http://dx.doi.org/10.13092/lo.89.4280
Fragt man aus linguistischer Perspektive nach dem sprachlichen Peer-Textfeedback-Verhalten von Studierenden, fehlen eine konzise Begrifflichkeit und Forschungsergebnisse zu den sprachlichen Eigenschaften von Feedbacknachrichten (cf. Knorr 2012). Diesen Umstand sehen Beyer und von Gunten (2017: 6) vor allem darin begründet, dass ein Grossteil der Textfeedback-Forschung in den Erziehungswissenschaften stattfindet. Mit dem Projekt „Texte kommentieren“1 findet im deutschsprachigen Raum erstmals eine systematische linguistische Studie zum Textkommentierungsverhalten Studierender in Peer-Textfeedback-Prozessen statt.
Für die Untersuchung des Peer-Textfeedback-Verhaltens der Studierenden knüpft das PH Bern2 -Forschungsprojekt an die prozessorientierte Schreibdidaktik an (cf. e. g. Fix 2008), welche die Textproduktion im Anschluss an das kognitivistische Standardmodell von Hayes und Flower (1980) grundsätzlich als komplexen Vorgang versteht, der sinnvollerweise für Lernende aufgeschlüsselt in Teilprozesse vermittelt wird (cf. e. g. Fix 2008).3 Aus dieser Forschungsperspektive interessieren weniger Fragen zum fertigen Schreibprodukt als Fragen, welche die verschiedenen Phasen des Schreibens bzw. die verschiedenen Stadien eines Textes betreffen. Wie Bräuer und Schinder (2011: 14) aus sozialkonstruktivistischer Sicht betonen, sind Texte „durch ein Spannungsfeld zwischen der Wirkungsintention der Schreibenden, der Vorstellung derselben von den angezielten Rezipienten und Rezipientinnen und den Erwartungen der Leserschaft an einen Text gekennzeichnet“. Für schreibdidaktische Anliegen weisen sie darauf hin, dass dieses Spannungsfeld auf beiden Seiten Lernprozesse initiieren kann, und interpretieren Textfeedback in diesem Kontext als einen Beitrag zur kognitiven Entwicklung von Schreibenden (cf. Bräuer/Schindler 2010: 3). Im Anschluss an verschiedene sozial- und kommunikationswissenschaftliche Vorarbeiten (cf. e. g. Krause 2007; Kruse 2006; Bräuer/Schindler 2011) treten auch wir im Projekt didaktisch motiviert an den Forschungsgegenstand „Peer-Textfeedback“ heran: Es sollen im hochschuldidaktischen Kontext solche Aspekte in der Interaktion zwischen Feedback-Gebenden und -Nehmenden erfasst werden, welche aus linguistischer Sicht für das Initiieren und Anleiten von schriftlichen Rückmelde-Prozessen zu Texten eine Rolle spielen (cf. Kap. 2).
Zu diesem Zweck wurde im Rahmen des Projektes das Instrument für die linguistische Analyse von Textkommentaren ( InliAnTe, cf. Beyer/Beyer 2017: 10–14) ausgearbeitet: Es soll das Sprachhandeln von angehenden Lehrpersonen während der Textkommentierung genauer erfassen können. Damit will das Projekt einen Beitrag zur Modell- und Begriffsbildung im Hinblick auf die Textkommentierung leisten. Die grundlegenden Überlegungen für die Entwicklung des InliAnTe fasst Beyer (i. E.) wie folgt zusammen:
(Beyer i. E.)
Vor diesem Hintergrund liefert die Analyse mittels InliAnTe Antworten auf die folgenden beiden Fragen:
1. | Auf welche sprachlich-textuellen Phänomene reagieren die Studierenden mit ihren Kommentaren (Auslöser im Text)? |
2. | Mit welchen sprachlichen Mitteln setzen sie die Rückmeldung an den Autor oder die Autorin um (Sprachliche Realisierung)? |
Aufbauend auf der Analyse mittels InliAnTe wird im Rahmen der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (cf. Kap. 4.4) von 6 retrospektiven Interviews untersucht, welche Sprachhandlungsmotive für die Studierenden während der Kommentierung im schriftlichen Peer-Textfeedback-Verfahren leitend sind. Mit Bezug auf einen bestimmten schriftlich vorliegenden Textkommentar wird im retrospektiven Interview jeweils gefragt, warum und wozu die Studierenden die betreffende Stelle im Entwurf kommentiert haben. Während der Raster-Teil „Auslöser im Text“ des InliAnTe (cf. Beyer/von Gunten 2018: 10–12) für die schriftlichen Kommentierungen möglichst umfassend zu erheben versucht, welche möglichen Phänomene im Text einen Kommentar provozieren können, fokussiert die qualitative Inhaltsanalyse4 nur die Kategorie „Inhalt“ und ist von folgender Frage geleitet: „Wie setzen sich Studierende mit dem Inhalt von fremdem Text auseinander, wenn sie für Mitstudierende schriftliche Kommentare verfassen?“ Es wird auf den Inhalt fokussiert, weil die Interviewanalyse in Bezug auf diese InliAnTe-Kategorie aufschlussreiche Zusatzinformationen liefern konnte und dieser Fokus aus schreibdidaktischer Perspektive besonders relevant erscheint (cf. Kap. 3). Die Analyse der Interviewdaten hat im Rahmen des gesamten Projektes ergänzenden Charakter: Die Beschreibung des Textkommentierungsverhaltens stützt sich in erster Linie auf die Ergebnisse der linguistischen Textanalyse mittels InliAnTe. Die Ergebnisse aus der Analyse der Interviewdaten geben auf der Reflexionsebene einen zusätzlich differenzierenden Einblick in die Auseinandersetzung mit Textinhalt.
Weil das Projekt einen explorativen Ansatz verfolgt, wurde (abgesehen von einer technischen Einführung in den Überarbeitungsmodus in Microsoft Word) bewusst darauf verzichtet, die Studierenden im Hinblick auf die in verschiedenen Ratgebern formulierten Normen und Regeln zum schriftlichen Feedback (cf. e. g. Grieshammer et al. 2013) zu schulen – obwohl in der Fachliteratur Konsens darüber herrscht, dass schriftliche Rückmeldeprozesse zu Texten voraussetzungsreich sind (cf. Kap. 2). Aus qualitativer Perspektive sollen im Projekt die intuitiven Kommentierungsstrategien der Studierenden deskriptiv erfasst werden.
Gezielt wurde für die Kommentierung nicht mit künstlich für das Textfeedback erzeugten Texten, sondern mit authentischen Leistungsnachweisen gearbeitet, welche obligatorisch im Studienplan verlangt werden (cf. Kap. 4.3). Weiter wurde aus methodischer Sicht darauf geachtet, dass sich die in der Peer-Textfeedbackschlaufe zu kommentierenden Textentwürfe jeweils in einem ähnlichen Stadium der Textproduktion befanden: Es sollten vollständige Rohfassungen im Peer-Textfeedback bearbeitet werden. Dies spielt insbesondere im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Textinhalt eine besondere Rolle: Es scheint beispielsweise von Interesse, ob sich in den intuitiven Kommentierungsstrategien der Studierenden eine von Grieshammer et al. (2013: 226) empfohlene Vorgehensweise abzeichnet, indem sie den Fokus für diese Textproduktionsphase nicht auf „Oberflächenphänomenen“ wie die Rechtschreibung oder die Zeichensetzung, sondern auf den Inhalt und die Textstruktur legen.
Für die Forschungsfrage ergeben sich aus den geschilderten Zusammenhängen im Hinblick auf die qualitative Inhaltsanalyse der 6 retrospektiven Interviews folgende Präzisierungen:
· | Wie setzen sich Studierende im 1. Semester mit dem Inhalt von fremdem Text auseinander, wenn sie Mitstudierenden nicht angeleitet schriftliches Feedback zu ausformulierten Rohfassungen geben? |
· | Wie weit geht die gedankliche Auseinandersetzung mit den Textinhalten? |
· | Auf welche Art von Inhalten reagieren die Studierenden mit ihren Kommentaren? |
· | Berücksichtigen die Studierenden für ihre Kommentierung solche Inhalte, die mit der Schreibaufgabe angeregt wurden? |
Dieser Beitrag5 gibt einen mehrheitlich kategorienbasierten, an bestimmten Stellen aber auch fallorientierten Einblick in die Ergebnisse der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse. Abschliessend werden aus den Ergebnissen hochschuldidaktische Überlegungen für das Anleiten von Peer-Textfeedback unter Studierenden abgeleitet und zur Diskussion gestellt.
Hattie (2014: 131) definiert Feedback mit Blick auf den Unterricht, indem er auf die aus der älteren Feedbackforschung stammende Idee der „Lücke“ Bezug nimmt: „Ziel von Feedback ist es, die Lücke zwischen dem, wo die Schülerin oder der Schüler ‚ist‘, und dem, wo sie oder er ‚sein soll‘ zu verkleinern – also zwischen der vorherigen Leistung, der aktuellen Leistung und den Erfolgskriterien“. Wo er sich in seinem vielbeachteten Werk Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen (2014) mit Rückmeldeprozessen zwischen Lehrpersonen und Lernenden auseinandersetzt, steht – ganz im Sinne der prozessorientierten Schreibdidaktik – das „Feedback in Bewegung“ (feedback in motion) im Zentrum. Dieses ist im Kern förderorientiert – also darauf ausgerichtet, dass sich Lernende auf der Grundlage der Feedback-Informationen vorwärtsbewegen können (Hattie 2014: 153f.).
Trotz aller Bemühungen der Feedback-Forschung liegt bis heute kein empirisch breit abgestütztes Konzept von Feedback vor und auch zu den Faktoren, welche die Wirksamkeit von Feedback beeinflussen, herrscht keine Einigkeit: „Obwohl Feedback zu den wirksamsten Moderatoren des Lernens zählt, gehören seine Effekte zu den variabelsten“ (Hattie 2014: 131).
Im Projekt wird Feedback – und insbesondere Peer-Feedback – im Anschluss an Krause (2007: 49) als ein Angebot verstanden, von dem Lernende in verschiedener Weise Gebrauch machen und das auf dem Prinzip der „doppelten Subjektivität“ beruht (Landwehr 2003: 13; Ditton/Müller 2014: 12): „Zum einen wird kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit der übermittelten Beobachtungen erhoben, zum anderen bleibt es einzig dem Feedbackempfänger selbst überlassen, die rückgemeldete Information im künftigen Handeln zu berücksichtigen“. Vor diesem Hintergrund kann Peer-Feedback als „klärende Kommunikation“ oder als eine „gemeinsame Verständigungsleistung“ beschrieben werden (Fengler 2010: 8), wobei die feedback-gebende Person die Gleichrangigkeit zwischen sich und der feedback-nehmenden Person bejaht und praktiziert (ibd.: 10).
Für unser Verständnis von Textfeedback ist dabei ausschlaggebend, dass sich in Texten – und insbesondere in Textkommentaren – sowohl die Wirkungsintention als auch die Adressatenorientierung von SchreiberInnen spiegelt (cf. Bräuer/Schindler 2011: 14f.). Denn schriftliches Feedback auf Texte entsteht nicht aus dem „Schreiben für sich selbst“ (writer-based-prose), sondern aus dem „Schreiben für konkrete Leserinnen und Leser“ (reader-based prose) (cf. Bereiter/Scardamalia 1987). Ein solches Verfassen von Textfeedback ist im Kern auf Interaktion (also auf das Gegenüber) und auf die Anschlusshandlung Textüberarbeitung ausgerichtet.
