Zur deutsch-niederländischen Staatsgrenze als Dialektgrenze im Nordniedersächsischen: Sprachliches Wissen, Wahrnehmung linguistischer Laien oder beides?

Line-Marie Hohenstein (Münster)

http://dx.doi.org/10.13092/lo.85.4082


 

1 Einleitung

Einschlägige traditionell geführte Untersuchungen zur Dynamik deutsch-niederländischer Grenzdialekte haben ergeben, dass das Niederdeutsche sowohl diesseits als auch jenseits der Staatsgrenze in seiner Struktur von den sie jeweils überdachenden Standardsprachen beeinflusst wird, was schließlich dazu führt(e), dass sich die Staatsgrenze zu einer Dialektgrenze entwickelt (hat) (cf. u. a. Kremer 1979, Giesbers 2008 und Smits 2011). In diesen Arbeiten standen Dialekte folgender Gebiete im Fokus: Kremer (1979) untersuchte die Sprachlandschaften Achterhoek und Twente in den Niederlanden und die Sprachlandschaften Westmünsterland sowie die Grafschaft Bentheim auf deutscher Seite. Smits (2011) erhob in dem Ort Winterswijk (Provinz Gelderland) und dem an der deutsch-niederländischen Staatsgrenze gegenüberliegenden Ort Vreden (Nordrhein-Westfalen) Daten zum Westfälischen, während Giesbers (2008) den Fokus in ihrer Datenerhebung auf die Orte Groesbeek-Kranenburg, Gennep-Goch, Ven/Zelderheide-Kessel, Siebengewald-Hüllm und Afferden-Asperden im Kleverländischen legte. Die deutschen Orte sind in ihrer Studie in dem Bundesland Nordrhein-Westfalen angesiedelt und die aus den Niederlanden in den Provinzen Gelderland, Limburg und Brabant. Dadurch, dass sie Orte mit unterschiedlichen Abständen von der Grenze untersuchte, konnte sie belegen, dass die in der Sprachwissenschaft etablierte Annahme von Chambers/Trudgill (1998) für Orte innerhalb Deutschlands und innerhalb der Niederlande tatsächlich gilt:

If we travel from village to village, in a particular direction, we notice linguistic differences which distinguish one village from another. Sometimes the differences will be larger, and sometimes smaller, but they will be cumulative. The further we get from our starting point, the larger the differences will become.

(Chambers/Trudgill 1998: 5)

Sie konnte aber auch nachweisen, dass, sobald die Staatsgrenze Orte ursprünglich gleicher Dialektgebiete und einer vergleichbaren geographischen Distanz durchläuft, diese These nicht mehr greift. Die Trennung von Mundartgebieten verläuft an der Staatsgrenze sehr scharf, d. h., die um die Grenze angesiedelten Mundarträume stellen an diesen Stellen kein lückenloses Dialektkontinuum (mehr) dar.

Der bei all diesen eben genannten Studien festgestellte Strukturverlust fiel bei den niederdeutschen Grenzdialekten in den Niederlanden höher als in den deutschen Untersuchungsgebieten aus (cf. Smits 2011: 263, cf. Giesbers 2008: 176 und cf. Kremer 1979: 214). Dies führen die Autoren darauf zurück, dass vor allem der historisch bedingt geringe strukturelle Abstand der niederländischen Standardvarietät zur dialektalen Varietät eine Annäherung an die prestigereichere Standardvarietät ermöglicht. Der Abstand der deutschen Standardvarietät zur dialektalen Varietät ist dagegen sehr viel größer, wodurch die (Möglichkeit einer) Advergenz geringer ausfällt. Die Strukturen des Dialekts auf deutscher Seite bleiben daher eher gewahrt als auf der niederländischen (cf. Smits 2011: 35). Die so bestehenbleibende hohe Diskrepanz der deutschen Standardvarietät zur niederdeutschen Varietät führt jedoch auch dazu, dass der niederdeutsche Dialekt in Deutschland an Funktion verliert. Denn die hohe strukturelle Distanz beider Varietäten zueinander bedingt, dass Nicht-Dialektsprecher große Schwierigkeiten haben, das Niederdeutsche zu verstehen, was wiederum dazu führt, dass Dialektsprecher vermeiden, Dialekt bei Anwesenheit von Nicht-Dialektkundigen zu sprechen. Der Prozess eines immer größer werdenden Rückgangs des Dialekts wurde somit ins Rollen gebracht, der bis heute anhält. In den Niederlanden dagegen entwickelt sich der Basisdialekt zu einer Art Regiolekt nach Auer (2005: 26f), dessen Funktion zwar gegenüber der Standardvarietät eingeschränkt ist, jedoch nicht in einem so hohen Maß, dass von einem Aussterben dieser Varietät auszugehen ist (cf. Smits 2011: 34f.).

Erhebungen, die nicht die Struktur deutscher Dialekte in den Fokus ihrer Arbeit gerückt haben, sondern die Wahrnehmung dialektologischer Laien, sind (vor allem im deutschsprachigen Raum) eher marginal vertreten. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die subjektive Dialektologie, bei welcher der kognitive Aspekt berücksichtigt wird (cf. Anders 2010: 14), der u. a. die Wahrnehmung von sprachlichen Auffälligkeiten in Form von mentalen Landkarten inkludiert, erst gegen Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts ihre Anfänge in der deutschsprachigen Dialektologieforschung verzeichnen kann. Neben Diercks (1988), der u. a. zum Mundartgebrauch, -einstellungen und -verortungen niederdeutschsprechender Bewohner der Stadt Schleswig untersuchte, ist vor allem die Dissertation von Anders (2010) als eine der ersten großen Studien zur Wahrnehmung von Dialekten zu nennen. Sie befragte obersächsische Probanden zur Wahrnehmung von Dialekten innerhalb Deutschlands. Stoeckle (2014) dagegen hat in seiner Dissertation den Schwerpunkt auf einen kleineren Raum gelegt; er untersuchte u. a., wie Dialektsprecher im Alemannischen Dreiländereck die Staatsgrenze wahrnehmen, indem er seine Probanden fragte, wo ihrer Meinung nach gleich bzw. anders gesprochen wird. Als einer der wenigen, der letztere Fragestellung im deutsch-niederländischen Grenzgebiet angewandt hat, ist Kremer (1984) zu nennen. Er übertrug die von Weijnen (1946) entwickelte „Pijltjesmethode“ auf das twentisch-westfälische Grenzgebiet, die sich von der Methode der mental Maps primär in der Darstellung unterscheidet und konnte – wie Stoeckle (2014) – belegen, dass auch in der Wahrnehmung der Gewährspersonen die Staatsgrenze als Dialektgrenze gilt (cf. Kremer 1984: 81f.). Giesbers (2008), um noch eine weitere Erhebung subjektiver Daten zu erwähnen, elizitierte Daten im Kleverländischen mit ähnlichen Fragestellungen wie Kremer (1984) und Stoeckle (2014), aber mit einer leichten Abänderung in der Methodik: Anstatt ihre Probanden Orte auf eine Landkarte einzeichnen zu lassen, in welchen sie wahrnehmen, dass gleich gesprochen wird, sollten sie fünf gleichsprachige Orte nur nennen (cf. Giesbers 2008: 123). Sie konnte damit nicht nur Kremers (1984) und Stoeckles (2014) Ergebnis für ein weiteres Grenzgebiet bestätigen, sondern, durch eine Abänderung ihres Designs, darüber hinaus aufzeigen, dass niederländische Probanden fast ausschließlich niederländische Orte und deutsche Probanden fast ausschließlich deutsche Orte nennen, die sie als gleich bezüglich ihres Dialekts empfinden. Außerdem waren die Probanden der deutschen Orte, die näher an der deutsch-niederländischen Grenze liegen, nicht mehr geneigt niederländische Orte anzugeben als die, die weiter weg von der Grenze entfernt sind. Selbiges gilt für die Niederlande; innerhalb der jeweiligen Länder stimmt dagegen der perzeptive Abstand mit dem geographischen überein (cf. Giesbers 2008: 126-129).

Die objektiven Daten und die subjektiven Wahrnehmungen in den Erhebungen von Kremer (1979 verglichen mit 1984) und Giesbers (2008) ergeben beide übereinstimmend, dass die deutsch-niederländische Staatsgrenze sich zu einer Grenze zweier genuin homogener Dialekte entwickelt hat. Dies wurde im folgenden Beitrag – dessen Daten aus meiner Dissertation hervorgehen – zum Anlass genommen, objektive und subjektive Methoden in einer Erhebung in einem weiterem Dialektgebiet an der deutsch-niederländischen Grenze anzuwenden, um zu schauen, ob sich diese Entwicklung auf mehrere Gebiete, also in diesem Fall auf das Nordniedersächsische, an der Grenze beziehen lässt.


2 Desiderat und Forschungshypothesen

Ein Desiderat im Bereich deutsch-niederländischer Grenzdialekte stellt eine Untersuchung dar, die zum einen ein weiteres Gebiet an der deutsch-niederländischen Grenze in den Fokus nimmt und zum anderen eine Studie, bei der sowohl traditionelle als auch subjektive Methoden erhoben werden, um diese einander gegenüberzustellen. So lässt sich herausfinden, ob per subjektiver Daten eine Dialektgrenze entlang der Staatsgrenze wahrgenommen wird und ob innerhalb der objektiven Daten, also der Übersetzungssätze, an der besagten Stelle mehrere Isoglossen zusammenfallen als zwischen den Orten auf deutscher Seite. Eine sich dadurch ergebende Frage lautet, ob bzw. wie sich die wahrgenommenen und strukturell festgestellten Grenzen in Beziehung zueinander setzen lassen. Die Thesen, die bei diesem Unterfangen verfolgt werden, lauten, in Anlehnung an die erwähnte Literatur, wie folgt:

These 1: Die objektiven Daten ergeben, dass sich die dt.-nl. Staatsgrenze auch im Nordniedersächsischen Erhebungsgebiet als Dialektgrenze erweist.

These 2: Die subjektiven Daten ergeben, dass sich die dt.-nl. Staatsgrenze auch im Nordniedersächsischen Erhebungsgebiet als Dialektgrenze erweist.

These 3: Objektive und subjektive Daten stimmen dahingehend überein, dass sich die dt.-nl. Staatsgrenze als Dialektgrenze erweist.


3 Objektive und subjektive Daten

Unter objektiven Daten werden in Abgrenzung zu subjektiven solche verstanden, bei welchen die Struktur der Dialekte im Vordergrund steht. Bei einer Erhebung von Dialektdaten auf traditionelle Weise sind insbesondere – aber nicht nur – die den Dialekten eigenen und damit die von der Standardsprache abweichenden sprachlichen Phänomene morphologischer, phonologischer, lexikalischer oder syntaktischer Art interessant. Denn diese lassen sich in Hinblick einer möglichen Advergenz hin zum Standard besonders gut auswerten. Generell unterscheidet man bei der Art der Gewinnung objektiver Sprachdaten zwischen einer (a) produktionsbezogenen und einer (b) wissensbezogenen Methodologie: Bei der produktionsbezogenen Methodologie werden spontansprachliche Daten erhoben, um den tatsächlichen Sprachgebrauch der Probanden zu untersuchen. Dies geschieht meist durch das Aufnehmen von Tischgesprächen, bei denen zwischen drei bis fünf Probanden aufgefordert werden, sich in ihrem Dialekt zu unterhalten. Diese Form der Elizitierung wird vor allem in neueren Forschungen angewandt, da man überzeugt ist, so mehr über die Sprachrealität der Probanden aussagen zu können. Denn so fielen sogenannte Echoformen und das Beobachterparadoxon weg, die an der wissensbezogenen Methodologie immer wieder kritisiert werden (cf. hierzu bspw. Wirrer 2011: 362). Bei der wissensbezogenen Methodologie werden hochsprachliche Sätze zur Übersetzung im Dialekt vorgelegt, um das sprachliche Wissen der Informanten zu erheben (cf. Streck 2012: 25). Diese Methode findet mit Georg Wenker, dem Autor des 1878 erschienenen Sprach-Atlas der Rheinprovinz nördlich der Mosel und des Sprachatlas des deutschen Reichs (i. e. der Wenker-Atlas) aus den Jahren 1888 bis 1923 seine Anfänge und damit auch seinen prominentesten Vertreter (cf. Herrgen 2010: 1520-1525). Sie ist trotz der oben angesprochenen Vorwürfe eine anerkannte und gängige Methode, wenn, wie Wirrer (2011: 362f) einlenkt, die „einschlägigen Daten direkt erhoben werden, auf Tonträgern gespeichert und dann nach phonetischen, morphologischen und anderen linguistischen Gesichtspunkten ausgewertet“ werden. Zudem erlaubt nur sie diachrone Vergleiche mit den Daten des Wenker-Atlasses. Auch bei der Untersuchung eines Dialekts unter Einfluss zweier verschiedener Standardsprachen ist sie dahingehend von Vorteil, dass sie ermöglicht, gezielt sprachliche Phänomene abfragen zu können, die Aussagen über die Entwicklung beider zulassen.

Mit subjektiven Daten sind in diesem Beitrag solche gemeint, die per mental Maps erhoben werden.1 Die Forschungsmethode der mental Maps wurde auf internationaler Ebene vor allem von Preston (1999) geprägt. Er konzipierte eine Methode für den anglo-amerikanischen Raum, um das Wissen über Dialektgrenzen von linguistischen Laien systematisch zu eruieren. Dabei werden die Gewährspersonen aufgefordert, alle ihnen bekannten Sprachräume in eine Grundkarte, die ausschließlich die Information der Bundesstaatengrenzen enthält, einzuzeichnen und zu benennen. Durch Addition einzelner Polygone entstehen Akkumulationen, welche die (Mehrheit der) sogenannten mentalen Landkarten der befragten Gewährspersonen abbilden. Diese draw-a-map-Methode erlebte in den vergangenen 15 Jahren mehrfach Überarbeitungen, wovon hier einige kurz angerissen werden sollen: Da die Art der den Probanden vorgelegten Karten hinsichtlich der gegebenen geographischen Informationen von Studie zu Studie variierte, untersuchten Lameli et al. (2008: 80f.), ob dies das Antwortverhalten der Gewährspersonen beeinflusst. Ihre Ergebnisse ergaben, dass Blanko- und Kombinationskarten die spontansten Antworten evozieren, weswegen sie von den Autoren als diejenigen eingestuft wurden, die am wenigsten Einfluss auf die Probanden haben. Dennoch ‒ so räumte Lameli (2009: 131) ein ‒ kann selbst bei der Verwendung einer „relativ unspezifischen Grundkarte angenommen werden, dass die jeweiligen Eintragungen aufgrund der markanten geometrischen Gestalt des Nationalraums auch geographisch eindeutig nachvollziehbar sind“ und somit einen Einfluss ausüben. D. h., auch bei einer Blankokarte ist eine Lenkung der Probanden durch Information nicht völlig auszuschließen und demnach nicht zwingend einer Karte mit mehreren Informationen vorzuziehen.

