"Wir bitten Sie das nicht misszugeneralisieren".
Sprachverhalten in grammatischen Zweifelsfällen am Beispiel
trennbarer und nicht-trennbarer Verben

Tabea Becker (Dortmund) / Corinna Peschel (Wuppertal)



1 Einleitung

Im Zentrum unserer Überlegungen steht die Frage, nach welchen Kriterien Sprecher in zweifelhaften bzw. unklaren Fällen morphologische und/oder syntaktische Strukturen bilden. Neben eindeutigen Grammatikalitätsentscheidungen, Fällen also, die fast alle Sprecher eindeutig und in gleicher Weise behandeln, finden sich zahlreiche Formen, bei denen sich Sprecher unterschiedlich entscheiden. Solche Phänomene sind vor allem (wenn auch nicht nur) in der Schriftsprache relevant, da hier ein Ausweichen auf Synonyme bzw. Paraphrasen seltener toleriert wird.

In der nachfolgenden Untersuchung gilt es zunächst zu klären, ob es sich bei den so genannten "trennbaren Verben" tatsächlich um Zweifelsfälle der deutschen Sprache handelt. Sollte dies der Fall sein, stellt sich für uns die daran anschließende Frage, wie sich Sprecher in den entsprechenden Verwendungssituationen verhalten. Die hier als "trennbare Verben" bezeichnete Gruppe ist eine Teilmenge der komplexen Verben. Nicht in unserem Interessensfokus stehen Verben, die mit solchen Präfixen gebildet sind, die in keinem Falle allein stehen können, also Verben auf be-, ent-, zer- usw. Ebenfalls außerhalb der Betrachtung bleiben einhellig als Komposita klassifizierte Bildungen wie Rad fahren o.ä. (vgl. hierzu z.B. Pittner 1998).

Unsere Untersuchung konzentriert sich auf Verben, deren Erstkonstituente im Infinitiv zwar gebunden erscheint, aber auch in einer freien, vom Verb unabhängigen Variante existiert, in der Regel als Präposition. Hier sind wiederum die Elemente, die fast immer abgetrennt werden (auf, an-, vor, zu-),[1] deutlich weniger problematisch als solche, die in zwei Varianten existieren wie über-, unter-, um- oder durch-.

Erstes Indiz dafür, dass derartige Bildungen zu Problemen führen könnten, ist die Uneinheitlichkeit, die in den verschiedenen Grammatiken bereits in Bezug auf die Benennung dieser Einheiten herrscht. Zum einen bestehen Uneinigkeiten über eine wortbildungsmorphologische Einordnung der entsprechenden Erstkonstituenten. Handelt es sich um Präfixe, Halbpräfixe oder um Kompositionsglieder? Entscheidet man sich für letzteres, ist man auch in der Pflicht, dieser Erstkonstituente eine Wortart zuzuordnen. Die Grammatiken bieten hier etwa Präpositionen, Partikel, Adverbien oder einfach die viel sagende Bezeichnung Verbzusätze, wobei hier - wie so häufig - unklar bleibt, ob es sich um eine morphologische oder um eine syntaktische Kategorien-Bezeichnung handeln soll. Oft wird überdies die trennbare Variante mit einem anderen Namen versehen als die untrennbare, was ja unter Umständen einem Unterschied im grammatischen Status Rechnung trägt. So bezeichnet etwa Olsen (1996, 1997) die trennbaren Erstkonstituenten als Partikel, die nicht-trennbaren als Präfixe. Die Duden-Grammatik (1998) nennt die fraglichen Elemente zusammenfassend "ambivalente Halbpräfixe" und unterscheidet sie von den "echten Halbpräfixen" (an-, auf-) und den "Verbzusätzen zwischen Halbpräfix und Kompositionsglied" (nach-, bei-; "Bedeutung vorwiegend räumlich").

Nun müsste ein rein terminologisches Problem den durchschnittlichen Sprachbenutzer ja noch nicht unbedingt betreffen, sofern im konkreten Sprachgebrauch keine Schwierigkeiten auftreten. Genau dies ist jedoch der Fall. Selbst in Hausarbeiten von Studenten der Germanistik treten häufig Formen wie "er übergeneralisiert" und "um nicht zu übergeneralisieren" neben "er generalisiert über" und "um nicht überzugeneralisieren" auf. Es kann sich bei der Regelmäßigkeit, mit der diese Unsicherheiten vorkommen, nicht um Performanzfehler einzelner Sprecher handeln, sondern allenfalls um Lücken in ihrer Kompetenz. Dies müsste dann allerdings durch konsequente Vermittlung zu beheben sein. Anderenfalls könnte es sich hier aber auch tatsächlich um eine Normunsicherheit und damit um einen echten Zweifelsfall handeln.

Es könnte sich bei den trennbaren Verben entsprechend der Kategorisierung von Klein (vgl. Beitrag in diesem Band, I.b.) sogar um einen im Sprachsystem situierten Zweifelsfall handeln, dessen verschiedene Ebenen konfligierende Informationen bezüglich der Trennbarkeit liefern. Würde man die trennbaren Verben auch zunächst lediglich der (wortbildungs-) morphologischen Ebene zuordnen, spielen bei näherer Betrachtung außerdem phonologische, syntaktische und semantische Faktoren eine Rolle (siehe unten), die sich unter Umständen als im Einzelfall nicht kompatibel erweisen. Variationen auf Grund des Gebrauchskontextes (vgl. Klein, I.c.) lassen sich bislang nicht erkennen.

Um die genannten Aspekte zu überprüfen, bieten sich zwei Wege an: Zunächst werden einige gängige Grammatiken, die diesen Problembereich explizit und relativ ausführlich behandeln, auf ihre (Normierungs-?) Vorschläge hin überprüft. Als zweites soll eine empirische Untersuchung klären, wonach sich Sprecher bei der Verwendung trennbarer Verben - vor allem bei Unsicherheiten - tatsächlich richten. Über die Frage nach der Systemhaftigkeit hinaus kommen so dann auch Aspekte der Sprachproduktion und der Sprachverarbeitung hinzu. Wir hoffen Einblicke in die Wege zu Grammatikalitätsentscheidungen zu erhalten, ebenso wie Faktoren zu erkennen, die Regelbildungsprozesse fördern.

Wir bezeichnen die Erstkonstituenten der genannten Verben im weiteren Verlauf der Einfachheit halber als "Präfixe", ohne die Kategorisierungs-Diskussion hier noch einmal anstoßen zu wollen und wohl wissend, dass dies wortbildungsmorphologisch gesehen nicht exakt ist.

 

2 Kriterien für die Trennbarkeit in der grammatischen Literatur

Alle hier zitierten Grammatiken scheinen ein Kriterium als stets mit Trennbarkeit verbunden anzusehen: die Betonung bzw. den Akzent.[2] Dies scheint so selbstverständlich zu sein, dass es keiner Erklärung gewürdigt wird. Oft wird dieser Faktor nicht einmal explizit als solcher genannt, sondern trägt kommentarlos zur Zweiteilung der entsprechenden Kapitel in "trennbare, betonte" und "nicht-trennbare unbetonte" Präfixe bei. Das prosodische Kriterium wird offenbar in den meisten Grammatiken als Reflex anderer entscheidender Faktoren angenommen, meistens solcher semantischer Natur. Trennbare und nicht-trennbare Präfixe sollen nach Ansicht der Grammatiken unterschiedliche (Konstruktions-) Bedeutungen transportieren.

