sowohl die Kollokationen i. e. S. als auch die usuellen Wortverbindungen sind für Lexikologie, Lexikografie, Übersetzungswissenschaften und Fremdsprachendidaktik von großem Interesse, da sie stark einzelsprachspezifisch geprägt sind. Kollokationen gehören in ein phraseologisches Wörterbuch oder in den phraseologischen Teil eines allgemeinsprachlichen Wörterbuchs (Burger), usuelle Wortverbindungen sind ideale Kandidaten für treffende Beispiele typischer Sprachverwendung. Wünschenswert wäre die Ausarbeitung einer einheitlichen Terminologie. Wie verwirrend die gegenwärtigen terminologischen Unklarheiten sein können, wird am kürzlich erschienenen Wörterbuch der Kollokationen im Deutschen (Quasthoff 2011) augenscheinlich. Der diesem korpusbasierten Wörterbuch zugrunde liegende Kollokationsbegriff erfasst vor allem usuelle Wortverbindungen, zahlreiche eigentliche Kollokationen i. e. S. fehlen aber leider. Von den oben genannten Beispielen sind den Tisch decken und eine Telefonnummer wählen zwar vorhanden, sich die Zähne putzen aber nicht (allerdings erstaunlicherweise im Singular Zahn + putzen), Kollokationen wie eine Frage stellen, ein Gespräch führen, Abschied nehmen und eine große Anzahl weiterer Fälle sucht man vergeblich.
Die Auswertung großer Datenmengen mithilfe des Computers deckt die Breite des Verwendungsspektrums auf und liefert dem Forscher eine Zusammenschau unterschiedlicher Verwendungskontexte, was eine detaillierte semantische Analyse der Phraseme ermöglicht, die zu neuen Einsichten in ihre Natur geführt hat. So hat sich etwa herausgestellt, dass bei Phrasemen die Polysemie stärker ausgeprägt ist als bisher angenommen (Ettinger, Filipenko). Dies ist wiederum schon bei Fleischer (1982: 170) angedeutet, wenn er annimmt, die Polysemie sei "von größerer Bedeutung als in den Wörterbüchern meist deutlich wird". Diese Intuition ist heute mit modernen Methoden empirisch belegbar. Da Korpusanalysen andererseits auch zur Aufdeckung von Pseudosynonymie im phraseologischen Lexikonbestand geführt haben (Burger), scheinen die Phraseme so unter zwei Aspekten den Einwortlexemen näher zu rücken: einerseits ist ihre Polysemie stärker entwickelt als bisher angenommen, andererseits wird die traditionell angeführte ausgeprägte Tendenz zur Synonymie (Schemann) relativiert werden müssen, da es sich in vielen Fällen nur um Teilsynonymie handeln dürfte, die Austauschbarkeit in allen Kontexten also nicht gewährleistet ist.
Korpusanalysen werden in der einen oder anderen Weise in jedem einzelnen der Beiträge thematisiert, überwiegend positiv bis hin zu unumgänglich, in einigen Studien bilden sie die Forschungsgrundlage. Obwohl die Korpuslinguistik im deutschsprachigen Raum sich erst relativ spät zu konsolidieren begann und deshalb Nachholbedarf aufweist, hat sie der Phraseologie und somit der Phraseografie in mehrfacher Hinsicht Impulse gegeben. Tradierte Ansichten wurden infrage gestellt, Grenzbereiche der Phraseologie traten ins Forschungsinteresse. Diese neuen Erkenntnisse müssen auch vermehrt in verbesserte Wörterbücher einfließen. Laut Hallsteinsdóttir herrscht generelle Übereinstimmung, "dass die Aufarbeitung und die Beschreibung der Phraseologie in gedruckten Wörterbüchern bestenfalls als mangelhaft zu bewerten sind" (S. 211). Auch wenn Heine zu Recht die Frage formuliert, "ob es nicht auch Situationen gibt, in denen ein Printwörterbuch nach wie vor das bessere Nachschlagewerk ist" (S. 234), sind die Vorteile von Datenbanken (Jesenšek) nicht von der Hand zu weisen. Sollen die Wörterbücher von Grund auf verbessert, ja sogar revolutioniert werden, muss man zu ihrer elektronischen Form übergehen, um die Kluft zwischen dem phraseologisch-phraseografisch Erwartbarem und dem in Printwörterbüchern Machbarem und von den Verlagen auch Zugestandenem überwinden zu können. Da elektronischen Datenbanken nicht so enge Grenzen wie gedruckten Wörterbüchern gesetzt sind, könnte in ihnen die eingangs erwähnte "Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit" (S. 2) reduziert und die zumindest für Printwörterbücher "unrealistischen Forderungen" (S. 23) umgesetzt werden.
Durchdacht aufgebaute Datenbanken lösen das v.a. bei phraseologischen Wörterbüchern auftretende Problem der sekundären Alphabetisierung (Burger, Schemann). Der Ruf nach eigenständigen Wörterbüchern für jeden Phrasemtyp erübrigt sich und die damit verbundene Frage, was in welchem Wörterbuch unter welchem Stichwort nachzuschlagen ist, stellt sich nicht mehr, da alle Wörterbuchtypen in eine Datenbank integriert oder zumindest verlinkt werden können und man den gesamten Ausdruck als Suchanfrage eingeben kann.
Korpora sind aus der Phraseografie nicht mehr wegzudenken. Trotz der "Grundüberzeugung, dass es das repräsentative Korpus schlechthin nicht geben kann" (Steyer 2004: 95, Fn. 9. Hervorhebung im Original), ist eine Erweiterung und ein Ausbau der Korpora unabdinglich. Dazu gehört v. a. die Kompensierung des gegenwärtigen Übergewichts der Pressesprache durch die Einbeziehung von Fachsprache (Heine) und mündlicher Spontansprache (Heine, Jesenšek). Verbesserte Korpora können dann auch, nach Absicherung fraglicher Ergebnisse etwa durch Informantenbefragung (Piirainen, auch Jesenšek und Hallsteinsdóttir) und intensiver Bearbeitung vonseiten kompetenter Lexikografen (Schemann), zu verbesserten Wörterbüchern führen – sowohl in gedruckter als auch in elektronischer Form.
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