Nun sei noch auf eine weitere sich als erfolgreich erzeigte Systematisierung hinzuweisen und zwar auf Stoeckles (2010: 294) Systematisierung der sehr heterogenen Benennungen von Sprachräumen. Diese bringen nämlich Probleme bei Quantifizierung mit sich. Um dennoch auf die „Vorurteile[, die LMH] hinter derartigen Benennungen stecken [sowie um herauszufinden, LMH] welche Bezeichnungen für Dialekträume besonders verbreitet sind“, unterteilte er die Angaben zu den wahrgenommenen Arealen in Kulturräume (z. B. „Kaiserstuhl“, „Rebland“), geografische Räume (z. B. „Lander“ [sic!], „Wälder“, „Täler“), politische Räume (z. B. „Schweiz“, „Elsass“) und […] konfessionelle Räume.

Des Weiteren ist hier zu erwähnen, wie Hundt et al. (2015: 592f) gearbeitet haben, um herauszufinden, welche laienlinguistischen Motivationen den Einzeichnungen zugrunde liegen bzw. wie diese zu gliedern sind: Sie unterteilten die Zugänge mentaler Konzepte der Probanden, die sich anteilig aus konativen (Wissen über assoziierte Eigenheiten und Verhaltensweisen der Sprecher von Varietäten, wie bspw. „der geizige Schwabe“), evaluativen (Wissen über das Prestige bzw. Stigma einzelner Varietäten) und kognitiven (Wissen über sprachliche Merkmale, Wissen über geographische Verortung sowie Wissen über extralinguale Faktoren einzelner Varietäten wie bspw. deren soziale Stratifikation) Beständen zusammensetzen, in vier Obergruppen. Diese lauten: (1) unspezifische Ahnung, (2) allgemeine Dialektcharakterisierung, (3) spezifischer Eindruck von den Sprechweisen unter Rückgriff auf Schibboleth-Phrasen und (4) spezifischer Eindruck von Sprechweisen unter Rückgriff auf Einzelmerkmale. Dem Typ der unspezifischen Ahnung werden Probanden zugeordnet, die zwar eine „Vorstellung zu den Regionen und Sprechern sowie Modellsprechern und medialen Inszenierungen“ (Hundt et al. 2015: 596) von der zu besprechenden Varietät haben, diese jedoch nicht näher charakterisieren können. Als Beispiel für diesen Typus geben Hundt et al. (2015: 596) folgende Aussage einer Gewährsperson: XY-Varietät „isch halt so wie man das Schwäbische kennt“. Der Klasse allgemeine Dialektcharakterisierung werden alle jene Probanden zugeordnet, die die zu besprechende Varietät (zumindest) in „allgemeiner Weise charakterisieren“ (Hundt et al. 2015: 597). Sie umfasst sowohl “Beschreibungen zum Dialekt selbst als auch Beschreibungen und Bewertungen zur Region, zu den Sprechern und zu anderen nichtsprachlichen Bedeutungskomponenten des laienlinguistischen Konzepts“ (Hundt et al. 2015: 597). Als Beispiel für diese Klasse ist folgendes Zitat einer Gewährsperson von Hundt et al. (2015: 597) zu nennen: „das [Gesprochene, LMH] hört sich irgendwie anders an“ oder auch „die singen alle“. Da diese beiden Konzepte einer ganzheitlichen Wahrnehmung entsprechen, werden diese unter „holistisch“ zusammengefasst, während die folgenden einer partikulären Wahrnehmung entsprechen. D. h., einzelne Merkmale können genannt und voneinander unterschieden werden und zum Teil auch auf andere Beispiele übertragen werden: Typ (3), also der spezifische Eindruck von den Sprechweisen unter Rückgriff auf Schibboleth-Phrasen, umfasst solche Konzepte, bei welchen sprachliche Merkmale genannt werden, die die zu besprechende Varietät in ihrer Wahrnehmung auszeichnen. Diese sprachlichen Merkmale sind jedoch an Lexeme, Phrasen oder Sätze gebunden und von den Probanden nicht übertragbar auf Lexeme etc. mit einem ähnlichen Phänomen. Es handelt sich hierbei um mesmerisierte Merkmale. In der letzten Klasse – spezifischer Eindruck von Sprechweisen unter Rückgriff auf Einzelmerkmale – der von Hundt et al. (2015: 597) zusammengefassten Obergruppen, benennen die Probanden nicht nur einzelne Schibboleths, sondern beschreiben das in dem Beispiellexem vorkommende Phänomen davon losgelöst und übertragen dies auch auf andere Phrasen, Sätze und Lexeme. Ein Beispiel hierfür wären Aussagen wie „die ziehen die Wörter so zusammen“ oder auch „das k wird da weich gesprochen“. Diese Merkmale erhalten meist zusätzlich eine soziale Bewertung, wie bspw., dass die Hamburger steif sind, da sie „s-teife Brise“ sagen.

Innerhalb dieser Oberkategorien lässt sich mit Anders (2010: 269) eine weitere Untergliederung vornehmen. Sie systematisierte die Metakommentare der Probanden, die sie beim Einzeichnen der Sprachräume äußerten nach Assoziationen. So war es ihr – ohne Beeinflussung der Probanden – gelungen, Erklärungen für die von den in ihrer Dissertation zu Dialekten in ganz Deutschland befragten obersächsischen Probanden eingezeichneten Polygone zu erhalten und diese nach sprachliche Ebenen zu ordnen. Dies ermöglicht u. a. herauszufinden, auf welcher sprachlichen Ebene die häufigsten Beispiele gegeben werden.

Die von den Probanden genannten sprachlichen Merkmale nach Purschke (u. a. 2014: 61 auf Abb.1 dargestellt) können unter dem Begriff saliente Merkmale subsumiert werden, da es sich bei diesen um jene handelt, die wahrgenommen werden und damit auffällig sind. Handelt es sich bei den salienten dann um solche, die von den Probanden als relevant erachtet werden, den sogenannten pertinenten Merkmalen, haben sie erst Einfluss auf das (regionale) Sprachwissen der Sprachteilnehmer. Dies führt dann – weiterhin nach Purschke (2014) – in Konsequenz einer Konstanz im sprachlichen Verhalten oder aber einer Modifikation.2 Das bedeutet also, wie bereits oben angerissen, dass es einen Zusammenhang zwischen wahrgenommenen und objektiven sprachlichen Strukturen gibt und so kann dann und hier aufgezeigt werden, wie ergiebig sich eine Korrelation von objektiven und subjektiven Daten gestalten kann.


4 Erhebungsdesign

4.1 Erhebungsorte und Gewährspersonen

Die Erhebungen wurden in dem niederländischen Ort Erica und den deutschen Orten Wesuwe, Herzlake und Bakum durchgeführt (siehe Karte 1), wovon hier in diesem Beitrag aber nur die beiden Orte Erica und Wesuwe, die direkt an der Grenze liegen, besprochen werden. Die Orte wurden mithilfe eines Rasters (25km x 25km) so bestimmt, dass sie horizontal betrachtet auf einer Linie liegen. Dies ermöglicht – zumindest auf deutscher Seite –, zu eruieren, ob die Distanz zur Grenze im Hinblick auf die Ergebnisse sowohl subjektiver als auch objektiver Methoden, ausschlaggebend ist:3

Karte 1: Erhebungsorte Erica (NL), Wesuwe (D), Herzlake (D) und Bakum (D)

Beide Orte gehören nach Niebaum (1983: 116 in Taubken 1990: 230) zum Nordniedersächsischen Dialektverband. Diese Eigenschaft der Erhebungsorte wurde getroffen, um der grundsätzlichen Annahme Rechnung zu tragen, dass es sich bei dem Nordniedersächsischen um einen Dialektverband handelt, der dies- und jenseits der deutsch-niederländischen Staatsgrenze gesprochen wird. Des Weiteren weisen die Erhebungsorte eine vergleichbare Sozialstruktur und Einwohnerzahl auf; letztere liegt zwischen 2.000 und 5.900 Einwohnern.4 Da Gewährspersonen nicht nur „Lieferanten ortsspezifischer linguistischer Daten“ (Barbour/Stevenson 1998: 81), sondern auch Lieferanten von Erklärungen über „Sprechweisen“ (Barbour/Stevenson 1998: 80f.) sind, die, wie bspw. auch bei Smits (2009:117), „Sprachdaten mit extralingualen sozialen […] Fakten untermauern“ (können) und es ermöglichen, herauszufinden, „welcher Sprechertyp welche Art der Sprache produziert“, wurden bei der Wahl der Gewährspersonen neben der Bedingung, dass eine Dialektkompetenz des Basisdialekts vorhanden ist, welches sowohl durch Einschätzung anderer Gewährspersonen sowie der zusätzlichen Einschätzung der Gewährspersonen selbst abgefragt wurde (d. h. Social-Network-Principle nach Labov 2001: 327), u. a. die durch Labov (2001) bekannt gewordenen Parameter gleichgehalten. So sind beispielsweise alle Gewährspersonen im Untersuchungsgebiet bzw. im näheren Umkreis sozialisiert worden (d. h. lokale Identität). Des Weiteren wurde die Konfession gleichgehalten; alle Probanden sind katholisch. Auch eine Gemeinsamkeit der Probanden ist dahingebend gegeben, als dass diese seit ihrer Geburt in ihrem Erhebungsort oder in der näheren Umgebung aufgewachsen und sozialisiert sein müssen. Die tolerierte Abwesenheitszeit am Stück vom Wohnort (d. h. Erhebungsort) beträgt dabei (ähnlich wie in der Untersuchung von Lenz 2003: 47) nicht mehr als ein Viertel ihres Lebens. Als weitere soziale Parameter nennt Labov (2001) Beruf, Geschlecht und Alter.5

Insgesamt werden in dem vorliegenden Aufsatz die Ergebnisse von 32 Probanden besprochen, die hier zusammengefasst für einen Erhebungsort stehen (siehe Tabelle 1):

Gewährspersonen

Erica

8x junge GPs

8x alte GPs

4x männliche GPs

4x weibliche GPs

4x männliche GPs

4x weibliche GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm. GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm. GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm. GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm.

GPs

Wesuwe

8x junge GPs

8x alte GPs

4x männliche GPs

4x weibliche GPs

4x männliche GPs

4x weibliche GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm. GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm. GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm. GPs

2x komm. GPs

2x nicht komm. GPs

Tabelle 1: Gewährspersonenraster pro Ort und nach unabhängigen Variablen sortiert

4.2 Erhebungsmethoden

4.2.1 Objektive Daten: Übersetzungssätze

In dem vorliegenden Beitrag wird bei der Elizitierung von objektiven Daten die wissensbezogene Methode – in Anlehnung an Smits (2011) – der gebrauchsbasierten vorgezogen. Es wurden also Sätze in der deutschen bzw. niederländischen Standardvarietät vorgelesen, die von den Probanden in den Dialekt übersetzt werden sollten. So konnte im Voraus festgelegt werden, welche Phänomene abzufragen sind, was bei der Untersuchung dreier Varietäten durchaus notwendig ist. Bei den vorgelesenen Sätzen handelte es sich um insgesamt 140 Übersetzungssätze, in welche lexikalische, syntaktische, morphologische und phonologische Phänomene eingeflochten waren, die für die Übersetzung in den Dialekt vorgegeben wurden und von denen hier ein kleiner Ausschnitt vorgestellt wird (was u. a. bedeutet, dass hier kein syntaktisches Phänomen auftaucht).

Die Phänomene entstammen der Grammatik (2011a) und dem Wörterbuch (2011b) von Sass, welche den Dialektgroßraum Nordniedersächsisch repräsentieren. Zur Feindifferenzierung und Überprüfung der einzelnen Ergebnisse werden dann das Emsländische Wörterbuch von Schmidt (1998), das Hümmlinger Wörterbuch von Book/Taubken (1993), das Plattdeutsche Wörterbuch vom Oldenburger Münsterland von Grieshop et al. (2009), das Oldenburger Wörterbuch von Böning (1998) sowie die strukturgeographische Untersuchung der Dialekte von Südostdrente und anliegenden Gebieten von Kocks (1970) hinzugezogen. Bei der Auswahl der sprachlichen Phänomene ergeben sich mehrere Blickwinkel, von welchen in diesem Beitrag jener besprochen wird, bei welchem sich die ausgewählten sprachlichen Phänomene im niederländischen Standard vom deutschen Standard und vice versa unterscheiden. Diese Perspektive ermöglicht, die Entwicklung hin zum Standard (d. h. Advergenz) auf deutscher und auf niederländischer Seite zu beobachten. Als Beispiel wäre hierfür der nordniedersächsische Einheitsplural von Verben auf -(e)t zu nennen, der im niederländischen Standard auf immer mit -(e)n gebildet wird und im deutschen Standard in der 1. und 3. Person Plural auf -(e)n und in der 2. Person Plural auf -t auslautet.

