Der Gebrauch des Perfekts –
Ein Erklärungsmodell aus thailändischer Perspektive*

Korakoch Attaviriyanupap (Nakhon Pathom)


 

1 Einleitung

Der König von Zigarland hat Wunderland besetzen gewollt. Deshalb hat er die Soldaten zum Wunderland ernennt. Als die Soldaten zum Wunderland ankommen sind, sie den Bürgers von Wunderland eine Zigarette rauchen unterrichtet haben.1 Das obige Zitat aus einem Aufsatz einer thailändischen DaF-Lernenden ist durchgängig im Perfekt geschrieben und es fällt auf, dass kein vollständiger Verbalkomplex korrekt ist. Die Probleme sind sowohl morphologischer Art (hat ernennt), syntaktischer Art (rauchen unterrichtet haben), aber auch schon die Entscheidung für das Perfekt (statt des Präteritums) kann Schwierigkeiten bereiten (hat gewollt statt wollte). Grundsätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass Thailändisch eine tempuslose Sprache ist. Den Lernenden ist die grammatische Kategorie Tempus daher fremd.

Das Perfekt gilt als ein Tempus, das im Erwerbsprozess des Deutschen als Zweit- bzw. Fremdsprache von großer Bedeutung ist. Als am häufigsten verwendetes Vergangenheitstempus wird es in allen DaF-Lehrwerken bereits in der Grundstufe eingeführt (vgl. z. B. Esterl et al. 2008: 120), in DaF-Lehrwerken der Mittelstufe wird dann das Hauptaugenmerk oft auf einen besonderen Aspekt, nämlich auf die Abgrenzung des Perfekts gegenüber dem Präteritum gelegt (vgl. z. B. Müller et al. 2006: 78–80; Koithan et al. 2007: 21).

Die Schwierigkeiten, die thailändische DaF-Lerner beim Gebrauch des Perfekts haben, können aber nicht nur auf die Verwechslung mit dem Präteritum zurückgeführt werden. Erfahrungsgemäß verwechseln Thailänder im DaF-Unterricht das deutsche Perfekt nicht nur mit dem Präteritum, sondern auch mit dem Präsens. Darüber hinaus ist der Einfluss des Englischen, das wiederum über eine andere Art von present perfect verfügt, als Einflussfaktor für die nicht-normgerechte Verwendung des deutschen Perfekts nicht zu unterschätzen.

Das deutsche Perfekt sollte deshalb im DaF-Unterricht nicht unbedingt nur in Abgrenzung zum Präteritum behandelt werden. Dies gilt umso mehr, als die Regeln für die Verwendung von Perfekt und Präteritum für DaF-Lernende oft nicht hilfreich sind. Die Regel, dass das Präteritum in erster Linie in geschriebener, das Perfekt hingegen vor allem in gesprochener Sprache auftritt, ist zu ungenau, um dem funktionalen Unterschied, der zwischen den beiden Tempora besteht, gerecht zu werden. Es gibt mehrere Effekte bzw. Lesarten der beiden Tempora, die mit dieser allgemeinen Regel nicht erfasst werden und die im DaF-Unterricht auch behandelt werden sollten.

Im Folgenden geht es weniger um die Gewinnung neuer linguistischer Erkenntnisse über das deutsche Perfekt, das sich trotz zahlreicher Untersuchungen immer noch als rätselhaft bezeichnen lässt (vgl. z. B. Klein 1992), sondern mehr um die Frage, wie der Gebrauch dieses Tempus für DaF-Lernende mehrdimensional und zugleich trotzdem verständlich dargestellt werden kann. Es sollen Vermittlungsstrategien vorgeschlagen werden, die didaktisch zweckmäßig und linguistisch angemessen sind. Hierfür werden zunächst die Schwierigkeiten, die thailändische Lernende beim Gebrauch des deutschen Perfekts haben, aufgezeigt. Im Anschluss daran wird dargestellt, inwiefern die Darstellung des Perfekts im DaF-Unterricht den Besonderheiten dieses Tempus gerecht wird. In Anlehnung an den Ansatz Deutsch als zweite Fremdsprache nach Englisch (vgl. Neuner et al. 2009) werden die Gemeinsamkeiten zwischen dem englischen present perfect und dem deutschen Perfekt behandelt, um deren Relevanz im DaF-Unterricht für thailändische Lernende aufzuzeigen. Schließlich wird ein Modell des deutschen Perfekts entworfen, das sich an thailändische DaF-Lernende richtet, und es wird dargestellt, wie eine zusammenfassende Beschreibung des Perfekts im DaF-Unterricht aussehen könnte.


2 Schwierigkeiten beim Gebrauch des deutschen Perfekts bei thailändischen Lernenden

2.1 Morphologische Ebene

Als Muttersprachlern einer isolierenden Sprache bereitet den thailändischen Lernenden die Morphologie des Deutschen häufig große Schwierigkeiten. Das Partizip Perfekt wird von den Lernenden häufig falsch gebildet, dabei wird tendenziell die Regel für schwache Verben übergeneralisiert. Auch die Unterscheidung von trennbaren vs. untrennbaren Verbpräfixen macht Schwierigkeiten:

Max hat nicht geweißt.

Die Szene hat mir sehr gut gefällt, weil die einen Symbol war.

Zuletzt haben die Bürgers die Soldaten von Zigarland gefortjagt

Dass man im Deutschen für die Perfektbildung eines der beiden Hilfsverben (sein und haben) verwendet, bereitet ebenfalls Schwierigkeiten. Tendenziell wird das Hilfsverb haben als Perfektform übergeneralisiert: Hast du schon aufgewacht, Rupert?

Alle Zigaretten haben pünktlich um 18.00 vor der Sportplatz angekommen.

Nicht zuletzt treten regelmäßig falsche Formen der Modalverben auf. Das Partizip Perfekt wird oft anstelle eines Ersatzinfinitivs verwendet oder es wird fälschlicherweise das Partizip II des Vollverbs gebildet: Die Zigaretten haben gesprochen können.

Hier haben man nicht um Nachts rauchen gedurft, denn alle Zigaretten haben um der Stadt vorbeimarschieren gemusst.


2.2 Tempuswahl

Häufig ist zu beobachten, dass die Lernenden Präsens, Präteritum und Perfekt relativ willkürlich nebeneinander verwenden, wie die folgenden Beispiele zeigen: Das Päckchen hat sich aufgemacht, und kamen noch eine Truppen.

