Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörten im strengeren Sinne empirische Forschungsmethoden wie Feldforschungen, Fragebögen, Interviews oder Laborexperimente so gut wie nicht zum standardmäßigen methodischen Instrumentarium der Sprachwissenschaft - Ausnahmen bilden lediglich die Dialektologie und Teile der Allgemeinen Sprachwissenschaft. Besonders in der linguistischen Disziplin der Semantik zog kaum jemand in Betracht, dass empirische Verfahren einen wesentlichen Beitrag bei der Erstellung von Bedeutungstheorien oder zur Beschreibung konkreter Bedeutungen leisten könnten. Dieser Zustand änderte sich schlagartig mit der so genannten Kognitiven Wende, als sich die Linguistik unter dem Einfluss vor allem der Psychologie besonders experimenteller Forschungsmethoden zu bedienen begann. Der vorliegende Beitrag veranschaulicht am Beispiel der Prototypentheorie, wie die methodischen Neuerungen der Linguistik und deren konsequente Ausrichtung an der Empirie althergebrachte Vorstellungen über das Wesen von Bedeutung radikal geändert und so zu einem beträchtlichen Erkenntnisfortschritt beigetragen haben.
Im Detail zeigt Abschnitt 2 in der gebotenen Kürze auf, inwieweit die Semantiktheorien der klassischen Linguistik in ihren Bedeutungskonzeptionen zu kurz greifen. Abschnitt 3.1 stellt dann einige der wichtigsten diesbezüglichen empirischen Ergebnisse der Prototypentheorie vor und diskutiert, wie sich diese zu den Annahmen der kritisierten klassischen Linguistik verhalten; welche Schlussfolgerungen aus dem empirischen Material im Hinblick auf eine Bedeutungstheorie gezogen wurden und welche Überzeugungskraft ihnen zukommt (Kapitel 3.2); welche Konsequenzen sich für die Linguistik als Ganze aufdrängen (Kapitel 3.3); und zuletzt, worin einige Schwachpunkte der Prototypentheorie bestehen (Kapitel 3.4). Zugleich soll die Prototypentheorie angesichts einer im deutschsprachigen Raum "punktuelle[n] und damit verkürzte[n] Rezeption" (Mangasser-Wahl 1997: 360) durch eine sachgemäße Darstellung und Interpretation ins rechte Licht gerückt werden.
Zu einem Grundproblem der Sprachwissenschaft gehört seit jeher die Frage nach dem Wesen von Bedeutung. Die Semantiktheorien der klassischen Linguistik, gleichgültig ob strukturalistischer oder generativistischer Prägung, gehen in der Regel davon aus, dass sich die Bedeutung eines Wortes bzw. ein Begriff als "Konjunktion der hinreichenden Anzahl notwendiger Merkmale" (Kleiber 1998: 12, Geeraerts 1988 referierend), Bedeutungsmerkmale oder Seme, eindeutig angeben lässt. Diese auf der aristotelischen Kategorienkonzeption beruhenden komponentialsemantischen Verfahren der Bedeutungsbeschreibung sind jedoch seit geraumer Zeit starker und berechtigter Kritik ausgesetzt (vgl. etwa Fillmore 1975 und 1982; Lutzeier 1985: 91 ff.; Rössler 1985; Aitchinson 1994: 63 ff.). Im Folgenden werden angesichts der umfänglichen Diskussion nur einige der gravierendsten Nachteile rekapituliert:
Erstens verfahren traditionelle Komponentialsemantiken minimalistisch, denn sie reduzieren die Bedeutung eines Wortes, die auch als Kategorie aller Gegenstände mit denselben Merkmalen verstanden werden kann, auf ein gerade hinreichendes Minimum an notwendigen Einzelmerkmalen. Der Mehrdimensionalität der Bedeutung eines Wortes kann man so jedoch auch nicht annähernd gerecht werden.
Zweitens kommen den verschiedenen Elementen einer Kategorie in demselben Maße dieselben semantischen Merkmale zu. Das bedeutet, dass alle Elemente einer Kategorie gleich "gute" Elemente sein müssen, wodurch ein "Kontinuumproblem" (Wiegand/Wolski 1980: 209) entsteht - Ausdrücke wie Achtung, Schätzen, Lieben usw. können nicht differenziert werden, denn der Theorie nach sind sie semantisch gleichwertig. Die Alltagserfahrung lehrt aber, dass es meist typischere und weniger typische Vertreter einer Kategorie gibt, was sich etwa an Sätzen wie "er wirkt nicht sehr deutsch" oder "ich fühle mich ein bisschen krank" zeigt.
Hiermit hängt der dritte Einwand eng zusammen: Wortbedeutungen werden als diskrete Kategorien aufgefasst. Dieses Theorem entspricht nicht der sprachlichen Wirklichkeit, denn eine genaue Kategoriengrenze, d.h. solche Bedingungen, die eine klare Unterscheidung etwa von 'Tag' und 'Nacht' ermöglichen, lassen sich häufig nicht angeben. Das führt dazu, dass Grenzfälle wie das 'Einsetzen der Dämmerung' gar nicht erfasst werden können. Analoges zeigen Linda Coleman und Paul Kay (1981) für das englische Verb to lie, George Lakoff (1986: 36-43 und 1987: 353 f.) für mother, Charles Fillmore (1982: 70 f.) für bachelor und Dirk Geeraerts (1989: 596 ff.) für Vogel.
