Müller, Natascha/Kupisch, Tanja/Schmitz, Katrin/Cantone, Katja (2007): Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung. 2. Auflage. Tübingen: Narr. (= Narr Studienbücher).
Mehrsprachigkeit ist ohne Frage ein Thema der Stunde. Eine Einführung in dieses interdisziplinäre Forschungsfeld (zumal als Studienbuch) ist hochwillkommen. Es ist nicht zuletzt die sprachpolitische Situation in Europa, die das Gebiet in den Fokus des Interesses rückt. Im Lichte einer (auch kultur‑)politischen Agenda, die Protektionismus zurückdrängt (Schutz eigener Waren, Werte und Worte bei gleichzeitig forciertem Export) zugunsten von Öffnung, Austausch, Integration und Verflechtung, steht das Projekt einer Neu-Äquilibrierung von Polyglossie im europäischen Sprachenraum (und darüber hinaus) obenan. Es gilt einerseits, das Selbstverständnis (bis hin zu politischen Autonomiewünschen) sprachlicher Minderheiten zu respektieren – in regionalen wie in durch Migration bedingten Zusammenhängen – und andererseits den intra- wie internationalen Kommunikationsbedarf in verschiedenen gesellschaftlichen Segmenten (Recht, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Politik und Kultur) angemessen zu berücksichtigen (vgl. Siguan 2001). Wie dieses Projekt zu befördern und konkret auszugestalten ist, wird kontrovers diskutiert (vgl. Ehlich/Schubert 2006). Auch darauf, dass hierbei historisch an Epochen vor der Phase der Konsolidierung der europäischen Nationalstaaten im 19. Jh. angeknüpft werden könnte, ist hingewiesen worden (Braunmüller/Ferraresi 2003: 1–7). Möglicherweise haben wir es in der europäischen Kulturgeschichte bei dem auf muttersprachliche Monoglossie hin orientierten Entwurf (ein Staat, eine Nation, eine Kultur, eine Sprache) nur mit einem zeitlich begrenzten Zwischenspiel zu tun. Erst recht ein Blick über die Grenzen Europas hinaus lehrt, dass Monoglossie der markierte Fall ist bei der Konstitution und Regulierung sprachlicher und kommunikativer Bedürfnisse im gesellschaftlichen Kontext (vgl. etwa Coulmas 1985). Polyglossie ist normal.
Und was für Gesellschaften gilt, gilt für Individuen zumindest analog. Dem soziolinguistischen Kontrast von Mono- vs. Polyglossie entspricht der psycholinguistische von Ein- vs. Mehrsprachigkeit. Auf der vierten Umschlagseite (vgl. auch S. 9) des zu besprechenden Buches heißt es, vielleicht etwas schlicht und verkürzend, aber nicht unzutreffend: "In unserer modernen Gesellschaft entsteht immer häufiger die Notwendigkeit, aber damit auch die Chance, Kinder in mehrsprachigen Umgebungen aufwachsen zu lassen." Schlicht ist das, weil es suggeriert, "der Weg zu mehr als einer Muttersprache" in "unserer modernen Gesellschaft" sei etwas Besonderes, wenn auch "immer häufiger" anzutreffen. Verkürzend ist es, weil es das Thema der Mehrsprachigkeit auf den (und sogar nur einen bestimmten, s. u.) Erwerbsaspekt einschränkt. Es wird nicht nur die sprachpolitische Perspektive außen vor gelassen, sondern es werden auch psychosoziale Fragen nach kommunikativen Funktionen und Strategien sowie nach der Identitätskonstitution von Individuen und Gruppen im Kontext von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität weitgehend ausgeblendet. Hierzu erfährt man im Buch kaum mehr als Versicherungen derart, dass das Sprachverhalten von Mehrsprachigen pragmatisch regelgeleitet und besser als Fähigkeit denn als Defizit (S. 185) zu begreifen sei. Eher am Rande (im Kapitel 1) behandelt werden Unterschiede zwischen L1- und L2-Erwerb. Daran Anschließendes zu pädagogischen, speziell sprachdidaktischen Konsequenzen (im Fremdsprachen- wie im sog. muttersprachlichen Unterricht) kommt gar nicht zur Sprache. Zu Fragen des Sprachkontakts (Bechert/Wildgen 1991), der Dialektologie (vgl. etwa die exemplarische Studie Földes 2005), der besonderen Situation von Migranten und Aussiedlern (Hinnenkamp/Meng 2005), der Rolle von pidgins und creoles erfährt man nichts. Eine systematische Erörterung des Zusammenhangs/Kontrastes von sprachlicher Inhomogenität (Idiolekt, Soziolekt, Register, Stil, Fach- und Gruppensprache) und "genuiner" (Standard-)Mehrsprachigkeit liegen jenseits des Bereichs dieser Einführung. Was all dies möglicherweise mit Sprachwandel zu tun haben könnte, wird nicht erörtert.
Es ist bestimmt nicht unbillig, wenn man mehr erwartet: Mehrsprachigkeitsforschung, so wie hier in sie eingeführt wird, befasst sich vor allem, zentral und nahezu ausschließlich, mit dem simultanen Erwerb von Muttersprachen (meist einer romanischen und der deutschen) im Vorschulalter.
Dass im Phänomenbereich mehrsprachiger Verständigung kommunikatives Vermögen und grammatische Kenntnisse eng verwoben sind, neben strukturellem und lexikalischem "Wissen" wesentlich auch Funktionalität, Strategien und Kreativität (im Sinne bewusster wie unbewusster Normverletzung und Regelüberschreitung) eine Rolle spielen, erschließt sich dem unbefangenen Blick ohne weiteres. Damit aber legen sich für die Erforschung von Mehrsprachigkeit Vorbehalte gegenüber der Kompetenz-Performanz-Unterscheidung nahe. Diese beruht ja auf methodischen Idealisierungen, die gerade von Spezifika der Mehrsprachigkeit zu abstrahieren drohen. Dass sprachliche Kompetenz an idealen Sprechern einer Sprache in homogener Sprachumgebung festzumachen sei, rekapituliert – methodologisch gewendet – den sprachprotektionistischen Entwurf monoglossaler Muttersprachlichkeit: eine Gemeinschaft, eine Sprache. Ganz offenbar hat man es empirisch bei Mehrsprachigen aber mit Sprechern verschiedener Sprachen in inhomogener Sprachumgebung zu tun. Die Phänomene dennoch über den Leisten des grammatischen Kompetenzbegriffs zu schlagen, ist nicht ohne Risiko, allemal dann, wenn für grammatische Kompetenz ein syntaktischer Kern angenommen wird – begleitet von morphologischen, semantischen und pragmatischen Modulen.