Welche semantischen Unterschiede aber mit der Trennbarkeit einhergehen, wird kaum in zwei Grammatiken gleich dargestellt. Relativ häufig wird ein Unterscheidungskriterium genannt, das für alle Präfixe dieser Gruppe in gleicher Weise gelten soll. Trennbaren Varianten wird das Merkmal "konkret", nicht-trennbaren das Merkmal "abstrakt" zugewiesen. Dies ist besonders häufig in Grammatiken für Deutsch als Fremdsprache der Fall, ebenso allerdings in der Grammatik von Götze und Hess-Lüttich. Alternativ ist manchmal auch von "wörtlicher vs. bildlicher Bedeutung" (Hall/Scheiner) oder "Sinnerhalt versus veränderte Bedeutung der Präposition" (Dreyer/Schmitt) die Rede. In einigen Fällen mag diese Unterscheidung ihre Berechtigung haben, so etwa in dem bei Götze/Hess-Lüttich angeführten Beispiel überziehen (einen Pullover vs. ein Konto). Es gibt aber so viele Gegenbeispiele, dass ein solches Kriterium nur als sehr fragwürdige Verallgemeinerung angesehen werden kann (vgl. dazu beispielsweise die verschiedenen - abstrakten wie konkreten - Bedeutungen von überspringen).

Neben diesem für alle Präfixe dieser Gruppe angesetzten Kriterium versuchen die meisten Grammatiken, bei den einzelnen Elementen Bedeutungsgruppen für die trennbaren und nicht-trennbaren Formen anzugeben und so den Unterschied zu erklären und zu systematisieren. Während dies für um- mit Einschränkungen zu funktionieren scheint, weichen die Darstellungen in Bezug auf die anderen Präfixe in geradezu verwirrender Weise voneinander ab. Das geht sogar so weit, dass eine Bedeutungsgruppe, die in einer Grammatik der trennbaren Variante zugewiesen wird, in einer anderen bei der nicht-trennbaren Variante angeführt ist. So geben Helbig/Buscha für die trennbare Variante von durch- die Bedeutung "Resultat einer Handlung" (Beispiel: ´durchbohren) an. Ebendiese findet man bei Erben als Bedeutung für nicht zu trennendes durch- (Beispiel: durch´fahren, durch´schauen). Die Duden-Grammatik gibt für festes über- als eine Bedeutung "über eine Grenze/ein Maß hinausgehen" (Beispiel: über´dehnen, über´fordern) an. Quasi deckungsgleich ist die Angabe für trennbares über- bei Engel: "Überschreiten der Norm" (Beispiel: ´überbewerten). Solche Probleme kommen zum einen dadurch zustande, dass die Bedeutungen der Gruppen oft nah beieinander liegen. Zum anderen scheint es aber auch so zu sein, dass das Angeben von Bedeutungsgruppen überhaupt ein problematisches Vorgehen ist, eben weil die so entstehenden Gruppen oft klein und schwer abgrenzbar sind.[3]

In den gängigen Wortbildungsdarstellungen finden sich noch deutlich mehr Bedeutungsgruppen bei den einzelnen Präfixen. Diese wiederum entstehen manchmal schlicht durch unzulässige Übertragung der Bedeutung der in Frage kommenden Basisverben auf die Erstkonstituente, was auf einige Grammatiken in eingeschränkterem Maße ebenfalls zutrifft. So scheint es bei der Lektüre des Duden ebenfalls fraglich, ob die für trennbares durch- angegebene Bedeutung "trennen" nicht von bestimmten Basisverben in die komplexe Bildung eingebracht wird (vgl. durchschneiden).

Ein weiterer Faktor, der besonders von Lerner-Grammatiken angeführt wird, ist die Häufigkeit, mit der die beiden Varianten eines Präfixes jeweils vorkommen. So geben der Duden wie die DaF-Grammatik von Dreyer und Schmitt für durch- ein Übergewicht der trennbaren, für über- eine größere Häufigkeit der nicht-trennbaren Variante an. Solche Hinweise können als erste Hinweise für Lerner dienen - zu mehr allerdings auch nicht.

Syntaktische Faktoren kommen in verbreiteteren Lerner- und Referenzgrammatiken sehr selten vor. Lediglich Helbig/Buscha und Götze/Hess-Lüttich erwähnen kurz, dass komplexe Verben mit trennbarem Präfix häufiger intransitiv, Verben mit nicht-trennbarem Präfix in der Regel transitiv sind. Dieses syntaktische Unterscheidungsmerkmal wird auch in einigen linguistischen Detailuntersuchungen erwähnt, etwa bei Eroms (1982) und Olsen (1997). Als Beispiele könnten die beiden folgenden Sätze dienen:

Auf dem Weg nach Spanien kann man Frankreich durch´fahren. vs.
Auf dem Weg nach Spanien kann man durch Frankreich ´durchfahren.

Auch dieses syntaktische Merkmal gilt aber wieder nur für eine Gruppe der in Frage kommenden Verben. Erstbetonte komplexe Verben können ebenfalls transitiv sein, wie z.B. durchschneiden oder überziehen.

Bei allen genannten Faktoren bleibt - ganz abgesehen von ihrer oft nicht besonders großen Reichweite - die Frage bestehen, ob sie für Sprecher bei der Bildung komplexer Verben tatsächlich eine Rolle spielen, mit anderen Worten: ob sie psychologische Realität besitzen. Um dies herauszufinden, haben wir eine empirische Untersuchung durchgeführt, die das tatsächliche Sprachverhalten in Zweifelsfall-Situationen zum Gegenstand hat.

Vorbereitend werden im nächsten Kapitel einige Grundgedanken zur Verarbeitung komplexer Wörter allgemein skizziert, die dann auf den hier interessierenden Ausschnitt der trennbaren Verben bezogen werden können. Auf dieser Grundlage liegen dann zumindest einige Eckdaten für die Beurteilung des sich in der Untersuchung manifestierenden Sprecherverhaltens vor.

 

3 Die Verarbeitung komplexer Wörter

Nach Ansicht vieler Linguisten sind komplexe Wörter nicht als Ganzes im mentalen Lexikon gespeichert. Letzteres enthält die Einträge für Wurzeln bzw. Stämme, eventuell auch für Affixe (in diesem Sinne etwa Motsch 1999). Darüber hinaus sind dort auch Einträge für Einheiten über Wortstamm-Größe, die nicht (mehr) in die Bedeutungen ihrer Bestandteile zerlegt werden können und daher wie Wörter behandelt werden (so in Pinker 1999), verzeichnet. Gemeint sind etwa Phraseologismen u.ä.

Komplexe Wörter, die motiviert - also in ihrer Bauweise durchschaubar - sind, werden unter Verwendung der im Lexikon gespeicherten Wurzeln und Affixe durch ein morphologisches Modul generiert bzw. zusammengesetzt (Aitchison 1997; Pinker 1999). Die Grenzen zwischen frei kombinierbaren Wörtern bzw. Morphemen und nicht (mehr) als freie Kombinationen bewerteten Einheiten ist kaum trennscharf zu ziehen. Daher muss irgendeine Form des Übergangs oder Austausches zwischen dem Lexikon und dem morphologischen bzw. syntaktischen Modul angenommen werden.

