Der lernersprachliche Output spielt beim Erwerb der fremdsprachlichen Kompetenz eine bedeutende Rolle, z.B. als Auslöser für korrektives Feedback, zur Ermöglichung der syntaktischen Verarbeitung und der Automatisierung von Sprachproduktionsprozessen sowie als Voraussetzung für aktives Hypothesentesten und für den Erwerb der Diskursfähigkeit. Einschlägige Arbeiten zum Erwerb der fremdsprachlichen Kompetenz haben bisher jedoch hauptsächlich Beschaffenheit und Funktionen des Inputs (Lernmaterialien, Instruktionen, Interaktion etc.) untersucht und in entsprechenden Sprachproduktionsmodellen berücksichtigt. Angesichts dieser Situation verfolgt das Bielefelder DFG-Projekt unter der Leitung von Gert Henrici und Karin Aguado das Ziel, die wechselseitige Abhängigkeit von lernersprachlicher Performanz und Kompetenz zu untersuchen und in ein angemessenes Sprachproduktionsmodell einzubetten. In einer auf elf Monate angelegten Longitudinalstudie mit ausländischen Studierenden werden dazu drei wesentliche Faktoren mündlicher Sprachproduktion mittels eines Mehrmethodenansatzes erforscht: Aufmerksamkeit, Monitoring und Automatisierung.
Sprachproduktionsmodelle: Das derzeit in der Psycholinguistik wohl einflussreichste Sprachproduktionsmodell von Levelt (1998) beschränkt sich auf die Sprachproduktion in einsprachigen Kontexten. In diesem streng modular aufgebauten Modell hängen die drei Hauptkomponenten conceptualizer, formulator und articulator unidirektional voneinander ab. De Bot (1992) versucht dieses mit empirischen Daten belegte Modell für die Beschreibung der bilingualen Fähigkeiten von Fremdsprachenlernern nutzbar zu machen. Beide Modelle wurden wegen ihrer mangelnden Flexibilität kritisiert; auch wurde hinterfragt, ob die für die lernersprachliche Produktion typische Variabilität und die Charakteristika mehrsprachiger Produktionsprozesse durch diese Modelle erfasst werden können (vgl. Poulisse/Bongaerts 1994 und Williams/Hammarberg 1998). Im Unterschied zu den beiden Modellen gehen wir davon aus, dass sich die Kompetenz zu einem großen Teil durch die lernersprachliche Performanz und die dabei vonstatten gehenden kognitiven Prozesse entwickelt, so dass wir den Output in seinem Stellenwert dem Input neben- und nicht unterordnen.
Aufmerksamkeit: Aufmerksamkeit gilt als notwendige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. Zwar wurde in der Fremdsprachenerwerbsforschung im Zusammenhang mit der noticing-Hypothese (vgl. Schmidt 1990 und 1995) die Rolle der auf den Input gerichteten Aufmerksamkeit untersucht. Die Funktion der lernerseitigen Aufmerksamkeit für den Output im L2-Erwerb blieb bisher jedoch weitgehend unberücksichtigt. Mit entsprechenden Aufgabenstellungen soll daher die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte der L2- Sprachproduktion manipuliert werden.
Monitoring: Monitoring ist ein spezieller Aufmerksamkeitsprozess, der bei jeglicher sprachlicher Performanz - sowohl in der L1 als auch in der L2 - zu beobachten ist. Sprecher bewerten ihren Output hinsichtlich der Variablen Form, Inhalt und Situation. Die Untersuchung von Monitoring-Prozessen bei der mündlichen fremdsprachlichen Sprachproduktion stellt eine Möglichkeit der Beschreibung dar, wie Lernende von ihrem lernersprachlichen Wissen Gebrauch machen und welchen Status dieses (explizite oder implizite) Wissen bei ihnen einnimmt. Indikatoren für Monitoring-Prozesse können z.B. self-repairs (vgl. Kormos 2000) und darauf bezogene retrospektive Lernerdaten sein, die Aufschluss über die Planungsabsichten und Produktionsprozesse geben können.