Es war einmal im Zigarettensland. Dieses Land hat niemand, sind alle die Zigaretten. Eine Familie heißt"Muratti", hat 3 Söhne.

Da kommt ein Gewitter. Es stürmt heftig überall. Plötzlich es stoppt. Ich sehe mich mein Zimmer um. Ich traute meinen Augen nicht. Das Gewitter hat alle Sachen zum Leben erweckt.

In den Aufsätzen, die für diese Analyse gesammelt wurden, wird vorwiegend das Perfekt verwendet, weil die Studierenden mit dem Präteritum noch nicht gut vertraut waren. Gelegentlich kommt es aber vor, dass das Präteritum auftritt, obwohl eigentlich das Perfekt verwendet werden soll: Jans ist lustig Zigarette. Er verlor seinen Arbeitsplatz. Er kommt hier, denn er möchte eine neue Arbeit suchen.

Jemand hat in der Vergangenheit seinen Arbeitsplatz verloren und kommt folglich hierher, um eine Stelle zu suchen. Der thailändische Lernende ist sich in diesem Fall jedoch des Kriteriums der Gegenwartsrelevanz nicht bewusst.

Die Übergeneralisierung des Präteritums kann vermutlich als Vermeidungsstrategie morphologischer oder syntaktischer Fehler aufgefasst werden: Wenn Lernende das Präteritum verwenden, müssen sie im Gegensatz zum Perfekt nicht das Risiko eingehen, das falsche Hilfsverbs (haben vs. sein) zu wählen.

Ein anderer Grund bei der Verwechslung zwischen dem Perfekt und dem Präteritum ist die Übergeneralisierung wegen zu stark vereinfachter Regeln. Das einzige Kriterium bei der Tempuswahl, mit dem die Lernenden zumindest ansatzweise vertraut sind, ist die Bindung der beiden Tempora an die gesprochene und geschriebene Sprache. Meistens verweisen Lehrpersonen auf unterschiedliche Auftretensfrequenzen in den beiden Varietäten, allerdings werden diese Unterschiede nur sehr oberflächlich beschrieben: Präteritum gilt als Tempus für Vergangenheit in der gesprochenen Sprache, Präteritum in der geschriebenen Sprache (vgl. z. B. Hering et al. 2002: 78–80, Koithan et al. 2007: 174). Auf dieser Grundlage schreiben die Lernenden oft jegliche Texte im Präteritum, obwohl dieses Tempus für einige schriftliche Textsorten wie z. B. Privatbriefe oder E-Mails nicht unbedingt besser geeignet ist.

Dass manche Lernende den Eindruck haben, das Perfekt im Anfängerunterricht sei nur eine Art umgangssprachlicher Ersatz für das Präteritum, die "richtige" Vergangenheitsform, wie Lipsky (2005: 86) die Situation beschreibt, lässt sich bei thailändischen DaF-Lernenden ebenfalls beobachten. Wenn sie mündlich von etwas berichten müssen und für diesen Bericht Vorbereitungszeit bekommen, in der sie sich Notizen machen dürfen, kommt es gelegentlich vor, dass sie die schriftliche Vorlage mündlich vortragen, weil das aus ihrer Perspektive eine bessere Version ist. D. h. konkret also, dass sie ihre Geschichte im Präteritum erzählen, was häufig unpassend und unauthentisch wirkt. Dadurch dass die Lernenden im Alltag kaum die Möglichkeit haben, in außerunterrichtlichen Situationen mit Muttersprachlern des Deutschen in Kontakt zu kommen, ist es für sie auch schwierig, aufgrund eigener Erfahrungen in unterschiedlichen sprachlichen Situationen abzuschätzen, in welchen Situationen das Perfekt verwendet werden muss und umgekehrt nicht verwendet werden darf.

In jedem Fall gilt, wie schon gesagt, dass den thailändischen Lernenden der Tempusgebrauch fremd ist. Im Gegensatz zu Lernenden mit Muttersprachen mit ausgeprägtem Tempus- und Aspektsystem kann der nicht-normgerechte Tempusgebrauch bei thailändischen Lernenden also nicht durch Einflüsse aus der Muttersprache erklärt werden.2


3 Das deutsche Perfekt in DaF-Lehrwerken und Grammatiken

Im Bereich Deutsch als Fremdsprache wird der Gebrauch des Perfekts häufig nicht sehr eingehend behandelt. In der Grundstufe wird zunächst die Perfektbildung eingeführt, danach wird die Bildung des Präteritums von sein, haben und den Modalverben behandelt, deren präteritale Formen gegenüber den Perfektformen bevorzugt werden. Erst nachdem das Präteritum vollständig als ein weiteres Vergangenheitstempus behandelt worden ist, wird die Abgrenzung zwischen den beiden Vergangenheitstempora thematisiert (vgl. z. B. Müller et al. 2006: 78–80; Koithan et al. 2007: 21)

Eine umfassende Beschreibung des Perfekts für DaF-Lernende findet sich bei Helbig/Buscha (2001: 135ff.). Im Deutschen tritt das Perfekt in drei zentralen Bedeutungsvarianten auf: Bezeichnung eines vergangenen Geschehens (Gestern haben wir einen Ausflug nach Rom gemacht); eines vergangenen Geschehens mit resultativem Charakter (Minna ist vor einer Stunde eingeschlafen – Sie schläft jetzt); eines zukünftigen Geschehens (Bald habe ich meine Seminararbeit abgegeben). Die oben erwähnten drei Funktionen des Perfekts finden sich auch in Übungsgrammatiken für Deutsch als Fremdsprache, z. T. auch lehrwerkungebunden, vgl. etwa Hering et al. (2002: 78) und Dinsel/Geiger (2007: 104). Die Behandlung aller drei Funktionen im großen Rahmen ist in den meisten DaF-Lehrwerken trotzdem noch nicht gang und gäbe, was u. U. auch damit zusammenhängt, dass aufgrund der zyklischen Progression in DaF-Lehrwerken einzelne Funktionen des Perfekts (z. B. Bezug auf ein zukünftiges Geschehen) erst zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt werden. Sofern die drei Funktionen nicht gleichzeitig behandelt werden, wäre es aber dennoch wichtig, dass bei der Besprechung einer neu eingeführten Funktion des Perfekts jeweils darauf hingewiesen wird, dass allen drei Bedeutungsvarianten des Perfekts das Merkmal "Abgeschlossenheit" gemeinsam ist.

