Kontrastive Grammatik Berndeutsch / Standarddeutsch
Einige ausgewählte Aspekte*

Gabriela Burri / Denise Imstepf (Bern)



1 Einleitung

Die hier präsentierten Untersuchungen zum Berndeutschen und Standarddeutschen entstanden im Rahmen eines Projektseminars, in dem Vorarbeiten für eine umfassende kontrastive Grammatik durchgeführt wurden. Die beiden Autorinnen haben sich exemplarisch mit einigen Fragestellungen auseinandergesetzt. Dabei wurden im Bereich der Morphologie der Nomina der Akkusativ und der Genitiv, im Bereich der Syntax die Stellung der verbalen Glieder im Satz als Untersuchungsgegenstände ausgewählt.

Beim Berndeutschen handelt es sich primär um eine gesprochene Sprache. Der Sprachraum lässt sich folgendermassen eingrenzen: "Das Berndeutsche bildet das Hauptgebiet des Westschweizerdeutschen, zu dem auch der westliche Teil des Kantons Aargau, das Solothurnische südlich des Jurafusses, der westliche Teil des Kantons Luzern (hauptsächlich mit dem Entlebuch) und das Deutschfreiburgische gehören." (Marti 1985: 9) Eine detailiertere Abgrenzung sowie eine Feingliederung ins Nord-, Mittel- und Südbernische (entspricht der geographischen Einteilung Seeland, Mittelland und Oberland) findet sich bei Hotzenköcherle (1984: 193-225). Während sich in den Varietäten innerhalb dieses Sprachraumes phonetisch einige Unterschiede beobachten lassen, weisen Syntax und Morphologie eine weitgehende Homogenität auf. Deshalb haben wir darauf verzichtet, die einzelnen Varietäten zu differenzieren. Wir selbst verfügen eher über eine mittelbernische Dialektkompetenz. Für die berndeutsche Schreibung folgen wir der weiten Dieth-Schreibung (vgl. Dieth 1986).

Wir haben uns dafür entschieden, uns grob an die traditionelle Grammatik zu halten, da wir der Meinung sind, dass spätere BenutzerInnen der Grammatik, die aus Entwürfen wie dem vorliegenden hervorgehen könnte, am ehesten traditionelles grammatisches Vorwissen mitbringen; auf diese Weise können auch Nicht-Spezialisten sich schnell zurechtfinden. Einen anderen Zugang wählten Penner (1993) und Penner/Bader (1994), die aufgrund ihres X-bar-Schema-Ansatzes eher ein linguistisch versiertes Publikum ansprechen.[1]

Ziel dieser Arbeit war nicht eine Sammlung von möglichst vielen seltenen, urchigen und archaischen Besonderheiten des Berndeutschen. SprachnostalgikerInnen mögen sich bitte z.B. an Hodler (1969) und Marti (1985) halten.

Da alle SprecherInnen des Berndeutschen über mehr oder weniger gefestigte Standardkenntnisse verfügen (Amtssprache ist Standarddeutsch), bietet sich eine kontrastive Untersuchung durchaus an. "Die kontrastive Analyse geht davon aus, dass durch Sprachvergleich zweier Sprachsysteme auf allen Ebenen und mittels des gleichen grammatikalischen Modells Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen diesen Systemen aufgedeckt werden können." (Rosenberg 1986: 44). Weiterführend wäre eine fehlerlinguistische Analyse mit didaktischen Zielen, so wie Rosenberg (1986: 55) sie fordert, durchaus wünschenswert. Ausgehend von der Fehlerdiagnostik konzipierten Ammon/Löwer (1977) bereits ein Didaktikmodell für schwäbische SchülerInnen, die als Dialektsprechende das Standarddeutsche erlernen sollen.

Bei der syntaktischen Untersuchung der Kasus sind wir von der standarddeutschen Grammatik ausgegangen und haben untersucht, wie die entsprechenden Kasus im Berndeutschen realisiert werden. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, auf ein einigermassen stabiles grammatikalisches Gerüst bauen zu können und eine gute kontrastive Darstellung zu ermöglichen, birgt aber die Gefahr, möglicherweise gewisse berndeutsche Eigenheiten zu übersehen.

Bei den Verbstellungen haben wir ausgehend von der Darstellung fürs Standarddeutsche bei Hentschel/Weydt (1994: 382-386) anhand von berndeutschem Sprachmaterial (konstruierte Beispielsätze sowie Material aus einer kleinen Umfrage) ein eigenes Modell für das Berndeutsche entwickelt.

Trotz - oder gelegentlich auch: gerade wegen - eingehender Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand sind wir immer wieder an Grenzen gestossen. Eine interessante Erfahrung war der Verlust des Vertrauens in das eigene Sprachgefühl bei intensiver metasprachlicher Reflexion. Dies hat uns immer wieder veranlasst, mehr oder weniger formelle Umfragen zu starten und auszuwerten. Im weiteren Verlauf einer Untersuchung wird es unabdingbar sein, mit einer breiteren Materialbasis zu arbeiten. Leider ist das vorhandene Material (z.B. Hodler 1969 oder Marti 1985) veraltet und das Gewinnen einer aktuellen, breiten Materialbasis war im Rahmen dieser Vorarbeit zu aufwändig. Deshalb sahen wir uns öfters gezwungen, die Erforschung gewisser Aspekte auszuklammern. Wir haben dies jeweils mit einem "Agenda" - Eintrag in der Fussnote markiert.

 

2 Die Kasus

2.1 Der Akkusativ

Entgegen der viel gehörten Aussage, es gebe im Berndeutschen (im Folgenden: Bdt; Standarddeutsch im Folgenden: Std) keinen Akkusativ, sind wir der Meinung, dass es ihn doch gibt. Wir behaupten, dass im Bdt die Deklinationsparadigmen des Substantivs für den Nominativ und den Akkusativ zusammenfallen, nicht aber die Kasus an und für sich. Wir werden dies im Weiteren belegen.[2]

2.1.1 Das Akkusativobjekt

Zunächst sollen Fälle betrachtet werden, in denen der Akkusativ vom Verb regiert wird, also Akkusativobjekte bzw. direkte Objekte. Im Berndeutschen gibt es ausser in Relikten im Oberland (vgl. Bratschi/Trüb 1991: 13) keine morphologische Akkusativmarkierung für Substantiv und Artikel:[3]

Std: Wir sehen den Hasen.  - Der Hase sitzt hinter dem Busch. 
Bdt: Mer gsee dr Haas.  - Dr Haas hocket hinger em Busch. 

