Gegenstand dieses Beitrags ist die Formenbildung der Pronomina im Deutschen. Ich betrachte dabei insbesondere die Formen des Wortes DIESER.(1) Eine traditionelle Analyse schließt die Angabe eines Paradigmas ein, und in jüngster Zeit haben Paradigmen in der theoretisch orientierten Literatur wieder großes Interesse auf sich gezogen (cf. die Beiträge in Plank, ed., 1991).(2) Ob Paradigmen innerhalb morphologischer Theorien eine wesentliche Rolle zu spielen haben, ist dabei eine umstrittene Frage geblieben, deren Beantwortung oft genug schon am Fehlen eines geklärten Paradigmenbegriffs scheitern mußte. Für die vorliegende Untersuchung ist die Bezugnahme auf Paradigmen essentiell. Theoretischer Ausgangspunkt ist dabei die Konzeption einer 'lexikalistisch' orientierten Oberflächensyntax (Lieb 1983), in der Wortparadigmen mit angebbarem Status eine zentrale Rolle spielen.(3)
Ein Paradigma kann als eine Zuordnung von Kategorisierungen oder 'Kategorienbündeln'
zu Wortformen aufgefaßt werden. Genauer können Wortparadigmen als Relationen
zwischen syntaktischen Einheiten, nämlich Wortformen, und Mengen von kategorialen
Merkmalen aufgefaßt werden. Die kategorialen Merkmale können ihrerseits
als Mengen von syntaktischen Einheiten angesehen werden. Ein Paradigma
ist danach eine Menge geordneter Paare mit Wortformen (syntaktischen Einheiten)
als Erstgliedern und Mengen von Kategorien als Zweitgliedern, in denen
die betreffende Wortform als Element enthalten ist; siehe Lieb (1972, 1983).
Nur angedeutet wird die Annahme einer ähnlichen Konzeption bei Zwicky
(1990), zum Paradigmenbegriff cf. auch schon Matthews (1965).
frau ist demnach eine Form des Paradigmas FRAU, der u.a. die Kategorisierung {Nominativ, Singular} zugeordnet ist, d.h. <frau, {Nominativ, Singular}> ist ein Element von FRAU, und es gilt: frau ist ein Element der Schnittmenge der zugeordneten Kategorisierung.
Lexikalische Wörter können als Paare aus Paradigmen und Wortbedeutungen
aufgefaßt werden. Wortparadigmen sollen also die nicht-semantischen Komponenten
von Wörtern sein.
In der Regel wird angenommen, daß die Paradigmen für alle Wörter
einer Wortklasse grundsätzlich identisch aufgebaut sind: eine Unterscheidung,
die bei einem Element einer Wortklasse gemacht wird, wird bei jedem Element
der Wortklasse gemacht, und eine Unterscheidung, die in einem Teilparadigma
gemacht wird, wird in jedem Teilparadigma gemacht.
Für FRAU würden, wie für jedes andere Substantiv des Deutschen, acht Kategorisierungen angesetzt. Ebenso nimmt Zwicky (1991) für englische Verben generell eine dreigliedrige Personenunterscheidung (1./2./3. Person, in allen Numeri, Tempora und Modi) an, da es ein Verb gibt (BE), das im Singular Präsens Indikativ drei nach Person unterschiedene Formen besitzt (am, are, is).
Dieses Vorgehen ist syntaktisch begründet:
Alle syntaktisch erforderlichen Unterscheidungen müssen sich in den Kategorisierungen wiederfinden, wenn die morphologischen Besonderheiten des Formenbaus einzelner Wörter oder bestimmter Untermengen von Wortklassen nicht in der Syntax (bei der Bestimmung syntaktischer Relationen) 'wiederholt' werden sollen. Die Zulassung von (mehr oder weniger langen Reihen von) Homonymen innerhalb der Paradigmen ist danach der Preis, der für bestimmte syntaktische Generalisierungen (insbesondere über Rektion und Kongruenz) gezahlt werden muß.
Ein einfacher Zusammenhang von Flexionsmorphologie und Syntax ist gewährleistet: Syntaktische Kategorisierungen, wie sie im Paradigma auftreten, sind auch den (kleinsten) syntaktischen Konstituenten zugeordnet. In generativer Terminologie gesprochen: An einer syntaktischen Position mit einer gegebenen Kategorisierung kann eine Form 'eingesetzt' werden, wenn ihr im fraglichen Paradigma genau diese Kategorisierung zugeordnet ist.
Zur Diskussion Robins (1959); cf. Comrie (1991), Zwicky (1991).
Bei der traditionellen Konzeption schlägt jede Unterscheidung, auch bei isoliertem Auftreten, auf sämtliche Wortparadigmen der betreffenden Wortklasse durch. Wegen des symmetrischen Aufbaus der Teilparadigmen (etwa Singular und Plural) werden zudem Unterschiede in den Paradigmen gesetzt, die im Flexionssystem der jeweiligen Sprache tatsächlich nie flexivisch gekennzeichnet werden können. (So müßten z.B. in pronominalen Paradigmen des Deutschen im Plural nach Genus unterschiedene Elemente angenommen werden, obwohl die betreffenden Elemente nie flexivisch unterschieden werden können.)
Unter morphologischem Gesichtspunkt muß die 'Standardannahme' bei der
Analyse eines Wortparadigmas dagegen sein, daß (phonologisch distinkte)
Formen und Elemente von Paradigmen in Eins-zu-Eins-Beziehung stehen. Sollen
Paradigmen als Formkomponenten von lexikalischen Wörtern aufgefaßt
werden, so stellt es ein nicht ohne weiteres selbstverständliches Verfahren
dar, wenn die in Paradigmen auftretenden Kategorisierungen ohne weiteres
aus der Syntax 'übernommen' werden, so wie sie in Hinblick auf Erfordernisse
der Charakterisierung von syntaktischen Konstituenten angesetzt werden
müssen.