Genau dies aber erscheint Müller et al. als das angezeigte Vorgehen (vgl. Abschnitt 2.2, S. 17–21). Ansätzen, die Unterscheidungen wie Transfer und code-shifting auf der einen und Interferenz und code-mixing (oder Sprachfusion) auf der anderen Seite beim bilingualen Spracherwerb nicht auf die Kompetenz-Performanz-Opposition projizieren, kreiden sie dies als Mangel an (siehe z. B. S. 105f.). Die Autorinnen sprechen von der Wahl eines "theoretischen Rahmen[s], der [ihrer] Einführung zugrunde liegt" (S. 29). Es handelt sich hierbei um die Prinzipien-&-Parameter-Theorie und das Minimalistische Programm von Chomsky (1981, 1995). Dazu, was die Wahl speziell dieses Rahmens empirisch oder sonst wie gegenüber Alternativen (welchen?) angeleitet haben mag, erfährt man nichts.1
Nun hat die generative Sprachtheorie in der Tat eine denkbar innige konzeptuelle Verbindung zu Fragen der Lernbarkeit natürlicher Sprachen. Und dass sich damit auch Affinitäten zu empirischen Fragen des Spracherwerbs nahe legen, ist eine weit verbreitete, wiewohl meist implizit gelassene, Auffassung. Wenn somit Mehrsprachigkeit (wie in unserem Fall) auf eine besondere Form des primären Spracherwerbs reduziert wird, scheint sich das generative Paradigma nicht unplausibel als "theoretischer Rahmen" anzubieten. Allerdings sollte nicht aus dem Blick geraten, dass Lernbarkeit ein theoretisches Konzept (vgl. Wexler/Culicover 1980), Spracherwerb hingegen ein empirisches Phänomen ist. Lernbarkeit einer Sprache wird als die Möglichkeit einer Abbildung von beschränkt vielen (positiven) input-Daten (plus universalgrammatisch vorgegebenen Konstanten) auf ein rekursives System (Grammatik) gedeutet, das den unendlichen Umfang der Sprache bestimmt. Bei einer empirisch gehaltvollen Beschreibung des Spracherwerbs geht es dagegen darum, einerseits zu erfassen, wie überhaupt die Identifikation relevanter input-Daten zustande kommt, welche Rolle sie in dem eigentümlichen Amalgam aus Weltaneignung und Eigensinn spielen, das die (früh)kindliche Lebenswelt ausmacht (vgl. Stern 1985) und wie sich hierin die Konstitution von sprachlichem (u. a. grammatischem) Vermögen vollzieht. Keineswegs ausgemacht ist dabei, ob sich Datenidentifikation und Konstitution grammatischen Vermögens trennen lassen, und ebenso wenig, ob sich die Konstitution als effektive Realisierung einer theoretisch beschreibbaren Abbildung fassen lässt (gewissermaßen als intra-mentaler Prozess). Es ist also keineswegs gesichert, dass eine im generativen Paradigma angestrebte Explikation der Grammatik einer natürlichen Sprache – mithin eine datenabhängige Instanziierung universalgrammatischer Vorgaben – in irgendeiner substanziellen Weise homomorph sein muss zu dem erworbenen grammatischen (geschweige denn sprachlichen) Vermögen eines Sprechers der Sprache. Dieses könnte in seiner Partialität, zudem durchzogen von Zweifelsfällen, Unbestimmtheiten und Inhomogenitäten, weit ab liegen von einem einen Sprachumfang definierenden rekursiven System. Gewiss muss ein linguistisch identifiziertes System (eine sog. I-Sprache) nicht gänzlich irrelevant sein für die empirisch erworbene Regelkenntnis eines Sprechers, aber vielleicht ist es angemessener, dieses Regelwissen zunächst als ein offenes Repertoire von grammatischen Ressourcen zu konzipieren, für das dahin steht, wie es aufgebaut ist, ob es ein kohärentes rekursives System bildet und aufgrund welcher empirisch manifesten Kategorien und Muster es sich organisiert – diese könnten unter der Perspektive linguistischer Erklärungsadäquatheit weitgehend irrelevant sein. Das Diktum Chomskys "Phenomena may be suggestive, but strictly speaking, they tell us nothing [about grammar] (meine Hinzufügung, W. H.)"2 gilt insbesondere für Phänomene des Spracherwerbs. Und es lässt sich umkehren: "Grammar my be suggestive, but strictly speaking, it tells us nothing about phenomena".
Vor dem Hintergrund der Opposition von auf abstrakten Konzepten zur Lernbarkeit beruhendem (linguistisch zu spezifizierendem) grammatischem "Wissen" und empirisch erworbenem (psycho- und soziolinguistisch zu erfassendem) sprachlichem Vermögen zeigt sich der Unterschied zwischen monolingualem und multilingualem Spracherwerb als ein Kontrast in einem gemeinsamen Schema: im multilingualen Spracherwerb können/müssen input-Daten nicht nur identifiziert, sondern auch sprachspezifisch klassifiziert werden, grammatische Ressourcen nicht nur entwickelt, sondern auch sortiert und zugeordnet.
Von einer strikten Trennung der Identifikation/Klassifikation von input-Daten einerseits sowie der Entwicklung/Gruppierung von grammatischen Mechanismen andererseits wird, wie gesagt, dabei nicht auszugehen sein. Plausibel hingegen (und in Studien und Beschreibungen ja durchweg bestätigt) ist eine gewisser Vorlauf in der Verfügung über lexikalische Bestände (Einwort-Phase) gegenüber dem Auf- und Ausbau komplexbildender Muster (Zwei- und Mehrwortphase). Denkbar ist daher ein Entwicklungsmodell, demzufolge ein bi- (oder multi‑)linguales Kind zunächst prädominant an der Identifikation von lexikalischen Beständen "arbeitet", nachfolgend mit der Entwicklung erster grammatischer Muster deren Sortierung je nach äußerem Verwendungszusammenhang nach und nach phonologisch und morphologisch in Angriff nimmt, um schließlich mit dem weiteren Ausbau grammatischer Ressourcen, sozusagen unter "Verinnerlichung" unterschiedlicher kontextueller Anwendbarkeit, sukzessive zur zunehmend stabilen Separierung von sprachlichen Systemen zu gelangen.
Sprachverwendung (Performanz) und grammatisches Vermögen (Kompetenz) könnten verschränkt sein, und diese Verschränkung könnte empirisch gerade das Wesentliche des Spracherwerbs (ein- wie mehrsprachig) ausmachen.
Den drei Entwicklungsabschnitten in der gerade angesprochenen Heuristik korrespondieren nun drei stages in einem Ansatz zur Sprachentwicklung bei bilingualen Kindern (Volterra/Taeschner 1978), der für Müller et al. eine zentrale Rolle spielt (Kapitel 5). Der Aufsatz von 1978 habe, so erfährt man, "in der Fachwelt eine lang andauernde Diskussion ausgelöst" (S. 95), aus welcher dann freilich nur zwei Beiträge (Genesee 1989, Meisel 1989) mit mehr als zehnjährigem und einer (Cantone 2007) mit fast dreißigjährigem Abstand mitgeteilt werden. Insbesondere Meisels kritischer Artikel gilt den Autorinnen aufgrund seiner "vorbildlichen Arbeitsweise" als "bahnbrechend für die Forschung" (S. 112). Meisel hatte gegen Volterra und Taeschner eingewandt, dass auf der Stufe beginnender grammatischer Organisation im bilingualen Spracherwerb nicht notwendigerweise von einem einzigen grammatischen System gesprochen werden müsse, das auf bereits getrennten Lexika operiere, es vielmehr überzeugende Belege für die Annahme gebe, dass schon früh grammatische Verfahren sprachspezifisch zum Zuge kämen. Die fachweltbewegende Kontroverse zum bilingualen Spracherwerb, die Müller et al. aus der Kritik Meisels an Volterra und Taeschner gewinnen, ist die zwischen Sprachfusion aufgrund einer einzigen Grammatik auf der einen und Sprachtrennung bei separierten Grammatiken auf der anderen Seite. Das Dilemma der (theoretischen wie empirischen) Unvereinbarkeit dieser Positionen will die Müller-Theorie überwinden, indem sie Sprachfusion und Systemverschiedenheit unter einen Hut bringt. Dazu gleich mehr.
Vermutlich ist nun aber schon die Gegenüberstellung schief. Es wird ja in der Kennzeichnung beider Konzeptionen davon ausgegangen, grammatische Verfahren hätten ihren Ort in je geschlossenen Systemen. Das mag für Meisels Ansatz korrekt sein, Volterra/Taeschner sollte man es nicht unterstellen, wenn man ihnen zugleich die Vernachlässigung der Kompetenz-Performanz-Unterscheidung anlastet (S. 105f.). Nimmt man nämlich ein offenes, nicht systemhaft geschlossenes Repertoire von sich entwickelnden lexikalischen und grammatischen Ressourcen an, auf das je nach Verwendungskontext unterschiedlich (und erst nach und nach sprachdifferenzierend) zugegriffen wird, verschwindet die Unverträglichkeit von Fusion vs. Trennung.
Meisel fand in einer Studie Evidenz für die frühe Trennung grammatischer Systeme anhand sprachspezifischer Strukturen (z. B. Wortstellungsmustern), die bei zwei [!] bilingualen Spracherwerben je in der entsprechenden Sprache auftraten, nie aber in der anderen. So enthielten etwa bei vorangestelltem Adverbial deutsche Daten nur das Muster AdvVS (Morgen kommt der Weihnachtsmann), französische nur AdvSV (Demain, père Noël va arriver). Erhoben wurden die Daten in Spielsituationen, in denen mal Deutsch, mal Französisch gesprochen wurde. Dabei fand "[t]he well-known principle of 'une personne, une langue'" (Meisel 1989: 525) Beachtung. Grad aber dieses (im Kern sprachdidaktische) Prinzip ist hier (als Grundsatz für die Erhebung von Daten) nicht unproblematisch. Offenbar verfügten die Erwerber über beide Stellungsvarianten und ordneten sie "richtig" zu. Die Wahl des französischen Musters für die französischen Äußerungen muss aber nicht durch ein separates Grammatiksystem bedingt, sondern könnte auch durch die Voreinstellung der Sprachwahl in den Spielsituationen induziert gewesen sein (und entsprechend die Wahl des deutschen Musters für die deutschen Äußerungen). Die Kinder könnten ihre Wahl lexikalischer wie grammatischer Ressourcen an dem kooperativen Prinzip "If in Rome, do as the Romans do" orientiert haben, ohne dass sie nicht auch anders gekonnt hätten. Erst wenn gezeigt würde, dass Verschränkungen, Übertragungen und Vermischungen von Formen und grammatischen Mustern wirklich marginal sind und auch ohne eine Voreinstellung der Sprachwahl kaum vorkommen, wäre die These getrennter grammatischer System im sprachlichen Vermögen von Bilingualen plausibel. Tatsächlich aber sind Sprachmischungen auf unterschiedlicher Ebene im mehrsprachigen Verbalverhalten abundant. Meisel glaubt, dass sie entweder aufgrund soziolinguistischer Prinzipien durch pragmatische Kompetenz gesteuert sind. Dann wird im code-switching eine situationsabhängig richtige Sprachwahl getroffen und der Wechsel zwischen verschiedenen grammatischen Systemen ohne Regelverstöße gilt als Fähigkeit (nicht als Defekt). Oder aber: "[T]he child may well use two different grammatical systems, as evidenced by distinct word order patterns etc., and yet may choose the 'wrong' language occasionally" (Meisel 1989: 367). Dann liegt – Meisel verwendet den Terminus code-mixing – ein Defekt vor (keine Fähigkeit), den man der Performanz anzulasten hat. In dieser Unterscheidung eine Immunisierungsstrategie für die Annahme getrennter grammatischer Systeme zu sehen, ist vermutlich nicht unfair.