Diese Ausführungen zeigen, dass im Projekt ein sozial- und kommunikationswissenschaftlich geprägtes Feedback-Konzept verwendet wird, das von kognitivistischen bzw. konstruktivistischen Überlegungen ausgeht. Für unsere Untersuchung des Peer-Textfeedbacks nehmen wir an, dass die feedbackgebende Person den Textentwurf zunächst rezipiert, wobei ein „Text im Kopf“ entsteht (cf. Nussbaumer 1991: 136) und eine Verstehensleistung im hermeneutischen Sinn erfolgt (cf. Becker-Mrotzek/Böttcher 2006: 50). Gleichzeitig wird der Text im Hinblick auf die Überarbeitung und mögliche Optimierung eingeschätzt bzw. bewertet (cf. ibd.). Die entstehenden Textkommentare können Beschreibungen dessen sein, was im Text passiert – also Mitteilungen von Beobachtungen (Elbow 1989: 95–98). Es kann sich aber auch um Mitteilungen von Reaktionen auf den Text handeln und sie können und dürfen auch Bewertungen und oder Änderungsvorschläge enthalten.
Zu beachten gilt es dabei, dass Rückmeldeverfahren zu Texten in der Fachwelt generell als anspruchsvoll gelten und Studierende daher entsprechend angeleitet werden müssen, wenn ihr Textfeedback für Feedbacknehmende tatsächlich hilfreich sein soll (cf. Kruse 2010; Banzer 2010; Lehnen 2011: 150–161; Schnetzer 2006; Ballweg et al. 2011).
Abschliessend scheint der Hinweis zentral, dass trotz aller Uneinigkeiten im Hinblick auf die genaue Konzeption von Feedback sich die Fachwelt aber einig ist, dass das Textfeedback im Studienkontext ein sinnvolles Instrument zur Weiterentwicklung von sprachlichen Kompetenzen ist – sowohl auf der Seite der feedback-gebenden als auch der feedback-nehmenden Person (cf. Kruse 2006: 169). Daher werden Rückmeldeverfahren unter Peers in der Hochschullehre seit Längerem vielfältig eingesetzt (cf. e. g. Bräuer/Schindler 2011; Banzer 2010).
Wie eingangs ausgeführt fokussiert die Interviewauswertung auf die InliAnTe-Kategorie „Textinhalt“. Diese in der Linguistik breit diskutierte Grösse wird mit Blick auf die für die Untersuchung zentralen Aspekte nur knapp umrissen.
Das epistemische Schreiben – also das Schreiben zur Wissensgewinnung – hat in vielen Studiengängen einen zentralen Stellenwert, weil es generell als ein geeignetes Instrument gilt, um sich ein Thema zu erarbeiten (cf. e. g. Kruse 2010: 58–61). Vor hochschuldidaktischem Hintergrund scheint daher die Frage, inwiefern sich Studierende mit dem Inhalt des fremden Textes im Feedback-Prozess auseinandersetzen, besonders relevant: Mit der qualitativen Inhaltsanalyse wird herausgearbeitet, inwiefern die Studierenden mit der Rekonstruktion ihrer Gedanken während der retrospektiven Interviews solche Inhalte ansprechen, die für das Schreiben „als Mittel des Denkens“ (ibd.) in der Schreibaufgabe (oder auf übergeordneter Ebene durch den Studienplan) zentral gesetzt sind.
Ein weiterer Grund für die Fokussierung auf den Textinhalt ist, dass sich der Mehrmethodenansatz im Hinblick auf die InliAnTe-Kategorie „Inhalt“ besonders ergiebig zeigt: Durch die linguistische Analyse der schriftlichen Kommentare zum Inhalt des Textentwurfes kann nicht immer eindeutig ermittelt werden, welche Motive oder Überlegungen der Studierenden hinter dem jeweiligen Kommentar stehen. Hier liefert die Analyse der mündlichen Begründungen für die Kommentare Zusatzinformationen, indem sichtbar wird, wie die Studierenden selber im Rückblick ihren Umgang mit Inhalt während der Kommentierung reflektieren.
Zur Erfassung von didaktisch relevanten Aspekten unterscheidet der Raster-Teil „Auslöser im Text“ im InliAnTe relativ grob 7 Kategorien. Auf der obersten Ebene wird erfasst, ob ein Textkommentar durch eine Stärke oder Schwäche auf der Ebene des 1.) Inhalts, 2.) der Textorganisation (Anordnung der Inhalte, Konnektivität), 3.) der Sprache I (Präzision, Varietät, Attraktivität und Verständlichkeit), 4.) der Sprache II (Morphosyntax, Orthographie, Interpunktion, Lexik), 5.) der Intertextualität, 6.) der Formalia oder 7.) der technischen Umsetzung ausgelöst wird (cf. Beyer/von Gunten 2017: 10–12; Beyer i. E.).6
Neueren linguistischen Ansätzen zufolge beruht der inhaltliche Zusammenhang eines Textes (Kohärenz) auf gedanklichen Schlussverfahren, welche durch Kohäsionsmittel unterstützt werden können – aber nicht müssen.7 Es gibt Texte, in welchen alle Bausteine grammatikalisch korrekt aufeinander bezogen sind, wobei inhaltlich aber kein Thema erkennbar ist, weil die Textrezeption durch Gedankensprünge gestört wird. Ein solcher Text zeigt zwar eine kohäsive Textoberfläche, auf der Bedeutungsebene wird er aber nicht als zusammenhängend wahrgenommen. Umgekehrt können Texte ohne Kohäsionsmittel produziert werden, welche aufgrund ihres inhaltlichen Zusammenhangs sofort als Texte erkannt werden. Die in einem Text präsentierten Inhalte hängen also zwar häufig eng mit sprachlich-textuellen Phänomenen zusammen, wir gehen im Projekt aber davon aus, dass die Inhalte eines Textes prinzipiell losgelöst von der sprachlichen Realisierung betrachtet werden können. Mit der InliAnTe-Kategorie „Inhalt“ werden Kommentare erfasst, die zeigen, dass sich die feedbackgebende Person mit dem „Denken hinter dem Text“ (Beyer i. E.) befasst: Mit Bezug auf Ulmi et al. (2014) setzt Beyer (ibd.) dieses deshalb zentral, „weil wir davon ausgehen, dass es die Voraussetzung erfolgreichen sprachlichen Handelns und besonders wissenschaftlichen Handels ist, und ihm deshalb der erste Blick beim Textfeedback gelten sollte“.
Es wurden 6 Studierende ausgewählt, die aufgrund ihrer soziodemographischen Daten und ihrer Vorbildung als „typische“ angehende Unter- und Mittelstufenlehrpersonen am IVP NMS gelten können.8 Studierende am IVP NMS erlangen mit ihrer Ausbildung die Lehrberechtigung für alle Fächer der Volksschule vom Kindergarten bis zur 6. Klasse.
In der Wahl zum Studium scheint sich ein stark geschlechterspezifisches Verhalten niederzuschlagen: Die Frauen sind in diesem Studiengang deutlich übervertreten, nur vereinzelt sind unter den Studierenden auch Männer anzutreffen. Für die Teilnahme am Projekt konnten keine Männer gewonnen werden.
Für die Beschreibung des Peerfeedback-Verhaltens der 6 Probandinnen wurde nicht ein übungshalber entstandener Text kommentiert, sondern ein Leistungsnachweis, welcher obligatorisch zur Erlangung von ECTS-Punkten in einem Modul verfasst werden musste. Für diese Entscheidung waren folgende Überlegungen leitend: Mit den Schreibzielen und Beurteilungskriterien zu den jeweiligen Leistungsnachweisen werden im Studienkontext mit Bezug zum Studienplan solche Lerninhalte definiert, welche für das jeweilige Modul im Zentrum stehen. Mit diesen Vorgaben existieren also – mehr oder weniger klare – Kriterien, mittels welcher die Dozierenden überprüfen, ob die Schreibziele erreicht werden.9 Der Schreibaufgabe, welche für die Datenerhebung verwendet wurde, gilt in diesem Beitrag besondere Aufmerksamkeit, weil sie für den institutionell eingebetteten Schreibprozess studienrelevante Ziele definiert. Im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse soll u. a. herausgearbeitete werden, inwieweit die Studierenden zur Begründung ihrer Textkommentierung im retrospektiven Interview von den in der Schreibaufgabe ausformulierten Zielen u. Beurteilungskriterien ausgehen. Vor diesem Hintergrund werden hier solche Aspekte beschrieben und diskutiert, die im Hinblick auf das Peer-Textfeedback-Verhalten der Studierenden relevant scheinen. Andere hochschuldidaktische Fragen zur Schreibaufgabe werden an dieser Stelle ausgeklammert.10
In der Feedback-Schlaufe wurde ein Leistungsnachweis aus dem Bereich „Berufspraktische Arbeiten“ (BPA) am IVP NMS kommentiert. Bei diesem Text handelt es sich um einen für alle Studierenden obligatorischen Beobachtungsauftrag zum ersten Praktikum der angehenden Lehrpersonen im 1. Semester. Im Modul „Entwicklung und Lernen“ (Studienbereich „Erziehungs- und Sozialwissenschaften“) wurden die Studierenden in die Schreibaufgabe eingeführt. Diese umfasst insgesamt 1.5 A4-Seiten, wobei nur die Zielsetzungen und Beurteilungskriterien in Abb. 1 im Wortlaut wiedergegeben werden. Die Studierenden hatten im Tandem die Aufgabe, das Verhalten eines Kindes zu beobachten und mittels verschiedener Erfassungssysteme zu beschreiben. Neben dem Einsatz von verschiedenen Protokollformen gehörten auch die gemeinsame Interpretation der Beobachtungen und eine kritische Methodenreflexion zum Schreibauftrag. Die methodischen Grundlagen wurden den Studierenden mit Bezug auf einen Seminartext (cf. Martin/Wawrinowski 2003) vermittelt, welcher auf die Schwierigkeiten im Themenfeld beobachten – beschreiben – interpretieren sensibilisiert und in die Handhabung verschiedener Protokollformen einführt. Die 6 Projektteilnehmenden haben von den verschiedenen Protokollformen die folgenden beiden in ihren Texten verwendet:
· | Verlaufsprotokoll einer ausgesuchten Situation (e. g. Einzelarbeit im Unterricht) mit einer bestimmten Zeitdauer (e. g. 15 Minuten) zum Spiel- bzw. Lernverhalten eines Kindes (cf. ibd.: 58). |
· | Episodenprotokoll: Schilderung eines aufschlussreichen Ereignisses betreffend Spiel- bzw. Lernverhalten eines Kindes während seiner gesamten Dauer (cf. ibd.: 59). |
Kernaufgabe der methodischen Auswertung war es, Lücken und Unklarheiten in der Dokumentation zu erkennen und zu kennzeichnen, die sprachlichen Beschreibungen kritisch zu prüfen und die Ergebnisse mit der Theorie des Beobachtens in Verbindung zu bringen. Im interpretativen Teil ging es darum, die Beobachtungen zu reflektieren und zu verstehen, nach Erklärungen für beobachtete Verhaltensweisen zu suchen und die Erkenntnisse mit den Inhalten im Studium bereits besuchter Module zu verknüpfen und gegebenenfalls Fördermassnahmen aus den Beobachtungen abzuleiten.
Insbesondere im Hinblick auf methodische Aspekte wird für das Verfassen dieses Leistungsnachweises der Ansatz des kooperativen Schreibens (cf. e. g. Lehnen 2014) genutzt: Der Leistungsnachweis insgesamt wurde im Tandem verfasst und die Studierenden wurden im Seminar angeregt, ihre Protokolle untereinander auf Abweichungen hin zu überprüfen. Dieses Vorgehen wurde im Kontext grundlegender Fragen zur Objektivierbarkeit von Wahrnehmungen als eine mögliche Technik zur Überprüfung der Intersubjektivität thematisiert.