Bei einem weiteren Kriterium, das bei der Auswahl sprachlicher Phänomene zu berücksichtigen ist, handelt es sich um die Möglichkeit der Vergleichbarkeit mit bereits bestehenden Studien. Diese sollten bestenfalls soweit zurückliegen, dass sie gar einen diachronen Vergleich zulassen und somit zu einer Nachzeichnung einer Entwicklung verhelfen. Dies ist jedoch – vor allem auch unter Berücksichtigung der oben genannten Einschränkungen – nur zum Teil möglich. So sind in der diesem Aufsatz zugrundeliegenden Dissertation Phänomene, die nicht nachweisbar eine Entwicklung zum Standard durchlaufen haben und so ausschließlich auf der mehrfach belegten These des dialektalen Kontinuums fußen im Untersuchungskorpus, aber auch solche, die für den deutschen Erhebungsort bspw. durch den Wenkeratlas von 1880ff. (DiWA) eine diachrone Betrachtung zulassen sowie solche, die bspw. durch Hinzuziehung des Dialektatlas van Zuid-Drente en Noord-Overijssel einen Abgleich mit niederländischen Charakteristika aus dem Jahre 1980 ermöglichen. Die Auswahl ist also auch quellenabhängig zu treffen gewesen. Im vorliegenden Aufsatz sind Phänomene mit allen der hier aufgeführten Vergleichsmöglichkeiten vertreten. Dennoch wird hier nicht auf die diachrone Vergleichbarkeit eingegangen, sondern, wie in der Einleitung angerissen, von einem genuin dialektalen Kontinuum das lange bis über die deutsch-niederländische Staatsgrenze bestanden hatte, ausgegangen.

Bei der Auswertung der übersetzten Sätze orientiere ich mich an Smits (2011), der zuvorderst die Pole Standard (S) und Dialekt (D) anhand von Dialekt- bzw. Ortsgrammatiken und den Kodizes der Standardsprache festlegt hat, welchen er dann in einem nächsten Schritt die jeweiligen Formen zugeordnet hat. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sich die Existenz von standardsprachlichen und dialektalen Formen mittels schriftlicher Fixierung relativ eindeutig belegen lassen. Am Beispiel des Diminutivs von „Baum“ wäre hier die Standardform „Bäumchen“ zu erwarten. Sass (2011a: 264) führt im Hinblick auf die dialektale Form die Suffixe -ke(n), -je(n), -sche(n), -tje, -jer, -ing und -scher auf, weist aber zudem auf die analytische Bildung mit lütt(e) hin, die er als modernere Form bezeichnet. Die dritte Kategorie ist die der intermediären Varianten (I). Mit intermediären Formen sind mit Smits (2011: 61) u. a. nicht schriftlich fixierte Varianten gemeint, die sich dementsprechend nicht den Kategorien Standard und Dialekt zuordnen lassen. Diese intermediären Formen, die mit Auer (2005: 26f.) aus Dialekten entstanden sind und sich Richtung Standard entwickeln, stehen in einem ständigen Wechselverhältnis zueinander, was sie zu dynamischen Formen macht. D. h., bei einer Einteilung in dialektale Formen und Standardformen zählten die intermediären ob ihrer Dynamik bereits zu den Standardformen. Darüber hinaus habe ich für die Auswertung der übersetzen Standardsätze zwei weitere Kategorien geöffnet: die Dialektvariante (DV) und die Standardvariante (SV). Denn so finden die Varianten, die nicht in Kodizes oder Orts- und Dialektgrammatiken verzeichnet sind, sich aber dennoch dem Standard oder Dialekt zuordnen lassen (nicht zu verwechseln mit den intermediären Formen) auch eine Berücksichtigung. Sie tragen einerseits bei einer dichotomischen Berechnung von Standardformenanteil vs. Dialektformenteil zu einem Ergebnis bei und andererseits bekommt man durch diese Kategorien Auskunft darüber, welche Dialektvarianten in welchen Orten verwendet werden. Dass wiederum ermöglicht einen Einblick in einen ortseigenen Dialekt. Eine solche beschriebene Dialektvariante des Phänomens der Diminutivbildung im Nordniedersächsischen würde bspw. lüttke Boom lauten. Diese Form wird von einigen Gewährspersonen genannt und ist eindeutig dialektal, kommt aber nicht im Sass (2011a) vor. Bei der Diminutivbildung bleibend wäre ein Beispiel für ein deutsche Standardvariante „Bäumchen“ mit „kleiner Baum“ zu übersetzen. Folgende das Nordniedersächsische auszeichnende Phänomene wurden in Form von Übersetzungssätzen abgefragt und untersucht:

Ebene

Phänomene

Dialekt (NNS)

Deutsch (D)

Niederländisch (NL)

Morphologie

Einheitsplural von Verben auf -(e)t

dansen, maken

lopen, drinken

tanzen, machen

laufen, trinken

dansen, maken

lopen, drinken

Morphologie

Diminutivbildung synthetisch mit -ke(n), je(n), -sche(n), -tje, -jer, -ing und - scher

sowie analytisch mit lütt(e)

Boom

Appel

Book

Dook

Bäumchen/-lein

Äpfelchen/-lein

Büchlein

Tüchlein

boompje

appeltje

boekje

doekje

Phonologie

Diphthongierung von Langvokalen

Huus

Muul

Haus

Maul

huis

muil

Lexik

-

Fleerling

Schmetterling

vlinder

Tabelle 2: Sprachliche Phänomene aus Sass (2011a und 2011b) mit den jeweiligen standardsprachlichen Entsprechungen zur Untersuchung der Advergenz zum Niederländischen bzw. zum Deutschen

4.2.2 Subjektive Daten: Mental Maps

In Anlehnung an die Methodik von Stoeckle (2014) wurde per mental Maps erfragt, in welchen Orten und Gebieten die Probanden wahrnehmen, dass anders bzw. gleich gesprochen wird. Um herauszufinden, ob bei der Wahrnehmung der von den Probanden angegebenen Räume die Staatsgrenze eine Rolle spielt bzw. wie sehr sie deren Wahrnehmung beeinflusst. Vorgegeben wurde ihnen bei dieser Aufgabe einzig, die Einzeichnung per geschlossener Flächen vorzunehmen, um Ungenauigkeiten bei der späteren Auswertung vorzubeugen. Die den Probanden vorgelegte Karte enthält die Informationen zu Flüssen, Großstädten, kleinere Ortschaften, Autobahnen, Bundesstraßen und sonstige Verkehrswege. Die Angaben dieser Informationen sollen, wie bei Stoeckle (2010) und Stoeckle (2014), den Gewährspersonen die Möglichkeit geben, sich an Ortschaften etc. zu orientieren, ohne unter Druck zu geraten, da ihnen für ihre Orientierung notwendige Anhaltspunkte fehlen. Im Unterschied zu Stoeckle (2010) und Stoeckle (2014) wurde bei der vorliegenden Karte die Staatsgrenze nicht retuschiert, handelt es sich dabei doch um den wichtigsten Anhaltspunkt, als die Gewährspersonen ihre Polygone einzeichneten.6 Die so erhaltenen eingezeichneten Flächen wurden dann mit dem Softwareprogramm ArcMap, welches zu den GIS-Softwareprodukten der Firma ESRI gehört, ausgewertet. D. h., im Einzelnen wurden die mit den eingezeichneten Flächen versehenen Karten georeferenziert, die darauf eingezeichneten Flächen nachgezeichnet und schließlich deren Akkumulationen berechnet. So ergaben sich durch Mehrfachüberschneidungen sogenannte Ballungszentren aber auch Bereiche, in welchen nur wenige Übereinstimmungen vorherrschten und solche, die komplett unberücksichtigt blieben. Damit sich die Karten untereinander ohne weiteres vergleichen lassen, wurden die Ergebnisse jeder einzelnen Karte in einer dreistufigen Skala veranschaulicht: Die kleinste Stufe der Übereinstimmung wurde dabei bis zu 25% Übereinstimmung angesetzt. Eine mittlere Stufe fasst die Übereinstimmungen von 25,1% bis 50% zusammen und die höchste Übereinstimmungsstufe beginnt bei 50,1% und endet bei 100%.

Sprachliche und sonstige Assoziationen, die die Gewährspersonen beim Einzeichnen der Flächen äußerten, wurden aufgenommen und in Anlehnung an die Einteilung der Metakommentare in Obergruppen von Varietätenkonzepten von Hundt et al. (2015) und an die Klassifizierung von (sprachlichen) Assoziationen nach Anders (2010) ausgewertet. So ist es möglich zusätzlich Aufschlüsse darüber zu bekommen, welche Gründe und vor allem welches Varietätenkonzept die Gewährspersonen haben, einen Dialektraum vom anderen abzugrenzen und andere eben zusammenzufassen. Die Art der Auswertungen von den Benennungen der Mundarträume ist an Stoeckles (2014) Systematisierung angelehnt.


5 Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der objektiven Daten, die mit Übersetzungssätzen erhoben wurden und die Ergebnisse der subjektiven Daten, die per mental Maps elizitiert wurden, präsentiert. Bei den objektiven Daten ist eine Untergliederung nach Phänomenen vorgenommen worden und der Teil, der die Beschreibung der subjektiven Ergebnisse umfasst, ist gegliedert in eine Beschreibung der Daten des jeweiligen Ortes, in einen Vergleich der Daten der Erhebungsorte zueinander und schließlich einer Zusammenfassung der wichtigsten Faktoren, die bei der Einzeichnung von Dialekträumen eine Rolle gespielt haben.

5.1 Übersetzungssätze

Die Ergebnisse der unter Punkt 4.2.1 dieses Beitrags aufgeführten Phänomene sind auf zwei Stellen nach dem Komma gerundet und werden im Folgenden einzeln besprochen.

5.1.1 Diminutiv

Mit Sass (2011a) wird der Diminutiv im Nordniedersächsischen mit lütte + Substantiv oder dem Suffix -(s)ken gebildet. Dies wurde anhand der Lexeme Boom, Appel, Book, Dook (Types), die jeweils einmal abgefragt wurden (Tokens) – überprüft. Ohne auf die Formen einzugehen, fällt bereits auf den ersten Blick auf, dass die Probanden jenseits der deutsch-niederländischen Grenze ein niedrigeres Dialektwissen als diesseits der Grenze aufweisen (siehe Tabelle 3):

Klassen

Diminutivvarianten

Vorkommen

in Erica

in %

Vorkommen

in Wesuwe

in %

Dialektform (D)

Suffix -(s)ken

0

0

35

55,19

Dialektform (D)

analytische Bildung mit lütt(e)

0

0

0

0

Dialektvariante (DV)

analytische Bildung mit lüttke

0

0

7

10,94

Dialektvariante (DV)

keine Diminutivendung

5

7,81

19

29,69

Intermediär (I)

Nd. Lexem + Suffix-lein

0

0

1

1,56

Intermediär (I)

Suffix -ie

53

82,81

0

0

Intermediär (I)

analytische Bildung mit kleine(t)

2

3,13

2

3,13

Standardform nl (S)

Suffix -je

4

6,25

0

0

Standardform dt (S)

Suffix -chen

0

0

0

0

Summe (16 Probanden x 4 Lexeme)

64

100

64

100

Tabelle 3: Ergebnisse Diminutiv gesamt

Denn während in Wesuwe die Werte der laut Sass (2011a) erwartbaren dialektalen Diminutivsuffixe (D) bis zu 55,19% reichen, liege die Werte des niederländischen Orts Erica bei 0%. Zählt man die dialektalen Varianten (DV) jeweils hinzu, weichen die Werte untereinander nicht mehr ganz so stark voneinander ab: in Wesuwe handelte es sich um 95,82% und in Erica beträgt sich die Zahl um 7,81%. Doch lässt sich erst einmal festhalten, dass es bei dem Phänomen der Diminutivbildung einen Unterschied zwischen dem niederländischen Ort und dem deutschen Ort dahingehend gibt, dass in letzterem das Dialektwissen höher ausfällt als in Erica. Die nicht-dialektal realisierten Phänomene (i. e. Standardformen (S)) weisen dementsprechend eine umgekehrte Gewichtung auf: In Erica werden die Phänomene zu 85,94% als intermediäre Formen (I) realisiert und in Wesuwe nur zu 4,69% Die Prozentzahl derer, die den Diminutiv im Standard realisiert haben, liegt in Erica bei 6,25% und in Wesuwe bei 0%. Standardvarianten (SV) liegen bei beiden Orten nicht vor.

Interessant ist neben der Tatsache, dass in Deutschland ein deutlich höheres Dialektwissen als in den Niederlanden zu verzeichnen ist, welche Dialektformen und -varianten jeweils am Ort realisiert wurden. Denn nur so wird ersichtlich, wo der ehemals homogene Dialekt divergiert. In Tabelle 3 sind daher jene zusätzlich aufgeführt. Im Einzelnen konnte so herausgefunden werden, dass von den im Sass (2011a) für das Nordniedersächsische angegebenen Diminutivformen lütte + Substantiv sowie das Suffix -(s)ken, nur letzteres in Wesuwe vorkommt (55,19%), erstere Form dagegen nicht. In Erica kamen beide Formen nicht vor. Dagegen tauchten folgende Dialektvarianten erst bei der Erhebung auf: eine analytische Bildung mit lüttke (nur in Wesuwe: 10,94%) und eine Form ohne Diminutivmarkierung (Wesuwe: 29,69% und Erica: 7,81%).

Mit Sass (2011a) ist ein unmarkierter Diminutiv nicht eine Variante, die im Nordniedersächsischen verwendet wird. Auch bei Schönhoff (1908), Lindow et al. (1998) und der drentischen Dialektgrammatik von Bloemhoff (2004) sind keine Einträge vermerkt, die ein solches Ergebnis vermuten ließen. Einzig die Diminutivkarte im dtv-Atlas, die auf den Daten des DSA basiert und einen schemenhaften Überblick über die Verteilung von Diminutivformen gewährt, zeigt auf, dass ein Gebiet im Niederdeutschen existiert, in welchem keine Markierung des Diminutivs vorgenommen wird (cf. dtv-Atlas 2011: 157). Dieses Gebiet grenzt nördlich an den deutschen Teil des Untersuchungsgebiets. Zu vermuten wäre demnach, dass in neuerer Zeit ein Einfluss dieses Gebiets auf Wesuwe und auch auf Erica stattfindet. Noch fällt die unmarkierte Form des Diminutivs in Erica im Vergleich zu Wesuwe jedoch deutlich geringer aus, sodass tatsächlich auch hier eine Bruchstelle im Dialektkontinuum zwischen niederländischem Erica und den deutschen Erhebungsorten zu konstatieren ist.