Müller et al. glauben, dass Phänomene der Sprachfusion auf verschiedenen Ebenen mit der Vorstellung ausdifferenzierter grammatischer Systeme in Einklang zu bringen sind. Dazu unterscheiden sie zunächst Spracheinfluss und Sprachmischung. Sprachmischungen (Kapitel 7), bei denen die Fusion lexikalisch manifest ist, können inter- wie intra-sentential vorkommen sowie auch den morphologischen Aufbau von Wörtern und die Phonologie betreffen. Spracheinfluss (Kapitel 6) zeigt sich strukturell. Er tritt als Transfer (Übertragung eines grammatischen Musters aus der einen in eine andere Sprache) auf oder als Beeinflussung der Aneignungsgeschwindigkeit: Der Erwerb eines grammatischen Bereichs in der einen Sprache kann den entsprechenden Erwerb in einer anderen Sprache entweder beschleunigen oder verlangsamen. Die theoretische Unterfütterung dieser Konzeption findet man in Kapitel 2 und 7. Dabei wird die derivationelle Vorstellung des Minimalismus (Chomsky 1995) mit einer Reinterpretation des Parameterbegriffs (Haider 1993) kombiniert. Unter Bezug auf Roeper (1999) und MacSwan (1999) nehmen die Autorinnen an (siehe S. 195), dass in beiden grammatischen Systemen dieselben formalen Prozeduren verfügbar sind: select greift auf bereits früh getrennte Lexika zu, merge und move bauen Strukturen auf, die konzeptuell einheitlich, aber phonologisch sprachabhängig ausbuchstabiert werden. Der Aufbau mit move und merge wird durch ein kognitives Potential (einen "co-processor") begleitet, ein universalgrammatisches Begleitprogramm, das Subroutinen ausprägt. Greifen diese Subroutinen in gleicher Weise auf aus getrennten lexikalischen Beständen aufgebaute Strukturen zu, bilden sich grammatische Teilsysteme, in denen die Sprachen konvergieren. Prägen sich die Subroutinen unterschiedlich aus, bilden sich verschiedene grammatische Teilsysteme. So werden Parameter durch begleitende Evaluation des Strukturaufbaus (sozusagen durch teilnehmende Supervision) gleich oder verschieden gesetzt, wobei dieses Setzen nicht mehr als einmalige Schalterstellung zu denken ist, sondern stufenweise erfolgt. Insgesamt bauen sich nach und nach getrennte Systeme auf, die aber qua geteilten Subroutinen konvergierende Teilsysteme aufweisen können.3
Es bedarf eines ausgeprägten Mutes zu steilen Thesen, theoretische Spekulationen dieser Art als empirisch überprüfbare psycholinguistische Hypothesen auszugeben. Müller et al. bringen ihn auf. Nun suchen sie aber (was guter deduktivistischer Methodologie entspräche) nicht nach Widerlegungen ihrer Theorie, sondern sie erheben Daten, die sich als mit ihren theoretischen Konjekturen verträglich interpretieren lassen. Das nehmen sie als Bestätigung.
So sammeln die Autorinnen Daten in Spielsituationen, in denen eine richtige Sprachwahl bereits vorgegeben ist. Als teilnehmende Beobachterinnen verhalten sie sich bezüglich der Sprachwahl stets unkooperativ. Dies halten sie für einen besonderen Vorzug ihrer Erhebungsmethode. Situationen, in denen Sprachen für die bilingualen Kinder frei wähl- und wechselbar gewesen wären, werden vermieden. Auch Situationen, in denen Kinder (ohne Beteiligung von außen) miteinander interagieren, werden nicht mit einbezogen.4 Dem Einwand, dass damit Gelegenheiten zur Sprachmischung von vorneherein beschnitten und das "Resultat" getrennter grammatischer Kompetenzen bereits vorausgesetzt ist, stellen sich die Autorinnen nicht. Sie deuten die sich in der Sprachwahl zeigende Kooperativität der Kinder (unter Verweis auf Köppe 1997) vielmehr als sprachliches Wissen, nämlich dahingehend, dass die Kinder sich "sehr früh darüber im Klaren sind, dass es in ihrer Umgebung zwei Sprachen gibt" (S. 198). Das mag so sein; nur sagt es über getrennte grammatische Kompetenzen nichts. Die Sprachwahl bilingualer Kinder kann sich ja – wie eingeräumt wird (z. B. S. 204) – der Fähigkeit zur situationsangemessenen Sprachverwendung verdanken. Dann ist sie aber mit einem grammatischen Vermögen verträglich, das Sprachfusion nicht nur zulässt, sondern in entsprechenden Situationen auch favorisiert. Um ihre Annahmen zur Sprachentrennung aufgrund "getrennt abgelegter" grammatischer Systeme einem Falsifikationstest auszusetzen, hätten sich die Forscherinnen gerade bemühen müssen, Sprachmischung und Sprachwechsel zu elizitieren. Stattdessen suchen sie Bestätigung in monolingual purifizierten Erhebungssituationen.
Mit Sprachmischung tun sich die Autorinnen schwer. Sie sprechen von kindlichem code-switching (S. 202f.) und dehnen das Konzept eines pragmatisch motivierten Sprachwechsels auch auf den intra-sententialen Bereich aus. Auf hier allenfalls einschlägige pragmatische Prinzipien gehen sie nicht weiter ein, sondern belassen es bei der Behauptung (Vermutung?), dass in gemischten Äußerungen grammatische Restriktionen der beteiligten Sprachen nicht verletzt werden (vgl. S. 202–208). Leider sind die Belege, anhand derer diese These erläutert wird, durchweg konstruiert.5
Für morphologische Sprachmischungen ist die Lage noch unübersichtlicher. Auf S. 10 etwa wird in Bezug auf das Beispiel "Io laufo, io esso" (Zimmer 1996) behauptet, dass "in der neueren Literatur zum Bilingualismus belegt ist, dass der Sprachwechsel innerhalb eines Wortes sehr selten und somit untypisch ist". Gleich auf der nächsten Seite finden sich aber die Beispiele "Esther, du cutst dein toe!" und "Ich habe geclimbed up." Auf S. 72 heißt es schließlich zu dem französisch-schwedischen Beispiel "där bouchen": "Die Existenz gemischtsprachlicher Äußerungen ist [...] charakteristisch für den bilingualen Erwerb." – Zwei Ad-hoc-Annahmen sollen das Vorkommen morphologisch fusionierter Wortformen mit der Annahme getrennter grammatischer Systeme verträglich machen: Zum einen, meinen die Autorinnen, könnte es sich bei diesen Formen um Entlehnungen handeln, was etwa an einer phonologischen Integration in das Lexikon der entlehnenden Sprache festzumachen wäre.6 Zum anderen sei mit "Probleme[n] mit der Operation 'Select'" zu rechnen, die dazu führen, "dass Kinder in frühen Erwerbsphasen Wörter aus der 'falschen' Sprache auswählen" (S. 205). Nun würde man freilich gerne wissen, was die Konzeption früh getrennter Lexika plus Entlehnung plus Problemen mit select noch empirisch von der Idee eines integrierten Lexikons im frühen Spracherwerb unterscheidet, gegen die die Autorinnen so entschieden Position beziehen. Vermutlich nur, dass Sprachmischungen in den erhobenen Daten aus monolingual vorgeprägten Erhebungssituationen vergleichsweise dünn gesät sind.