Eine weitere Besonderheit der Schreibaufgabe ist ihre Einbindung in ein Praktikum und damit ihre Nähe zum Praxisfeld Schule. In den Zielsetzungen wird expliziert, dass das Beobachten und Dokumentieren als „wichtige Tätigkeiten im Unterrichtsalltag“ (cf. Abb. 1) geübt werden sollen. Solche Anforderungen können dem Feld des beruflichen Schreibens zugeordnet werden, in welchem die Arbeiten von Jakobs (2006, 2008) wegweisend sind. Sie vertritt die These, dass für Texte im Berufsalltag neben Kriterien wie e. g. der Verständlichkeit auch andere Ziele, wie beispielsweise die juristische Absicherung von Schreibenden (e. g. Gutachten), massgebend sind. Ihrem Ansatz zufolge ist Schreiben im Beruf zugleich Form und Ausdruck fachlichen Denkens und Handelns. Die Textproduktion vollzieht sich dabei in einem komplexen Bedingungsgefüge von internen und externen Faktoren (Schreiber, Arbeitsplatz, Organisation, Domäne u. Kulturraum) (cf. Jakobs 2006: 317–319). Wenn Beobachtungsprotokolle zum Verhalten eines Kindes in der Schule als Basis für Elterngespräche (e. g. im Hinblick auf Übertrittsfragen) oder zur Initiierung von besonderen Fördermassnahmen dienen, wird die institutionell-juristische Dimension dieser Texte gut sichtbar.
Einige der aus den Zielsetzungen resultierenden Anforderungen liegen dagegen im Bereich des wissenschaftlichen Schreibens. Dazu gehören vor allem die im Seminar ausführlich thematisierten wissenschafts-methodischen Fragen im Feld des (möglichst) objektiven Beobachtens und Beschreibens.
Zielsetzungen · Verhalten eines Kindes in einem begrenzten Bereich erfassen und beschreiben · Beobachten und Dokumentieren als wichtige Tätigkeit im Unterrichtsalltag üben · Fehlerquellen bei der Beobachtung von Verhalten und Schwierigkeiten bei der Beschreibung erkennen · eigene Wahrnehmungen reflektieren und subjektive Einschätzungen korrigieren · Zusammenarbeit und Austausch mit der Teamkollegin/dem Teamkollegen und der Praxislehrperson nutzen Beurteilungskriterien · Formale Bedingungen: Vollständigkeit gemäss Vorgaben, Sorgfalt bei der Abfassung, Systematik bei Gliederung und Aufbau · Inhalt: Angemessenes Vorgehen, Differenziertheit der Beobachtung, Objektivität der Beschreibung, Reflexion des Vorgehens und der Ergebnisse, eigenständige Auseinandersetzung, weiterführende Gedanken · Sprache: Korrektheit, Verständlichkeit |
Abbildung 1: Zielsetzungen u. Beurteilungskriterien aus dem Schreibauftrag
Die Tatsache, dass mit dem hier beschriebenen Leistungsnachweis Anforderungen im Bereich des beruflichen und des wissenschaftlichen Schreibens gestellt werden, scheint ein verbreitetes Phänomen an pädagogischen Hochschulen der Schweiz. Kruse und Chitez (2012) haben mittels kontrastivem Genre-Mappings11 untersucht, ob die Text-Genre-Inventare von drei Pädagogischen Hochschulen PHZH,12 HEP-BEJUNE,13 SUPSI14 in unterschiedlichen Sprachräumen der Schweiz miteinander vergleichbar sind. Ihren Ergebnissen zufolge liegt der gemeinsame Nenner der Schreibkulturen aller drei Institutionen einerseits in der hohen Bedeutung der didaktischen bzw. professionellen Texte (e. g. Unterrichtsplanung und Unterrichtsbeobachtung) und andererseits in der Häufigkeit an reflexiven Texten (Kruse/Chitez 2012: 26). Als zentrale Beobachtung halten sie fest, dass die Normen des Schreibens an den untersuchten Pädagogischen Hochschulen dreigeteilt sind in wissenschaftliches, reflexives und didaktisch-professionelles (= berufliches) Schreiben. Sie weisen darauf hin, dass diese drei Arten des Schreibens jeweils anderen sprachlichen und darstellerischen Normen folgen. Problematisch dabei ist aus ihrer Sicht, dass diese sehr unterschiedlichen Anforderungen an das Schreiben im Studium selten klar in Schreibaufgaben kommuniziert werden. Implizit wird den angehenden Lehrpersonen dadurch „ein Spagat zwischen diesen drei Polen abverlangt, was erhebliche diskursive Mobilität erfordert“ (Kruse/Chitez 2012: 32). Diese Kritik muss auch im Hinblick auf die hier thematisierte Schreibaufgabe geltend gemacht werden15 und es scheint interessant, inwieweit sich dieses Phänomen im nicht angeleiteten Peer-Textfeedback-Verhalten der Studierenden spiegelt. Das Interviewmaterial soll auch daraufhin untersucht werden, inwiefern die Studierenden eher wissenschaftlich und/oder eher beruflich orientierte Kriterien an den Text herantragen.
Die Peer-Textfeedback-Schlaufe, innerhalb welcher die Datenerhebung stattfand, erfolgte in drei Schritten:
a) | Die Studierenden erarbeiten bis zu einem festgelegten Termin (ca. 2 Wochen vor Abgabetermin) eine fertig ausformulierte Rohfassung ihres Leistungsnachweises. |
b) | Im zweiten Schritt rezipiert die feedbackgebende Person diesen Text und verfasst ihre schriftlichen Rückmeldungen. Hier entstehen die im Forschungsprojekt fokussierten Textkommentare. Direkt im Anschluss an die Textkommentierungen werden die mündlichen Daten mittels retrospektivem Interview mit Visualisierung (cf. Linnemann 2017: 339) erhoben. |
c) | Im dritten Schritt erhält die feedback-nehmende Person die kommentierte Version, nimmt nach eigenem Ermessen ggf. Hinweise für die Überarbeitung auf und verfasst die überarbeitete Abgabeversion des Leistungsnachweises. Diese Textüberarbeitungen fliessen aber nicht in die Textanalyse ein.16 |
Das retrospektive Interview ist eine geeignete Methode, um „Anhaltspunkte über Prozesse während einer unmittelbar zuvor erfolgten Schreibhandlung zu erlangen“ (Linnemann 2017: 339). Es erfasst die „Rekonstruktion von Gedanken“, nicht aber ihre „lineare Entfaltung während des Schreibprozesses selbst“ (ibd.). Das retrospektive Interview wurde im Projekt eingesetzt, weil (ergänzend zur korpuslinguistischen Analyse der Textkommentare) weniger von Interesse war, was Schreibende tun, als warum sie es tun (cf. Greene/Higgins 1994: 115–140). Zwar besteht eine Schwierigkeit dieser Methode darin, dass die Rekonstruktionen im Interview (zumindest teilweise) bereits als Interpretationsleistung der Schreibenden gesehen werden müssen. Aber andererseits hat das retrospektive Interview gegenüber der Methode des „Lauten Denkens“ (think-aloud-method) den Vorteil, dass die ProbandInnen nicht speziell geschult werden müssen, um schreiben und gleichzeitig Denkvorgänge verbalisieren zu können (cf. Krings 1992: 57) – eine kognitive Mehrfachbelastung, die zu Verzerrungen in den Prozessdaten führen kann (Bowles 2010).
Den Probandinnen wurden ihre eigenen Kommentare während des Interviews jeweils vorgelegt. Auf Basis dieser elektronischen Visualisierung am Bildschirm wurden sie aufgefordert zu verbalisieren warum und wozu sie den Textkommentar verfasst hatten. Um Vergessenseffekte und Effekte der Erinnerungsveränderung möglichst gering zu halten, wurden die Interviews jeweils direkt im Anschluss an die Kommentierung durchgeführt (cf. Linnemann 2017: 339; Krings 1992: 55). Weiter wurde im Interview jeweils die Kommentar-Nummer erwähnt, so dass die Äusserungen im Interview eindeutig den betreffenden Kommentaren zugeordnet werden konnten.
Wie erwähnt wurden keine künstlich für das Peer-Feedback verfassten Texte, sondern Leistungsnachweise im Studium zur Lehrperson kommentiert (und im Leitfadeninterview reflektiert), um das Peer-Textfeedback-Verhalten der Studierenden in einem möglichst authentischen Kontext erforschen zu können. Dies bringt die methodische Schwierigkeit mit sich, dass die Feedbackgeberinnen sehr unterschiedliche Textentwürfe von verschiedenen Autorinnen kommentiert haben. Die Zahlen zur Codierung im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse müssen daher vorsichtig interpretiert werden. Für die Untersuchung interessieren denn auch weniger die Zahlen als Fragen, auf welche Art und Weise sich die Probandinnen mit dem Textinhalt auseinandersetzen.
Abhängig von der jeweiligen Anzahl der Kommentare dauerten die Interviews unterschiedlich lange, das kürzeste nur 13 Minuten, das längste 48 Minuten (Durchschnitt: 25 Minuten). Die 6 Retrospektionen wurden jeweils als Audio-Dateien aufgezeichneten und vollständig transkribiert.
Für die Auswertung der Leitfadeninterviews wurde mit der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse gearbeitet, die in ihrem inhaltlich-reduktiven Vorgehen sowohl das themenorientierte als auch das fallorientierte Arbeiten mit Hilfe einer Profilmatrix stützt (Kuckartz 2012: 73).
Die Ergebnisse zum schriftlichen Textkommentierungsverhalten sollen durch die Interviewanalyse mit genaueren Angaben zu den Handlungsmotiven und Absichten der Studierenden angereichert werden. Zu diesem Zweck wurden die Kategorien für die qualitative Inhaltsanalyse nicht eigenständig entwickelt, sondern in einem ersten Analyseschritt die InliAnTe-Kategorien des ersten Rasterteils (Auslöser im Text) an die Interviewdaten herangetragen. Das gesamte Interviewmaterial aus der ersten Datenerhebung (insgesamt 6 Interviews) wurde anhand aller 7 RAiT-Kategorien17 codiert.
Im Weiteren wurden die thematischen Haupt- und Subkategorien unabhängig vom InliAnTe induktiv am Interviewmaterial entwickelt. Die Beschreibung und Codierungen zu den thematischen Hauptkategorien wurden mittels konsensuellem Codieren (cf. Kuckartz 2012: 49) überprüft: Alle Textstellen zum „Inhalt“ wurden doppelt codiert, problematische Textstellen wurden diskutiert, anschliessend erfolgten entsprechende Anpassungen der Kategorien-Beschreibungen und Codierungen.
Ein spezieller Aspekt für die Interviewanalyse ist die dreifache „Schichtung“ der Daten: Ausgangspunkt in der Peer-Textfeedback-Schlaufe ist jeweils der Textentwurf zu einem Leistungsnachweis von einer Studentin. Dieser wird von einer anderen Projektteilnehmerin schriftlich kommentiert. Die mündlichen Daten aus den Interviews beziehen sich jeweils auf beide Texte: die Kommentatorin spricht über ihren Kommentar, bezieht dabei auch die Gegebenheiten im Textentwurf mit ein. Für die Interviewanalyse mussten alle drei Text-„Schichten“ einbezogen werden, weil die Interview-Daten in sich oft nicht verständlich sind. Es wird die Kenntnis über die anderen beiden Texte vorausgesetzt, die jeweils im Interview vorlagen. Für die Analyse wurde also jeweils die betreffende Stelle im Textentwurf und anschliessend der Kommentar gelesen. Erst im dritten Schritt wurde die betreffende Interview-Passage daraufhin untersucht, welche Hinweise sie auf die Motivation der Studentin für das Verfassen des Kommentars gibt.
Wie Kuckartz (2012: 80) festhält, können bei der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse innerhalb einer Textstelle mehrere Hauptthemen und Subthemen angesprochen sein. Daraus folgt, dass einer Interviewstelle auch mehrere Kategorien zugeordnet werden können. Dies war im vorliegenden Material häufig nötig: Viele Codierungen überlappen sich oder sind ineinander verschachtelt. Auch sind einzelne Kategorien – deren Abgrenzung vor schreibdidaktischem Hintergrund sinnvoll erscheint – stark aufeinander bezogen (z. B. Schreibaufgabe – wissenschaftliche Aspekte im Text).
Die Beschreibung der (Haupt- und Sub-)Kategorien ist zentraler Bestandteil dieses Papieres und erfolgt unten ausführlich.