Das Merkmal "Abgeschlossenheit" wird im Bereich Deutsch als Fremdsprache meistens nur am Rande behandelt, und lässt sich häufig nur bei der Beschreibung des Futurs II finden, das im deutschen Tempussystem allerdings eine untergeordnete Rolle spielt. Mit dem Konzept der Abgeschlossenheit eng verknüpft sind die Begriffe Aktionsart bzw. lexikalischer Aspekt. Da im Deutschen Aspekt nicht oder nur ansatzweise grammatikalisiert ist, wird das Konzept Aspekt im DaF-Unterricht auch nicht thematisiert; dies ist vermutlich ein Grund dafür, dass auch der Begriff Aktionsart im DaF-Unterricht nur selten thematisiert wird. Man findet die Beschreibung der Aktionsarten zwar bisweilen noch in den DaF-Grammatiken, aber oft nicht im Zusammenhang mit dem Gebrauch des deutschen Perfekts, sondern eher im Zusammenhang mit der Formenbildung des Perfekts (vgl. Helbig/Buscha 2001: 65). Es gibt aber Grammatiken, die Aspekt ausdrücklich für die Beschreibung der Perfektbedeutung heranziehen (vgl. Eisenberg 2006: 112). Dass der perfektive Aspekt eine Handlung oder einen Vorgang als "abgeschlossen" kennzeichnet und dass diese Abgeschlossenheit eine wichtige Besonderheit des deutschen Perfekts aufweist, wird kaum erwähnt.


4 Besonderheiten des deutschen Perfekts

4.1 Unterschiedliche linguistische Ansätze zur Beschreibung des deutschen Perfekts

Das Perfekt hat wegen seiner vielfältigen Gebrauchsweisen Anlass zu zahlreichen Untersuchungen gegeben, die alle nach einer Einheitsbedeutung bzw. Invariante dieses Tempus suchen. Die Merkmale 'Nachzustand' bzw. 'Resultativität' und 'Gegenwartsrelevanz' scheinen sowohl für die Tempusforschung des Deutschen wie auch in der Typologieforschung am häufigsten besprochen zu werden. Analysen, die eine Nachzustandslesart ansetzen, sind z. B. Klein (1999), Musan (2002) und Schumacher (2005). Der Begriff 'Gegenwartsrelevanz' kommt überwiegend in sprachübergreifenden Untersuchungen vor (vgl. z. B. Dahl/Velupillai 2005). Comrie (1995: 151f.) weist allerdings darauf hin, dass die Gegenwartsrelevanz beim deutschen Perfekt anders anzusehen ist als diejenige im englischen present perfect: das deutsche Perfekt schließt die Gegenwartsrelevanz zwar nicht aus, sie wird aber auch nicht als obligatorische Komponente verlangt. Neben der Gegenwartsrelevanz finden sich Ansätze wie ExtendedNow (vgl. z. B. von Stechow 1999; Rathert 2001), Vorzeitigkeit bzw. Anteriorität (vgl. Thieroff 2009) oder auch solche, die Vorzeitigkeit und Gegenwartsrelevanz gemeinsam als Grundbedeutung des Grams perfect annehmen (vgl. z. B. Dahl 1985; Bybee et al. 1994). Schließlich lässt sich auch Abgeschlossenheit als Ansatz zur Beschreibung des deutschen Perfekts finden. Grewendorf (1995: 82f.) beispielsweise schlägt eine kompositionelle Analyse des Perfekts vor, derzufolge dieses Tempus als eine Kombination aus präsentischer Bedeutung, Abgeschlossenheitsaspekt und Vorzeitigkeitsbezug aufgefasst wird.

Gegen die kompositionelle Analyse des deutschen Perfekts sowie gegen die Annahme von Grundbedeutungen Nachzustand, Gegenwartsrelevanz oder ExtendedNow spricht aber, dass sich das Perfekt in Kontexten, in denen es mit dem Präteritum austauschbar ist, mit dem Schema Ereigniszeitpunkt vor Sprechzeitpunkt (E, R > S) beschreiben lässt (vgl. etwa Ich habe gestern das Lexikon gesucht) und keine Relevanz zum Sprechzeitpunkt haben muss. Das Merkmal 'Abgeschlossenheit' hingegen, das in Aspektsprachen sonst durch den perfektiven Aspekt zum Ausdruck gebracht wird, scheint ein integraler Bestandteil der Semantik des deutschen Perfekts zu sein. Selbst in Fällen bzw. Kontexten, in denen sowohl Präteritum als auch Perfekt benutzt werden können, lassen sich in Bezug auf die Abgeschlossenheit der ausgedrückten Handlung deutliche Unterschiede feststellen. Das Perfekt trägt in diesen Kontexten die Bedeutungskomponente 'Abgeschlossenheit': Das Ereignis, das sich in der Vergangenheit abgespielt hat, wird als abgeschlossen (und evtl. in seinem Resultat noch fortwirkend) erfasst, eine Komponente, die das Präteritum nicht aufweist. Dabei braucht das Resultat des im Perfekt dargestellten Vorgangs zum Sprechzeitpunkt nicht mehr vorzuliegen (vgl. hierzu Hentschel/Weydt 2003: 109). Das Perfekt mag insbesondere bei Ereignissen mit Vergangenheitsbezug diese Eigenschaft zwar verloren haben, beim Ausdruck von Ereignissen, die für den Sprechzeitpunkt relevant sind oder danach geschehen, ist dieses Merkmal jedoch immer noch vorhanden. Im Folgenden wird kurz auf die Hervorhebung der Abgeschlossenheit durch das Perfekt eingegangen.

4.2 Hervorhebung der Abgeschossenheit: Perfekt mit bis und sobald

Bei näherer Betrachtung des deutschen Perfekts wird klar, warum das Perfekt nicht nur für die Vorzeitigkeit, sondern auch für Nachzeitigkeit und Ereignisse, die zum Sprechzeitpunkt noch nicht geschehen sind, verwendet werden kann. Eine Besonderheit dieses Tempus ist, dass der Gebrauch des Perfekts in Sätzen mit einer Zeitangabe, die den Endpunkt einer Handlung angibt, immer notwendig ist. Deshalb ist es üblich, das Perfekt in Nebensätzen mit bis und sobald zu verwenden: Er muss hier bleiben, bis er sie gefunden hat.

Er wird diese Stadt verlassen, sobald er sie gefunden hat.

Dass es sich beim Gebrauch des Perfekts in solchen Nebensätzen oft um Nachzeitigkeit handelt, wird zwar im DaF-Unterricht thematisiert, aber meistens wird eine genauere Erklärung erspart.