Automatisierung: Automatisierte Prozesse im L2-Erwerb sind solche, auf die keine oder nur geringe Aufmerksamkeit gerichtet wird. Eine wichtige Funktion der Automatisierung ist die Freisetzung von Kapazitäten für die gleichzeitige Bewältigung von aufmerksamkeitsintensiven Aktivitäten. Automatisierung fördert die Flüssigkeit der mündlichen Produktion von L2-Lernern.
Vorarbeiten: In einer an der Universität Bielefeld durchgeführten Pilotstudie 'Merkmale fremdsprachlicher vs. muttersprachlicher Sprachproduktion unter besonderer Berücksichtigung der fluency' wurde bereits in einer Querschnittsuntersuchung die mündliche Sprachproduktion von 13 Lernenden des Deutschen als Fremdsprache mit den Muttersprachen Ungarisch bzw. Spanisch ermittelt, beschrieben und analysiert. In einer anschließenden Longitudinalstudie wurden zwei Lernende über den Zeitraum von fünf Monaten mit verschiedenen Sprachproduktionsaufgaben konfrontiert. Die bisherigen Ergebnisse der qualitativen Studie legen den Schluss nahe, dass sich eine zu früh erworbene Flüssigkeit in der fremdsprachlichen Produktion zuungunsten der sprachlichen Korrektheit auswirken und damit evtl. zu einer Stagnation bei der fremdsprachlichen Entwicklung führen kann. Ferner deuten die Daten auf die wichtige Rolle hin, welche die Interaktion und die ihr gewidmete Aufmerksamkeit im Produktionsprozess für den L2-Erwerb spielt. Bezüglich der Ermittlung von lernerseitigen Hypothesen, des expliziten Wissens, der subjektiven Theorien von Lernern und der kognitiven Prozesse bei der L2-Produktion haben sich besonders intro- und retrospektive Verfahren als aufschlussreich erwiesen.
Das Hauptziel dieses Projektes besteht in der Entwicklung eines fremdsprachenerwerbsspezifischen Sprachproduktionsmodells. Zu diesem Zweck wird zunächst innerhalb eines 3 x 3-Designs die lernerseitige Aufmerksamkeit systematisch manipuliert. Zunächst wird die Aufmerksamkeit der Lerner in drei Stufen auf den mündlichen Output (Fokus auf Form, Fokus auf Inhalt, ungerichteter Fokus) und anschließend ebenfalls in drei Stufen auf die Beschaffenheit der sozialen Situation (Interaktion mit höhergestelltem Muttersprachler, Interaktion mit gleichgestelltem Muttersprachler, Lerner-Lerner-Interaktion) gelenkt. Die beiden für die mündliche Sprachproduktion konstitutiven kognitiven Prozesse Monitoring und Automatisierung werden in Abhängigkeit von den sich hieraus ergebenden neun Aufmerksamkeitsbedingungen untersucht.
In dieser Konstellation soll einerseits geklärt werden, ob und inwieweit Monitoring-Prozesse in Zusammenhang mit mündlichen Sprachproduktionen vom Aufmerksamkeitsfokus abhängen. Dies setzt zunächst voraus, dass sich hinsichtlich des mündlichen Output zuverlässige Maße für das Vorliegen von Monitoring-Prozessen identifizieren lassen. Danach muss untersucht werden, auf welchen Dimensionen der Sprachproduktion Monitoring-Prozesse operieren (Form, Inhalt, Situation). Des weiteren erhebt sich die Frage, ob Monitoring graduell gestuft auftreten kann und ob bei geringfügigem Monitoring Aufmerksamkeitsressourcen für andere kognitive Aufgaben zur Verfügung stehen.