Wie oben angerissen, wird die Diminutivform auf -(s)ken in Erica überhaupt nicht (mehr) realisiert, ist aber in Wesuwe mit einem Wert von 55,19% stark vertreten. Diese Form erinnert stark an das Diminutivsuffix - (s)ken. Der Unterschied zwischen den beiden Formen besteht darin, dass die Diminuierung nicht durch Anhängen des Suffixes an den substantivischen Stamm erfolgt (synthetische Bildung), sondern an eines bei dem Substantiv stehenden Adjektiv gehängt wird, welches die Bedeutung „klein“ innehat, und damit als analytische Bildung zu verstehen ist. Da diese Variante in Erica nicht vorkommt, ist bezüglich dieser Variante zu konstatieren, dass auch hier eine Bruchstelle an der deutsch-niederländischen Grenze offenbart wird.

Neben den Dialektformen und Dialektvarianten konnten intermediäre Formen festgestellt werden, deren äußere Form zum Teil aus dem Dialekt und zum Teil aus dem Standard stammt. Sie sind (wahrscheinlich) dadurch entstanden, dass von den Probanden in Teilen auf standarddeutsche und/oder standardniederländische Entsprechungen zurückgegriffen wurde, wenn die dialektalen Wissensbestände nicht (mehr) abrufbar waren. Differieren die Entsprechungen des deutschen Standards vom niederländischen, bewirken solche Formen schlussendlich Divergenz, wie bspw. bei folgender synthetisch gebildeten intermediären Form, die sich aus dem standarddeutschen Suffix - lein und einer niederdeutschen substantivischen Basis zusammensetzt (nur in Wesuwe: 1,56%).

Folgende intermediäre Form kommt wiederum nur in Erica vor, jedoch mit einer sehr hohen Frequenz von 82,81%. Es handelt sie hierbei um die Variante, die mit dem Suffix -ie gebildet wird. Bei diesem Suffix handelt es sich um eines, dessen Vorkommen bereits in der Forschungsliteratur diskutiert wurde. So gibt es laut der niederländischen Standardgrammatik ANS (Haeseryn et al. 1997: 661) in den Niederlanden zwei regionale Diminutivsuffixe -ie und -ke. Letzteres sowie seine Varianten -eke und -ske dominieren den Osten und den Süden der Niederlande sowie auch Teile Groningens und Belgien, während das Suffix-ie insbesondere im Westen der Niederlande vorkommt.1

Doch Kloeke (1929: 86) verzeichnet bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Diminutivsuffixe auf -ken kaum mehr im Osten der Niederlande, hier am Beispiel Drentes, vorkommen. Durch Einflüsse des mit mehr Prestige behafteten Westens der Niederlande nämlich hat sich in Drente das Suffix - i̯n durchgesetzt; die „südöstlichen ‘Veenkolonien’ von Drente […] [wurden dabei jedoch, LMH] nicht berücksichtigt“ (Kloeke 1929: 81f.). Lediglich eine Ortschaft dieses Gebiets, die, wie die gesamten östlichen Veenkolonien ob ihrer historischen Verbindung zu deutschen Orten an der Grenze eine Sonderstellung einnehmen, wurde mitaufgenommen: Nieuw-Schoonebeek. Für diesen Ort, der wie Erica im „veengedeelten“ Teil Südostdrentes liegt und damit zum gleichen Dialektgebiet innerhalb Drentes gehört (Bloemhoff/Nijkeuter 2004: 25), konnte er nachweisen, dass die Diminutivform auf -ken (noch) verwendet wurde (cf. Kloeke 1929: 86). Doch auch in diesem Ort setzte sich die westliche Form durch, wie das knapp 40 Jahre später durchgeführte DialektatlasprojektsMorfologische atlas van de Nederlandse dialecten van de Nederlandse dialecten (2005-2008) (MAND) nachweisen konnte. In diesem Projekt, in dem Daten aus dem Zeitraum 1979 bis 1995 analysiert worden sind, wurde konstatiert, dass das Suffix -ken – je nach phonetischer Umgebung – nun auch in Nieuw-Schoonebeek durch westliche Einflüsse von Formen wie -(e)chi und -(t)i abgelöst worden war. Für Erica selbst wurde 1982 im Dialectatlas van Zuid-Drente en Noord-Overijsel ein ähnliches Ergebnis festgestellt. Hier wurde nun das Suffix - i̯n, welches bereits von Kloeke (1929) für Gesamtdrente verzeichnet worden war, zur Diminutivbildung genutzt.

Dann, noch einmal 30 Jahre später, und zwar in der für diesen Beitrag durchgeführten Erhebung, hat sich das Suffix -ie für die Diminutivbildung in Erica etabliert. Ob diese Dynamik des Suffixes nun als eine Advergenz betrachtet werden kann, ist nicht leicht zu beantworten. Strukturell betrachtet ist das Suffix -ie durch eine Palatalisierung dem standardniederländischen -je näher als -ken dem standardniederländischen. Suffix -je. Hintergrund dieses Prozesses ist aber, laut Kloeke (1929), nicht die Orientierung des Ostens der Niederlande am Standard per se, sondern am reicheren Westen, der eben jene Formen in seinem Dialekt aufweist. Da nicht eindeutig nachweisebar ist, woran sich bei der neuen Diminutivbildung in den Veenkolonien von Südostdrente orientiert wurde, wird hier das strukturelle Argument verfolgt. Das bedeutet, dass die Diminutive, die auf -ie lauten, als intermediäre Varianten eingestuft werden. Unabhängig davon ist jedoch zu konstatieren, dass diese Form fast ausschließlich in Erica zur Diminuierung verwendet wird, nicht aber ein einziges Mal in Wesuwe. Somit ist diese Bildung u. a. für einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden Erhebungsorten des ursprünglich selben Dialektgebiets verantwortlich zu machen.

Die analytische intermediäre Form kleine Boom oder kleinet Bauk dagegen, die auf beiden Seiten der deutsch-niederländischen Staatsgrenze mit einem recht niedrigen Wert von 3,13% realisiert wurde, bewirkt möglicherweise das Gegenteil. Denn im Unterschied zu der intermediären Form mit dem Suffix -lein, ist der standardsprachliche Anteil der Bildung im Niederländischen wie im Deutschen der gleiche – er lautet klein, was im Endeffekt dazu führt, dass trotz einer Dynamik Richtung Standard der Dialekt nicht divergiert. Insgesamt sind die Werte der beiden betrachteten intermediären Formen beim Diminutiv jedoch so gering, dass nicht davon auszugehen ist, dass diese als treibende Formen einer Konvergenz oder Divergenz fungieren (werden).

Standardformen dagegen wurden – wenn auch nur sehr gering – ausschließlich in Erica mit einem Wert von 6,25% gebildet, indem das standardniederländische Suffix -je an das Lexem angehängt wurde. Und da zusätzlich die Diminutivsuffixe der jeweiligen Standardsprachen – wie oben deutlich wurde – verschieden sind, kann hier auch ein Bruch konstatiert werden, auch wenn er relativ spärlich fundiert ist. Im Falle des Diminutivs ist eine Divergenz aber nicht nur einer Advergenz geschuldet, sondern hängt zum Teil auch mit den einzelnen Dialektvarianten und den intermediären Bildungen zusammen. So lassen sich insgesamt diese hier besprochenen Ergebnisse dahingehend interpretieren, dass eine auf dem Phänomen des Diminutivs basierende Dialektgrenze zwischen dem deutschen und dem niederländischen Grenzort tatsächlich existiert und somit auch hier die These einer Bruchstelle an der deutsch-niederländischen Grenze bestätigt werden konnte.

5.1.2 Pluralbildung von Verben

Die Pluralbildung von Verben besteht nach Sass (2011a: 52 u. 52f.) im Nordniedersächsischen aus einer Form: dem Flexionssuffix -(e)t. Auch im niederländischen Standard gibt es nur eine Form der Pluralbildung von Verben, jedoch lautet diese auf -(e)n aus (vgl. Donaldson 2008: 170). Im deutschen Standard kommen beide Formen vor – die Form auf -(e)n für die 1. und die 3. Person Plural und die Form auf -(e)t für die 2. Person Plural (vgl. Grammatik-Duden 2009: 434f.). Betrachtet man nun die Ergebnisse der Pluralbildung in Tabelle 4, in welcher anhand der schwachen Verben „tanzen“, „machen“ und der starken Verben „laufen“, „trinken“ (Types) jeweils alle drei Pluralformen erhoben wurden (Tokens), wird ein sehr klares Ergebnis sichtbar:

Klassen

Pluralvarianten

Vorkommen

in Erica

in %

Vorkommen

in Wesuwe

in %

Dialektform (D)

Einheitsplural auf -(e)t

12

6,25

192

100

Dialektvariante (DV)

tun -Periphrase (= tun + Infinitiv VV)

2

1,05

0

0

Standardform nl (S)

Einheitsplural auf -(e)n

166

86,45

0

0

Standardform dt (S)

hier 1. Plural auf -(e)n

0

0

0

0

Standardvariante (SV)

Modalphrase (= MV + Infinitiv VV)

12

6,25

0

0

Summe (16 Probanden x 192 Lexeme)

192

100

192

100

Tabelle 4: Ergebnisse Einheitsplural gesamt

In dem deutschen Erhebungsort Wesuwe wird die dialektale Einheitspluralform auf -(e)t zu 100% realisiert. In dem niederländischen Ort Erica dagegen ist die Einheitspluralform auf -(e)t lediglich auf 6,25% verzeichnet. Addiert man nun die Dialektvarianten (der tun -Periphrase, also der Kombination von tun + Infinitiv (DV), in Erica) zu den erwarteten Dialektformen, um einen Eindruck der gesamten Dialektrealisierung der Ortschaften zu bekommen, ändert sich in Erica der Wert von 6,25% auf 7,30%, während die Werte der deutschen Erhebungsorte unverändert bleiben. So ist bis hierhin zu konstatieren, dass bei diesem Phänomen bezüglich des Dialektwissens ein gravierender Unterschied zwischen dem niederländischen Ort und den deutschen Orten besteht. Intermediäre Formen nun sind bei diesem Phänomen nicht festgestellt worden. Dagegen weisen die nicht-dialektal realisierten Phänomene eine umgekehrte Gewichtung auf: In Erica wurde das standardniederländische Einheitspluralsuffix -(e)n zu 86,45% und die deutsche Standardform in Wesuwe zu 0% realisiert. Standardvarianten kamen nur in den Niederlanden mit einem Prozentsatz von 6,25% vor.

So kann hier konstatiert werden, dass in Wesuwe keine Dialekt- oder Standardvarianten gibt, die eine Divergenz förderten, dafür aber in Erica zu 86,45%. Wirft man einen Blick in den dtv-Atlas (2011: 58), erzeigt sich, dass das nicht immer so war: das komplette Nordniedersächsische Dialektareal zeichnete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch durch den -(e)t-Plural aus, wozu Wesuwe und eben auch Erica gehört. Bei Bloemhoff/Nijkeuter (2004: 49f.) wird die „frühere“ Situation genauso, aber explizit für Drente beschrieben. Die Bildung auf -(e)t (sie führen auch noch ein Variante auf -e auf) war die des Dialekts in Drente. Die aktuelle Situation beschreiben sie dagegen dann als eine, in welcher die Standardform auf -(e)n diejenige ist, die mittlerweile das dialektale Pluralsuffix -(e)t abgelöst hat, womit sie mit den hier präsentierten Ergebnissen konformgehen. Da der niederländische Standard nicht mit der dialektalen Form übereinstimmt, bewirkt die Advergenz auf niederländischer Seite eine Divergenz der Dialekte dies- und jenseits der deutsch-niederländischen Staatsgrenze. So ist zu konstatieren, dass auch das Phänomen des Einheitsplurals bei Verben eine Bruchstelle im Nordniedersächsischen an der Grenze bedingt (hat).

5.1.3 Diphthongierung

Im Folgendem wird das phonologisches Phänomen der Diphthongierung von Langvokalen besprochen, das mit Sass (2011a: 39) u. a. anderem das Nordniedersächsische auszeichnet. Überprüft wurde in diesem Unterpunkt, ob der standarddeutsche Diphthong /aʊ̯/ sowie der standardniederländische Mehrlaut /ʌy/ in den Orten Erica und Wesuwe – wie mit Sass (2011a) zu erwarten ist, als Langvokal /u:/ realisiert wird. Dies geschah in dieser Erhebung anhand der Lexeme Muul und Huus (Types), die jeweils einmal abgefragt wurden (Tokens). Folgendes wurde herausgefunden (Tabelle 5):

Klassen

Vokalvarianten

Vorkommen

in Erica

in %

Vorkommen

in Wesuwe

in %

Dialektform (D)

Langvokal /u:/ statt Diphthong dt. /aʊ̯/ bzw. nl. /ʌy/

0

0

30

93,75

Dialektvariante (DV)

Anderes Lexem (= Beek) ohne Phänomen

13

40,65

0

0

Dialektvariante (DV)

Anderes Lexem (= Schnuutn)

0

0

2

6,25

Intermediär (I)

Anderer Langvokal: /y:/ statt /u:/

16

50

0

0

Standardform nl (S)

Mehrlaut /ʌy/ statt Langvokal /u:/

3

9,35

0

0

Standardform dt

Diphthong /aʊ̯/ statt Langvokal /u:/

0

0

0

0

Summe (16 Probanden x 2 Lexeme)

32

100

32

100

Tabelle 5: Ergebnisse Diphthongierung gesamt

Zu erkennen ist, dass im deutschen Erhebungsort Wesuwe der Langvokal dem der standarddeutschen Diphthongierung vorgezogen wird. Dabei handelt es sich um 93,75%. In Erica dagegen sind es 0%. Als dialektale Variante wurde auf deutscher Seite statt dem erwarteten Lexem Muul wurde das Lexem Schnuutn (= „Schnautze“) zu 6,25% realisiert. In Erica war die Dialektvariante der Dialektform auch ein anderes Lexem und zwar handelte es sich dabei um den Ausdruck Beek, welches insgesamt zu 40,65% angegeben wurde. Verrechnet man nun die Dialektvarianten diese mit den erwarteten Dialektformen, um zu sehen, wie hoch generell dialektale Realisierungen in den Erhebungsorten bei diesem Phänomen ausfallen, ändern sich die Werte noch einmal: in Wesuwe liegen durch Addition der dialektalen Varianten mit den erwarteten Dialektformen die Werte der dialektalen Realisierung jeweils bei 100% und in Erica bei 40,65%. Dennoch ist das Dialektwissen in Wesuwe im Vergleich zum niederländischen Ort Erica deutlich höher anzusiedeln.