Ein vierter Einwand betrifft die Mehrdeutigkeit bestimmter Ausdrücke. Wie u.a. Georges Kleiber (1998: 15f.) bemerkt, stoßen Merkmalssemantiken auf massive Schwierigkeiten im Umgang mit Polysemien. Das Polysemieproblem muss in diesem Theorierahmen wohl als ungelöst gelten.
Fünftens ergeben sich auch in praktischer Hinsicht Fragen. Denn wie will man wissen, welches im Einzelfall diejenigen "notwendigen" bzw. "essentiellen" Bedeutungsmerkmale sind, die bei der Bedeutungsbeschreibung genannt werden müssen? Gehört es notwendig zu einem Stuhl, vier Beine, eine bestimmte Größe, eine Sitz- und eine Rückenlehne oder eine bestimmte Funktion zu haben? Sind Puppenstühle noch Stühle oder nicht? Und falls nein, was sind sie dann? Wie verhält es sich mit drei- oder fünfbeinigen Stühlen? Wegen der endlosen Diskussion, die solche Fragen mit sich bringen, scheint die Differenzierung zwischen notwendigen und kontingenten Merkmalen schlechterdings unmöglich zu sein. Außerdem bleibt es fraglich, ob es überhaupt ein Kriterium dafür gibt, welche Merkmale zusammengenommen hinreichend sind.
Alles in Allem wiegen die genannten theoretischen und praktischen Einwände gegen die Merkmalssemantiken so schwer, dass Klaus Peter Konerding (1993: 89) sie aus linguistischer Sicht zu "obsoleten Theorie[n]" erklärt. Darüber hinaus sprechen aber auch unter einem empirischen Blickwinkel eine große Anzahl von Gründen gegen sie. Insbesondere von Seiten der experimentellen Psychologie und der Anthropologie sind ab Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Fülle von Erkenntnissen gewonnen worden, die Anlass zum Zweifel an der Berechtigung der merkmalssemantischen Theorien und an ihren epistemologischen Grundannahmen säten. So hatte beispielsweise Floyd Lounsbury (1964) für bestimmte anthropologische Kategorien festgestellt
Zu einem ähnlichen Ergebnis hinsichtlich anderer Arten von Kategorien kommen die Anthropologen Brent Berlin und Paul Kay (1991) in ihrer Pionierstudie über Farbbezeichnungen. Waren traditionelle Linguisten ursprünglich davon ausgegangen, dass Bezeichnungen für Farben arbiträr sind, so konnten die beiden Forscher diese Behauptung falsifizieren. Sie wiesen experimentell nach, dass Sprecher der verschiedensten Sprachen sehr konform einige ganz bestimmte Farbwerte für besonders gute Exemplare von Kategorien der elf Grundfarben hielten, wenn die Probanden auch nur selten hinsichtlich der Kategoriengrenzen übereinstimmten:
Berlins und Kays Laborstudie ist insofern von größter Tragweite, als sie drei Auffassungen der traditionellen Kategorienkonzeption über Eigenschaften von Kategorien und damit auch über das Wesen der Bedeutung als unzutreffend ausweisen: Erstens haben (zumindest Farb-) Kategorien keine deutlichen Grenzen, sondern unscharfe Ränder. Zweitens besitzen nicht alle Referenzobjekte einer Kategorie denselben Status, sondern es gibt meistens privilegierte (typischere) Exemplare. Drittens bestehen keine Kategorien a priori; Kategorien sind vielmehr durch die Konstitution des perzeptiven und kognitiven Apparates des Menschen bedingt - beispielsweise durch den Umstand, dass die Farbrezeptoren des Auges bei bestimmten Wellenlängen des Lichts ein Maximum an Stimulation erfahren.
Durch die mit einem für die Linguistik völlig neuartigen Methodeninstrumentarium erzielte Beobachtung that "colour terminology turns out to be much less arbitrary than the structuralists maintained" (Heider 1971: 447) wird nun ein favorisiertes Beispiel der traditionellen Linguistik ironischerweise zum Paradigma einer neuen, der kognitiven Sichtweise. Zu deren Etablierung hat die Psychologin Eleanor Rosch fraglos den wichtigsten Beitrag geleistet, und zwar mit ihren Arbeiten zur Prototypentheorie. Letztere ist Gegenstand der folgenden Abschnitte.
Im Folgenden werden eine Reihe von so genannten Prototypeneffekten diskutiert, die in einer langen Reihe empirischer Untersuchungen wie Reaktionszeitexperimenten, Zuordnungsexperimenten, Fallstudien und vollstrukturierten Interviews beobachtet wurden. Sie geben alle dem Verdacht Nahrung, Kategorien seien deutlich anders strukturiert, als es die traditionellen Merkmalssemantiken behaupten.