Anhand der kategorienbasierten Ergebnisse wird im Folgenden gezeigt, wie sich die 6 Studentinnen mit dem Inhalt von fremdem Text auseinandersetzen, wenn sie für ihre Mitstudentinnen schriftliche Kommentare verfassen. Anhand der Äusserungen in den Interviews, die die Studentinnen jeweils bezogen zu ihren eigenen schriftlichen Kommentaren formulieren, wird herausgearbeitet, mit welcher Art von Inhalten sich die Studentinnen befassen. Zu diesem Zweck werden entlang der folgenden thematischen Haupt- und Subkategorien jeweils exemplarisch Ankerbeispiele diskutiert.
Im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse wurde mit der thematischen Hauptkategorie „Blick auf den Text als Mitstudentin“18 vor schreibdidaktischem Hintergrund herausgearbeitet, an welchen Stellen die Studierenden während des Textfeedbacks in der Rolle als Kommilitoninnen in Erscheinung treten: Sie kommentieren den Textentwurf, indem sie ihr Wissen zur Schreibaufgabe oder zu den Inhalten aus dem Seminar einsetzen (Subkategorie 1, cf. Kap. 5.1.1) oder befassen sich mit Fragen der Intertextualität bezogen auf gemeinsam im Seminar bearbeitete Texte (Subkategorie 2, cf. Kap. 5.1.2). Weiter wurden Interviewstellen codiert, in welchen sichtbar wird, dass sowohl Feedbackgeberin als auch Feedbacknehmerin einen Entwurf zur selben Schreibaufgabe erarbeitet haben und während dem Blick auf den Text der anderen den eigenen oder fremde Schreiblernprozesse explizit thematisieren (Subkategorie 3, cf. Kap. 5.1.3).
Im Folgenden wird anhand von Ankerbeispielen gezeigt, inwiefern Studierende Aspekte der Schreibaufgabe ohne entsprechende vorgängige Instruktion für ihre Überlegungen während der Textkommentierung einbeziehen.
Wie in Kap. 4.2 beschrieben, sollten die Studierenden in ihrem Leistungsnachweis mittels verschiedener Erfassungssysteme das Verhalten eines Kindes beobachten und beschreiben. Dabei zielte die Einführung im Seminar zu der Schreibaufgabe auf die Auseinandersetzung der Studierenden mit der Problematik „beobachten vs. beschreiben vs. interpretieren“: Mit Hilfe eines Seminartextes (cf. Martin/Wawrinowski 2003: 43–62), verschiedenen Beispielen und Übungen sollten die angehenden Lehrpersonen im Seminar dafür sensibilisiert werden, dass ein vollständig objektives Beobachten und ein entsprechend „neutrales“ Beschreiben – insbesondere in Bezug auf das interaktive Geschehen im Klassenverband – zwar kaum möglich ist, trotzdem aber angestrebt werden sollte.
Das folgende Ankerbeispiel zu dieser Subkategorie wird – analog zum Vorgehen während der Inhaltsanalyse – unter Einbezug von Textentwurf und -kommentar diskutiert: In einem Textentwurf hält Autorin F fest, sie habe ihrer Einschätzung nach zwar die Regeln des Verlaufsprotokolls19 eingehalten, kritisiert aber an ihrem eigenen Text, dass die Zeitangaben im Protokoll genauer hätten sein müssen. Feedbackgeberin G schreibt im Kommentar zu dieser Textstelle: „Ich würde hier noch auf die ‚Lücken‘ im Beobachtungsprotokoll eingehen, welche beim Beobachten vergessen gingen. Z. B. mit welcher Hand D. in der Nase bohrt, oder wann genau er die Farben wechselt etc.“ Im Interview ergänzt Studentin G zu diesem Kommentar: „Mhm, ich bin mir eben nicht mehr ganz sicher, ich habe den Auftrag nicht mitgenommen, aber ich habe gemeint, im Auftrag sei noch [gestanden], dass man wie über das Protokollieren auch noch nachdenken sollte, (..) und da wären eben grad so Lücken mit dem Beobachten, (.) jet (stockt), jetzt auch bei unserem Protokoll, ist mir aufgefallen, manchmal, für mich war das so logisch, dass er den Gummi ablegt, wenn er dann weiterschreibt und den Bleistift nimmt, (.) aber ich habe es nicht aufgeschrieben, das sind so Lücken, die gibt es einfach (.), dass man vielleicht auf das auch noch schnell eingehen würde, weil es da auch paar Lücken hat.“
Kommentar und Interviewpassage zeigen sehr deutlich, dass es sich bei der Feedbackgeberin nicht um eine beliebige Person, sondern eine Mitstudentin handelt: Studentin G spielt mit der Erwähnung von „Lücken“ in ihrem Kommentar auf geteilten Wissenskontext an: Sie nimmt implizit auf die im Seminar thematisierte Problematik Bezug, dass kein Protokoll die Wirklichkeit vollständig abbildet – theoretisch gesehen also immer „Lücken“ aufweist. Weil Studentin G vermutet (und damit auch richtig liegt), dass diese Art der Methoden-Reflexion zum Schreibauftrag gehört, schlägt sie der Autorin vor, diesen Aspekt in ihrem Text anzusprechen. Diese Interviewpassage kann – zumindest ansatzweise – auch als Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Aspekten im Text gewertet werden (cf. Kap. 5.2) und es wird der Schreiblernprozess (cf. Kap. 5.1.3) thematisiert. Auch im Hinblick auf solche häufig vorkommenden Doppelcodierungen ist diese Interviewpassage typisch für das Interviewmaterial.20
Das diskutierte Beispiel zeigt auch, dass unter Kommilitoninnen die institutionellen Rahmenbedingungen – die für die Studierenden von besonderer Bedeutung sind – in der Peer-Textfeedback-Schlaufe Berücksichtigung finden: Die meisten Studierenden verfügen in ihrem privaten Umfeld zwar über Personen ausserhalb des Studiums, die bereit sind, einen schriftlichen Leistungsnachweis vor der Abgabe gegenzulesen. Diese Personen haben aber an den Seminaren, in welchen in die Schreibaufgabe (bzw. den jeweiligen theoretischen Kontext) eingeführt wurde, nicht teilgenommen. Daher ist es ihnen kaum möglich, die beurteilungsrelevanten Schreibziele für ihre Rückmeldung einzubeziehen. Aus diesem Grund kann das Peer-Textfeedback unter Studierenden im Hinblick auf eine die Beurteilungskriterien berücksichtigende Textüberarbeitung als besonders wertvoll angesehen werden.
An zahlreichen Stellen im Interviewmaterial scheint der Bezug zur Schreibaufgabe mit der im Seminar und den Vorlagen verwendeten Begrifflichkeit nur flüchtig auf und es ist schwierig nachzuvollziehen, wie weit die gedankliche Auseinandersetzung der Studierenden mit den inhaltlichen Zielen der Dozentin geht. Dabei sind diese Bezüge zur Schreibaufgabe sehr punktuell auf eine Stelle im Textentwurf gerichtet – Überlegungen, die die theoretischen Zusammenhänge betreffen, sind damit nicht erkennbar. Häufig entsteht der Eindruck, dass sich einige der Studentinnen zwar gewissenhaft, aber sehr „formalistisch“ an den Vorgaben orientieren, wobei nicht klar wird, wie weit sie deren Gehalt gedanklich durchdringen.
Insgesamt zeigen 24 codierte Belegstellen, dass die Studierenden, die sich in ihren Kommentierungen mit Inhalt auseinandersetzen, mehr oder weniger deutlich die Schreibaufgabe einbeziehen. Besonders auffällig bei dieser Subkategorie sind individuelle Unterschiede zwischen den 6 ProbandInnen, die aus fallorientierter Sicht noch einmal aufgegriffen werden (cf. Kap. 6).
In diese Subkategorie fallen Interviewstellen, in welchen die Studierenden im 1. Semester den Bezug zur gemeinsam im Seminar verwendeten Literatur fordern – obwohl in den Schreibzielen nicht explizit die Verarbeitung von Fachliteratur gefordert ist (cf. Kap. 4.2).
Studentin A schreibt in ihrem Entwurf: „In Verbindung mit der Theorie kann man gut erkennen, dass in der Schweiz eine mediale Diglossie existiert.“ Feedbackgeberin D markiert das Wort „Theorie“ und schreibt in ihrem Kommentar: „Ich würde angeben, welche Theorie genau gemeint ist.“ Im Interview wird deutlich, dass D eine diffuse Ahnung hat, woher die Theorie stammen könnte: „Ähm also (.), das ist so eine Theorie aus dem, ähm, Reader vom Sprachendidaktik. Und da hätte es schon einen Namen oder (.) Autor oder irgend so etwas.“
Es finden sich insgesamt 3 Belegstellen im Interviewmaterial der 1. Datenerhebung, die von 2 Studentinnen stammen. Diese beiden Personen scheinen bereits ein Bewusstsein dafür entwickelt zu haben, dass es in Texten fürs Studium nicht genügt, ganz allgemein von „der Theorie“ zu sprechen, sondern dass hier jeweils die konkrete Bezugnahme auf eine Autorin oder einen Autor gefordert ist.
In unserem Interviewmaterial zur 1. Datenerhebung finden sich nur 4 Belegstellen, die explizite Hinweise auf den Schreiblernprozess in der Peer-Textfeedback-Schlaufe liefern. Aus schreibdidaktischer Sicht scheint es prinzipiell aber wichtig darauf hinzuweisen, dass die Studierenden durch das Peer-Textfeedback nicht nur im Hinblick auf den fachlichen Austausch und die Optimierung ihres Textes profitieren können, sondern die Auseinandersetzung mit Textinhalt auch zur Reflexion und Verbalisierung von Textproduktionsstrategien führen kann.
Studentin A beispielsweise schlägt den beiden Autorinnen im Kommentar vor, ihren methodischen Teil zu kürzen. Während des Interviews wird deutlich, dass Studentin A den Entwurf der Feedbacknehmerinnen mit ihrem eigenen Text vergleicht und die Frage auftaucht, ob die Lösung der Feedbacknehmerinnen möglicherweise angemessener ist als ihre eigene: „Und ich finde auch, dass sie am Anfang das Vorgehen ziemlich ausführlich beschrieben haben, aber ich weiss auch nicht, ob ich das einfach denke, weil ich das nicht (stockt), <fast gar nicht gemacht habe, in meiner Arbeit> (lachend) (..) ist ja auch eine gute Methode, vielleicht sollte ich das noch mehr ausführen, das weiss ich nicht. (.) Aber ich finde sie pr (stockt), sie erklären dann schon während der Protokolle ziemlich viel, zu den Protokollen selber (...). Ja, da ist die Frage, ob sie da noch ein wenig kürzen können.“
Eine andere Studentin nimmt im Interview nicht nur Textschwächen, sondern auch eine Textstärke zum Anlass, den Schreiblernprozess zu thematisieren – und damit auch zu reflektieren. Studentin H spricht in einem Kommentar (implizit mit Bezug zur Schreibaufgabe) eine Textstärke an: „Ihr habt gut zwischen Beobachtungen und Interpretationen unterschieden!“ Im Interview erläutert sie, dass sich dieses Lob auf sprachliche Lösungen im Text bezieht, durch welche die Autorinnen Beschreibungen von Interpretationen absetzen. Konkret weist sie auf die Stelle im Entwurf hin, an welcher die Autorinnen schreiben „Wir haben dies so interpretiert,…“. Für die Erklärung zu ihrem Lob holt Studentin H noch etwas weiter aus: „und vielleicht auch so ein wenig wie als Beruhigung für sie, weil das ist vermutlich das, auf das wir vermutlich alle am meisten darauf schauen wollen, dass wir das wirklich so machen, weil das jetzt etwas, wie Neues ist, was wir gelernt haben. Dass sie wissen, dass es wirklich so (..), dass es stimmt.“ Studentin H macht die Autorinnen also auf eine gelungene Formulierung aufmerksam, die einerseits die sprachliche Oberfläche des Textes betrifft, gleichzeitig aber mit dem Kern der Schreibaufgabe verknüpft ist. Bewegrund scheint für Studentin H zu sein, die Autorinnen in ihren Schreibstrategien zu bestärken. Es ist zu vermuten, dass es gerade zu Beginn des Studiums für Schreiberinnen und Schreiber wichtig sein könnte, nicht nur zu erfahren, wo für einen Text Überarbeitungsbedarf gesehen wird, sondern auch darauf hingewiesen zu werden, welche sprachlichen Lösungen gut funktionieren und sich möglicherweise auch für andere Leistungsnachweise anbieten.