Wenn wir uns aber dem Personalpronomen zuwenden, können wir folgendes feststellen (Beispielsatz: 'ich sehe, du siehst etc. den Hund' / 'der Hund sieht mich, dich etc.'):

Personalpronomen im Nominativ

  

Personalpronomen im Akkusativ[4]

i

gsee

     

mi / mii (offenes i)

du

gseesch

     

di / dii (offenes i)

er|si|es

gseet

dr Hung

dr Hung

gseet

ne|se|s / in|sii/seie|ins

mer

gsee

     

(n)is / üs

dir

gseet

     

(n)ech / öich

si

gsee

     

se / sii/seie

Das berndeutsche Personalpronomen unterscheidet morphologisch Nominativ und Akkusativ. Beide Kasus werden realisiert.

Zum Interrogativpronomen ist ergänzend anzumerken:
Im Standarddeutschen wird der Nominativ (d.h. das Subjekt bzw. der Gleichsetzungsnominativ) mit dem Interrogativpronomen wer erfragt, das Akkusativobjekt mit wen. Im Berndeutschen lautet das Interrogativpronomen im Nominativ wär, im Akkusativ verhält es sich etwas komplizierter. Sowohl wär als auch wän sind geläufig. Marti (1985: 106) und Hodler (1969: 262) erwähnen beide wän als alte Form, die kaum noch anzutreffen ist. Unsere Beobachtungen geben aber Grund zur Annahme, dass v.a. durch Dialektsprechende mit häufigem Kontakt zum Standarddeutschen wän durchaus wieder in den Wortschatz dringt. Eine informelle Umfrage mit 10 Befragten lieferte folgendes Resultat: Je etwa die Hälfte der Befragten braucht aktiv wär bzw. wän. Ausnahmslos alle bewerten wär als korrekt. Die meisten stossen sich nicht an einem wän, eine Person reagierte darauf mit Skepsis.

2.1.2 Der Gleichsetzungsakkusativ

Man trifft den Gleichsetzungsakkusativ im Std in Verbindung mit Verben des Benennens wie nennen, heissen, schelten an. Im Berndeutschen werden z.B. diese drei Verben nicht gebraucht. Nennen und heissen werden durch sagen ersetzt, auf das Verb folgen ein Dativ und eine hier nicht bestimmbare Form (Nominativ/Akkusativ?):

Std: Wir nennen ihn den Rotschopf.
Bdt: Mer säge(n) im dr Rotschopf.

Bei transitiven Verben mit als oder für (kennen als, mögen als, halten für...), die es auch im Bdt gibt, folgt zwar meist ein Substantiv, bei dem der Akkusativ morphologisch nicht markiert werden kann:

Std: Wir kennen ihn als lebhaften Menschen.
Bdt: Mer kenne ne aus läbhafte Mönsch.
Std: Ich halte sie für eine Schnepfe.
Bdt: I haute se für(n) e Schnepfe.

Doch ein etwas konstruiertes Beispiel mit Personalpronomen zeigt, dass es sich tatsächlich um einen Akkusativ handelt:

Std: Ich kenne ihn sonst nur als ihn selbst(, doch gestern hat er ein Schauspiel abgezogen).
Bdt: I kenne ne süsch nume aus in säuber(, aber geschter het er es Theater abzoge).

2.1.3 Akkusativ beim Adjektiv

Der zweite untersuchte Fall betrifft Akkusative, die von einem Adjektiv regiert werden, also Objekte zweiten Grades.

Std:  Ich bin ihm noch einen Franken schuldig.  Ich bin ihn ihm noch schuldig. 
Bdt:  I bi(n) im no(n) e Franke schuwdig.  I bi(n) im ne no schuwdig. 

Die Ersatzprobe mit dem Pronomen zeigt, dass es sich eindeutig um einen Akkusativ handelt. Der Akkusativ beim Adjektiv funktioniert im Berndeutschen gleich wie im Standarddeutschen.

2.1.4 Akkusativ bei der Präposition

Zu unterscheiden sind Präpositionen, die immer einen Akkusativ verlangen, wie um, für, durch.

Std:  um den Tisch für die Mutter durch das Haus
Bdt:  ume Tisch[5],  für d Mueter dür ds Huus

Std: das Geschenk ist für ihn (den Vater)
Bdt: ds Gschänk isch für in (e Vatter)

Andere Präpositionen regieren einen Akkusativ, wenn sie gerichtet sind, ungerichtet hingegen einen Dativ, so etwa: an, in, auf.

ungerichtet:

Std:  im Wald sein auf dem Pferd sitzen
Bdt:  im Waud sii uf em Ross hocke 

gerichtet:

Std:  an den Bruder denken in das Haus gehen auf das Pferd steigen 
Bdt:  a Brüetsch dänke[6],  i ds Huus gaa uf ds Ross stige 

Std: er denkt an ihn (den Bruder)
Bdt: er dänkt a ne (Brüetsch)

Die Ersatzprobe mit dem Pronomen zeigt, dass auch hier im Berndeutschen ein Akkusativ vorliegt. Der Akkusativ bei Präpositionen funktioniert im Berndeutschen also ebenfalls gleich wie im Standarddeutschen.

2.1.5 Der freie Akkusativ

Unter freien Akkusativen werden im Folgenden alle Fälle zusammengefasst, in denen der Akkusativ von keinem anderen Element des Satzes abhängig ist (im Gegensatz etwa zum Akkusativ, der von einer Präposition regiert wird).[7]

Lokale und temporale freie Akkusative beantworten die Frage wie lange, sowohl auf die zeitliche als auch auf die räumliche Ausdehnung bezogen. Man kann hier immer noch eine ursprüngliche Funktion des Akkusativs (Kasus der Ausdehnung und Richtung) erkennen.

Std: Den ganzen Tag haben wir an dieser Grammatik geackert.
Bdt: Dr ganz Taag hei mer a där Grammatik gacheret.

Std: Den ganzen Heimweg bin ich gerannt.
Bdt: Dr ganz Heiwääg bi(n) i grennt.

Morphologisch ist im Berndeutschen nicht ersichtlich, ob es sich auch hier um einen Akkusativ handelt. Eine Ersatzprobe ist nicht möglich.

Zwei Fakten sprechen aber dafür: erstens antwortet dieser Satzteil auch im Berndeutschen auf die Fragen wi lang/wi läng (zeitlich/räumlich), zweitens können wir davon ausgehen, dass der Akkusativ auch im Berndeutschen hier noch seine ursprüngliche Funktion als Kasus der Ausdehnung erfüllt, losgelöst vom Verb.