Bei einer Substantivform wie frau besteht offensichtlich keine morphologische Mehrdeutigkeit. Lexikalisch sollte sie als unspezifiziert (bzgl. Flexionsmerkmalen) betrachtet werden (cf. Wurzel 1990); ebensowenig ist frauen morphologisch vierfach analysierbar.
Legt man die umrissene Konzeption von Paradigmen zugrunde, so finden
sich in Paradigmen bei Sprachen wie dem Deutschen vielfältige Homonymien.
Homonyme bilden in Paradigmen nun mindestens in einigen Fällen Gruppen
mit ähnlichen Kategorisierungen. Dies legt die Annahme nahe, daß der
Formenzusammenfall wenigstens nicht in allen Fällen zufällig ist. Wird
Paradigmen in der Morphosyntax eine zentrale Stellung zugeschrieben, so
bietet es sich an, systematische Homonymien, soweit möglich, von vornherein
bei der Aufstellung von Paradigmen zu berücksichtigen. Den Schlüssel
hierzu liefern die Begriffe der Unterspezifikation und der Ordnung nach
Spezifik. (4)
Die Zuweisung von unterspezifizierten Kategorisierungen, d.h. Kategorisierungen, die nicht für jede Merkmalsdimension ein Merkmal enthalten, zu Paradigmenformen stellt eine Möglichkeit dar, systematischen Homonymien Rechnung zu tragen. Als ein sehr einfaches Beispiel betrachte man wiederum die femininen Substantive der sogenannten gemischten Deklination wie z.B. FRAU. Cf. Abbildung 1. Links ist das vollständig spezifizierte, rechts das unterspezifizierte Paradigma FRAU angegeben.
"{ }" bezeichnet die leere Kategorisierung,
i.e., die leere Menge von Merkmalen (Einheitenkategorien).
Abbildung 1. Vollständig spezifiziertes und unterspezifiziertes
Paradigma
Im unterspezifizierten Paradigma FRAU gibt es gerade so viel Elemente wie es lautlich verschiedene Formen gibt, nämlich zwei. Zudem besteht ein ikonisches Verhältnis zwischen Formenbau und Kategorisierungen. Der endungslosen Form ist die leere Kategorisierung zugewiesen, der affigierten Form ist ein Merkmal, nämlich Plural, zugewiesen. Die affigierte Form besitzt also gegenüber der affixlosen Form eine Kategorisierung von höherer Spezifik.(5)
Die richtige Verteilung der Formen auf syntaktische Positionen ergibt sich aus der Ordnung nach Spezifik. Für eine syntaktische Position sei wie gewöhnlich eine vollständige Spezifikation vorgegeben. Man betrachte nun die Elemente des fraglichen unterspezifizierten Paradigmas, die mit der vorgegebenen vollständigen syntaktischen Spezifikation kompatibel sind. Zu fordern ist, daß aus der Menge der jeweils überhaupt in Frage kommenden Paradigmen-Elemente immer dasjenige höchster Spezifik 'gewählt' wird. Formen mit Kategorisierungen höherer Spezifik haben also 'Priorität' vor solchen mit Kategorisierungen geringerer Spezifik. Von den beiden Formen des Paradigmas FRAU kommt daher beispielsweise bei vorgegebener Spezifikation Dativ Plural nur die spezifischere, also die Plural-Form in Frage; bei vorgegebener Spezifikation Dativ Singular ist nur die unspezifische Form kompatibel. Es handelt sich um eine Anwendung des 'Elsewhere-Prinzips' (Kiparsky 1973) auf Paradigmen, cf. schon Andrews (1982).(6)
Bei dieser Konzeption wird es möglich, bei der Ansetzung von Paradigmen formorientierten Gesichtspunkten in angemessener Weise Rechnung zu tragen, ohne daß sich hieraus Komplikationen für die Syntax ergeben.
In Jakobsons klassischen Arbeiten zur Flexionslehre (fortgeführt vor allem im Rahmen der Natürlichen Morphologie) wird das ikonische Verhältnis zwischen verschiedenen Ebenen sprachlicher Strukturierung als grundlegendes Bauprinzip (gerade auch für die Formenbildung) herausgestellt (1965) und der asymmetrische Bau der Paradigmen analysiert (mit Bezug auf das Russische, 1936).(7) Derartige Eigenschaften des Paradigmenbaus können bei prozeßorientierten Ansätzen in der Regel nur indirekt anhand der Effekte von Realisationsregeln erfaßt werden, und eine Konzeption, nach der Paradigmen gemäß vorgegebener 'symmetrischer' Distinktionssysteme aufgebaut sind, dürfte danach Gefahr laufen, an den Konstruktionsprinzipen von Flexionssystemen wie dem des Deutschen vorbeizugehen. Werden unterspezifizierte Paradigmen angenommen, so können Hypothesen über den Paradigmenbau unmittelbar interpretiert werden.
Die Ansetzung unterspezifizierter Paradigmen als formaler Wortkomponenten zieht keine syntaktischen Komplikationen nach sich. Der scheinbare Nachteil einer Berücksichtigung der tatsächlichen Formendifferenzierungen bei der Aufstellung von Paradigmen ergibt sich also bei der vorliegenden Konzeption nicht. Der Morphologie-Syntax-Zusammenhang wird nicht gestört, weil in der Syntax nur die vollständigen Kategorisierungen (als Merkmalsspezifizierungen, die syntaktischen Konstituenten zugeordnet sind) eine Rolle spielen. In den Paradigmen (den Formkomponenten der Wörter) kann dennoch die traditionelle Homonymenschwemme vermieden werden. Unterschiede im Paradigmenaufbau bei Wörtern der gleichen Wortart, etwa Substantiven mit unterschiedlichen Synkretismen, können zugelassen werden, ohne daß sich die Notwendigkeit ergäbe, in der Syntax auf entsprechende Sub-Wortarten Bezug zu nehmen (z.B. feminine Substantive mit zweielementigen Paradigmen wie FRAU und mit dreielementigen Paradigmen wie KRAFT).