Die Marginalisierung von Sprachmischung jenseits von pragmatisch lizensiertem code-switching als Performanzphänomen ("unerklärbar", "Fehlgriff" (S. 205)), die schon bei Meisel (1989) anzutreffen war, unterschätzt m. E. die psycholinguistische Bedeutung des Phänomens. Gerade die Analyse grammatisch hybrider Konstruktionen könnte Einsichten zur Integration und Interaktion grammatischer Ressourcen bei Bilingualen ermöglichen. Besonders aufschlussreich sind vermutlich Kontaktphänomene bei typologisch verschiedenen Sprachen. Die einschlägige Literatur (z. B. Kallmeyer/Keim 2003, Földes 2005, Hinnenkamp 2005, Keim 2007, Özdil im Erscheinen) nehmen Müller et al. nicht zur Kenntnis.7
Dem Thema Spracheinfluss ist das umfängliche Kapitel 6 gewidmet. Es soll belegt werden, dass es im frühen simultanen bilingualen Erwerb Formen der Beeinflussung von Sprachen gibt, die allein aufgrund struktureller Gegebenheiten vorhersagbar seien und bei denen Sprachpräferenz (die Unterscheidung von starker und schwacher Sprache) allenfalls eine nebengeordnete Rolle spiele. Für den Erwerb der Verbstellung im Hauptsatz und die Verwendung von Determinanten wird jeweils ein beschleunigender Effekt im deutschen Erwerb durch eine romanische Sprache (Italienisch, Französisch) vorhergesagt. Der Erwerb zielsprachlicher Objekt- und Subjektauslassungen in den romanischen Sprachen soll dagegen durch den simultanen Erwerb des Deutschen zeitlich verzögert werden. Schließlich wird für den Bereich der deutschen Nebensatzwortstellung ein Transferphänomen prognostiziert: Die zielsprachliche Verb-Endstellung stelle sich bei dt.-frz. und dt.-ital. Bilingualen im Deutschen nicht nur verzögert ein, sondern erst nach einer mühsamen Korrektur der fehlerhaft aus den romanischen Sprachen übertragenen Wortstellung – nämlich für jeden Nebensatzeinleiter (Konjunktion oder Fragepronomen) einzeln. Alle theoretisch gewonnenen Vorhersagen8 werden durch erhobene Daten gestützt. Die Belege finden die Verfasserinnen im Vergleich von Verlaufsstudien zum monolingualen und bilingualen Spracherwerb. Besonderen Wert legen sie jeweils auf die Interpretation, dass die gefundenen Differenzen nicht mit Daten zur Sprachpräferenz korrelieren und tatsächlich strukturell zu deuten seien.
Einschlägige Kriterien für die Überzeugungskraft von empirischen Studien der im Kapitel 6 referierten Art sind Reliabilität (Sind die erzielten Resultate stabil und replizierbar?) und Validität (Liegen den Auszählungen triftige Operationalisierungen zugrunde? Wird wirklich gemessen, was gemessen werden soll?). In beiderlei Hinsicht schneiden die vorgestellten Studien wenig vorteilhaft ab. Ihre Datenbasis ist – auch hierin folgen die Autorinnen Meisel (1989) – ausgesprochen schmal. Immer geht es um Daten zu einer Handvoll Kindern. Über das Signifikanzniveau der quantitativen Vergleiche wird keine Auskunft gegeben, die Prozentangaben zugrunde liegenden absoluten Zahlen werden in aller Regel nicht mitgeteilt, zur Vergleichbarkeit der Daten und Auswahl korrelierter Variablen (Äußerungshäufigkeiten, MLU9, Lebensalter) findet man wenig. Betrachten wir kurz zwei Beispiele:
Zum Thema Subjektauslassungen werden die prozentuale Anteile der Subjektrealisierungen von fünf bilingualen (dt.-ital.) Kindern und einem ital. monolingualen Kind (Martina)10 in Abhängigkeit vom Lebensalter (1;7 bis 3;3) verglichen. Eine Abbildung auf S. 169 soll belegen, dass bilinguale Kinder unter dem Einfluss des Deutschen die Null-Subjekt-Eigenschaft des Italienischen verzögert erkennen. Die mitgeteilten Daten sind hier allerdings nicht nur (wegen sich überlappender Symbole) unklar dargestellt sondern auch lückenhaft. Für Martina etwa fehlen Daten zu 10 von 21 Erhebungszeitpunkten und in der Altersspanne von 2;8 bis 3;3 ganz. Angesichts dieser Lücken ist die Beschreibung (S. 168) schwierig nachzuvollziehen, nach der sich zeige, dass sich "die Subjektrealisierungen der bilingualen Kinder [...] auf ca. 40% einpendeln[11], während die [von] Martina (bis auf eine Ausnahme)[12] immer unter 40% bleiben [meine Hervorhebung, W. H.]". Vergleicht man direkt, so gibt es zwar bei Carlotta (nach S. 164 ein bilinguales Kind ohne Sprachpräferenz) fünf Erhebungstermine, an denen Martina unter und Carlotta über 40% liegt, aber bei Jan (starke ital. Präferenz) und Marta (starke dt. Präferenz) nur drei, bei Aurelio (starke ital. Präferenz) zwei und bei Lukas (ohne Präferenz) gerade mal einen. Bei Lukas bleiben in den mitgeteilten Daten die Subjektrealisierungen nun tatsächlich13 "(bis auf eine Ausnahme) immer unter 40%", was die Autorinnen so deuten, dass Lukas Martina "noch am nächsten kommt" (S. 169). Insgesamt scheint die lückenhafte Datensammlung wenig Evidenz für eine Korrelation jenseits zufälliger Streuung herzugeben, die die intendierte Deutung eines "verzögernde[n] Einfluss[es] des Deutschen auf das Italienische" (S. 169) stützte.
Beim Thema Objektauslassungen wird ein Einfluss des Deutschen auf das Italienische vorausgesagt. Es soll gezeigt werden, dass dt.-ital. und dt.-frz. bilinguale Kinder Objekte häufiger auslassen als ital. und frz. monolinguale und die zielsprachliche Auslassungsrate nur verzögert erreichen. Die Überlegung ist, dass das Deutsche Objektauslassungen syntaktisch auf die sog. Topik-Position vor dem Finitum beschränke, während sie in den beiden romanischen Sprachen hauptsächlich lexikalisch linzensiert seien. Gestützt würden die Auslassungen in beiden Fällen zudem pragmatisch, nämlich durch den Bezug auf thematische Diskursreferenten im Kontext. (Also: "Kennst du den Film?" – "Ja, _ kenn ich." vs. Conosci il film? – Sì conosco _. und Tu connais le film? – Si, je connais _.)14 – Zum grammatischen Phänomenbereich "Objektauslassungen" rechnen die Autorinnen für die romanischen Sprachen auch proklitische (mithin vorhandene) Objektpronomen und, vor allem im Französischen, weitere Konstruktionen15, die aber, wie eingestanden wird, "im Input der Kinder nicht sehr häufig vorkommen" (S. 146). Das mache den grammatischen Bereich in den romanischen Sprachen vergleichsweise komplex, wodurch als Einflussrichtung Deutsch → Französisch/Italienisch voraussagbar werde.
Der Einbezug insbesondere von klitischen Objektpronomen ist offensichtlich stark theorieabhängig. Er verdankt sich einer Analyse, die schwache Pronomen aus der kanonischen Objektposition fortbewegt, also dort (phonetisch) auslässt. ("Marie lei voit _i.", "Maria loi vede _i."). Natürlich kann man mit wenigstens gleichem Recht argumentieren, dass durch schwache Pronomen realisierte Objekte (bewegt oder nicht bewegt) gerade nicht ausgelassen sind. Und in der Tat ergeben die Angaben zum kindlichen Input16 für Objektrealisierungen (S. 146) bei den drei Sprachen für Auslassungen, lexikalische NP und Pronomen insgesamt keine nennenswerten Unterschiede. Alles, was sich zeigt, ist, dass das Deutsche keine klitischen Pronomen hat. Beim Einbezug der Klitisierung von Pronomen in den Bereich "Objektauslassungen" könnte es sich also um ein Artefakt der Beschreibung handeln und es bleibt unklar, der Erwerb welchen grammatischen Phänomens eigentlich nun empirisch erhoben werden soll. – Für den dt. Spracherwerb, so vermuten die Autorinnen, hinge die Einsicht in die syntaktischen Lizensierungsbedingungen für auslassbare Objekte vom Erwerb der Stellung des Finitums im Hauptsatz ab.17 Bis dahin seien Auslassungen allein pragmatisch bedingt. Die lange Beibehaltung dieser "freien", weil syntaktisch oder lexikalisch unbeschränkten, Strategien soll bei simultan erworbenen romanischen Sprachen den Erwerb der für Monolinguale bereits eher erkennbaren Restriktionen inhibieren.