 

2.2 Der Genitiv

Im Standarddeutschen kann der Genitiv in jeder beliebigen Funktion auftreten, wobei er aber im mündlichen Gebrauch von den anderen Kasus zunehmend verdrängt wird. Der Grund hierfür liegt darin, dass Genitivkonstruktionen als archaisch empfunden werden. In festen Redewendungen bleibt der Genitiv aber erhalten: Bist du des Teufels?

Im Berndeutschen ist der Genitiv nicht zu finden, ausser in festen Redewendungen: Was Tonners? (wörtl.: 'Was des Donners?'), Was Guggers? (wörtl.: 'Was des Kuckucks?'), Auuer Gattig Lüt, Chind Gottes - oder noch in ländlichen Gebieten wie etwa im Simmental (vgl Bratschi / Trüb 1991: 14) im Zusammenhang mit Familiennamen und Familienanreden: s Pfarrers Frou, s Vatters Wärchstatt.[8]

In allen anderen Fällen wird der standarddeutsche Genitiv durch einen Dativ mit Possessivpronomen (eine auf den Ausruck von Possessivität beschränkte Konstruktion, siehe im Folgenden unter 2.2.1) oder eine Präposition mit Dativ, oft: von + Dat. (die neutralste Ersatzform) ausgedrückt:

des Vaters Haus - em Vatter sis Huus (wörtl.: 'Dem Vater sein Haus')[9]
das Haus des Vaters
- ds Huus vom Vatter

2.2.1 Typen attributiver Genitive

Im Folgenden werden verschiedene Typen attributiver Genitive im Standarddeutschen vorgestellt. Der von einem Substantiv abhängige Genitiv ist der am meisten gebrauchte Genitiv im Standarddeutschen. Zu den jeweiligen Beispielen stehen auch die berndeutschen Entsprechungen, die nochmals veranschaulichen, was oben beschrieben wurde.

a) Genitivus possessivus

Er gibt Auskunft über Zugehörigkeit und Besitzverhältnis:

Der standarddeutsche Genitiv wird im Berndeuschen durch die Präposition von + Dativ ausgedrückt:

die Höhle des Löwen - d Höli vom Löi
das Haus der Petra - ds Huus vor Petra

Im Berndeutschen gibt es noch eine weitere Möglichkeit, dieses Possessivverhältnis auszudrücken. Die Konstruktion funktioniert folgendermassen: Beim Substantiv steht ein Possessivpronomen, und von diesem hängt ein Dativ ab, der vorangestellt wird.

er Petra ires Huus wörtl.: 'an der Petra ihr Haus'[10]
dr Astrid Lindgren iri Pippi Langstrumpf
wörtl.: 'der Astrid Lindgren ihre Pippi Langstrumpf'
em Löi sini Höli
wörtl.: 'dem Löwen seine Höhle'

Dieser Konstruktionstyp ist nicht auf das Bdt beschränkt, sondern findet sich auch in anderen Varietäten des Deutschen.

Possessive Genitive bei Eigennamen:

Genitive von Eigennamen und von Substantiven in Eigennamenfunktion können im Standarddeutschen auf zwei Arten gebildet werden.[11]

Bei Artikelgebrauch wird der Genitiv endungslos gebildet:

das Fahrrad der kleinen Sophie

Im Berndeutschen entsprechen diesen Genitiven Formen mit von + Dativ, wie sie auch im Standarddeutschen als Ersatzformen gebildet werden können:

das Fahrrad von der kleinen Sophie - ds Velo vor chliine Sophie
ds Outo vom Roland
ds Huus vom Vatter

Ohne Artikel bilden Eigennamen den -s-Genitiv. Dieser Genitiv wird bevorzugt vor das Beziehungswort gestellt:[12]

Sophies Fahrrad - Sophies Velo
Rolands Auto - Rolands Outo
Vaters Haus - Vatters Huus

Wie allgemein bei possessiven Genitiven funktioniert im Berndeutschen die oben beschriebene Dativkonstruktion mit Possessivpronomen auch bei Eigennamen:

em Roland sis Outo

b) Genitivus objectivus

Bei der Umwandlung in einen verbalen Ausdruck wird die Genitivwendung (bzw. der berndeutsche Präpositionalausdruck) zu einem Akkusativobjekt:

die Besteigung des Eigers - d Bestigig vom Eiger
jemand besteigt den Eiger - öpper bestigt dr Eiger

c) Genitivus subjectivus

Durch Umwandlung in eine entsprechende Satzkonstruktion wird der Genitiv (bzw. der berndeutsche Präpositionalausdruck) zum Subjekt:

das Treffen des Vereines - ds Träffe vom Verein
der Verein trifft sich - dr Verein trifft sech

Objectivus wie subjectivus werden im Bdt durch Präpositionalgefüge ersetzt.

d) Genitivus partitivus

Der Genitiv (bzw. der berndeutsche Präpositionalausdruck) bezeichnet das Ganze, von dem ein Teil genommen wird:

die Hälfte des Apfels - d Häufti vom Öpfu

e) Genitivus qualitatis

Dieser Genitiv (bzw. berndeutsche Präpositionalausdruck) macht genauere Angaben über die Beschaffenheit des vorangehenden Substantivs:

ein Mann mittleren Alters - e Maa im mittlere Auter (in + Dativ)

Abermals erfolgt die Ersetzung erwartungsgemäß durch eine Präpositionalphrase, wobei die benutzte Präposition hier semantisch angepasst wird und nicht von, sondern in lautet.

2.2.2 Das Genitiv-Objekt

Genitive, die vom Verb abhängen, sind auch im Standarddeutschen selten. Im Berndeutschen gibt es keine analoge Konstruktion, die Aussage wird - wie ja meist auch im Standarddeutschen - umformuliert, vorwiegend in einen Ausdruck mit Präpositional-Objekt:

Ich erinnere mich seiner. - Ich erinnere mich an ihn. - I erinnere mi a ne.
Man verwies ihn des Landes. - Man hat ihn aus dem Land verwiesen. - Me het ne us em Land verwise.

Die Proposition kann auch mit einem anderen Verb oder einer präpositionalen Fügung ausgedrückt werden. Abermals lassen sich solche Ersetzungen auch im Std beobachten, und das Bdt hat diese Entwicklung nur konsequent zu Ende geführt, so dass es keine Genitivgefüge mehr gibt.

Sie bedarf der Hilfe. - Sie braucht Hilfe. - Si bruucht Hiuf.
Ich harre deiner. - Ich warte auf dich. - I waarte uf di.

2.2.3 Genitiv beim Adjektiv

Für Genitiv-Objekte zweiten Grades gilt das Gleiche wie für Genitiv-Objekte.