Einen ersten Hinweis hierauf gibt der Umstand, dass für viele Sprecher einer Sprachgruppe bestimmte Elemente einer Kategorie privilegiert sind, oder, wie Eleanor Rosch (1973: 111) es ausdrückt: "Some colors to which English speakers apply the word 'red' are 'redder' than others". Diese Behauptung ist mehrfach experimentell belegt worden, beispielsweise für den Repräsentativitätsgrad von Elementen der Kategorien 'Vogel', 'Frucht', 'Sport', 'Fahrzeug' oder 'Krankheit' (vgl. Rosch 1973: 130-134 und Rosch 1975a: 197-199 u. 229-233). Die Urteile der Probanden über die Güte eines Elementes innerhalb einer Kategorie sind, wie Rosch die Untersuchungen anderer Forscher darstellend referiert, auch unter veränderten Versuchsbedingungen in hohem Maße übereinstimmend.
Auch bei Satzverifikationsaufgaben zeigen sich Prototypeneffekte, wenn Versuchspersonen für den Satz "Ein X ("X" steht für das Element einer Kategorie) ist ein Y ("Y" steht für einen Kategoriennamen)" unterschiedliche Reaktionszeiten aufweisen. Je eindeutiger ein Satz wahr ist, d.h. ein je typischeres Kategorienelement genannt wird, desto kürzer ist die Reaktionszeit der Versuchspersonen. Beispielsweise müsste die Mehrzahl der Probanden den Satz "ein Rotkehlchen ist ein Vogel" signifikant schneller für wahr erkennen als den Satz "ein Pinguin ist ein Vogel" (vgl. Rosch 1973: 134-139), da Rotkehlchen typischere Vögel als Pinguine darstellen.
Wie William R. Battig und William E. Montague (1969) des Weiteren berichten, nennen Versuchspersonen, wenn man sie um die Aufzählung von Elementen einer bestimmten Kategorie bittet, vorzugsweise solche mit hohem Repräsentativitätsgrad, also "gute", repräsentative resp. typische Exemplare. In diesem leicht replizierbaren Experiment müssten die meisten Probanden auf die Frage nach Elementen der Kategorie 'Fahrzeug' mit 'Auto' antworten, nicht aber mit 'Einkaufswagen' oder 'Marsmobil'.
Interessanterweise besteht bei vielen Versuchspersonen eine Asymmetrie hinsichtlich der Beurteilung der Repräsentativität zwischen unterschiedlichen Elementen von Kategorien. So hielten in Experimenten von Rosch (1975b) sowie von Amos Tversky und Itamar Gati (1978) US-Amerikaner Mexiko den USA für ähnlicher als die USA bezogen auf Mexiko - beides sind Elemente der Kategorie 'Staat'. Der Grund für dieses logische Paradoxon liegt nach Ansicht der Forscher darin, dass US-Amerikaner die USA für ein besonders repräsentatives Exemplar eines Staates halten, Mexiko dagegen nur in geringerem Maße. Auch was die Verallgemeinerung von Merkmalen bestimmter Elemente von Kategorien durch Versuchspersonen angeht, konnte Lance J. Rips (1975) eine Asymmetrie nachweisen, da die Eigenschaften zentraler Kategorienelemente leichter verallgemeinert werden als solche von weniger zentralen. Probanden waren etwa der Ansicht, dass sich eine Vogelkrankheit leichter von Rotkehlchen (typischen Vögeln) auf Enten (weniger typischen Vögeln) überträgt als umgekehrt.
Was den Erstspracherwerb angeht, so beobachtete Jeremy M. Anglin (1978 und 1983), dass Kinder die Zugehörigkeitskriterien von Elementen zu Kategorien über die Eigenschaften typischer Referenzobjekte erwerben, und nicht indem sie eine (abstrakte) Konjunktion notwendiger Bedingungen internalisieren. Beim Kategorienlernen kommen Gestaltgesetze zum Tragen: Am Anfang werden die verschiedenen Eigenschaften einzeln wahrgenommen, dann aber zu einem cluster voneinander abhängiger Attribute, zu einer sogenannten Gestalt, zusammengesetzt. Sobald eines der typischen Attribute in Erscheinung tritt, werden zugleich mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit die übrigen Attribute der zugehörigen Gestalt im Gedächtnis aktiviert (Hunn 1977: 41-75). Auf diese Weise können viele kognitive Prozesse deutlich schneller ablaufen, als wenn die Eigenschaften eines Objektes erst im Sinne einer check-list Attribut für Attribut überprüft werden müssten.
Eleanor Rosch führt schließlich noch weitere das Sprachsystem betreffende Prototypenphänomene an. Hierzu gehören unter anderem die sogenannten hedges. Bei diesen u.a. von George Lakoff (1972) ausführlich untersuchten Ausdrücken wie strenggenommen, eigentlich, fast u.v.a. handelt es sich um sprachliche Möglichkeiten, ein bestimmtes Objekt einer Kategorie ausdrücklich zuzuweisen oder seine Zuordnung quasi zu blockieren. So werden Kategoriengrenzen je nach Funktionsweise des hedge entweder scharf gezogen oder "aufgeweicht". Dies macht evidenterweise nur bei solchen Elementen Sinn, die ohnehin fragwürdige Kandidaten für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie sind - typische Elemente durch einen Ausdruck wie strenggenommen der Kategorie zuzuweisen, wirkt befremdlich. Etwa lassen sich in dem Satz "strenggenommen sind Tomaten (aus botanischer Sicht) Obst" diese Früchte sinnvoll der Kategorie 'Obst' zuordnen. Der Satz "strenggenommen sind Äpfel Obst" wird dagegen selten ernsthaft geäußert, weil Äpfel prototypisches Obst sind. Die Funktionsweise von hedges deutet somit indirekt darauf hin, dass nicht alle Elemente einer Kategorie gleichermaßen repräsentativ sind.
