Die Bedeutung von Fotografien als historische Quellen im Archiv. Mit exemplarischem Themenfeld aus dem Archiv für Zeitgeschichte (AfZ) ETHZ: Die Alltagsfotografie

  • Ildikó Kovàcs

Abstract

Fotografien sind weit mehr als nur Illustrationsmaterial für Textquellen. Sie gehören zu den wichtigsten Medien der zweiten Hälfte des 19. und des ganzen 20. Jahrhunderts. Dennoch blieb ihnen in der Geschichtswissenschaft und in den Archiven während langer Zeit der Status als Quellen verwehrt. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Prädominanz schriftlicher (amtlicher) Dokumente, die lange Zeit als die eigentlichen Quellen angesehen wurden. Bilder dagegen galten gemeinhin als Metier der Kunstgeschichte. Dass sich die Geschichtswissenschaften und die Archive gegenüber den Bildquellen schliesslich öffneten, ist nicht zuletzt der vermehrten Interdisziplinarität im Bereich der Geisteswissenschaften sowie dem "Methodenmix", wie das u. a. Gerhard Paul und Karin Hartewig postulieren, zu verdanken. Mehr oder weniger nahe verwandte geisteswissenschaftliche Disziplinen befruchteten sich bei der Arbeit an Bildquellen gegenseitig ebenso sehr, wie die unterschiedlichen analytischen Ansätze das hermeneutische Feld öffneten. Die Wirkung geht aber nicht nur in eine Richtung. Durch eine sorgfältige und umfassende Erschliessung der Bildquellen dürfte ebenfalls das Forschungsinteresse an diesen befeuert werden. Damit dieser Weg heute gegangen werden kann, war zuvor auch in den Archiven ein Umdenken erforderlich. Das fing zwar damit an, dass man Fotografien überhaupt erst als historische Quellen anerkennt und behandelt, hört aber damit nicht auf. Denn Bildquellen stellen für die Archivarbeit eine besondere Herausforderung dar. Bei der archivischen Bearbeitung dieser Quellen ist stets zu bedenken, dass sich durch die Methodenvielfalt und die Interdisziplinarität bei der Arbeit an ihnen Fragestellungen und Sichtweisen ergeben können, die zum Zeitpunkt der Bewertung und Erschliessung noch gar nicht absehbar sind. Es ist somit unerlässlich, das Maximum an verfügbaren Kontextinformationen aufzuzeichnen und zeitgenössischen wie späteren Forschern zugänglich zu machen. So kommt der Archivarin und dem Archivar eine wichtige Bedeutung bei der Bewertung, Erschliessung und Vermittlung von Fotografien zu. Die Bewertung fängt bereits bei der Akquisition von Beständen an. Schon dort ist es wichtig, Fotografien nicht nur als Illustrationsmaterial zu sehen, damit wichtige Kontextinformationen festgehalten werden können. So ist auch bei Fotografien das Wissen um die Provenienz von grosser Wichtigkeit. Wer ist der Bestandesbildner? Ist der Bestandesbildner mit dem Fotografen, gleich ob Berufsfotograf oder Amateur, identisch? In welchem Zusammenhang sind die Fotografien entstanden? Wie wurden sie verwendet? Oder aber es muss deklariert werden, wenn man das nicht eruieren konnte. Die Bestandesinformationen müssen in den Archiven auch zugänglich gemacht werden, vereinheitlicht mit Standards und Normen wie SEPIADES, ISAD (G) und ISAAR (CPF). Damit wird auch ein Austausch von Daten mit anderen Institutionen und ein Aufbau von gemeinsamen Datenbanken ermöglicht. Damit Fotos im Archiv einen adäquaten Stellenwert bekommen, ist es wichtig, dass sich Archivarinnen und Archivare nicht nur mit technischen und konservatorischen Aspekten der Fotografie auseinandersetzen, sondern auch mit ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, mit der sich auch die historische Bildforschung befasst. Dieses Wissen lässt sich schliesslich in der Bewertung, Erschliessung und Vermittlung im Archiv fruchtbar umsetzen. Inzwischen übernehmen vermehrt Institutionen, die sich nicht in erster Linie mit Bildern beschäftigt haben, grosse Bildbestände; so zum Beispiel das Staatsarchiv Aargau das Ringier Bildarchiv, das Staatsarchiv des Kantons Waadt das Archiv von Edipresse, das Staatsarchiv Bern das Bildarchiv der Berner Zeitung sowie das Stadtarchiv Bern das Bildarchiv der Zeitung Der Bund. Damit tragen sie der wachsenden Bedeutung audiovisueller Quellen als Kulturgut für die ABD-Institutionen Rechnung. Damit erlangen Fotografien die Bedeutung, die ihnen in einem Archiv gebührt, und so lassen sie sich dann von der Forschung und von einer breiten Öffentlichkeit adäquat als historische Quellen und nicht nur als Illustrationsmaterial nutzen.
Veröffentlicht
2014-05-15
Zitationsvorschlag
Kovàcs, I. (2014). Die Bedeutung von Fotografien als historische Quellen im Archiv. Mit exemplarischem Themenfeld aus dem Archiv für Zeitgeschichte (AfZ) ETHZ: Die Alltagsfotografie. Informationswissenschaft: Theorie, Methode Und Praxis, 3(1). https://doi.org/10.18755/iw.2014.20
Rubrik
Artikel / Articles