Bei der Behandlung von Temporalsätzen mit sobald wird nicht selten nur vereinfacht beschrieben, dass das jeweilige Ereignis im Nebensatz vor dem im Hauptsatz passiert ist und beide sofort aufeinander folgen. Im Nebensatz wird dann das Perfekt oder Präteritum verwendet, wenn der Hauptsatz im Präsens steht. Jedoch wird im Haupt- und Nebensatz häufig dasselbe Tempus gebraucht. Man findet Beispielsätze wie folgende (Hering 2002: 166):

Er geht, sobald er aufgegessen hat.

Ich rufe dich an, sobald ich fertig bin.

Im DaF-Unterricht könnten allerdings folgende Fehler auftreten: Wir frühstücken, sobald wir Gymnastik machen.

Wir gehen nach Hause, sobald die Schule aus gewesen ist.3

Diese Fehler gehen auf die unbefriedigende Erklärung in DaF-Lehrwerken und Grammatiken zurück. Hier hätte man die Verwendung des Perfekts zur Hervorhebung der Abgeschlossenheit thematisieren sollen. Bei Prädikaten mit sein ist das Perfekt hingegen unpassend, weil es sich hier nicht um eine Handlung handelt, sodass die Nachzeitigkeit keine Abgeschlossenheit voraussetzt.

Gelegentlich kann etwa bedeutungsgleich neben dem Perfekt auch das Präsens verwendet werden:

Er muss hier bleiben, bis er sie findet.

Er wird diese Stadt verlassen, sobald er sie findet.

Diese Austauschbarkeit ist aber darauf zurückzuführen, dass das Verb finden eine perfektive Bedeutung hat und lexikalisch selbst die Abgeschlossenheit bzw. das Resultat eines Geschehens ausdrücken kann. Bei imperfektiven Prädikaten muss man jedoch dieses Resultat im Perfekt ausdrücken: Er muss hier bleiben, bis er alle Bücher eingesammelt hat.

*Er muss hier bleiben, bis er alle Bücher einsammelt.

Er wird die Stadt verlassen, sobald er alle Bücher eingesammelt hat.

*Er wird die Stadt verlassen, sobald er alle Bücher einsammelt.

Es ist nicht möglich, alle Bücher auf einmal einzusammeln: Das Prädikat 'alle Bücher einsammeln' drückt in Kombination mit der Konjunktion sobald, die einen Zeitpunkt angibt, den Beginn der Handlung aus, wenn es im Präsens steht. Da man nicht gleichzeitig die Stadt verlässt, wenn man anfängt, Bücher einzusammeln, ist der von sobald eingeleitete Temporalsatz nur akzeptabel, wenn darin eine abgeschlossene Handlung ausgedrückt wird. Deshalb wird hier das Perfekt verwendet.4

In diesem Zusammenhang lässt sich anhand der folgenden zwei Sätze noch die Rolle des Perfekts zur Markierung der Abgeschlossenheit verdeutlichen:

Wenn er fünf Fische fängt, kann er nach Hause gehen.

Er kann aber erst nach Hause gehen, wenn er fünf Fische gefangen hat.

Auf das Perfekt kann also nicht verzichtet werden, wenn die Abgeschlossenheit einer bestimmten Handlung vor einer anderen ausgedrückt werden muss.

5 Deutsches Perfekt vs. englisches present perfect: Relevanz für DaFnE

Deutsch wird meistens als zweite Fremdsprache nach Englisch gelernt. Der Bereich "Deutsch als Fremdsprache nach Englisch" (DaFnE) hat sich als eigenes Forschungsfeld etabliert (vgl. ausführlicher dazu Neuner et al. 2009: 28ff.). Auch in Thailand lässt sich dieser Ansatz gut umsetzen. Der Sprachvergleich (L2-Englisch und L3-Deutsch) soll das Erlernen des Deutschen als Tertiärsprache fördern. Im Grammatikbereich bietet sich das Perfekt m. E. als ein Thema an, das im Unterricht kontrastiv behandeln werden sollte. Wichtig ist deshalb, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden formal ähnlichen Tempusformen, dem deutschen Perfekt und dem englischen present perfect, zu besprechen. Dabei sind drei zentrale Aspekte zu behandeln.

Grundsätzlich gilt, dass das deutsche Perfekt im Allgemeinen für die Vergangenheit verwendet werden kann und sich in diesem Fall wie das engl. simple past verhält:

Letzte Woche habe ich meinen Bruder in Tokio besucht.

I visited my brother in Tokyo last week.

*I have visited my brother in Tokyo last week.

Abweichend ist daneben die Verwendung des deutschen Perfekts für Zukünftiges, was im Englischen nicht vorkommt, hier kann dafür ausschließlich das future perfect stehen: Nächstes Jahr hat sie ihr Studium abgeschlossen.

She will have graduated next year.

*She has graduated next year.

Die Kernbedeutungen des engl. present perfect werden nach Anderson (1982: 228, zit. n. Klein/Vater 1998: 219) mit experiential, current relevance of anterior, new situation / hot news, result-state und continuous angegeben. Eine Gegenüberstellung mit dem Deutschen zeigt, dass hier durchgängig das Perfekt stehen kann (Sätze von Klein/Vater 1998: 228–230):

Bedeutungengl. present perfect dt. Perfekt
experientialHave you (ever) been to Japan? Hast du (je) Froschschenkel gegessen?
current relevance of anteriorHe has studied the whole book. (so he can help) Jetzt habe ich das ganze Buch gelesen (und sollte in der Lage sein, die Prüfung zu bestehen)
new situation / hot newsThe Etna has just erupted! Der Papst ist gestorben!
result-stateHe has gone/He is gone. (is not here) Das Kind ist eingeschlafen. (und schläft noch)
continuousI have been standing here for three hours. Ich habe (jetzt) drei Stunden lang gewartet.

Tab. 1: Parallel verwendbare Gebrauchsweisen des engl. present perfect und des dt. Perfekts

Diskussionswürdig ist unter den deutschen Entsprechungen die letzte. König/Gast (2009: 91) geben an, dass als Entsprechung des englischen universal bzw. continuous perfect im Deutschen sowohl das Präsens als auch das Perfekt verwendet werden kann, dass jedoch nur das Perfekt impliziert, dass sich das Ereignis nicht über den Sprechzeitpunkt hinaus ausdehnt. Bei Zustandsverben wird die universelle Lesart des englischen present perfect mit dem Präsens ins Deutsche übertragen (ich warte jetzt drei Stunden lang). Klein/Vater (1998: 230) sind jedoch ausdrücklich der Meinung, dass hier auch ein Perfekt möglich sei, wie das Beispiel in der obigen Tabelle zeigen.