Aus den hier beschriebenen, für die Linguistik neuartigerweise empirisch beobachteten Prototypeneffekten lassen sich zwei folgenreiche Schlüsse ziehen. Erstens sind offenbar, entgegen den Behauptungen der traditionellen Semantiktheorien, die Elemente von Kategorien keineswegs alle gleich "gut". Damit verlieren die minimalistischen Bedeutungsangaben der Komponentialsemantiken ihre Berechtigung. Zweitens weisen die Kategorien nicht immer (oder sogar nur selten) klare Grenzen auf. Aus diesem Grund muss nach Möglichkeiten gesucht werden, das Bedeutungskontinuum adäquater als die Merkmalssemantiken der klassischen Linguistik darzustellen.
Angesichts der von vielen verschiedenen Forschern beobachteten Prototypeneffekte stellt sich die Frage, wie sich diese mit der aristotelischen Kategorienkonzeption anscheinend unvereinbaren Phänomene im Hinblick auf eine Bedeutungstheorie interpretieren lassen. Am Anfang ihrer Forschungstätigkeit, vom Ende der sechziger bis zur Mitte der siebziger Jahre, war Eleanor Rosch davon ausgegangen, dass Prototypeneffekte auf das Vorhandensein bestimmter mentaler Entitäten, sogenannter Prototypen, zurückzuführen seien. Von beobachtbaren Phänomenen schloss sie also hypostasierend auf die Existenz einer einheitlichen mentalen Struktur, die für diese Effekte verantwortlich sein sollte. Die Schlussfolgerungen Roschs aus dieser frühen Phase sind indes recht kritikanfällig, denn:
Außerdem könnten die Prototypeneffekte auch auf eine oder mehrere andere Quellen zurückgehen - was laut George Lakoff (1987: 45 und 68-114) auch der Fall ist. Insofern ist die frühe Form der Prototypentheorie denn auch keine Antwort auf das Problem der Kategoriezugehörigkeit, weshalb sie es gleichfalls nicht vermag, Bedeutungen oder Begriffe zu bestimmen. Mit anderen Worten: Die frühe Prototypentheorie versagt als semantische Theorie. Genau das wollte sie aber erklärtermaßen sein.
Ab Mitte der siebziger Jahre wurde die Prototypentheorie erheblich modifiziert. In ihrem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Buchkapitel "The Principles of Categorization" verwahrt sich Rosch gegen Fehlinterpretationen und legt die Grundzüge einer neuen Prototypentheorie vor:
Rosch führt die Prototypeneffekte also nicht mehr auf "real-existierende" Prototypen, d.h. auf bestimmte objektiv vorhandene Gebilde, zurück; ihre Experimente spiegeln zwar bestimmte kognitive Prozesse wider, nicht aber die Struktur von Kategorien. Aus diesem Grund stellt Roschs neue Fassung der Prototypentheorie keine Theorie mehr über die mentale Repräsentation von Kategorien (ihr Artikel von 1975 trug noch den Titel "Cognitive Representations of Semantic Categories") oder eine solche über den Erwerb von Kategorien dar, wodurch allerdings die Erklärungsmächtigkeit der früheren Theoriefassung radikal eingeschränkt wird.
Der Ausdruck "Prototyp" ist nunmehr bloß eine abkürzende Redeweise für "die Urteile von Probanden über den Grad an Repräsentativität eines Objektes". Je mehr typische Eigenschaften ein Objekt aufweist, desto größer fällt sein Grad an Prototypikalität aus, und desto zentraler ist seine Stellung innerhalb der Kategorie. Weil ein solches Objekt die typischen Eigenschaften einer Kategorie in besonderer Weise verkörpert, kann es stellvertretend für die ganze Kategorie stehen, wenn man die Beziehung zwischen den Attributen eines realen Gegenstandes und seinen semantischen Merkmalen berücksichtigt:
Bezüglich der Zentralität von Elementen innerhalb einer Kategorie macht D. A. Cruse (1990: 384 ff.) differenzierend auf drei Gesichtspunkte aufmerksam: Unter Wohlgeformtheit versteht Cruse, dass das Element einer Kategorie keine Defekte aufweisen darf; genannt wird als Beispiel ein einbeiniger Vogel, der evidenterweise weniger repräsentativ ist als ein zweibeiniger. Typikalität wird hingegen durch dasjenige konstituiert, was ein wohlgeformtes Element zu einem "guten" Element macht: Ein (gesundes) Rotkehlchen ist ein typischerer Vogel als ein (gesunder) Pinguin. Schwieriger nachzuvollziehen ist die Dimension der Qualität. Cruse erläutert: Gefragt nach dem besseren Beispiel für die Kategorie 'Obst' würde die Entscheidung zwischen einem Apfel und einer Mango aus Typikalitätsgründen zugunsten des Apfels ausfallen. Bei einem "guten" Element der Kategorie 'Apfel' würde aufgrund von Qualitäten wie Süße, Aroma, Saftigkeit usw. eine bestimmte Sorte gewählt werden. Es gilt bei der Untersuchung von Zentralität daher, anders als Rosch das noch tut, diese nicht lediglich über den Leisten der Typikalität zu schlagen, sondern auch die beiden anderen möglichen Dimensionen der Wohlgeformtheit und der Qualität mit zu berücksichtigen. Doch wie lässt sich dieses Maß an prototypischer Zentralität bestimmen?
