Überlieferungsbildung in der Grauzone. Die Bedeutung der Kontextualisierung audiovisueller Dokumente am Beispiel der Piratenradios
Abstract
Vor dem Hintergrund der Neuen Sozialen Bewegungen, der technischen Entwicklung und einer verbreiteten Unzufriedenheit mit dem Monopol der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft entstanden ab 1974 in verschiedenen Städten der Schweiz so genannte Piratenradios. Es handelte sich um UKW-Sendungen, die von technisch versierten Bastlern ohne staatliche Genehmigung ausgestrahlt wurden. Die meisten Sender waren in unregelmässigen Abständen während einiger weniger Stunden pro Monat in Betrieb. Trotz der klandestinen Natur der Sender sind weit mehr Dokumente zur Geschichte der Piratenradios überliefert als lange angenommen wurde. Sowohl Aufzeichnungen von Sendungen als auch schriftliche Dokumente sind in verschiedenen Archiven und in privaten Sammlungen erhalten. Für die medien- und sozialgeschichtliche Forschung sind sie aber nur effizient nutzbar, wenn sie zu einem Quellenkorpus zusammengefasst und in ihrem Entstehungsumfeld verortet werden. Solche Kontextinformationen sind für die Quellenkritik audiovisueller Dokumente unabdingbar. Die Arbeit stellt das US-amerikanische Konzept der Documentation Strategy exemplarisch als mögliches Vorgehen dar, um aus Einzelbeständen audiovisueller Dokumente archivübergreifend einen Quellenkorpus zu bilden, der die AV-Dokumente in Beziehung zu ergänzenden Informationen und Dokumenten setzt. Kernpunkte der Documentation Strategy bilden der Einbezug von externen Expertinnen und Experten, die als «Vermittler» Kontakte zu privaten Sammlungen herstellen können, sowie die aktive Arbeit am Bestandsaufbau und die archivübergreifende Vernetzung. Letzteres erlaubt es, AV-Dokumente historisch zu kontextualisieren. Als Fallbeispiel im Sinne einer praktischen Anwendung stehen sich in der Arbeit zwei Bestände gegenüber, die sich gegenseitig ergänzen: Die Aufzeichnungen von Sendungen, die sich seit kurzem im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich befinden, bilden die Produzentenseite ab; die Akten der Sektion Funküberwachung der PTT-Betriebe im PTT-Archiv in Köniz dokumentieren die Bemühungen der Behörden, die Sendetätigkeit zu unterbinden. Die Arbeit diskutiert, welche Möglichkeiten die archivübergreifende Vernetzung verschiedener Bestände bietet und mit welchen Vorgehensweisen Bestandslücken geschlossen werden können. Dabei wird insbesondere die Rolle der Oral History thematisiert.
Veröffentlicht
2016-05-12
Zitationsvorschlag
Scherrer, A. (2016). Überlieferungsbildung in der Grauzone. Die Bedeutung der Kontextualisierung audiovisueller Dokumente am Beispiel der Piratenradios. Informationswissenschaft: Theorie, Methode Und Praxis, 4(1). https://doi.org/10.18755/iw.2016.15
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