Er ist ihrer nicht würdig. - Er isch nid guet gnue für sii.
Er ist sich des Problems nicht bewusst. - Ds Probleem isch im nid bewusst.

Solche Konstruktionen sind nicht frequent. Sie werden meist mit Dativ gebildet, Akkusativ ist jedoch ebenfalls möglich:[13]

Si isch sech däm bewusst. (Dativ)
Er isch sech das bewusst.
(Akkusativ)
Er isch sech em Probleem bewusst.
(Dativ)
Si isch sech dr Taatsach bewusst. (Dativ - hier gleichlautend wie Genetiv)

2.2.4 Genitiv bei der Präposition, Circumposition und Postposition

Prä-, Circum- und Postpositionen, die im Standarddeutschen Genitive regieren können, werden im Berndeutschen wie oft auch im Standarddeutschen mit Dativ gebraucht:

wegen des Wetters - wägem Wätter[14] (Dativ)
ausserhalb des Hauses - usserhaub vom Huus
(von + Dativ)
um des lieben Friedens willen - em Fride zlieb
(suppletive Konstruktion, entsprechend Std dem Frieden zuliebe)

Nur in festen Wendungen, meist in religiösem Zusammenhang, lässt sich noch ein berndeutscher Genitiv beobachten:

ums Gotts Wiuue, um ds Himmus Wiuue (wörtl: um des Gottes Willen, um des Himmels Willen)

2.2.5 Der freie Genitiv

Als "freier" Genitiv wird hier jeder Gebrauch des Genetivs bezeichnet, bei dem der Kasus von keinem anderen Element des Satzes abhängig ist. Im Berndeutschen wird diese Konstruktion normalerweise umgangen:

eines schönen Tages - (einisch) amene schööne Taag[15]
Meines Erachtens ist dies falsch. - Nach mire Meinig isch das fautsch.
Gesenkten Blickes ging er hinaus. - Mit gsänktem Blick isch er use ggange.

2.2.6 Der prädikative Genitiv

Es besteht keine direkte Abhängigkeit des Genitivs von Elementen im Satz, jedoch ist er syntaktisch als Prädikativ stärker in den Satz eingebunden:

Dieses Wort ist lateinischen Ursprungs.
Sie ist guter Laune.

Im Berndeutschen wird diese Konstruktion mit haben +Akkusativ ausgedrückt:

Das Wort het latinische Ursprung.
Si het e guete Luun.[16]

 

3 Verbstellung

Die Stellung der verbalen Teile des Satzes ist im Standarddeutschen wie im Berndeutschen genau festgelegt. Anhand der Stellung des Finitums werden Kern-, Stirn- und Spannsatz unterschieden.[17]

Ein Kernsatz liegt vor, wenn sich der Satz durch Finitum-Zweitstellung auszeichnet:
HS: Er schweigt oft.
NS: Ich weiss, er ist schüchtern.

Vom Stirnsatz spricht man bei Finitum-Erststellung:
HS: Gehst du zur Schule?
NS: Schaut man genau hin, erkennt man die Struktur.

Bei diesen zwei Stellungstypen stehen die übrigen verbalen Teile am Satzende. Die genaue Anordnung besprechen wir im Kapitel 3.1 Verbstellungen in Hauptsätzen.

Der dritte Stellungstyp im Standarddeutschen ist der Spannsatz, der Finitum-Letztstellung aufweist:
HS: Wenn ich die deutsche Syntax doch durchschauen würde!
NS: Ich weiss, dass es schwierig ist.

Die übrigen verbalen Glieder treten im Standarddeutschen unmittelbar vor das Finitum. Im Berndeutschen verhält sich die Sache etwas komplizierter (vgl. Kapitel 3.2. Verbstellungen in Nebensätzen).[18]

Die Stellungen der übrigen Satzglieder zeigen sich flexibler. Wie für die verbalen Teile bestehen für die übrigen Satzglieder syntaktische Regularitäten. Nach diesen Regeln kann eine Grundreihenfolge für die Satzglieder erstellt werden.[19] Diese wird aber überlagert von Regeln der kommunikativen Funktion eines Satzes in dessen situativem oder textuellem Kontext. Ausschlaggebend für die Stellung der Satzglieder ist also schliesslich die kommunikative Absicht, die sich in der Thema-Rhema-Struktur abbildet.[20] D.h. vereinfacht, dass das der Aussage zugrunde Liegende das Thema bildet und das, was darüber gesagt wird, dem Rhema zuzuordnen ist. Dabei steht im Satz das Thema immer vor dem Rhema. Auf diese Fragen soll hier aber nicht weiter eingegangen werden. Eine umfassende Darstellung fürs Standarddeutsche findet sich bei Eroms (1986). Lötscher (1978) arbeitet die Thema-Rhema-Gliederung für die Interpretation der verschiedenen Stellungsmöglichkeiten von Verben und Objekten im Zürichdeutschen heraus.

Allgemeine Bemerkung:

Einige Verben bilden bei Perfektkonstruktionen anstelle des Partizips einen sog. Ersatzinfinitiv.

Eine kontrastive Zusammenstellung findet sich im Anhang "Ersatzinfinitiv". Die Beispiele dort haben alle dreiteilige Prädikate. Die Verbstellungen der berndeutschen Sätze fügen sich problemlos in unser Modell, das im Folgenden vorgestellt werden soll.

 

3.1 Verbstellung in Hauptsätzen

Der frequenteste Hauptsatztyp ist der Kernsatz, der im Folgenden näher betrachtet werden soll. Die Stellung der verbalen Glieder (natürlich mit Ausnahme des Finitums) gilt aber genauso für den Stirnsatz.

Die Verbstellungen in standarddeutschen und in berndeutschen Kernsätzen sind recht unterschiedlich. Wir haben für beide Varietäten eine Verbkette zusammengestellt. Diese ist so zu lesen, dass Glieder leer bleiben können (eine Option, von der in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch Gebrauch gemacht wird), dass aber diejenigen, die auftreten, genau in der festgelegten Reihenfolge erscheinen müssen.

3.1.1 Verbstellung in berndeutschen Hauptsätzen

Die Verbkette:

Das Finitum kann mit einem Verb jeder Funktionsklasse realisiert werden. Die weiteren auftretenden Prädikatsteile erscheinen in der obigen Reihenfolge, abhängig von der Funktionsklasse des Verbs.

Einige Realisationen:

2-teilige Prädikate:

Da von zweiteiligen Prädikaten eine Komponente immer das Finitum ist und dieses in beiden Varietäten immer an erster Stelle steht, unterscheidet sich die Verbstellung berndeutscher und standarddeutscher Hauptsätze mit zweiteiligen Prädikaten nicht.