Georges Kleiber (1998: 48) vertritt die Ansicht, dass die Prototypentheorie "unausweichlich zur vorrangigen Herausarbeitung von (proto-) typischen, 'hervorstechenden' Eigenschaften oder Attributen" führt. Das Element einer Kategorie muss demnach möglichst viele für diese zentrale Merkmale besitzen, um für die Kategorie als prototypisch angesehen werden zu können. Zum Beispiel sollte ein besonders typischer Stuhl unter anderem aus Holz gefertigt sein, vier Beine sowie eine Rückenlehne besitzen und als Sitzgelegenheit dienen können. In dem Maße, wie diese Attribute bei einem Referenzobjekt nicht gegeben sind, um so mehr nimmt der Grad der Prototypikalität ab, und umgekehrt. Rosch (1978: 30) schlägt für den Bereich der Experimentalpsychologie ein probabilistisches Konzept zur Erhebung des Prototypikalitätsgrades, die so genannte cue validity, vor. Dabei wird im Experiment die Häufigkeit erhoben, mit der Probanden einer Kategorie eine bestimmte Eigenschaft zuschreiben; die cue validity der gesamten Kategorie summiert sich dann aus den cue validities der einzelnen Eigenschaften. Je mehr der hochfrequenten Eigenschaften ein Referenzobjekt aufweist, ein desto typischeres Exemplar ist es für die betreffende Kategorie.
Man könnte kritisch fragen, was die Prototypenkonzeption überhaupt von Merkmalssemantiken unterscheidet, wenn in diesem Theorierahmen doch wieder nur Bedeutungsmerkmale angegeben werden. Die Antwort darauf lautet, dass Kategorien, Bedeutungen oder Begriffe weniger durch definitorische, allen Vertretern der Kategorie gemeinsame Merkmale bestimmt werden, als durch eine große Anzahl von Merkmalen, die auf einige, aber nicht auf alle Vertreter der Kategorie zutreffen (Rosch/Mervis 1975: 580). So wird verständlich, warum Rosch (1978: 40) - für traditionelle Semantiker möglicherweise unerwartet - semantischen Merkmalen (features) keineswegs pauschal eine Absage erteilt, sondern als eine Beschreibungsmöglichkeit neben anderen - sie nennt weiterhin Skizzen zur Veranschaulichung und Beschreibungen der (ontologischen) Struktur - durchaus akzeptiert. Weiterentwickelte Formen der Prototypensemantik können also definitiv nicht auf semantische Merkmale verzichten:
Ausschlaggebend ist nunmehr also bei der Bestimmung von Bedeutung, dass erstens nicht lediglich ein Minimum an definitorischen Eigenschaften angegeben wird, sondern eine große Anzahl von Merkmalen. Diesen kommt zweitens nicht Notwendigkeit zu, d.h. es kann Referenzobjekte der Kategorie geben, die diese Eigenschaften nicht aufweisen. In diesem Zusammenhang kann man an einen Vogel denken, der nicht fliegen kann, wie etwa an einen Pinguin; gleichwohl gehört Flugfähigkeit natürlich zu den wichtigen (typischen) Eigenschaften von Vögeln, denn ein flugfähiger Vogel ist ein typischeres Exemplar als einer, der diese Eigenschaft nicht besitzt; das bedeutet freilich nicht, dass ein Pinguin in geringerem Maße ein Vogel wäre als ein Rotkehlchen.