Die Annahme, daß Formkomponenten lexikalischer Wörter als unterspezifizierte Paradigmen konzipiert werden können, kann am Deutschen erprobt werden. Als ein nicht triviales Anwendungsbeispiel bietet sich die pronominale Deklination (etwa der Demonstrativpronomina) an, insbesondere da in diesem Fall die Möglichkeit besteht, an die grundlegende Arbeit von Bierwisch (1967) anzuknüpfen. Im Falle von DIESER ergibt sich bei voller Ausschöpfung des Potentials syntaktischer Unterscheidungen ein Paradigma mit 24 Kategorisierungen (vier Kasus, drei Genera, zwei Numeri), die sich auf fünf Formen (diese, dieser, diesen, dieses, diesem) verteilen. (Das Verhältnis Kategorisierungen/Formen ist also noch 'schlechter' als bei den Substantiven mit zwei Formen.) Mit einem derartigen Paradigma wird zwar beschrieben, welche Funktionen die betreffenden Formen haben können, es bleibt jedoch dunkel (oder außer Betracht), wie die Zuordnung zwischen Form und Funktion im Paradigma geregelt ist, und insbesondere, worin die Rationale der Synkretismen besteht. Anhand eines aufzustellenden unterspezifizierten Paradigmas soll der Form-Funktions-Zusammenhang durchsichtig gemacht werden.
Mein Untersuchungsziel ist es nun, ein unterspezifiziertes Paradigma für das Wort DIESER aufzustellen, das die Systematik des Form-Funktions-Zusammenhangs bei der Zuordnung von Kategorisierungen zu den fünf Formen von DIESER klären hilft.
Zeigen wird sich: Bei Zugrundelegung geeigneter Merkmale erlaubt die
Aufstellung eines unterspezifizierten Paradigmas den Nachweis, daß die
Zuordnung von Formen und Kategorisierungen nicht-arbiträr ist. Ganz im
Gegenteil, der Form-Funktions-Zusammenhang ist von einem durchgängigen
Ikonismus geprägt; der Aufbau des Paradigmas besitzt eine natürliche
Grundlage in den phonologischen Eigenschaften der auftretenden Suffixe.
Eine Analyse der pronominalen Deklination, bei der Synkretismen durch
Unterspezifikation erfaßt werden sollen, wurde schon 1967 von Bierwisch
veröffentlicht. Als Ausgangspunkt kann eine Formentabelle dienen - mit
leichten Abweichungen von der üblichen Anordnung. Cf. Abbildung 2.
Abbildung 2. DIESER - Synkretismusfelder
Die Kästchen fassen sogenannte Synkretismusfelder zusammen, also Felder von Paradigmen-Elementen mit gleicher Form, soweit die Formgleichheit von Bierwisch als systematisch betrachtet wird. Die Numerierung entspricht in absteigender Ordnung der relativen Priorität der Elemente.
Bierwisch (1967) behandelt die pronominale Deklination unter Verwendung von Regeln, die bei Vorliegen bestimmter vollständiger Kategorisierungen (Merkmalsbündel) die entsprechenden Affixe liefern. Zur Numerusspezifizierung verwendet Bierwisch das Merkmal Plural (gegenüber unmarkiertem Singular), zur Genusspezifizierung die Merkmale Maskulinum und Femininum (gegenüber unmarkiertem Neutrum). Die vier Kasus werden (in Fortführung von Jakobsons Untersuchungen) über Merkmalskombinationen erfaßt; ein Kasusmerkmal umfaßt Dativ und Genitiv und heißt Oblique, ein zweites Kasusmerkmal umfaßt Dativ und Akkusativ; ich werde das Merkmal im folgenden mit "Objekt" bezeichnen.(8)
Danach ist
Es ist unmittelbar ersichtlich, daß eine solche Reduktion der vier Kasus auf zwei Merkmale die Erfassung gewisser Kasussynkretismen durch Unterspezifikation erlaubt; wo Dativ und Genitiv 'zusammenfallen', kann auf den 'Mischkasus' einfach mit dem Merkmal Oblique Bezug genommen werden.
Die Flexionsregeln werden bei Bierwisch als extrinsisch geordnete Blöcke von disjunktiv operierenden Teilregeln konzipiert. Diese Blöcke sollen in etwa traditionellen Flexionsparadigmen entsprechen. Überträgt man Bierwischs Analyse in einen Paradigmen-Ansatz, so ergibt sich das folgende (extrinsisch geordnete) unterspezifizierte Paradigma DIESER (Abbildung 3; die absteigende Zählung entspricht wiederum der Anwendungsreihenfolge bei Bierwischs Regeln).
„/“ bezeichnet die Merkmalsdisjunktion
Abbildung 3. Extrinsisch geordnetes, unterspezifiziertes Paradigma
Das so bestimmte unterspezifizierte Paradigma entspricht der Gliederung des traditionellen Paradigmas in die acht oben angegebenen Synkretismusfelder. Die nach dem Kriterium der Einfachheit der Regeln gewonnene extrinsische Ordnung entspricht nach Bierwisch, wenngleich nur vage, den Markiertheitsverhältnissen, ohne daß diese der Regelordnung irgendwie zugrunde gelegt würden. Höchste Priorität hat das - nach Bierwisch - höchstmarkierte Element Plural Oblique Objekt, also Dativ Plural. Am Ende der Rangordnung steht das nach Bierwisch unmarkierte Element Nominativ Singular Neutrum. Die Ordnung muß aber explizit vorgegeben werden.
Weder das traditionelle noch das in Anlehnung an Bierwisch konzipierte unterspezifizierte Paradigma zeigen einen Aufbau, wie man ihn nach gut begründeten Annahmen zur Natürlichkeit von Flexionssystemen erwarten müßte.
Zu erwarten wäre, daß ein Flexionsparadigma
a) systematisch aufgebaut ist und dabei insbesondere
b) einen transparenten Form-Funktions-Zusammenhang aufweist.
Einen systematischen Aufbau zeigt nur das traditionelle Paradigma: Es ergibt sich aus einer Multiplikation der verschiedenen Merkmalsdimensionen. Der Paradigmenaufbau ist also bei vorgegebenen Parametern systematisch und einheitlich geregelt.