Andererseits soll die Untersuchung der Frage erfolgen, welche Rolle Automatisierungsprozesse beim Fremdsprachenerwerb spielen. Hierbei sollen wiederum zunächst auf der Grundlage kognitionspsychologischer Arbeiten Indikatoren für Automatisierungen im sprachlichen Output gefunden werden. Dabei ist von besonderem Interesse, ob sich für die verschiedenen sprachlichen Dimensionen eine bestimmte Chronologie des Erwerbs von Automatismen ergibt. Außerdem soll erforscht werden, wie der Erwerb von Automatismen als Voraussetzung von Flüssigkeit gezielt durch eine Richtung des Aufmerksamkeitsfokus gesteuert werden kann und wie dabei unerwünschte Fossilisierungen (d.h. die Automatisierung zielspracheninadäquater lexikalischer, idiomatischer oder syntaktischer Strukturen) unterbleiben.
Die beiden Teilziele des Projektes stehen insofern in einem engen Zusammenhang, als jeder der beiden kognitiven Faktoren mündlicher L2-Produktion durch Aufmerksamkeitsprozesse bzw. durch deren Abwesenheit gekennzeichnet ist. Aus diesem Grund soll die Integration der Einzelerkenntnisse in einem dezidiert interdisziplinären (kognitionswissenschaftlichen) Rahmen erfolgen, zu dem die Fremdsprachenerwerbsforschung ebenso beitragen kann wie die (Psycho-)Linguistik oder die Psychologie.
Für die Untersuchung eines so komplexen Gegenstands wie der Sprachproduktion von Fremdsprachenlernern erscheint die Anwendung eines Mehrmethodenansatzes unumgänglich. Aus diesem Grund werden mittels unterschiedlicher Verfahren mündliche Sprachdaten der Lernenden elizitiert (Datentriangulation; vgl. Aguado/Riemer 2001) und im Anschluss daran mit verschiedenen Methoden ausgewertet (Methodentriangulation; vgl. op. cit.). Über die Erhebung und Analyse solcher Primärdaten hinaus sind auch Sekundärdaten wie beispielweise die schriftliche Performanz der Lerner, die individuellen Lernerbiographien, lernerseitige Selbsteinschätzungen oder Retrospektionen von Interesse. Um die Kompatibilität der eingesetzten Erhebungs- und Analyseverfahren zu gewährleisten und die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zuverlässig einschätzen zu können, wurden sie mittels eines eigens entwickelten 10-Punkte-Katalogs evaluiert.
Informanten: An der Studie nehmen 16 ausländische Studierende der Universität Bielefeld mit unterschiedlichen Herkunftssprachen und der Zielsprache Deutsch teil. Die Teilnehmer besuchen einen zweisemestrigen Sprachkurs, an dessen Ende sie die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) ablegen sollen.
Datenerhebung: Die Erhebung und Analyse der mündlichen Primärdaten erfolgt in zwei großen Blöcken. In einer Querschnittsuntersuchung wird zunächst die Fragestellung untersucht, wie sich die bei der Sprachproduktion maßgeblich beteiligten kognitiven Prozesse Automatisierung und Monitoring in Abhängigkeit des Aufmerksamkeitsfokus im mündlichen Output der Lerner niederschlagen. Hiervon ausgehend können im zweiten Block longitudinal Veränderungen von Monitoring- und Automatisierungsprozessen im Verlauf des Spracherwerbs verfolgt werden.
Bei den neun Terminen der Querschnittsuntersuchung bearbeiten die Informanten in jeweils ca. 60 Minuten zwei Sprachproduktionsaufgaben in einer der o.g. Fokusbedingungen, wobei die Informanten in der ersten Aufgabe einen ihrem sprachlichen Niveau angemessenen Text wiedergeben. Die zweite Aufgabe besteht aus der Beschreibung eines Cartoons. Unmittelbar nach jeder Aufgabe wird eine Retrospektion durchgeführt, wobei besonders nach Schwierigkeiten bei der Ausführung gefragt wird. Die auf diese Weise entstandenen Sprachproduktionen werden auf Video, Audio und DAT mitgeschnitten.