Entsprechend der hohen Dialektrealisierung in Wesuwe von 100% wurden dort weder intermediäre Formen noch Standardformen oder Standardvarianten genannt. In Erica dagegen wurden zu 50% intermediäre Varianten realisiert. Das bedeutet, dass nur in Erica der Langvokal eine Veränderung durchlaufen hat: Statt /u:/ wird hier ein /y:/ artikuliert. Dieser Laut ist zwar noch immer ein Langvokal, doch statt des /u:/ wird der Vokal realisiert, der im standardniederländischen Mehrlaut /ʌy/ jener ist, der am Ende der Artikulationsfolge steht; es wird daher von einer Art Zwischenform ausgegangen und jene Realisierungen der Klasse der intermediären Formen zugeordnet. 9,35% wird die Standardform in Erica angegeben. Insgesamt also liegt der Standardwert, zu dem die Standardvarianten und die intermediären Formen gezählt werden, bei 59,35% in Erica und in Wesuwe weiterhin bei 0%.

So ist für das Phänomen der Diphthongierung zu konstatieren, dass ob des höheren Standardeinflusses in dem niederländischen Erhebungsort als in den deutschen Orten, an der deutsch-niederländischen Staatsgrenze ein weiteres Phänomen ausgemacht werden konnte, das eine Bruchstelle im Dialektkontinuum stützt.

5.1.4 Schmetterling

Ein weiteres Phänomen, das bezüglich seiner Dynamik auf beiden Seiten der deutsch-niederländischen Staatsgrenze untersucht wurde, entstammt der sprachlichen Ebene Lexik und lautet Schmetterling (Type), das jeweils einmal abgefragt wurde (Token). Dieses Lexem besitzt mit Sass (2011b: 158) mehrere dialektale Ausführungen, von welchen jede einzelne als Dialektform gewertet wurde. Die Ergebnisse dieses Phänomens sind in Tabelle 6 aufgeführt:

Klassen

Ausdruck

Vorkommen

in Erica

in %

Vorkommen

in Wesuwe

in %

Dialektform (D)

Fleerling, Botterlicker, Bottervagel, Sommervagel, Sommerlott

0

0

0

0

Standardform nl (S)

Vlinder

16

100

0

0

Standardform dt (S)

Schmetterling

0

0

16

100

Summe (16 Probanden x 1 Lexem)

16

100

16

100

Tabelle 6: Ergebnisse Schmetterling gesamt

Bereits auf den ersten Blick auf die Tabelle wird ersichtlich, dass in keinem der Untersuchungsorte eine der erwarteten Dialektformen realisiert wurde. In allen beiden liegt der Wert bezüglich dieses Phänomens bei 0%. Dieser Wert ändert sich nicht, rechnet man die Realisierung dialektaler Varianten hinzu – denn, es werden in beiden Erhebungsorten keine genannt. Auch intermediäre Formen werden in keinem der Orte genannt, so dass ex negativo, nur noch Standardformen als Realisierung in Frage kommen. Dies ist zu 100% tatsächlich der Fall: In Erica wurde der standardniederländische Ausdruck Vlinder für Schmetterling verzeichnet und in Wesuwe fiel die standarddeutsche Bezeichnung Schmetterling.

Anhand dieses Ergebnisses wird deutlich, dass in keinem der Orte Dialektwissen über die Bezeichnung für Schmetterling besteht. Zur Folge hat dieses Ergebnis, da der deutsche Standardausdruck ein anderer ist als der niederländische, dass das Nordniedersächsische an der Grenze divergiert. Somit ist auch für dieses Phänomen zu konstatieren, dass sich an der deutsch-niederländischer Staatsgrenze im Nordniedersächsischen Dialektgebiet, eine sprachliche Bruchstelle herausgebildet hat.

Insgesamt also lässt sich für alle Ergebnisse der hier untersuchten Phänomene festhalten, dass sich auch im Nordniedersächsischen an der deutsch-niederländischen Staatsgrenze eine Dialektgrenze manifestiert hat. Dies ist anhand Tabelle 7 noch einmal illustriert (auch hier gelten dieselben Abkürzungen wie oben: Dialektform (D), Dialektvariante (DV), intermediäre Form (I), Standardvariante (SV) und Standardform (S)):

Tabelle 7: Ergebnisse objektiver Daten (d. h. Dialektwissen) gesamt

In Zusammenhang ist dieses Ergebnis damit zu bringen, dass die Probanden aus Wesuwe ein höheres Dialektwissen als die des niederländischen Erhebungsorts Erica aufweisen, was darauf zurückzuführen ist, dass der Systemkontrast zwischen Dialekt zum niederländischen Standard ein geringerer ist als der zum deutschen Standard. Und da sich der niederländische Standard – in den meisten Fällen generell und hier bei allen Phänomenen – vom deutschen Standard unterschiedet, sorgt dies für eine Divergenz der Dialekte. Die Ergebnisse der hier gewonnenen objektiven Daten bestätigen demnach die Studien von Giesbers (2008), Smits (2011) und Kremer (1979).

Welche Ergebnisse bei der Untersuchung der Wahrnehmung der deutsch-niederländischen Staatsgrenze zu Tage gekommen sind und wie bzw. ob diese in Beziehung mit den objektiven gesetzt werden können, wird im folgenden Unterpunkt erläutert.

5.2 Mental Maps

Wie oben bereits angerissen soll bei der Aufgabenstellung „Wo spricht man gleich?“ herausgefunden werden, welche bzw. wie groß die Räume wahrgenommen werden, in welchen gleich gesprochen wird. Hierbei ist besonders interessant, ob die Räume jeweils über die deutsch-niederländische Staatsgrenze hinausgehen oder ob die Staatsgrenze eine Dialektgrenze darstellt. So kann auch hier ein Beitrag dazu geleistet werden, aufzuzeigen, ob auch in der Perzeption eine Ausnahme bezüglich des dialektalen Kontinuums zu machen ist, wenn Ortschaften, die dem gleichen Dialektgebiets angehören, von einer Staatsgrenze getrennt sind.

5.2.1 Beschreibung der Daten

5.2.1.1 Erica

Wie anhand Karte 2 deutlich wird, schätzen die Gewährspersonen aus Erica die Ausbreitung eines ihrem Dialekt ähnlichen oder gar gleichen Dialekt in Erica selbst und um Erica herum unterschiedlich ein: Bis zu 25% der Gewährspersonen in Erica geben ein relatives großes Gebiet an, bei welchem sie davon ausgehen, dass sich dort der gesprochene Dialekt von dem ihrigen nicht bzw. kaum unterscheidet.8 Dieses größere Gebiet umfasst auf der horizontalen Ebene Ortschaften, die sowohl diesseits als auch jenseits der deutsch-niederländischen Grenze angesiedelt sind. Dass das Gebiet generell recht groß ausfällt, mag damit zusammenhängen, dass sich aufgrund der hohen strukturellen Nähe zwischen ostniederländischen Dialekten und dem Standardniederländischen, ein über die Ortsdialekte hinaus verbreiteter Regiolekt herausgebildet hat, der die strukturell variablen Ausprägungen der beiden Varietätenpole überbrückt (cf. Smits 2011: 35f.). Dass dieses Gebiet weit bis über die deutsch-niederländische Staatsgrenze hinausreicht, ist darauf zurückzuführen, dass den Niederländern die sprachgeschichtlichen Hintergründe über den Großraum „Nedersaksisch“ im Bewusstsein sind, dessen Verbreitungsgebiet über die deutsch-niederländisches Staatsgrenze reicht.9 Eine weitere Beobachtung bei der Betrachtung der Polygone mit einer Dichte von bis zu 25% zeigt, dass die Gewährspersonen auf der geographisch vertikalen Ebene, also gen Süden sowohl auf deutscher als auch auf niederländischer Seite, eine sehr viel höhere Toleranzgrenze besitzen als gen Norden. Der nördlichste Punkt liegt auf niederländischer Seite weit unterhalb von Friesland und Groningen:

Karte 2: Wo spricht man gleich in Erica?

Im Bereich der von 25,1% bis 50% Übereinstimmungen bezüglich der Annahme, wo ein gleicher bzw. ähnlicher Dialekt gesprochen wird, ist – im Vergleich zu dem Raum mit der geringsten Übereinstimmung – eine auffällige Ausbreitungstendenz Richtung Westen (d. h. die Niederlande) zu konstatieren. D. h., der auf deutscher Seite gelegenen nordniedersächsischen Ort Wesuwe gehört bei diesem Grad an Übereinstimmung nicht mehr zu dem Gebiet, in welchem gleich gesprochen wird. Die Ausbreitung von Nord und Süd ist dagegen relativ gleichmäßig verteilt. Die höchste Übereinstimmung (50,1% bis 100%) ist in seiner Gestalt dem Polygon mit einer Übereinstimmung von 25,1% bis 50% sehr ähnlich, lediglich die Größe des Polygons ist so klein, dass dieser Ballungsraum nicht mehr als vier bis fünf Orte (inklusive dem eigenen) umfasst.

Die Einzeichnung der linguistischen Laien zeigt, dass für die Wahrnehmung der Probanden die Staatsgrenze als Markierung für das Ende eines Mundartraumes eine Rolle spielt. Die Staatsgrenze trennt nicht nur genuin homogene Mundarträume voneinander, sondern sorgt – ab dem Bereich der 25% Übereinstimmungen – sogar dafür, dass die jenseits der Staatsgrenze liegenden Mundartgebiete kaum mehr im Bewusstsein der Probanden vorkommen. Unterstützung bekommen diese Resultate von den Ergebnissen aus Giesbers Dissertation von 2008, die sie in einem Aufsatz wie folgt zusammenfasst:

The strongest outcome was that Dutch respondents choose Dutch dialects (77%) and the German respondents choose German dialects (78%). This country effect outweighed all other effects. There were no age and gender effects, and the differences between the locations where one lived were minor in comparison to the country effect.

(de Vriend et al. 2009:1)

Sie kommt also zu dem Ergebnis, dass, wenn eine Staatsgrenze, hier die deutsch-niederländische, zwei Orte voneinander trennt, der perzeptive Abstand nicht mehr im Verhältnis mit dem geographischen steht: Er ist größer als gleichweit entfernte Orte eines Dialektgebiets innerhalb Deutschlands bzw. innerhalb der Niederlande (cf. Giesbers 2008: 128-130). Daraus schließt sie, dass “cross-the-border dialects are nowadays separated by a plain gap” (de Vriend et al. 2009: 10) und modifiziert damit die These von Chamber/Trudgill (1998). Dies gilt jedoch nicht nur für das deutsch-niederländische, sondern auch für das deutsch-schweizer-französische Grenzgebiet, wie Stoeckle (2014) herausgefunden hat:

Als wichtigster und nahezu ausnahmslos gültiger Einflussfaktor auf die subjektive Verortung von Dialektgrenzen erwies sich die Staatsgrenze. Diese ist aus der Sprecherperspektive nicht nur gleichzusetzen mit der Dialektgrenze, sondern stellt gleichzeitig eine Art von Wissens- oder Erfahrungsgrenze dar, die sich auf alle hier untersuchten Aspekte der Dialekt-raumcharakterisierung bezieht […].

(Stoeckle 2014: 366)

So schließe ich mich, basierend auf den eigens elizitierten Daten und den Ergebnissen von de Vriend et al. (2009), an das Fazit von Stoeckle (2014) an, welches besagt, dass

von einem grenzüberschreitenden Kontinuum, wie es aus dialektologischer Perspektive für die traditionellen Dialekte angenommen wurde, […] aus der Sicht der Sprachbenutzer keinesfalls die Rede sein [kann, LMH].

(Stoeckle 2014: 366)

Begründungen dieser Einteilungen liefern die Metadaten der Gewährspersonen, wie bspw. die Benennungen der eingezeichneten Gebiete. In Erica sind die Bezeichnungen für den eigenen Mundartraum sehr vielseitig. Zuvorderst benennen sie den eigenen Dialektraum mit ihrem Ort, also „Erica“ (62,5 %). Weitere 25% bezeichnen den Raum, in welchem sie das ihrige Platt vermuten „Unser Platt“ und jeweils eine Person (6,25%) spricht, wenn es um das eigene Platt geht, von einem Dialekt, der „(südost)Drentisch“ bzw. „Veenplatt“ heißt. „Erica-Platt“ und „(südost)Drentisch“ sind mit Stoeckle (2010) Bezeichnungen, die sich unter politische aber auch kulturelle Räume subsumieren lassen: Die etwas weitläufiger gefasste Bezeichnung „(Südost)drentisch“ beinhaltet eine auf der obersten Ebene politische Motivierung. Drente ist eine Provinz in den Niederlanden, die – laut urkundlicher Erwähnung – seit 820 besteht, aber erst seit 1815, mit der Bildung des Königreichs der Vereinigten Niederlande, eine eigenständige. Sie ist daher im Vergleich zu anderen Provinzen, wie bspw. Overijssel, eine junge Provinz, die zum einen ob der Moorgebiete für längere Zeit relativ isoliert dastand (cf. Pölitz 1817: 495) und zum anderen – ob ihres auf dem Altsächsischen beruhenden Dialekts – keine tragende Rolle bei der Entstehung des Standardniederländischen gespielt hat. Die Spezifizierung „Südostdrentisch“ nun meint ein Gebiet, dessen – mit Visscher (1931) –

nördliche Grenze […] ungefähr […] durch eine Linie von Weerdinge in östlicher Richtung bis zur Landesgrenze [gebildet wird, LMH]. Die östliche Grenze bildet die Landesgrenze selbst, während die Südgrenze durch die Nordgrenze der Gemeinde Schoonebeek bestimmt ist. Die westliche Grenze schließlich wird ungefähr durch die Linie Weerdinge-Emmen-Zuid-Barge-Erica, welche südöstlich in der Richtung von Nieuw-Schoonebeek weiter verläuft.