In der Bierwisch folgenden Analyse ist der Aufbau der Kategorisierungen dagegen ungeklärt.
Gefordert wird nur, daß die auftretenden Kategorisierungen sogenannte natürliche Klassen auszeichnen. D.h. es sollen nur Kategorisierungen zugelassen werden, die einfacher als die vollständigen syntaktischen Spezifikationen sind, also nur unterspezifizierte Kategorisierungen. Dabei sollen aber Merkmalsdisjunktionen zugelassen werden (cf. Abbildung 3, Elemente 5 und 6 mit "/" zur Bezeichnung der Merkmalsdisjunktion).
Ferner betont Bierwisch die Wichtigkeit des von ihm so genannten Prinzips des vermehrten Synkretismus in markierten Kategorien. Danach ist in umarkierten Systembereichen mit der größten internen Vielfalt zu rechnen, während Synkretismen typischer Weise in markierten Bereichen auftreten. Ein Beispiel wäre vermehrter Kasussynkretismus im markierten Numerus Plural.
Trotz der Bezugnahme auf diese Prinzipien ist aber eine systematische Grundlage, die erklären könnte, warum im Paradigma gerade die angenommenen und nicht irgendwelche anderen denkbaren Merkmalsbündel auftreten, nicht ersichtlich.
Die Frage nach den Gründen für das Auftreten bestimmter Kategorisierungen und das Fehlen anderer im unterspezifizierten Paradigma bleibt also zu verfolgen. Wie gezeigt werden soll, läßt sich die traditionelle Auffassung (Kategorisierungen ergeben sich durch 'Merkmalsmultiplikation') grundsätzlich aufrechterhalten, wenn geeignete Annahmen zum Merkmalsinventar aufgestellt werden. Die Merkmalskombinatorik kann jedoch in systematischer Weise beschränkt sein. Bierwischs Regeln bzw. das ihnen entsprechende Paradigma sind in dieser Hinsicht dem traditionellen Paradigma unterlegen.
Die Ordnung der Paradigmen-Elemente ist bei Bierwisch extrinsisch. Der Zusammenhang zwischen Markiertheit und Regelordnung bleibt letztlich offen. Entsprechend sind im Paradigma die Prioritätsverhältnisse ungeklärt. Hier besteht also Bedarf nach einer genaueren Klärung der Ordnungsverhältnisse im Paradigma.
In funktionaler Hinsicht ist die Lage ebenso unbefriedigend.
Nach den in der Natürlichen Morphologie herausgearbeiteten Prinzipien sollte man einen ikonischen Zusammenhang zwischen Formenbildung und Funktion, hier also Formenkategorisierung erwarten, etwa so wie oben für das Paradigma FRAU erläutert.
Weder eine traditionelle Analyse noch Bierwischs Analyse liefert einen solchen Zusammenhang. Auf der Formenseite steht offensichtlich die Form mit der bloßen Schwa-Endung -e den übrigen Formen, also den Formen mit konsonantischer Endung gegenüber. Zu erwarten wäre - wie bei der nicht-affigierten Form frau - die Zuweisung der leeren Kategorisierung. In der obigen Analyse hat die Form auf -e jedoch keinerlei ausgezeichnete Stellung.(9)
Bei den markierten Formen, also denjenigen mit konsonantischen Endungen,
sollte man einen Zusammenhang zwischen den phonologischen Eigenschaften
der Endungen und ihrer Verwendung zur Kennzeichnung syntaktischer Merkmale
erwarten, etwa gemäß dem Prinzip: Bei natürlicher Symbolisierung gibt
es eine Entsprechung zwischen phonologischer Markiertheit von Kennzeichen
einerseits und Merkmalhaftigkeit auf der Funktionsseite andererseits. Kein
derartiger Zusammenhang ist ersichtlich. Auch entspricht hier nicht jeder
Form eine einheitliche Funktion, wie es bei natürlichem Systemaufbau zu
erwarten wäre. Insgesamt wird man sagen müssen: die Verteilung der Endungen
im bisher gegebenen Paradigma erscheint schlichtweg arbiträr.(10)
Als Ausgangspunkt zu einer Klärung des Paradigmenaufbaus betrachte ich die bei Bierwischs Analyse verbleibenden Homonymien. Die erste Homonymie betrifft die Form dieses, die einerseits als Gen Sing Mask/Neut, andererseits als Nom/Akk Sing Neut interpretiert werden kann. Für die Trennung dieser beiden Lesarten können verschiedene Gesichtspunkte angeführt werden. Zum einen werden sie beim definiten Artikel tatsächlich formal getrennt, nämlich den Formen des und das zugewiesen.
Für Paradigmen wie DIESER könnte die Annahme einer Homonymie im Falle von dieses ebenfalls motiviert werden. dies (wie in dies ist eine rose) tritt 'an Stelle von' dieses nur auf, wo dieses wie das kategorisiert ist; demgegenüber tritt diesen (wie in ende diesen jahres) 'an Stelle von' dieses nur auf, wo dieses wie des kategorisiert ist. (Diese unberücksichtigten Formvarianten werden auch im folgenden ausgespart.)
Andererseits sind die Formen nach der schematischen Darstellung (Abb.
2) benachbart und man mag sich fragen, ob diese Nachbarschaft zufällig
ist. Je zwei Kategorisierungen sind bei Bierwischs Analyse auch den Formen
dieser
und diesen zuzuweisen. Das Schema der Synkretismusfelder läßt
keinen Zusammenhang der jeweiligen Lesarten erwarten. Cf. aber das in Abbildung
4 gezeigte Teilparadigma der Formen des Maskulinums (Singular und Plural).
