Vorwort der Herausgeberin

Gesine Lenore Schiewer (Bern)


Übersetzung

Theorie und Praxis bilingual vermittelter Kommunikation in der Diskussion

 

Das Übersetzen und Dolmetschen von schriftlichen und mündlichen Texten geht mit der Herstellung von Sprachkontakten einher. Dies betrifft zunächst natürlich den Translator selbst, der aufgrund seiner bi- oder multilingualen Kompetenz sowie seiner professionellen Ausbildung zur sprachlichen Transferleistung in der Lage ist. Diese erbringt er im Allgemeinen jedoch nicht zu seinem eigenen Nutzen (oder Vergnügen), sondern als Vermittlungsbeitrag für Andere, die nicht über seine sprachliche Übertragungskompetenz verfügen und daher gerade nicht in den Prozess des Sprachkontakts eingebunden sind.

In strikter Auffassung kann zwischen den Feldern von Translation und Sprachkontakt durchaus unterschieden werden, und zwar hinsichtlich des Verhältnisses von Text und Sprache: Beim Übersetzen und Dolmetschen handelt es sich nicht um die Sprachen selbst, welche übersetzt, sondern um Texte, die in Texte der jeweiligen Zielsprache übertragen werden. Zentraler Gegenstand der Übersetzungswissenschaft sind daher die Produkte des Übersetzungsprozesses, und das heißt: Texte. Zum Sprachkontakt kommt es hingegen bei der Begegnung von Sprechern verschiedener Sprachen oder im Fall des individuellen Bi- und Multilingualismus (vgl. Neubert 1996: 913).

Dennoch wird in der Übersetzungswissenschaft davon ausgegangen, dass Übersetzung "immer Kulturarbeit, in einem engeren Sinn Spracharbeit" ist; als "sprachliche Kulturtechnik" bedeutet sie "Arbeit mit der anderen und an der eigenen Kultur, Arbeit mit und an der eigenen Sprache" (vgl. Koller 2001: 58 ff.). Die auf den Einzeltext bezogene Spracharbeit der Translation kann daher die Dimensionen von Kulturkontakt und Kulturarbeit implizieren; dies insbesondere im Fall der Anwendung einer transferierenden Übersetzungsmethode. Denn Texte und kommunikative Gattungen, ihre Produktions- und Rezeptionsbedingungen sind auf den "kommunikativen Haushalt" einer Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft bezogen und zeichnen sich sowohl synchron als auch diachron durch erhebliche Variabilität aus (vgl. Luckmann 1986, 1988 und Koller 2001: 59 f.). Die Überbrückung der kommunikativen Differenz zwischen Quell- und Zieltext erfolgt bei der transferierenden Methode, indem kulturspezifische Elemente der Quelle im Zieltext nicht assimiliert, sondern in ihrer Fremdheit vermittelt werden. Damit kann - über den betreffenden Text hinaus - das kommunikative Spektrum der Zielsprache insgesamt erweitert werden, wenn die fremdkulturellen Elemente vermittels der Übersetzung die Sprach- und Stilnormen der Zielsprache verändern oder bereichern: der Einfluss von Übersetzungen betrifft dann nicht allein die Welt der Zieltexte, sondern die Zielsprache selbst (vgl. Neubert 1996: 916 und Koller 2001: 60). Solche Interferenzbildungen aufgrund des Einflusses von Sprachkontakt sind dann Gegenstand der Kontaktlinguistik.

Das kommunikative Feld der Translation umfasst somit vielschichtige Bereiche und Formen der Vermittlung. Sie betreffen den Translator mit seiner Übertragungsarbeit und -technik, die Ebene der Texte, unter Umständen die der Sprachen und nicht zuletzt auch die der Sprachgemeinschaften. Dieses Spektrum wird in den - deutsch- und englischsprachigen - Beiträgen in diesem Band von Linguistik online kenntlich gemacht.

Radegundis Stolze (Darmstadt/Deutschland) diskutiert im Ausgang von sorgfältigen Vergleichen und eingehenden Kommentaren einer ganzen Reihe aktueller Übersetzungen der Bibel Kriterien einer hermeneutischen Bibelübersetzung. Sie akzentuiert als gemeinsame Tendenz der von ihr analysierten Bibelübersetzungsprojekte ein pädagogisches Moment, das sich in der Auffassung ausprägt, dem Rezipienten bei der Texterfassung behilflich sein zu müssen respektive diese prädeterminieren zu sollen und zu dürfen. Dem stellt Radegundis Stolze ein Konzept entgegen, das auf den Ansatzpunkt einer linguistischen Hermeneutik verweist und den Translator mit seiner Verstehensleistung im Umgang mit dem Quelltext - einschließlich der historischen Dimension des Textverstehens älterer Texte - in den Mittelpunkt rückt. Sie markiert mit diesem Konzept des Translators als Sprachmittler und Vermittler seines von hermeneutisch-philologischen Kriterien geleiteten Verständnisses des Quelltextes unter anderem Anschlussstellen für grundlegende geistes- und kulturwissenschaftliche Methoden wie einige theoretische Konzepte der Geschichtsschreibung und Fragen der historischen Semantik.