In den Interviewdaten spiegelt sich also eine Stärke des Peer-Textfeedbacks, auf welche in der Fachliteratur verschiedentlich hingewiesen wurde: Falls Peer-Textfeedback im Studium eingesetzt werden soll, bietet es sich an, nicht nur auf fachlich-inhaltliches Lernen, sondern auch auf die Weiterentwicklung von Textkompetenz abzuzielen (cf. Schindler 2012: 71; Schindler 2013: 58; Knorr 2012: 76f. mit Bezug auf Becker-Mrotzek/Schindler 2007: 15f.).
Mit der Hauptkategorie „Fokus auf wissenschaftliche Aspekte im Text“21 werden induktiv alle Thematisierungen erfasst, die im weitesten Sinne das Feld des „wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens“22 betreffen. Dabei wurde in der Auswertung berücksichtigt, dass es sich bei den Probandinnen um Lernende im 1. Semester handelt: Es werden teilweise auch relativ „unbeholfene“ Formulierungen zu dieser Kategorie gerechnet, wenn inhaltlich ein Bezug zu wissenschaftlichen Prinzipien erkennbar ist.
Diese Subkategorie fasst 5 Belegstellen zusammen, mittels welcher die Feedbackgeberinnen eine in ihren Augen mögliche oder nötige inhaltliche Ergänzung vorschlagen. Auch hier wurde der Bezug zur Hauptkategorie „wissenschaftliche Aspekte im Text“ relativ weit gefasst.
Feedbackgeberin E formuliert ausgehend von der im Textentwurf vorgeschlagenen Zusatzaufgabe für einen Schüler in ihrem Kommentar die Frage: „Wäre eine andere vielleicht spannendere Zusatzaufgabe auch eine Fördermassnahme?“ In der entsprechenden Interviewpassage befasst sich E mit der Frage, wie man solche Zusatz-Aufgaben eigentlich macht. Und sie interessiert sich dafür, ob die Autorinnen zu diesem Thema bereits mehr wissen. Diese Auseinandersetzung wurde zur Hauptkategorie „Fokus auf didaktische und praktische Unterrichtsfragen“ gezählt. Abschliessend hält sie fest: „und dann auch so wie als Frage, ja, das, dem müsste man wie nachgehen oder so. (..) Ja.“ Studentin E führt hier nicht aus, ob sie mit dieser Äusserung das Recherchieren von Fachliteratur oder eher das Gespräch mit der Praxislehrperson meint. Zentral aber scheint der Hinweis von E, dass das Zusammentragen von bereits vorhandenem Wissen hier möglicherweise nicht reicht. Dieser Reflex ist im Kontext der Lehrerinnen- und Lehrerbildung wünschenswert: Studentin E deutet an, dass hier, ausgehend von einem konkreten Unterrichtsproblem, weiteres „Nachforschen“ nötig sein könnte. Diese Suche nach neuen Wissensinhalten wird daher als Aspekt des (im weiteren Sinne) wissenschaftlichen Arbeitens gewertet.
Innerhalb der thematischen Hauptkategorie „Fokus auf wissenschaftliche Aspekte im Text“ sprechen die Studentinnen an insgesamt 18 Belegstellen verschiedene wissenschafts-methodische Aspekte an, was als Reaktion auf einen Aspekt der Schreibaufgabe gewertet werden kann (cf. Kap. 4.2). Die Auseinandersetzungen konzentrieren sich auf zwei Subthemen: Zum einen wurden der „Umgang mit den Beobachtungsprotokollen“ (9 Codierungen), zum anderen das methodisch-theoretische Problem „beschreiben vs. interpretieren“ (7 Codierungen) angesprochen. Die Grundlagen zu beiden Themen wurden im Seminar mit Hilfe des Textes „Beobachtungslehre. Theorie und Praxis reflektierter Beobachtung und Beurteilung“ (Martin/Wawrinowski 2003: 43–62) in Vorbereitung auf die Schreibaufgabe erarbeitet. In diesem Einführungstext werden Lesende dafür sensibilisiert, dass der „Beobachtende entscheidet, wie er den Gegenstand ‚sehen‘ will“ (ibd.: 43). Wahrnehmung beinhaltet den Autoren zufolge immer auch Klassifizierung und dadurch Reduzierung. Wir filtern aus der Fülle unserer Sinneswahrnehmung Informationen, die wir je nach Kontext als wichtig erachten – anderes wird oft nicht beachtet. Um sinnvoll handeln zu können, werden solche Wahrnehmungen mit Begriffen (Klassifikationen) belegt und in Zusammenhang gebracht. Der Beobachtende „konstruiert also jeweils für das Beobachtete einen Sinnzusammenhang, bzw. er wendet ein allgemeineres Auffassungsschema auf einen bestimmten Einzelfall an“ (Martin/Wawrinowski 2003: 54). Ohne diese kognitiven Tätigkeiten – so die Autoren – wären wir „einer Art Wahrnehmungs-Chaos ausgesetzt“ (ibd.: 44). Sie sprechen damit ein grundlegendes methodisches Problem der Sozialwissenschaften an, das auch für Lehrpersonen relevant ist: Wie kann die Personenwahrnehmung, welche im Praxisfeld „Schule“ nötige Voraussetzung für Beurteilungs- und Förderprozesse ist, objektiviert werden? Im Seminar wurde den Studierenden anhand von Beispielen und Übungen gezeigt, wie in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften mit diesem Problem umgegangen werden kann: Einerseits kommen Kriterienraster und bestimmte Protokollformen zum Einsatz, die helfen sollen, die Wahrnehmung von verschiedenen Beobachtenden zu „eichen“ bzw. auf bestimmte Aspekte im komplexen Geschehen zu richten. Andererseits wurde den Studierenden im Seminar empfohlen, die Beobachtungsprotokolle, welche jeweils im Tandem zum selben Unterrichtsgeschehen verfasst wurden, sehr genau miteinander zu vergleichen. Diese Technik wird in der Soziologie – je nach methodischer Ausrichtung – mit unterschiedlichen Begriffen gefasst. Allen Ausrichtungen ist gemeinsam, dass die Objektivität von Beobachtungen intersubjektiv überprüft werden soll.
Einige Studentinnen befassen sich sehr intensiv mit diesen Fragen. Es wird zum Beispiel die Frage aufgeworfen, welches die angemessene Protokollform sein könnte. Feedbackgeberin A beispielsweise greift den Aspekt des Vergleichens auf, indem sie in Kommentar und Interview darauf hinweist, dass im Leistungsnachweis zwar zwei unterschiedliche Unterrichtsgeschehen zur Sprache kommen, aber nur in Bezug auf das erste Geschehnis die Protokolle der beiden Autorinnen verglichen werden. Die Feedbackgeberin macht dabei einen Querverweis auf die Stelle in der Einleitung, wo die Autorinnen selber ausführen, warum der Vergleich methodisch sinnvoll ist. Studentin A kritisiert damit, dass nicht auch in Bezug auf das andere Unterrichtsgeschehen zwei Protokollierungen miteinander verglichen wurden: „Und dann einfach der grosse Unterschied. Sie haben (.) wie, sie haben zweimal ein Verlaufsprotokoll, und beim ersten haben sie zwei Personen, und beo (stockt), beobachtet und beim zweiten (.), machen sie dann eigentlich mehr auf sprachliche (..), ungenaue Formulierungen, aufmerksam machen. (.) Und da ist dann die Frage, ja warum dass sie wieder nicht zu zweit beobachtet haben, weil sie betonen ihre Einleitung darauf, (.) dass das Protokoll sehr geeignet ist, dass man dann die beiden (.) Beobachtungen vergleichen kann, und da ist man dann ein wenig irritiert, oder ich war ein wenig irritiert, warum dass das jetzt hier (.), kommentarlos nicht mehr so gemacht wird.“
Feedbackgeberin E schlägt vor, im Text nicht nur auf der Meta-Ebene anzusprechen, dass es Abweichungen zwischen den Protokollen gegeben hat, sondern diese Protokollstellen im Text zum Beispiel mit unterschiedlichen Farben einander gegenüberzustellen: „Ähm, ja, da haben (.), haben sie eben auch gesagt, dass sie die Protokolle unterschiedlich gehabt haben, und eben dass da die (.) Minuten, vermutlich noch eine Versch(stockt), Verschiebung gegeben hat und, und da, da habe ich dann eben gedacht, dass es eben, dass es eigentlich noch interessant wäre, dass man das reinnehmen würde und dass sie das eben dann so mit verschiedenen Farben wie (.), schreiben würden, so das hat sie gesehen, das hat, ist mir aufgefallen (.) und das wäre sicher noch interessant. Eben dann auch so den Vergleich zu sehen und (.) einfach so auch als Anregung.“
Implizit befassen sich einzelne Studentinnen während des Interviews mit der Frage, welche sprachlichen Äusserungen als Beschreibungen und welche eher als Interpretationen angesehen werden müssen.
In ihrem Ratgeber zum wissenschaftlichen Schreiben definieren Gruber, Huemer und Rheindorf (2009: 175f.) die Beschreibung folgendermassen:
(Gruber/Huemer/Rheindorf 2009: 175f.; Hervorhebung im Original)
Feilke (2005) problematisiert dieses vereinfachende Verständnis der „Beschreibung“ als „neutrale Informationswiedergabe“ in mehrfacher Hinsicht. Beispielsweise kann rein quantitativ die Wirklichkeit in einer Beschreibung nicht in allen Facetten abgebildet werden. Weiter stellt sich – hier mit Blick auf die Schreibaufgabe der Studierenden – die Frage, ob eine schriftlich festgehaltene Beobachtung als eine „Zeichnung“ mit sprachlichen Mitteln (cf. Heinemann/Viehweger 1991: 279–281; zit. nach Feilke 2005: 48) – also als eine Abbildung von Informationen – gesehen werden kann, oder ob sich in der jeweiligen Äusserung die eigene Deutung des Beobachteten spiegelt. Dieses theoretische Problem kann zwar methodisch aufgefangen werden, indem beispielsweise die intersubjektive Übereinstimmung von Beobachtungsprotokollen überprüft wird, um ggf. stark subjektiv „gefärbte“ Stellen zu identifizieren. Weder die Sozialwissenschaften noch die Schule kommen aber ohne die beobachtende Person aus, welche immer schon ein Vorverständnis (oder ein „Vor“-Urteil) besitzt, das die Wahrnehmung des beobachteten Gegenstandes beeinflusst. Deshalb kann z. B. Kuckartz (2012: 32f.) zufolge eine den Kriterien intersubjektiver Übereinstimmung genügende hermeneutische Deutung per se nicht postuliert werden. Er hält fest, dass eine Interpretation nicht richtig oder falsch, sondern nur mehr oder weniger angemessen sein kann.