Abbildung 4. Synkretismen im Maskulinum/Plural
Nebeneinandergestellt sind die Formen der Nicht-Objekt-Kasus, also Nominativ und Genitiv, einerseits und die Formen der Objekt-Kasus, also Akkusativ und Dativ, andererseits. Die beiden analogen Teilparadigmen weisen eine auffällige analoge Formenverteilung auf. Alle fünf Formen kommen vor. Im nicht-obliquen Plural tritt jeweils die Endung -e auf. Dies wird über die Zugehörigkeit zum Synkretismusfeld 5 auch erfaßt. In den übrigen Positionen treten im Objekt-Teilparadigma die beiden nasalen konsonantischen Endungen, im Nicht-Objekt-Teilparadigma die beiden nicht-nasalen konsonantischen Endungen auf, und dabei fallen in beiden Teilparadigmen der nicht-oblique Singular mit dem obliquen Plural zusammen. Die parallel aufgebauten Teilparadigmen weisen analoge Homonymien auf. Dies läßt es fraglich erscheinen, die Homonymien bei dieser und bei diesen als 'zufällig' zu behandeln.
Als einen Schritt zur Klärung des Paradigmenaufbaus werde ich nun eine teilweise Revision des zugrunde gelegten Merkmalsinventars vorschlagen. Betroffen sind die Genus- und Numerusmerkmale.
Wesentlich ist hier, daß Genusunterscheidungen im gegenwärtigen Deutsch nur im Singular getroffen werden: Pluralformen sind genusunspezifisch. Die Merkmalssystematik sollte so angelegt sein, daß sie das Fehlen von Genusunterscheidungen bei Pluralformen von vornherein berücksichtigt. Nun ist gut bekannt, daß sich in der Nominalgruppe im Deutschen die Kennzeichnungen bei Substantiv und Pronomen (Determinans) ergänzen, und insbesondere, daß die Kennzeichnung von Numerusdistinktionen charakteristisch für Substantivformen ist. Dagegen weisen Pronomina wie DIESER überhaupt keine besonderen Pluralformen auf: die im Plural auftretenden Formen treten sämtlich auch im Singular auf, das Umgekehrte gilt nicht. Tatsächlich läßt sich die Annahme vertreten, daß keines der morphologischen Kennzeichen bei den Pronomina dieses Typs als Pluralsignal fungiert. In Ermangelung von pluralsignalisierenden Kennzeichen ist aber zu erwarten, daß das Merkmal Plural im (unterspezifizierten) Paradigma von DIESER überhaupt nicht auftritt. Umgekehrt sind Formen wie dieses, diesem genusspezifisch: sie treten nur im Maskulinum und Neutrum auf. Diese Signalfunktion sollte auch bei den anzunehmenden Kategorisierungen ihren Niederschlag finden.
All dem kann Rechnung getragen werden, indem man - wie bei den Kasusmerkmalen - eine Kreuzklassifikation nach Genus zugrunde legt; cf. Abbildung 5.
Abbildung 5. Genus- und Kasusmerkmale
Den Gemeinsamkeiten bei Maskulinum und Neutrum wird hier durch die Ansetzung eines Merkmals Standard Rechnung getragen. Standard ist also gerade die Vereinigung von Maskulinum und Neutrum.(11) Den markierten Fall innerhalb des Standardbereichs bildet das Neutrum. Dies wird durch das zusätzliche Merkmal Spezial erfaßt. Im Non-Standard-Bereich fasse ich Genuslosigkeit als den unmarkierten Fall, Zugehörigkeit zum Femininum als den markierten Fall auf. Entsprechend haben genuslose Formen kein Genusmerkmal, feminine Formen nur das Merkmal Spezial. Spezial ist also die Vereinigung von Femininum und Neutrum.
Für die Rechtfertigung dieser Genusmerkmale gilt das oben zu den Kasusmerkmalen
Gesagte. Im vorliegenden Zusammenhang soll die Nützlichkeit der Merkmale
bei der Analyse von Flexionsparadigmen interessieren. Wie im Falle der
Kasus erlaubt die Reduktion der Genusspezifikationen auf zwei Merkmale
eine Behandlung von Synkretismen durch Unterspezifikation. Insbesondere
ist die Möglichkeit von Genuslosigkeit auf einfache Weise integriert.
Pluralformen brauchen daher nicht mehr als genusambig angesehen werden.
Sie sind genuslos. Umgekehrt impliziert ein Genusmerkmal die Zugehörigkeit
zum Singular.(12)
Die vorgeschlagenen zwei Genusmerkmale können zusammen mit den beiden Kasusmerkmalen als Grundlage für eine alternative Analyse der pronominalen Deklination dienen.(13) Um dies zu zeigen, sollen nun die bisherigen Schritte der Betrachtung noch einmal, in umgekehrter Reihenfolge durchlaufen werden. Zunächst wird gezeigt, wie sich das Maskulinum Singular plus Plural Teilparadigma bei dem veränderten Merkmalsinventar darstellt, danach das Gesamtparadigma besprochen und in Abschnitt 5 die sich dann ergebende Tafel von Synkretismusfeldern.
Abbildung 6 zeigt das Teilparadigma aus Maskulinum Singular und Plural.
Abbildung 6. Teilparadigmen Maskulinum Singular und Plural:
Revidierte und traditionelle Kategorisierungen
Im Schema sind links die Formen, in der Mitte die zugeordneten Kategorisierungen und rechts die ihnen entsprechenden traditionellen Bezeichnungen abgekürzt aufgeführt.
Man erkennt hier eine Dreiteilung des Paradigmas: Bei Kategorisierungen, die die Merkmale Standard und Oblique beinhalten, treten Formen auf -s und -m auf. Bei Kategorisierungen, die eines dieser beiden Merkmale beinhalten, treten Formen auf -r und -n auf. Im Restbereich bleiben die Formen ohne konsonantisches Affix und werden mit der einfachen Schwa-Endung versehen. In den beiden Bereichen, die konsonantische Affixe aufweisen, stehen je zwei Affixe zur Verfügung. In beiden Fällen zeigt das Auftreten eines Nasalaffixes an, daß die Kategorisierung das Merkmal Objekt beinhaltet.
Die Systematik der Homonymien kann in einer alternativen Darstellung
noch weiter verdeutlicht werden; cf. Abbildung 7.