In jedem Fall liegt motivierten komplexen Wörtern nach dieser theoretischen Modellierung ein kompositorisches Prinzip zugrunde. Da sowohl Wurzeln wie Affixe über einen eigenen Lexikoneintrag verfügen könnten, hat es in diesem theoretischen Rahmen auch nicht oberste Priorität, zwischen Derivation und Komposition zu unterscheiden, da es sich in beiden Fällen um kompositorische Prozesse handelt. Die Frage, ob es sich bei den uns interessierenden Verbzusätzen um Präfixe oder um Kompositionsglieder handelt, ist also zunächst einmal sekundär.

Wichtig bleibt allerdings die - für die Komposition weniger übliche - starke reihenbildende Qualität solcher Elemente wie über-, durch-, unter- etc. Diese sorgt für ein schnelleres Erkennen von Verwandtschaften zwischen Wörtern beim Rezipienten. Wie genau Ähnlichkeiten in der Bauweise von Wörtern erkannt werden, ist bislang noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Es steht jedoch fest, dass schon Kinder in der Phase des Spracherwerbs unbekannte Wörter analog zu bekannten zusammensetzen, ableiten und flektieren (Bartke 1998, Meibauer 1995). Eine Erklärung dieser Sachverhalte mittels Übertragung der vor allem in der Flexionsmorphologie gerade wieder besonders virulenten Schematheorie auf die Wortbildung hat Wolfram Wilss (1992) vorgeschlagen:

Schemata entstehen durch Induktion. Sie sind das Ergebnis der Beobachtung eines Details oder vieler Details - bis eine Struktur sich merklich abzeichnet, die im Rahmen erprobter Abstraktionsprinzipien das zunächst Besondere in den Rang der typisierten Konfiguration erhebt. Schemata verkörpern demzufolge eine Art Programmwissen mit operativem Charakter, das auf (relativ) festen Zuordnungsregeln beruht (Wilss 1992: 230).

Es scheint hier das zu passieren, was bereits Hermann Paul als "die Attraktion [der Wörter] im Innern der Seele" (Paul 1970: 106) beschrieben hat. Wörter, die sich in Bezug auf ihre morphologische Bauweise analog verhalten, werden als zusammengehörig erkannt. Strukturelle Ähnlichkeiten werden als Ausdruck semantischer Verwandtschaft aufgefasst. Die erkannte Struktur kann dann auch analog auf unbekannte rezipierte Wörter ebenso wie auf in einer konkreten Kommunikationssituation neu zu bildende übertragen werden. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um ein implizites, intuitives Erkennen, eine quasi automatisierte Übertragung. Wilss spricht von "operativem" Wissen (Wilss 1992: 232).

Noch schwieriger ist die oben gestellte Frage nach dem Erkennen von strukturellen wie semantischen Gemeinsamkeiten allerdings zu beantworten, wenn mehrere Möglichkeiten einer Form-Inhalts-Zuordnung bestehen. Das ist etwa der Fall, wenn Wörter, die in bestimmten Formen morphologische (und eventuell auch semantische) Parallelen aufweisen, sich in anderen Formen auf zwei verschiedene Weisen verhalten, wie dies die komplexen Verben tun, die sowohl in trennbarer wie in nicht-trennbarer Variante vorkommen. Ein paralleler Infinitiv verschiedener Verben garantiert noch kein gleiches morphologisches Verhalten bzw. Aussehen in finiten Formen etc. Es muss also auch eine nicht ein-eindeutige Zuordnung in diesem Bereich möglich sein. Um diese vorzunehmen, müssen Sprecher einer irgendwie gearteten Regularität[4] folgen, die ihnen Hilfe für die Entscheidung gibt. Auch diese ist - wie große Teile des sprachlichen Wissens - eher eine implizite als eine formulierbare Regularität. Fraglich ist dann, von welchem Aspekt Sprecher bei einer solchen Entscheidung ausgehen. Es steht zu prüfen, ob ein solcher Aspekt mit einem der in den Grammatiken genannten Faktoren identisch ist. Es ist ja keineswegs wie selbstverständlich davon auszugehen, dass ein Sprecher sich bei seiner Sprachverwendung tatsächlich nach den Regularitäten richtet, die in (linguistisch geprägten) Grammatiken als die diesen bestimmten Teil des Sprachsystem regelnden Faktoren genannt werden.

Im Falle der trennbaren Verben gibt es die folgenden Möglichkeiten: Der in den Grammatiken am häufigsten genannte Faktor, der über die Trennbarkeit entscheidet, ist die Betonung. Diese ist außerdem ein für Muttersprachler gut zu erkennendes Merkmal, das sich an der sprachlichen Oberfläche befindet. Für eine Unterscheidung auf der Basis der Betonung spricht weiterhin, dass sie für alle komplexen Verben der genannten Art in gleicher Weise gelten sollte. Für einen DaF-Lerner dürfte dieses Merkmal schon weniger aussagekräftig sein. Es nimmt daher wenig Wunder, dass gerade in DaF-Grammatiken stark semantisch argumentiert wird.

Hier liegt die zweite Möglichkeit, eine die Unterscheidung zwischen trennbar und nicht-trennbar fundierende Regularität zu bestimmen. Am gängigsten ist eine Differenzierung in "konkret" und "abstrakt" bzw. in wörtliche vs. übertragene Bedeutung. Häufig wird darüber hinaus aber auf der Ebene der einzelnen Präfixe in verschiedene kleinere Bedeutungsgruppen differenziert (s.o.). Dies bedeutet einen deutlich höheren Lernaufwand, als wenn es eine Regel gäbe, die für alle Präfixe Gültigkeit besäße.

Auch eine Beachtung syntaktischer Regelhaftigkeiten wie etwa den Einfluss von Transitivität oder andere die Satzbaupläne der entsprechenden Sätze berücksichtigenden Unterschiede wäre denkbar. Kombiniert mit semantischen Gruppenbildungen entstehen dann allerdings auch solche Anweisungen wie "nach Präpositionen im eigentlichen Sinne vs. im uneigentlichen Sinne", die durch das zu ihrer Anwendung nötige metasprachliche Wissen sowohl Sprachlerner wie die meisten Muttersprachler überfordern dürften.

Als letztes könnte man sich auch vorstellen, dass Sprecher mehrere der genannten Aspekte implizit berücksichtigen. Dazu müssten diese natürlich miteinander verträglich sein. Sollten die Daten der verschiedenen genannten Ebenen des Sprachsystems konfligierende Informationen enthalten, sind Unsicherheiten bei der Bildung der komplexen Verben vorprogrammiert.

Auf der Grundlage der so skizzierten Situation rückt eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit der Frage der Trennbarkeit in den Fragehorizont, die Berücksichtigung von Analogien zu einzelnen, bereits bekannten Vorbild-Wörtern. Dies ist zumindest quantitativ deutlich von dem Befolgen einer Regularität zu unterscheiden. Neuere Arbeiten zum Analogie-Begriff sehen diesen als Spezialfall einer morphologischen Regel an, also etwas lediglich graduell Anderes (in diesem Sinne etwa Thomas Becker 1990).[5] Gerade bei den trennbaren Verben besteht allerdings ein sichtbarer Unterschied zwischen dem Befolgen einer Regularität, die die Trennbarkeit im Falle jedes Affixes regelt (wie dies von der Betonung angenommen wird) und dem Anlehnen an ein Wort, dessen grammatisches Verhalten kopiert wird. Unsere Untersuchungsergebnisse haben ergeben, dass gerade letzteres sehr häufig von Sprechern praktiziert wird, die sich unsicher sind (s.u.). Es bleibt dennoch die Frage offen, welche Faktoren denn Analogiebildungen steuern bzw. hervorrufen - eher strukturelle, z.B. phonologische Merkmale oder semantische Ähnlichkeiten.