Die prinzipielle Zugehörigkeit von Elementen zu einer Kategorie, also unabhängig vom Grad ihrer Prototypikalität, wird nach Rosch und Mervis (1975) durch ein aus der Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins entlehntes Prinzip bestimmt: durch das der Familienähnlichkeit. Wittgenstein (1995: 277 ff.) hatte bemerkt, dass sich für die Kategorie 'Spiel' keine Merkmale angeben lassen, die für jede Art von Spiel Gültigkeit besitzen. Also schloss er, die Kategorie 'Spiel' setze sich aus einer Vielzahl teilweise inhomogener Elemente zusammen, von denen zwar viele einige Eigenschaften teilen, bei weitem aber nicht alle. So ist theoretisch der Extremfall denkbar, dass Element 1 die Eigenschaften A und B besitzt, Element 2 die Eigenschaften B und C und Element 3 die Eigenschaften C und D. Die Elemente 1 und 3 befinden sich nun in der gleichen Kategorie, und zwar nicht, weil sie dieselben Eigenschaften aufweisen, sondern weil jedem von ihnen eine Eigenschaft zukommt, die sie mit dem gleichfalls zur Kategorie gehörigen Element 2 teilen. Dieser Sachverhalt kann wie folgt illustriert werden:
Die Zusammengehörigkeit von Elementen innerhalb einer Kategorie über ein cluster sich überlappender Bedeutungen ist den traditionellen Merkmalssemantiken fremd. Gerade sie erlaubt es aber, zuvor ungelöste Phänomene zu analysieren wie das von Polysemien, die durch metaphorische und metonymische Erweiterungen von Wortbedeutungen (vgl. z.B. Dirven 1985) entstehen. Es kommt bei solchen Untersuchungen nur darauf an, das missing link zu finden, das die Eigenschaften der anscheinend unzusammenhängenden Elemente besitzt. Diese lassen sich dann zusammen mit dem missing link getrost derselben Kategorie zuordnen. In der Kognitiven Linguistik sind mit dem Konzept der Familienähnlichkeit schon einige bemerkenswerte Untersuchungen vorgenommen worden, etwa von George Lakoff (1987: 380-461) über den Ausdruck anger, von Claudia Brugman (1988) über die Präposition over, von Susan Lindner (1981) über die Präpositionen up und out und von John R. Taylor (1989) über den englischen Genitiv (auch der ist als grammatikalisierte Bedeutung ein semantisches Problem) und über die englischen Präpositionen in und round (Taylor 1995: 271-289).
Eine mögliche Gefahr bei der Verwendung der Familienähnlichkeitskonzeption besteht darin, dass sich bei hinreichend intensiver Suche immer ein Zwischenglied finden lässt, mit dem sich auch sehr unterschiedliche Elemente derselben "Familie" zuordnen lassen. Das kann zur Berücksichtigung auch von sehr weitläufigen "Verwandten" führen, oder terminologisch gefasst, zu stark polysemen Kategorien. Dies ist indessen nicht besonders sinnvoll, da ein solches Vorgehen zu einer "polysemy inflation" (Herweg 1988: 106) führt. Der Grund hierfür liegt im Fehlen eines trennscharfen Kriteriums dafür, wann man von Familienähnlichkeit sprechen sollte - eine solche Grenze kann höchstens operational und also ohne Anspruch auf universale Gültigkeit festgelegt werden. Will man Wittgensteins Konzeption zur Grundlage einer wissenschaftlichen Praxis machen, so sollte man sicher nur Fälle berücksichtigen, die ein hohes Maß an "Verwandtschaft" aufweisen, die also möglichst viele Eigenschaften teilen.
Der im Licht überwiegend experimentell gewonnener Ergebnisse radikal geänderten Konzeption von Bedeutung kommen gravierende Auswirkungen auf die Vorstellungen von gültiger Argumentation zu. Wenn nämlich semantische Merkmalen nicht mehr den Status der Notwendigkeit besitzen und dadurch die Kategoriengrenzen unscharf werden, so erweist sich das logische System (etwa die in der Linguistik als Erkenntnisinstrument weit verbreitete binäre Prädikatenlogik) als zumindest teilweise unbrauchbar. Weil die Elemente bestimmter Kategorien - wie weiter oben gezeigt wurde -, kleinere oder größere Grade an Zugehörigkeit zu diesen aufweisen können, lassen sie sich von einer binären Logik häufig nicht adäquat erfassen. Damit wird diese aristotelischen Form der Logik für bestimmte Zusammenhänge hinfällig, und es bedarf statt dessen einer "weichen" Logik, die durch die Verwendung mehrerer Wahrheitswerte auch mit gestuften Kategorien umgehen kann. Eine Zeit lang schien es, als könnte das Versagen der klassischen Logik durch die Einführung der von Lotfi A. Zadeh (1965) entwickelten fuzzy logic aufgefangen werden. Offenbar hat sie sich aber nicht bewährt - Sprache und Kognition folgen eben nicht der Exaktheit mathematischer Modelle, auch wenn sie statt mit strikten Werten mit Wahrscheinlichkeitswerten operieren.
Das teilweise Scheitern logischer Schlussfolgerungsmöglichkeiten hat auch Konsequenzen für die linguistische Theoriebildung, denn mit der Art der Kategorienkonzeption ändert sich zugleich der Voraussagewert sprachwissenschaftlicher Theorien:
Es ist im Lichte der neuen Erkenntnisse über die Beschaffenheit von Kategorien nicht mehr möglich, wie es das Konzept der Generativen Grammatik postuliert (z.B. Chomsky 1965), auf der Basis von bekannten Tiefenstrukturen und Transformationsregeln exakte Vorhersagen zu machen. Vielmehr bedarf es einer Theorie der Motivation, die einen "dritten Weg" aus der (falschen) Alternative Arbitrarität oder Vorhersagbarkeit darstellt. Eine solche neue Theorie erklärt beispielsweise metaphorische Erweiterungen des Lexikons, die weder präzise vorhersagbar, noch aber willkürlich sind. Wenn der polyseme Ausdruck "Kohle" eine Bedeutungsvariante besitzt, in der er synonym zu "Geld" ist, so ist diese metaphorische Ausdehnung der ursprünglichen Bezeichnung auf einen völlig anderen Referenten nicht mit den Prinzipien der Generativen Grammatik vorhersagbar. Dass sie umgekehrt auch nicht arbiträr ist, zeigt folgende Überlegung: Die Prototypentheorie könnte unter anderem als beiden in der ursprünglichen Bedeutung gemeinsame Merkmale finden, dass sowohl Geld als auch Kohle wertvoll sind und meist nur unter großen Mühen erworben werden; dass sie knappe Ressourcen darstellen; dass beide, besitzt man sie endlich einmal, das Leben angenehmer machen können; dass sie von fast allen Menschen begehrt werden; dass sie sich ziemlich leicht verflüchtigen. George Lakoff hat in mehreren Arbeiten solche metaphorischen "extensions of the lexicon" untersucht, z.B. in Lakoff (1987) und in Lakoff/Johnson (1980), ebenso Rudzka-Ostyn (1985 und 1988). Leider funktioniert solch eine Theorie der Motivation nicht mit der gleichen Präzision von Regeln und Gesetzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass im linguistischen Rahmen Vorhersagen schlichtweg unmöglich wären; sie sind bloß nicht, wie man es bei Regeln oder Gesetzen gerne hätte, strikt in jedem Fall anwendbar.