Präsens mit MV: er muss arbeiten - er muess schaffe  F (Modalverb) - Inf. VV
Präsens passiv: er wird gehasst - er wird ghasset  F (Hilfsverb) - Part. VV
Perfekt aktiv: ich bin gegangen - i bi ggange  F (Hilfsverb) - Part. VV
  ich habe gelesen - i ha gläse  

3-teilige Prädikate:

Präsens mit MV und mV: si muess ne la gaa  F (Modalverb) - Inf. mV - Inf. VV

Perfekt aktiv mit MV: si het wöuue schlaafe  F (Hilfsverb) - Inf. MV - Inf. VV
Perfekt aktiv mit mV: si het ne la sueche  F (Hilfsverb) - Inf. mV - Inf. VV
Perfekt passiv: er isch gsee worde  F (Hilfsverb) - Part. VV - Part. HV
Doppelperfekt aktiv: er isch ggange gsii  F (Hilfsverb) - Part. VV - Part. HV
  er het's ghöört ghaa  

4- teilige Prädikate:

Perfekt mit MV und mV: si het ne müesse la gaa  F (Hilfsverb) - Inf. MV - Inf. mV - Inf. VV
Perfekt passiv mit MV : d Uur het müesse gflickt wäärde  F (Hilfsverb) - Inf. MV - Part. VV - Inf. HV
 

3.1.2 Verbstellung in standarddeutschen Hauptsätzen

Die Verbkette:

Während die Verbstellung im Berndeutschen allein von der Funktionsklasse der Verben abhängt, tritt im Standarddeutschen ein weiteres Kriterium hinzu: Partizipien stehen immer vor Infinitiven.

Einige Realisationen:

2-teilige Prädikate:

Futur I: ich werde lesen  F (Hilfsverb) - IVV
PQP: ich hatte geschlafen  F (Hilfsverb) - PVV

weitere Beispiele siehe Kapitel 3.1.1 zu berndeutschen Hauptsätzen

3-teilige Prädikate:

Präsens mit MV und mV: sie muss ihn gehen lassen  F (Modalverb) - IVV - ImV
Präsens mit MV u. Inf Perf.:

ein Unglück muss passiert sein

 F (Modalverb) - PVV - IHV
Perfekt aktiv mit MV: sie hat schlafen wollen  F (Hilfsverb) - IVV - IMV
Perfekt aktiv mit mV: sie hat ihn suchen lassen  F (Hilfsverb) - IVV - ImV
Perfekt passiv: er ist gesehen worden  F (Hilfsverb) - PVV - PHV
Präteritum mit MV und mV: sie wollte ihn gehen lassen  F (Modalverb) - IVV - ImV
PQP aktiv mit MV: sie hatte weinen müssen  F (Hilfsverb) - IVV - IMV
PQP passiv: er war gesehen worden  F (Hilfsverb) - PVV - PHV

4- teilige Prädikate:

Perfekt mit MV und mV: sie hat ihn gehen lassen müssen  F (Hilfsverb) - IVV - ImV- IMV
Perfekt passiv mit MV: die Uhr hat geflickt werden müssen  F (Hilfsverb) - IVV - IHV - IMV
Futur I mit MV und mV: sie wird sich untersuchen lassen müssen  F (Hilfsverb) - IVV - ImV - IMV
Futur I passiv mit MV:

er wird untersucht werden müssen

 F (Hilfsverb) - PVV - IHV - IMV
 
 

3.2 Verbstellung in Nebensätzen

3.2.1 Verbstellung in standarddeutschen Nebensätzen

Wie einleitend erwähnt, können auch Nebensätze alle drei Stellungstypen aufweisen. Stirn- und Kernsätze werden ohne Konjunktion gebildet und deshalb auch uneingeleitete Nebensätze genannt.[21]

Der frequentere Nebensatztyp ist jedoch der Spannsatz mit Finitum-Letztstellung. Er wird mit einer subordinierenden Konjunktion eingeleitet.[22]

Die Reihenfolge der weiteren Prädikatsteile unterscheidet sich nicht von der Regel für Haupsätze.

Ich bin müde, weil ich zu wenig geschlafen habe.  PVV - F (Hilfsverb)
Ich weiss nicht, ob er arbeiten muss.  IVV - F (Modalverb)
Er glaubt nicht, dass er gesehen worden ist.  PVV - PHV- F (Hilfsverb)
Er klammerte, obwohl er sie gehen lassen wollte.  IVV - ImV - F(Modalverb)

Eine Ausnahme bilden Perfektkonstuktionen mit Ersatzinfinitiv, die das Finitum vor die anderen Prädikatsteile stellen. Die weiteren Prädikatsteile folgen nach der Regel für Hauptsätze, was bedeutet, dass der Infinitiv in Partizipfunktion am Ende des Satzes steht.

Sie ist müde, weil sie nachts hat arbeiten müssen.  F (Hilfsverb) - IVV - IMV
Er blieb verschollen, obwohl sie ihn hat suchen lassen.  F (Hilfsverb) - IVV - ImV

3.2.2 Verbstellung in berndeutschen Nebensätzen

Wie im Standarddeutschen gibt es auch im Berndeutschen den Nebensatztyp Stirnsatz:
Wäär er chli früecher ggange, hätt s im glängt.
Er folgt den gleichen Regeln wie der berndeutsche Hauptsatz.

Wesentlich komplizierter ist die Lage bei berndeutschen Nebensätzen mit einleitender Konjunktion. Zur Erklärung wollen wir kurz auf die Entstehung des Nebensatzes eingehen. Wir halten uns dabei an Hodler (1969: 679-691).

Er setzt als Grundlage den streng analytisch gebauten Ursatz:[23]
Subjekt - Finitum - trennbare Verbzusätze und andere Prädikatsteile - direktes Objekt oder Prädikativ - indirektes Objekt - Satzadverbialien.

Der Nebensatz entwickelt sich dann nach dem Gesetz der Antizipation, der Vorausnahme des wichtigsten Satzgliedes, zur heutigen Form, indem nach und nach Satzglieder vor das Finitum treten, erst trennbarer Verbzusatz, dann direktes Objekt usw., bis das Finitum am Ende des Satzes steht.

Dabei erweisen sich einige Konstruktionen als sperriger als andere. Dazu gehören insbesondere zuammengesetzte Verbalformen:

Perfekt: wüu er s het gseit - wüu er s gseit het
Doppelperfekt: wüu er s het gseit ghaa - wüu er s gseit ghaa het
Präsens mit Inf. Perf: das er söu gseit haa - das er gseit haa söu

Wir sehen, dass diese Entwicklung im Standarddeutschen weitergegangen ist als im Berndeutschen. Ausser bei Konstruktionen mit Ersatzinifinitiv hat sich die Finitum-Letztstellung im Standarddeutschen durchgesetzt.