Eine Auflösung dieses Widerspruchs kann folgendermaßen aussehen. Der hier angegebene Beispielsatz Ich habe (jetzt) drei Stunden lang gewartet ist nicht in jeder Hinsicht der englischen Fassung I have been waiting for three hours gleichzusetzen. Die Verwendung des deutschen Perfekts ist in diesem Kontext zwar möglich, im Gegensatz zu einem Präsenssatz wird hier aber Abgeschlossenheit, die zu den sog. Perfekteffekten gehört, mit ausgedrückt (vgl. ausführlicher zu "Perfekteffekten" Welke 2005: 172). Der Satz Ich habe (jetzt) drei Stunden lang gewartet hebt hervor, dass das Warten jetzt zu Ende geht, nachdem der Sprecher drei Stunden lang gewartet hat, die Präsens-Variante Ich warte schon drei Stunden lang hingegen nicht. Der Satz im Perfekt sagt also aus, dass der Sprecher vor drei Stunden mit dem Warten angefangen hat und genau zum Sprechzeitpunkt (deutlich gekennzeichnet durch das Adverbial jetzt) mit dem Warten aufhört, weil die Person, auf die er wartet, entweder gerade eingetroffen ist, oder er jetzt nicht mehr auf sie warten will. Auch wenn sich die Handlung ab diesem Zeitpunkt noch fortsetzen würde, könnte man von einer Art "Zwischenbilanz" bzw. "Zwischenberechnung" (Aufzählung der Wartestunden) sprechen. Dass beim Gebrauch des Perfekts eine solche Zwischenbilanz gezogen wird, kann auch durch andere Satzteile deutlich gemacht werden, in denen eine bestimmte Menge ausgedrückt wird, vgl. z. B. seit heute morgen habe ich schon 20 Vokabeln auswendig gelernt; seit heute morgen habe ich schon über achthundert Umdrehungen gezählt. Eine solche Quantifizierung löst den Abgeschlossenheitseffekt aus.

Hier lässt sich ein typischer Fehler aus dem thailändischen DaF-Unterricht anschließen, denn häufig äußern Lerner Sätze wie: Ich habe Deutsch seit letztem Jahr/seit zwei Jahren gelernt.5 Der Satz muss eigentlich im Präsens stehen, wenn die Person noch an einem Deutschkurs teilnimmt und mit dem Deutschlernen noch nicht aufhört oder aufgehört hat. Dieser Fehler ist auf den Einfluss des englischen present (continuous) perfect zurückzuführen, das für Ereignisse verwendet werden kann, die in der Vergangenheit begonnen haben, bis zum Sprechzeitpunkt andauern und noch nicht aufhören (vgl. I have studied/been studying German since last year/for two years). Hier schiene also ein dreisprachig kontrastiver Ansatz bei der Vermittlung des deutschen Perfekts hilfreich: Durch die Gegenüberstellung mit dem englischen present perfect könnte derartigen Fehlern möglicherweise vorgebeugt werden.

Ebenfalls muss den Lernenden klar gemacht werden, dass das deutsche Perfekt nicht nur mit dem Hilfsverb haben gebildet wird, wie dies mit der ensprechenden Form des engl. present perfect (have + past participle) der Fall ist. Einige Fehler durch Übergeneralisierung des haben-Perfekts, die in 2.1 dargestellt werden, können ebenfalls auf den Einfluss des Englischen zurückgeführt werden (e.g. *Hast du schon aufgewacht? anstelle von Bist du schon aufgewacht?).


6 Umsetzung linguistischer Ansätze im DaF-Untericht

In Tab. 2 wird versucht, anhand einer Abbildung alle Verwendungskontexte des deutschen Perfekts im Vergleich zum englischen present perfect sowie in Abgrenzung zum Präteritum und Präsens zu beschreiben:

 

 

Engl. present perfect

=>  
  Dt. Perfekt
(2) E vor S, R
(+ abgeschlossen)
| S  
  –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––=>
  ← E ≤ R →
  (1) E, R vor S   (3) S vor E vor R
  ± abgeschlossen   + abgeschlossen
  Dt. Perfekt / Dt. Präteritum   Dt. Perfekt
  Dt. Präsens6   Dt. Präsens [± abgeschlossen]
Tab. 2: Beschreibungsmodell für den Gebrauch des deutschen Perfekts

Das Modell zeigt, dass das deutsche Perfekt sowohl temporale als auch aspektuelle Relationen aufweist. Dies geht m. E. auf die Tatsache zurück, dass das Perfekt weder dem absoluten noch dem relativen Tempusparadigma zugerechnet werden kann. Dieses Tempus kann sowohl das Ereignis vor, nach oder gleichzeitig zum Sprechzeitpunkt positionieren (absolute Zeitrelation) als auch eine Beziehung zwischen dem Ereignis- und einem gegebenen Referenzzeitpunkt herstellen (relative Zeitrelation) (vgl. ausführlicher dazu Hentschel/Velupillai 2009: 428–432). Im Prinzip gilt, dass der Ereigniszeitpunkt (E) entweder mit dem Referenzzeitpunkt (R) zusammenfällt oder davor liegt. Der Ereigniszeitpunkt kann entweder vor oder nach dem Sprechzeitpunkt (S) liegen. Das deutsche Perfekt tritt im Verhältnis grundsätzlich in drei Varianten auf.

Die erste Verwendungsvariante, bei der das Perfekt mit dem Präteritum austauschbar ist, entspricht dem Schema E, R > S; hier übernimmt das Perfekt die Funktion eines absoluten Tempus. Das Merkmal Abgeschlossenheit ist nicht mehr relevant. Die Ereignisse mit Vergangenheitsbezug können deshalb sowohl abgeschlossen als auch nicht abgeschlossen sein, so dass das Perfekt mit jedem Verbtyp bzw. jeder Prädikatsklasse7 kombinierbar ist. Auch ist es nicht von Belang, ob das Perfekt mit oder ohne ein Temporaladverbial vorkommt. Das Prädikat kann, je nach Kontext, entweder perfektiv oder imperfektiv sein. Die Perfektivität kann durch die unterschiedlichen Verbtypen beeinflusst werden, aber nicht durch das Perfekt an sich:

state: Er hat sich ein Auto gewünscht.
  Er ist zu Hause geblieben.
activity: Er hat gearbeitet
  Er ist gerannt.
accomplishment: Er hat ein Bild gemalt.
  Er ist bis New York gekommen.
achievement8: Wir haben eine Lösung gefunden.
  Die Gäste sind angekommen.