Beim Zusammenstellen von Daten aus verschiedenen Studien, die zur Bestätigung dieser Hypothese herangezogen werden, geht es bunt zu. Mal werden zielsprachliche (S. 146), mal nicht-zielsprachliche (S. 150f.), mal Auslassungen überhaupt (S. 152f.) gezählt. Mal sind die Daten elizitiert (S. 151), mal registriert (S. 152f.). Mal wird zwischen klitischen und starken Pronomen unterschieden (S. 155f.), mal nicht (S. 152f.). Mal wird eine kritische MLU-Größe18 berücksichtigt (S. 150f.), mal nicht (S. 152–157). Mal ist diese Größe mit 2.6 (S. 153) mal mit 3 (S. 148), mal mit 3.5 (S. 149) angesetzt. Meist sind Objektauslassungen und -realisierungen prozentual in Abhängigkeit vom Lebensalter angegeben, wobei die Erhebungszeiträume variieren: so werden Daten zu den Zeiträumen 1;7–2;7, 2;1–3;3 und 1;9–2;5 miteinander verglichen (S. 152f.) wie auch zu den Zeitpannen 2;2–3;2 und 3;0–4;0 (S. 155f.). Neben der Dokumentation von Auszählungen aus manchen Studien steht die krude Mitteilung von Resultaten (und Deutungen) aus anderen (S. 154). Zusammenfassende Beschreibungen19 sind nicht nachvollziehbar statistisch untermauert.
Zudem machen die (wenigen) mitgeteilten Einstufungen von konkreten Belegen einen recht freien Gebrauch vom hermeneutischen Prinzip der rich interpretation, das im Umgang mit frühkindlichen Daten als unumgänglich angesehen wird. So findet sich die Behauptung, mit der durch "Da reißt roudi ab" widergegebenen Äußerung des Kindes Baroudi im Alter von 2;4 läge ein typischer Fehler vor: "[Z]ielsprachlich wäre reißt baroudi da ab" [!] (S. 148). Natürlich aber könnte Baroudi "abreißen" intransitiv verwendet haben mit dem Adverb "da" in der Topik-Position oder da könnte als demonstratives "das" zu nehmen sein, so dass in beiden Fällen gar keine Objektauslassung vorläge. – Ein weiteres Beispiel, in dem die Autorinnen ihre Interpretationshoheit m. E. entschieden überziehen, findet sich auf S. 157. Céline äußert im Alter von 2;7 C'est pour mettre. Der erwachsene Interaktionspartner (eine der Forscherinnen?) "wiederholt die Äußerung des Kindes, um gleich anschließend nachzufragen, um was es geht": pour mettre quoi? Dazu liest man dann: "[D]ie Referenz des ausgelassenen direkten Objekts ist unklar und die Auslassung muss aus Sicht der Erwachsenen [!] als nicht-zielsprachlich [?] beurteilt werden, wobei sie nur das direkte Objekt [...] erfragt, obwohl beide Objekte [?] ausgelassen wurden". Die Nachfrage gilt hier aber wohl20 der Referenz von ce. Ausgelassen wurde also neben der Ortsangabe nicht das direkte Objekt von mettre, sondern natürlich – und zielsprachlich – das Subjekt. Man kann vermuten, dass die "Sicht der Erwachsenen" nicht immer angemessen ist.
Studienbücher mit einführendem Charakter haben sich besonderen didaktischen Ansprüchen zu stellen. (1) Alternativen Konzeptionen sollte, sofern Resultate nicht als gesichert gelten können, angemessen Raum gegeben werden – namentlich, wenn es um die Einführung in ein interdisziplinäres Forschungsfeld geht, das von verschiedenen Disziplinen methodisch und theoretisch sehr unterschiedlich behandelt wird. (2) Des weiteren stehen Einführungen in Gebiete, die praxisrelevante Anwendungsbereiche betreffen, unter dem Anspruch, den theoretischen Hintergrund ihrer Darstellungen möglichst durchsichtig zu machen, zumindest aber, dem interessierten Publikum einen kritischen Zugang nicht zu verstellen. (3) Schließlich darf man neben einer wohlüberlegten, Ein- und Überblick erlaubenden Auswahl und Anordnung der Themen eine verständnisfördernde sprachliche Gestaltung erwarten, begriffliche Klarheit und argumentative Durchsichtigkeit. – In Hinblick auf diese drei Punkte ist es bei dem hier besprochenen Buch nicht zum Besten bestellt.
Ad (3): Ich rede nicht von Errata und Druckfehlern21, die zumindest in einer "2., durchgesehenen und aktualisierten Auflage" vermeidbar gewesen wären. Gravierender ist ein Formulierungsungeschick, das es mitunter unmöglich macht, auch nur zu ahnen, was gemeint ist. Auf S. 151 wird im Zusammenhang der Frage des Erwerbs von Objektauslassungen (s. o.) die besondere Datenlage in einer Studie von Guasti referiert, in der nicht nur Objekte, sondern auch andere "klitisierbare Komplemente" ("Reflexivpronomina", nicht obligatorische "Verbergänzungen") berücksichtigt worden seien. Nebenbei erfährt man (unter Bezug auf Müller/Riemer 1998), dass derartige Komplemente "sogenannte Adjunkte" [!] sind. Dazu heißt es dann vollständig wirr: "Demnach muss vermutet werden, dass die Prozentzahl [der Auslassungen?, der Realisierungen? von was?] weit unter [oder vielleicht über?] der angegebenen [??] liegt, um mit den vorliegenden deutschen Daten [welchen?] vergleichbar zu sein [meine Hinzufügungen, W. H.]."
Im Italienischen muss, anders als im Englischen, das Subjekt nicht realisiert werden. Es gibt – vgl. S. 38 – (z. B. im Italienischen) "Sätze ohne realisiertes Subjekt" und (z. B. im Englischen) "Sätze mit realisiertem Subjekt". Dem ist kaum zu widersprechen. Daraus macht aber das Team der Autorinnen, dass letztere eine Teilmenge von ersteren bildeten. Das ist leider mehr als ein kleiner begrifflicher Ausrutscher. Dass zwischen dem Englischen und dem Italienischen eine "Teilmengenrelation" bestehe, ist den Autorinnen eine 1/3 Seite einnehmende Darstellung im Venn-Diagramm wert. Und sie erläutern das angenommene Inklusionsverhältnis als Durchschnitt: "Abbildung 7 soll verdeutlichen, dass Sätze mit realisiertem Subjekt in beiden Sprachen [...] vorhanden sind. Sie stellen also die beiden Sprachen gemeinsame Menge dar." Die Entdeckung, dass englische Sätze mit realisiertem Subjekt italienische Sätze sind, ist gewiss eine neue Erkenntnis.
Begriffliche Unschärfen dieser Art sind nicht selten. Auf S. 78 werden die Begriffe Verb, Verbform und Verb-token (Verbformvorkommen) durcheinandergeworfen.22 – "Topik" wird auf engstem Raum (S. 143) mal für eine syntaktische Position (vor dem dt. Finitum), mal als thematisch saliente Information des Kontexts verwendet.
In den Abschnitten 3.2 und 3.3 geht es um den Unterschied von Querschnitts- und Longitudinalstudien. Was diesen Unterschied ausmacht, erfährt man nicht. Warum z. B. eine Studie von Goodz, die auf S. 52 kurz vorgestellt wird und in der 13 Kinder alle 6 Wochen beobachtet wurden, eine Querschnitts-, die aber von Redlinger und Park auf S. 55, in der vier Kinder alle 3 Wochen beobachtet wurden, eine Longitudinalstudie ist, bleibt unerklärt.23
Das Kapitel 4, das die Themen Sprachdominanz, -präferenz, -balanciertheit, starke vs. schwache Sprache erörtert, leidet sehr darunter, dass nicht zwischen vortheoretisch beobachteten Phänomenen, verhaltensbezogener Operationalisierung und theoretisch eingeführten Größen unterschieden wird. Es sollen "Kriterien zur Messung des Sprachstands" (S. 73) entwickelt werden, die es erlauben, Unterschiede im Sprachgebrauch (Performanz) von solchen des grammatischen Wissens (Kompetenz) zu unterscheiden. Erstere seien durch quantitative Aspekte charakterisierbar, für sie biete sich der Terminus "Präferenz" an, letztere hingegen durch qualitative, und es sei von "Dominanz" zu sprechen. Offenbar aber weil der Terminus "Dominanz" impliziere, "dass ein Einfluss der dominierenden Größe auf die dominierte Größe ausgeübt wird" (S. 92) und Einfluss nach der Theorie der Autorinnen ja unabhängig vom Sprachstand vornehmlich an Strukturhomologien in einzelnen grammatischen Bereich festgemacht werden soll (s. o.), heißt es sogleich: "In diesem Buch wird der Begriff Dominanz in einer sehr allgemeinen Bedeutung im Sinne von 'unbalancierter Sprachentwicklung' verwendet" (S. 73). Das freilich scheint in Vergessenheit geraten, wenn ein paar Seiten später einschlägige Kriterien (siehe S. 73f.) daraufhin überprüft werden, ob sie als "vornehmlich" qualitative Kompetenzunterschiede indizieren oder als quantitative Performanzunterschiede.24 Dominanzbezogene Kriterien, so soll gezeigt sein, gehen mit Unterschieden des Sprachstandes bei unbalancierten Kindern einher, performanzbezogene nicht unbedingt. In Ermangelung unabhängiger Kriterien für (Un)balanciertheit ist das Vorgehen offensichtlich zirkulär. Es tröstet nicht, wenn es am Ende dieses konzeptuell konfusen Kapitels heißt, "dass der Begriff der Sprachdominanz klärungsbedürftig" (S. 93) bleibe.