Ismail Işcen (Mersin/Türkei) reflektiert im Anschluss unter anderem an Radegundis Stolzes Position das Problem einer Verselbständigung übersetzungswissenschaftlicher Theoriebildung. Er sieht hierbei die Gefahr einer Überformung der Übersetzungsarbeit durch die sich immer mehr von den Grundlagen des Übersetzens ablösenden theoretischen Modelle respektive des Entstehens einer immer größer werdenden Kluft zwischen Theorie und Praxis. Es mangelt, so Icen, an der Ausgewogenheit von Theoriebildung und Gegenstandsforschung, für deren Vermittlung auf der Basis übersetzungsmethodischer Fragen er plädiert.

Elia Yuste (Zürich/Schweiz) untersucht die aktuellen Gegebenheiten des Übersetzens technischer Dokumentationen und die nunmehr entstandene Situation des technischen Übersetzers. Technische Übersetzungshilfen und die zunehmende Optimierung schon der Textproduktion im Hinblick auf mehrsprachige Dokumentationen verändern die Aufgaben des Übersetzers Yuste zufolge sehr wohl; keineswegs machen sie ihn jedoch überflüssig. Vielmehr weitet sich sein Tätigkeitsfeld dahingehend aus, daß er zu einem interkulturellen technischen Kommunikator und Vermittler wird, der den multilingualen und interkulturellen Erfordernissen eines globalen Marktes und einer Wissensgesellschaft mit seiner Transferleistung zu entsprechen vermag. Dem, so Elia Yuste, hat auch die Übersetzungsausbildung Rechnung tragen.

Maureen Ehrensberger-Dow (Zürich/Schweiz) und Susanne J. Jekat (Zürich/Schweiz) beziehen sich mit ihrem Beitrag ebenfalls auf Fragen der Translationsdidaktik und evaluieren in zwei Pilotstudien die Übertragungsleistungen angehender Übersetzer und Übersetzerinnen im Zusammenhang von Sprachaktivierung, Sprachentrennung und mehrsprachiger Sprachverarbeitung. Sie akzentuieren, daß die Bi- und Multilingualität als Erscheinungsform des individuellen Sprachkontakts Aufmerksamkeit verdient sowohl im Hinblick auf die Möglichkeit der Optimierung der Übersetzungsleistung als auch die Frage problematischer Interferenzbildungen.

Jana Laukovà (Banská Bystrica/Slowakei) befasst sich in ihrem Beitrag ebenfalls mit dem Prozess der Sprachvermittlung des Translators und zwar unter dem Aspekt von Behaltenstechniken bei dem Vorgang des Konsekutivdolmetschens. Sie erläutert und diskutiert eine Reihe verschiedener Techniken der Anfertigung von Notizen ebenfalls im Hinblick auf die Translationsausbildung.

Der Beitrag von Marianne Derron Corbellari (Neuchâtel/Schweiz) stellt schließlich das große Übersetzungsprojekt des Historischen Lexikons der Schweiz vor, an dem sie selbst als professionelle Übersetzerin beteiligt ist. Sie berücksichtigt hier unter anderem die Möglichkeiten technischer Übersetzungshilfen und zeigt exemplarisch deren Grenzen insbesondere anhand der Problematik historischer Fachterminologie und historischer Sachtexte auf. Nachdrücklich hebt sie die sprachpolitische, kulturelle und gemeinschaftsstiftende Vermittlungsfunktion eines solchen in allen Amtssprachen vorliegenden Historischen Lexikons in einer mehrsprachigen Gesellschaft hervor.

Den Autorinnen und dem Autor danke ich als Herausgeberin des Bandes herzlich für ihre Beiträge und den Gutachterinnen für ihren Einsatz bei der Beurteilung der eingereichten Texte.

 

Literaturangaben

Koller, Werner (62001): Einführung in die Übersetzungswissenschaft. Wiebelsheim.

Luckmann, Thomas (1986): "Grundformen der gesellschaftlichen Vermittlung des Wissens: Kommunikative Gattungen". Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 27: 191-211.

Luckmann, Thomas (1988): "Kommunikative Gattungen im kommunikativen Haushalt einer Gesellschaft". In: Smolka-Kordt, Gisela/Spangenberg, Peter/Tillmann-Bartylla, Dagmar (eds.): Der Ursprung der Literatur. München: 279-288.

Neubert, Albrecht (1996): "Übersetzen und Dolmetschen". In: Goebl, Hans/Nelde, Peter H. et al. (eds.): Kontaktlinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd. Berlin/New York: 913-920.