In diesem Bereich, der in der obigen Abbildung grün markiert ist, gibt es keine Überlappungen mit dem engl. present perfect.

Für die zweite Bedeutungsvariante gilt die sprachübergreifende Definition von perfect (vgl. z. B. Comrie 1976: 52), dass das Perfekt Ereignisse ausdrückt, die vor einem gegebenen Zeitpunkt auf dem Zeitstrahl stattfinden und die an diesem Punkt, d. h. Sprechzeitpunkt, noch relevant sind. Diese Variante ist also Andersons current relevance zuzuordnen. Die tempussemantische Beschreibung lautet E > R, S, sie gilt auch für die anderen vier von Andersons perfect-Arten. Beim universellen Perfekt bzw. continuous perfect gibt es Unterschiede zwischen dem Englischen und dem Deutschen: Wenn es um ein Ereignis geht, das oder dessen Nachzustand bis (S) andauert, gilt (S) für das deutsche Perfekt als temporale rechte Endgrenze. Das englische present perfect drückt hingegen aus, dass das Ereignis an (S) noch nicht abgeschlossen ist und man deshalb davon ausgehen kann, dass es sich fortsetzt. Die Pfeile in der obigen Abbildung stellen in diesem Fall die mögliche Implikatur eines offenen Endes dar. Das deutsche Perfekt kann jedoch die Abgeschlossenheit implizieren. Dieses Merkmal wird deshalb in der Abbildung in Klammern gesetzt.

In der dritten (futurischen) Variante des deutschen Perfekts liegt der Ereigniszeitpunkt nach dem Sprechzeitpunkt und der Referenzzeitpunkt nach dem Ereigniszeitpunkt. Sie lässt sich mit dem Schema S > E > R beschreiben. Für das deutsche Perfekt in dieser Verwendung muss immer eine temporale Grenze als Referenzzeitpunkt (R) festgelegt werden. Es kann sich nur um abgeschlossene Ereignisse handeln (s. die gelb markierte Zone in der obigen Abbildung). Damit lässt sich erklären, warum in dieser Gebrauchsweise des Perfekts grundsätzlich nur accomplishment und achievement in Frage kommen:

state: *Morgen hat er sich ein Auto gewünscht.
  *Morgen ist er zu Hause geblieben.
activity: *Nächsten Sonntag habe ich gearbeitet.
  *Nächsten Sonntag bin ich gerannt.
accomplishment: Nächste Woche habe ich das Bild gemalt.
  Morgen ist er bis nach Australien gesegelt.
achievement: Bis morgen haben wir eine Lösung gefunden.
  Nächsten Dienstag bin ich angekommen.

Für diese Gebrauchsweise des deutschen Perfekts spielt deshalb die Aspektualität eine Rolle. Nur zukünftige Ereignisse, die Abgeschlossenheit bzw. Perfektivität ausdrücken, können mit dem Perfekt kombiniert werden. In dieser Variante entspricht das Perfekt dem deutschen Futur II sowie dem englischen future perfect. Ansonsten wird entweder das Präsens oder das Futur I verwendet.

Während das deutsche Perfekt das Futur II ersetzen kann und in dieser Funktion sogar bevorzugt wird, weil es keine modale Bedeutung ausdrückt, lässt dies das Englische nicht zu. Dass diese Gebrauchsweise im Englischen nicht vorkommt, liegt daran, dass im englischen present perfect die rechte temporale Grenze fehlt. Es wird nur ausgedrückt, dass die Ereignisse bzw. Handlungen zum Sprechzeitpunkt noch nicht zu Ende gehen. Um im Gegensatz dazu die Abgeschlossenheit ausdrücken zu können, gebraucht man im Englischen das future perfect. Das deutsche Perfekt impliziert bereits bei der zweiten Gebrauchsweise eine temporale Endgrenze. Entweder ist nur vom Resultat bzw. Nachzustand einer abgeschlossen Handlung die Rede, oder eine durative Handlung dauert bis zum Sprechzeitpunkt an. Für Ereignisse nach dem Sprechzeitpunkt wird diese Eigenschaft noch stärker hervorgehoben. Bei dieser Gebrauchsvariante des deutschen Perfekts ist das Merkmal Abgeschlossenheit deshalb ein notwendiger Bestandteil.

Zusammenfassend drückt das deutsche Perfekt Ereignisse aus, die vor einem gegebenen Punkt auf dem Zeitstahl stattfinden. Der Referenzzeitpunkt ist für die Markierung der Abgeschlossenheit relevant. Die Aspektualität spielt aber keine Rolle mehr, wenn der Referenzzeitpunkt vor dem Sprechzeitpunkt liegt, zumal dann der Referenzzeitpunkt immer mit dem Ereigniszeitpunkt zusammenfällt. In diesem Fall handelt es sich um ein absolutes Tempus, und diese Gebrauchsweise ist identisch mit dem üblichen absoluten Vergangenheitstempus bzw. dem Präteritum. Wenn das Perfekt die Ereignisse hingegen vorzeitig mit einem gegebenen Referenzzeitpunkt positioniert, dann funktioniert es wie ein relatives Tempus. Das Perfekt wird immer verwendet, wenn Abgeschlossenheit hervorgehoben werden muss, wie dies bei Ereignissen mit Zukunftsbezug der Fall ist, sowie bei solchen, die vor dem Sprechzeitpunkt angefangen haben und bis dahin andauern.