(Visscher 1931: 13)

Das südostdrentische Gebiet ist mit Kocks (1970: IV) ein nicht administrativ abgestecktes, sondern eines, welches sich aufgrund seiner Torfstecherkultur als eigenes Dialektgebiet fassen lässt. So handelt es sich hierbei also nicht um einen politischen Raum, sondern um einen Kulturraum, der hinter dem Varietätenkonzept einiger Probanden steht. Das Platt der im südostdrenter Bourtanger Moor angesiedelten Ortschaften unterscheidet sich sprachlich dahingehend von umliegenden Gebieten in Drente wie bspw. dem alten Sandplatt, dass es durch die Varietäten von zugezogenen Moorarbeitern aus dem Emsland und Groningen geprägt ist (cf. Kocks 1970: 19-21). Eine andere Bezeichnung für das „südostdrenter Platt“ lautet „Veenplatt“ („Moorplatt“). Diese, vor allem bei linguistischen Laien geläufige Bezeichnung, darf nicht mit dem Platt der Groninger Veenkolonien verwechselt werden, die nördlich des jüngsten Südostdrenter Moorplatts liegen. Vielmehr wird mit dieser Bezeichnung auf die Siedlungsgeschichte Drentes Bezug genommen. Die älteren Siedlungen liegen auf dem Sand und die jüngeren auf dem Moor. Letztere Siedler sprechen ob ihrer anderen Geschichte und Entwicklung (Zuzug von Fremdarbeitern aus Groningen und dem Emsland) ein anderes Platt, wozu die Bewohner Ericas zählen. Während nun mit den Bezeichnungen „Drentisch“, „Südostdrentisch“ und „Veenplatt“ größere Gebiete gemeint sind, in welchem man ein ähnliches bzw. gleiches Platt spricht, ist die Bezeichnung „Erica-Platt“ nur auf den einen eigenen Ort beschränkt. Bei Erica, wie bei allen anderen Orten auch, handelt es sich um einen politisch kleinstmöglichen abgegrenzten Raum und damit auch der Kategorie politischer Raum zuzuordnen. Letzterer zeichnet sich im Falle Ericas zwar auch noch darüber hinaus durch seine besonders junge Siedlungsgeschichte aus, aufgrund welcher viele katholische Emsländer zugezogen waren, die für einen regen sprachlichen Austausch sorgten und damit den Ortsdialekt in besonderer Weise prägten (cf. Kocks 1970: 15 u. 20). Doch ist eben Genanntes mit der Bezeichnung „Erica-Platt“ für die eigene Varietät damit nicht zwingend in Verbindung zu setzen, sondern eher ein Ansatz einer Interpretation dafür, warum der Ortsname als Namensgeber für das eigene Platt verwendet wird. Die Bezeichnung „Unser Platt“ lässt sich dagegen keiner Raumkategorie nach Stoeckle (2010) zuteilen. Denn mit der Angabe, das Platt ist einfach „Unser Platt“, wird, wie bei Wesuwe auch, nicht eine kulturelle oder geographische sowie konfessionelle Eigenschaft hervorgehoben werden, – dies wird ja jeweils extra erwähnt – sondern die Gewährspersonen betonen damit, dass es „der Heimatdialekt ist“, d. h., der Dialekt, „mit dem ich aufgewachsen bin“. Dieses Konzept der eigenen Varietät ist daher eher als eines zu verstehen, das auf „dem Gewohnten“, dem „eigenen“, sozusagen dem eigenen „Kommunikationsraum“ beruht. Aus diesem Grund öffne ich für die Bezeichnung „Unser Platt“ vorläufig die Raumkategorie „Kommunikationsraum“.

Der ihrige Dialekt nun unterscheidet sich in der Wahrnehmung der Probanden Ericas vor allem durch phonologische Merkmale. D. h., die Konzepte in Erica ließen sich fast ausschließlich den Obergruppen „Spezifischen Eindrucks von der Sprechweise unter Rückgriff auf Schibboleth-Phrasen“ und der des „Spezifischen Eindrucks von der Sprechweise unter Rückgriffs auf Einzelmerkmale“ zuzuordnen. Die Probanden, die ihren eigenen Dialekt als „Erica Platt“ bezeichneten, bezogen die Einheitlichkeit auf eine gleiche Aussprache. Einige führten dies noch genauer aus: der eigentliche Diphthong <ij>, wie bspw. in wijn, wird nicht als /aɪ̯/, sondern als Langvokal /i:/ artikuliert und am Ende aller Wörter wird das /ə/ und/oder das /n/ „verschluckt“. Ersteres ist mit Kocks (1970: 101) in der Tat ein Phänomen, das in Erica vorkommt, aber nicht auf Erica beschränkt ist. So ist dieses Phänomen auch in einigen Ortschaften des jüngsten Südostdrenter Moorplatt gängig, wie bspw. in Schoonoord und Wezuperbrug.10 Dass das Ende von Lexemen apokopiert wird, kann von Kocks (1970) jedoch nicht bestätigen werden. Laut seiner Umfrage ist gerade Erica ein Ort, in welchem das e-Schwa artikuliert wird. So wird in Erica /str_tə/ und /k_zə/ statt /str_t/ und /k_z/ artikuliert.11 Personen, die ihr Dialektgebiet unter „Veenplatt“ zusammenfassten, geben jedoch auch dieses Phänomen an, obwohl dieses nicht einmal im kompletten Mundartraum jüngstes Südostdrenter Moorplatt verzeichnet ist; selbiges gilt für die Personen, die ihr Plattgebiet „Südostdrente“ nennen. Auch für diesen Dialektraum ist das angegebene Phänomen mit Kocks (1970) nicht eine Eigenschaft des dort gesprochenen Platts. Zu finden ist die Apokopierung des e-Schwas bei Kocks (1970) nur im Drenter Sandplatt.

Warum aber geben so viele der Gewährspersonen dieses Phänomen an? Nach einem Blick in die eigenen Daten, kann festgestellt werden, dass insgesamt 37,5% aus Erica bei dem Lexem pijpe das e-Schwa apokopieren: /pi:p/. Eine mögliche Erklärung dafür, dass dieses Phänomen einigen Gewährspersonen in Erica bewusst ist und es tatsächlich in den objektiven Daten vorkommt, aber nicht bei Kocks (1970), ist, dass sich nach knapp 50 Jahren eine weitere Form, und damit eine standardnähere, durchgesetzt hat, die es zuvor noch nicht gegeben hat.

Weitere Faktoren, die die Gewährspersonen bei der Einzeichnung des eigenen Dialektraumes angaben, wurden unter der Supergruppe „Sonstiges“ subsumiert. Da diese keine sprachlichen Merkmale enthielten, sondern Kommentare zur Konfession und der des Raumes, wurden diese dann der „Allgemeinen Dialektcharakterisierung“ zugeordnet. Die Angabe der Konfession als Grund ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass Erica ein Ort ist, der hauptsächlich katholisch geprägt ist, was im Umland – mit Ausnahme einzelner Orte – selten ist. Dieser Umstand hängt damit zusammen, dass die Ortschaft Erica, die auf der niederländischen Seite des Bourtanger Moors, dem sogenannten Raum des jüngsten Südostdrenter Moorplatt, liegt, gegen Ende des 17. Jahrhunderts zur Abtorfung mehr Arbeiter benötigte als der engste Umkreis hergab. Da viele Fremdarbeiter, hauptsächlich katholische Emsländer, nicht nur für eine Saison zum Arbeiten blieben, sondern sich zum Teil auch für immer in Orten wie Nieuw-Schoonebeek und Erica niederließen, entwickelte sich u. a. letzterer Ort zu einer katholischen Gemeinde in den sonst calvinistischen Niederlanden (cf. Kocks 1970: 20). Dass die Konfession als Grund für unterschiedliche Dialektausprägungen verantwortlich ist bzw. gemacht wird, war auch ein Resultat Stoeckles (2014):

In vielen Orten, die sich in traditionell protestantischem Gebiet befinden, stellte sich heraus, dass die Konfessionsgrenze aus der Sicht der dortigen Informanten einer der Hauptgründe für dialektale Unterschiede zu benachbarten Regionen ist.

(Stoeckle 2014: 366)

So ist, auch wenn in der heutigen Zeit konfessionelle Grenzen kaum noch einen Einfluss auf das Alltagsleben der Bewohner jener Orte haben, die Konfession noch immer ein Anhaltspunkt für Probanden, die Dialekte voneinander zu unterscheiden. Der Raumparameter, also in diesem Fall die deutsch-niederländische Grenze, wird bei über 50% als Punkt angegeben, wo das Gebiet der dialektalen Gleichheit endet. So fielen etwa Sätze wie „in Deutschland hört es auf“, „das Gebiet endet an der Grenze“, „die Grenze ist das Problem“ und „die Grenze ist eine Barriere“. Dass dieser Faktor bei der Wahrnehmung des eigenen Dialekts eine Rolle spielt, wurde bereits oben anhand der Einzeichnungen aufgedeckt und ist hier somit als Bestätigung in Form von Metakommentaren der Gewährspersonen verstanden.

5.2.1.2 Wesuwe

In Wesuwe sind, wie auf Karte 3 illustriert, die Polygone kreisförmig um den Erhebungsort angesiedelt und werden bei zunehmender Dichte kleiner. Das in seiner Übereinstimmung geringste Polygonkonglomerat (d. h. eine Übereinstimmung bis zu 25%) fällt insgesamt im Vergleich zu dem niederländischen Erhebungsort klein aus, reicht aber etwas über die deutsch-niederländische Staatsgrenze hinaus, jedoch nicht bis zu Erica.12 Innerhalb dieses Polygons wiederum wird deutlich, dass trotzdem östlich von Wesuwe ein sehr viel größeres Gebiet der Übereinstimmung des eigenen Dialekts wahrgenommen wird als gen Westen. Die Verbreitung des eigenen Dialekts in der Wahrnehmung der Gewährspersonen ist gen Norden und Süden gleichmäßig verteilt. Im Norden stoppt es auf der Höhe von Friesoythe und im Süden etwa knapp unterhalb von Lingen.

Das Areal, das eine Übereinstimmung von 25,1% bis 50% aufweist, enthält keine Orte, die jenseits der Grenze liegen, sondern nur solche, die diesseits der Grenze, also an der deutschen Seite, angesiedelt sind. Im Süden reicht dieses Dialektgebiet bis zur Stadt Lingen. Die Ausbreitung Richtung Norden ist in seiner Reichweite ähnlich wie gen Süden. Im Norden endet sie knapp oberhalb von Lathen. Außer der Tatsache, dass die östliche, südliche und nördliche Ausdehnung geringer wird, bleibt das Bild der Ausbreitung bis zur Ebene des Polygons, das eine Übereinstimmung von 50,1% bis 100% aufweist, bestehen: die Verteilung des Raumes ist gleichmäßig in Richtung Süden, Norden und Osten sowie Westen verteilt. Die Besonderheit dabei ist, dass die Kante gen Westen genau an der deutsch-niederländischen Staatsgrenze endet.

Karte 3: Wo spricht man gleich in Wesuwe?

Die Metadaten der Gewährspersonen aus Wesuwe lauten bezüglich der Benennung des eigenen Platts wie folgt: 50% nennen ihren eigenen Dialektraum „Emsländisches Platt“ während nur eine Person (6,25%) ihr Platt als „Harener Platt“ bezeichnet. “Unser Platt“ nennen 43,75% der Probanden aus Wesuwe ihren Dialekt. Die Bezeichnung „Emsländisches Platt“ ist eine politisch motivierte Bezeichnung, die größtenteils mit den folgenden dialektologischen Eingrenzungen von Kocks (1970) übereinstimmt. So schreibt er, dass dialektologisch betrachtet – basierend auf konfessionellen Begebenheiten –

die südliche Grenze des Emsländischen […] die Dörfer Adorf und Neuringe [bilden, LMH], zwei Orte deren unterschiedliche Dialekte aus der Verschiedenheit der Religionsbekenntnisse beruhen. Die Reformierten sprechen den Niedergrafschafter Dialekt, die Katholiken den des Emslandes [...]

(Kocks 1970:43)

und auch sonst

lassen sich [die, LMH] auf den meisten Karten die im ersten Kapitel dieser Arbeit aufgeführten Einzelgebiete [i.e. Zentraldrente, Westerwolde und das als deutscher Teil des Bourtganger Moors umschriebene Emsland, LMH] klar als eigene Mundartgebiet unterscheiden.

(Kocks 1970:41)

Diese klaren Abgrenzungen scheinen bei den Gewährspersonen verinnerlicht worden zu sein: Sie sind sich einig und sicher in ihrer Zuordnung des eigenen Dialekts. Die Gewährspersonen von Wesuwe, die ihr Platt als „Harener Platt“ beschreiben, beziehen sich auch auf einen politischen Raum. Dieser fällt im Vergleich zum „Emsländischen Platt“ lediglich etwas kleinräumiger aus. Da Wesuwe ein Ortsteil der Stadt Haren ist und diese Stadt für viele – vor allem für Außenstehende – geläufiger ist als Wesuwe selbst, ist es möglich, dass die Stadt und nicht der Ort als Referenzpunkt für den eigenen Dialekt angegeben wurde. Knapp die Hälfte der Probanden aus Wesuwe bezeichnen die eigene Mundart als „Unser Platt“. Diese Bezeichnung wurde bereits oben bei Erica ausführlich besprochen und ist demnach, wie in Erica auch, der Raumkategorie „Kommunikationsraum“ zuzusprechen.

Die Informanten, die ihr Platt als „Emsländisches Platt“ beschreiben, geben an, dass es vor allem daran erkennbar ist, dass sie das <a> in Wasser und in Hammer als /hɑ:mer/ und /vɑ:ter/ aussprechen, während die umliegenden Dialekte, wie das Oldenburger Münsterland Platt (d. h. Südoldenburger Platt), /hɔ̃:mer/ und /vɔ̃:ter/ sagen. Dies wird unterstützt von den Probanden, die ihr Platt als „Unser Platt“ und als „Harener Platt“ bezeichnen. Diese Wahrnehmung lässt sich mit Kocks (1970) belegen, betrachtet man seine „Wasser“-Karte, auf welcher verzeichnet ist, dass im kompletten Emsland das <a> in Wasser als /ɑ:/ artikuliert wird. Und mit Grieshop et al. (2009: 279) lässt sich nachweisen, dass die Wahrnehmung des Oldenburger Raums – genauer, dass das <a> als /ɔ̃:/ artikuliert wird – auch mit den wahrgenommenen Unterschieden übereinstimmt.