Die in Tabellen und Schaubildern präsentierten Daten passen mitunter nur partiell zu den dargestellten Phänomenen und Argumentationen. Die Tabelle 11 (S. 150) und das Säulendiagramm (S. 151) sollen Informationen zu Objektauslassungen monolingualer Kinder (12 deutsche, 9 französische und 15 italienische) bieten. Es werden Daten aus drei Querschnittsstudien zusammengefasst und mit Prozentangaben repräsentiert, wobei jeweils zwei Gruppen (eine mit einem MLU-Wert unter- und eine mit einem oberhalb einer kritischen Größe) verglichen werden. Warum hier freilich im Fall der deutschen Kinder die erste Gruppe gleich zweimal untersucht wurde25 und warum auch die nicht-zielsprachlichen Subjektauslassungen repräsentiert werden, bleibt unklar.
Auf S. 28f. wird anhand des ungelenkten Französisch-Erwerbs einer L2-Lernerin (mit Spanisch als Muttersprache) ein Fall positiven Transfers dargestellt.26 Die Daten sollen zeigen, dass die Lernerin die im Französischen (gegenüber dem Spanischen) eingeschränkteren Möglichkeiten zum Fortfall eines Determinators schneller erworben hat als Erstspracherwerber des Französischen dies tun. In Abhängigkeit von der Aufenthaltsdauer (1.5 bis 30 Monate) werden jeweils Realisierungen von französischen DPen mit und ohne Determinator in absoluter Anzahl in einem Säulendiagramm repräsentiert. Wie viele davon zielsprachlich waren, erfährt man nicht. Entscheidend wäre hier nun natürlich der Vergleich mit frz. Erstspracherwerbern.27 Dazu gibt es aber keine Daten. Dafür werden in das Säulendiagramm für die L2-Lernerin weitere Daten zu den Kategorien "Gemischt frz. Det", "Span. DP / Gemischt span. Det" und "Nackte N (absolut) [?]" aufgenommen.28 Parallel zur y-Achse, die die zu den jeweiligen Zeitpunkten der Aufenthaltsdauer verschiedene absolute Anzahl der produzierten DPen (in den untersuchten Kategorien) angibt, ist dann noch eine Skala "Determinantenauslassungen (%)" hinzugefügt, wobei völlig unklar bleibt, welche Anzahl jeweils als 100% zu setzen ist.
Ad (2): Mit welchen grammatischen tools (Konzepten, Prinzipien, Theorien) sprachliche Daten von Spracherwerbern linguistisch analysiert werden können/sollten und welche interne Strukturierung als psycholinguistisch manifest (oder wie es so schön heißt als "mental repräsentiert") anzunehmen ist, das ist zweierlei. Beides qua "Wahl eines theoretischen Rahmens" in eins zu setzen, charakterisiert das Vorgehen der Einführung (und ist seine Hypothek). Wie genau der Rahmen allerdings gezimmert ist, wird nicht klar. Die Autorinnen greifen hier mal auf diese, dann wieder auf jene generativen Versatzstücke zurück. Mal sind syntaktisch vollständige Nominalgruppen DP (z. B. S. 29, 72 und 155f.), mal NP (z. B. S. 126f. und 171f.). Mal ist das Subjekt kanonisch in der Spezifikatorposition der IP (z. B. S. 126f.) angesiedelt, dann wieder in der VP (S. 197). Mal dominiert das X'-Schema (z. B. S. 172f.), dann bezieht man sich auf minimalistische Derivation (S. 196). Dass die Autorinnen wenig Neigung zeigen, ihr analytisches Besteck im einzelnen auszupacken, vorzustellen und zu erläutern,29 macht ihre Ausführungen zu empirischen Phänomenen oft schwierig nachvollziehbar. Man vermisst didaktische Stringenz.
Auf S. 72 z. B. geht es um die Auffassung, dass "syntaktische Kategorien [...] wie CP (Komplementiererphrase) in der schwächeren Sprache später erworben werden als in der stärkeren", und dazu heißt es in einer Anmerkung erläuternd: "Die CP enthält neben nebensatzeinleitenden Elementen, wie z. B. dass und ob (in COMP), auch z. B. Fragewörter", womit jemand, der von Phrasen, dem X'-Schema, funktionalen Köpfen, Spezifikatoren, Komplementen, Komplementierern und Operatoren Genaueres nicht weiß, wenig wird anfangen können. Gänzlich verwirren wird ihn, wenn er auf S. 126 den dt. Satz Petra baut ein Haus als CP dargestellt findet (aber ohne nebensatzeinleitendes Element und ohne Fragewort) und wenn er – gesetzt er hat die Erläuterung von S. 72 noch im Kopf – auf S. 171f. erfährt, dass manche "Nebensatzeinleiter" (neben denn und sondern auch weil und obwohl) im "deutsche[n] Nebensatz"[sic!] nicht zur CP gehören. Vielleicht schließt er, dass diese "Nebensatzeinleiter" keine nebensatzeinleitenden Elemente sind (womit er ja gar nicht so falsch läge).
Statt das jeweils Relevante didaktisch durchsichtig bereit zu stellen, verheddern sich die Autorinnen mitunter in Terminologie und Notationsvarianten der von ihnen favorisierten "modernen" (S. 191) Theorie: Für den Ausschluss der Erfragbarkeit des Subjekts eines mit dass eingeleiteten Komplementsatzes (Wann sagtest du, dass der Weihnachtsmann kommt vs. *Wer sagtest du, dass morgen kommt) gibt es den durch das Englische motivierten Terminus that-t-Effekt. Müller et al. beschreiben das Phänomen anhand englischer (und, kontrastierend, italienischer) Beispiele als (un)zulässige Bewegung einer Phrase aus ihrer kanonischen syntaktischen Position. Das kommentieren sie ausführlich: "Wir sind [...] absichtlich von der Konvention abgewichen, in der Ausgangsposition des verschobenen Elements eine durchgestrichene Kopie zu notieren, da die Spur, als t benannt (für engl. "trace"), der syntaktischen Eigenschaft ihren Namen gegeben hat. [...] Wir werden in unserer Einführung weiterhin die Spur durch die Kopie des verschobenen Elementes markieren. Diese Notation[30] ist inzwischen weit verbreitet und ist durch Erneuerungen im theoretischen Modell der generativen Grammatik begründet; dies können wir aus Platzgründen aber nicht weiter führen." (S. 35) Der didaktische Nutzen der Dopplung geht gegen Null, zumal im weiteren Verlauf des Buches nicht – wie angekündigt – nur die Notation mit Kopien (z. B. S. 172f.), sondern auch die mit (indizierten) Spuren (z. B. S. 144f.) Verwendung findet.
Dt.-ital. und dt.-frz. Bilinguale haben, so glauben Müller et al., größere Schwierigkeiten mit dem Erwerb der dt. Nebensatzwortstellung als monolinguale dt. Kinder. Das liege daran, dass diese Kinder eine Wortstellung ohne Haupt-Nebensatz-Asymmetrie aus ihrer romanischen Sprache aufs Deutsche übertragen (Transfer, s. o.) und sich dann mit der Umstellung schwer tun.31 Der Sachverhalt stellt sich in dem gewählten "theoretischen Rahmen" so dar, dass einem bilingualen Kind etwa für den dt. Hauptsatz "Peter isst den Apfel" schon früh die einfache "romanische" Struktur (i) zur Verfügung steht und es zunächst keine Nötigung sehen muss, die kompliziertere Analyse (ii) aufzubauen.