Zusammenfassend gibt es folgende mögliche Kriterien zur Beurteilung von Trennbarkeit:

  1. Wortakzent: Die grundsätzliche Regel lautet: Betonte Präfixe werden abgetrennt. Der Sprecher trennt demnach je nach Betonung ab oder eben nicht. Diese Regel ist Basisregel in den meisten Grammatiken (vgl. Erben, Engel, Dreyer/Schmitt, Helbig/Buscha).
  2. Semantische Kriterien: Der Sprecher verbindet mit dem jeweiligen Präfix und dem Merkmal Trennbarkeit verschiedene Bedeutungen. Hier wird in den Grammatiken meist das Antonymenpaar abstrakt/konkret bzw. bildlich/wörtlich aufgeführt. Umgekehrt trennt also der Sprecher nach semantischer Zuordnung ab oder nicht.
  3. Häufigkeitsmuster: Bei den verschiedenen Präfixen bestehen unterschiedliche Häufigkeiten, mit denen Trennbarkeit auftritt. Der Sprecher richtet sich nach diesen Häufigkeitsmustern, sowohl was den Gebrauch von tatsächlichen Verben als auch von Neubildungen und Pseudowörtern betrifft. Häufigkeitsmuster sind besonders für konnektionistische Theorien des Erwerbs und der Speicherung relevant (Rumelhart/McClelland 1986)
  4. Analogiebildung: Dies gilt vor allem für Neubildungen und Pseudowörter. Der Sprecher ruft semantisch oder phonologisch ähnliche Verben auf und behandelt das neue Verb analog aufgrund dieser Assoziation. Diese Form der Prozessuierung findet sich als Erklärungsparadigma in vielen Bereichen, z.B. für unregelmäßige Verben und Pluralbildungen, aber auch Wortneubildungen. Beeinflusst werden diese von gespeicherten Gebrauchsmustern, die durch wiederholte Rezeptions- und Produktionsprozesse entstehen.
 

4 Untersuchung trennbarer Verben

4.1 Methodik

Ziel der Untersuchung war es, Aussagen darüber machen zu können, welche Strategien die Sprecher anwenden, um in grammatisch ambigen Fällen Entscheidungen zu treffen. Die Erhebung natürlicher Sprachdaten eignet sich hierfür nicht, da bestimmte zu beschreibende einzelne Phänomene mit viel zu geringer Häufigkeit auftreten. Daher wurde für die Untersuchung ein Fragebogen entworfen, der verschiedene Aufgabentypen enthielt. Diese Aufgabentypen waren in Vortests entwickelt worden. Sie finden sich weiter unten besprochen. Außerdem sind sie so konzipiert, dass sie gleichzeitig Einblicke in die Rezeptions- und Produktionsprozesse gewähren.

Die Fragebögen wurden mehreren Gruppen Studierender (n=120) vorgelegt und von diesen selbständig ausgefüllt. Die Versuchspersonen verfügen also über einen eher hohen Bildungsgrad. Reflektiertes Grammatikwissen ist jedoch sehr gering und in Bezug auf das Untersuchungsgebiet kaum vorhanden, wie sich in anschließenden Befragungen und vorangehenden Vorversuchen herausstellte. Die Gruppe der Probanden ist daher in sich vergleichsweise homogen. In Bezug auf die Gruppe der Sprecher des Deutschen mag sie zwar weniger repräsentativ sein, es ging uns jedoch nicht darum, repräsentativen Sprachgebrauch zu ermitteln, sondern Einblicke in Sprachverhalten und Sprecherurteile zu erlangen. Diese Einsichten sind eher über die Untersuchung homogener Gruppen zu gewinnen, da man hier am ehesten, wenn überhaupt, auch von einem homogenen Sprachverhalten ausgehen kann, innerhalb dessen sich sprachliche Abweichungen oder Uneinheitlichkeiten auch stärker manifestieren müssten.

4.2 Zur Konzeption der Fragebögen

Um dem Leser den Nachvollzug der gestellten Aufgaben zu ermöglichen, ohne den Text zu sehr durch Erklärungen in die Länge zu ziehen, haben wir den Fragebogen im Anhang abgedruckt und an entscheidenden Stellen im Text darauf verwiesen.

Zu Aufgabe A) (siehe Anhang 1)

Der erste Aufgabentyp versucht, das Verhalten bei der Bildung des erweiterten Infinitivs zu erfassen. Dazu dient ein Satzergänzungsverfahren. Die Probanden müssen einen vorgegebenen Infinitiv am Satzende in erweiterter Form anbringen. Die vorangehende Konstruktion ist so gewählt, dass sie nur diese Form zulässt. Der Proband wird also gezwungen, den vorgegebenen Infinitiv entweder trennbar zu behandeln, d.h. er infigiert ein "zu", oder er entscheidet sich für die untrennbare Form, belässt den Infinitiv und setzt lediglich ein "zu" davor. Der Aufgabentyp wurde gewählt, weil er ein relativ spontanes und intuitives Antworten der Probanden garantiert. Diese müssen also weder eine abstrakte grammatische Kategorie erfüllen, noch selbst aufwändige Eigenleistungen erbringen (z.B. durch Ausdenken von Beispielsätzen).

Beispielsatz: überfallen Den Dieben ist es gelungen, die Bank........

Es finden sich drei Typen von Infinitiven: 1. eindeutige Formen, die nur trennbar oder untrennbar behandelt werden können (z.B. anerkennen); 2. ambige Formen, die beides zulassen; 3. Pseudowörter und Neubildungen, bei denen ebenfalls beide Lesarten möglich sind.

Zu Aufgabe B) (siehe Anhang 1)

Ziel dieser Aufgabe war zu überprüfen, ob mit den trennbaren wie untrennbaren Präfixen eine bestimmte vom Verbstamm unabhängige Bedeutung verbunden ist. Dazu sollte die Bedeutung von Wortneubildungen und Pseudowörtern innerhalb eines semantisch relativ freien Satzkontextes beschrieben werden. Die Präfixe wurden dabei jeweils in einer getrennten und in einer ungetrennten Form präsentiert.

Beispielsatz: Sie dohlten alles über.

Zu Aufgabe C) (siehe Anhang 1)

Die Ausgangshypothese bei der Konzeption dieses Fragenblocks lautete: Die Akzentverteilung ist maßgeblich zur Bestimmung der Trennbarkeit, auch wenn andere "cues" (semantische, analogisierende) damit konfligieren.

Das Präfix miss- beispielsweise wird grundsätzlich nicht abgetrennt (bis auf einige optionale Ausnahmen). Wird es dem Probanden jedoch mit einer deutlichen Akzentuierung präsentiert, ist er eher geneigt, es dennoch als trennbares Präfix zu behandeln. Umgekehrt, bei Präfixen, die z.B. aus semantischen Gründen abgetrennt werden, führt die fehlende Betonung dazu, sie untrennbar zu behandeln, so wie in dem untenstehenden Beispiel.

Beispielsatz: durchbrechen ich durchbreche

Den Probanden wurden bei dieser Aufgabe verschiedene Infinitive (eindeutige Formen, Neubildungen und Pseudowörter) auditiv präsentiert mit jeweils besonderem Akzent auf Präfix oder Stamm. Sie mussten diese nun in die erste Person Singular transformieren, was ihnen mit Beispielen verdeutlicht wurde. Schließlich sollten sie noch bei drei Formen, die erneut präsentiert wurden, die Perfektformen bilden. Auch diese Aufgabe wurde durch ein Beispiel verdeutlicht.

