Das Archiv des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Wie weiter bei der Ausgestaltung des Zugangs und der Zugänglichkeit?
Abstract
Transitionsphasen zwischen Krieg und Frieden können von Forderungen begleitet werden, die begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen aufzuklären. Dem Zugang zu Archiven kommt in solchen Prozessen eine zentrale Bedeutung zu. Neben staatlichen Archiven sind es auch die Transitionsmechanismen selbst, welche essentielle Unterlagen für die Vergangenheitsarbeit produzieren und sammeln. In meiner Arbeit widme ich mich dem Archiv des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Im Jahr 2017 wird der ICTY voraussichtlich seine Tore schliessen. Der ICTY hinterlässt eine enorme Menge an Unterlagen über begangene Menschenrechtsverletzungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, die über das Mandat des ICTY hinaus für die Vergangenheitsarbeit verwendet werden können. Die Arbeit geht der Frage nach, welche archivpolitischen Herausforderungen sich dem UN Sicherheitsrat anlässlich der Komplettierung des ICTY stellen und analysiert die Weichenstellungen und Lösungsoptionen hinsichtlich des Zugangs und der Zugänglichkeit der Unterlagen aus archivischer Sicht. Im Rahmen der Masterarbeit analysiere ich die verschiedenen Kernaspekte, die in Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Zugangs und der Zugänglichkeit des Archivs diskutiert werden. Ein zentraler Aspekt sind die potentiellen Nutzergruppen des Archivs. Die Nutzer aufgrund des Primärwerts der Unterlagen finden sich in der Nachfolgeinstitution des ICTY sowie in den Rechtsinstanzen des ehemaligen Jugoslawiens. Diese Primärnutzer werden einerseits für die Gewährleistung der Rechts-ansprüche als auch die Verfolgung der Kriegsverbrechen vor nationalen Gerichten noch lange Jahre nach dem Ende des ICTY Zugang zu den Unterlagen brauchen. Der Schutz und die Sicherheit der teils hochsensiblen Unterlagen einerseits, und die effiziente Ausgestaltung des Zugangs für Primärnutzer andererseits, stellen grosse Herausforderungen an die zukünftige Verwaltung der Unterlagen. Die Nutzer aufgrund des Sekundärwerts der Unterlagen sind vielseitig. Die Auswertung der öffentlichen Debatten zeigt, dass dem Archiv gerade von regionalen Akteuren auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien eine zentrale Funktion zugesprochen wird, das rechtliche, institutionelle und normative Erbe des Tribunals zu überliefern. Sie verweisen auf die elementare Bedeutung der Unterlagen für die Versöhnungs- und Vergangenheitsarbeit in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Den regionalen Bedürfnissen muss bei der Ausgestaltung des langfristigen Zugangs und Zugänglichkeit besondere Beachtung geschenkt werden. Neben den Nutzergruppen wird die Frage der geografischen Platzierung des Archivs diskutiert. Mit der Anbindung des Archivs an die Nachfolgeinstitution des ICTY in Den Haag ist eine Übergangslösung gefunden, die eine gute Voraussetzung für die Verwaltung des Archivs und die Gewährleistung des Zugangs und der Zugänglichkeit bildet. Der Entscheid, wo und wie das Archiv langfristig aufbewahrt und zugänglich gemacht wird, steht aber noch aus. Eine Option, die auf breite Zustimmung stösst, bildet die Schaffung von Informationszentren in welchen öffentliche Unterlagen einfach und effizient zugänglich gemacht würden. Die geografische Verteilung und institutionelle Anbindung der Zentren gilt es im Hinblick auf den langfristigen Zugang zu den Unterlagen sehr sorgfältig abzuwägen.
Veröffentlicht
2016-05-12
Zitationsvorschlag
Affolter, T. (2016). Das Archiv des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Wie weiter bei der Ausgestaltung des Zugangs und der Zugänglichkeit?. Informationswissenschaft: Theorie, Methode Und Praxis, 4(1). https://doi.org/10.18755/iw.2016.14
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