Abbildung 7. Teilparadigma Maskulinum Singular und Plural:
Systematik der Homonymien
Wie dargelegt, signalisieren die Formen dieses und diesem die Merkmale Standard und Oblique, i.e. die Merkmalskonjunktion Standard Oblique. Sie markieren damit einen Teilbereich des übergeordneten Bereichs Standard oder Oblique. (Die Merkmalsdisjunktion ist im Schema wiederum durch einen Schrägstrich angezeigt.) Den Rest dieses übergeordneten Bereichs decken die Formen dieser und diesen ab. In allen übrigen Fällen bleibt die Form ohne konsonantisches Suffix.
Es dürfte hier schon deutlich sein, daß dieses Teilparadigma einen einfachen und motivierten Aufbau zeigt.
Das bisher dargestellte Teilparadigma umfaßt die Formen des Maskulinums und des Plurals; soweit die Formen des Neutrums mit denen des Maskulinums und die Formen des Femininums mit denen des Plurals zusammenfallen, sind diese aber bereits miterfaßt. (Beispielsweise fallen Nom und Akk Fem in den Bereich, der durch das Fehlen der Merkmale Oblique und Standard charakterisiert ist. Mit dieser Charakteristik ist im vorgestellten Paradigma nur die merkmalslose Form kompatibel. Im Nom/Akk Fem tritt daher die Form diese auf.) Das Teilparadigma umfaßt so bereits 20 von 24 Positionen des traditionellen Paradigmas. Erweitert werden muß das Paradigma nun nur noch in Hinblick auf die Formen, in denen im Spezialgenus, also Neutrum und Femininum, gegenüber dem Maskulinum bzw. dem genuslosen Bereich abweichende Formenbildung vorliegt.
Den Aufbau des erweiterten Paradigmas DIESER und des Paradigmas SEINER
zeigt Abbildung 8.
Abbildung 8. Gesamtparadigmen DIESER und SEINER:
Revidierte und traditionelle Kategorisierungen
Abbildung 9 zeigt eine mit Abbildung 7 vergleichbare Darstellung für
das Gesamtparadigma.
Abbildung 9. Gesamtparadigma DIESER:
Systematik der Homonymien
Die Erweiterung beschränkt sich auf zwei neu hinzutretende Kategorisierungen, die das Merkmal Spezial beinhalten (cf. die Kategorisierungen IV und VII in Abb. 8). Sie werden gebildet, indem das Merkmal Spezial zum einen mit dem Merkmal Standard, zum anderen mit dem Merkmal Oblique kombiniert wird. Diese beiden Merkmale sind insofern grundlegend als sie den Bereich dessen abstecken, was überhaupt konsonantisch markiert wird. Die Erweiterung besteht in der Kombination des zusätzlichen Merkmals mit den beiden in diesem Sinne grundlegenden Merkmalen. Die Rationale dieser Kombinatorik liegt, wie im folgenden dargelegt wird, im angesprochenen Prinzip des vermehrten Synkretismus in markierten Systembereichen.
Die neu hinzugetretenen Kategorisierungen mit dem Merkmal Spezial haben folgende Entsprechungen in traditionellen Begriffen. Spezial zusammen mit dem Merkmal Standard bezeichnet einfach das Neutrum. Die obliquen Kasus des Standardgenus, also auch des Neutrums, werden durch die schon vorhandenen spezifischeren Kategorisierungen VIII und IX abgedeckt. Standard-Spezial erfaßt daher gerade Nominativ- und Akkusativ-Neutrum-Formen, die tatsächlich immer zusammenfallen. Auf entsprechende Weise ergibt sich, daß Spezial-Oblique gerade die obliquen Kasus des Femininums, also Dativ und Genitiv, erfaßt.
Die Anordnung der Kategorisierungen erfolgt im Schema (Abb. 8) wiederum von oben nach unten gemäß abnehmender Spezifik. Die Ordnung ist teilweise trivial: Beispielsweise sind beliebige nicht-leere Kategorisierungen von höherer Spezifik als die leere Kategorisierung. Ebenso ist eine Kategorisierung wie Nummer VIII (die die Merkmale Standard und Oblique beinhaltet) spezifischer als die Kategorisierungen V und II, die je genau eines dieser beiden Merkmale und kein weiteres enthalten.
Jedoch treten auch Kategorisierungen auf, die nicht in derart offensichtlicher Weise geordnet sind, cf. etwa VIII mit VII und VI. Eine intrinsische Ordnung läßt sich hier nur annehmen, wenn man eine Hierarchie der Merkmale voraussetzt(14), und zwar derart, daß Kategorisierungen mit den Merkmalen Standard und Oblique bei sonst gleichen Umständen 'schwerer wiegen' als solche mit den Merkmalen Spezial und Objekt und daß in beiden Gruppen das Genusmerkmal (also Standard bzw. Spezial) 'schwerer wiegt' als das Kasusmerkmal (also Oblique bzw. Objekt). Daraus ergibt sich die Reihenfolge Standard - Oblique - Spezial - Objekt, in der die Merkmale am Kopf des Schemas in Abbildung 8 von links nach rechts aufgeführt sind. Die Anordnung der Kategorisierungen von oben nach unten gemäß abnehmender Spezifik ergibt sich auf dieser Grundlage. Für das Wesen der fraglichen Merkmalshierarchie gilt, was hinsichtlich der Kasus- und Genusmerkmale selbst gesagt wurde: Ihre Interpretation liegt außerhalb der in diesem Beitrag behandelten morphologisch-strukturellen Fragestellung.
Das Paradigma DIESER ist damit vollständig bestimmt. Der Paradigmenaufbau
gilt mit folgender Qualifikation auch für SEINER. Bei Gebrauch von SEINER
'als Artikel' wie in sein hut ist grün (im Unterschied zum selbständigen
Gebrauch wie in seiner ist grün) gilt: Wo die fragliche Form ausweislich
der relevanten Kategorisierungen im unterspezifizierten Paradigma ausschließlich
genussignalisierende Funktion hätte, steht an ihrer Statt die unflektierte
Form sein. (Betroffen sind die Kategorisierungen V und VII, die
einzigen, die Genusmerkmale, aber keine Kasusmerkmale beinhalten; in traditionellen
Termini Nominativ Singular Maskulinum sowie Nominativ und Akkusativ Singular
Neutrum. In diesen Fällen, die im unterspezifizierten Paradigma eine natürliche
Klasse bilden - 'Suffixe als reine Genuskennzeichen' - tritt die endungslose
Form auf.)(15)
Es ist nun möglich die Grundzüge des Form-Funktions-Zusammenhangs in der pronominalen Deklination anhand des vorgestellten unterspezifizierten Paradigmas festzustellen.