Die Aufgabentypen A) und B) sind so mit "fillern" versehen, dass zum einen der Aufmerksamkeitsfokus abgelenkt wird und außerdem verhindert wird, dass ein Muster (z.B. immer trennbar) entwickelt werden kann. Die Füllwörter sind jeweils eindeutige Formen, anhand derer auch gleichzeitig kontrolliert werden konnte, dass die Probanden die Aufgabenstellung verstanden hatten und entsprechend ausführten.

4.3 Auswertung der Fragebögen

Der erste Eindruck, den die Antworten auf den Fragebögen vermitteln, entspricht nicht ganz unseren Erwartungen. Zwar ergeben sich bei den nicht ambigen Füllwörtern tatsächlich auch eindeutige Werte. Die übrigen Antworten sind jedoch vorwiegend im Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel verteilt, also alles andere als eindeutig. In einigen Fällen war sogar eine gleichmäßige Verteilung zu finden. Zur prozentualen Verteilung der Werte bei den einzelnen Verben siehe Anhang 2.

Damit lässt sich zunächst eines festhalten: Sprecherurteile sind in Zweifelsfällen weit weniger eindeutig als zu vermuten war.

Fragenkomplex A) (erweiterter Infinitiv)

Fragestellung 1: Unterscheiden sich auf dem 5 % Niveau die Wahrscheinlichkeiten, mit denen die Studierenden sich für getrennt bzw. für nicht getrennt entschieden haben?

Methode: Exakter Binominaltest für p=0.5

Die nicht-ambigen Füllwörter wurden alle eindeutig entweder trennbar (anerkennen, umstellen, umhören) oder untrennbar (verzeihen, zerteilen, überfallen) behandelt. Eine kleine Ausnahme bildet hier umstellen, da eigentlich auch die untrennbare Variante möglich gewesen wäre. Der vorgegebene Satz sollte zwar auch beide Möglichkeiten zulassen, aber der weit häufigere Gebrauch der trennbaren Form dieses Verbs führte wohl zu einer diesbezüglich eindeutigen Interpretation.

Bei den übrigen Verben waren aus verschiedenen Gründen beide Formen theoretisch erwartbar. Eine gleichmäßige Verteilung zwischen beiden Möglichkeiten liegt bei der Neubildung durchgrasen und dem Pseudowort überlepanieren vor. Bei durchgrasen ist dies insofern erwartbar gewesen, als beide Formen gleichermaßen möglich sind. Da es sich um eine Neubildung handelt, liegt noch kein Eintrag im mentalen Lexikon vor, der eine der beiden Varianten ausschließen könnte. Der vorgegebene Satzkontext (siehe Anhang 1) ist relativ unspezifisch und engt die mögliche Semantik des Wortes wenig ein. Es scheint hier auch keine Rolle zu spielen, dass möglicherweise unterschiedliche Häufigkeitsmuster bestehen. Nach Dreyer/Schmitt (2000) ist bei den Verben mit dem Präfix durch- die Mehrheit trennbar. Spielten solche Häufigkeitsmuster also an dieser Stelle eine Rolle, hätte die trennbare Form präferiert werden müssen.

Bei dem Pseudowort überlepanieren fällt die unterschiedliche Behandlung im Vergleich zu der Neubildung überinformieren auf. Während überinformieren von 61% der Probanden getrennt wurde und damit signifikant häufiger (p= 0,01), besteht für überlepanieren kein Unterschied. Dies kann so interpretiert werden, dass in den Fällen, in denen besondere Unsicherheit herrscht (die Verben auf -ieren sind ein solcher Fall, wie wir weiter unten noch genauer erläutern werden), Pseudowörter und Neubildungen durch mangelnde Lexikoneinträge noch schwerer zugeordnet werden können.

Die beiden Wörter mit der Vorsilbe miss- werden noch etwas unterschiedlicher behandelt. Das erste Beispiel ist das Wort missverstehen. Verben mit der Vorsilbe miss- sind zwar in den allermeisten Fällen untrennbar, bilden aber schon deshalb eine Ausnahme, weil viele dieser Verben auch auf dem Präfix betont werden können. Darüber hinaus bildet missverstehen eine zusätzliche Unregelmäßigkeit aus: Obwohl es im Präsens und im Partizip Perfekt untrennbar bleibt, wird für den erweiterten Infinitiv das zu infigiert (zumindest ist dies laut Duden 1998 die gegenwärtig gebräuchliche Form). Dies wurde von den meisten Probanden auch tatsächlich so realisiert. Missgeneralisieren, eine Neubildung, trennten ebenfalls signifikant mehr (von 77 % der Probanden, p=0,001). Allerdings widerspricht dies der sonst bei Verben mit miss- üblichen Umgangsweise, die ja normalerweise nicht getrennt werden. Erklärung hierfür könnte beispielsweise eine analoge Verwendungsweise zu missverstehen sein, wobei immer noch die Frage offen bliebe, wie es bei letzterem zum infigierten zu kommt.

Neben durchgrasen waren den Probanden noch zwei weitere Verben mit dem Präfix durch- präsentiert worden (zu den Satzkontexten siehe Anhang 1, Aufgabe A): durchsuchen, welches bei gleichbleibender Bedeutung trennbar und untrennbar behandelt werden kann, und durchmilstern, ein Pseudowort. Bei durchsuchen entschieden sich die allermeisten (83 %) gegen eine Abtrennung des Präfixes, obwohl dies dem bestehenden Häufigkeitsmuster entsprochen hätte, das wie gesagt für Trennbarkeit spräche.

Jedoch entschieden sich 75 % der Probanden bei durchmilstern für eine Trennung, also im Einklang mit dem Häufigkeitsmuster. Hier lässt sich nun vermuten, dass entgegen dem Häufigkeitsmuster die Form zu durchsuchen in diesem Fall üblicher ist, die Probanden also auf Gebrauchsmuster zurückgreifen. Bei einem Pseudowort wie durchmilstern, wo kein Gebrauchsmuster zur Verfügung steht, greift tatsächlich das Häufigkeitsmuster in Ermangelung anderer Anhaltspunkte.

Fragenkomplex B) (semantische Probe)

Eindeutige Ergebnisse brachte die Beurteilung der Wörter umkabeln und umkabeln. Die präfixbetonte Form beschrieben die Probanden einheitlich mit der Bedeutung "ein Kabel umstecken (z.B. von einer Steckdose oder einem Gerät ins andere)". Die stammbetonte Form wurde mit der Bedeutung belegt: "mit einem Kabel umwickeln". In diesem Fall treffen also die in den Grammatiken angegebenen Bedeutungen (siehe Kapitel 2 und Synopsis im Anhang) relativ genau den von den Sprechern attribuierten.

Keine nennenswerte Bedeutungsunterscheidung trafen die Probanden bei durchbohren (jeweils getrennt und ungetrennt präsentiert). Zwar geben einige Grammatiken hier unterschiedliche Bedeutungsnuancen an (vgl. Helbig/Buscha 2001), diese scheinen jedoch zumindest bei relativ neutralem Satzkontext nicht von den Sprechern wahrgenommen zu werden.

Das Wort überstritten verbanden die meisten mit der Bedeutung "zuviel streiten". Jedoch fanden sich etwa 20%, die die Bedeutung "zerstreiten" angaben, und ebenso viele, die angaben "kein Ende finden können".