Der neue Status von semantischen Merkmalen beeinflusst weiterhin das Verständnis davon, welche Menge an Informationen in die lexikalische Beschreibung einfließen sollte. Traditionelle Merkmalssemantiken versuchen ja, so wenige Merkmale wie irgend möglich anzugeben - eine Konsequenz des in der Generativen Grammatik erhobenen Postulats, dass "die lexikalische Bedeutung als eine sprachliche Gegebenheit autonom" sein soll (Schwarze 1988: 143). Enzyklopädisches Wissen darf demzufolge nicht mit in die semantische Analyse im engeren Sinne eingehen. Von vielen Sprachwissenschaftlern wird jedoch der Sinn einer solchen Trennung von enzyklopädischem und sprachlichem Wissen bezweifelt. Stellvertretend sei die Position von Ronald Langacker wiedergegeben:
Mit der unzulänglichen Begründung einer Dichotomie von sprachlichem und enzyklopädischem Wissen wird ineins die Forderung nach einem Minimum an Bedeutungsmerkmalen hinfällig. Auf dem Hintergrund dieser Überlegung stellt sich dann die Frage, wie viel an Informationen der Kognitive Semantiker bei seinen Bedeutungsbeschreibungen angeben soll. Ronald W. Langacker (1987: 147 f.) fordert beispielsweise maximalistische Bedeutungsangaben und erläutert seine Position anhand des Umstandes, dass die Bedeutung von "nuckeln" (engl. to knuckle) nur verstanden werden kann im Hinblick auf das Konzept 'Finger': "[FINGER] provides the necessary context - or domain - for the characterization of [KNUCKLE] and hence constitutes one of its primary conceptual components". Dass für das Verstehen der Bedeutung auch vieler anderer Ausdrücke das Mitverstehen einer semantischen domain notwendig ist, scheint bei vielen anderen, besonders kulturell bedingten Ausdrücken offensichtlich, etwa bei Extemporale, Kanzler, Wahlamt, Sünde, Demut, Krankenschein oder Heilig Abend. Im Prinzip wäre also der Forderung nach maximalistischen Bedeutungsangaben zuzustimmen. Was jedoch den Alltag eines Wörterbuchbenutzers angeht, sind dem theoretischen Postulat praktische Bedenken entgegenzuhalten: Wenn sich jemand über die Bedeutung eines Ausdrucks informieren möchte, so ist er meist nicht daran interessiert, (approximativ) alles über die diesem entsprechende Kategorie zu wissen. Er wird aus kognitionsökonomischen Gründen versuchen, weder zu viel noch zu wenig in Erfahrung zu bringen, sondern ein Optimum an Information. Von diesem Einwand einmal abgesehen dürfte es in der lexikographischen Praxis auch nicht durchführbar sein, buchstäblich alle Merkmale eines Begriffs aufzuzählen, da auf diese Weise Wörterbücher von enormem Umfang entstehen würden.
Die Prototypentheorie, wie sie anfangs von Eleanor Rosch und ihren Mitarbeitern konzipiert worden war, wird in dieser Form heute praktisch von niemandem mehr vertreten. Es haben sich neben der Neufassung des Prototypengedankens durch Rosch selbst eine Reihe verwandter, durchaus eigenständiger Ansätze herausgebildet, die die verschiedenen Prototypeneffekte berücksichtigen, sie aber auf weit komplexere Modelle als auf Prototypen, beispielsweise auf idealized cognitive models, frames, scripts, scenes o.ä. zurückführen. Auch arbeiten manche Linguisten erfolgreich mit Theoriefragmenten der Prototypentheorie wie etwa der Familienähnlichkeitskonzeption.