(i) | [CPSpec[C'
comp[IPPeter[I'
isst[VP[V |
(ii) | [CPPeter[C'isst
[IP |
Von (i) führe aber beim Erwerb eines Komplementierers (z. B. wenn für comp) kein einfacher Weg zur korrekten Nebensatzstruktur (iii), weil die romanisch induzierte Analyse (iv) wie auch die romanisch modifizierte Analyse (v) – mit rechtsköpfiger VP – nicht die zielsprachliche Linearisierung erbrächten:
(iii) | [CPSpec[C'wenn
[IPPeter
[I'[VP[[NPden
Apfel] V |
(iv) | *[CPSpec[C'wenn
[IPPeter
[I'isst[VP[V |
(v) | *[CPSpec[C'wenn
[IPPeter
[I'isst[VP[[NPden
Apfel]V |
Es heißt: "Legt das Kind eine [IP]-Struktur, wie in [(iv)] oder [(v)] dargestellt, zugrunde, wird es nicht ohne weiteres Nebensätze mit Verb-End-Stellung verwenden können, weil die Besetzung der Position comp durch einen Nebensatzeinleiter keine vom Hauptsatz unterschiedliche Wortstellung mit sich bringt. In der Struktur [(iv)] gibt es zudem keine satzfinale Position für das Verb" (S. 173). Nun bleibt diese "Argumentation" einen Grund für die Erforderlichkeit einer romanisch immer linksköpfigen, im Deutschen immer rechtsköpfigen IP schuldig. Warum kann das Kind nicht (mit dem Erwerb von nebensatzeinleitenden Elementen) auf die Idee kommen, dass die leere Komplementiererposition im Deutschen linksköpfige, die lexikalisch gefüllte rechtsköpfige IPen als Komplement nimmt? Und warum überhaupt muss die Finitheitsmorphologie des Verbs eine eigene Phrase induzieren? Ein eher minimalistisch orientiertes Kind könnte sich die IP ganz schenken,32 das Subjekt als Spezifikator der VP annehmen und im Deutschen leere Komplementierer mit linksköpfigen, lexikalisch gefüllte mit rechtsköpfigen finiten VP kombinieren. Solche Fragen weder zu diskutieren noch überhaupt beim Leser als mögliche zu antizipieren, belegt – freundlich gesprochen – den undidaktischen Charakter dieses Studienbuchs. Weniger freundlich: einen Umgang mit Theorie, die nicht kritisch verstanden, sondern unbefragt akzeptiert werden soll.
Ad (1): Ist das die "Mehrsprachigkeitsforschung", in die einzuführen gegenwärtig dringlich ist? Da möchte man Vorbehalte anmelden. Die weitgehende Ausklammerung von sprachpolitischen, soziolinguistischen sowie sozialpsychologischen und pädagogischen Aspekten ist sicher bedauerlich. Aber auch bei den im Text fokussierten Themen kann (zumindest vorläufig) von einem transparenten Ineinandergreifen von Generativer Sprachtheorie und empirischer Datenerhebung nicht die Rede sein. Schlimmer noch: Indem es als Einstieg in den interdisziplinären Diskurs scheitert, leistet das Buch der Kontaktsituation von kognitiver und Entwicklungspsychologie auf der einen und Sprachwissenschaft auf der anderen Seite33 einen Bärendienst: Wer wollte PsycholinguistInnen verdenken, dass sie – wäre denn dies der Beitrag der Linguistik – den simultanen Erstspracherwerb als Thema lieber methodisch und theoretisch allein im Rahmen der Psychologie verorten und von der Sprachwissenschaft besser nur einbeziehen, was die Schulgrammatik zu lehren weiß?
1 Zum Zwecke der Orientierung über die generative Grammatik verweisen die Autorinnen auf zwei Publikationen mit Frau Müller als einer von je zwei AutorInnen sowie auf eine Einführung in die Hispanistik (S. 17) – eine Empfehlung, die sich in einem Studienbuch, das sich neben RomanistInnen (Französisch – Italienisch) auch an GermanistInnen sowie an Studierende der Allgemeinen Sprachwissenschaft und Pädagogik wendet (S. 10), etwas merkwürdig ausnimmt. zurück
2 Zitiert nach Dürscheid (2007: 129), die das Zitat für die Darstellung der Generativen Sprachtheorie als Motto verwendet. Man bedenke freilich die Vagheit von "strictly speaking", der sich ja die apodiktische Wucht dieses deduktivistischen Credos verdankt. (Das Originalzitat findet sich bei Chomsky (1977: 77).) zurück
3 Auf S. 195 wird dafür auch MacSwans Terminus "mixed grammar", wie es scheint zustimmend, zitiert. An anderer Stelle (S. 202f.) wenden sich die Autorinnen vehement gegen die Annahme einer "dritten Grammatik". zurück
4 Wie auch (möglicherweise interessante) Daten "egozentrischen" Sprechens von Kindern im Spiel mit sich selbst. Im übrigen beschränken sich die empirischen Erhebungen auf Daten zur Sprachproduktion. Sprachverstehen kommt nicht in den Blick. zurück
5 Ein konstruiertes Beispiel, in dem gleichwohl stärker gemischt wird, als den Autorinnen lieb sein kann, findet sich auf S. 187: "Je pense que es ist zu spät, um nach Hause zu fahren". Zwar sind die beiden Teile je für sich zielsprachlich, aber ihre Zusammenstellung ist syntaktisch inkohärent: Sollte hier nämlich je pense que ("Ich glaube, dass") in eine deutsche Struktur eingeschaltet worden sein, müsste man "... es zu spät ist, um nach Hause zu fahren" erwarten. Prägt dagegen je pense que der Äußerung eine französische Wortstellung auf, wäre "... es ist zu spät, um zu fahren nach Hause" zu erwarten. zurück
6 Dann sollte z. B. der Verbstamm in "Io laufo" im italienischen Verwendungskontext ohne, im deutschen aber mit Diphthong realisiert werden. Hypothesen dieser Art werden von den Autorinnen nicht geprüft und nur im Potentialis erwogen. Auf S. 196 etwa heißt es zum (konstruierten) deutsch-italienischen Beispiel "verschieberò": "Würden die Grapheme v und r italienisch ausgesprochen, wäre dies Evidenz dafür, dass das deutsche Wort phonologisch in das Italienische integriert wurde". Was freilich beim frühkindlichen Bilingualismus (also wohl vor dem Erwerb der Schriftsprache) die erwogene Entlehnung mit Fragen der Phonem-Graphem-Korrespondenz für Frikative und Liquide zu tun haben soll, bleibt dunkel. Steht denn für die italienische Realisierung des dt. Graphems <sch> hier [sk] zu erwarten? zurück
7 Hier zwei donauschwäbisch-ungarische Beispiele aus Földes (2005), der eine Fülle von Material bietet:
(i) | Schit:' miar ans Gläsliba! 'Schütte es mir ins Gläslein!' (S. 153) |
(ii) | Tuar's ne:i a Sup:ába 'Tu es hinein in die Suppe!' (S. 111) |
(iii) | Okey, kannst diskutieren yaparsin. 'Okey, du kannst diskutieren'. |
8 Die Herleitung der theoretischen Voraussagen ist im einzelnen leider nicht sonderlich transparent. Schon die Formulierung der zugrunde liegenden Kriterien (S. 121f.) bleibt vage und wird zudem im Einzelfall ad hoc modifiziert (vgl. etwa S. 147f.). Die Grundidee ist, dass es Bereiche der Überlappung sprachlicher Konstruktionen gibt (z. B. die Wortstellung in dt. "Peter isst den Apfel" und it. Piero mangia la mela), die Realisierungen unterschiedlicher grammatischer Strukturierung sein können (V2 im Deutschen, SVO im Italienischen) und (evtl. zusätzlich) in morphologischem oder pragmatischem Kontrast zu Alternativkonstruktionen stehen (vgl. dt. "Peter liebt den Wein/Wein" und frz. Pière aime le vin/du vin). Für einen solchen Überlappungsbereich sollen zugrunde liegende Analysen verglichen werden, und die Voraussage ist, dass die Sprache mit der weniger komplexen die mit der komplexeren beeinflusst. Unklar bleibt, ob die zu vergleichenden Analysen sich auf die Zielsprachen insgesamt beziehen sollen oder hier nur (alle möglichen?) Analysen in Betracht zu ziehen sind, die mit dem speziellen sprachlichen input der Spracherwerber verträglich sind. Die Unterscheidung zwischen (fragmentarischer) input-Sprache und (gesamter) Zielsprache wird nicht hinreichend berücksichtigt. zurück
9 Mean length of utterance, durchschnittliche Äußerungslänge: Als Zähleinheit kommen etwa Silben, Morpheme oder Wörter in Frage. zurück
10 Die Daten zu Martina stammen, wie auf S. 162 mitgeteilt wird, aus der CHILDES-Datenbank. zurück
