Geschichte in Unternehmen und Unternehmen in der Geschichte

  • Isabelle Iser

Abstract

Aktuelle Publikationen über Unternehmensarchive und Überlieferungsbildung betonen die Wichtigkeit und Dringlichkeit der Erhaltung von Beständen der Privatwirtschaft. Jedoch ist die aktuelle Situation von Unternehmensarchiven geprägt von fehlender Betreuung durch professionelles Personal, unkontrollierter Überlieferungsbildung und Beschränkung auf den Primärwert der Akten. Zudem verhindern Umstrukturierungen, Fusionen, Stellenabbau, Umzüge und Kostensenkungen die nötige Konstanz für ein historisches Archiv. Angesichts dieser Problematik werden die Betonung des Nutzens für die Unternehmen selbst sowie die Rolle von öffentlichen und privaten Institutionen zur Sicherung von Wirtschaftsbeständen immer wichtiger. Die Vorteile eines Firmenarchivs habe ich aus zwei Perspektiven beleuchtet. Zum innerbetrieblichen Nutzen wurden aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre und der Unternehmenskommunikation die drei Begriffe Unternehmenskultur, History Marketing und Corporate Memory in Bezug auf die Führung eines Archivs umschrieben. Dort kann ein Mehrwert für Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Imagepflege, Geschichtsbewusstsein, Identifikation und Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter entstehen. Die Tradition wird angesichts des wirtschaftlichen Wandels, der Globalisierung und des technologischen Fortschritts zu einem Faktor von zentraler Bedeutung für die Identifikation einer Marke oder eines Unternehmens. Im Sinne des ausserbetrieblichen Nutzens gehören die Wirtschaftsarchive bei einer ganzheitlichen Überlieferungsbildung zum aufbewahrungswürdigen Dokumentationsgut, das der historischen Forschung zugänglich sein sollte. Die enge Verknüpfung der Unternehmen mit den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen eines Landes bringt eine soziale Verantwortung gegenüber der Geschichtsschreibung mit. Für konkrete Beispiele gaben die ArchivarInnen von ABB AG, Novartis AG und Georg Fischer AG anhand eines schriftlichen Fragebogens einen Einblick in ihre Erfahrungen im Umgang mit den Archiven. Als Gegenpol zu den professionell geführten historischen Archiven illustriert das Beispiel der Synthes GmbH das Fehlen und das mögliche Potential eines solchen Archivs. Die Ressource Information soll als wirtschaftliche Kraft neben Personal, Rohmaterial oder Kapital bewusst für Marketingstrategien eingesetzt werden. Die Betreuung des Firmenarchivs kann intern erfolgen oder von einem externen Dienstleister übernommen werden. Die erste Variante ermöglicht den intensiven, internen Gebrauch des Materials. Je nach Benutzungspolitik profitiert die Forschung mehr oder weniger von den Beständen. Die Ablieferung von historischem Archivgut an spezialisierte Archive eignet sich besonders für den einfachen Zugang für Forscher. Die Erschliessung und Auswertung der Bestände kann so direkt von geschultem Archivpersonal erledigt werden, die selbst mögliche Forschungsfragen in Auftrag geben können. In Zukunft sind Archivare, Historiker und Lehrpersonen gefordert, den Nutzen eines Archivs in der Öffentlichkeit aufzuzeigen. Gleichermassen müssen Wirtschaftsverbände, Unternehmer und Spezialarchive ein Monitoring des Wirtschaftsgeschehens betreiben und die Kooperation zwischen den verschiedenen Institutionen organisieren.
Veröffentlicht
2010-03-28
Zitationsvorschlag
Iser, I. (2010). Geschichte in Unternehmen und Unternehmen in der Geschichte. Informationswissenschaft: Theorie, Methode Und Praxis, 1(1). https://doi.org/10.18755/iw.2010.8
Rubrik
Artikel / Articles