Ein Dokumentationsprofil für Wirtschaftsarchive in der Schweiz

  • Martin Lüpold

Abstract

Die Bewertung gilt als Kern der Archivwissenschaft. Die Frage "Was archivieren?" stellt sich nicht erst, wenn man vor den Stapeln der ins Archiv übernommenen Unterlagen steht oder die Anbietungsliste durchsieht. Schon vorher muss auf der Makro-Ebene geklärt werden, von welchen Körperschaften oder Personen überhaupt Unterlagen übernommen werden sollen, um unsere Lebenswelt in möglichst vielen Facetten zu dokumentieren. Eine solche Makro-Bewertung ist gerade bei Privatarchiven wichtig, wo keine Anbietepflicht besteht, die Archivierung freiwillig und das Universum der potenziellen Aktenbildner gross und flach ist. Das Dokumentationsprofil, wie es die deutschen Kommunalarchive entwickelt haben, ist ein Instrument, um die Suche nach wichtigen Aktenbildnern und Archivbeständen ausserhalb der Sphäre von Politik und öffentlicher Verwaltung zu strukturieren. Bezogen auf Firmenarchive in der Schweiz skizziert die Masterarbeit Wege, um aus einer sechsstelligen Zahl von kleinen bis grossen Unternehmen die relevanten auszuwählen und die Vielfalt der Branchenstruktur in ihrem historischen Verlauf abzubilden. Es bietet sich an, alle Branchen proportional zu ihrer Bedeutung zu dokumentieren. Die Wirtschaftszweige werden dabei im Sinne von Provenienz als Funktionen des Wirtschaftslebens verstanden. Angesichts der massiven Bedeutung des Ökonomischen für unser Leben muss die Überlieferungssituation im Bereich der Wirtschaftsarchive verbessert werden. Es müssen nicht nur mehr, sondern auch die für eine angemessene Überlieferung repräsentativen und relevanten Bestände gesichert werden, und dies auf eine zielführende Art und Weise. Die Masterarbeit skizziert ein Dokumentationsprofil und formuliert Elemente für eine mögliche Memopolitik der Wirtschaftsarchive. Dabei gilt es erstens, die Repräsentativität der Archivierungssituation einzuschätzen. Basierend auf den Daten des Wirtschaftsarchivportals arCHeco.info, auf historischen Statistiken und auf Branchen-Klassifikationen wurde für die Masterarbeit eine Tabelle erarbeitet, welche einen Vergleich von Überlieferungssituation und Unternehmenslandschaft erlaubt. Eine Analyse dieser Daten zeigt eine solide Ausgangslage etwa bezüglich Textilindustrie oder Finanzbranche. Gerade in jüngeren Branchen, zum Beispiel in der Luftfahrt, in der Telekommunikation oder der Softwareindustrie, überwiegen aber die Lücken. Zweitens müssen angesichts der grossen und flachen Unternehmenswelt Prioritäten gesetzt werden. Drittens ist eine gute Überlieferung von Firmenarchiven (und anderen Arten von Wirtschaftsarchiven) nur im Netzwerk möglich: Staats- und Stadtarchive, Spezialarchive wie das Schweizerische Wirtschaftsarchiv, Archive von Unternehmen, der Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare (VSA), aber auch Bibliotheken und Universitäten sind wichtige Akteure. Viertens muss das Bewusstsein für die Bedeutung von Wirtschaftsarchiven gestärkt werden, vor allem bei den Unternehmen und ihren Entscheidungsträgern. Fünftens und letztens könnten Anreize und gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Unternehmen zum bewussten Umgang mit ihren wertvollen historischen Unterlagen zu motivieren.
Veröffentlicht
2014-05-15
Zitationsvorschlag
Lüpold, M. (2014). Ein Dokumentationsprofil für Wirtschaftsarchive in der Schweiz. Informationswissenschaft: Theorie, Methode Und Praxis, 3(1). https://doi.org/10.18755/iw.2014.15
Rubrik
Artikel / Articles