In der folgenden Interviewpassage befasst sich Studentin E mit dem Problem von Wertungen, welche in Ausdrücken wie „sorgfältig“ enthalten sein können. Sie bezieht sich dabei auf die Stelle im Textentwurf, an welcher die Autorinnen schreiben: „Der Stuhl steht eher weit weg vom Pult, er rutscht darauf nach vorne, schneidet sehr sorgfältig.“ Studentin E bezieht sich in ihrer Interviewäusserung auf eine andere Stelle im Textentwurf, an welcher eine der Autorinnen selber kritisiert, dass statt „schlurfen“ neutraler eher von „gehen mit Finkengeräuschen“ die Rede sein müsste. Dass Studentin E sich fragt, ob der Schüler tatsächlich „sorgfältig“ schneidet, zeigt sich daran, dass sie in ihrem Kommentar eine alternative Deutung der Tätigkeit anbietet: Schneidet er vielleicht nur langsam? Mit dieser zusätzlichen Auslegung wirft Studentin E die implizite Frage auf, ob es sich mit dem Begriff „sorgfältig“ tatsächlich um eine neutrale Beschreibung oder eher um eine bestimmte Auslegung der Tätigkeit handelt. Deshalb schlägt sie vor, den betreffenden Ausdruck mit Klammern zu markieren – eine Vorgehensweise, die im Seminar angeregt wurde: „Mhm. (lange Pause) Ja, genau, also das beim <Sorgfalt> (Wechsel auf Hochdeutsch) war ich ein wenig unsicher, aber ich habe auch (.), das Gefühl gehabt, das <Sorgfalt> (Wechsel auf Hochdeutsch) ist ähnlich wie <schlurfen>, was halt auch wieder, was von ihr her kommt (.) und was halt auch schon recht, ja vielleicht arbeitet er einfach nur langsam, also ja, das könnte ja auch sein und darum ist dieses <sorgfältig> (Wechsel auf Hochdeutsch) für mich auch schon ein bisschen (.) Interpretation und könnt man eben auch noch (.) in Klammern setzen.“
Stellvertretend für viele andere Passagen kann mit diesem Beispiel aufgezeigt werden, dass die meisten Feedbackgeberinnen sehr lokal auf einzelne Textstellen reagieren. Dabei werden die oben skizzierten methodisch-theoretischen Probleme häufig alltagssprachlich nur angedeutet. Oft orientieren sich die Kommentare mit ihren Hinweisen an formalen Aspekten (Markierung eines Ausdrucks, Einsatz von Farbe bei der Gegenüberstellung von Protokollen). Die 16 Belegstellen im Interviewmaterial zeigen aber grundsätzlich, dass die in der Schreibaufgabe geforderte Methodenreflexion im Peer-Feedback auch dann eine Rolle spielt, wenn die Studierenden nicht explizit auf diesen Punkt aufmerksam gemacht werden: Vor dem Hintergrund der im Seminar thematisierten methodischen Aspekte reagieren sie auf bestimmte Inhalte eines fremden Textes. Es ist zu vermuten, dass dieser textbedingte Perspektivenwechsel nicht nur zu einer Wiederholung, sondern auch zu einer Vertiefung der thematischen Auseinandersetzung beiträgt.
Im Interviewmaterial finden sich 11 Belegstellen, an welchen die Studentinnen relativ lokal zu bestimmten Aussagen Begründungen einfordern und damit bestimmten Inhalten im Textentwurf eine kritische Haltung entgegenbringen. Die Thematik des Argumentierens in wissenschaftlichen (bzw. studentischen) Texten ist ein weites Feld. Im Folgenden wird ein Ankerbeispiel diskutiert, das einen Eindruck davon vermittelt, wie die sprachliche Handlung „Argumentation“ – bzw. das „Begründungshandeln“ der Autorinnen (cf. Grundler 2011: 44) – durch die Feedback-Gebenden in den Interviews thematisiert wird.
An einer Stelle schreiben zwei Autorinnen in ihrem Leistungsnachweis: „Uns schien, dass K. zu den Besten der Klasse gehören will und deshalb auch so schnell wie möglich mit einer Arbeit fertig sein möchte.“ Studentin H kommentiert diese Stelle schriftlich folgendermassen: „Ich sehe nicht genau, aufgrund welcher Beobachtungen ihr zu dieser Folgerung kommt.“ Im Interview ergänzt sie im Hinblick auf ihren Kommentar: „Ähm, es ist wie eine Beobachtung gekommen und dann so eine Behaupt (stockt), also, Behauptung, für mich war es wie eine Behauptung, weil es hat sich nicht auf das vorher bezogen und nicht auch w (stockt), auch nicht wirklich auf das nachher. (..) Aber es klingt eigentlich gut (.), man weiss einfach nicht genau, wieso dass sie darauf kommen.“ In Kommentar und Interviewäusserung zeigt sich, dass Studentin H im Textentwurf nach etwas zu suchen scheint, was die Behauptung im Text rechtfertigt. Explizit spricht sie im Interview zwar nicht von fehlenden Argumenten, implizit könnten aber fehlende protokollierte Beobachtungen, auf die sich die Aussage stützen könnte, angesprochen sein. Wichtig scheint vor allem der Hinweis in Kommentar und Interview, dass „man nicht weiss, wie sie drauf kommen“. Feedbackgeberin H trägt hier also – ähnlich wie Feedbackgeberinnen A, C und H – das Kriterium der Nachvollziehbarkeit an den Textentwurf heran – ein zentrales Prinzip für das wissenschaftliche Arbeiten.
In den Interviewdaten finden sich nur 3 Belegstellen, die über die gemeinsam im Seminar verwendeten Texte hinaus (cf. 3.1.2) sich mit der Bezugnahme auf wissenschaftliche Literatur im Leistungsnachweis befassen – ohne dass diese in der Schreibaufgabe gefordert wurde. Diese Kategorie ist stark didaktisch geprägt: Es sind weniger die Belegstellen an sich interessant, als die Tatsache, dass die 6 Studierenden im 1. Semester die Intertextualität für ihre Kommentierungen noch kaum berücksichtigen. Es scheint kaum zufällig, dass sich diese Belegstellen bei zwei Feedbackgeberinnen finden, die auch an anderen Stellen einen wissenschaftsorientierten Blick auf den Textentwurf erkennen lassen.
Diese Kategorie erfasst 24 von insgesamt 95 Codierungen, welche didaktische und praktische – also berufsfeldbezogene – Unterrichtsfragen thematisieren. Es ist zu vermuten, dass sich in diesem Umstand einerseits die Tatsache spiegelt, dass es sich bei den Probandinnen um angehende Lehrerinnen handelt und dass andererseits die Schreibaufgabe in ein Praktikum eingebettet war.
Diese Kategorie weist einige Überschneidungen mit der Kategorie „Fokus auf wissenschaftliche Aspekte im Text“ auf. Dies ist nicht weiter erstaunlich: Viele fachwissenschaftliche Fragen während des Studiums zielen direkt auf den Unterricht ab – „guter“ fachlicher Unterricht ist ohne wissenschaftliche Fundierung kaum zu denken. So gesehen richten sich einige Auseinandersetzungen aus wissenschaftlicher Perspektive auf den Unterricht.
Insgesamt wurden 4 Subkategorien angesetzt: 1) Inhaltliche Ergänzungen, 2) Verhalten von Schülerinnen und Schülern wahrnehmen und deuten, 3) Unterrichtshandeln, 4) Unterrichtsvorbereitung.
Mit den „inhaltliche Ergänzungen“ wurden fehlende Informationen eingefordert, die im Schulalltag von Bedeutung sind. Beispielsweise wurde häufiger nach dem Alter eines beobachteten Kindes oder nach dem konkreten Unterrichtskontext gefragt.
Mit der Subkategorie „Verhalten von Schülerinnen und Schülern wahrnehmen und deuten“ wurden mit Blick auf das Berufsfeld Thematisierungen erfasst, die sich z. T. auch in der Subkategorie „Schreibaufgabe“ finden, da sich diese vor allem auf das Themenfeld „beobachten – beschreiben – interpretieren“ richtet. Zwei Autorinnen schreiben in ihrem Textentwurf: „Von Zeit zu Zeit stiess P. kleine Seufzer aus. Unsere Interpretation dieser Seufzer ist, dass er wohl nicht sehr motiviert ist, diese Sterne auszuschneiden, denn es handelt sich um eine Zusatzaufgabe für Schüler, die mit der eigentlichen Arbeit bereits weiter fortgeschritten sind als die übrigen SuS.“ In Kommentar und Interview hinterfragt Feedbackgeberin E die Interpretation, indem sie die Frage aufwirft, ob die Seufzer tatsächlich auf die fehlende individuelle Motivation von P. oder vielleicht auch auf die Qualität der Zusatzaufgabe zurückzuführen sein könnte. In diesem Zusammenhang fragt E, ob auch andere Schülerinnen und Schüler unmotiviert gewirkt haben, da dies ein Hinweis auf letztere Interpretation sein könnte.
In diesem Zusammenhang formuliert Feedbackgeberin E eine Frage, die zur Subkategorie „Unterrichtshandeln“ gezählt wurde: „Das fände, hätte ich noch interessant gefunden, was, was sie jetzt, ob sie da schon etwas wüssten oder ob sie da eben auch denken, nein ist eben wirklich schwierig, (.) äh, wie könnte man das, wie macht man eigentlich Zusatz-Aufgaben.“
Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass sich die Studierenden vom Lesen des Textes „Tipps und Tricks für die Praxis“ erhoffen – obwohl dies nicht in Bezug auf beliebige Aspekte in der Schreibaufgabe gefordert war. In einem Kommentar fragt Studentin E: „Wie gelingt es, das die Kinder erst nach der Erklärung arbeiten? Gibt es einen Trick den die LP beachten kann?“ Im Interview ergänzt sie: „Ähm (..), ja das habe ich geschrieben, weil mir das auch passiert ist im Praktikum, dass ich eben so Aufträge gegeben habe und (.) und dann, dass sie schon grad angefangen haben etwas zu machen, obwohl ich noch gar nicht fertig war und (.), eben, dass wir das noch ein bisschen angeschaut haben, mit der Praktikums-Lehrperson und (.) ja, das habe dann auch wieder als Frage geschrieben, eben so wie, (.) ob sie das wüssten, wie man das könnte, ob es, ob das eben ihnen auch aufgefallen ist, wie, wie reagiert man da am besten oder ob man, ihnen das auch nicht (.) klar ist, wie man das eben machen könnte (.), darum habe ich es sicher auch als Frage geschrieben und dann (..) ja, eben, oder ob sie schon einen Trick gesehen, oder ob eben dass dann ihnen von der Praktikumslehrperson gesagt wurde, ja gut wäre eigentlich wenn man es so und so machen würde. (.) Und dann hätten sie das auch noch eigentlich, finde ich, reinschreiben können.“ Im Hinblick auf die spätere Berufspraxis scheinen solche Auseinandersetzungen mit unterrichtspraktischen Fragen zwar wertvoll, zielen aber nicht auf den Kern der Schreibaufgabe ab. Auch im Hinblick auf solche Kommentierungen stellt sich aus didaktischer Sicht die Frage, wie ein für das Peer-Textfeedback sinnvolles „Filtern“ aussieht und wie die Studierenden dazu angeregt werden können.
In dieser Kategorie sammeln sich nur 3 von insgesamt 95 Codierungen, die kein Hintergrundwissen zum Studium (bzw. zu der Schreibaufgabe) oder zum Beruf erkennen lassen. Auch eine Wissenschafts-Orientierung lässt sich hier nicht festmachen, daher könnte auch von „Restekategorie“ gesprochen werden.
Im folgenden Beispiel erwähnt Feedbackgeberin H zwar den Unterricht, es geht in der Passage aber vor allem darum, dass sie den Text aus sich selbst heraus nicht nachvollziehen kann. Dieses Verstehenwollen ist grundsätzlich eine der wichtigsten Strategien für das Textfeedback, das aber keinen besonderen Hintergrund voraussetzt und somit von allen einigermassen texterfahrenen Personen angewandt werden kann: „Ja (.), das habe eben, habe ich nicht ganz verstanden, was sie meinen, weil es sehr auf den Unterricht bezogen ist, und so auch vorher (.), ich habe dann noch nachgeschaut, und es ist auch vorher nicht genau gestanden, was sie gemacht haben (.), und das vergisst man halt leicht, wenn man das schreibt, dass die, die es lesen nicht dabei gewesen sind (...), und so haben sie einfach noch die Möglichkeit, sie können noch etwas hinschreiben.“ Interessant scheint, dass Studentin H diesen für die Textproduktion nötigen Perspektivenwechsel im Interview explizit anspricht. Damit reflektiert sie eine kognitive Tätigkeit, die vor allem für Kinder während des Schreiben-Lernens in den ersten Schuljahren eine grosse Herausforderung darstellt, die aber auch in der Erwachsenenbildung nicht immer gelingt.