Im Berndeutschen stehen sich heute die beiden Perfektvarianten in etwa gleichberechtigt gegenüber. Konstruktionen mit Modalverben hingegen streuben sich hartnäckig gegen diese Entwicklung, wie wir auch den folgenden Beispielen entnehmen können. Die Angaben in runden Klammern bezeichnen die Anzahl der Nennungen bei unserer kleinen Umfrage.[24]

2-teilige Prädikate:

Präsens mit MV: Das Finitum steht bevorzugt vor den anderen Prädikatsteilen.

a) I weiss nid, öb er muess schaffe. (6)  F (Modalverb) - Inf. VV
  I weiss nid, öb er schaffe muess. (2)[25]  Inf VV - F (Modalverb)

Präsens passiv: Hier scheint nur Finitum-Endstellung möglich.

b) Ds Ching grännet, wüu s badet wird.  Part. VV - F (Hilfsverb)

Perfekt aktiv: Das Finitum kann vor oder nach dem zweiten Prädikatsteil stehen.[26]

c) I gloube, das i s gseit ha. (4)  Part. VV - F (Hilfsverb)
  I gloube, das i s ha gseit. (0)[27]  F (Hilfsverb) - Part. VV
d) I weiss, das er ggange isch. (6)  Part. VV - F (Hilfsverb)
  I weiss, das er isch ggange. (2)[28]  F (Hilfsverb) - Part. VV
e) Si si no nid da, wüu dr Zug no nid aachoo isch. (2)  Part. VV - F (Hilfsverb)
  Si si no nid da, wüu dr Zug no nid isch aachoo. (6)  F (Hilfsverb) - Part. VV

3-teilige Prädikate:

Präsens mit MV und mV: Das Finitum steht bevorzugt vor den anderen Prädikatsteilen.

a) Si isch truurig, wüu si ne muess la gaa. (5)  F (Modalverb) - Inf. mV - Inf. VV

Perfekt mit MV: Das Finitum steht bevorzugt vor den anderen Prädikatsteilen.

b) Si isch glücklech, das si het dörfe läse. (5)[29]  F (Hilfsverb) - Inf. MV - Inf. VV

Perfekt passiv: Keine bevorzugte Variante

c) Ds Probleem isch nid glöst, obwou s isch besproche worde. (4)  F (Hilfsverb) - Part. VV - Part. HV
  Ds Probleem isch nid glöst, obwou s besproche worde isch. (4)[30]  Part. VV - Part. HV - F (Hilfsverb)

4-teilige Prädikate:

Perfekt mit MV und mV: Das Finitum steht bevorzugt vor den anderen Prädikatsteilen.

a) Si isch truurig, wüu si ne het müesse la gaa. (5)  F (Hilfsverb) - Inf MV - Inf. mV - Inf. VV

Perfekt passiv mit MV: Das Finitum steht bevorzugt vor den anderen Prädikatsteilen.

b) I ha s gmacht, wüu s het müesse gmacht wäärde. (5)[31]  F (Hilfsverb) - Inf. MV - Part. VV - Inf. HV
 

4 Fazit

Aus den zwei Semestern Forschungseifer unsererseits gehen die hier präsentierten Ergebnisse hervor. Wir haben für ausgewählte Bereiche eine Basis erarbeitet, die grundlegende Merkmale der berndeutschen Syntax in Kontrast zum Standarddeutschen darstellt.

Während im Standarddeutschen der Akkusativ bei maskulinen Nomen und Artikeln im Singular morphologisch markiert wird, ist bei berndeutschen Nomen und Artikeln die Akkusativmarkierung vollständig abgebaut. Die berndeutschen Personalpronomen unterscheiden aber Nominativ und Akkusativ.

Der auch im Standarddeutschen Einzug haltende Abbau des Genitivs (v. a. des Genitivobjekts - das Genitivattribut ist durchaus noch frequent) hat sich im Berndeutschen beinahe vollständig durchgesetzt. An Stelle des Genitivs treten Konstruktionen wie Präpostition + Dativ (die Hälfte des Apfels - d Häufti vom Öpfu), Dativ + Possessivpronomen (das Haus des Vaters - em Vatter sis Huus) oder komplette Umformulierungen (sie bedarf der Hilfe - si bruucht Hiuf). Viele dieser Konstruktionen sind auch im Standarddeutschen möglich, v. a. im mündlichen Gebrauch.

Die Stellung der verbalen Teile kann für das Standarddeutsche wie das Berndeutsche jeweils anhand einer konsequent eingehaltenen Verbkette aufgezeigt werden. Für die Stellung der Verben im Berndeutschen ist allein die Funktionsklasse des Verbs bestimmend, während im Standarddeutschen zusätzlich Partizipien den Infinitiven vorangestellt werden.

Diese beiden Ketten gelten - ausser für das Finitum - sowohl für Haupt- wie für Nebensätze. In Hauptsätzen weisen beide Varietäten Finitum-Zweitstellung (bzw. Finitum-Erststellung) auf. Während aber bei Nebensätzen im Standarddeutschen konsequent Finitum-Letztstellung eingehalten wird, erweist sich im Berndeutschen die Stellung des Finitums als flexibler.

Wie in der Einleitung erwähnt, beschränken sich unsere Ergebnisse wegen einer fehlenden breiteren Materialbasis auf Grundzüge, Detailarbeit haben wir keine geleistet. Die Agenda-Einträge geben vielerlei Hinweise auf mögliche weiterführende Arbeiten.

Wichtig sind uns auch die Erfahrungen, die wir bei diesem Projekt gesammelt haben: Die Herangehensweise an eine solche Fragestellung, das Entwickeln einer Sprachsensibilität, aber auch der Verlust des Sprachgefühls beim Suchen von Beispielen und Herumschieben von Worten und Sätzen.