7 Fazit

Präteritum und Perfekt sind gegeneinander austauschbar. Diese Ersetzungsmöglichkeit ist jedoch nur in einer Richtung vollständig gegeben: Jedes Präteritum kann (wenn man eine Veränderung der Stilebene in Kauf nimmt) in ein Perfekt umgewandelt werden; aber nicht jedes Perfekt kann umgekehrt durch ein Präteritum ersetzt werden (vgl. Hentschel/Weydt 2003: 107). Diese Substituierbarkeit im Tempussystem ist eine praktikable Handreichung für DaF-Lernende.9 Aus didaktischer Sicht ist es deshalb sinnvoll, mehr Zeit im Unterricht der Behandlung des Perfekts zu widmen und Lernende zu motivieren, mehr Gebrauch vom deutschen Perfekt zu machen. Lernende, die nur das Perfekt verwenden und auf das Präteritum verzichten, verstoßen nur selten gegen Gebrauchsnormen, und zwar nur minimal, da das Perfekt in der gesprochenen Umgangssprache grundsätzlich bevorzugt wird (vgl. Welke 2010: 20). Dass das Perfekt auch den Gebrauch des Futur II für Ereignisse mit Zukunftsbezug verdrängt, spricht ebenfalls dafür, das Perfekt im DaF-Unterricht ausführlicher zu behandeln. In DaF-Grammatiken und Lehrwerken findet man zwar gelegentlich Hinweise darauf, dass das Perfekt ebenfalls für Zukünftiges als Ersatz für das Futur II verwendet werden kann und dass es in der Umgangssprache als Hauptvergangenheitstempus fungiert, aber dem Merkmal "Abgeschlossenheit", das dem deutschen Perfekt zukommt, wird zu wenig Beachtung geschenkt.

Das in 6 dargestellte Beschreibungsmodell im vorigen Kapitel mag zwar noch anspruchsvoll sein, aber man kann im DaF-Unterricht anhand dieser Darstellung das deutsche Perfekt umfassender behandeln, indem Lehrpersonen zu dieser Grafik eine angemessene Erklärung liefern.

Eine mögliche Beschreibung des deutschen Perfekts für den DaF-Untericht könnte deshalb wie folgt aussehen:

1) Das Perfekt kann für jedes beliebige Verb verwendet werden, wenn es sich um ein Ereignis oder eine Handlung in der Vergangenheit handelt. Als Vergangenheitstempus grenzt sich dieses Tempus vom Präteritum dadurch ab, dass es anders als das Präteritum das Resultat eines vergangenen Geschehens mit der Gegenwart verbinden kann.
2) Die Gegenwartsrelevanz des Perfekts unterscheidet sich von der des Präsens, da die durch das Perfekt ausgedrückte Handlung am Jetzt-Punkt (Sprechzeitpunkt bzw. Gegenwart) zu Ende geht, während das Präsens, das sich in diesem Fall wie das engl. present perfect verhält, eine Fortsetzung impliziert oder zulässt. Bei Ereignissen, die in der Vergangenheit geschehen sind und die bis zum Sprechzeitpunkt andauern, muss deshalb auf die Abgeschlossenheit geachtet werden und es muss das entsprechende Tempus verwendet werden.
3) Über die Gegenwart hinaus bzw. für zukünftige Ereignisse kann das Perfekt nur verwendet werden, wenn Abgeschlossenheit ausgedrückt werden soll und der Zeitpunkt, an dem die Ereignisse bereits abgeschlossen sind, angegeben wird. In dieser Gebrauchsvariante kommen nur Verben der Typen accomplishment und achievement vor.

Durch die Grammatikalisierung zum Standardtempus für den Ausdruck von vergangenem Geschehen verliert das deutsche Perfekt zwar seinen perfektiven Charakter, die Feindifferenzierung wird aber nur für Ereignisse in der Vergangenheit aufgehoben. Die Bedeutungskomponente dieses Tempus kann trotzdem jederzeit aktiviert werden, was die Verwendung des Perfekts für den Ausdruck von Ereignissen mit Zukunftsbezug erst ermöglicht. Dass sich auch der Name Perfekt (von lat. perfectum ‚vollendet‘) aus der Bedeutungskomponente "Abgeschlossenheit" des Perfekts erklärt, wie dies beispielsweise bei Hentschel/Weydt (2003: 110) angedeutet wird, ist vor diesem Hintergrund gut nachvollziehbar und soll m. E. sogar für die Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache nutzbar gemacht werden.

Da das Merkmal "Abgeschlossenheit" des deutschen Perfekts an der Schnittstelle zwischen Tempus- und Aspektsystem anzusiedeln ist, wäre es umso interessanter, in zukünftigen kontrastiven Betrachtungen auch die Muttersprache der Lernenden miteinzubeziehen. Dies gilt umso mehr, wenn die Muttersprache der Lernenden zwar über ein Aspekt-10, aber nicht über ein Tempussystem verfügt, wie dies etwa im Thailändischen der Fall ist. In einer früheren Studie (Attaviriyanupap 2009: 280) wurde bereits festgestellt, dass beim Erwerb der Temporalität durch thailändische Muttersprachlerinnen die Aspektualtiät anscheinend eine größere Rolle spielt. Ob das thailändische Aspektsystem Einfluss auf die Tempuswahl in den Lernersprache hat, müsste allerdings in empirischen Untersuchungen überprüft werden.


Anmerkungen

* Im vorliegenden Aufsatz werden Teilergebnisse meines Forschungsprojektes "German Grammar from the Perspective of Thai" vorgestellt, welches vom Thailand Research Fund großzügig gefördert wurde. Mein Dank geht auch an die Hanns-Seidel-Stiftung und Prof. Dr. Petra M. Vogel, die meinen Forschungsaufenthalt in Siegen ermöglicht haben, wo ich die schriftliche Ausarbeitung vornehmen konnte. zurück

1 Dieses Zitat wie auch andere Sätze, die in Kap. 2 als Fehlerbelege angeführt werden, stammen aus insgesamt 50 Aufsätzen, die von thailändischen Studierenden in 2 Deutschkursen geschrieben wurden. Es handelte sich bei dieser Schreibaufgabe um Kreatives Schreiben. Die Teilnehmer hatten vorher den dreiminütigen Film "Murratti greift ein" von Oskar Fischinger gesehen und mussten danach eine frei erfundene Geschichte zum Film schreiben. Dieser Avantgarde-Film aus dem Jahr 1934 ist ein Werbefilm, der in drei Dimensionen animierte Zigaretten der Tabakmarke Muratti zeigt. Die Deutschkenntnisse der Studierenden entsprechen etwa dem Niveau A2. zurück

2 Bei der Panel-Diskussion auf der DWSI in Rom haben die zwei anderen Panel-Teilnehmerinnen (Nicole Schumacher und Mariola Wierzbicka) darauf hingewiesen, dass besonders das Aspektsystem der L1 Einfluss auf die Wahl des Tempus in der L2 haben kann (in diesem Fall Italienisch resp. Polnisch). zurück

3 Fehlerbelege aus dem eigenen Unterricht. zurück

4 Das Verb einsammeln an sich setzt keinen Zeitpunkt voraus. Es gibt sicherlich Leute, die seit Jahrzehnten und unendlich Bücher einsammeln. Die Grenzbezogenheit, die ein Teil des perfektiven Aspekts ist, wird im obigen Beispielssatz durch die Menge alle zum Ausdruck gebracht. zurück