Mit Bezug auf die einschlägige Fachliteratur (cf. Kap. 2) erstaunen die hier vorgestellten Ergebnisse zum Peertextfeedback nicht, sie geben aber datengestützt genaueren Einblick in die Auseinandersetzungen mit Textinhalt einer bestimmten Probandinnengruppe (cf. Kap. 4.1).
Mit Blick auf die Hauptkategorien kann zusammengefasst werden, auf welche Art von Inhalten die Feedbackgeberinnen reagieren: Auch ohne entsprechende Instruktion setzen die Feedback-geberinnen ihr Wissen als Kommilitoninnen aus dem Seminar für die Kommentierung ein, indem sie sich auch an der Schreibaufgabe orientieren. Im Interviewmaterial zeichnet sich ausserdem ab, dass die Studentinnen im 1. Semester die Entwürfe ansatzweise (in Reaktion auf bestimmte Aspekte der Schreibaufgabe) im Hinblick auf bestimmte Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens kommentieren. Weiter wird sichtbar, dass sich die Feedbackgeberinnen als angehende Lehrpersonen auch an ihrem zukünftigen Berufsfeld orientieren: Wo ihr Blick nicht auf die Schreibaufgabe gerichtet ist, liegen auch didaktische oder praktische Unterrichtsfragen im Fokus.
Die Belegstellen zur „Schreibaufgabe“ wurden kategorienbasiert bereits diskutiert (cf. 5.1.1). Weil diese Kategorie als besonders relevant für die Schreididaktik angesehen wird und sich hier grosse individuelle Unterschiede zeigen, werden diese Ergebnisse aus fallorientierter Sicht noch einmal aufgegriffen. Vereinzelt werden dabei auch Ergebnisse der linguistischen Korpusanalyse der Textkommentare berücksichtigt.
Studentinnen A und E beziehen sich nicht nur am häufigsten auf die von der Dozentin formulierten Schreibziele, sondern machen mit Hilfe ihrer Reflexionen im retrospektiven Interview deutlich, dass sie sich tatsächlich mit den methodisch-theoretischen Hintergründen der Schreibaufgabe auseinandersetzen.
Wie bereits an anderer Stelle kontrastierend herausgearbeitet wurde (cf. Beyer/von Gunten 2017), fällt insbesondere das Peer-Textfeedback-Verhalten von Studentin A in positiver Weise auf, weil es gut mit den Zielen und Kriterien für hilfreiches Textfeedback (cf. Grieshammer et al. 2013; McAndrew/Reigstad 2001; Kruse 2010) im Einklang steht: Sie scheint die inhaltlichen Ziele des Leistungsnachweises sozusagen als Filter für die Kommentierung von fremdem Text zu verwenden. Sowohl die Analyse der „Auslöser im Text“ mittels InliAnTe wie auch die Analyse des Interviewmaterials zeigen die aufgabenbezogene Inhaltsorientierung von A: Sie lässt sich während ihrer Kommentierung weder von textuellen Oberflächenphänomenen noch von praktischen Unterrichtsfragen ablenken, die nicht in der Schreibaufgabe angelegt waren, und setzt damit das Prinzip „Higher Order Concerns“ vor „Lower Order Concerns“ (cf. McAndrew/Reigstad 2001: 42–62) um. Verschiedene Interviewpassagen machen deutlich, dass sich A im Vergleich zu den anderen 5 Feedbackgeberinnen für ihre Textkommentierung am weitesten von der lokalen Textebene löst. Folgende Interviewpassage beispielsweise verrät, dass A grosse Teile des Textentwurfes überblickt und explizit aufgabenbezogen zueinander in Beziehung setzt. Sie erkennt nicht nur, dass für die Interpretation bestimmte protokollierte Beobachtungen fehlen, sondern überlegt auch, welche Protokollform für die Überarbeitung hilfreich sein könnte. Im Interview führt sie aus: „Ja ich habe da dann einfach nochmal (..) mit unserer Theorie verglichen. Also ich habe die Unterlagen dabei gehabt (.), wo das Verlaufsprotokoll beschrieb, äh nein, (.) das Episodenprotokoll beschrieben ist (.), und das ist eigentlich, dass man mehrere Episoden untereinander setzen könnte und die dann gemeinsam vergleichen und sie haben halt eigentlich nur eine Episode aus dem Sport genommen (.) und in der Interpretation kommen sie dann aber noch mit anderen Beobachtungen, die sie auch mal gemacht haben, in diesen zwei Wochen. Da ist dann die Frage, ob man das nicht besser (.) auch als einzelne Episoden oben dazu tun würde oder (.), ob das hier dazu gehört.“
Die Bezüge von Studentin E auf Seminarinhalte und Schreibvorgaben scheinen an einigen Stellen punktueller – aber auch sie lässt sich mit erkennbarer „Denkarbeit“ auf die Schreib-aufgabe ein. Im Vergleich zu Studentin A fällt auf, dass sich E deutlich stärker während der Kommentierung auch mit didaktischen und praktischen Unterrichtfragen befasst. Es ist an dieser Stelle daran zu erinnern, dass die Schreibaufgabe verschiedene Aspekte enthält, die suggerieren, dass der konkrete Unterrichtsbezug erwünscht ist.
Studentin C betreibt den deutlich grössten Aufwand während der Kommentierung: Wie die linguistische Analyse zeigt, reagiert sie in 80 Kommentaren auf insgesamt 88 positive und negative Auslöser im Text und greift an 119 Stellen in den Text ein. Sie zeigt also eine grosse Bereitschaft, sich mit dem Textentwurf zu befassen – bezogen auf die inhaltlichen Ziele des Schreibauftrages fokussiert sie aber nicht auf die relevanten Aspekte: Unter den insgesamt 7 Auslösern, die auf Textinhalte bezogen sind, lässt nur eine Stelle einen Bezug zur Schreibaufgabe erkennen. In ihrem Kommentar zu diesem Auslöser schreibt Feedbackgeberin C: „Wurde dieses Protokoll nur von einer Person gemacht? Ich würde zudem allgemein das Layout gleich wie oben gestalten.“ Im Interview formuliert sie folgenden Beweggrund für den Kommentar: „Mhm, weil da haben sie ja nicht so Farben verwendet (..) und darum habe ich mich gefragt, ist das jetzt nur jemand oder, in der Einführung haben sie ja geschrieben, sie hätten zum Teil auch noch zu Zweit (..) und ich finde das gehört noch rein.“ Studentin C beobachtet also, dass weiter oben im Text die Passagen aus zwei Protokollen von zwei Personen farblich voneinander abgehoben wurden. Daher schlägt sie vor, „das Layout“ weiter unten entsprechend anzupassen. Damit wird nicht klar, ob Studentin C verstanden hat, wozu aus methodischer Sicht die Gegenüberstellung der Protokoll-Teile erfolgt.
Der extremste Fall in diesem Kontext ist Feedbackgeberin D. Sowohl die linguistische Analyse der Kommentare als auch die Interviewanalyse zeigen, dass sie durch ihre Kommentierung weder in positiver noch negativer Weise auf Textinhalt reagiert.
Abbildung 2: Anzahl Belegstellen zur Sub-Kategorie „Schreibaufgabe“ pro Person
Abb. 2 zeigt, wie häufig sich die Studentinnen für die Begründung ihrer Kommentierung im retrospektiven Interview auf die Schreibaufgabe beziehen. Aus methodischer Sicht muss daran erinnert werden, dass die Studentinnen authentische – und damit in Bezug auf Textqualität und Stand der Textproduktion sehr unterschiedliche – Leistungsnachweise von unterschiedlichen Autorinnen kommentiert haben. Die Häufigkeiten der Belegstellen können also nicht direkt miteinander verglichen werden. Die Grafik scheint vor allem interessant, weil sie zeigt, dass einzelne Studentinnen den Inhalt des Textentwurfes praktisch vollständig ausblenden. Theoretisch denkbar wäre zwar, dass in der Wahrnehmung solcher Personen die Textentwürfe so gut funktionieren, dass während der Kommentierung keine negativen Reaktionen auf Inhalt provoziert werden. Falls dies der Fall wäre, wird aber auch dies nicht in Form eines positiven Kommentars zurückgemeldet. Die Ergebnisse der korpuslinguistischen Analyse legen eher den Schluss nahe, dass der Fokus von Studentin C z.B. mehrheitlich auf Textebenen liegt, die McAndrew/Reigstad (2001: 42–62) als „Lower Order Concerns“ bezeichnen.
Diese „Leerstelle“ in Abb. 2 zeigt ein zwar relativ banales, aus hochschuldidaktischer Sicht aber wichtiges Resultat: Ohne entsprechende Instruktion wird die Schreibaufgabe im Peer-Textfeedback nicht von allen 6 Studentinnen berücksichtigt. Wenn Rückmeldeprozesse unter Studierenden die Auseinandersetzung mit den in der Schreibaufgabe angelegten Inhalten intensivieren sollen, scheint es mit Blick auf Fälle wie Feedbackgeberinnen C und D also nötig, die Studierenden entsprechend anzuleiten.
Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse zeigen, dass Denkprozesse, die bezogen auf bestimmte Inhalte durch eine Schreibaufgabe während der Textproduktion angeregt werden sollen, durch das Peer-Textfeedback unter Studierenden (selbst wenn es nicht angeleitet wird) noch einmal (ggf. vertiefend) angestossen werden können. Die Analyse des Interviewmaterials macht aber auch deutlich, dass ohne gezielte Schulung das schriftliche Peer-Textfeedback unter den angehenden Lehrpersonen im 1. Semester nicht „automatisch“ zu einer Auseinandersetzung mit Textinhalt (bzw. mit den in der Schreibaufgabe formulierten inhaltlichen Zielsetzungen) führt.