Während einige Probanden zu den von uns gegebenen Pseudowörtern durchbelsen und überdohlen keine Antwort gaben, gingen die meisten recht kreativ mit ihnen um. Dies besagt schon, dass sich keine unterschiedliche Bedeutung für die trennbare und die untrennbare Präfixform feststellen ließ. Zunächst gab es sowohl zahlreiche Doppeltnennungen (beiden Formen wurde nur eine Bedeutung zugeschrieben) als auch gleiche Bedeutungszuweisungen unterschiedlicher Probanden für die jeweils andere Form. Die meisten Bedeutungszuweisungen scheinen auf Basis phonologischer Analogien gewonnen worden zu sein. Außerdem lassen sich einige idiomatische Analogien vermuten (Sie überdohlten alles - sie übertrafen alles).

Für überdohlen zeichnete sich als häufigste Nennung die Bedeutung 'übertönen' ab (wohl als Analogie zu 'übergröhlen, überjohlen'). Für durchbelsen (sowohl trennbar als auch untrennbar) wurde als häufigste Bedeutung 'durchbrechen' angegeben, außerdem noch 'durchwühlen/-suchen' und 'durcharbeiten' für die trennbare Variante.

Dass die Sprecher hier Bedeutungsunterscheidungen wie 'konkret/abstrakt' oder 'wörtlich/übertragen' treffen, schließen die Antworten jedenfalls aus. Bei der Rezeption und Dekodierung unbekannter Wörter bedient sich der Sprecher offenbar nicht dieser von den Grammatiken postulierten Bedeutungsunterschiede. Grundsätzlich herrscht ohnehin die übertragene Bedeutung vor. Begründet könnte dies natürlich darin sein, dass für eine Bedeutungsanalyse nahe an der präpositionalen Semantik auch ein konkreteres, bildlicheres Bedeutungsumfeld verlangt wird.

Fragenkomplex C) (Akzentprobe)

Fragestellung und Berechnungsmethode wie bei A); außerdem Fragestellung: Gibt es signifikante Unterschiede auf dem 5% Niveau zwischen dem Antwortverhalten auf jeweils zwei Fragen? Methode: exakte Konfidenzintervalle zum 95% Niveau für die Differenz zweier Binominalwahrscheinlichkeiten.

Auch bei diesem Fragenkomplex sticht sofort die uneindeutige Verteilung der Antworten ins Auge, die sogar noch gravierender ist als bei Komplex A). Siehe auch hier zu den Zahlen Anhang 2.

Die Akzentverteilung scheint zumindest tendenziell als Hinweis auf Trennbarkeit zu gelten. Jedoch auch hier hatten wir eine weitaus durchgängigere Signifikanz erwartet. Dies zeigt sich an den Beispielen übergesieren[6] und übergeneralisieren, wo also das Präfix sowohl trennbar als auch untrennbar sein kann. Hier brachte die Akzentverteilung 64% der Probanden dazu bei präfixbetontem ´übergesieren gegenüber signifikant weniger (37%) bei präfixunbetontem übergenerali´sieren abzutrennen.

Dagegen zeigt die Vorsilbe miss- keine Beeinflussung durch die Akzentverteilung. Sie wird entsprechend dem üblichen Sprachgebrauch signifkant häufiger ungetrennt verwendet. Dies gilt auch für die beiden Neubildungen ´missgehen und miss´tanken. 73% der Probanden beachteten dies bei miss´tanken; und obwohl ´míssgehen mit betontem Präfix präsentiert wurde, trennten auch hier die meisten Probanden nicht ab (ebenso 73% bei missbeurteilen). Das bedeutet, dass die Tatsache der uneinheitlichen Vorgehensweise (immerhin fand sich in allen Fällen noch rund ein Drittel, das miss- als trennbares Präfix behandelte) hier nicht auf die Akzentverteilung zurückzuführen ist. Möglicherweise werten die Sprecher bei der Vorsilbe miss- die Betontheit grundsätzlich nicht als verlässlichen Hinweis auf Trennbarkeit, beachten dieses Kriterium aufgrund der Regelwiderläufigkeit hier also gar nicht.

Handelt es sich andererseits um Präfixe, die trennbar und untrennbar vorkommen, wird tatsächlich in hoch signifikantem Maße die Akzentverteilung berücksichtigt. Am besten wurde dies an dem Pseudowort um´dresern deutlich. Es wurde den Probanden mit Stammakzent präsentiert, woraufhin 72% das Präfix auch nicht abtrennten (p=0,006). Gleiches gilt für die Verben über´ziehen (stammbetont präsentiert) und ´durchbrechen (präfixbetont präsentiert). Obwohl beide Varianten den Sprechern geläufig sind, wurde von 77% (für überziehen) und 79% (für durchbrechen) die Akzentverteilung berücksichtigt (jeweils p=0,0001).

Für umdresern und übersiedeln gilt, dass sie trennbar und untrennbar sein können. Sie sind jedoch außerdem losgelöst von einer damit verbundenen unterschiedlichen Semantik. Übersiedeln bedeutet in beiden Varianten dasselbe; umdresern ist als Pseudowort semantisch relativ leer. Somit sind außer der Akzentverteilung kaum Hinweise auf Trennbarkeit gegeben. Bei um´dresern entschieden sich auch tatsächlich signifkant mehr für die durch den Akzent vorgegebene Untrennbarkeit. Anders jedoch bei über´siedeln: hier gingen nur 28% nach dem Akzent und in diesem Fall auch dem Häufigkeitsmuster von über-. Die Mehrheit richtete sich also nach dem gespeicherten Gebrauchsmuster, das offensichtlich durch Trennbarkeit geprägt ist.

Immerhin noch 27% der Probanden stellten die Akzentverteilung über Gebrauchsmuster. Als Beispiel sei hier unter´bringen angeführt, das entgegen der üblichen Akzentverteilung auf dem Verbstamm betont präsentiert wurde. Das bedeutet, dass gespeicherte morphologische Informationen durch einen geänderten Wortakzent modifiziert werden können. Die Mehrheit der Probanden verlässt sich jedoch auf dieses Wissen und ignoriert den zur gespeicherten Information widersprüchlichen Input.

Fragenkomplex D)

Für alle Wörter dieses Fragenkomplexes zogen die Probanden das getrennte Partizip vor (von 60% für umgedresert bis zu 90 % für übergesiedelt). Da die Beispiele alle stammbetont präsentiert wurden, verhalten sich die Probanden hier konträr zu der Akzentverteilung, weichen damit aber auch von dem Trennungsverhalten in der 1.Person ab, so dass bestimmte Verben in manchen Formen getrennt werden und in anderen nicht.

4.4 Interpretation der Ergebnisse

Die Ergebnisse unserer Untersuchung etablieren die komplexen Verben eindeutig im Bereich der sprachlichen Zweifelsfälle.

Es treten überall da Zweifel auf, wo die folgenden beiden Bedingungen nicht gegeben sind:
1. Das Präfix des entsprechenden Verbs ist grundsätzlich nicht trennbar und es ist unbetont.
2. Das Präfix tritt zwar in beiden Versionen auf, ist aber in der entsprechenden Verbindung hochfrequent und besitzt eine eindeutige Akzentverteilung.

In allen anderen Fällen kommt es zu mehr oder weniger starken Abweichungen des Sprachverhaltens. Semantische Kriterien dagegen unterstützen die Disambiguierung nicht.