5 Dieser Satz stammt nicht aus den untersuchten Aufsätzen, der Fehlertyp wiederholt sich aber immer wieder in von mir geleiteten Deutschkursen in Thailand. zurück

6 Es handelt sich hier nur um den Gebrauch des historischen Präsens und nicht um ein im Allgemeinen verwendete Vergangenheitstempus. zurück

7 Gemeint ist hier die Klassifizierung der Prädikate nach Aktionsarten bzw. lexikalischem Aspekt im Sinne von Vendler (1967). Dieser Kategorisierung liegen drei Merkmale zugrunde: state [–dynamisch, +durativ, –telisch], activity [+dynamisch, +durativ, –telisch], accomplishment [+dynamisch, +durativ, +telisch] und achievement [+dynamisch, –durativ, +telisch]. zurück

8 Da achievements naturgemäß punktuell und somit immer perfektiv sind, kann die imperfektive Lesart nur durch Wiederholung des betroffenen Ereignisses entstehen. zurück

9 Bemerkenswert ist außerdem, dass bei ungesteuertem Deutscherwerb durch thailändische Muttersprachlern das Präteritum kaum erworben wird, während das Perfekt bei fortgeschrittenen Informatinnen fast fehlerfrei verwendet wird (vgl. dazu Attaviriyanupap 2009: 278). Der Umgang mit Muttersprachlern des Deutschen wird überhaupt nicht gestört, vor allem wenn es sich um mündlichen Sprachgebrauch handelt. zurück

10 Das Thailändische weist zwar ein Aspektsystem auf, Aspekt ist im Thailändischen allerdings keine obligatorische grammatische Kategorie. zurück


Literatur

Attaviriyanupap, Korakoch (2009): Hochdeutsch als Zweitsprache. Spracherwerb von thailändischen Immigrantinnen in der Schweiz. Bern etc.: Peter Lang.

Bybee, Joan/Perkins, Revere/Pagliuca, William (1994): The evolution of grammar. Tense, aspect and modality in the languages of the world. Chicago: University of Chicago Press.

Comrie, Bernard (1995): "German Perfekt and Präteritum: speculations on meaning and interpretation". In: Palmer F. R. (ed.): Grammar and Meaning. Cambridge, CUP: 148–161.

Dahl, Östen (1985): Tense and aspect systems. Oxford/New York: Blackwell.

Dahl, Östen/Velupillai, Viveka (2005): "The Perfect". In: Haspelmath, Martin (ed.): The World Atlas of Language Structures. Oxford, Oxford University Press: 268–269.

Dinsel, Sabine/Geiger, Susanne (2007): Verbformen. Bildung & Gebrauch. Ismaning: Hueber.

Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Der Satz. 3., durchgesehene Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler.

Esterl, Ursula et al. (2008): Team Deutsch – Deutsch für Jugendliche. Stuttgart: Klett.

Grewendorf, Günther (1995): "Präsens und Perfekt im Deutschen". Zeitschrift für Sprachwissenschaft 14,1: 72–90.

Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim (2001): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländischerunterricht. Berlin etc.: Langenscheidt.

Hering, Axel/Matussek, Magdalena/Perlmann-Balme, Michaela (2002): em Übungsgrammatik Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber.

Hentschel, Weydt (2003): Handbuch der deutschen Grammatik. 3. völlig neu bearb. Aufl. Berlin/New York: Walter de Gruyter.

Hentschel, Elke/Velupillai, Viveka (2009): "Tempus". In: Hentschel, Elke/Vogel, Petra M. (eds.): Deutsche Morphologie. Berlin/New York, de Gruyter: 425–442.

Klein, Wolfgang (1992): "The present perfect puzzle". Language 68: 525–552.

Klein, Wolfgang (1999): "Wie sich das deutsche Perfekt zusammensetzt". Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 113: 52–85.

Klein, Wolfgang/Vater, Heinz (1998): "The Perfect in English and German". In: Kulikov, Leonid I./Vater, Heinz (eds.): Typology of verbal categories. Paper presented to Vladimir Nedjalkov on the occasion of his 70th birthday. Tübingen, Niemeyer: 215–235.

Koithan, Ute (2007): Aspekte. Mittelstufe Deutsch. Lehr- und Arbeitsbuch 1. Berlin etc.: Langenscheidt.

Lipsky, Angela (2005) "Zum Gebrauch von Perfekt und Präteritum. Sind die Erklärungen in den Lehrwerken ausreichend?" Deutsch als Fremdsprache 42/2 (2005): 86–89.

Müller, Martin et al. (2006): Optimal B1. Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache. Lehr- und Arbeitsbuch. Berlin etc.: Langenscheidt.

Musan, Renate (2002): The German Perfect. Its Semantics Composition and its Interactions with Temporal Adverbials. Dordrecht etc.: Kluwer Academic Publishers.

Neuner, Gerhard et al. (2009): Deutsch als zweite Fremdsprache. Fernstudieneinheit 26. Fernstudienprojekt zur Fort- und Weiterbildung im Bereich Germanistik und Deutsch als Fremdsprache. Berlin etc.: Langenscheidt.

Rathert, Monika (2001): "Anteriority versus Extended Now Theories of the German Perfect". In: Féry, Caroline/Sternefeld, Wolfgang (eds.): Audiatur Vox Sapientiae. A Festschrift for Arnim von Stechow. Berlin, Akademie Verlag: 410–426.

Schumacher, Nicole (2005): Tempus als Lerngegenstand. Ein Modell für Deutsch als Fremdsprache und seine Anwendung für italienische Lernende. Tübingen: Narr.

Stechow, Arnim von (1999): "Eine erweiterte ExtendedNow-Theorie für Perfekt und Futur". Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 113: 86–118.

Thieroff, Rolf (2009): "Perfekt". In: Hentschel, Elke/Vogel, Petra M. (eds.): Deutsche Morphologie. Berlin/New York, de Gruyter: 296–310.

Vendler, Zeno (1967): Linguistics in Philosophy. Ithaca/New York: Cornell University Press.

Welke, Klaus (2005): Tempus im Deutschen. Rekonstruktion eines semantischen Systems. Berlin/New York.

Welke, Klaus (2010): "Contras Invarianz – Tempus im DaF (II): Perfekt und Präteritum". Deutsch als Fremdsprache 47, 1: 17–25.