Die hier präsentierten Ergebnisse stützen eine prominent in der Fachliteratur vertretene Haltung, dass schriftliches Feedback grundsätzlich voraussetzungsreich ist und deshalb angeleitet werden sollte (cf. Kap. 2). Die im Folgenden ausgeführten Überlegungen zur Anleitung von Peer-Textfeedback unter Studierenden behandeln die in der Fachliteratur diskutierten Empfehlungen nicht umfassend, sondern konzentrieren sich auf drei Aspekte, die mit Blick auf die Interviewresultate besonders zentral scheinen:
Peer-Textfeedback unter Studierenden ist hilfreich, wenn es
1. | auf der Aufgaben-Ebene (cf. Hattie/Timperley 2007: 87) einen „klaren Zusammenhang zum festgesetzten Lernziel“ aufweist (Sturm/Weder 2016: 160); |
2. | die Phase der Textproduktion berücksichtigt (cf. Kruse 2007: 251–253; Kruse 2010: 88–90); |
3. | dem Grundsatz „Higher Order Concerns“ vor „Lower Order Concerns“ folgt (cf. McAndrew/Reigstad 2001: 42–62; Grieshammer et al. 2013: 226). |
Zu 1.): Weil im Studium auf die Abgabe von Leistungsnachweisen normalerweise eine Beurteilung folgt, die für den Studienerfolg entscheidend sein kann, scheint es für das Peer-Textfeedback unter Studierenden grundsätzlich sinnvoll, (auch) auf der Aufgaben-Ebene (cf. Hattie/Timperley 2007: 87) anzusetzen:23 Wenn das Feedback zur Textqualität beitragen soll, muss es sich an den zentralen Schreib- und Lern-Zielen orientieren (cf. Sturm/Weder 2016: 160). Erst wenn klar ist, welchen Kriterien der Text (aus Dozierenden-Sicht) genügen muss, kann entschieden werden, wie gut die Schreibaufgabe gelöst ist und welches die zentralen Aspekte für die Textrückmeldung sind. Interessanterweise wird an verschiedenen Stellen der Ratgeberliteratur zum Textfeedback dieser Aspekt nicht vermittelt. In den Empfehlungen von Grieshammer et al. (2013: 224) beispielsweise fehlt der Hinweis, dass hilfreiches Textfeedback auf die zentralen Schreibziele bezogen sein sollte. Dies mag daran liegen, dass sich Grieshammer et al. (2013) vor allem auf die Anliegen von Schreibberatenden konzentrieren, die ihre Rückmeldungen (u. U. ohne Kenntnis der Aufgabenstellung) „stellvertretend für interessierte, wachsame, nicht-fachliche Leser“ geben (Ulmi et al. 2014: 52): Hier steht die Beratung aus einem sprachlich-textuellen Blickwinkel im Vordergrund – nicht die Beurteilung des Textes im Kontext eines Fachdiskurses oder bezogen auf bestimmte fachliche Konzepte. Für Denkprozesse, die in der Peer-Feedback-Schlaufe unter Studierenden zusätzlich zu den thematischen Auseinandersetzungen während des eigentlichen Schreibprozesses angeregt werden können, scheint aber der Rückbezug auf die inhaltlichen Lernziele von zentraler Bedeutung. Für die Anleitung von Textfeedback unter Peers wird hier deshalb vorgeschlagen, die Schreibziele prominent zu thematisieren und gemeinsam mit den Studierenden zu klären, ob und wie zentral die Schreibaufgabe und ggf. auch die entsprechenden Beurteilungskriterien im Rückmelde-Prozess berücksichtigt werden sollen.24
Zu 2. u. 3.): Kruse (2010: 88–90) veranschaulicht in seinem Ratgeber für Studierende mit Hilfe einer tabellarischen Übersicht, dass je nach Stadium, in welchem sich ein Textentwurf befindet, unterschiedliche Fragen für das Textfeedback im Zentrum stehen sollten. An anderer Stelle führt er aus:
(Kruse 2007: 164)
Kruse weist hier nicht nur auf die Bedeutung der Textproduktionsphase hin, sondern nimmt implizit auch auf die Unterscheidung von „Higher Order Concerns“ (e. g. Inhalt und Struktur) und „Lower Order Concerns“ (e. g. Stil, Rechtschreibung, Zeichensetzung) Bezug. McAndrew und Reigstad (2001: 42) begünden den Grundsatz „HoC vor LoC“ folgendermassen: „It makes sense for tutors and writers to begin with HOCs because improvements in these areas can dramatically change a piece“ (McAndrew/Reigstad 2001: 42). Sie sprechen damit Rückmeldungen zu Texten an, die tiefgreifende Überarbeitungen zur Folge haben können. Es scheint unmittelbar einleuchtend, dass während des Feedbacks zunächst Fragen bezogen auf die zentrale Text-idee formuliert werden sollten, bevor „Kosmetik“ an der Textoberfläche betrieben wird.
Fälle wie Studentinnen C und D zeigen mit ihrem Peer-Textfeedback-Verhalten, dass sie ohne Anleitung die erwähnten Empfehlungen für hilfreiches Feedback nicht befolgen. Es ist zu vermuten, dass eine gezielte Vermittlung dieser Grundsätze dazu beitragen würde, die Wirkung von Peer-Textfeedback im Hinblick auf Textüberarbeitungen durch die Feedback-Nehmenden und die inhaltlichen Auseinandersetzungen durch die Feedback-Gebenden zu steigern.25
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1 Die vollständige Bezeichnung lautet: „Die Entwicklung des Textkommentierungsverhaltens angehender Unter- und Mittelstufenlehrpersonen“ (PH Bern-Projekt Nr.: 13 w 002 06), Leitung: Dr. Anne von Gunten. Im Folgenden wird auf dieses Projekt mit dem Kurz-Titel „Texte kommentieren“ Bezug genommen. Homepage siehe: www.phbern.ch. zurück
2 Pädagogische Hochschule Bern. zurück
3 Die erwähnten didaktischen Grundsätze dieser prozessorientierten Schreibdidaktik sind auch in den Lehrplan 21 eingeflossen: Im Kompetenzbereich „Schreiben“ (cf. Erziehungsdirektion des Kantons Bern 2015: 15–19) sind die Handlungs- und Themenaspekte zum „Schreibprozess“ in vier Phasen gegliedert: Ideen finden u. planen – formulieren – inhaltlich überarbeiten – sprachformal überarbeiten. zurück
4 Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse wird in Kap. 4.4 genauer beschrieben. Im Fliesstext ist im Folgenden jeweils nur von „qualitativer Inhaltsanalyse“ die Rede. zurück
5 Ich danke Anke Beyer, Beatrice Dätwyler, Verena Hoberg, Dr. Dagmar Knorr und Kaspar Burkhalter für ihre wertvollen Überarbeitungshinweise zu diesem Beitrag. zurück
6 In der Arbeit mit dem InliAnTe ergeben sich – wie bei dem Einsatz von Analyserastern zu erwarten – zahlreiche Abgenzungsprobleme zwischen den Kategorien. Insbesondere die Kategorie „Inhalt“ bringt theoretische und analyse-praktische Probleme mit sich. Bei der Frage in Kommentaren nach der genauen Bedeutung von Fachbegriffen beispielsweise stellt sich die Frage, ob es der Feedbackgeberin um Klarheit der Begriffe als Voraussetzung für die Wiederaufnahme im Text geht (Kategorie „Textorganisation“ > Unterkategorie „Konnektivität“) oder ob es ihr darum geht, dass Definitionen von Termini wichtige Inhalte in wissenschaftlichen Texten sind (Kategorie „Inhalt“). zurück
7 Eine Übersicht zur Frage, welche Rolle die Begriffe „Kohärenz“ und „Kohäsion“ für moderne linguistische Definitionen von „Text“ spielen, findet sich bei von Gunten (2012: 107–115.). zurück
8 Kriterien: Studieneintritt direkt ab Matura, keine Studierenden auf dem 2. Bildungsweg, keine Teilzeitstudierenden, Studierende mit Erstsprache Deutsch. zurück
9 Die Schreibaufgabe bildet also für obligatorische Leistungsnachweise einen institutionell festgeschriebenen Massstab, welcher für den Studienerfolg von entscheidender Bedeutung ist: Am IVP NMS kann ein als „ungenügend“ beurteilter Leistungsnachweis überarbeitet und ein zweites Mal eingereicht werden. Genügt auch diese 2. Version nicht den Beurteilungskriterien, erfolgt der Studienausschluss. zurück
10 Detaillierte hochschuldidaktische Überlegungen zu authentischen (und idealerweise in Schreibarrangements eingebettete) Einzel-Schreibaufgaben finden sich bei Bräuer und Schindler (2011). Ihren Ausführungen zufolge sollte eine Schreibaufgabe situiert (also auf eine konkrete Lernumgebung bezogen) sein, lernerorientiert an die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Lernenden anknüpfen, Freiräume zur individuellen Gestaltung des Bearbeitungsprozesses bieten und weiterführendes Lernpotential beinhalten (cf. ibd.: 22f.). Zentral scheint dabei ihr weitergreifendes Anliegen „die traditionelle Rolle des Schreibens in der deutschsprachigen Schreibkultur von einem Tool zur Reproduktion von Wissen zur Konstruktion und Kommunikation von Erkenntnissen umzudefinieren“ (ibd.: 14). zurück
11 „Genre-Mapping ist ein datengestütztes interpretatives Verfahren, das zu Klassifikationen von Genres und zu einem Verständnis von Genre-Systemen führt. Es ist eine wichtige Stufe in der Untersuchung von Genres, die nicht veröffentlicht oder anderweitig zentral zugängig sind, wie dies in Bildungsinstitutionen der Fall ist und bereitet stärker textbezogene methodische Zugänge wie Textanalysen oder Korpus-Studien vor“ (Kruse/Chitez 2012: 31). zurück
12 Pädagogische Hochschule Zürich. zurück
13 Haute Ecole Pédagogique des cantons de Berne, du Jura et de Neuchâtel. zurück
14 La Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana. zurück
15 Zwar kann davon ausgegangen werden, dass solche „hybriden“ Schreibaufgaben im Feld des beruflichen und wissenschaftlichen Schreibens insbesondere im Hinblick auf Studierende ein besonderes motivationales Potential mitbringen, die nicht in erster Linie an theoretischen Zusammenhängen interessiert sind, sondern sich bereits stark auf ihr zukünftiges Praxisfeld konzentrieren. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass die Studierenden auch im Hinblick auf die hier beschriebene Schreibaufgabe sorgfältiger im Hinblick auf die unterschiedlichen Anforderungen und Normen in den verschiedenen Bereichen des Schreibens eingeführt werden müssten. zurück
16 Dieser Schritt wird aus didaktischen Gründen angeregt: Die Feedback-Nehmenden sollen tatsächlich von den Rückmeldungen profitieren und die Textkommentierung soll unter authentischen Bedingungen analysiert werden – soll den Feedback-Gebenden also sinnvoll erscheinen. zurück
17 Rasterteil „Auslöser im Text“ aus dem „Instrumentarium für die linguistische Analyse von Textkommentaren“ (InliAnTe). zurück
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19 Zu den verschiedenen Protokollformen cf. Kap. 4.2. zurück
20 Weil die Schreibaufgabe auch Anforderungen aus dem Feld des wissenschaftlichen Schreibens stellt, wird mit dem Ansetzen der beiden thematischen Hauptkategorien „Blick auf den Text als Mitstudentin“ und „Fokus auf wissenschaftliche Aspekte im Text“ eine starke inhaltliche Überschneidung und damit entsprechend viele Doppelkodierungen in Kauf genommen. Dies ist insbesondere bei Studentinnen der Fall, die während der Kommentierung auf Text-Qualitätskriterien zu fokussieren scheinen, die aufgrund der Seminarinhalte und der Schreibaufgabe für die Beurteilung des Leistungsnachweises zu erwarten sind. Aus didaktischer Sicht scheint es dennoch sinnvoll, diese Kategorien zu unterscheiden: In den Interviewdaten lassen sich auch Auseinandersetzungen mit Inhalten festmachen, die sich zwar auf wissenschaftliche Aspekte richten, gleichzeitig aber keinen Bezug zur Schreibaufgabe aufweisen. zurück
21 37 von insgesamt 95 Codierungen. zurück
22 So wird ein Modul am IVP NMS bezeichnet. zurück
23 In ihrem “model of feedback to enhance learning” unterscheiden Hattie und Timperley (2007: 87) 4 Ebenen, auf welche die zentralen Feedbackfragen “Where am I going? (the goals) How am I going? Where to next?” bezogen sein können. Sturm und Weder (2016: 159f.) übersetzen diese Ebenen wie folgt: A) Aufgaben-Ebene: Wie wurde die Aufgabe gelöst bzw. verstanden? B) Prozess-Ebene: Wie wurde die Aufgabe angeganen bzw. gelöst? C) Metakognitive Ebene: Wurden die eigenen Aktivitäten überwacht und bei Bedarf angepasst? Wie? D) Persönliche Ebene: Was sagt das über den Lerner aus? Sturm u. Weder (ibd.) halten fest, dass vorallem A) u. B) für die Schreibdidaktik zentral sind. zurück
24 Hier stellt sich allerdings das Problem, dass an Universitäten und Hochschulen Schreibaufgaben (inkl. Zielsetzung u. Beurteilungskriterien) nicht immer ausformuliert vorliegen, weshalb Kruse (2010: 66) Studierenden rät, jeweils im ersten Schritt zu einer Seminararbeit zu klären, was genau verlangt wird. zurück
25 Aufschluss zur Frage, inwiefern sich das schriftliche Peer-Textfeedback-Verhalten von instruierten und nicht-instruierten Studierenden unterscheidet, ist von einer Studie zu erwarten, die Anke Beyer im Rahmen ihrer Dissertation plant. Die Daten zu dieser Studie wurden im HS 2016 am IVP NMS erhoben. Arbeitstitel der Dissertation: Textkommentierungsverhalten instruierter und nicht-instruierter Studierender im Vergleich. zurück