Veränderungen von Monitoring- und Automatisierungsprozessen im Verlauf des Spracherwerbs werden hingegen mit einem standardisierten Interviewverfahren erhoben. In drei Einzelterminen von 20 - 60 Minuten Dauer (zu Beginn, in der Mitte und gegen Ende des neunmonatigen Untersuchungszeitraums) werden die Informanten nach einer "Aufwärmphase" mit zunehmend schwierigen Gesprächsthemen konfrontiert und bis an die Grenzen ihrer fremdsprachlichen Produktionsfähigkeiten geführt. Anhand dieser Sprachdaten lassen sich vor allem Fortschritte im Bereich der Flüssigkeit (als Resultat von Automatisierungen in den Kompetenzbereichen Phonetik, Prosodie, Syntax, Lexik und Idiomatik), der pragmatischen Angemessenheit sowie der Korrektheit nachvollziehen. Wegen dieser Analysekategorien sind die Interviewdaten zugleich als differenziertes Instrument zur Sprachstandsdiagnose anzusehen.
Um einen weiteren Referenzrahmen für die Interpretation der mündlichen Sprachdaten zur Verfügung zu haben, werden ergänzend folgende Verfahren zur Gewinnung von Sekundärdaten eingesetzt:
Im Hinblick auf den longitudinalen Aspekt der Studie werden sowohl der Lernerfragebogen als auch der SW-Test zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Erhebungszeitraums eingesetzt.
Auswertung der Daten: Aufgrund des Mehrmethodenansatzes ergibt sich eine große Menge an quantitativen und qualitativen Daten, die es abschließend im Hinblick auf die zentrale Zielsetzung des Projektes - die Entwicklung eines fremdsprachenerwerbsspezifischen Sprachproduktionsmodells - in eine umfassende Interpretation zu integrieren gilt. Dazu müssen folgende Einzelauswertungen vorgenommen werden:
Olaf Bärenfänger & Sabine Beyer
Aguado, Karin/Riemer, Claudia (2001): "Triangulation: Chancen und Grenzen mehrmethodischer empirischer Forschung". In: Aguado, Karin/Riemer, Claudia (eds.): Wege und Ziele. Zur Theorie, Empirie und Praxis des Deutschen als Fremdsprache (und anderer Fremdsprachen). Festschrift für Gert Henrici zum 60. Geburtstag. Baltmannsweiler: 245-257.
de Bot, Kees (1992): "A bilingual production model: Levelt's 'speaking' model adapted". Applied Linguistics 13: 1-24.
Henrici, Gert (1995): Spracherwerb durch Interaktion? Eine Einführung in die fremdsprachenerwerbsspezifische Diskursanalyse. Baltmannsweiler.
Kormos, Judit (1999): "Monitoring and self-repair in L2". Language Learning 49, 2: 303-342.
Levelt, Willem J.M. (1998): Speaking: From Intention to Articulation. Cambridge, MA.
Poulisse, Nanda/Bongaerts, Theo (1994): "First language use in second language production". Applied Linguistics 15, 1: 36-57.
Schmidt, Richard (1990): "The role of consciousness in second language learning". Applied Linguistics 11: 129-158.
Schmidt, Richard (1995) (Hg.): Attention and awareness in foreign language learning. University of Hawai'i at Manoa, Second Language Teaching & Curriculum Center: 1-63.
Williams, Sarah/Hammarberg, Björn (1998): "Language switches in L3 production: implications for a polyglot speaking model". Applied Linguistics 19, 3: 295-333.
DFG-Projekt "Mündliche L2-Produktion"
Universität Bielefeld
Deutsch als Fremdsprache
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
Postfach 10 01 31
D-33501 Bielefeld
Tel.: 0521 106-3634/-3629
E-mail: L2-pro@uni.bielefeld.de