Ein Grund für die weiteren Modifikationen der Prototypentheorie besteht darin, dass der Begriff des Prototypen bis heute nicht klar definiert werden konnte. Damit stellt sich die Frage, ob Prototypen vielleicht selber keine klar abgrenzbare Kategorie darstellen, wie das bei wissenschaftlichen Begriffen sonst gefordert wird. Dirk Geeraerts (1989: 592) hat die Auffassung vertreten, 'Prototyp' sei selbst ein prototypischer Begriff. Leider hätte das zur Folge, dass der gesamte Diskurs über Prototypen "schwammig" würde und sich so einem präzisen Verständnis entzöge. Diese für die wissenschaftliche Praxis äußerst unangenehme Konsequenz lässt sich jedoch leicht beheben, wenn "Prototyp" (wie viele andere wissenschaftlichen Begriffe auch) operational verwendet wird, also ohne die Existenz einer objektiv vorhandenen mentalen Struktur zu behaupten. Dann nämlich lassen sich durch wissenschaftliche Tätigkeit festzulegende exakte Kriterien für Prototypikalität angeben, auch wenn sie eine mehr oder weniger willkürliche Setzung sind.
Im Zentralitätsgedanken, einer wesentlichen Stärke der Prototypentheorie, sieht D. A. Cruse (1990: 388 f.) zugleich einen gravierenden Nachteil, denn er allein kann Probleme der Kategorisierung nicht lösen. Hierzu bedarf es weiterer Strukturen wie etwa kognitiver Schemata, die auch periphere Elemente beinhalten können:
Bislang kaum in systematischer Weise beantwortet ist auch die Frage nach dem Anwendungsbereich der Prototypentheorie. Sollte es wirklich so sein, dass diese als Erklärungsinstrument für alle Arten von Kategorien gleich gut geeignet ist? - Dies scheint fraglich, denn obwohl etwa in Zusammenhang mit natürlichen Zahlen Prototypeneffekte festgestellt wurden, können solche mathematischen Kategorien per definitionem keine prototypische Struktur aufweisen: Alle ihrer Elemente besitzen den gleichen epistemischen Status, zentrale Elemente gibt es nicht. Andere, lexikalische Kategorien lassen sich hingegen besser als prototypisch strukturiert vorstellen, wie etwa viele Begriffe für natürliche Arten ('Zitronen', 'Frösche', 'Kakteen'), für Artefakte ('Kühlschrank', 'Regenschirm', 'Auto'), kulturelle Begriffe ('Deutscher', 'Freiheit', 'Arbeit'), Präpositionen (in, auf, unter) und zahlreiche Adjektive (rot, leer, froh). Cecil H. Brown (1990: 24-46) streicht jedoch heraus, dass nicht einmal alle Begriffe für konkrete Objekte, d.h. für natürliche Arten und Artefakte, prototypische Strukturen aufweisen. Angesichts der bestehenden Unklarheiten wäre es als großer Erkenntnisgewinn für die Prototypentheorie anzusehen, wenn ihr Gültigkeitsbereich endlich so klar wie möglich festgelegt würde. Dabei könnte es sich erweisen, dass die Prototypentheorie und klassische Merkmalssemantiken durchaus komplementär sind, indem jede von ihnen für bestimmte Arten von Kategorien zuständig ist.
Will man abschließend die Leistungen der Prototypentheorie beurteilen, so zeichnet sich ein zwiespältiges Bild ab. Einerseits hat sie es nicht geschafft, die verdienstvollerweise von ihr entdeckten Prototypenphänomene in einem einheitlichen Theorierahmen zu erklären. Andererseits konnte sie manche grundlegende Irrtümer der klassischen Linguistik als offensichtlich unzutreffend entlarven und hat, zumindest teilweise, Vorschläge zur Lösung dieser Probleme erarbeitet. Die wesentlichen Erkenntnisse der Prototypentheorie für eine angemessene linguistische Bedeutungstheorie lassen sich thesenartig folgendermaßen fassen:
Die Herausarbeitung dieser vier Aspekte erscheint für die Linguistik bahnbrechend. Sie stellen einen idealen Ausgangspunkt für weitere Forschungen dar. Ohne das neue methodische Instrumentarium, wie es mit der Kognitiven Wende in der Linguistik immer stärkere Verbreitung fand, wäre der Umbruch des Faches jedoch mit Sicherheit ausgeblieben. Die außerordentlich weitreichende Wirkung Roschs lässt sich daran ablesen, dass mittlerweile selbst in den so genannten "exakten Wissenschaften" diskutiert wird, ob sich deren Begriffe nicht als prototypisch strukturiert konzipieren lassen (vgl. Zawada/Swanepoel 1994). Eine Sichtung neuerer Publikationen ergab Anwendungen der Prototypentheorie unter anderem im Bereich der Entwicklungs-, Sprach- und Kognitionspsychologie, der Ethnolinguistik, der Psycholinguistik, der Pragmatik, der Phonetik, der Morphologie, der Grammatik, der Spracherwerbsforschung, der historischen Grammatik, der historischen Semantik, der lexikalischen Semantik, der Fremdsprachendidaktik, der kontrastiven Linguistik und schließlich auch der Lexikographie. Michael Posner (1986: 53 f.) übertreibt die Bedeutung Eleanor Roschs für die Linguistik also nicht, wenn er von einer "Roschian revolution" spricht.
Aitchinson, Jean (1994): Words in the Mind. An Introduction to the Mental Lexicon. 2. Auflage Oxford.
Anglin, Jeremy M. (1978): "From reference to meaning". Child Development 49/4: 969-976.
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