Es hat Spass gemacht! ;o) (-:

 

Anmerkungen

* Für die intensive Betreuung und die vielen Hinweise danken wir Prof. Dr. Elke Hentschel, Dr. Beat Siebenhaar und Dr. Petra Vogel (Bern). [zurück]

1 Mundartspezifische Aspekte der Syntax in verschiedenen Regionen der Schweiz werden ausserdem z. Z. im Projekt Syntaxatlas der deutschen Schweiz (SADS) unter der Leitung von Elvira Glaser, Zürich, erfasst. [zurück]

2 Kasusabbau in der Mundart stellt keinen Einzelfall oder eine Besonderheit des Berndeutschen dar, sondern lässt sich auch in anderen Dialekten beobachten. Zum Kasusabbau im Berlinerischen vgl. Rosenberg (1986). [zurück]

3 Auch im Standarddeutschen kann der Akkusativ nicht immer anhand morphologigscher Merkmale erkannt werden: eine Markierung ist nur noch bei Maskulina im Singular möglich. [zurück]

4 Es steht jeweils die neutrale und die betonte Form. [zurück]

5 Kontraktion von um de bei Maskulina im Singular. Vgl. dazu Meyer (1967: 67) und SDS III, Tafel 137. [zurück]

6 Bei den Präpositionen in und an in Verbindung mit Maskulina im Singular fällt im Berndeutschen der Artikel mit der Präposition zusammen. Zu dieser Form der Kontraktion vgl. Meyer (1967: 71) und SDS III, Tafel 138. [zurück]

7 Auf eine weitergehende Unterscheidung von "absoluten" und "adverbialen" Kasus, wie sie in Grammatiken gelegentlich vorgenommen wird (vgl. z. B. Duden 1998: 642-644), wird hier verzichtet. [zurück]

8 Für einen historischen Einblick in den Genitiv im Luzernischen vgl. Brandstetter (1904). [zurück]

9 Vgl. attributiver Genitiv bei Eigennamen weiter unten. [zurück]

10 Zum Phänomen des präpositionalen Dativs vgl. Seiler (i.Dr.). Während sich der präpositionale Dativ beim Femininum klar erkennen lässt, kann beim Maskulinum und beim Neutrum aufgrund der gleichen Lautung nicht unterschieden werden, um welche Form es sich handelt. [zurück]

11 Vgl. dazu auch Hentschel (1994). [zurück]

12 Es bleibt noch abzuklären, ob es eine -s Form mit Artikel im Berndeutschen gibt. Solche Formen fanden sich auf unseren Fragebögen, es scheint jedoch, dass die Form unter dem Einfluss des Std gebildet wurde und in der Mundart so nicht funktioniert. => Agenda. [zurück]

13 Die konkrete Distribution sowie das Vorkommen der Wendung i bi mir's bewusst (i bi mir desse bewusst) (vgl. Marti 1985: 97) bleibt noch anhand einer breiteren Materialbasis zu überprüfen. => Agenda [zurück]

14 Wägem Wätter: eigentlich: wäge em Wätter [zurück]

15 Es könnte sein, dass es auch im Berndeutschen Formen wie eines Tages gibt. Wenn ja, ist zu klären, ob es sich um einen historischen Rest oder um eine Neubildung analog zum Standard handelt. => Agenda [zurück]

16 ?Si isch gueter Luune => Agenda [zurück]

17 In der Terminologie von Helbig/Buscha (2001: 473) Stellungstyp 1, 2 und 3. [zurück]

18 Eine Zuordnung der Satztypen zu den drei Stellungstypen findet sich z.B. in Helbig/Buscha (2001: 474). [zurück]

19 Die Grundreihe findet sich z.B. in valenzgrammatischer Terminologie bei Eroms (1986: 38) oder in traditioneller Terminologie bei Hentschel/Weydt (1994: 387). [zurück]

20 Ausser für die Stellung der verbalen Teile sind syntaktische Regeln ausserdem für Pronomina zwingend. [zurück]

21 Ausnahme: Stirnsatz mit einleitender Konjunktion bei Vergleichssätzen mit als: es scheint, als habe er viel gearbeitet. [zurück]

22 Interessant sind die beiden berndeutschen Konstruktionen, die Lötscher (1997) diskutiert:
Muster (1): S isch schaad, isch es scho Friitig - wörtlich: 'Es ist schade, ist es schon Freitag'. Für diese berndeutsche Konstruktion existiert kein standardeutsches Äquivalent. Es bleibt aber zu prüfen, ob es sich beim zweiten Satzteil um einen Nebensatz mit Zweitstellung des Finitums (so Lötscher) handelt oder ob nicht vielmehr der erste Satz als Adverbialbestimung - und somit also als Nebensatz - zum zweiten aufzufassen wäre, wie dies die Paraphrase Leider isch es scho Friitig 'Leider ist es schon Freitag' nahe legt. Die zweite These wird durch zwei interessante Verwendungsbeschränkungen gestützt: Erstens ist diese Konstruktion nur möglich bei emotional-bewertenden Prädikaten ('es ist gut/schade', 'es freut mich' u. ä.), die in der Paraphrase als Situativpartikeln (Terminus nach Hentschel/Weydt 1994) erscheinen ('glücklicherweise', 'leider', 'erfreulicherweise' u.a.), und zweitens ist die Stellung der Satzteile zwingend (*isch es scho Friitig, isch schaad).
Muster (2): Ich wäär froo, s wäär äntlech Friitig - Ich wäre froh, wenn es endlich Freitag wäre. Dieser Konstruktionstyp findet sich gelegentlich auch im Standarddeutschen, cf.: Ich wäre froh, es wäre endlich Freitag. Möglicherweise wird er parallel zu den sog. Hauptsätzen in Nebensatzfunktion gebildet, die nach den Verba dicendi und sentiendi stehen (cf. Ich wünschte, es wäre Nacht). [zurück]

23 Hodler (1969: 682) sieht den Ursatz im Althochdeutschen verwirklicht: "...Wortfolge des Ursatzes, die wir festgestellt haben als: Hercules sluog [...] aba daz horn demo farre an demo tage". [zurück]

24 Wir haben die SeminarteilnehmerInnen und einige weitere Personen die folgenden Sätze aus dem Standarddeutschen übersetzen lassen. [zurück]

25 Eine Person, die die zweite Variante auch angegeben hat, fügte die Anmerkung hinzu, dass diese Variante das müssen betont. [zurück]

26 Wir haben noch nicht durchschaut, welche Umstände welche Variante begünstigen. [zurück]

27 Diese Variante ist durchaus möglich. Drei der befragten Personen nannten aber als weitere Möglichkeit die uneingeleitete Nebensatz-Variante mit Finitum-Zweitstellung: I gloube, i ha s gseit. [zurück]

28 Eine der befragten Personen nannte als weitere Möglichkeit die uneingeleitete Nebensatz-Variante mit Finitum-Zweitstellung: I weiss, er isch gange. [zurück]

29 Eine befragte Person hat weitere 3 Möglichkeiten angegeben: ... het läse dörfe, ...läse dörfe het, ...dörfe läse het. [zurück]

30 Eine Person hat den Satz aktiv mit 2-teiligem Prädikat umschrieben: Ds Problem isch nid glöst, obwou mer s besproche hei. [zurück]

31 Eine befragte Person (dieselbe wie Fussnote 29) hat weitere 2 Möglichkeiten angegeben: I ha s gmacht, wüu s het gmacht müesse wärde. I ha s gmacht, wüu s gmacht het müesse wärde.
Zwei Personen haben den Satz aktiv mit 3-teiligem Prädikat umschrieben: I has gmacht, wüu s öpper het müesse mache. [zurück]

 

Literatur

Ammon, Ulrich / Loewer, Uwe (1977): Schwäbisch. Düsseldorf. (=Dialekt/Hochsprache Kontrastiv. Sprachhefte für den Deutschunterricht)

Brandstetter, Renward (1904): Der Genitiv der Luzerner Mundart in Gegenwart und Vergangenheit. Zürich. (=Abhandlungen hsg. von der Gesellschaft für deutsche Sprache in Zürich 10).