Im Bereich der Lexik geben die Probanden an, die vom „Emsländischen Platt“ sprechen, „einfach andere Wörter wie die anderen zu haben“. Zudem nennen die Gewährspersonen die Bezeichnung für das Lexem „Kartoffel“ als Schibboleth für verschiedene Mundarträume: „im Emsland heißt esTuffel und in den Niederlanden sagt man zu „Kartoffel“ Erdappel; ersteres findet von der Gewährsperson, die ihren Dialekt als „Harener Dialekt“ beschreibt, Bestätigung. Schlägt man „Kartoffel“ im Emsländischen Wörterbuch von Josef Schmidt (1998: 95) nach, erzeigt sich diese Angabe als korrekt: „Eerpel, -s, de(n) (männl.); Tuffel, -s, de/Kartuffel, -n, de (weibl); Tüffelken, de Tüffelkes, dät (sächl.) […]“. Es existieren jedoch auch Nebenformen, wie das eben aufgeführte Eerpel, diese sind aber, wie in jenem Wörterbuch zusätzlich vermerkt wird „örtlich unterschiedlich“ (Schmidt 1998: 95). Diese erwähnten Beispiele der Probanden aus Wesuwe lassen sich bezüglich der Obergruppen von Varietätenkonzepten unter „Spezifischer Eindruck von Sprechweisen unter Rückgriff auf Einzelmerkmale“ zuordnen, machen sie doch alle ihre Beispiele, woran man den eigenen Dialekt ihrer Wahrnehmung nach erkennt, an Merkmalen einzelner Lexeme, also Schibboleths fest, die laut dem Emsländischen Wörterbuch von Schmidt (1998) ihre Richtigkeit haben.

In die Supergruppe „Sonstiges“ und dann „Allgemeine Dialektcharakterisierung“ fallen folgende nicht-sprachlichen Assoziationen „Dialektbeschreibung“ und „Raumparameter“: Die „Emsländisches Platt“-Probanden erkennen ihren Dialekt daran, dass „alles verständlich ist“ und die Probanden, die ihren Mundartraum als „Unser Platt“ beschreiben, wissen, dass ihr Dialekt gesprochen wird, wenn es sich um ein „unauffälliges“ und um ein „nicht so verschnörkeltes Platt“ handelt. Diese Metakommentare sind klassische nicht-sprachliche Assoziationen dialektaler Laien. Versucht wird hier, den Dialekt in seiner Phonologie, Morphologie, Lexik und Syntax zu beschreiben, ohne der dafür notwendigen Termini mächtig zu sein. Um ihrer Wahrnehmung dennoch Ausdruck zu verleihen, die deutlich den Dialekt beschreibt und nicht die Personen, die ihn sprechen, den geographischen Raume etc., werden jene oben aufgeführten Attribute angeführt, die ein Konzept von einer vertrauten Varietät aufzeigen. Ohne dass die Gewährspersonen es genauer benennen (können), handelt es sich für sie bei dem eigenen Dialekt um einen, den sie daran erkennen, dass er nicht „auffällt“ – und dementsprechend eben auch „nicht verschnörkelt“ ist. Dass diese Metakommentare fast ausschließlich bei den Personen, die ihren eigenen Dialekt als „Unser Platt“ bezeichnet haben, fielen, spricht für die eben ausgeführte Annahme, dass hier als Erkennungsmerkmale die Vertrautheit und das Heimatliche im Vordergrund stehen.

Des Weiteren beziehen die Probanden, die ihr Platt als „Emsländisches Platt“ beschreiben, räumliche Bezüge mit ein, indem sie ihr Dialektgebiet als ein solches beschreiben, in welchem „anders als in Holland und anders als in Ostfriesland“ gesprochen wird. Wie bereits bei Erica expliziert, spielt somit auch in Wesuwe die Staatsgrenze eine wichtige Rolle dabei, wenn es darum geht, sich von anderen Mundarträumen abzugrenzen. Zusätzlich wird hier Ostfriesland als Raum genannt, in welchem ein anderer Dialekt als in Wesuwe bzw. dem Emsland wahrgenommen wird. Zwar ist dieser Raum nicht von einer Staatsgrenze vom Emsland getrennt, doch weist die Halbinsel im äußersten Nordwesten Deutschlands, die im Norden und Osten an die Nordsee und im Westen an die Niederlande grenzt, eine politische Vergangenheit auf, die – sprachlich betrachtet – möglicherweise eine vergleichbare Wirkung (gehabt) hat. So wurde das eben umrissene hauptsächlich von Friesen besiedelte Gebiet im 8. Jahrhundert von den Franken unterworfen, genoss jedoch eine politische Eigenständigkeit unter Karl dem Großen, was u.a. ermöglichte, dass bis zum 16. Jahrhundert in Friesland Friesisch gesprochen wurde. Dies änderte sich unter der Herrschaft von Preußen, die ab 1806 für vier Jahre an die Niederlande ging, bis es nach dem Wiener Kongress wieder dem Königreich Hannover zugesprochen wurde (cf. Reershemius 2004: 20-25). Hinzu kamen enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Niederlanden. Diese und weitere Ereignisse prägten die in Ostfriesland gesprochene Varietät, so dass heute das dort gesprochene Niederdeutsche friesische und niederländische Einflüsse aufweist (cf. Reershemius 2004: 13f.). Bemerkbar macht sich bspw. der friesische Anteil am auffälligsten im Bereich der Flur-, Orts- und Eigennamen […]. Im Bereich der Morphosyntax sind […] vor allem die mit h-anlautenden Formen des Personalpronomens hum (ihm/ihn) und hör (ihr/sie) […]“ (Reershemius 2004: 23) Merkmale, die auf das Friesische zurückzuführen sind und sich so vom in Wesuwe gesprochenen Emsländischen unterscheiden.

5.2.1.3 Vergleich der Daten

Vergleicht man nun die Ergebnisse zur Fragestellung „Wo spricht man gleich?“ der Ortschaften Erica und Wesuwe fällt auf, dass in beiden Erhebungsorten die Polygone mit den höchsten Übereinstimmungen (50,1% bis 100%) jene sind, die um den jeweils untersuchten Ort einen engen Raum von ca. vier bis fünf Ortschaften bilden. Das bedeutet, je näher Orte innerhalb eines Landes aneinander liegen, desto kleiner wird der Abstand zu den Varietäten wahrgenommen. Dies gilt jedoch nicht, wenn beide Orte nicht in demselben Land liegen, sondern von der deutsch-niederländischen Staatsgrenze getrennt werden. So enden dort – also sowohl aus niederländischer als auch aus deutscher Perspektive – jeweils die Polygone mit den höchsten Übereinstimmungen (50,1% bis 100%) abrupt an der Stelle, wo die Staatsgrenze verläuft. Zwar gab es durchaus ein paar vereinzelte Probanden, deren Wahrnehmung von Orten mit gleichen Dialekten deutlich über die Grenze hinausreichen. Dabei handelte es sich aber zum einen nur um Probanden des niederländischen Erica und zum anderen um eine Übereinstimmung von lediglich bis zu 25%. Das heißt, dass die Probanden aus Erica ein größeres Gebiet angeben, von dem sie ausgehen, dass dort gleich gesprochen wird und vor allem, dass dieses Gebiet durchaus jenseits der Grenze liegt, wenn auch nur – wie eben angerissen – in sehr überschaubarem Maße.

Bei den Benennungen des eigenen Mundartraums gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf. Als Gemeinsamkeit beider Probandengruppen ist wie bspw. die Bezeichnung des eigenen Platts als „Unser Platt“ zu nennen. Diese Bezeichnung wurde hier als Kommunikationsraum klassifiziert, da dies Bezeichnungen weder konfessioneller, geographischer noch politischer oder gar dialektologischer Natur sind, sondern das eigene, heimische Platt benennen, wurde sich bei der Einordnung dieser Räume für „Kommunikationsraum“ entschieden. In dem niederländischen Ort Erica kommt noch die geographisch motivierte Art der Raumbenennung dazu, die jedoch nur von einem Probanden stammt. und damit einen Unterschied aufzeigt. Der Proband aus Erica nennt das Platt, das aus seiner Wahrnehmung das ist, welches er spricht, „Veenplatt“. Diese Bezeichnung, die übersetzt „Moorplatt“ heißt und vor allem von älteren Personen verwendet wird, spielt auf die Siedlungsgeschichte Drentes an. Auch wurde nur in Erica der kleinste politische Raum, der Erhebungsort selbst, als Determinativ für das eigene Platt gebraucht, so dass es zu Bezeichnungen wie „Erica-Platt“ kommt. Großflächigere Räume, wie bspw. „Drents“ oder „Emsland-Platt“, wurden dagegen wieder von Probanden aus Erica und aus Wesuwe angegeben.

Die sprachlichen Assoziationen, die bei der Einzeichnung der Dialekträume fielen, sind beiden Erhebungsorten auf die Ebenen Lexik und Phonologie beschränkt. Sie wurden, im Gegensatz zu Stoeckle (2014: 372), der die Erfahrung machte, dass „in nahezu allen Gebieten der jeweils „eigene“ Dialekt der Sprecher am häufigsten durch sprachliche Merkmale charakterisiert [wurde]“, erst auf gezielte Nachfrage, wie bspw.: „Können Sie möglicherweise irgendein sprachliches Merkmal nennen, das Ihren Dialekt auszeichnet?“ gegeben. Dass sprachliche Merkmale für den eigenen Dialekt zu nennen (zumindest im ersten Moment) eine Schwierigkeit darstellte, mag damit zusammenhängen, dass der eigene Dialekt als ‘normal’ betrachtet wird. So war es den Gewährspersonen erst nach längerem Überlegen und dem Abgrenzen von anderen Dialekten möglich, den eigenen Dialekt auszeichnenden sprachliche Merkmale zu nennen. Die Phänomene, die dann genannt wurden, sind jeweils auf unterschiedlich große Räume bezogen. So nennen Probanden, die ihr Platt auf ihre Ortschaft, wie bspw. Erica, beschränken, zum Teil andere Merkmale als diejenigen, die von dem größeren Raum Südostdrente sprechen. Dabei fällt auf, dass insgesamt wie bspw. auch von Stoeckle (2014: 371) konstatiert, ein hohes Maß an „korrekten“ Zuordnungen dialektaler Merkmale zu den besprochenen Räumen vorliegt, die – siehe oben – größtenteils mit den Einträgen in Dialektgrammatiken, -atlanten und -wörterbüchern übereinstimmen. Sie verlieren jedoch an Genauigkeit, sobald der eingezeichnete Raum weit über den eigenen Ort hinausreicht.

Wurde das eigene Platt auf den eigenen Ort bezogen, wie bspw. durch die Angabe „Erica Platt“, waren die Merkmale zumeist richtig. Stoeckle (2014), der selbiges konstatierte, begründete dieses Ergebnis wie folgt:

Als ausschlaggebend für den Grad an Übereinstimmung erwiesen sich vor allem zwei Gründe: erstens die Nähe des von den Informanten sprachlich charakterisierten Gebiets, und zweitens dessen Größe bzw. geographische Ausdehnung. Der erste Grund […] beschreibt […], dass Merkmale übereinstimmender und von den Sprechern umso genauer genannt wurden, je näher das betreffende Gebiet am Heimatort lag. […] Ein hoher Grad an Übereinstimmung konnte ebenfalls festgestellt werden, wenn die Sprecher sich […] auf kleinere Ortschaften bezogen, die sich meist auch in der näheren Umgebung befanden.

(Stoeckle 2014: 371)

Anmerkungen zu sprachlichen Phänomenen, die in der Wahrnehmung der Probanden diesseits der Grenze anders als jenseits der Grenze artikuliert werden, fallen – trotz vergleichbarer Nähe – in dieser Erhebung allerdings nicht. Dies ist möglicherweise durch die Tatsache, dass die Nachbardialekte bereits beim Einzeichnen des eigenen Dialektraums durch die Staatsgrenze abgetrennt werden, zu erklären. Der Proband geht davon aus, dass es keiner zusätzlichen Erklärung bedarf, die Kommentare wie „an der Grenze ist stopp“ stützen müssten. Möglicherwiese spielt hier aber auch die gefühlte Fremdheit der Dialekte jenseits der Staatsgrenze eine Rolle. D. h., die Probanden diesseits der Grenze muten sich ob der wahrgenommenen Fremdheit der Dialekte jenseits der Grenze gar nicht zu, Angaben über sprachlichen Unterschiede zwischen ihrem und den Dialekten zu machen, die nicht innerhalb ihres Landes liegen. So ist selbst bei der erfragten Angabe von sprachlichen Merkmalen, die den eigenen Dialekt auszeichnen, zu spüren, dass die Staatsgrenze in den mentalen Landkarten der Probanden von Grenzorten eine bedeutende Rolle einnimmt, d. h. deren Wahrnehmung von ihrem sprachlichen Umfeld in diesem Fall nicht (mehr) die von einem Kontinuum ist.

Die in dem deutschen Erhebungsort Wesuwe unter Dialektbeschreibungen gefassten Kommentare lassen sich noch einmal unter Vertrautheit und Verständlichkeit gruppieren. Das eigene Platt wird als „unauffällig“ und „nicht so verschnörkelt“ beschrieben. Diese Angaben zum eigenen Platt sind damit in Verbindung zu bringen, dass der eigene Dialekt immer vertrauter und verständlicher ist als der, der von anderen gesprochen wird. Dass diese Attribute in Erica nicht als Beschreibung des eigenen Dialekts genannt wurden, ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass dort die Unterschiede von Ort zu Ort nicht so gravierend wie in Deutschland sind, entwickeln sich doch dort die Dialekte eher zu einem Regiolekt, der weniger kleinräumig als vielmehr großflächig verbreitet ist. Somit werden die Nachbardialekte meist auch weniger fremd und anders empfunden als in Deutschland.