In Wortbildungstheorien stellen die trennbaren/untrennbaren Verben schon seit langem ein Streitobjekt dar. Wie schon eingangs erwähnt, wird ihr morphologischer Status kontrovers diskutiert. Dass sich scheinbar gleiche Verben so unterschiedlich verhalten können, bleibt ein Phänomen, das große Schwierigkeiten bei der Eingliederung in Wortbildungs- und Verarbeitungstheorien bereitet.

Aus den Ergebnissen unserer Untersuchungen können jedoch zusammenfassend wichtige Indizien für den Speicher- und Verarbeitungsprozess gewonnen werden. Als zentrales Kriterium hat sich hier zunächst die Akzentverteilung herausgestellt. Je eindeutiger die Akzentverteilung als solche und ihre Korrespondenz mit anderen Faktoren ist, desto eindeutiger verhalten sich auch die Probanden konform mit ihr. Der Sprecher verfügt anscheinend über so etwas wie eine Regel, die lautet: Trägt das Präfix den Primärakzent, wird es abgetrennt. Zumindest können Übergeneralisierungen in diesem Zusammenhang auftreten.

Ein Zweifelsfall ist offensichtlich dann gegeben, wenn diese Regel mit der Akzentverteilung des Deutschen (vgl. hierzu Eisenberg 1995 und Maas 1999) konfligiert. Ein solcher Konflikt entsteht z.B. bei Verben, die auf -ieren enden. Diese Endung ist stets betont (Maas 1999). Normalerweise liegt der Wortakzent im Deutschen auf der ersten Silbe, spätestens auf der zweiten. In Ausnahmefällen kann er auch erst auf der dritten Silbe liegen (über´arbeiten, unter´suchen). Ein späterer Akzent (z.B. auf der vierten oder fünften Silbe) wäre jedoch völlig inakzeptabel. Bis zur dritten Silbe muss also zumindest ein Nebenakzent auftreten. Ein unbetontes zweisilbiges Präfix bei Verben auf -ieren widerspricht daher den Regeln der Akzentverteilung des Deutschen, da sich in diesem Falle keine Möglichkeit böte, vor der vierten Silbe einen Akzent zu setzen (z.B. überinformieren). Der Sprecher tendiert in diesen Fällen dazu, das Präfix zumindest mit einem Nebenakzent zu belegen. Das verleitet wiederum dazu, es als betont und somit abtrennbar zu werten.

Bei der Partizipbildung dagegen wurde die Akzentverteilung kaum oder gar nicht berücksichtigt. Selbst wenn hier methodische Kompromisse ungünstig einwirken, heißt dies zumindest, dass die "Regel" der Akzentverteilung nicht so stark ist, dass sie nicht ebenfalls durch andere Faktoren wieder ausgehebelt würde. Sehr spannend und für eine einheitliche grammatische Beschreibung schon beinahe eine Katastrophe ist die deutlich sichtbare Tatsache, dass Sprecher in puncto Trennbarkeit offenbar von Verbform zu Verbform schwanken, ein Verb also im Partizip als trennbar behandeln, in den Personalformen (wie in unserem Test in der 1. Ps. Sg. Präs.) hingegen nicht.

Die Unterscheidung abstrakt/konkret oder wörtlich/bildlich, die in den meisten Grammatiken zu finden ist, scheint bei der Dekodierung und syntaktischen Verarbeitung der komplexen Verben dagegen keine Rolle zu spielen. Nur das Präfix um- wird mit einer klar unterscheidbaren Bedeutung verbunden. Hier sind die Definitionen von Engel oder Helbig/Buscha gleichermaßen mit dem Sprachempfinden unserer Probanden konform. Das Präfix über- dagegen ist weit weniger semantisch belegbar, wie schon die widersprüchlichen Angaben in den Grammatiken vermuten lassen. Diese versuchen dem Problem beizukommen, indem sie entweder breite Bedeutungsaspekte annehmen (wörtlich, bildlich), zu denen dann aber unzählige Ausnahmen getroffen werden müssen, oder so viele Bedeutungsgruppen aufführen, dass es sehr unwahrscheinlich anmutet, diese allein mit der Semantik des Präfixes zu verbinden. Nach unseren Ergebnissen lässt sich nämlich in der Tat kein klares Bedeutungsmuster mit dem Präfix über- verbinden, und schon gar keines, das auch noch mit dem Merkmal Trennbarkeit verbunden wäre. Bei Neubildungen scheint zwar die Bedeutung 'Überschreiten eines Maßes, zuviel' vorzuherrschen, die dann meist mit dem untrennbaren Präfix einhergeht.[7] Dem stehen aber zahlreiche trennbare Verben mit derselben Präfixbedeutung gegenüber (z.B. überbezahlen, übererfüllen, überquellen).

Bei durch- schließlich sollte man sich gänzlich von der Verbindung einer bestimmten Bedeutung mit dem Merkmal der Trennbarkeit verabschieden. Es ist also nicht weiter verwunderlich, dass hier zahlreiche Verben existieren, deren trennbare und untrennbare Varianten zumindest partiell synonym gebraucht werden (durchbrechen, durchsuchen). Sollten hier Bedeutungsunterschiede in einigen Grammatiken oder Wörterbüchern aufgeführt sein, so besitzen sie zumindest mittlerweile keine psychologische Realität mehr.

Grundsätzlich spielt bei der Verarbeitung der Neubildungen und Pseudowörter die Analogiebildung eine tragende Rolle. Dies lässt sich auch anhand unserer Ergebnisse sehr gut nachvollziehen. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Analogien hauptsächlich auf phonologischer Ebene hergestellt werden.

Dass die "Regel" der Akzentverteilung nicht eindeutig und durchgehend greift, zeigt wiederum, dass gespeicherte Wortformen doch sehr dominant sind. Das würde bedeuten, dass das mentale Lexikon in manchen Fällen die stärkste Einflussgröße ist. Die Generierung komplexer Verben ist also auch ein komplexer Prozess, der von Lexikoneinträgen, Analogiebildungen und Akzentregeln beeinflusst wird.

Zweifelsfälle entstehen demnach zum einen durch Widersprüchlichkeiten zwischen diesen Komponenten und zum anderen durch unterschiedliche Strategien, die die Sprecher anwenden, um solche Widersprüchlichkeiten oder einfach mangelnde Lexikoneinträge zu überwinden.

Schließlich ergab unser Vergleich der Grammatiken, dass Zweifelsfälle kein Phänomen etwa nur der Performanz sind, sondern dass aufgrund der Vielschichtigkeit und Dynamik sprachlicher Generierungsprozesse sowohl der Sprecher als auch der Theoretiker sein Verständnis von sprachlicher Richtigkeit oder sprachlichen Regeln als ebenso vielschichtig und dynamisch verstehen müssen.

Die umfangreichen Forschungen der letzten Jahrzehnte zur Produktion und Rezeption von Wörtern und Sätzen führen immer stärker zu einem flexiblen und dynamischen Verständnis von sprachlichen Strukturen. Der Sprecher erzeugt und versteht Sprache in einem komplexen kognitiven und psychologischen Prozess bei jeder Sprachhandlung aufs Neue. Dabei wird der Sprecher nicht nur von sprachsystematischen Faktoren beeinflusst, sondern auch von zahlreichen perzeptorischen und situativen Variablen. Dass Sprache ohne ein Grundmaß an Regularisierung und Systematizität nicht funktionieren würde, bedarf keiner Erklärung. Auch wird es in den Fällen sichtbar, in denen sich die Sprecher eindeutig und konform verhalten.