11 Warum spielt hier 40% die Rolle eines Schwellwertes? Das wird an Ort und Stelle nicht erläutert, soll sich aber vermutlich aus einer auf S. 159f. mitgeteilten Auszählung von 1637 italienischen Sätzen ergeben, die zeige, dass "italienische[...] monolinguale[...] Erwachsene[...] Subjekte zu gut 60% nicht phonetisch realisieren". Dies wird in einer Säulengraphik auf S. 160 unter dem Titel "Subjektauslassung[...] im kindlichen Input [meine Hervorhebung, W. H.]" präsentiert. (Neben 60% Auslassungen werden dort 20% starke Pronomen und unter 10% DPen angeführt. Welche Subjektrealisierungen diesen Anteil auf 40% auffüllen, bleibt unklar.) Woher die 1637 Sätze stammen, erfährt man nicht und auch nicht, inwiefern sie als repräsentativ für den tatsächlichen input von Martina und den fünf bilingualen Kindern gelten können. zurück
12 Es findet sich freilich bei den unabhängig auf S. 163 mitgeteilten Realisierungsdaten für Martina eine zweite, in der Abbildung auf S. 169 unterdrückte Ausnahme. Im Alter von 2;3.22 lag ihr Prozentsatz ebenfalls (wie vorher im Alter von 1;11.2) knapp über 40%. zurück
14 Freilich bildet das lineare Wortstellungsmuster hier gerade keinen Überlappungsbereich. zurück
15 Hierzu zählen die Autorinnen bestimmte Linksversetzungen ("Ce livrei, je connais un mec qui _i a lu _i") und vorangestellte Relativpronomen ("Tu connais pas le truc quei j'ai mangé _i"), dazu Konstruktionen mit arbiträren Objekten ("Cette musique rend _ heureux") und, "häufig in Imperativen", leere Deiktika ("Prends _!"). Wohl eher in den beiden letztgenannten Bereichen als in dem der Gegenüberstellung von syntaktisch vs. lexikalisch lizensierten Auslassungen finden sich Überlappungen mit dem Deutschen ("Diese Musik macht _ glücklich", "Nimm _!"). zurück
16 Dem liegen (vor allem wohl zielsprachliche) Äußerungen von "monolingual deutschen, französischen und italienischen Interaktionspartner[n] einiger der in diesem Buch vorgestellten bilingualen Kinder" (S. 145f) zugrunde. Damit geht es offenbar nicht um die Erfassung des jeweiligen konkreten input. zurück
17 Dafür sei, wie Müller et al. annehmen (ohne das explizit zu begründen), der Erwerb der CP (und damit von Hypotaxe) der Schlüssel. zurück
18 Die Annahme, dass diese Größe mit dem Erwerb der CP korreliert, wird weder erläutert noch überprüft. zurück
19 "[Es] wird deutlich, dass die Objektauslassungen bei den Kindern, die eine der beiden romanischen Sprachen erwerben, deutlich früher (um 2;5) zurückgehen, während dieser Rückgang im Erwerb des Deutschen später und langsamer stattfindet" (S. 153). zurück
20 Schließlich kann man sich zielsprachlich z. B. mit C'est pour boire sehr wohl nicht nur auf Strohhalm oder Gefäß, sondern auch auf das Getränk beziehen. zurück
21 Auf S. 145 (Z. 4 v. u.) muss es "Es" statt "Er" heißen, auf S. 68 (letzte Textzeile) "Beispielen" statt "Besipielen". Drei Zeilen drüber ("[...], das Verb muss immer in der zweiten Position stehen") fehlt "im Haupt- oder direkten Fragesatz". In der Tabelle 11 (S. 150) sind in der zweiten Zeile "2." und "1." vertauscht, in der dritten muss es "2. Deutsch" statt "1. Deutsch, 2. Aufn." heißen. Dies behindert den Vergleich mit der Abbildung 37 (S. 151) sehr. zurück
22 Eine "Tokenanalyse", erfährt man, "widerspiegelt, wie viel ein Kind in einer Sprache spricht". Demnach ist ein token ein Vorkommen. Aber sogleich: "laufen, gehen, rennen sind drei Typen (und 3 Token); gehe, gehst, geht sind 3 Token desselben einen Typs gehen (hier in der Infinitivform notiert)". Demnach ist ein token wohl eine Verbform. zurück
23 Der entscheidende Punkt ist natürlich, dass in einer Longitudinalstudie Daten aus einer Sukzession von Erhebungen, je den einzelnen Probanden zuordenbar sein müssen. Dass dieselbe Gruppe von Probanden mehrfach in zeitlichem Abstand untersucht worden ist, reicht nicht. zurück
24 Es ist aber ein Unterscheid, welcher Natur ein Kriterium ist (qualitativ oder quantitativ), und wofür es ein Kriterium ist. Auch dann, wenn die Überschreitung eines kritischen MLU-Wertes mit dem Erwerb der CP korrelieren sollte (dafür bleibt die Einführung jedes Argument schuldig) und man sie darum als Kriterium für einen qualitativ bedeutsamen Punkt der Sprachentwicklung heranziehen könnte, bleibt die Messgröße quantitativ. Die Hecke "vornehmlich" hilft nicht gegen die Konfusion. (Auf S. 148 wird MLU, das auf S. 73 zu den "vornehmlich" qualitativen Kriterien zählt, entsprechend als quantitativ eingestuft.) Wenn aber auch quantitative Kriterien "auf einen qualitativen Unterschied" (S. 86) schließen lassen, bietet die Entgegensetzung qualitativ vs. quantitativ keine Grundlage mehr für die Unterscheidung kompetenz- und performanzrelevanter Kriterien. zurück
25 Diese Gruppe hatte bei der ersten Erhebung "einen durchschnittlichen MLU unter 3 und zeigte die mit der CP assoziierten Strukturen sehr selten oder gar nicht" (S. 148). Bei der zweiten Erhebung "nach 6 Monaten" "verwendete [sie] dann die obigen Strukturen". Wie sich der MLU-Wert inzwischen entwickelt hatte, wird nicht mitgeteilt, und ebenso wenig irgendetwas zu dem (nur geringen) Unterschied bei Objektauslassungen in der wiederholten Erhebung. zurück
26 Mit Hinblick auf die Unterscheidungen im 6. Kapitel würde man hier eher die Bestimmung "beschleunigender Spracheinfluss" erwarten. zurück
27 Wobei sich die Frage stellt (aber unerörtert bleibt), mit welcher unabhängigen Variablen für den Erstspracherwerb die Größe Aufenthaltsdauer denn beim Vergleich in Beziehung gesetzt werden sollte. zurück
28 Da dies offenbar im gegebenen Zusammenhang irrelevant ist, kommentieren die Verfasserinnen: "Die relative und absolute Anzahl der gemischtsprachlichen Nominalphrasen wollen wir hier nicht weiter besprechen." (S. 28). Sie können's aber nicht lassen und nutzen die Gelegenheit für die Bemerkung, dass die Lernerin in der Äußerung "el problema de moi" eine "vollständige DP [...] in spanischer Sprache produziert" habe, was freilich die ungewöhnliche Analyse [[DPel problema][PPde moi]] voraussetzt gegenüber der üblichen [DPel[NPproblema[PPde moi]]]. zurück
29 Ich verkenne die Schwierigkeiten nicht. Nur bleibt als didaktischer Anspruch an eine Einführung unverzichtbar, dass sie erforderliches Hintergrundwissen bedacht auswählt und durchsichtig präsentiert. zurück
30 Sie ist im übrigen nicht korrekt beschrieben: Eine Kopie wird (durch merge) neu angefügt, das Original wird durchgestrichen. zurück
31 Den beigebrachten empirischen Bestätigungen für diese Annahme gehe ich hier nicht nach. Die Deutung der vorgelegten Daten (S. 175f.) weist m. E. einige der kühnsten Argumente auf, die das Buch zu bieten hat, etwa wenn auf S. 178 mit nicht-zielsprachlichen Äußerungen ("Fehlern") des Probanden Jan argumentiert wird, die zwar nicht belegt sind, aber "möglicherweise [...] im Abstand zwischen zwei Aufnahmen (in seinem Fall bis zu 3 Wochen)[meine Hervorhebung, W.H]" vorgekommen sein könnten. – Die vorausgesagte erschwerte Umstellung nach dem Erwerb der CP müsste im übrigen auch die Hauptsatzwortstellung tangieren, etwa bei vorangestelltem Adverbial, was im Widerspruch zu den oben erwähnten Ergebnissen in Meisel (1989) steht, der bei seinen beiden bilingualen Probanden ja gerade für diesen Fall eine saubere Trennung der Wortstellungsmuster beobachtet hat. zurück
32 Nicht nur Kinder. Auch ausgewachsene generative Germanisten sind auf diese Idee gekommen. Vgl. Haider (1997) und Sternefeld (2006). zurück
33 Vgl. etwa Harley (2008) und Gaskell (2007). zurück
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