Der Form ohne konsonantische Endung (diese) ist im Paradigma die leere Kategorisierung zugeordnet, während nicht-leere Kategorisierungen Formen mit konsonantischen Endungen zugeordnet sind. Der Zusammenhang ist offensichtlich ikonisch, genauer diagrammatisch: Der Relation des Weniger-Mehr auf Seiten der Formen entspricht eine ebensolche Relation bei den Kategorisierungen im unterspezifizierten Paradigma. Dieser Form-Funktions-Zusammenhang läßt sich an dem angenommenen unterspezifizierten Paradigma, nicht aber an einem Vollparadigma ablesen.
Die phonologischen Eigenschaften der Affixe können als Grundlage für eine morphologische Affixkategorisierung dienen.(16) Die konsonantischen Affixe sind unter morphologischem Gesichtspunkt die spezifischen Affixe: sie können besondere Symbolisierungaufgaben übernehmen. Ihnen steht das unspezifische bloße Schwa-Affix gegenüber.
Im Paradigma DIESER signalisieren Nasalendungen das Auftreten des Merkmals Objekt in unterspezifizierten Kategorisierungen. In diesem Fall korrespondiert eine phonologische Eigenschaft der Exponenten mit der Zuordnung eines syntaktischen Merkmals. Dies bedeutet nicht, daß im Dativ und Akkusativ (also den Objektskasus) nur Formen mit Nasalendungen auftreten können. Die Formen des Akkusativ Neutrum und Akkusativ Plural sowie des Dativ und Akkusativ Femininum, nämlich dieses, dieser und diese, weisen ja tatsächlich keine Nasalendungen auf. Nasalendungen treten dann und nur dann auf, wenn die Kategorisierung der betreffenden Form im unterspezifizierten Paradigma das Merkmal Objekt enthält. Auch dieser Form-Funktions-Zusammenhang läßt sich an einem unterspezifizierten Paradigma, nicht aber an einem Vollparadigma ablesen. Die morphologische Kategorie der Nasalaffixe möge "Extra" heißen.
Betrachten wir nun die nicht-nasalen Affixe, nämlich -e, -er, -es, so zeigt sich eine Ordnung nach konsonantischer Stärke, die der Ordnung der Kategorisierungen nach Spezifik entspricht. Der non-konsonantischen Endung entspricht die leere Kategorisierung, der ausgeprägt konsonantischen Endung auf /s/ entspricht bei den Kategorisierungen der hoch-spezifische Bereich; die sonorantische Endung -er, die gewöhnlich vokalisiert wird, nimmt nicht nur nach ihren phonologischen Eigenschaften eine mittlere Stellung ein; sie ist ebenso auf der Funktionsseite dem mittleren, weniger spezifischen Bereich von Kategorisierungen zugeordnet. Morphologisch mag man -es im Unterschied zu -er als schweres Affix auszeichnen.
Die Abstufung zwischen mittlerem und hoch-spezifischem Kategorisierungsbereich
findet ihre formale Entsprechung schließlich auch innerhalb der Gruppe
der Nasalaffixe. Im mittleren Bereich wird die Endung mit dem unmarkierten
Nasal /n/, im hochspezifischen Bereich dagegen mit dem markierten, labialen
Nasal gebildet. Im Falle von -em gibt die Markiertheit des labialen
Nasals den Grund ab, das Affix als schweres Affix zu kategorisieren. Abbildung
10 faßt diese phonologisch fundierte, morphologische Affixkategorisierung
zusammen.
Abbildung 10. Kategorisierung der Affixe
Zwischen dieser phonologisch fundierten Affixkategorisierung und der Struktur des unmarkierten Teilparadigmas, also Maskulinum Singular/Plural, wie sie durch die syntaktischen Kategorisierungen gegeben ist, besteht ein einfaches Entsprechungsverhältnis (cf. Abbildungen 7 und 10). Bei der Erweiterung zum Gesamtparadigma, also bei der Hinzunahme der Kategorisierungen mit dem Merkmal Spezial, bleibt der Ikonismus erhalten.
Die für die betrachteten Affixe tatsächlich jeweils zu konstatierende Einheitlichkeit der Funktion stellt sich erst auf der morphologischen Ebene, also bei der morphologischen Affixkategorisierung heraus. Homonymie auf der syntaktischen Ebene, also Zuweisung mehrerer Kategorisierungen zu einer Form, steht dazu nicht in Widerspruch. Systematische Homonymie ergibt sich als Konsequenz der vergleichsweise allgemein gehalten morphologischen Bestimmtheit der Formkennzeichen. Als Beispiel mögen noch einmal die Formen dieser und diesen dienen, bei denen nach Bierwischs Analyse die traditionellen Lesarten auf jeweils zwei Kategorisierungen reduziert werden konnte; es blieben aber dieser mit der Lesart Nominativ Singular Maskulinum und dieser mit der Lesart, die Genitiv/Dativ Singular Femininum und Genitiv Plural abdeckt, zwei zufällig homonyme Formen und entsprechend für diesen als Akkusativ Singular Maskulinum und diesen als Dativ Plural.