Bratschi, Armin / Trüb, Rudolf (1991): Simmentaler Wortschatz. Wörterbuch der Mundart des Simmentals (Berner Oberland). Thun. (=Grammatiken und Wörterbücher des Schweizerdeutschen in allgemeinverständlicher Darstellung 12)

Dieth, Eugen (1986): Schwyzertütschi Dialäktschrift. 2. Auflage, bearbeitet und herausgegeben von Christian Schmid-Cadalbert. Aarau / Frankfurt a.M. / Salzburg.

Duden (1998): Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 6., neu bearb. Aufl., hrsg. von der Dudenredaktion, bearb. von Peter Eisenberg u. a. Mannheim (= Duden Bd. 4).

Eroms, Hans-Werner (1986): Funktionale Satzperspektive. Tübingen.

Helbig, Gerhard / Buscha, Joachim (2001): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig.

Hentschel, Elke / Weydt, Harald (1994): Handbuch der deutschen Grammatik. 2. durchges. Auflage, Berlin / New York.

Hentschel, Elke (1994): "Entwickeln sich im Deutschen Possessiv-Adjektive? Der s-Genitiv bei Eigennamen". In: Beckmann, Susanne / Frilling, Sabine (1994): Satz - Text - Diskurs: Akten des 27. Linguistischen Kolloquiums, Münster 1992. Tübingen: 17-24.

Hodler, Werner (1969): Berndeutsche Syntax. Bern.

Hotzenköcherle, Rudolf (1984): Die Sprachlandschaften der Schweiz. Aarau, Frankfurt a. M., Salzburg. (=Reihe Sprachlandschaft 1)

Lötscher, Andreas (1978): "Zur Verbstellung im Zürichdeutschen und in anderen Varianten des Deutschen". Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 45: 1-29.

Lötscher, Andreas (1997): "'Guet, sind Si doo'. Verbstellungsprobleme bei Ergänzungssätzen im Schweizerdeutschen". In: Ruoff, Arno / Löffelad, Peter (Hrsg.): Syntax und Stilistik der Alltagssprache. Beiträge der 12. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie. Tübingen: 85-95. (=Idiomatica 18)

Marti, Werner (1985): Berndeutsch-Grammatik für die heutige Mundart zwischen Thun und Jura. Bern.

Meyer, Rudolf (1967): Zur Morphologie und Sprachgeographie des Artikels im Schweizerdeutschen. Frauenfeld. (=Beiträge zur schweizerdeutschen Mundartforschung 13)

Penner, Zvi (1993): "W-Morphology in the COMP System of Bernese Swiss German and the Licensing of Empty Operators in the Prefield Position". In: Abraham, Werner / Bayer, Josef (Hrsg.): Dialektsyntax. Opladen: 201-212. (=Linguistische Berichte Sonderheft 5)

Penner, Zvi / Bader, Thomas (1995): "Issues in the Syntax of Subordination: A Comparative Study of the Complementizer System in Germanic, Romance, and Semitic Languages with Special Reference to Bernese Swiss German". In: Penner, Zvi (Hrsg.): Topics in Swiss German Syntax. Bern, Berlin, Frankfurt am Main, New York, Paris, Wien: 73-289.

Rosenberg, Klaus-Peter (1986): Der Berliner Dialekt - und seine Folgen für die Schüler. Tübingen.

Seiler, Guido (i.Dr.): "Prepositional Dative Marking in Upper German: A Case of Syntactic Microvariation". Erscheint in: Barbiers, Sjef / Cornips, Leonie / van der Kleij, Susanne (eds.): Syntactic Microvariation. Amsterdam. (=Meertens Institute Electronic Publications in Linguistics, vol. II)

Sprachatlas der deutschen Schweiz (SDS). Begründet von Heinrich Baumgartner und Rudolf Hotzenköcherle. In Zusammenarbeit mit Konrad Lobeck, Robert Schläpfer, Rudolf Trüb und unter Mitwirkung von Paul Zinsli herausgegeben von Rudolf Hotzenköcherle. (1962-1997) Bern, Bd. VII und VIII Basel.

 
 

Anhang

Ersatzinfinitiv:

 

Modalverben:

ich habe ihn sehen wollen/müssen/usw i ha ne wöuue/müesse/usw. gsee

=> im Bdt sind bei Modalverben Partizip und Infinitiv morphologisch nicht unterscheidbar.

 

hören, sehen, lassen: AcI-Konstruktionen

hören/ghöre:    
ich habe ihn kommen hören i ha ne ghööre choo Infinitiv
  i ha ne ghört choo

Partizip

     
sehen/gseh:    
ich haben ihn kommen sehen i ha ne gsee choo => Infinitiv oder Partizip?
     
lassen/laa:    
ich habe ihn kommen lassen i ha ne la choo Infinitiv
  *i ha ne gla choo Partizip

 

Verben, die nur im Berndeutschen einen Ersatzinfinitiv bilden können:

lernen/leere:    
ich habe gelernt zu lesen i ha gleert z läse Partizip + zu
ich habe lesen gelernt i ha gleert läse Partizip
  i ha leere läse

Infinitiv

     

anfangen/aafa:

   
ich habe angefangen zu lesen i ha aagfange z läse Partizip + zu
  i ha aagfange läse

Partizip

  i ha aafa läse

Infinitiv

     
aufhören/ufhöre:    
ich habe aufgehört zu lesen i ha ufghört z läse Partizip + zu
  i ha ufghört läse Partizip
  i ha ufhöre läse Infinitiv
     
helfen/häufe:    
ich habe ihm geholfen zu malen i ha(n) im ghoufe z male

Partizip + zu

ich habe ihm malen geholfen i ha(n) im ghoufe male Partizip
  i ha(n) im häufe male Infinitiv