Auffällig ist auch, dass bezüglich der Kommentare nur einmal eine Anmerkung zur Konfession fällt – und zwar in dem niederländischen Erhebungsort Erica. Dies ist jedoch einleuchtend, wenn man die Umgebungen der Untersuchungsorte betrachtet: Erica ist in einem calvinistischen Gebiet einer von wenigen Orten, die katholisch geprägt sind. Wesuwe dagegen ist auch katholisch, jedoch gehören die Orte in seiner Umgebung auch alle derselben Konfession – der katholischen – an. Somit ist die Angabe der Konfession als ein Faktor, der den eigenen Dialekt ausmacht bzw. eint, nicht ein ausschlaggebender auf deutscher, auf niederländischer Seite dagegen schon.

Die Staatsgrenze als Faktor, der den eigenen Dialektraum von dem eigenen trennt, wird bei beiden Ortschaften Erica und Wesuwe in Form von Metakommentaren thematisiert. Das bedeutet, dass die deutsch-niederländische Staatsgrenze in der Wahrnehmung aller Probanden als Dialektgrenze nicht nur vorhanden ist, sondern dieser Faktor präsenter ist als alle anderen Einflussfaktoren. Denn nur so lässt sich erklären, dass der Grenzfaktor thematisiert wird und sich zusätzlich im Einzeichnen des eigenen Dialektraums widerspiegelt.

5.2.2 Zusammenfassung der wichtigsten Faktoren

Die durch einen Vergleich der Ergebnisse festgestellten Faktoren, die bei der Laien-Wahrnehmung von den Dialekträumen, von welchen sie ausgehen, dass dort gleich bzw. ähnlich gesprochen wird, eine Rolle spielen, lauten a) Staatsgrenze, b) Konfession, c) phonologische und/oder lexikalische Merkmale sowie d) Kommunikationsraum. Fast alle Faktoren sind der Obergruppe „Allgemeine Dialektcharakterisierung“ zuzuordnen. Lediglich die Angabe von „lexikalischen und phonologischen Merkmalen“ gehören der Gruppe „Spezifischer Eindruck von der Sprechweise unter Rückgriff auf Schibboleth-Phrasen“ an. So ist bis hierhin zu konstatieren, dass diese beiden Obergruppen für die untersuchten Probanden jene waren, die deren Bild der Sprachlandschaft, in welcher sie leben, besonders prägen. Im Folgenden wurden die drei wichtigsten Faktoren für die Gewährspersonen beim Einzeichnen ihres eigenen Dialektraums noch einmal zusammengefasst:

1. Staatsgrenze

Dass eine Sprachlandschaft generell als Dialektkontinuum zu verstehen ist, in welchem – Sprachinseln ausgeschlossen – fließende Übergänge statt scharfe Grenzen die Mundarträume voneinander trennen, greift jedoch nicht, sobald eine Staatsgrenze dieses Kontinuum durchläuft. So unterstützen auch hier die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit die Ergebnisse Kremers (1984), Giesbers (2008) und Stoeckles (2014): Trennt eine Staatsgrenze, hier die deutsch-niederländische, zwei Orte voneinander, steht der perzeptive Abstand nicht mehr im Verhältnis mit dem geographischen – er ist größer als gleichweit entfernte Orte eines Dialektgebiets innerhalb Deutschlands bzw. innerhalb der Niederlande (cf. Giesbers 2008: 128-130). Daraus schließt de Vriend et al. (2009: 10), dass “cross-the-border dialects are nowadays separated by a plain gap” und modifiziert damit die These von Chamber/Trudgill (1998), dem ich folglich nur zustimmen kann. Denn es konnte auch hier gezeigt werden, dass Staatsgrenzen eine besonders starke Bedeutung haben, indem sie nicht nur genuin homogene Mundarträume voneinander trennen, sondern zum Teil sogar dafür sorgen, dass die jenseits der Staatsgrenze liegenden Mundartgebiete kaum (mehr) im Bewusstsein der Probanden sind.

2. Phonologische und/oder lexikalische Merkmale

Eine weitere Möglichkeit linguistischer Laien zu begründen, was den eigenen Dialekt ausmacht bzw. von anderen unterscheidet, ist die Nennung sprachlicher Merkmale. Die Nennungen sprachlicher Merkmale beschränken sich in dieser Erhebung auf die Ebenen der Phonologie und/oder der Lexik und sind in der Regel korrekt. Zu unterscheiden ist dabei jedoch zwischen Großraum und Kleinraumdialekten. D. h., je kleiner und näher der beschriebene Raum, desto eher stimmen die Aussagen mit dialektalen Forschungen überein. Anmerkungen zu sprachlichen Phänomenen, die in der Wahrnehmung der Probanden diesseits der Grenze anders als jenseits der Grenze artikuliert werden, fallen jedoch nicht. Dies ist möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass die Probanden davon ausgehen, dass es keiner zusätzlichen Erklärung bedarf, Kommentare wie „an der Grenze ist stopp“ stützen zu müssen. Oder aber sie fühlen sich nicht in der Lage, Dialekte jenseits der Grenze näher zu beschreiben. Die Staatsgrenze spielt also auch hier, bei der Benennung sprachlicher Merkmale anderer Dialekte zur Beschreibung des eigenen eine bedeutende Rolle.

3. Kommunikationsraum

Neben der Staatsgrenze waren es vor allem Grenzen des eigenen Kommunikationsraums, an welchen sich die Gewährspersonen der Orte Erica und Wesuwe orientiert haben, wenn sie angeben sollten, wo bzw. bis wohin sie ihren eigenen Dialekt wahrnehmen. Dies äußerte sich während der Interviews durch die besonders häufige Benennung des eigenen Dialektraums mit „Unser Platt“ respektive „Unser Dialekt“ bzw. „Use Taal“. Da in diesem Fall keinerlei Faktoren ausgemacht werden konnten, welche die Verbreitung des eigenen Platts rechtfertigen würden oder/und die von ihnen durch die Einzeichnung von Polygonen empfundenen Grenzen motiviert haben, wurde diese Kategorie der Raumbenennung geöffnet. Damit ist gemeint, dass die Gewährspersonen aus Erfahrung, aber dennoch relativ unreflektiert im Hinblick auf außersprachliche und innersprachliche Faktoren, angeben, bis wohin noch gleich bzw. sehr ähnlich gesprochen wird. Die angesprochene Erfahrung, zumindest die, die sie abrufen können, basiert demnach nur darauf, bis wohin sie den eigenen Dialekt wahrgenommen haben, ohne Rückschlüsse auf Gründe etc. ziehen zu können. Vielmehr wird es als selbstverständlich angenommen, dass irgendwo der eigene Dialektraum endet – und dies wird, zumindest von den meisten Probanden insgesamt, nicht hinterfragt werden.


6 Korrelation subjektiver und objektiver Daten

Korreliert man nun die objektiven Daten mit den subjektiven, wird deutlich, dass deren jeweilige Ergebnisse konformgehen: die Übersetzungssätze und die mental Maps ergeben beide, dass sich eine Dialektgrenze an der Staatsgrenze etabliert hat. Auch stimmen die Ergebnisse der hier verwendeten Methoden dahingehend überein, dass innerhalb Deutschlands noch immer ein dialektales Kontinuum zu erkennen ist und somit die aufgestellten Hypothesen verifiziert wurden:

(1) Die gravierendsten objektiv eruierten Dialektgrenzen im Nordniedersächsischen stimmen mit der dt.-nl. Staats- und Sprachgrenze überein.
(2) Die gravierendsten subjektiv wahrgenommenen Dialektgrenzen der nord-niedersächsischen Gewährspersonen stimmen mit der dt.-nl. Staats- und Sprachgrenze überein.
(3) Objektive und subjektive Daten weisen deutliche Übereinstimmungen auf. Objektive und subjektive Daten stimmen dahingehend überein, dass sich die dt.-nl. Staatsgrenze als Dialektgrenze erweist und auch sonst sind deutliche Übereinstimmungen zu konstatieren.

Wie zu Beginn dieses Aufsatzes also vermutet, konnte mit dieser Arbeit die Ergebnisse von Kremer (1979) und Giesbers (2008) sowie Smits (2011) bezüglich der objektiven Daten und Giesbers (2008) und Kremer (1984) bezüglich der subjektiven Daten sowie Giesbers (2008) bezüglich der Korrelation von subjektiven und objektiven Daten bestätigt werden: Es haben sich auch die im deutsch-niederländischen Grenzgebiet angesiedelten dem nordniedersächsischen Dialektverband angehörenden Dialekte in Richtung Standard entwickelt, was folglich, wie in anderen bereits untersuchten Gebieten, zu einer Divergenz der Dialekte an der Staatsgrenze geführt hat. Dass der plattdeutsche Dialekt auf deutscher Seite im Vergleich auf der niederländischen Seite eine konservativere Struktur aufweist, hängt, wie bei anderen Studien bereits nachgewiesen werden konnte, auch hier damit zusammen, dass die Diskrepanz der Strukturen niederländischer Dialekt und niederländische Standardvarietät nicht so hoch ist wie in Deutschland der Abstand der beiden untersuchten Varietäten. Diese Divergenz konnte, wie bereits bei Giesbers (2008), auch hier in der Wahrnehmung der Probanden, bestätigt werden.


7 Fazit

Die Ergebnisse dieser Studie reihen sich nahtlos in die Forschung der Grenzdialekte – vor allem der deutsch-niederländischen – ein. Es kann nun auch für das Grenzgebiet des Nordniedersächsischen, also Drente auf der niederländischen Seite und das Emsland auf deutscher Seite, konstatiert werden, dass hier die ehemals (relativ) homogenen Dialekte eine deutliche Divergenz an der Staatsgrenze aufweisen. Diese Entwicklung ist nicht nur auf der strukturellen Ebene, sondern eben auch auf der wahrnehmungsdialektologischen Ebene festgestellt worden. So werden aus anfänglich einzelnen sich dialektologisch auseinanderentwickelnden Gebieten an der deutsch-niederländischen Grenze immer mehr Areale, die sich, widmete man sich in naher Zukunft der Erforschung noch fehlender Gebiete an der Grenze, irgendwann zusammenfassen lassen. Die Aussage, die dann getroffen werden könnte ist, dass es sich nicht mehr um einzelne sprachliche Bruchstellen handelt, die sich im westkontinentalgermanischen Dialektkontinuum manifestieren, sondern um einen sprachlichen Bruch, der in Folge der Advergenz von Dialekten zu ihrer sie überdachenden Standardsprache an der deutsch-niederländischen Staatsgrenze entstanden ist – strukturell und perzeptionell.


Literatur

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Anmerkungen

1 Eine weitere Methode mithilfe welcher sich subjektive Daten wie Sprachbewertungen elizitieren lassen, ist bspw. die eines Semantischen Differentials (cf. hierzu Spiekermann/Hohenstein 2016). zurück

2 Die Idee hinter der Salienz als einer weiteren Methode der subjektiven Dialektologie ist mit Schirmunski (1928/29 und 1930) – dem Entwickler der ersten traditionellen Auffassung des Konzepts „Auffälligkeit“ – gemeint, dass kontaktinduzierte Sprachwandelprozesse nicht alle Varianten der Kontaktvarietäten gleichermaßen erfassen, sondern zwischen primären und sekundären Merkmalen unterschieden werden muss. Diese Trennung basiert auf seiner richtungsweisenden Untersuchung deutscher Siedlungsmundarten in Transkaukasien und in der Südukraine, mittels welcher er nachweisen konnte, dass die primären – und damit auffälligen – Merkmale einer Abschleifung unterlaufen und die sekundären – und damit weniger auffälligen – Merkmale in die Verkehrssprache (auch: Ausgleichssprache oder Koiné) aufgenommen werden. Diese Theorie wurde ob ihrer vermeintlichen Zirkularität (cf. Trost 1968 und Reiffenstein 1976) durch Hinzuziehung oder Fokussierung auf einzelne bzw. weitere Faktoren wie bspw. von Jakob (1985), Herrgen/Schmidt (1985), Trudgill (1986), Auer et al. (1996), Schwarz et al. (2010), Lenz (2010) und schließlich von Purschke (2014) modifiziert (siehe hierzu mehr in Hohenstein (i. V.). zurück

3 Mit Mattheier (1980: 44) sind Siedlungen bezüglich ihrer Einwohnerzahl als Orte zu klassifizieren, wenn sie über 2.000 Einwohner haben, denn unterhalb dieser Grenze handelt es sich um Dörfer. Größer als Orte sind dann Kleinstädte, die eine Einwohnerzahl bis zu 20.000 aufweisen. zurück

4 Cf. hierzu bspw. auch die Größe der Erhebungsorte des SiN-Projekts, die nur Orte ausgewählt haben, die nicht mehr Einwohner als 8.000 haben. zurück

5 Aus Platzgründen können diese drei Variablen hier jedoch nicht in Form von unabhängigen Variablen berücksichtigt werden. Dennoch ist durch die austarierte Gewichtung jener Variablen aller Gewährspersonen gesichert, dass die Ergebnisse nicht nur zugunsten einer Alters-, Berufs- und/oder Geschlechtergruppe ausgefallen ist.. zurück

6 Dieses Ergebnis fußt auf dem dieser Erhebung vorgestellten Pilottest, in welchem alle Probanden bei einer Karte ohne Grenze nicht wussten, woran sie sich – außer am eigenen Heimatort – orientieren könnten. zurück

7 Cf. hierzu ausführlicher Bloemhoff/Nijkeuter (2004: 42-49).. zurück

8 Wie auch in Wesuwe (siehe Seite Karte 3) handelt es sich hier bei 25% auch tatsächlich um vier Gewährspersonen. zurück

9 Näheres hierzu siehe unter „Großraumverortung“ in Hohenstein (i.V.). zurück

10 Kocks (1970:101) weist dies anhand des Lexems Pijp nach, welches in Erica als /piipə/ artikuliert wird. Dies ist vergleichbar mit dem von den Gewährspersonen angegebenen Beispiellexem Wijn. zurück

11 Cf. hierzu die Karten „Straße“ und „Käse“ in Kocks (1970). zurück

12 Wie in Erica (siehe Karte 2) sind auch hier in den 25% vier Personen inkludiert. zurück