Nach der vorgeschlagenen Reanalyse ergibt sich die Homonymie der Formen dieser und diesen aus der Rolle, die den nicht-schweren spezifischen Affixen -er und -en innerhalb der pronominalen Paradigmen des Typs DIESER zukommt. Sie decken im Bereich Standard und/oder Oblique alles ab, was nicht von den Formen mit schweren Suffixen erfaßt wird. Darin liegt die Einheitlichkeit ihrer Funktion. Die Affixe gewinnen ihre Funktionen im Rahmen der übergreifenden diagrammatischen Beziehung zwischen Formenbau und Merkmalskombinatorik (die die Kategorisierungen und ihre Ordnung liefert). Für die Klärung derartiger Form-Funktions-Zusammenhänge ist es eine entscheidende Voraussetzung, daß ein theoretischer Rahmen zur Verfügung steht, bei dem Paradigmen zu Gegenständen der Untersuchung gemacht werden können. Konzeptionen, bei denen die betreffenden Suffixe als 'Morpheme' betrachtet werden, deren 'Inhalte' unmittelbar in syntaktischen Begriffen zu spezifizieren wären (etwa Nominativ Singular als 'Inhalt' eines Morphems mit dem 'Ausdruck' -er), sind bei der gegebenen Sachlage zum Scheitern verurteilt.
Den Ausgangspunkt für die Untersuchung der pronominalen Formenbildung
stellte in der vorliegenden Untersuchung Bierwischs Synkretismusfeldertafel
dar. Es soll nun abschließend eine vergleichbare Darstellung im Rahmen
der hier vorgeschlagenen Analyse gegeben werden. Abbildung 11 zeigt die
Kombinatorik der vier zugrunde gelegten Merkmale und die Entsprechungsbeziehungen
zu den traditionellen Kategorisierungen.
Abbildung 11. Synkretismen und Homonymien im revidierten Paradigma
Die Spalten sind gemäß den schweren Merkmale Oblique und Standard organisiert, die Zeilen gemäß den Merkmalen Objekt und Spezial. Die Numerierung ist dieselbe wie in Abbildung 8 (wo absteigende Zählung abnehmender Spezifik entspricht). Die Regularität für die Verteilung der Affixe sei noch einmal wiederholt. Bei Formen der - mit Blick auf das Schema gesprochen - unmarkierten Spalte tritt immer die bloße Schwa-Endung auf. Der Rest des Paradigmas, also der Bereich Oblique und/oder Standard ist der Bereich der spezifischen, also der konsonantischen Affigierung. Er zerfällt in einen leichten Teilbereich und einen schweren Teilbereich. Der schwere Bereich ist im Schema durch Grauschattierung gekennzeichnet. Die Affixe sind den Bereichen in der erläuterten ikonischen Weise zugeordnet.
Die kreuzweise durchstrichenen Felder kennzeichnen die Fälle von Kategorisierungen des spezifischen Bereichs, die im unterspezifizierten Paradigma fehlen: Dieses Fehlen macht - zusammen mit dem Synkretismus in der unmarkierten Spalte - die Unterspezifikation des Paradigmas aus. Man sieht, daß diese Positionen nicht zufällig verteilt sind. Grundlage der Unterspezifikation ist das Prinzip des vermehrten Synkretismus im markierten Teilparadigma, hier im Spezial-Teilparadigma: Das Merkmal Spezial wird nur mit den Merkmalen Standard und Oblique kombiniert, die schwereren Kombinationen fallen aus. Die ausfallenden Funktionen werden von weniger spezifischen Kategorisierungen sozusagen mitübernommen. Beispielsweise fällt Akk Neut mit Nom Neut zusammen. Daß Akk Neut mit Nom Neut und nicht mit irgendeiner anderen Position im Paradigma zusammenfällt, ergibt sich aufgrund des Aufbaus des unterspezifizierten Paradigmas automatisch. Besondere Regeln für diesen Zweck werden nicht benötigt.(17) Die Unterspezifikation, d.h. der Wegfall der durchkreuzten Positionen, erfaßt Synkretismen im eigentlichen Sinne. Im Beispielsfall ist der Nom-Akk-Synkretismus beim Neutrum des Pronomens auch in der Nominalgruppe als ganzer nicht auflösbar. Mit gewissen kleineren Qualifikationen gilt dies auch für die übrigen Synkretismen. Dagegen sind Formgleichheiten wie etwa die von Genitiv Plural und Nominativ Maskulinum (beide dieser) - Felder II und V -, denen im unterspezifizierten Paradigma verschiedene Kategorisierungen entsprechen, in der Nominalgruppe auflösbar (cf. Nominativ Maskulinum dieser mann gegenüber Genitiv Plural dieser männer). Hier handelt es sich um Homonymie, aber nicht um zufällige, sondern um motivierte Homonymie.
Nach der vorgetragenen Reanalyse sollte sich insgesamt gezeigt haben, daß die Nominalparadigmen des Typs DIESER einen Aufbau aufweisen, der Ausdruck eines funktionsorientierten Formenbaus ist. Die vorliegende Darstellung konnte nur einen Ausschnitt aus der Nominalflexion thematisieren, erfaßt aber deren Kernbereich. Die gegebene Analyse bietet auch die Grundlage für eine Behandlung der Flexion anderer Pronomina sowie der Adjektivflexion und der Kasusflexion der Substantive.(18)
Für die Klärung des Form-Funktions-Zusammenhangs in den Paradigmen haben sich die phonologischen Eigenschaften der morphologischen Kennzeichen als wesentlich erwiesen - ein Punkt, der, wie es scheint, in der Flexionsmorphologie trotz Jakobsons Untersuchungen bisher nicht hinreichend gewürdigt worden ist: die 'natürlichen', nämlich phonologischen Eigenschaften der Formen fundieren deren Funktion.
Das Auftreten von kumulativer Exponenz, wie etwa gleichzeitige Genus- und Kasussymbolisierung durch ein Affix, beispielsweise -em, steht einem transparenten Systemaufbau nicht im Wege. Es gibt keinen Anlaß, die deutsche Flexion in ein idealisiertes, rein agglutinierendes Modell zu zwingen. Was in der deutschen Pronominalflexion vorliegt, ist eine mit Prinzipien 'natürlicher' Symbolisierung in bestem Einklang stehende fusionierende Genus/Kasus-Flexion. Mit der Konzeption unterspezifizierter Paradigmen kann ihr Funktionieren auf zwanglose Weise erfaßt werden.
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