Ein Verständnis allerdings, welches davon ausgeht, dass Sprachverarbeitung lediglich auf der Basis von festen grammatischen Regeln funktioniert, trägt dieser Dynamik und Situationsgebundenheit von Sprache nicht ausreichend Rechnung.

 

Anmerkungen

1 Zu den wenigen Ausnahmen beim Präfix an- vgl. etwa Simmler (1995). [zurück]

2 Auch hierfür lassen sich jedoch leicht zahlreiche Ausnahmen finden: so z.B. Verben mit der Vorsilbe miss-, ebenso Verben auf -ieren; Fälle, auf die wir später jeweils noch gesondert eingehen werden. [zurück]

3 Zu weiteren Einzelheiten siehe die Grammatik-Synopsis im Anhang 3. Ob Sprechern eine solche Einteilung nach Bedeutungsgruppen bei einer Entscheidung tatsächlich hilft, oder ob letztere gar auf einer solchen Grundlage getroffen wird, ist eine ganz andere Frage, siehe dazu Kapitel 4. [zurück]

4 Wir vermeiden hier bewusst den ausgesprochen belasteten Begriff der 'Regel', da wir eine zu starke Polarisierung zwischen 'Regel' und 'Muster' oder 'Schema' weder für sinnvoll noch für den sprachlichen Sachverhalten angemessen halten. [zurück]

5 Interessant auch die bereits aus dem Jahr 1981 stammenden Bemerkungen von Frans Plank, der belegen kann, dass Sprecher sich auch oder gerade - innerhalb eines Musters an markante oder als besonders ähnlich empfundene Einzelwörter anlehnen. [zurück]

6 Übergesieren wurde zuerst präsentiert, so dass es nicht z.B. als Tippfehler oder ähnliches zu übergeneralisieren empfunden werden konnte. Die Beispiele wurden so bewusst ähnlich gewählt, um das Infix-ge- zu überprüfen. [zurück]

7 Dieses Ergebnis steht außerdem im Widerspruch zu der Bedeutungsattribution, wie sie Engel vornimmt. Er verbindet nämlich nur die untrennbaren Verben mit "Überschreiten einer Norm". [zurück]

 

Literaturangaben

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Becker, Thomas (1990): Analogie und morphologische Regel. München.

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Anhang 1

Fragebogen zu komplexen Verben

Alter:         Geschlecht:         Nicht Deutsch Muttersprache:

A) Fügen sie die Verben in der entsprechenden Form in die Sätze ein.
Beispiel: übersetzen Ich wurde gebeten, das zu übersetzen.
 
1. anerkennen Wie kommst du dazu, das nicht
2. verzeihen Es ist nicht leicht, dir dafür
3. umstellen Wir sollten sofort anfangen es
4. überinformieren Ich habe so viel erfahren, dabei ist es leicht, sich
5. zerteilen Hier ist ein Messer, um den Kuchen
6. umhören Es wäre besser, sich erst
7. missverstehen Bei dem Lärm ist es nicht schwierig sich
8. überfallen Den Dieben ist es gelungen, die Bank
9. durchgrasen Der Bauer hatte vergessen die Wiesen
10. missgeneralisieren   Man sollte nicht die falschen Schlüsse ziehen, um nicht
11. durchsuchen Er begann in aller Hektik seine Unterlagen
12. durchmilstern Du musst versuchen, das nicht
13. überlepanieren Wir werden morgen damit anfangen, das

B) Beschreiben Sie, was die Verben in den folgenden Sätzen bedeuten oder bedeuten könnten.

14. Der Elektriker umkabelte das Gerät.
15. Der Elektriker kabelte das Gerät um.
16. Wir überstritten uns.
17. Sie überdohlten alles.
18. Sie dohlten alles über.
19. Er belste es durch.
20. Er durchbohrte das Brett.
21. Er durchbelste es.

Dieser Teil des Fragebogens wurde den Probanden nur auditiv präsentiert!

C) Bilden Sie mit den folgenden Verben einen Satz im Präsens, auch wenn Sie das Verb nicht kennen oder es das Wort nicht gibt.

18. überziehen
19. durchbrechen
20. aufladen
21. missgehen
22. unterbringen
23. misstanken
24. übersiedeln
25. übergesieren
26. umdresern
27. übergeneralisieren
28. missbeurteilen

D) Bilden Sie nun das Partizip Perfekt von folgenden Verben
     (Beispiel: untermischen - untergemischt)

29. übersiedeln
30. umdresern
31. misstanken
 

Anhang 2

Ergebnisse der Fragebögen in %

präsentierte Verbform als getrennte Form gaben an in %
anerkennen 100
verzeihen 0
umstellen 100
überinformieren 61
zerteilen 0
umhören 100
missverstehen 91
überfallen 0
durchgrasen 48
missgeneralisieren 77
durchsuchen 17
durchmilstern 73
überlepanieren 48
überziehen 23
durchbrechen 79
aufladen 100
missgehen 36
unterbringen 77
misstanken 27
übersiedeln 72
übergesieren 64
umdresern 28
übergeneralisieren 37
missbeurteilen 27

Anhang 3

Synopsis der Grammatiken zu trennbaren/untrennbaren Verben

  Dreyer/Schmitt Erben Engel Helbig/Buscha Hall/Scheiner Duden
durch-

trennbar
größere Häufigkeit;
Sinnerhalt der Präp.
Ablauf und Vollendung der Handlung (konklusiv) Passieren eines Raumes konkret, lokal;
Ausnahme: Resultat der Handlung
konkrete, wörtliche Bedeutung perfektiv, etw. vollständig tun;
auch: durativ; Überwinden von Hindernissen; Trennen
durch-
nicht trennbar
veränderte Bedeutung;
meist transitiv
Ergebnis der Handlung (resultativ) Totalität, von Anfang bis Ende, durch Gegenstand hindurch abstrakte, übertr. Bedeutung;
Ausnahme: Art und Weise der Handlung
veränderte, übertragene Bedeutung Häufigkeit ca. 1/3;
Bewegung durch etw.;
über-

trennbar
  Ablauf der Handlung Geschehen als Veränderung; Überschreiten der Norm konkret wörtliche Bedeutung  
über-
nicht trennbar
größere Häufigkeit Ergebnis der Handlung räuml. höher verlaufendes Geschehen abstrakt bildliche Bedeutung Häufigk. ca. 3/4;
Bewegungsricht.; Bedecken von etwas; über Grenze/Maß hinausgehen
um-

trennbar
größere Häufigkeit   Veränderung, Wandel Bewegung des Objekts durch Subjekt Veränderung von Ort, Zustand, Richtung Ortsveränderung; wenden, in andere Richtung bewegen; Wechsel
um-
nicht trennbar
    räumliche Umfassung Bewegung des Subjekts um Objekt kreis- oder bogenförmige Bewegung kreis- o. bogenförm. Bewegung; von allen Seiten; Häufigkeit ca. 1/2
unter-

trennbar
  Ablauf und Vollendung der Handlung Beweg. mit höher gelagertem Bezugspunkt konkret meist wörtliche Bedeutung (darunter) '(da-)zwischen'; räuml. Bedeutung; Bewegungsrichtung
unter-
nicht trennbar
größere Häufigkeit Ergebnis der Handlung räumlich tieferes Geschehen; Nichterreichen einer Norm abstrakt Meist bildliche Bedeutung Häufigkeit ca. 1/2;
räuml. Bedeutung; Bewegungsrichtung (s.o.)